Die Farbe Schwarz: Justine Bo
Justine Bos Roman „Eve Melville, Cantique“ (Grasset, 2024) taucht tief in die Traumatisierungen der amerikanischen Geschichte ein und beleuchtet dabei, wie sich alte Wunden in der Gegenwart neu manifestieren. Der Ausgangspunkt des Dramas ist ein scheinbar alltäglicher Akt des Vandalismus: Die Hausfassade von Eve Melvilles Nachbarin in Brooklyn wird über Nacht schwarz gestrichen. Doch diese äußere „Verunstaltung“ wird für Eve, deren Familie seit Generationen eng mit diesem Haus und seiner Umgebung verbunden ist, zu einem schmerzhaften Auslöser. Es reißt eine Wunde in ihr auf und führt sie zurück zu den Ursprüngen ihrer Familie, die untrennbar mit der Sklaverei in den Südstaaten verbunden sind. Das Haus, einst von ihrem Urgroßvater Solomon Melville als Bollwerk der Freiheit und des Besitzes erworben, wird zu einem Brennpunkt, an dem sich die Vergangenheit und die Gegenwart Amerikas in ihrer ganzen Brutalität begegnen. „Cantique“ ist ein Verweis auf das biblische Hohelied – ein poetisches, aber auch rebellisches Bild. Dieses Motiv führte sie zu einem Roman, der die Erinnerung an Sklaverei, Gentrifizierung, AIDS, schwarze Geschichte und urbane Gewalt in New York zusammenführt – ausgehend von der dramatischen Metapher eines Hauses, nachts schwarz gestrichen als Angriff auf Identität und Besitz.