Pascal Quignards Stundenbücher

Le chant du coq, l’aube, les chiens qui aboient, la clarté qui se répand, l’homme qui se lève, la nature, le temps, le rêve, la lucidité, tout est féroce.

Je ne puis toucher la couverture colorée de certains livres sans que remonte en moi une sensation de douleur.

Pascal Quignard, Les ombres errantes, chap. I.

Der Hahnenschrei, die Morgendämmerung, die Hunde, die bellen, die Helligkeit, die sich ausbreitet, der Mensch, der aufsteht, die Natur, die Zeit, der Traum, die Klarheit, alles ist unbarmherzig.

Ich kann den bunten Einband mancher Bücher nicht berühren, ohne dass ein Gefühl des Schmerzes in mir hochsteigt.

Très Riches Heures du Duc de Berry Folio 8, verso: August, Wikipedia.

Das Stundenbuch, lat. „horarium“, entwickelt sich aus kirchlichen Buchformen der Stundengebete in private Andachtsbücher des Adels. Pascal Quignard nimmt im neuen, zwölften Band seines Zyklus Dernier Royaume das Stundenbuch des Herzogs von Berry zum titelgebenden Ausgangspunkt, der Auftraggeber erlebte im 15. Jahrhundert die posthume Fertigstellung des reich illustrierten Buchs nicht mehr. Der Latinist und poeta doctus Pascal Quignard hatte 2002 mit seinem Zyklus begonnen, Les ombres errantes erhielt damals den prix Goncourt, außergewöhnlich für diese Sammlung von 55 Notaten verschiedener Länge, Aphoristisches, historische Fragmente, Zitate, Beobachtungen usf. So wurde der Text auch erst 2015 von Diaphanes ins Deutsche gebracht, seither stieg die Beachtung des Autors in Deutschland nicht wesentlich, auch nicht mit dem für deutsche Ohren vielleicht aufhorchen machenden Titel L’Enfant d’Ingolstadt, mit Bezug u.a. zum Märchen „Das eigensinnige Kind“ der Brüder Grimm 1. Bereits in Les ombres errantes sinniert Quignard über den Projekttitel des Königreichs nach:

Rancé a écrit à Retz en 1673 : Tout fuit avec une vitesse effroyable.

L’autre mot de Rancé : Le temps est perdu.

Le temps humain comme Royaume où le Perdu règne. Ses traces s’effacent à une vitesse effroyable qui nous emporte tous. En s’effaçant cette vitesse fait tout tomber.

Pascal Quignard, Les ombres errantes, chap. V.

Rancé schrieb 1673 an Retz: Alles flieht mit einer schrecklichen Geschwindigkeit.

Ein anderes Zitat von Rancé: Die Zeit ist verloren.

Die menschliche Zeit als Königreich, in dem das Verlorene herrscht. Seine Spuren verwischen mit einer schrecklichen Geschwindigkeit, die uns alle mitreißt. Indem sich die Geschwindigkeit selbst auslöscht, bringt sie alles zu Fall.

Sein Schreibprojekt ist nun 20 Jahre vorangeschritten und hat die apostolische Zahl 12 erreicht, mit einem stillschweigenden Verlagswechsel gemeinsam mit seiner Lebensgefährtin von Grasset zu Albin Michel. Wir begegnen alten Bekannten seiner früheren Bücher wie Emmanuèle Bernheim oder dem Moralisten La Rochefoucauld. Quignard äußert sich weiter eher poetisch über sein Schreibvorhaben, deutlich wird dabei gleichwohl, dass hier ein eigener, traumhafter Bezug zur Vergangenheit gesucht wird, ein je neu zergliedernder und neu erschaffender Bezug der Kunst zur Zeit:

Qu’est-ce que je cherche, tome après tome, dans Dernier Royaume ? Une autre façon de penser à la limite du rêve. Une façon de s’attacher au plus près de la lettre, à la fragmentation de la langue écrite, et d’avancer en décomposant les images des rêves, en désordonnant les formes verbales, en exhumant les textes sources. Quelle étrange falsification a lieu dans le rêve ? Dans le dessin qui naît sous les doigts ? Dans le langage qui gémit ? Dans la pensée qui hallucine ? Dans la musique même ? Quel est ce mystérieux fantôme ou appelant ?

