Kindheit zwischen den Sprachen

Russe à l’intérieur, français à l’extérieur. C’est pas compliqué. Quand on sort on met son français. Quand on rentre à la maison, on l’enlève. On peut même commencer à se déshabiller dans l’ascenseur. Sauf s’il y a des voisins. S’il y a des voisins on attend. Bonjour. Bonjour. Quel étage ? Bon appétit.

Polina Panassenko, Tenir sa langue

Innen russisch, außen französisch. Es ist nicht kompliziert. Wenn man ausgeht, zieht man sein Französisch an. Wenn man nach Hause kommt, legt man es ab. Man kann sogar schon im Fahrstuhl anfangen, sich auszuziehen. Es sei denn, da sind Nachbarn. Wenn es Nachbarn gibt, wartet man. Guten Tag. Guten Tag. Welches Stockwerk? Guten Appetit.

Die erwachsene Pauline möchte ihren Geburtsnamen Polina vor Gericht zurückerstreiten. Einbürgerung als Assimilation im Sinne des französischen Universalismus ist nicht mehr so selbstverständlich in einer gesellschaftlichen Wirklichkeit der Diversität. Bei Pauline/Polina kommt hinzu, dass es nicht die erste politische Namensänderung war, denn die jüdische Familie aus der Ukraine musste auf der Flucht die Russifizierung des Namens hinnehmen. Die namensgebende Vorfahrin trug nämlich bei ihrer Geburt noch den Vornamen Pessah. Die Eltern selbst hatten Angst, Pauline zuzumuten, dass sie diskriminiert würde mit ihrem fremden Namen Polina.

Vous savez bien, madame, que si votre nom a été francisé, c’est pour faciliter votre intégration dans la société française.

Bien sûr que je le sais. C’est écrit sur demarches.interieur.gouv. « Afin de faciliter votre intégration, vous pouvez demander la francisation de votre nom de famille et/ou de vos prénoms. » Il y a même des exemples :

Ahmed devient Alain.
Giovanni devient Charles.
Antonia devient Adrienne.
Kouassi devient Paul.

Polina Panassenko, Tenir sa langue

Sie wissen genau, Madame, dass Ihr Name französisiert wurde, um Ihnen die Integration in die französische Gesellschaft zu erleichtern.

Natürlich weiß ich das. Das steht auf demarches.interieur.gouv. „Um Ihre Integration zu erleichtern, können Sie die Französisierung Ihres Familiennamens und/oder Ihrer Vornamen beantragen.“ Es gibt sogar Beispiele:

Aus Ahmed wird Alain.
Giovanni wird zu Charles.
Antonia wird zu Adrienne.
Kouassi wird zu Paul.

Aus kindlicher Perspektive ein Leben zwischen zwei Sprachen zu erzählen, diese per se poetische Erfahrung bietet uns Polina Panassenko in ihrem autofiktional grundierten Text Tenir sa langue. Die kulturelle Situation des In-Between ist hier keine postkoloniale wie bei Bhabha, sondern eine der europäischen Vielsprachigkeit, genauer eine russisch-französische.

Quand je me réveille, le mur est froid, j’ai une sensation étrange dans la bouche. Ça me gratte. La langue, la gorge, le palais. Ça me démange, comme la croûte du genou écorché. J’ai la bouche astringente. Ça vient d’en bas, de l’intérieur de la gorge. Une envie de la gratter au-dedans. Dans un dessin animé qui se passe dans la jungle, j’ai vu un ours gris et gros se gratter avec un palmier. C’est ça que je voudrais faire. Je tousse un peu, je grogne. Je pousse quelques sons aspirés, gutturaux. Quelque chose se passe. Ça fait du bien. Ça soulage. C’est un trop-plein de russe resté coincé pendant la materneltchik ou bien c’est le français qui s’installe et se met à l’expulser ? Ma sœur se réveille, se relève d’un coup. Qu’est-ce que tu as ? Qu’est-ce qui t’arrive ? Pourquoi tu respires comme ça ? J’ai la langue qui me gratte.

