Die Öffnung der Höhle: Pierre Michon

Il nous l’avait dit : la caverne s’ouvrait au fond.

Pierre Michon, Les deux Beune, I, 4.

Er hatte es uns gesagt, dass sich die Höhle am Ende öffnen würde.

Ursprung und Palimpsest

Der Ursprung der Welt wird also ab dem 26. Juni nach mehr als einem Jahrhundert im Verborgenen zum ersten Mal wieder zu sehen sein.“ So schrieb der Kunstkritiker Philippe Dagen im Jahr 1995 in Le Monde, 1 nachdem das Ministerium die Rechte aus Jacques Lacans Nachlass für Courbets Gemälde geregelt hatte. Ein Jahr später erscheint Michons La Grande Beune, das zunächst ebenfalls L’Origine du monde heißen sollte, und Michons zweiter Teil des Buchs scheint in der Umkehrung zur „fin du monde“ sich über diesen Ursprung zu amüsieren:

Depuis le début de ces vacances ma visite quotidienne au tabac était comme entrer dans une chausse-trape qui faisait que mes jambes et mes mains tremblaient avant même de pousser la porte. Yvonne dansait le grelot. Elle avait peur et arpentait sa peur avec délectation ; elle était ivre d’elle-même ; elle me jetait par en dessous ce regard enjôleur, mais impersonnel, fuyant, qu’ont les femmes ensevelies dans leur propre chair au point de ne plus vous voir ni vous entendre, leur annonceriez-vous la fin du monde ; elle faisait des rires de fée, soudain rougissait et s’arrêtait, comme giflée – février et mars jouaient d’elle à quatre mains.

Pierre Michon, Les deux Beune, II, 3.

Seit Beginn dieses Urlaubs war mein täglicher Besuch im Tabakladen wie das Betreten einer Falle, die meine Beine und Hände zittern ließ, noch bevor ich die Tür aufgestoßen hatte. Yvonne tanzte zum Glöckchen. Sie hatte Angst und verfolgte ihre Angst mit Genuss; sie war von sich selbst betrunken; sie warf mir von unten diesen bezaubernden, aber unpersönlichen, flüchtigen Blick zu, den Frauen haben, die in ihrem eigenen Fleisch vergraben sind, so dass sie Sie nicht mehr sehen oder hören können, würden Sie ihnen das Ende der Welt verkünden; sie lachte wie eine Fee, wurde plötzlich rot und blieb wie geohrfeigt stehen – Februar und März spielten vierhändig auf ihr.

Pierre Michon ist im Nordwesten der Region Nouvelle-Aquitaine geboren, im Département Creuse, das zuvor teils mit dem Département Limousin identisch war. Das Limousin ist Ausgangspunkt seines Revolutionsstücks Les Onze (2009), so wie das vorgeschichtlich-gegenwärtige Département Dordogne/Périgord noir den weiten mythischen Erzählraum von Les deux Beune (2023) bildet. Die Kinder, die dem Lehrer ihre Funde bringen, werden in einem Satz, mit klingenden Worten, bis in die Vorzeit durchscheinend:

C’étaient eux encore une fois, mes petits élèves, mes sempiternels nabots, cette humanité bruegélienne, vieillotte, affairée, naine, affublée de caftans et de touloupes ; c’étaient Annie, Madeleine, Micheline, Jeannine ; Jeannot, Pierrot, Jean-Pierre. Et Bernard, avec sa natte du Mékong. Ils apprenaient en versant des larmes les accords verbaux ; ils m’apportaient des bifaces à quoi je donnais des noms ronflants qu’ils écoutaient en penchant un peu la tête sur le côté, Saint-Acheul, Le Moustier, La Madeleine ; limande, coup-de-poing, feuille de saule. Les noms que j’avais dans la tête aujourd’hui, l’ourlet, la fente, les fesses, je ne pouvais les leur dire. Ils passaient. Ils avaient l’air de flotter. Ils eurent tôt fait de disparaître, ils couraient dare-dare rejoindre les ancêtres avec leurs paniers d’œufs pour le voyage. Ce sont peut-être des petits enfants que les pères flèchent dans l’au-delà.

Pierre Michon, Les deux Beune, II, 5.

Sie waren es wieder, meine kleinen Schüler, meine ewigen Zwerge, diese Bruegelsche Menschheit, alt, geschäftig, zwergenhaft, ausgestattet mit Kaftanen und Schafspelz; es waren Annie, Madeleine, Micheline, Jeannine; Jeannot, Pierrot, Jean-Pierre. Und Bernard mit seiner Mekong-Matte. Sie lernten unter Tränen die verbalen Akkorde, sie brachten mir Faustkeile, denen ich klangvolle Namen gab, die sie mit leicht zur Seite geneigtem Kopf anhörten: Saint-Acheul, Le Moustier, La Madeleine; Flunder, Faustschlag, Weidenblatt. Die Namen, die ich heute im Kopf hatte, Saum, Schlitz, Hintern, konnte ich ihnen nicht sagen. Sie zogen vorbei. Sie schienen zu schweben. Sie waren schnell verschwunden, sie liefen schnell zu den Vorfahren mit ihren Körben, für die Reise mit Eiern gefüllt. Vielleicht sind es kleine Kinder, die von ihren Vätern ins Jenseits geschleudert werden.

