Lektüren und Texte
mit Kurzauszügen in eigener Übersetzung
von Kai Nonnenmacher

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Rubriken
(
Les rubriques en français1 ):

Artikel | Eigene Aufsätze zur französischen Literatur der Gegenwart

Besprechungen | Kürzere Einträge zu einem literarischen Text, Kurzbesprechung oder punktuelle Lektüre, Ideen beim Lesen.

Probe | Ein ausgewählter Auszug, eine Stelle, die für sich stehen kann, übersetzt, aber unkommentiert.

Reserve | Ein Text, ein Werk, ein Autor, der wieder aufgeblättert und wieder aufgenommen wird.

Debatte | Besprechung von literaturwissenschaftlichen, theoretischen Texten mit Relevanz für die französische Literatur der Gegenwart.

Poetiken der Kindheit | Vorstellung von Büchern, die sich literarisch der Lebensphase Kindheit und Jugend annehmen.

Judéité | Französisch-jüdische Literatur ist ein imaginäres Territorium, in dem Zugehörigkeit, Erinnerung und Identität neu verhandelt werden, etwa genealogische Spurensuche und Fragen kultureller/sprachlicher Identität, politische und historische Fragen.

Recht schaffen | Literatur ist hier ein Instrument, mit dem Recht und Gerechtigkeit nicht nur thematisiert, sondern ästhetisch verhandelt und hinterfragt werden.

Dialoge | Texte der Gegenwart, die einen Dialog mit Werken der Literaturgeschichte führen, intertextuell, mal kritisch aktualisierend, mal als Hommage oder Transformation.


Neue Artikel und Besprechungen

Chronik der Macht von Versailles nach Silicon Valley: Marc Dugain

Marc Dugains „Légitime violence“ (2025) erscheint als fulminante Rückkehr des Autors zur historischen Erzählung, die zugleich das gesamte politische Denken seines Werks bündelt. Im Frankreich Ludwigs XIV. verknüpft Dugain die „Affaire des poisons“ mit einer Anatomie der Macht, deren Strukturen vom höfischen Zeremoniell bis in die intimsten Beziehungen reichen. Der Roman zeichnet den Hof als mikropolitisches System permanenter Kontrolle: Rituale, Sprache und Architektur verwandeln Unterwerfung in Bewunderung, Gewalt in Ordnung. In der Figur der Marquise de Brinvilliers, die sich aus der patriarchalen Enge befreien will, verdichtet Dugain das Spannungsverhältnis von Geschlecht, Körper und Herrschaft – ihre „Verbrechen“ sind Akte der Revolte gegen eine göttlich legitimierte Gesellschaftsordnung. Die höfische Welt erscheint dabei als Laboratorium der modernen Macht, in dem Schönheit und Disziplin ununterscheidbar werden. Dugain dekonstruiert die Ästhetik des Barock als politische Technik: Versailles selbst wird zum Symbol einer „alchimie du pouvoir“, die Unterdrückung in Glanz verwandelt. – Der Aufsatz liest den Roman als den historischen Endpunkt einer dreißigjährigen „Chronik der Macht“, die von den gueules cassées des Ersten Weltkriegs (in „La Chambre des officiers“) über die geheimdienstliche Manipulation in „L’Emprise“ bis zur digitalen Überwachung in „Transparence“ reicht. „Légitime violence“ führt diese Linie genealogisch zurück zum Ursprung: zur Erfindung der „legitimen“ Gewalt im Absolutismus. Dugain zeigt, dass sich der Zwang zur Ordnung und die Legitimation von Herrschaft – ob durch Krone, Staat oder Algorithmus – nur in ihren Formen verändern. Der König, der seine Macht durch Glanz stabilisiert, ist der Vorläufer des modernen Technokraten, der Transparenz zur Tugend erklärt. Damit wird das 17. Jahrhundert bei Dugain zum Spiegel des 21.: Die sichtbare Gewalt des Schwerts ist durch die unsichtbare Gewalt des Systems ersetzt. „Légitime violence“ ist weniger historische Fiktion als politische Archäologie – der Roman legt die Tiefenschicht frei, in der sich Macht, Ästhetik und Legitimation bis heute gegenseitig hervorbringen.

