Entstellung, Scham und Spektakel: Pierre Jourde und Victor Hugo
Pierre Jourdes „La marchande d’oublies“ (Gallimard, 2025) ist ein düster funkelnder Roman über Erinnerung, Wahnsinn und die Groteske, der die Welt der Schausteller und Clowns des fin de siècle mit der beginnenden Psychiatrie verschränkt. In verschachtelten Stimmen erzählt er die Geschichte eines Arztes, der auf einer Zugfahrt dem monströsen Clown Alastair begegnet – einem lebenden Relikt aus der Albtraumwelt der Jahrmärkte, der von seiner Amnesie, seiner verstörenden Kindheit und der Vision einer „marchande d’oublies“ berichtet, die süßes Vergessen wie Erlösung verkauft. Jourde entwirft eine finster-ästhetische Parabel über die Zersetzung des Subjekts im Zeitalter der modernen Wissenschaft und des Spektakels – eine Welt, in der Bühne und Irrenhaus, Kunst und Krankheit ununterscheidbar werden. In auffälliger Nähe zu Victor Hugos „L’homme qui rit“ radikalisiert Jourde das romantische Motiv des entstellten Gesichts: Das Lachen, einst Symbol der Anklage, wird zum Symptom eines universellen Verfalls.
➙ Zum Artikel