Hermann Parzinger schreibt in seiner Geschichte der Menschheit vor der Erfindung der Schrift, Die Kinder des Prometheus: „Zwar gibt es nahezu überall spärliche Hinweise auf Anfänge künstlerischen Schaffens. Doch die qualitativ und quantitativ herausragende Blüte eiszeitlicher Höhlenmalerei Südwesteuropas bleibt weltweit einmalig; sie bildet den ersten großen Auftritt des Menschen in einer alle Zeiten und Räume umfassenden Weltkunstgeschichte.“ 2 Hier im französischen Südwesten können wir die ersten menschengemachten Bilder aufsuchen, in Bereichen der Höhle, die nicht als Wohnstätten genutzt wurden, wie Parzinger betont, stehen sie wohl „im Zusammenhang mit kultisch-religiösen Vorstellungen“ 3. Zugleich lassen sich wichtige Rückschlüsse auf die Naturerfahrung des vorzeitlichen Menschen ziehen, lebendige Darstellung der Tiere, die für ein Verständnis der Natur als einer beseelten stehe, und neben Bison und Pferd treten jetzt u.a. Rentiere, Hirsche, Steinböcke, Mammuts und Fische in die Abbildungen. 4 Hier zwischen Les Eyzies und Montignac spielt die Geschichte. Hydrologisch gibt es viermal die Beune 5, die Grande Beune ist ein Nebenfluss der Vézère, die Petite Beune (sie wird im Oberlauf zur Beune de Puymartin) nimmt später unter anderem die Beune du Paradoux auf, ein weitererer Bach, La Beunote, ist Nebenfluss der Grande Beune. 6 Sprachgeschichtlich ist die Beune der Fluss selbst, aus gallisch °bedo, °bedum, „Kanal, Graben“.

Wie das Périgord noir ja nach den sehr dunklen Steineichenwäldern seinen Beinamen bekam, ist das Schwarze auch in La Grande Beune sehr präsent, als schwarzer Regen und schwarze Wolke, schwarze Nacht der Wilderer und schwarzer Honig, schwarze Narbe und schwarze Nylons, schwarzes Blut und schwarze Tinte etwa. Und Höhlen.

On montait et descendait entre des pierres effondrées, on se glissait dans des failles, on piétinait dans des dolines où des résidus dormaient, on ne comprenait rien.

Pierre Michon, Les deux Beune, I, 5.

Wir kletterten zwischen eingestürzten Steinen auf und ab, krochen durch Risse, traten in Dolinen, in denen Überreste schliefen, und verstanden nichts.

1979 hat die UNESCO die 14 Stätten im Vézères-Tal als „sites préhistoriques et grottes ornées de la vallée de la Vézère“ als eine der bedeutendsten archäologischen Stätten Europas in ihren Katalog des Welterbes aufgenommen, ein zentraler Ort prähistorischer Kunst, hier seien nur die Höhlenmalereien von Lascaux vor ca. 20.000 Jahren benannt, die Georges Bataille als Anfang der Kunst, als Geburt der Menschheit im Übergang vom homo faber des instrumentellen Handelns hin zum homo pictor – der dem nützlichen Leben nutzlos-verführerische Zeichen entgegensetzt – beschreibt. 7 Hieraus erklärt sich u.a. die Faszination der Literaten wie Rouaud, Malraux, Quignard, Chevillard, Trassard für die Höhlenmalereien des französischen Südwestens 8 Jean Rouaud folgt dieser Linie, wenn er sich fragt, aus welchem Bedürfnis die Bilder entstanden:

C’est la plus belle énigme de l’histoire du monde. Pas la plus mystérieuse, la plus belle. Une litanie de splendeurs: Lascaux, Rouffignac, Niaux, Pech-Merle, Font-de-Gaume, Altamira, le Roc-aux-Sorcières, Chauvet, Cussac, devant quoi on reste bouche bée, médusé. Ceux-là, qu’on imaginait en brutes épaisses tout juste descendues du singe, qu’on habillait de peaux de bêtes et qu’on coiffait avec un clou, ceux-là en savaient aussi long que nous sur la meilleure part de nous-mêmes. Quant à comprendre ce qui leur passait par la tête, comment on en vient à s’enfoncer sous terre, en rampant parfois, pour peindre des merveilles qui échapperont au regard de la petite multitude du temps, il nous reste à l’imaginer. Le paléo-circus, ce serait donc l’histoire du premier coup de pinceau. Mais nos ancêtres n’en restèrent pas là. Quelques milliers d’années plus tard, en bord de mer, ils inventaient le premier site en ligne. Bien sûr. À Carnac.

Jean Rouaud, Préhistoires.

Dies ist das schönste Rätsel in der Geschichte der Welt. Nicht das geheimnisvollste, sondern das schönste. Eine Litanei der Pracht: Lascaux, Rouffignac, Niaux, Pech-Merle, Font-de-Gaume, Altamira, der Roc-aux-Sorcières, Chauvet, Cussac, vor der man mit offenem Mund und staunend steht. Diese Menschen, die man sich als dicke, gerade vom Affen abstammende Bestien vorstellte, die man in Tierfelle kleidete und mit einem Nagel frisierte, diese Menschen wussten genauso viel wie wir über den besten Teil von uns selbst. Was ihnen durch den Kopf ging, wie man dazu kommt, unter die Erde zu gehen, manchmal kriechend, um Wunder zu malen, die den Blicken der kleinen Menge der Zeit entgehen, müssen wir uns noch vorstellen. Der Paläo-Circus wäre also die Geschichte des ersten Pinselstrichs. Aber unsere Vorfahren beließen es nicht dabei. Einige tausend Jahre später erfanden sie am Meer die erste Online-Website. Aber natürlich. In Carnac.

