Burlesk und unheimlich: zwei Lesarten des Monströsen bei Arthur Dreyfus

Arthur Dreyfus’ „La troisième main“ (P.O.L., 2023) erzählt in der Form eines „journal en désordre“ die Lebensgeschichte des jungen Paul Marchand, die vom Ersten Weltkrieg und einer grotesken medizinischen Grenzüberschreitung geprägt wird. Die erste Hälfte des Romans skizziert eine Kindheit in Besançon, deren Kontinuität mit dem Tod des Vaters und der fortschreitenden Verwahrlosung der Mutter zerbricht. Als Paul schwer verwundet wird, erwacht er nicht im Krankenhaus, sondern im Keller des androgyn inszenierten Camille Gottschalk, der an Menschen und Tieren bizarre Transplantationen vornimmt. Aus Pauls Bauch wächst fortan eine „dritte Hand“ des Deutschen Hans – ein lebendiger, fremder Arm, der sein Überleben sichert und ihn zugleich zum Monstrum macht. Der Text verwebt Krieg, Körperhorror und Identitätssuche und lässt offen, ob sein Protagonist Opfer, Täter oder Komplize des eigenen Überlebens ist. – Der Artikel liest Dreyfus’ Roman doppelt: als unheimliche Parabel über Entfremdung und als grotesk-burleske Körperfantasie. In der einen Lesart ist Gottschalks Labor ein Ort des wissenschaftlichen Grauens, die dritte Hand ein unheimlicher Fremdkörper, der Autonomie und Identität untergräbt. In der anderen erscheint dasselbe Szenario als schillerndes, libertines Spektakel, in dem ein Candide-ähnlicher Erzähler durch ein anatomisches Kuriositätenkabinett taumelt, in dem Geschlechtergrenzen, Moral und Körperformen lustvoll überschritten werden. Zwischen Horror und Überschuss changierend, wird das Monströse zur Bühne des Überlebens – und die „dritte Hand“ zum Symbol für die Ambiguität zwischen Fremdheit und Zugehörigkeit, Abscheu und Lust.

rentrée littéraire
Datenschutz-Übersicht

Diese Website verwendet Cookies, damit wir dir die bestmögliche Benutzererfahrung bieten können. Cookie-Informationen werden in deinem Browser gespeichert und führen Funktionen aus, wie das Wiedererkennen von dir, wenn du auf unsere Website zurückkehrst, und hilft unserem Team zu verstehen, welche Abschnitte der Website für dich am interessantesten und nützlichsten sind.