[…] L’art dès son origine témoigne activement d’un passé présent : d’un rêve actif qui passe les générations et remanie ce qu’il fait revenir.

Pascal Quignard, L’enfant d’Ingolstadt.

Was suche ich, Band für Band, in Letztes Königreich? Eine andere Art, an der Grenze zum Traum zu denken. Eine Art, sich ganz nah an den Buchstaben zu halten, an die Fragmentierung der geschriebenen Sprache, und voranzuschreiten, indem ich die Traumbilder zerlege, die Wortformen durcheinander bringe und die Quellentexte ausgrabe. Welche seltsame Fälschung findet im Traum statt? In der Zeichnung, die unter den Fingern entsteht? In der Sprache, die stöhnt? In den Gedanken, die halluzinieren? In der Musik selbst? Was ist dieser mysteriöse Geist oder Anrufer?

[…] Die Kunst zeugt seit ihrem Ursprung aktiv von einer gegenwärtigen Vergangenheit: von einem aktiven Traum, der die Generationen überdauert und das, was er zurückbringt, neu gestaltet.

Auch in den Glücklichen Stunden des neuen Bandes setzt Quignard die Reflexion von Literatur, Tod und Zeit fort, Geschichte ist für ihn kein Zustand an sich:

Saint Jean de la Croix ne dit pas « meum » en mourant. Car il n’y a pas de moi dans la mort. Il n’y a pas d’identité dans la mort. Ni il n’y a de langage, ni même de monde qui survivent à la respiration qui s’y est épanchée d’un coup. Même, à l’intérieur de la langue vivante qu’on apprend si lentement sur les lèvres des mères et des aïeules dans l’enfance, tout ce que ne peuvent atteindre les mots est perdu puisque seul ce qui est souvenu peut être hélé. Et seul ce qui n’est pas sous les yeux a besoin du nom qui l’évoque. Le passé n’est que cet appel, ce n’est pas un état. Même l’Histoire n’est que cet appel, famine d’un fauve, tuerie qui ensanglante, espoir d’un répit ou d’une renaissance, désir d’un vengeur.

Même la pensée attend ; constamment attend. Elle, elle est attente de sa source. Elle n’est que le reflux des rêves qu’elle réavale et cherche à déglutir.

Puis le souffle s’évapore de chaque lettre au fur et à mesure que les caractères s’écrivent.

La lettre est ce qui isole une silhouette revenante, qu’elle fait briller au fond de l’âme revenue au silence.

Pascal Quignard, Les heures heureuses.

Johannes vom Kreuz sagt im Sterben nicht „meum“. Denn es gibt kein „mich“ im Tod. Es gibt keine Identität im Tod. Weder gibt es eine Sprache, noch gar eine Welt, die den Atem, der sich dort mit einem Schlag ausgehaucht hat, überlebt. Selbst innerhalb der lebendigen Sprache, die man als Kind so langsam von den Lippen der Mütter und Großmütter lernt, ist alles verloren, was die Worte nicht erreichen können, da nur das, was erinnert wird, geehrt werden kann. Und nur das, was nicht vor Augen ist, braucht den Namen, der es heraufbeschwört. Die Vergangenheit ist nur dieser Ruf, sie ist kein Zustand. Selbst die Geschichte ist nur dieser Ruf, der Hunger eines Raubtiers, blutrünstiges Töten, Hoffnung auf eine Atempause oder eine Wiedergeburt, die Sehnsucht nach einem Rächer.

Selbst das Denken wartet; es wartet beständig. Es ist selbst Warten auf seine Quelle. Es ist nur der Rückfluss der Träume, die sie wieder verschluckt und hinunterschlingen will.

Dann verflüchtigt sich der Atem aus jedem Buchstaben, während die Zeichen geschrieben werden.

Der Buchstabe ist das, was wiederkehrende Umrisse isoliert, die er zum Leuchten bringt, in den Tiefen der Seele, die zur Stille zurückgekehrt ist.

