Wildheit oder Ökopolitik: Corinne Royer

In „Ceux du lac“ (2024) erzählt Corinne Royer die Geschichte einer sechsköpfigen Roma-Geschwistergruppe, ihres Vaters und des alten Hundes Moroï, die in einer Hütte am Rand eines Sees in der Nähe von Bukarest leben. In diesem verwilderten Naturraum haben sie sich eine Existenz jenseits der Gesellschaft aufgebaut. Während Sasho, Naya und ihre Brüder in der Dâmbovița Fische fangen und die Poesie aus den Büchern der Tante Marta entdecken, leben sie in bewusster Abgrenzung zu den städtischen Normen – ein Dasein am Rand, aber voller innerer Freiheit und intensiver Beziehung zur Natur. Diese fragile Idylle gerät ins Wanken, als die Behörden das Gebiet zu einem offiziellen Naturschutzreservat erklären wollen und die Familie zur Räumung auffordern. Die Șerbans stehen plötzlich vor der Enteignung ihres Lebensraums, ihres „schönsten Ortes“, der für sie nicht nur Heimat, sondern ein eigenes kleines Reich bedeutet. Inspiriert von einer wahren Begebenheit erzählt der Roman von einem erzwungenen Abschied, der zugleich metaphorisch für das Verschwinden einer ganzen Lebensweise steht. Die Autorin merkt in einer Notiz an, dass das Văcărești-Delta im Mai 2016 offiziell zum Naturschutzgebiet erklärt wurde, nachdem eine Roma-Familie von den Behörden zwangsweise umgesiedelt und von den Sozialdiensten in der Stadt untergebracht worden war. Obwohl dieser Text von diesen realen Ereignissen inspiriert ist, handle es sich aber um ein Werk der Fiktion. Royer zeichnet mit poetischer Kraft das Bild einer Familie, die in einer Gesellschaft lebt, die vorgibt zu schützen, aber dabei zerstört.