Ruhe in einer Welt der Gespenster: Cyrille Falisse

Cyrille Falisses Debütroman „Seuls les fantômes“ (Belfond, 2025) beginnt mit einem abrupten Zusammenbruch: Melvile, von seiner Partnerin verlassen, verliert jede innere Stabilität. Die Trennung wird nicht als Liebesleid, sondern als körperlich-psychischer Kollaps dargestellt, in dem das Verstummen des Begehrens durch die wiederkehrende Formel „Je ne jouis plus“ sichtbar wird. Melviles Rückzug, seine fragmentierten Alltagsfunktionen und die Stimmen, die seinen inneren Monolog verdichten, markieren eine Überreizung der Psyche. Zentral ist die Figur des „Gespenstischen“ – die „fantômes“ – als Metapher für intrusive Erinnerungen und unerledigte emotionale Prägungen, die Melvile zu einer systematischen Aufarbeitung seiner Vergangenheit treiben. Verfall, körperliche Impotenz, obsessive Gedanken und die bedrückende Wohnung spiegeln seine Krise. Zugleich strukturiert er seine innere Welt über Schreiben und digitale Identität, wobei Natur- und Wasserbilder die Verarbeitung traumatischer Erinnerungen illustrieren. Das narrative Zentrum bleibt die Suche nach verlorenen Bezugspersonen, die Konfrontation mit Schuld und die allmähliche Integration von Verlust, während die Geschichte zu einem Reise- und Suchnarrativ hinführt, das weniger geografisch als psychologisch motiviert ist. – Falisses Argumentation liegt in der engen Verknüpfung von innerer Krise, psychischer Verarbeitung und narrativer Form. Die präzise, unpathetische Sprache macht emotionale Erschütterungen unmittelbar erfahrbar und verbindet metaphorische Dichte mit konkreter Körperlichkeit. Digitale Kommunikationsformen, mentale Schleifen und fragmentierte Zeitstruktur bilden ein erzählerisches System, das Melviles Isolation, Reflexion und langsame Stabilisierung sichtbar macht. Das Buch zeigt, dass Erinnerung, Verlust und Begehren nicht aufgehoben, sondern bearbeitet und integriert werden müssen. Falisse gelingt es, existenzielle Erfahrungen in einer Balance zwischen Verletzlichkeit und formaler Strenge darzustellen: Die Geister der Vergangenheit bleiben, verlieren aber ihre zerstörerische Macht, und Melvile erkennt seine Zerbrechlichkeit als Stärke – ein Schluss, der psychologisches Verständnis und literarische Präzision miteinander verbindet.

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