Die 50 Kapitel deuten an, dass Quignards Zeitreflexionen keine historische Linie verfolgen, sondern Bände wie Kapitel folgen einer „nicht-linearen, a-chronologischen Zeitauffassung, die nicht mit einem Anfang beginnt, nicht auf ein Ende zusteuert, sondern sich stattdessen wie eine Landschaft unendlich ausbreitet und durchwandert, einer „offenen“, nicht programmierten oder verschlossenen Zeit“, wie dies Marie Etienne in ihrer Rezension formuliert 2.

I. Kapitel
II. Mourir à l’heure
III. Les dates et les heures
IV. Les livres d’heures
V. La plage d’Ischia
VI. Il y a trois soleils dans le soleil
VII. Speculum historiale
VIII. Déménagement
IX. Hôrai
X. L’Yonne
XI. Mogador
XII. La tour de Belém
XIII. L’eau
XIV. Pavie
XV. L’anarythmétique
XVI. Sainte Thérèse
XVII. Le Maître du Retour aux Origines
XVIII. Les ruines de Jumièges
XIX. La maison perdue
XX. La rue du presbytère
XXI. La chasse à courre
XXII. Tempe du temps
XXIII. Le recoin des souvenirs du monde
XXIV. Histoire générale
XXV. Les raies
XXVI. Les civelles
XXVII. 1955-2017
XXVIII. Colère
XXIX. La tour de Hérô
XXX. Bern
XXXI. Novembre
XXXII. Dates de Thalassa
XXXIII. Les résurgences
XXXIV. Les Renaissances
XXXV. Les livres d’heures de l’amour
XXXVI. La Fille des cendres
XXXVII. Poèmes
XXXVIII. Le château de Versailles sous la neige en 1991
XXXIX. Les années 1640
XL. Les heures arrachées
XLI. Jean Bruneau
XLII. Lucrèce
XLIII. La littérature comme cryptographie
XLIV. Charles de Saint-Évremond
XLV. Giordano Bruno
XLVI. Madeleine de Sablé
XLVII. Un potage aux carottes
XLVIII. La Galigaï
XLIX. Spinoza
L. Plutarque

I. Kapitel
II. Zur rechten Zeit sterben
III. Tage und Stunden
IV. Die Stundenbücher
V. Der Strand von Ischia
VI. Es gibt drei Sonnen in der Sonne
VII. Speculum historiale
VIII. Umzug
IX. Hôrai
X. Die Yonne
XI. Mogador
XII. Der Turm von Belém
XIII. Das Wasser
XIV. Pavia
XV. Das Anarhythmetische
XVI. Die heilige Theresa
XVII. Der Meister der Rückkehr zu den Ursprüngen
XVIII. Die Ruinen von Jumièges
XIX. Das verlorene Haus
XX. Die Straße des Pfarrhauses
XXI. Die Treibjagd
XXII. Schläfe der Zeit
XXIII. Nische der Welterinnerungen
XXIV. Universalgeschichte
XXV. Die Rochen
XXVI. Die Glasaale
XXVII. 1955-2017
XXVIII. Zorn
XXIX. Der Turm von Herô
XXX. Bern
XXXI. November
XXXII. Daten von Thalassa
XXXIII. Die Wiederbelebungen
XXXIV. Die Renaissancen
XXXV. Die Stundenbücher der Liebe
XXXVI. Das Mädchen aus der Asche
XXXVII. Gedichte
XXXVIII. Das Schloss von Versailles im Schnee 1991
XXXIX. Die 1640er Jahre
XL. Die abgerungenen Stunden
XLI. Jean Bruneau
XLII. Lukrez
XLIII. Literatur als Kryptografie
XLIV. Charles de Saint-Évremond
XLV. Giordano Bruno
XLVI. Madeleine de Sablé
XLVII. Eine Karottensuppe
XLVIII. Die Galigai
XLIX. Spinoza
L. Plutarch

In den Ombres errantes schrieb Quignard einmal, die Kunst kenne nur Wiedergeburten, sie sei nie größer als der kleinste Frühling. So sind auch die glücklichen Stunden des Herzogs Berry eingebunden in Quignards Notate zu Flüchtigkeit, Vergänglichkeit und Erneuerung, hier mit paulinischer Rhetorik:

Dans la salle d’un magnifique château, devant le feu qui flambe à l’intérieur de la cheminée immense, un grand écran de fer natté protège des flammèches et des éclats de braises.