2008 hätte die 1940 entdeckte Höhle von Lascaux, deren vorzeitliche Wandmalereien von Schimmelpilzen befallen war, ihren zuerkannten Status als UNESCO-Welterbe verlieren können. Ungefähr in der Zeit, in der Michons junger Lehrer seinen Dienst in der Region antritt, Anfang der 1960er Jahre, hat Kulturminister Malraux den Ort für Besucher geschlossen, in den 80er Jahren wird direkt daneben eine Kopie der Höhle für Touristen eröffnet. Und Pierre Michon verdoppelt sein Buch La Grande Beune von 1996 mit weiteren sechs Kapiteln La Petite Beune, also mit dem Nebenflüsschen, zu einem neuen Buch: Les deux Beune (Verdier, 2023). Ein besonderes literarisches Ereignis, der für seine wenigen kurzen Texte vielkommentierte Autor Michon legt hier eine Fortschreibung vor, die in vielem die Revision der Deutungen der letzten fast drei Jahrzehnte erfordern könnte. Freilich ist die Genese von Michons Büchern noch viel komplexer, die Bücher werden nicht zu der Zeit „vollendet“ oder publiziert, in der sie entstanden.

Je peux vous dire d’abord que ce parcours, tel que vous le décrivez, est un parcours d’édition et non d’écriture. Je n’ai pas écrit ces textes dans l’ordre de leur publication. Par exemple L’Empereur d’Occident a été écrit avant la Vie de Joseph Roulin, La Grande Beune bien avant Rimbaud le fils. Je me défais de mes manuscrits de façon très arbitraire, quand je pense que je ne pourrai plus les améliorer. Que je ne pourrai pas les finir, tout simplement, puisque comme je vous l’ai dit, la plupart de mes textes sont inachevés, bien qu’ils passent pour achevés. C’est donc qu’ils sont achevés à mon insu.

Pierre Michon, „12. Cause toujours“, in Le roi vient quand il veut.

Ich kann Ihnen zunächst sagen, dass dieser Weg, so wie Sie ihn beschreiben, ein Weg des Publizierens und nicht des Schreibens ist. Ich habe die Texte nicht in der Reihenfolge ihrer Veröffentlichung geschrieben. Beispielsweise wurde L’Empereur d’Occident vor dem Leben von Joseph Roulin geschrieben, La Grande Beune lange vor Rimbaud le fils. Ich entledige mich meiner Manuskripte sehr willkürlich, wenn ich denke, dass ich sie nicht mehr verbessern kann. Dass ich sie schlicht und einfach nicht mehr fertigstellen kann, denn wie ich Ihnen bereits sagte, sind die meisten meiner Texte unvollendet, obwohl sie als fertiggestellt gelten. Das bedeutet, sie werden ohne mein Zutun fertiggestellt.

Michons knappes Werk widersetzt sich der Analyse und dem Kommentar, wie der Aal den Händen des Fischers entgleitet, bemerkte Thierry Clermont in seiner Rezension der verdoppelten Fassung. 9 Und es handle sich eben nicht um eine Fortsetzung, so Clermont, sondern um eine Spiegelung des ersten Teils, der im September 1961 spielte. Die namenlose Hauptfigur aus La Grande Beune, der junge Lehrer auf seiner erotischen Jagd, erhält im zweiten Teil nun im Februar/März 1962 des Folgejahres den Namen Pierre, mag sein, wegen der fundamentalen Bezüge zu Steinen im ersten Teil, aber natürlich ist der 1945 geborene Pierre (Michon) Anfang der 1960er Jahre ungefähr so alt wie seine Romanfigur. Sébastien Omont differenziert die Schreibweisen der beiden Romanteile: „Wo La Grande Beune einen von der Sehnsucht angespannten Prunk entfaltete, muss sich seine kleine Schwester schließlich dazu durchringen, sich zumindest ein wenig mit der Welt, wie sie ist, zu arrangieren. Der Stil ist rauer, weniger grandios, vielleicht weniger perfekt, und doch erweist sich Pierre Michon auch hier als großer Schriftsteller, der die Themen mit der Kraft der Metapher verknüpft, um gleichzeitig von Erfolg und Mangel, Lächerlichkeit und Schöpfung zu erzählen.“ 10

In gewisser Weise schafft es Michon, die Jagd abzuschließen, ohne ihr das Atmosphärische des Obsessiven und des Rätselhaft-Dunklen zu nehmen, in einem Interview von 2001 hatte er selbst geäußert:

Le travail d’accumulation des savoirs, la lecture, la documentation, ne sont qu’un artifice pour faire résonner plus haut l’appel du monde, un piège pour le faire approcher. Et la confection du piège dure bien plus longtemps que la prise du gibier. Nous aimons mieux la chasse que la prise, comme disait l’autre.

Pierre Michon, „Le monde qui appelle“, in Le roi vient quand il veut. 11

Die Arbeit der Wissensaneignung, das Lesen, die Dokumentation sind nur ein Kunstgriff, um den Ruf der Welt lauter widerhallen zu lassen, eine Falle, um sie näher zu bringen. Und das Aufstellen der Falle dauert viel länger als der Fang des Wildes. Die Jagd ist uns lieber als der Fang, wie mal einer gesagt hat.

Als ein Diptychon wurde das erweiterte Buch von Rezensenten bezeichnet, analog zur Malereithematik in Michons Werk, und neben fortgeführten Strängen und Motiven (das Personeninventar und die Landschaft bleiben gleich) variiert der zweite Teil durchaus, etwa mit einem stärkeren Fokus auf Jean den Fischer, der allgegenwärtige Regen weicht nun dem Nebel, die Jagdbildlichkeit wird teilweise durch das Fischen ersetzt, Neues tritt hinzu, wie der Karneval (der die Masken aus I, 1 und I, 6 wiederaufnimmt): „Sie wollten, dass wir die Muße hätten, ein Festmahl zu feiern, wie es die alten Zeiten getan hatten, dass wir die Fabelschweine essen, die Fabelfässer anstechen, mit einer Maske auf dem Gesicht, die uns mit der hageren, vagen und wankelmütigen Welt, die der Februar und der März in ihren eisernen Klauen halten, vergleichbar machen würde. Denn es ist Karneval.“ 12. Bei Erscheinen von La Grande Beune hatte Patrick Kechichian die besondere Zeitstruktur von Michons Werks so charakterisiert: „Pierre Michons Bücher scheinen aus einer unvordenklichen Zeit, aus einem sehr fernen und wie verbannten Raum zu stammen. Daten und Orte können durchaus genannt werden, aber nur, um die unbewegliche Tiefe der Erinnerung und die Schichten der Zeit zu beschreiben, um zu zeigen, dass die Landschaft wie auch die Figuren, die sich aus ihr lösen, von dieser Erinnerung abhängig sind oder umgekehrt.“ 13 Ab den ersten Buchseiten bereits scheint in der französischen Provinz das Archaische der „alten Zeiten“ in der Gegenwart durch:

