Der Roman „L’enfant dans le taxi“ von Sylvain Prudhomme (2023, dt. „Der Junge im Taxi“, Unionsverlag, Juli 2025) ist eine Auseinandersetzung mit den Schatten der deutsch-französischen Geschichte, insbesondere der Nachkriegszeit, und deren Auswirkungen auf individuelle Schicksale und Familienbeziehungen. Das Werk verwebt die persönliche Suche des Erzählers Simon nach einem verdrängten Familiengeheimnis mit der komplexen Historie der französischen Besatzung in Deutschland. Im Zentrum steht die Entdeckung der Existenz von M., dem deutschen Sohn des französischen Soldaten Malusci und der Deutschen Liselotte H., der während der Besatzung am Bodensee gezeugt wurde. Seine Existenz wurde über Jahrzehnte hinweg aktiv verleugnet, um idealisierte Familiennarrative aufrechtzuerhalten, deren Brüchigkeit durch Simons Recherchen offengelegt wird. Dabei wird der Bodensee selbst zu einem zentralen Symbol des Geheimnisses und der verborgenen Tiefen, während das Taxi, in dem M. als Teenager zu seinem Vater reist, seine verzweifelte, aber naive Hoffnung auf Verbindung symbolisiert. Die Geschichte zeigt, wie Kommunikation durch Schweigen und Missverständnisse blockiert wird, bis die Wahrheit schließlich durch Figuren wie Franz und Louis ans Licht kommt. Der Roman geht über eine bloße Familiengeschichte hinaus, indem er die kollektive Verdrängung als aktive, performative Praxis darstellt, in der „Frieden“ oft den „anderen Namen der Verleugnung“ trägt. Der Text betont, dass die Enthüllung der Wahrheit nicht zu einer objektiven Realität, sondern zu einer kontinuierlichen, durch Wünsche und Emotionen geformten Konstruktion von Wahrheit führt. Zudem ist der Roman eng mit der Kolonialgeschichte Algeriens verbunden, denn die erste Spur zu dem verborgenen Familiengeheimnis – M.s Existenz – kommt über Bahi ans Licht. Bahi ist ein algerischer Arbeiter auf Maluscis Farm in Oran. Letztlich deutet der Roman eine Möglichkeit zur Heilung historischer Traumata an, die auf Empathie und der Akzeptanz der komplexen menschlichen Geschichte beruht.