Partnerschaft und Gewalt im Roman: Nathacha Appanah

Der Titel „La nuit au cœur“ (2025) des neuen Romans von Nathacha Appanah spiegelt die zentralen Themen: Gewalt, Angst, Isolation, Trauma, aber auch Widerstand und die Suche nach Sinn und Erinnerung. Die Struktur des Romans gliedert sich in fünf Teile, die zwischen der persönlichen, autofiktionalen Erzählung der Autorin und den rekonstruierten Schicksalen von Emma und Chahinez wechseln, wobei eine „imaginäre Kammer“ als Ort der Begegnung und Reflexion dient. Der Roman dekonstruiert Feminizide nicht als isolierte Vorfälle, sondern als Ausdruck eines tief verwurzelten patriarchalen Systems, das sich über Kulturen und Zeiten erstreckt. Der Roman kritisiert scharf die patriarchalen Gesellschaften, insbesondere in Algerien und auf Mauritius, wo Frauen mit Scheidung stigmatisiert werden und ihre Autonomie eingeschränkt ist. Die parallele Erzählung der drei Frauen – einer Überlebenden und zwei Opfern – unterstreicht die universelle Gefahr, der Frauen ausgesetzt sind, und die erschreckende Ähnlichkeit der Täterprofile und Gewaltmuster (Kontrolle, Eifersucht, Isolation, physische und psychische Misshandlung).

Davids Stern zurückgeben: Nathacha Appanah

Der Roman „Le dernier frère“ (Éditions de l’Olivier, 2007, deutsch: Unionsverlag, 2012) der mauritischen Autorin Nathacha Appanah ist ein Werk von großer poetischer Dichte und erzählerischer Komplexität. Im Zentrum steht eine kindliche Freundschaft zwischen Raj, dem Erzähler, und David, einem jüdischen Jungen, der mit dem Internierungsschiff „Atlantic“ nach Mauritius kam. Der Roman kreist um die Frage, wie sich individuelle Identität durch Erinnerung, Verlust und Erlebnisse von Gewalt herausbildet. Der Text ist dabei zugleich historische Aufarbeitung und intime Erzählung. Appanah verknüpft die individuelle Geschichte eines mauritischen Jungen mit dem größeren historischen Kontext der Internierung jüdischer Geflüchteter durch britische Kolonialbehörden auf Mauritius während des Zweiten Weltkriegs. Damit entsteht ein erzählerisches Gewebe aus historischen Fakten, psychologischer Innenschau und poetischer Reflexion, das für den Leser nicht nur eine literarische, sondern auch eine ethische Erfahrung darstellt.

Poetiken der Kindheit: Nathacha Appanah, La mémoire délavée (2023)

Nathacha Appanahs autofiktionales Werk „La mémoire délavée“ (2023) ist eine vielstimmige Spurensuche nach familiärer Herkunft, kolonialer Geschichte und Identität. Im Zentrum steht die literarische Aufarbeitung der Geschichte der eigenen Vorfahren, die als indische Vertragsarbeiter (engagés) im 19. Jahrhundert auf die Insel Mauritius kamen. Der Titel verweist dabei bereits auf das Hauptmotiv: die verwaschene, verblasste Erinnerung – sowohl individuell als auch kollektiv –, die durch mündliche Überlieferung, familiäre Anekdoten, Lücken und Archive hindurch rekonstruiert werden muss. Diese Suche ist zugleich eine Rückkehr zur eigenen Kindheit: Zurück zu einer Zeit in Piton, einem mauritischen Dorf, zu einer Kindheit in einer von Schweigen, Fragmenten und unausgesprochenen Traumata geprägten Familiengeschichte. Die Kindheit erscheint in diesem Text als biographischer Ursprung, als literarischer Ausgangspunkt und als epistemologischer Horizont: Durch das kindliche Staunen, die sensorische Weltwahrnehmung, die existenziellen Fragen des Kindes, das wissen will, „woher wir kommen“, formt sich der Text zu einem poetischen Gedächtnisraum.

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