Je mangeai ces charcutailles de haute époque ; à la table voisine les propos se faisaient rares, les têtes se rapprochaient, alourdies par le sommeil ou le souvenir de bêtes descendues en plein bond, mourant ; ces hommes étaient jeunes ; leur sommeil, leurs chasses, étaient vieux comme les fabliaux.

Pierre Michon, Les deux Beune, I, 1.

Ich aß diese Schlachtplatte wie aus alter Zeit, am Nachbartisch wurde weniger gesprochen, die Köpfe rückten zusammen, beschwert vom Schlaf oder der Erinnerung an die Tiere, die im Sprung niedergestreckt wurden und starben; diese Männer waren jung, ihr Schlaf, ihre Jagden waren alt wie die Fabeln.

Wenn man La Grande Beune im Detail mit dem ersten Teil von Les deux Beune vergleicht, finden sich durchaus Änderungen, etwa dieser neue zweite Satz, der zwei „korrigierte Hefte“ wie das Verhältnis von erstem und zweitem Teil hier ergänzt:

Des grues passaient et mes élèves apprenaient à conjuguer. Entre deux cahiers corrigés à la grande table d’auberge, j’allais faire un flipper, me confronter au Big Indian emplumé qui vous défiait au fronton.

Pierre Michon, Les deux Beune, II, 2.

Kraniche zogen vorbei und meine Schüler lernten Konjugationen. Zwischen zwei korrigierten Heften am großen Tisch des Gasthauses ging ich zum Flipper und stellte mich dem gefiederten Big Indian, der Sie am Giebel herausforderte.

Wie die Maler Goya, van Gogh, Fragonard, Watteau oder der fiktive Corentin im Werk von Michon sind die ersten Maler der Menschheit Stellvertreter der Künstler, Schamanen, „gelehrt wie ein Bartträger und fromm wie ein Mohikaner“ (I, 4), frühe Sinnsucher und Weltdeuter wie die Schriftsteller:

Et les hommes qui étaient ce dieu des rennes, après les huit jours de charivari, de sang, de vive force dans les goulets, d’écorchage, salaison et boucan, ces petits jours d’avril qui leur permettraient le reste de l’année de ne rien faire, regarder, parler, de s’emplir le ventre, de jouir de leurs femmes et d’aimer les petits enfants qui en sortaient, les hommes dit-on, et il semble que c’est vrai puisque le carbone 14 a daté tout cela sans réplique comme l’aurait fait un barbichu, quand ils étaient las des enfants et des femmes, des palabres sous une hutte sang de bœuf avec leurs grands chapeaux pleins d’andouillers et de plumes, les hommes descendaient dans les grottes et faisaient des peintures. Pas tous les hommes ceux-là seulement qui avaient la main plus déliée, l’esprit plus prompt ou contourné, les cœurs célibataires qui allaient la nuit chercher sens dans les flaques des Beune, ne l’y trouvaient pas et ramenaient à la place des pierres opaques qui font sens, des mots et des combinaisons de pierres et de mots qui font sens, et de ces combinaisons du pouvoir […].

Pierre Michon, Les deux Beune, I, 4.

Und die Männer, die diese Rentiergötter waren, nach acht Tagen ihres Gemetzels, des Blutes, der Gewalt in den Rinnen, des Häutens, des Pökelns und des Lärms, diesen wenigen Tage im April, die ihnen den Rest des Jahres erlauben würden, nichts zu tun, zu schauen, zu reden, sich die Bäuche vollzuschlagen, ihre Frauen zu genießen und die kleinen Kinder zu lieben, die aus ihnen hervorgehen würden, die Männer, so heißt es (und es scheint wahr zu sein, denn Kohlenstoff 14 datierte all dies ohne Widerrede, wie es ein Bartträger getan hätte), wenn sie der Kinder und Frauen überdrüssig waren, des Palaverns in einer Hütte gefärbt von Ochsenblut, mit ihren großen Hüten geschmückt mit Geweihteilen und Federn, stiegen die Männer in die Höhlen hinab und malten Bilder. Nicht alle Männer, nur diejenigen, die eine geschicktere Hand, einen schnelleren oder umständlicheren Geist hatten, die einzelgängerischeren Herzen, die nachts in den Pfützen der Beune nach Sinn suchten, ihn dort nicht fanden und stattdessen undurchsichtige Steine mit Bedeutung zurückbrachten, Wörter und Kombinationen von Steinen und Wörtern mit Sinn, und die aus diesen Kombinationen Macht schöpften; […].

Jagd und Fang

De part et d’autre d’elle je pris à deux mains l’ourlet bleu nuit. Je troussai haut. Quand elle eut ses jupes levées à la taille et qu’alors elle gémit, je revis en un éclair la grotte toute blanche. C’était du lait.

Pierre Michon, Les deux Beune, II, 6.