Deux petits chiens courent sur la table au milieu des plats qu’ils goûtent en tirant la langue soudain.

Jean de France, duc de Berry, est assis devant la table, vêtu d’une robe bleue brodée d’or, coiffé d’un bonnet de fourrure.

C’est l’hiver.

Jean de France, duc de Berry, collectionnait les Heures.

Dans son cabinet de travail, dans son palais de Bourges, il possédait quinze livres d’heures.

Heures heureuses. Heures de la rotation féconde ou fertile du temps. Calendriers destinés aux prières privées de chaque jour. Des paysages, des saynètes qui étaient associées à des vœux étaient eux-mêmes associés aux instants, plus ou moins brumeux, humides, profus, irradiés, que le soleil distribuait dans les différents châteaux que le prince possédait. Silhouettes obéissant à chaque appel que la saison réclame. Car chaque jour a sa couleur particulière, a son rayon de fête pour chaque aube, a son ombre de pénitence et de honte pour chaque soir, a ses larmes brusques de mort et de passion divine, de fête d’anniversaire, de résurgence, de rejaillissement.

*

Saint Paul a écrit : Vetera transierunt sed omnia nova. Les vieux ont beau vieillir, toutes choses sont neuves.

Le passé passe mais, comme il ne fait que partir, c’est ainsi que toutes choses surgissent neuves dans leur départ. Le passé tourne sur lui-même ; il ne sait pas demeurer dans l’espace ; pourtant il ne pousse de racines nulle part ; un vertige, une rotation l’animent par lesquels ce qui tombe se redresse mystérieusement. Toute enfance est aube. Tout rêve est aube. Toute image est aube. Toute chose neuve est nue.

Pascal Quignard, Les heures heureuses, 2023

Im Saal eines prächtigen Schlosses, vor dem Feuer, das im Inneren des riesigen Kamins lodert, schützt ein großer, eiserner, geflochtener Schirm vor den Flammen und den Splittern der Glut.

Zwei kleine Hunde laufen auf dem Tisch zwischen den Speisen herum, die sie mit plötzlich herausgestreckter Zunge probieren.

Jean de France, Herzog von Berry, sitzt vor dem Tisch, in einem blauen, goldbestickten Gewand und mit einer Pelzmütze auf dem Kopf.

Es ist Winter.

Jean de France, Herzog von Berry, sammelte Horarien.

In seinem Arbeitszimmer in seinem Palast in Bourges besaß er fünfzehn Stundenbücher.

Glückliche Stunden. Stunden der produktiven oder fruchtbaren Zeitumdrehung. Kalender, die für die privaten Gebete eines jeden Tages bestimmt waren. Landschaften, Szenen, die mit Wünschen verbunden waren, waren ihrerseits mit den mehr oder weniger nebligen, feuchten, ausgiebigen, strahlenden Momenten verbunden, die die Sonne auf die verschiedenen Schlösser, die der Prinz besaß, verteilte. Umrisse, die jedem Ruf gehorchten, den die Jahreszeit verlangte. Denn jeder Tag hat seine besondere Farbe, hat seinen festlichen Strahl für jede Morgendämmerung, hat seinen Schatten der Buße und der Schande für jeden Abend, hat seine plötzlichen Tränen des Todes und der göttlichen Leidenschaft, der Geburtstagsfeier, des Wiederauflebens, des Wiedererscheinens.

*

Der Heilige Paulus schrieb: Vetera transierunt sed omnia nova. 3 Was alt ist, vergeht, aber alles wird neu.

Die Vergangenheit vergeht, aber da sie nur aufbricht, so erscheinen alle Dinge in ihrem Aufbruch neu. Die Vergangenheit dreht sich um sich selbst; sie weiß nicht, wie man im Raum verweilt; sie schlägt nirgends Wurzeln; ein Schwindel, eine Drehung belebt sie, durch die, was fällt, sich auf geheimnisvolle Weise wieder erhebt. Jede Kindheit ist Morgenröte. Jeder Traum ist eine Morgendämmerung. Jedes Bild ist Morgenröte. Was neu ist, ist nackt.