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Ersticken des Naturalismus: Émile Zola und Jean-Louis Milesi

Jean-Louis Milesis „Flamboyante Zola“ (2025) erzählt die Geschichte von Alexandrine Zola, der Ehefrau des berühmten Schriftstellers, als intime Tragödie und als Revision eines nationalen Mythos. Ausgangspunkt ist eine anonyme Denunziation: Alexandrine erfährt, dass ihr Mann seit Jahren eine Geliebte hat und mit ihr zwei Kinder. Was folgt, ist ein Kammerspiel aus Schmerz, Wut und Erinnerung, das den großen Naturalisten Émile Zola nicht als moralischen Helden, sondern als widersprüchlichen, verletzlichen, feigen Mann zeigt. In dichten, filmisch montierten Szenen verfolgt Milesi, wie Alexandrine zwischen hysterischer Raserei und stillem Stolz schwankt, wie das Private in die Öffentlichkeit dringt, und wie die Lüge einer Ehe zur Metapher einer Gesellschaft wird, die sich selbst betrügt. Der Roman greift naturalistische Verfahren – genaue Beobachtung, materielle Sprache, soziale Diagnose – auf, aber wendet sie nach innen: in das Innere einer Frau, deren Atemnot, deren Küche, deren Kleider und deren Schrei zum Ort der Wahrheit werden. Der Artikel zeigt, dass Milesi den Naturalismus poetologisch weiterführt, indem er seine empirische Kälte psychologisch auflädt. „Flamboyante Zola“ erzählt nicht nur eine Ehe, sondern die Krise einer Epoche: Die Dritte Republik erscheint als von Skandalen und moralischer Heuchelei durchzogene Bühne, auf der der „Schriftsteller der Wahrheit“ selbst zum Opfer seiner eigenen Ideale wird. Das semantische Netz aus Luft, Licht, Nahrung und Stoff spiegelt Atem, Körper, Wahrheit und Verstellung, während narrative Techniken wie innere Monologe, mise en abyme und theatralische Szenenführung das Geflecht von Öffentlichkeit und Intimität verdichten. Am Ende steht kein Triumph, sondern ein Ersticken – Zolas Tod im Gas ist die Allegorie einer erstickten Republik, Alexandrines Überleben ihre bittere Läuterung.

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Die Brüder Goncourt und die Poetik der Verdopplung: Alain Claude Sulzer

Alain Claude Sulzers Roman „Doppelleben“ (2022) ist nun auf Französisch erschienen, mit dem Titel „Les Vieux Garçons“ (2025), er zeichnet mit präziser, kunstvoll distanzierter Sprache das Leben der Brüder Edmond und Jules de Goncourt nach – zwei Schriftstellern, die im Paris des 19. Jahrhunderts untrennbar miteinander leben, denken und schreiben. Sulzer verwebt historische Fakten mit poetischer Imagination: Von den alltäglichen Ritualen und Gesprächen über Kunst und Stil bis zu den leisen Katastrophen ihres Privatlebens entfaltet sich ein Kammerspiel über Abhängigkeit, Krankheit und schöpferische Obsession. Der Roman begleitet die Brüder von ihrem literarischen Aufstieg bis zu Jules’ körperlichem und geistigem Verfall, den Edmond mit verzweifelter Fürsorge, aber auch mit ästhetischer Kälte beobachtet.

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Versöhnung ist mitten im Streit: Christine de Mazières

Christine de Mazières’ „Trois jours à Berlin“ (Wespieser, 2019, ich fand etwas ungläubig keine deutsche Übersetzung) verwandelt den 9. November 1989 in ein poetisches Mosaik aus Stimmen, Erinnerungen und Blicken. Eine Französin, Anna, reist in die geteilte Stadt, um den Mann wiederzufinden, dem sie einst begegnete – Micha, Sohn eines ostdeutschen Funktionärs. Zwischen Stasi-Protokollen, inneren Monologen und der überirdischen Perspektive des Engels Cassiel entfaltet der Roman eine polyphone Erzählung der Geschichte als ‘Faltung’: Berlin wird zur vibrierenden Metapher Europas, zur „plaine immense“ voller Ruinen, Sprachen und Sehnsüchte. Der Fall der Mauer erscheint nicht als heroischer Moment, sondern als zarter Augenblick der Durchlässigkeit, in dem Schweigen, Missverständnis und Poesie die Macht der Ideologien unterwandern. „Trois jours à Berlin“ ist als poetische Reflexion eines französischen Blicks auf Deutschland zu interpretieren – als Werk, das die Teilung nicht nur politisch, sondern existentiell erfahrbar macht. De Mazières’ wechselnde Erzählformen, ihr Spiel zwischen lyrischer Innenschau und bürokratischer Kälte, lassen das Ereignis selbst zur Sprache werden: die Versöhnung als ästhetische Bewegung, nicht als historischer Abschluss. In der Spannung zwischen Anna und Micha, zwischen dem Engel Cassiel und den Menschen, findet sich das Bild eines Europas, das seine „part manquante“ sucht – eine verlorene Zärtlichkeit, die sich im Moment der Öffnung wiederfindet.