Auf beiden Seiten griff ich mit beiden Händen nach dem dunkelblauen Saum. Ich zog den Saum hoch. Als sie die Röcke bis zur Taille hochgezogen hatte und dann stöhnte, sah ich blitzartig die weiße Grotte. Sie war Milch.

Mit dem Weiß der leeren Seite und der unbemalten Leinwände endet Les deux Beune. „Wir sind in der Höhle, mit den großen Monstern an den Wänden.“ 14 So wurde der Maler Goya in Michons Maîtres et serviteurs bei der Besichtigung gezeigt, er nahm den königlichen spanischen Palast El Pardo in Augenschein, um die Deckengewölbe zu bemalen. Die besichtigte Höhle in La Grande Beune (1996) hingegen war leer, unbemalt, hatten wir seit einem Vierteljahrhundert gedacht.

C’était impressionnant. C’était nu. C’était la coupole de Lascaux à l’instant exact où y entrèrent les vieux célibataires, andouillers dessus, quand dans les torches leur cœur bondit ; quand se dévoila pour eux seuls l’impeccable étendue de calcite toute blanche, moelleuse, lisse, à peine grenue mais avec un grain tout de même qu’ils effleuraient du bout des doigts, ce mondmilch un peu grenu donc et calmement débordant de candeur, ce grand drapé tendu, servi comme sur un chevalet entre un liseré tout droit de quartzite plus noire et un plafond bulbeux, pesant, secret.

Pierre Michon, Les deux Beune, I, 5.

Es war beeindruckend. Es war nackt. Es war die Kuppel von Lascaux in genau dem Moment, als die alten Junggesellen mit den Geweihhüten sie betraten, als ihre Herzen in den Fackeln hüpften; als sich ihnen die makellose Fläche aus weißem, weichem, glattem, kaum gekörntem, aber dennoch körnigem Calcit enthüllte, die sie mit ihren Fingerspitzen berührten, diese etwas gekörnte und ruhig vor Scham überfließende Mondmilch, diese große, gespannte Drapierung, die wie auf einer Staffelei zwischen einem geraden Rand aus schwärzerem Quarzit und einer wulstigen, schweren, geheimnisvollen Decke serviert wurde.

Nun stellt sich mit Michons Fortschreibung von 2023 heraus: es hatte in einer Höhle sehr wohl prähistorische Malereien gegeben, rauschhaft ausgelöscht durch Jean, mit seinem Kärcher der Moderne, weiß.

Vielleicht ist es ein Missverständnis: L’Origine du monde, das skandalisierte Bild Courbets der weiblichen Scham als erotische oder obszöne Darstellung zu verstehen. Die objektivierte, leidenschaftslose Darstellung weiblicher Anatomie widersetzt sich auch moralischen Grenzen. Der Maler vermisst und konstatiert: Realismus in seiner Radikalität. 15 L’Origine du monde, dies war zugleich der ursprünglich vorgesehene Titel von La Grande Beune. Allerdings ist Pierre Michons junger Lehrer so bezaubert von Yvonne, der Verkäuferin im Tabakladen, dass sie seit der ersten Begegnung zur träumerischen Obsession wird:

Cette femme, les lèvres un peu ouvertes, bienveillante et à peine étonnée, considérait patiemment mon silence. Elle attendait ce que je voulais. Je parlai dans un rêve, d’une voix nette pourtant. Elle se détourna, son aisselle apparut quand elle leva le bras vers son rayonnage, et la main franche, suave, baguée, s’ouvrit sous mes yeux avec dans son creux le paquet rouge et blanc de la Marlboro. J’effleurai cela en prenant le paquet. Pour voir encore ce geste peut-être, la monnaie dans la paume, les ongles peints se réunissant, se défaisant, j’achetai aussi le saint fléché de la carte postale. Elle souriait tout à fait. « Vous voulez une enveloppe ? » dit-elle. Bien sûr que j’en voulais une. La voix était généreuse aussi, les paroles y venaient comme un don.

Pierre Michon, Les deux Beune, I, 1.

Diese Frau mit leicht geöffneten Lippen, freundlich und kaum erstaunt, betrachtete geduldig mein Schweigen. Sie wartete ab, was ich wollte. Ich sprach in einem Traum, jedoch mit einer klaren Stimme. Sie wandte sich ab, ihre Achselhöhle kam zum Vorschein, als sie den Arm zum Regal hob und die offene, süße, beringte Hand öffnete sich vor meinen Augen mit der rot-weißen Marlboro-Packung in ihrer Vertiefung. Ich berührte sie, als ich die Packung nahm. Vielleicht um nochmal diese Geste zu sehen, das Geld in der Handfläche, die bemalten Fingernägel, die sich zusammenfügen und wieder lösen, kaufte ich auch den Heiligen mit dem Pfeil auf der Postkarte. Sie lächelte ganz und gar. „Wollen Sie einen Umschlag?“ sagte sie. Natürlich wollte ich einen. Auch die Stimme war großzügig, die Worte kamen wie ein Geschenk.

Umschlagdetail Pierre Michon, Les deux Beune (Verdier, 2023)
Gustave Courbet, L’Origine du monde (1866)

Verdiers Buchumschlag hat so klug wie elegant eine prähistorische Anspielung auf Gustave Courbets skandalumwittertes Gemälde der weiblichen Scham gewählt. Michon hat die Tendenz, das Begehren zu universalisieren und damit den Ursprung der Welt über das Subjektiv-Erotische ins Anthropologische geschichtlicher Tiefe zu überblenden:

Assis sur la bille de hêtre, je remuais mille autres pensées autour de son corps. Je pensais à cette part du monde que nous ne voyons pas, mais dont nous savons qu’elle existe, comme existe le sexe de la femme.

Pierre Michon, Les deux Beune, II, 6.

