Im Kreis der Schuldigen: ein Frankreich in Spiegeln bei Philippe Brunel
Philippe Brunels „Le cercle des obligés“ (Grasset, 2025) ist eine hybride Form aus roman vrai, journalistischer Recherche und autobiographischer Rückschau. Ausgangspunkt ist die berüchtigte affaire Markovic: 1968 wird Stefan Markovic, Serbe, Schattenmann und „doublure lumière“ Alain Delons, ermordet aufgefunden – eine Episode, in der sich Kino, Politik und Unterwelt auf beklemmende Weise überkreuzen. Fünfundzwanzig Jahre später nimmt ein namenloser Ich-Erzähler, ehemals Reporter, die Spuren seines Mentors Pierre Salberg wieder auf. Er kehrt an die Schauplätze der Vergangenheit zurück, um ein unvollendetes Manuskript fortzuschreiben und zugleich sich selbst zu rekonstruieren. Das Frankreich des Romans ist das Land nach 1968 – ein Land zwischen politischer Dekadenz und kulturellem Glanz. Brunel schildert die Zeit als spectacle permanent, als Schau- und Trugbild. Die Wirtschaftswunderjahre sind vorbei, und hinter der Fassade des Gaullismus breiten sich Müdigkeit, Korruption und moralische Entleerung aus. Brunel zeigt die Entstehung einer neuen Popkultur, in der sich Politik, Showbusiness und Kriminalität mischen. Alain Delon verkörpert „le héros absolu“, aber zugleich das Symbol einer Generation, die Schönheit mit Verdacht belegt. Der Roman zitiert ganze Passagen aus Interviews, Zeitungsartikeln, Polizeiberichten – eine Collage der medialen Oberfläche. Populäre Figuren (Melville, Bardot, Fallaci, Visconti, Aznavour) erscheinen nicht als bloße Namen, sondern als Zeichen einer Ästhetik, die das Reale in das Kinematographische überführt.
➙ Zum Artikel