Zum Mut wie zur Feigheit: Jérôme Garcin über Literatur in der Zeit der Occupation

Jérôme Garcin legt in „Des mots et des actes: les belles-lettres sous l’Occupation“ (Gallimard, 2025) eine moralisch zugespitzte Analyse der französischen Literaturszene während der deutschen Besatzung vor und zeigt, wie Worte zu Werkzeugen der Unterwerfung oder des Widerstands werden konnten. In pointierten Porträts von Kollaborateuren wie Brasillach, Céline, Morand oder Chardonne sowie Widerstandsfiguren wie Prévost, Decour und Lusseyran demonstriert er, dass literarisches Genie moralische Schuld nicht relativiert, sondern verschärft. Leitend ist die von ihm entwickelte „échelle de Prévost“, ein Maßstab, der die Verbindung von ethischer Haltung und schriftstellerischer Praxis bewertet. Garcin zeigt, wie eine kulturelle Elite trotz Massenmord und Repression ein schillerndes Pariser Kulturleben pflegte und wie bis heute ein ästhetischer Kult um kollaborationistische Autoren besteht, während Widerstandsschriftsteller marginalisiert werden. Das Buch ist zugleich historische Abrechnung, moralischer Appell und intellektuelles Selbstporträt eines Lesers, der das „unschuldige Lesen“ aufgibt. Die Rezension hebt die doppelte Bewegung des Werks hervor: die historische Rekonstruktion des literarischen Feldes unter der Besatzung und Garcins selbstkritische Revision seiner eigenen Lektürehaltung. Sie betont, dass Garcin gegen die tradierte Trennung von Werk und Autor anschreibt und die Persistenz einer französischen „ästhetischen Amnesie“ sichtbar macht, die Kollaborateuren Bewunderung und Résistants nur pflichtschuldigen Respekt entgegenbringt. Die Besprechung arbeitet heraus, wie Garcin literarische Porträts mit strukturellen Argumenten (CNE, Generationenkonflikte, soziale Milieus) verbindet und damit eine moralische Re-Kanonisierung anstößt, die Verantwortung als unverzichtbare literaturkritische Kategorie rehabilitiert. Insgesamt liest die Rezension das Buch als dringlichen Beitrag gegen die Verharmlosung des kulturellen Verrats – und als Manifest gegen den fortwirkenden mythischen Glanz, der sich um die „Genies“ des Hasses spannt.

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