Auf dem Buchenstamm sitzend, bewegte ich tausend andere Gedanken um ihren Körper. Ich dachte an den Teil der Welt, den wir nicht sehen, von dem wir aber wissen, dass er existiert, so wie das Geschlecht der Frau existiert.

Auch der Revolutionstext von Michon, Les onze, endet mit Lascaux. Das fiktive Geschichtsgemälde, das nur in literarischer Form existiert, blendet das Auftragsbild der Revolutionäre über die Höhlenmalerei:

Et puisque nous y sommes, vous et moi, c’est soudain devant n’importe quelles bêtes divines que nous nous tenons ici, pas seulement les chevaux mais toutes, les bêtes cornues, les bêtes qui aboient, les autres bêtes rugissantes qui se retournant soudain bondissent sur le roi dans les chasses de Ninive, les grandes menaces frontales qui nous ressemblent et ne sont pas nous. Celles qu’on a peintes au commencement de tout, avant l’Assyrie et saint Jean, avant l’invention de la charrerie et de la cavalerie, bien avant Corentin et le pauvre Géricault, au temps des grandes chasses, au temps des gibiers idolâtrés et redoutés, divins, tyranniques, sur les murs profonds des cavernes. C’est Lascaux, Monsieur. Les forces. Les puissances. Les Commissaires. Et les puissances dans la langue de Michelet s’appellent l’Histoire.

Pierre Michon, Les Onze.

Und da wir gerade dabei sind, Sie und ich, stehen wir hier plötzlich vor allen göttlichen Tieren, nicht nur vor Pferden, sondern vor allen, den gehörnten Tieren, den bellenden Tieren, den anderen brüllenden Tieren, die sich plötzlich umdrehen und auf den König in den Jagden von Ninive springen, den großen frontalen Bedrohungen, die wie wir aussehen und doch nicht wir sind. Die, die am Anfang von allem gemalt wurden, vor Assyrien und Johannes, vor der Erfindung des Wagenbaus und der Kavallerie, lange vor Corentin und dem armen Géricault, zur Zeit der großen Jagden, zur Zeit der vergötterten und gefürchteten, göttlichen und tyrannischen Wildtiere auf den tiefen Wänden der Höhlen. Das ist Lascaux, mein Herr. Die Kräfte. Die Mächte und Gewalten. Die Kommissare. Und die Mächte in der Sprache von Michelet heißen Geschichte.

Nachsichtig erinnert Raphaëlle Leyris in ihrer Rezension daran, dass hier ein Mann einer anderen Generation schreibt und Geschlechterverhältnisse abbildet, die sich seither geändert haben. 16 Die erotische Dimension und die skopische Eroberung des begehrten Körpers ist bei Michon aus der Perspektive eines Raubtieres, eines Jägers, geschrieben, wie dies Jean-Claude Pinson gezeigt hat, in der Dialektik von einer in Besitz nehmenden Plötzlichkeit und einer sentimentalen Zärtlichkeit. 17 Der zwanzigjährige Mann ist allerdings in einem Alter, in dem man nicht glaubt, einer so schönen Frau etwas zu geben zu haben, er verfällt ihrem Reiz zusehends, kauft unter Vorwänden bei ihr ein, etwa Zeitungen, um klüger zu wirken als er sich glaubt. Er wartet stundenlang darauf, ihr im Wald wie zufällig zu begegnen, sein Blick verschlingt geradezu jedes Detail ihres Körpers, er nennt sie Königin.

Der Ton war also früh gesetzt, von einem namenlosen „Ich“, das einer Rhetorisierung der Liebe eine Absage erteilt, so heißt es dann gegen Ende des neuen Teils: „Ich dachte an die weißen Arme in der alten Poesie, deren wahre Bedeutung weiße Schenkel ist.“ 18 Das Ästhetisch-Erotische ist hier so majestätisch wie raubtierhaft, sublim und gefährlich:

Je ne crois guère aux beautés qui peu à peu se révèlent, pour peu qu’on les invente ; seules m’emportent les apparitions. Celle-ci me mit à l’instant d’abominables pensées dans le sang. C’est peu dire que c’était un beau morceau. Elle était grande et blanche, c’était du lait. C’était large et riche comme Là-Haut les houris, vaste mais étranglé, avec une taille serrée ; si les bêtes ont un regard qui ne dément pas leur corps, c’était une bête ; si les reines ont une façon à elles de porter sur la colonne d’un cou une tête pleine mais pure, clémente mais fatale, c’était la reine.

Pierre Michon, Les deux Beune, I, 1.

Ich glaube nicht an Schönheiten, die sich nach und nach offenbaren, wenn man sie bloß erfindet, sondern nur an Erscheinungen. Diese hier versetzte mein Blut in unanständige Gedanken. Es ist eine Untertreibung zu sagen, dass sie ein Prachtstück war. Sie war groß und weiß, sie war wie Milch. Breit und reich wie die Houris im Himmel, weit aber wie geschnürt, mit einer engen Taille; wenn die Tiere einen Blick haben, der ihren Körper nicht verleugnet, dann war es ein Tier; wenn die Königinnen eine eigene Art haben, auf der Säule eines Halses einen reichen aber reinen Kopf zu tragen, nachsichtig aber verhängnisvoll, dann war es die Königin.