Polina Panassenko, Tenir sa langue

Wenn ich aufwache, ist die Wand kalt und ich habe ein seltsames Gefühl im Mund. Es kratzt mich. Die Zunge, der Hals, der Gaumen. Es juckt wie die Kruste eines aufgeschürften Knies. Mein Mund ist adstringierend. Es kommt von unten, aus dem Inneren des Halses. Ein Verlangen, sie im Inneren zu kratzen. In einem Cartoon, der im Dschungel spielt, habe ich einen großen, grauen Bären gesehen, der sich mit einer Palme kratzte. Das würde ich auch gerne tun. Ich huste ein bisschen, ich grunze. Ich stoße ein paar aspirierte, kehlige Laute aus. Es passiert etwas. Es fühlt sich gut an. Es verschafft Erleichterung. Ist es zu viel Russisch, das während der Materneltschik stecken geblieben ist, oder ist es Französisch, das sich einnistet und es auszustoßen beginnt? Meine Schwester wacht auf und steht mit einem Ruck auf. Was ist mit dir los? Was ist mit dir los? Warum atmest du so? Meine Zunge juckt.

Marine Landrot schreibt in Télérama: „Nicht, dass sie die französische Sprache ablehnt, ganz im Gegenteil, die Qualität ihres Schreibens ist der Beweis dafür. Die Geschichte, die sie über ihren Weg als Kämpferin erzählt, glänzt durch ihren Sinn für Humor und Ellipsen. Lange Zeit musste sie der Aufforderung gehorchen, ihren Mund zu halten, wie der Titel lautet. Schweigen übers Russische, das man vergessen soll. Schweigen übers Französische, das perfektioniert werden muss. Heute bekräftigt sie ihre Sprache, wie man seinen Rang bekräftigt, würdevoll, erfinderisch, selbstbewusst.“ 1

Dass die Reibung beider Sprachen in der Exilerfahrung hier einen eigenen ästhetischen Reiz erfährt, betont Sophie Jouberts schöne und sorgfältige Kritik: „Die Erzählung, die von der Eröffnung und Schließung des McDonald’s in Moskau begrenzt wird — eine dreißigjährige Klammer —, gibt durch die Augen eines Kindes und dann einer jungen Frau die Fremdheit der Emigration wieder, das Hin und Her zwischen dem Russischen und dem Französischen. „Ich liebe die Ambivalenz des berühmten Millimeters Luft über dem Boden, von dem Marina Zwetajewa im Zusammenhang mit der Poesie gesprochen hat. Das ist es, was mir die Fiktion bringt, nach einer Weile weiß ich nicht mehr, was real ist und was ich erfunden habe.““ 2

Die Magie des erneuten Spracherwerbs im Kindergarten und der kindlichen Zweisprachigkeit erschließt sich in den Szenen so rührend wie eindrucksvoll. Christine Marcandier betont hierbei in ihrer Rezension, dass so ein Stil der Mehrdeutigkeit, ein Kraftfeld zwischen zwei Heimaten, auch für ein neues Bewusstsein steht: „In Polinas Kindheit lernt sie nicht wie im traditionellen Bildungsroman die sozialen Codes, sondern die Sprachen. Als ihre Familie nach Saint-Étienne zieht, muss sie in den Kindergarten gehen, ohne ein Wort Französisch zu sprechen. Sie hört zu, versucht, das Gehörte phonetisch wiederzugeben, muss sich eingestehen, dass „sava“ auf Französisch nicht wie im Russischen Eule bedeutet — „Ich weiß nicht, warum man hier „Eule“ sagen muss, um sich Nachrichten zu geben“. Das kleine Mädchen bewegt sich in einer dicken, dunklen, orientierungslosen Welt, in die uns die Erzählerin mit ihren mit phonetischen Neologismen und russischen Wörtern gespickten Sätzen eintauchen lässt. Doch nach und nach zeichnen sich Inseln der Bedeutung ab, das Territorium wird klarer, eine andere Heimat vielleicht, die der Ironie, der eigentlichen Figur des Dazwischen.“ 3

Ma mère aussi veille sur mon russe comme sur le dernier œuf du coucou migrateur. Ma langue est son nid. Ma bouche, la cavité qui l’abrite. Plusieurs fois par semaine, ma mère m’amène de nouveaux mots, vérifie l’état de ceux qui sont déjà là, s’assure qu’on n’en perd pas en route. Elle surveille l’équilibre de la population globale. Le flux migratoire : les entrées et sorties des mots russes et français. Gardienne d’un vaste territoire dont les frontières sont en pourparlers. Russe. Français. Russe. Français. Sentinelle de la langue, elle veille au poste-frontière. Pas de mélange. Elle traque les fugitifs français hébergés par mon russe. Ils passent dos courbé, tête dans les épaules, se glissent sous la barrière. Ils s’installent avec les russes, parfois même copulent, jusqu’à ce que ma mère les attrape. En général, ils se piègent eux-mêmes. Il suffit que je convoque un mot russe et qu’un français accoure en même temps que lui. Vu! Ma mère les saisit et les décortique comme les crevettes surgelées d’Ochane-Santr’Dieu. On ne dit pas garovatsia. On dit parkovatsia ou garer la voiture. La prochaine fois que garovatsia arrive je lui dis non, pousse-toi, laisse passer parkovatsia.