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Uchronie des Ukrainekriegs: Antoine Rault

Der chorale Roman „L’Angle Mort du Destin“ von Antoine Rault (2025) präsentiert in seiner uchronischen Struktur zwei alternative Szenarien für die Schicksale seiner Figuren, die in Kiew oder Moskau leben und mit ihren Karrieren und persönlichen Ambitionen beschäftigt sind. Szenario A („Ce qui n’arriva pas“) beleuchtet eine Welt des Friedens, in der die russische Invasion der Ukraine am 24. Februar 2022 ausbleibt, wodurch die Protagonisten sich mit den moralischen Kompromissen, dem Opportunismus und der Korruption des postsowjetischen Alltags auseinandersetzen müssen. Im drastischen Kontrast dazu steht Szenario B („Ce qui arriva“), welches die tatsächliche Invasion nachzeichnet und zeigt, wie dieser historische Bruch die Leben der Charaktere radikal verändert, sie zur Flucht, zum Widerstand und zu existentiellen Entscheidungen zwingt. Die Konfrontation dieser zwei Szenarien erzeugt einen wahrhaftigen Schwindel, indem sie das Ausmaß misst, mit dem Entscheidungen, die außerhalb unserer Kontrolle liegen, die Existenz der Individuen bestimmen. Durch die Gegenüberstellung von Fiktion und Realität wirft das Buch ein hartes, aber enthüllendes Licht auf unsere menschliche Verfassung und untersucht die Freiheit und Determination im Angesicht der Geschichte.

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Cortés und die Zukunft des Mestizaje: Christian Duverger

Die „Mémoires de Cortés“ (2025) des Experten für die Anthropologie Mesoamerikas Christian Duverger präsentieren sich als eine fiktive, aber auf historischen Quellen basierende Autobiografie, geschrieben in Form eines langen Briefes von Hernán Cortés an seinen ältesten Sohn Martín im Jahr 1543. Cortés reflektiert am Ende seines Lebens und möchte seinem Sohn erklären, woher er kommt. Der Text ist eine introspektive Analyse des Lebens und der Entscheidungen von Cortés. Abschließend beleuchten die „Mémoires“ Cortés‘ innere Zerrissenheit und seine literarische Selbsterfindung. Er versuchte, seine doppelte Lebensführung – politisches Kalkül (Heirat mit Juana de Zúñiga) versus Liebe zu Marina und dem Mestizaje-Projekt – zu vereinen.

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Zolas Erbe Bourdieu: Lars Thorben Henk

Lars Thorben Henk, Zola vor Bourdieu: eine Studie zur Protosoziologie in Émile Zolas «Les Rougon-Macquart» (1871–1893), Mimesis 125 (Berlin; Boston: de Gruyter, 2025).

Die Rekonstruktion einer impliziten Soziologie

Die Dissertation Zola vor Bourdieu von Lars Thorben Henk, erschienen in der Reihe Mimesis: romanische Literaturen der Welt, liefert eine literaturwissenschaftliche Neulektüre von Émile Zolas Arbeiterroman-Trilogie, indem sie dessen implizite Soziologie durch die Brille der Ethnosoziologie Pierre Bourdieus entschlüsselt. Die Studie setzt bei der historischen Feststellung an, dass Émile Zola zeitlebens mit seinen Romanen, insbesondere durch die kompromisslose Darstellung des französischen Volks (le peuple), Anstoß erregte. Basierend auf der Einsicht Jacques Dubois’, dass Zolas Erklärung sozialen Handelns mittels der Kategorien hérédité und milieu Parallelen zu Bourdieus Habitus- und Feldkonzept aufweist, formuliert Henk die zentrale Forschungsfrage: die systematische Rekonstruktion von Zolas impliziter Soziologie, fokussiert auf das französische Volk, aus der Perspektive von Bourdieus ökonomischer Ethnosoziologie. Die Notwendigkeit dieser Perspektivierung ergibt sich aus der Beobachtung, dass Zolas Kategorien hérédité und milieu Ähnlichkeiten mit Bourdieus Konzepten von Habitus und Feld aufweisen, eine systematische Verhältnisbestimmung zwischen Zolas Romanen und Bourdieus Soziologie jedoch bislang eine Forschungslücke darstellt. Zola wird dabei als Pionier innerhalb des sich konstituierenden Forschungsfelds der Sozialwissenschaften verstanden, dessen literarische Werke protosoziologische Erkenntnisse enthalten.