Statt der Malerei ist hier die Technik der Graffiti vergleichbar, Beschriftungen, eingeritzt irgendwo mit einem spitzen Gegenstand: „rasch, spontan, mitunter unvollendet und in der Regel wohl ohne Genehmigung des Gebäudeinhabers“ 19, ein plötzlicher, drängender Impuls. In Pinsons neuer Besprechung von Les deux Beune betont er, wie sehr der erste Teil eine Auflösung der Erwartung verzögere: „Sich überstürzt, sagte ich, und doch, das Verlangen in diesem Rennen bleibt Verlangen, denn das Warten ist ein wesentlicher Bestandteil des Genießens, seiner „ewigen Unmittelbarkeit“: „Wir ließen es dauern“. „Musste man überhaupt zum Schluss kommen? Mein endloses Verlangen war das genaue Gegenstück zu seinem endlosen Genießen“.“ 20 Während die Literaturstudentin Mado ihrem geistesabwesenden Geliebten Baudelaire vorliest, kann dieser nur die ferne Yvonne imaginieren:

Moi, j’avais dans la poitrine ce cœur de glace que février et mars à leur joint se refilent, et pour le faire fondre, celui-là, il faut d’autres brasiers que les alexandrins. Je tournais ce cœur vers la fenêtre, j’y tournais mes yeux ; j’y voyais le brouillard ou le gel, et dans ce même brouillard ou ce même gel quelque part se tenait Yvonne ; là-haut sur la place ils contenaient Yvonne, ils frôlaient Yvonne, arpentaient Yvonne, la mesuraient, la ceinturaient, s’insinuaient en elle, ils étaient son linge – et je respirais passionnément ce linge universel.

Pierre Michon, Les deux Beune, II, 3.

Ich hatte dieses Eisherz in der Brust, das Februar und März sich gegenseitig zuschieben, und um es zum Schmelzen zu bringen, braucht man andere Feuer als Alexandriner. Ich drehte dieses Herz zum Fenster, ich richtete meine Augen darauf, ich sah den Nebel oder den Frost, und in demselben Nebel oder Frost stand irgendwo Yvonne; dort oben auf dem Platz umschlossen sie Yvonne, sie strichen über Yvonne, umrundeten Yvonne, maßen sie, umgürteten sie, drangen in sie ein, sie waren ihre Kleider – und ich atmete leidenschaftlich diese universale Wäsche ein.

Das Eisherz mag hier wie eine Anspielung auf (und Absage an) das Schneeherz in Alexandrinern von Baudelaires La beauté klingen, aber anders als die Dichter in dessen Sonett will Michons Liebender seine Stunden nicht in kargen Etüden verzehren.

Je trône dans l’azur comme un sphinx incompris ;
J’unis un coeur de neige à la blancheur des cygnes ;
Je hais le mouvement qui déplace les lignes,
Et jamais je ne pleure et jamais je ne ris.

Ich throne am Himmel als Rätselsphinx;
Mein Herz mischt mit Schnee das Weiße der Schwäne;
Ich hass die Bewegung, die Linien verschiebt,
Hab niemals geweint und lachte auch nie.

Charles Baudelaire, La beauté. Ü: Eric Boerner

Oder sagen wir, nicht der Dichter, sondern die begehrte Yvonne selbst, als Begehrende, die das Natürliche überformt, semiotisiert, ein archaisch-sublimer Ornatus, ein regelhaft-festlicher Vollzug, wenn die Verheißung, das Warten des ersten Teils nun ein Ende findet in der Erfüllung des Begehrens:

L’accouplement est un cérémonial – s’il ne l’est pas c’est un travail de chien. La jouissance est une phrase. Longue, contournée, obéissant à des rites, des formes. Yvonne ne disait pas autre chose. Elle ne voulait pas autre chose. Je le savais bien, à ses apprêts, à son goût exagéré des bijoux et des poses, à son art de se faire un autre corps avant l’amour. À la marque de novembre. Elle ne souhaitait pas faire l’amour, elle voulait le commettre. Elle aimait ce comble de la civilisation.

Pierre Michon, Les deux Beune, II, 6.

Die Paarung ist ein Zeremoniell – wenn nicht, ist es eine Schinderei. Der Genuss ist ein Satz. Lang, umständlich, Ritualen und Formen gehorchend. Yvonne sagte nichts anderes. Sie wollte nichts anderes. Ich wusste es an ihren Vorbereitungen, an ihrer übertriebenen Vorliebe für Schmuck und Posen, an ihrer Kunst, sich vor der Liebe einen anderen Körper zu schaffen. An der Novembermarke. Sie wollte nicht Liebe machen, sie wollte die Paarung vollziehen. Sie liebte diesen Höhepunkt der Zivilisation.

Mit dem Neologismus Oniritti betitelte Botho Strauß eines seiner Bücher, in dem Graffitti-Einritzungen und Traumbilder (grch. „oneiros“ = Traumgesicht) als Höhlenbilder zusammenkommen: „Wie viele Phantome in diesem lichten Zimmer! Doch erkennt man erst nachts die ehrlichen Graffiti, die sie auf den Mauern hinterließen. Warnzeichen, Hieroglyphen, die eine zungenschnelle Welt für eine Weile anhalten wollen.“ 21 Michon versteht seine Notizbücher selbst wie solche onirischen Zeichen, so wenn er Auskunft gibt über den Status der Blöcke, in denen er La Grande Beune entworfen hatte:

Mais le carnet dans son ensemble est une trace chue, l’indice inanimé d’une expérience qui est révolue, et qui ne peut plus servir ni à moi ni au lecteur. Le carnet est un ensemble affectif. Je peux recycler des métaphores ou des fragments de phrases qui y traînent, mais je ne peux plus être après coup le personnage qui a écrit cela. C’est un bloc sensible : à la fois affectif et mental, avec une forte coloration qui est celle d’un moment précis de mon existence. Celle des intentions de la rédaction pour laquelle ils ont été conçus : par exemple une coloration fortement érotisée dans le cas précis de ces carnets de La Grande Beune, qui étaient une sorte de guet de la femme. Un texte, pour moi, n’est d’ailleurs que l’image aussi fidèle que possible de ce que je suis intellectuellement et affectivement au moment où je l’écris. Et l’écriture du carnet est le sismographe de ces petites catastrophes ou de ces mouvements internes qui constituent les aventures émotionnelles ou conceptuelles de l’âme pendant cette période-là.