Der studierte Philosoph Quignard theatralisiert das Verhältnis zwischen einer Philosophie der Zeit und einer Erzählung der Zeit: Einmal in Kapitel XL, „Les heures arrachées“, umarmt Henri Bergson Marcel Proust. Proust war sein Trauzeuge gewesen, 1892, als Bergson dessen Cousine Louise Neuburger heiratete. 1905 dann besuchte Henri Bergson die Beerdigung der sechsundfünfzigjährigen Madame Jeanne Proust auf dem Père-Lachaise. Er nahm den weinenden Marcel „sanft in seine Arme und küsste ihn still“. So berichtet Quignard und erläutert im Anschluss: „Der Raum ist die Zeit, die in die Zeit übergegangen ist und sich in ihr ergießt. Raum ist die Zeit, die sich eingenistet hat, bevor sie sich auflöst, zerbröckelt, vervielfältigt. […] Bergson umarmte nicht die verlorene Zeit, die er sich nicht vorstellen konnte, sondern die süße Ausdehnung der Vergangenheit – seinen Trauzeugen –, der erwachsen geworden war und dessen Bart wie der eines Rabbiners über die Wangen wuchs.“ 4

So klar die Programmatik hier wird, überzeugen mich mehr noch die persönlicheren Stellen, die Quignard einflicht, etwa eine Anspielung auf sein Erfolgsbuch Tous les Matins du monde (Die siebente Saite, verfilmt durch Alain Corneau), in einer prächtig-winterlichen Schlossszene in Versailles im Jahr 1991, ästhetisiert und letztlich aus der Zeit gefallen wie das eigene Werk:

La voiture de fonction s’arrêta en dérapant doucement sur les pavés le long des marches de l’aile gauche du château. C’était l’hiver. Je pénétrai prudemment dans le nuage de neige. Comme toujours – comme toutes les âmes obsessionnelles – j’étais en avance. Celui que j’attendais – comme tous les puissants – était en retard. Il faisait très froid. Tous les pavés étaient couverts d’une couche de neige qui avait gelé. Le chauffeur m’aida à gravir les degrés qui menaient à la loge de la conciergerie du château. Grâce à François Mitterrand j’avais fondé un festival d’opéra, de musique religieuse, de danse et de théâtre baroques dans le château de Versailles. J’avais la possibilité d’errer comme je l’entendais dans les couloirs sans fin. Je traversais les salles vides, accompagné seulement du porte-clés. Seul, dans l’immense galerie des Glaces alors totalement déserte, silencieuse, je regardais au-dehors, dans la nuit qui venait, les bassins gelés, les arbres dépourvus de feuilles sur lesquels la neige s’était curieusement accumulée et dont les branches les plus frêles menaçaient de se rompre. Comme c’était beau, Versailles sous la neige ! Je préférais, à tout retard, à tout effet de puissance, le rêve dans l’attente. Je pensai tout à coup que les sangliers allaient sortir de la forêt qui entourait le parc royal tant le froid était vif, tant ils devaient avoir faim. Ou les cerfs. Les cerfs inquiets, dans l’aphonie qui est propre à la neige, lorsque le froid a pétrifié entièrement le site. Où étions-nous ? Quand étions-nous ? J’avais une impression de narration japonaise, si minuscule dans la galerie disproportionnée, au sein du grand nuage de neige tourbillonnante. Étais-je à Kyoto ? Étais-je à Katsura ? La nuit tomba brusquement sur toute cette blancheur. Je m’assis sur un tabouret de gardien devant la nuit qui était venue envelopper le parc immense. Avec Philippe Beaussant, avec Françoise Sampermans, des années plus tôt, nous avions fait revivre la chantrerie de la Chapelle. À deux pas de la Chapelle se trouvait l’Opéra de Gabriel. C’était le dernier Opéra à machines qui restât en France du monde baroque. Tout était demeuré en l’état depuis le mariage de la reine Marie-Antoinette avec le roi Louis XVI. La main du chevalier Gluck qui avait écrit le chant d’Eurydice touchait toujours ma main. Sade ignorait encore les murs d’une prison.

Pascal Quignard, Les heures heureuses, „XXXVIII. Le château de Versailles sous la neige en 1991“.