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Reserve: wieder aufgeblättert

Versöhnung ist mitten im Streit: Christine de Mazières

Christine de Mazières’ „Trois jours à Berlin“ (Wespieser, 2019, ich fand etwas ungläubig keine deutsche Übersetzung) verwandelt den 9. November 1989 in ein poetisches Mosaik aus Stimmen, Erinnerungen und Blicken. Eine Französin, Anna, reist in die geteilte Stadt, um den Mann wiederzufinden, dem sie einst begegnete – Micha, Sohn eines ostdeutschen Funktionärs. Zwischen Stasi-Protokollen, inneren Monologen und der überirdischen Perspektive des Engels Cassiel entfaltet der Roman eine polyphone Erzählung der Geschichte als ‘Faltung’: Berlin wird zur vibrierenden Metapher Europas, zur „plaine immense“ voller Ruinen, Sprachen und Sehnsüchte. Der Fall der Mauer erscheint nicht als heroischer Moment, sondern als zarter Augenblick der Durchlässigkeit, in dem Schweigen, Missverständnis und Poesie die Macht der Ideologien unterwandern. „Trois jours à Berlin“ ist als poetische Reflexion eines französischen Blicks auf Deutschland zu interpretieren – als Werk, das die Teilung nicht nur politisch, sondern existentiell erfahrbar macht. De Mazières’ wechselnde Erzählformen, ihr Spiel zwischen lyrischer Innenschau und bürokratischer Kälte, lassen das Ereignis selbst zur Sprache werden: die Versöhnung als ästhetische Bewegung, nicht als historischer Abschluss. In der Spannung zwischen Anna und Micha, zwischen dem Engel Cassiel und den Menschen, findet sich das Bild eines Europas, das seine „part manquante“ sucht – eine verlorene Zärtlichkeit, die sich im Moment der Öffnung wiederfindet.

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Nackte Realität: zur Neuausgabe des frühen Claude Simon

Claude Simons Roman „La corde raide“ (1947) ist ein Mosaik aus Szenen, Erinnerungen und Reflexionen, die vom Bad im Meer mit der jungen Véra über Kindheitserinnerungen und Kriegserlebnisse bis hin zu kunsttheoretischen Betrachtungen reichen. Das „straff gespannte Seil“ im Titel steht für eine heikle Balance zwischen Vitalität und Todesbewusstsein, zwischen chaotischer Lebenserfahrung und deren künstlerischer Formung. Die 2025 von den Éditions de Minuit in einem Band mit „Le tricheur“ (1945) neu herausgegebenen Frühwerke des Autors, präsentiert von Mireille Calle-Gruber, waren lange vergriffen, da Simon ihre Wiederauflage zu Lebzeiten nicht wünschte. Calle-Gruber deutet die Texte als poetologisches Laboratorium, in dem bereits Montage, Fragmentierung, Simultaneität der Zeiten und Vorrang der Sinneswahrnehmung vor Handlung erkennbar sind – Techniken, die sein späteres Werk prägen. Die Neuauflage schließt eine Lücke in der Werkgeschichte, indem sie diesen Moment der literarischen Entwicklung wieder zugänglich macht (beide Texte fehlen in der Pléiade-Ausgabe). – Der Artikel interpretiert „La corde raide“ als nicht-lineare Erzählung, als assoziatives Netz von Szenen und Leitmotiven, die durch semantische Felder wie Wasser, Licht, Vegetation, Körper und Bewegung verknüpft sind. Kriegserfahrungen werden nicht heroisch, sondern als chaotische, körperlich-sensorische Realität geschildert; Kindheitsszenen dienen als Ursprungsschicht der Wahrnehmung und Kontrastfolie zur existenziellen Gegenwart. Das Spannungsverhältnis von Schein und Realität ist zentral: Simon kritisiert „Fälschung“ in Kunst und Gesellschaft und sucht eine nackte, ungeschminkte Wahrheit, wobei Cézanne als positives Gegenmodell zur akademischen Malerei gilt. Architektur, Farb- und Lichtgestaltung werden wie in der Malerei eingesetzt, um Erinnerung und Wahrnehmung zu strukturieren. Insgesamt wird „La corde raide“ als frühe, aber bereits konsequente Erprobung einer Poetik verstanden, die Wahrnehmung, Erinnerung und Form auf einem „Drahtseil“ zwischen Chaos und Struktur balanciert.

