Das Französische als Selbst-Dekolonisierung: Kamel Daoud

Die Verleihung des Prix Goncourt im Jahr 2024 für seinen Roman Houris führte zu heftigen Angriffen gegen Kamel Daoud. Der Autor schreibt, dass dieser Preis die Wiederbelebung des Verräter-Stereotyps mit „beispielloser Gewalt“ („violence inouïe“) in der islamistisch-konservativen Presse zur Folge hatte. Die Presse verwendete sogar die unvollkommene Homonymie seines Namens (Daoud) mit dem des mythischen Verräters Colonel Bendaoud bis zur Übertreibung, um ihn zu diskreditieren. Die Attacken dienten dazu, ihm erneut das Etikett des Abtrünnigen („renégat“), Dissidenten und Deserteurs anzuheften, weil er das „Wir“ für das ewig französische „sie“ („eux“) verlassen habe. Die polemische Verteidigung der Freiheit und Pluralität in Il faut parfois trahir kann als direkte und tiefgreifende intellektuelle Reaktion auf diese erneuten Diffamierungen und die damit verbundene identitäre Orthodoxie verstanden werden.

Kamel Daouds Abhandlung Il faut parfois trahir (Gallimard, 2025) stellt eine leidenschaftliche thesenhafte Verteidigung des Universalismus und der individuellen Freiheit dar und rechnet scharf mit jenen Kräften ab, die er als Hüter der nationalen Erstarrung und des Identitätskults ansieht. Die Argumentation entwickelt sich um die paradoxe Umkehrung des Begriffes „Verrat“, der zum Vehikel der Befreiung wird.

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Die Jungfrau im lebendigen Diesseits: Kamel Daouds Doppelroman

„Am Verhältnis zur Frau zeichnet sich das Verhältnis zur Fantasie, zum Begehren, zum Körper, zum Leben ab.“ Kamel Daouds Roman „Houris“ (2024) lässt sich als Gegengeschichte zu seinem Museumsdialog „Le peintre dévorant la femme“ (2018) lesen: Während hier ein fiktiver körperfeindlicher Djihadist mit der erotischen westlichen Malerei von Pablo Picasso konfrontiert ist, lässt in „Houris“ Daoud eine schwangere Überlebende des algerischen Bürgerkriegs über die Stummheit der Frauen nachdenken, als Geschichte einer einzelnen und kollektiven Wiederauferstehung.

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