Von der Femme fatale zum Subjekt: Milady de Winter zwischen Dumas und Clermont-Tonnerre

Adélaïde de Clermont-Tonnerres „Je voulais vivre“ (2025) ist der stupende Versuch, einer ikonisch verfemten Figur der Weltliteratur ihre Geschichte zurückzugeben: Milady de Winter, dem vermeintlich „bösen Engel“ aus Dumas’ „Les Trois Mousquetaires“ (1844). Der Roman macht aus der Dämonin eine historisch und psychologisch nachvollziehbare Frau, deren Leben von männlicher Gewalt geprägt ist. Kindheitstraumata, soziale Entrechtung und die Logik eines Geschlechterverhältnisses, das Frauen nur als Besitz oder Gefahr kennt, bilden den verleugneten Hintergrund jener Taten, die der Kanon als metaphysische Verderbtheit etikettierte. „Je voulais vivre“ ist damit weit mehr als ein intertextuelles Spiel: Es erprobt einen Korrekturmodus des Erzählens, in dem literarische Mythen befragt und Figuren aus ihrer jahrhundertelangen Verurteilung befreit werden dürfen – nicht um sie reinzuwaschen, sondern um sie endlich zu verstehen. – Der Artikel verfolgt dieses Unternehmen in einer präzisen Gegenlektüre zu Dumas. Er arbeitet heraus, wie Clermont-Tonnerre die bekanntesten Milady-Episoden – Verführung, Giftmord, Rache, Brandmal und Hinrichtung – nicht negiert, sondern narrativ neu perspektiviert, sodass aus „Bosheit“ Kausalität wird und aus „Verführung“ ein Akt der Selbstbehauptung. Der Aufsatz zeigt, wie konsequent die Autorin kommunikative Machtverhältnisse, Zeitstrukturen und Figurenkonstellationen umbaut, um die Deutungshoheit vom männlichen Urteil zurück in die Innenwelt der Figur zu verlagern. Dadurch wird „Je voulais vivre“ zum literarischen Plädoyer dafür, solche fiktionale Frauenfiguren im Erzählen Gerechtigkeit erfahren zu lassen. Die Rezension begründet abschließend, weshalb Clermont-Tonnerres Roman den Prix Renaudot 2025 verdient erhalten hat.

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