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Choreografie der Erinnerung: Patrick Modiano zum 80.

Seit seinem Debütroman „La Place de l’Étoile“ (1968) hat Patrick Modiano, der in diesem Jahr so alt wird „wie die Nachkriegszeit“ (Andreas Platthaus), eine poetische Welt geschaffen, die von Erinnerungsschatten, verschobenen Identitäten und geheimnisvollen Abwesenheiten durchzogen ist. Seine Romane – melancholisch, elliptisch, durchzogen von Vergessen und Wiederkehr – kreisen um eine paradoxe Bewegung: das Erinnern durch das Verlieren, das Erleben durch das Verschwinden. In diesem ästhetischen Spannungsverhältnis gewinnt der Tanz eine besondere Rolle: als Motiv, als Bild, als Erzählform. Insbesondere in seinem jüngsten Roman „La danseuse“ (2023, deutsch 2025) gerät dieses Motiv zur poetischen Metapher: Die Tänzerin wird zur Figur des Erinnerns, zur Projektionsfläche eines tastenden Ich-Erzählers und zur Allegorie eines kaum fassbaren Lebens. Der Tanz steht hier nicht im Zentrum einer Handlung, sondern inszeniert sich als schwebende Spur, als rhythmisches Prinzip des Erzählens, als flüchtige Figur, die das Erzählen selbst choreographiert.

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Walzer der Ruinen: Jean-Jacques Schuhl

Jean-Jacques Schuhls Roman „Ingrid Caven“ (Gallimard, L’Infini, 2000), ausgezeichnet mit dem Prix Goncourt, ist mehr als eine bloße biografische Annäherung an die Künstlerin und Partnerin des Autors. Er lässt sich als eine kulturgeschichtliche Diagnose einer Epoche, ihrer prägenden Themen und der Faszination an einer spezifischen deutschen Mythologie aus französischer Perspektive lesen. Dies umfasst zentrale historische Marker wie den Krieg und die „Stunde Null“, Figuren einer „deutschen Mythologie“ wie Rainer Werner Fassbinder und die Rote Armee Fraktion, sowie das omnipräsente Motiv der „Sehnsucht“. Gleichzeitig ist der Roman in seiner Ästhetik Ausdruck eines dezidierten Literaturverständnisses von Jean-Jacques Schuhl selbst, der seine eigene Rolle und die des Verlegers Philippe Sollers in der literarischen Produktion und Rezeption reflektiert.

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Anmerkungen
  1. Les rubriques en français

    Article | Des articles sur la littérature française contemporaine ;

    Compte-rendu | Des notes plus courtes sur un texte littéraire, une brève discussion ou une lecture ponctuelle, des idées au fil de la lecture ;

    Extrait | Un extrait choisi, un passage significatif sans commentaire, accompagné de sa traduction allemande ;

    Réserve | Un texte, une œuvre, un auteur, repris et relu.

    Débat | Discussion de textes critiques, théoriques, pertinents pour la littérature française contemporaine.

    Poétiques de l’enfance | Présentation d’ouvrages littéraires consacrés à l’enfance et à l’adolescence.

    Judéité | La littérature juive française est un territoire imaginaire où l’appartenance, la mémoire et l’identité sont renégociées, à travers notamment la recherche de traces généalogiques et des questions d’identité culturelle/linguistique, politiques et historiques.

    Rendre justice | La littérature est ici un instrument qui permet non seulement d’aborder les thèmes du droit et de la justice, mais aussi de les traiter et de les remettre en question sur le plan esthétique.

    Dialogues | Des textes contemporains qui dialoguent avec des œuvres de l’histoire littéraire, de manière intertextuelle, tantôt dans une actualisation critique, tantôt sous forme d’hommage ou de transformation.>>>

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