Die Form in ihrer Fülle: zum Werk von Laurent Mauvignier

Die Besprechung widmet sich einem Buch, das seinen Autor beim Denken, Erinnern und Formulieren begleitet. „Quelque chose d’absent qui me tourmente: entretiens avec Pascaline David“ (Minuit, 2025) fasst Gespräche zwischen Laurent Mauvignier und Pascaline David zu einem vielschichtigen Selbstporträt zusammen. David strukturiert den Band als chronologisch-thematische Durchquerung eines literarischen Lebenswegs: von den traumatisch geprägten Anfängen über den mühsam errungenen Zugriff auf die Form bis hin zu einer Poetik, die das Schreiben als tätige, materialbewusste Suche nach Wahrhaftigkeit begreift. Immer wieder schärfen die Dialoge Mauvigniers Einsicht, dass Literatur nur dort entsteht, wo der Autor die kompromittierende Trägheit der gebräuchlichen Sprache hinter sich lässt – ein Gedanke, den er unter anderem mit einem kunsttheoretischen Lehrsatz verbindet, den er aus seiner Jugend erinnert: „Wenn die Farbe ihren Wert hat, ist die Form in ihrer Fülle.“ – Die Gespräche zeigen den Schriftsteller als jemanden, der sich seiner Herkunft ebenso verpflichtet fühlt wie er sich von deren Festlegungen zu lösen sucht, und der das Reale nicht dokumentarisch, sondern durch die organische Logik des Satzes zu erfassen versucht. Mauvigniers Reflexionen über den ersten Sprung ins Leere beim Schreiben von „Loin d’eux“, seine bildhauerisch verstandene Überarbeitungstechnik, sein Umgang mit Räumen, Körpern und Stimmen, aber auch seine Selbstkritik im Dialog mit David lassen das Werk als intime Werkstatt und als Labor literarischer Form sichtbar werden. Die Rezension macht Mauvigniers ästhetisches Denken – das Kreisen um die Fülle der Form, um die Unruhe der fehlenden Sache – in der Spannung zwischen biographischer Erfahrung, ethischer Haltung und poetischer Disziplin sichtbar.

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Prix Goncourt 2025, die vier Finalisten: Emmanuel Carrère, Laurent Mauvignier, Nathacha Appanah, Caroline Lamarche

Laurent Mauvignier gewinnt den Prix Goncourt 2025 für seinen Roman La maison vide (Das leere Haus). Der 58-jährige Schriftsteller wurde am Dienstag, dem 4. November, von der Jury der Académie Goncourt ausgezeichnet.

Den Prix Renaudot 2025 erhielt Adélaïde de Clermont-Tonnerre für Je voulais vivre. Das Buch setzte sich gegen Feurat Alani (Le ciel est immense), Anne Berest (Finistère), Justine Lévy (Une drôle de peine) und Louis-Henri de La Rochefoucauld (L’Amour moderne) durch.

Alle vier Finalisten des Prix Goncourt wurden bereits hier auf Rentrée littéraire besprochen: Zu Emmanuel Carrère mit Kolkhoze, Laurent Mauvignier mit La maison vide, Nathacha Appanahs La nuit au cœur und Caroline Lamarches Le bel obscur, alle 2025.

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Die unauffindbare Medaille: Laurent Mauvignier

Laurent Mauvigniers monumentaler Roman „La maison vide“ (2025) ist seine Familiensaga und eine Archäologie des Schweigens. Ausgangspunkt ist eine Kommode voller Relikte – Fotos mit ausgeschnittenen Gesichtern, verschwundene Briefe, eine unauffindbare Medaille. Aus diesen Lücken rekonstruiert der Erzähler fünf Generationen seit napoleonischer Zeit, voller Kriege, Scham, Mythen und verschwiegener Traumata. Der Aufsatz zeigt, dass Mauvignier Erfindung nicht als Lüge, sondern als einzige poetologische Möglichkeit begreift, Vergangenheit vor dem Verschwinden zu retten. Familienmythen werden demontiert, verdrängte Geschichten – besonders die von Frauen wie Marguerite – wieder hörbar gemacht. „La maison vide“ erweist sich als Metaroman, der zugleich intime Familiengeschichte, kritische Reflexion über Erinnerungspolitik, poetologisches Manifest und Summa des eigenen Werks ist.

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Nachtgeschichten: Laurent Mauvignier

Laurent Mauvignier lässt viele seiner Bücher im fiktiven La Bassée spielen, so auch das für diesen Bücher-Herbst 2025 angekündigte und für die französischen Literaturpreise hoch gehandelte „La maison vide“ (2025). Zur Vorbereitung lesen wir seine Nachtgeschichten aus dem Jahr 2020, an dessen Tatort Mauvignier mit seinem neuen Buch zurückkehrt. Laurent Mauvigniers Roman „Histoires de la nuit“ (2020) entfaltet sich in dem isolierten Weiler „L’écart des Trois Filles Seules“, wo die Malerin Christine als Nachbarin des Bauern Patrice, seiner Frau Marion und ihrer Tochter Ida lebt, deren vermeintlich idyllisches Landleben durch die Vorbereitungen zu Marions 40. Geburtstag eine trügerische Fassade erhält. Diese Ruhe wird jäh zerstört, als Marions Ex-Partner Denis, frisch aus dem Gefängnis entlassen und von jahrelanger Rachsucht getrieben, mit seinen Brüdern Christophe und Bègue auftaucht, um Marion für ihren vermeintlichen Verrat und die vorenthaltene Tochter zu bestrafen, was in der brutalen Tötung von Christines Hund Radjah und der Geiselnahme der beiden Frauen gipfelt. Im Verlauf des Abends enthüllt sich Marions gewaltvolle Vergangenheit, während Patrice, der die Wahrheit über seine Frau lange verdrängt hat, zusammen mit Marion einen verzweifelten Kampf um das Überleben ihrer Familie und die Bewahrung ihrer Tochter in einer Nacht blutiger Konfrontationen führt, die tief sitzende Traumata und familiäre Abgründe offenbart.

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Warten auf Yoann: Laurent Mauvignier, Proches

Im Jahr 2023 erscheinen gleich zwei Romane von Laurent Mauvignier auf Deutsch: sein 500 Seiten starker Roman „Histoires de la nuit“ (2020), außerdem „Des hommes“ (2009). In beiden Fällen problematische Familienarrangements, ebenfalls 2023 kommt Mauvigniers Theaterstück „Proches“ auf die Bühne: ein Sohn, dessen erwartete Rückkehr die Familie zerstören oder enthüllen könnte, wie bei Aischylos, Pasolini, Molière oder Lagarce. Ein Stück aber auch über das Schreiben und die Sprache für die Bühne.

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rentrée littéraire
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