Auch meine Mutter wacht über mein Russisch wie über das letzte Ei des Wanderkuckucks. Meine Zunge ist ihr Nest. Mein Mund ist die Höhle, die ihn beherbergt. Mehrmals pro Woche bringt mir meine Mutter neue Wörter, überprüft den Zustand der bereits vorhandenen und stellt sicher, dass wir unterwegs keine verlieren. Sie überwacht das Gleichgewicht der Gesamtbevölkerung. Der Migrationsstrom: die Zu- und Abgänge von russischen und französischen Wörtern. Wächterin eines riesigen Gebiets, über dessen Grenzen verhandelt wird. Russisch. Französisch. Russisch. Französisch. Als Wächterin der Sprache wacht sie am Grenzposten. Keine Vermischung. Sie spürt französische Flüchtlinge auf, die von meinem Russen beherbergt werden. Sie gehen mit gebeugtem Rücken, den Kopf in die Schultern gezogen, schlüpfen unter dem Zaun durch. Sie lassen sich bei den Russen nieder, manchmal kopulieren sie sogar, bis meine Mutter sie erwischt. Meistens stellen sie sich selbst eine Falle. Es reicht, wenn ich ein russisches Wort sage und ein Franzose kommt gleichzeitig mit ihm angerannt. Alles klar! Meine Mutter packt sie und schält sie wie die tiefgefrorenen Garnelen von Ochane-Santr’Dieu. Man sagt nicht garovatsia. Man sagt parkovatsia oder garer la voiture, den Wagen parken. Wenn garovatsia das nächste Mal kommt, sage ich nein, geh aus dem Weg, lass parkovatsia vorbei.

Kai Nonnenmacher

Kontakt

Anmerkungen
  1. „Non pas qu’elle rejette la langue française, bien au contraire, la qualité de son écriture en est la preuve. Le récit qu’elle offre de son parcours de combattante brille par son sens de l’humour et de l’ellipse. Longtemps elle dut obéir à l’injonction de tenir sa langue, convoquée dans le titre. Silence sur le russe, à oublier. Silence sur le français, à perfectionner. Aujourd’hui, elle tient sa langue comme on tient son rang, digne, inventive, assurée.“>>>
  2. „Borné par l’ouverture et la fermeture du McDonald’s de Moscou, une parenthèse de trente ans, le récit restitue à travers les yeux d’une enfant puis d’une jeune femme l’étrangeté de l’émigration, les allers et retours entre le russe et le français. «J’aime l’ambivalence du fameux millimètre d’air au-dessus du sol dont parlait Marina Tsvetaïeva à propos de la poésie. C’est ce que m’apporte la fiction, au bout d’un moment je ne sais plus ce qui est réel ou ce que j’ai inventé.»“ Sophie Joubert, „Laisser pousser les mauvaises herbes“, L’Humanité, 26. August 2022.>>>
  3. „L’enfance de Polina est celle d’un apprentissage, non pas des codes sociaux comme dans le roman de formation traditionnel mais des langues. Quand sa famille s’installe à Saint-Étienne, il lui faut aller à la materneltchik sans parler un mot de français. Elle écoute, tente de reproduire phonétiquement ce qu’elle entend, doit admettre que « sava » en français ne signifie pas hibou comme en russe — « Je ne sais pas pourquoi ici il faut dire « hibou » pour se donner des nouvelles ». La petite fille évolue dans un monde épais, obscur, sans repères, dans lequel la narratrice nous plonge avec ses phrases émaillées de néologismes phonétiques et de mots russes. Pourtant peu à peu des îlots de sens se dessinent, le territoire s’éclaircit, une autre patrie peut-être, celle de l’ironie, figure même de l’entre-deux.“ Christine Marcandier, „Polina Panassenko: avoir enfin voix au chapitre (Tenir sa langue)„, Diacritik, 23. August 2022.>>>