Himmlers Zuchtbefehl: Caroline de Mulder
Caroline De Mulders Roman „La pouponnière d’Himmler“ erzählt das Lebensborn-Programm des Nationalsozialismus als Schrecken einer durchideologisierten Kindheit: Kindheit wird nicht als schützenswerte Lebensphase gezeigt, sondern als Produkt eines rassistischen Zuchtprogramms – verwaltet, vermessen, umbenannt und ihrer Herkunft beraubt. Die Körper von Frauen, Kindern und Männern erscheinen nicht als Subjekte, sondern als biopolitisches Material im Dienst einer totalitären Ideologie. Die Frau wird als „Gebärmaschine“ dargestellt, deren Wert sich ausschließlich aus ihrer Reproduktionsfähigkeit für die „Rasse“ ergibt. Renée, die als junge schwangere Französin im Lebensborn-Heim entrechtet wird, Helga, die als Oberschwester zwischen Pflichterfüllung und Schuld taumelt, und Marek, der als Zwangsarbeiter entmenschlicht wird, verkörpern drei Varianten existenzieller Ausgeliefertheit an ein System, das Körper zählt, aber Leben entwertet. Gleichzeitig deutet der Roman an, dass die völlige Indienstnahme der Körper nicht gelingt: In poetischen Momenten innerer Bilder, sinnlicher Erfahrung und zwischenmenschlicher Nähe blitzen Möglichkeiten von Subjektivität auf. Die Erzählerin des Romans versucht im Rückblick, das Schweigen der Vergangenheit zu durchbrechen, und begegnet der historischen Leerstelle mit Sprache, Imagination und dokumentarischen Fragmenten. Die vielstimmige Struktur des Romans – zwischen innerem Monolog, Archivtexten und Gegenwartserzählung – spiegelt die Fragmentierung traumatisierter Kindheiten wider und macht literarisch erfahrbar, was historisch mit dem Kriegsende am 8. Mai 1945 ausgelöscht werden sollte.