Der Dienstwagen hielt an und schlitterte sanft über das Kopfsteinpflaster entlang der Treppenstufen im linken Flügel des Schlosses. Es war Winter. Vorsichtig drang ich in die Schneewolke ein. Wie immer – wie alle zwanghaften Seelen – war ich zu früh. Der, auf den ich wartete, war – wie alle Mächtigen – zu spät. Es war sehr kalt. Alle Pflastersteine waren mit einer Schneeschicht bedeckt, die gefroren war. Der Chauffeur half mir, die Stufen zur Pförtnerloge des Schlosses hinaufzusteigen. Dank François Mitterrand hatte ich im Schloss von Versailles ein Festival für Barockoper, religiöse Musik, Tanz und Theater gegründet. Ich hatte die Möglichkeit, in den endlosen Korridoren nach Lust und Laune umherzuwandern. Ich durchquerte leere Säle, nur begleitet von meinem Schlüsselanhänger. Allein in der riesigen Spiegelgalerie, die damals völlig menschenleer und still war, blickte ich hinaus in die kommende Nacht, auf die gefrorenen Teiche, die blattlosen Bäume, auf denen sich der Schnee auf seltsame Weise angesammelt hatte und deren schwächste Äste zu brechen drohten. Wie schön war Versailles im Schnee! Ich zog jeder Verzögerung, jeder Machtwirkung den Traum in der Erwartung vor. Plötzlich dachte ich, dass die Wildschweine aus dem Wald rund um den königlichen Park kommen würden, weil es so kalt war und sie so hungrig sein mussten. Oder die Hirsche. Die besorgten Hirsche in der Aphonie, die dem Schnee eigen ist, wenn die Kälte den Ort vollständig versteinert hatte. Wo waren wir? Wann waren wir? Ich hatte das Gefühl einer japanischen Erzählung, so winzig in der unproportionierten Galerie, inmitten der großen, wirbelnden Schneewolke. War ich in Kyoto gewesen? War ich in Katsura? Die Nacht brach plötzlich über all das Weiß herein. Ich setzte mich auf einen Wächterhocker vor der Nacht, die gekommen war, um den riesigen Park einzuhüllen. Mit Philippe Beaussant und Françoise Sampermans hatten wir vor Jahren das Chorherrenstift in der Kapelle wiederbelebt. Nur wenige Schritte von der Kapelle entfernt befand sich Gabriels Oper. Es war die letzte Maschinenoper, die in Frankreich aus der Welt des Barocks übrig geblieben war. Alles war seit der Hochzeit von Königin Marie Antoinette mit König Ludwig XVI. unverändert geblieben. Die Hand des Ritters Gluck, der den Gesang von Eurydike geschrieben hatte, berührte noch immer meine Hand. Sade kannte die Mauern eines Gefängnisses noch nicht.

Kai Nonnenmacher

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Anmerkungen
  1. Vgl. dazu Mathieu Messager, „L’œuvre entêtée“, En attendant Nadeau, 11 septembre 2018.>>>
  2. „Une conception du temps non linéaire, a-chronologique, qui ne commencerait pas par un début, qui ne se dirigerait pas vers une fin, mais qui au contraire se déploierait et se parcourrait comme un paysage, infiniment, un temps « ouvert », non programmé, bouché“, Marie Etienne, „Les grands espaces d’un solitaire“, En attendant Nadeau, 23. August 2023.>>>
  3. Eigentlich: „Si qua ergo in Christo nova creatura, vetera transierunt: ecce facta sunt omnia nova.“ 2. Korinther, 5:17. „Darum, ist jemand in Christo, so ist er eine neue Kreatur; das Alte ist vergangen, siehe, es ist alles neu geworden!“>>>
  4. „L’espace est le temps qui a passé dans le temps et s’y épanche. L’espace est le temps qui a niché avant qu’il se dissolve, s’émiette, se démultiplie. […] Bergson embrassait, non pas le temps perdu, qu’il ne pouvait imaginer, mais le doux volume du passé – son enfant d’honneur – qui avait grandi et dont la barbe était poussée sur les joues comme celle d’un rabbin.“ Pascal Quignard, Les heures heureuses.>>>