Pierre Michon, „21 Les carnets inédits de La Grande Beune“, in ders., Le roi vient quand il veut.

Aber das Notizbuch als Ganzes ist eine verblichene Spur, lebloses Indiz einer Erfahrung, die vorbei ist, und die weder mir noch dem Leser mehr nützen kann. Das Notizbuch ist ein affektives Ganzes. Ich kann Metaphern oder Satzfragmente, die darin herumliegen, recyceln, aber ich kann im Nachhinein nicht mehr die Person sein, die das geschrieben hat. Es ist ein Block der Empfindungen: sowohl affektiv als auch mental, mit einer starken Färbung, nämlich eines bestimmten Moments meiner Existenz. Die der Absichten des Schreibprozesses, für den er entworfen wurde: zum Beispiel eine stark erotisierte Färbung im konkreten Fall dieser Notizbücher von La Grande Beune, die eine Art obsessive Beobachtung der Frau waren. Ein Text ist für mich im Übrigen nichts anderes als ein möglichst getreues Abbild dessen, was ich intellektuell und emotional in dem Moment bin, in dem ich ihn schreibe. Und das Schreiben ins Notizbuch ist der Seismograph dieser kleinen Krisen oder inneren Bewegungen, die die emotionalen oder konzeptuellen Abenteuer der Seele während dieser Zeit ausmachen.

Kai Nonnenmacher

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Anmerkungen
  1. Philippe Dagen, „Le Musée d’Orsay dévoile « L’Origine du monde »“, Le Monde, 21. Juni 1995.>>>
  2. Hermann Parzinger, Die Kinder des Prometheus: eine Geschichte der Menschheit vor der Erfindung der Schrift (München: C.H. Beck, 2014), Kap. 6.>>>
  3. Hermann Parzinger, Die Kinder des Prometheus: eine Geschichte der Menschheit vor der Erfindung der Schrift (München: C.H. Beck, 2014), Kap. 3.>>>
  4. Vgl. ebd.>>>
  5. Le bassin des 4 Beunes de Dordogne. Wikipedia.>>>
  6. Vgl. Wikipedia-Eintrag „Beune (Dordogne).“>>>
  7. Georges Bataille, La Peinture préhistorique, Lascaux ou la naissance de l’art (Genf: Skira, 1955). Vgl. dazu Andreas Hetzel, „Georges Bataille“, in Bildtheorien aus Frankreich: ein Handbuch, hrsg. von Iris Därmann und Kathrin Busch (Brill, 2011), 39–46.>>>
  8. Vgl. etwa Écrivains de la préhistoire, hrsg. von André Benhaïm (Toulouse: Presses Univ. du Mirail, 2004).>>>
  9. „C’est que cette oeuvre, aussi peu copieuse soit-elle, résiste à l’analyse et au commentaire, comme l’anguille aux mains du pêcheur.“ Thierry Clermont, „Les deux Beune, de Pierre Michon: le retour du narrateur de l’ombre“, Le Figaro, 24. März 2023.>>>
  10. „Là où La Grande Beune déployait un faste tendu par le désir, sa petite sœur doit, pour finir, se résoudre à composer, au moins un peu, avec le monde tel qu’il est. Le style en est plus âpre, moins grandiose, moins parfait peut-être, et pourtant Pierre Michon s’y montre toujours grand écrivain par sa faculté de nouer les thèmes à la force de la métaphore, pour dire en même temps la réussite et le manque, le ridicule et la création.“ Sébastien Omont, „Savoir poursuivre“, En attendant Nadeau, März 2023.>>>
  11. Urspr. u.d.T. „Une heure avec Pierre Michon“, propos recueillis par Alain Girard-Daudon, Encre de Loire: revue trimestrielle des métiers du livre en Pays de Loire, n° 20, octobre 2001.>>>
  12. „[…] ils voulaient gentiment qu’on ait loisir de faire ripaille comme les hautes époques l’avaient fait, qu’on mange les cochons de fabliau, qu’on perce les fûts de fabliau, avec sur le visage un masque qui nous fasse pareils à ce monde hagard, vague et veule, que février et mars tiennent dans leurs griffes de fer. Car c’est Carnaval.“ Pierre Michon, Les eux Beune, II, 3.>>>
  13. „C’est d’un temps immémorial, d’un espace très lointain et comme relégué que les livres de Pierre Michon semblent provenir. Dates et lieux peuvent bien être nommés, mais seulement pour dire l’épaisseur immobile de la mémoire et les strates du temps, pour montrer que le paysage, comme les figures qui s’en détachent, sont tributaires de cette mémoire ou l’inverse.“ Patrick Kechichian, „« La Grande Beune » et « Le Roi du bois », de Pierre Michon : le miel noir“, Le Monde, 13. Januar 1996.>>>
  14. „[…] on est dans la caverne, avec aux murs les grands monstres.“ Pierre Michon, Maîtres et serviteurs.>>>
  15. Vgl. die Deutung von Philippe Dagen, „L’unique « Origine du monde »“, Le Monde, 7. August 2014.>>>
  16. „Paraissant à une époque où les rapports entre hommes et femmes ne s’envisagent plus tout à fait comme il y a trente ans“, Raphaëlle Leyris, „« Les deux Beune » : Pierre Michon, à nouveau sidéré par le désir“, Le Monde, 23. März 2023.>>>
  17. Vgl. Jean-Claude Pinson, „Fragments d’un roman amoureux“, in ders., Sur Pierre Michon: trois chemins dans l’oeuvre (Fario, 2020), 47–68.>>>
  18. „Je songeai aux bras blancs de la poésie ancienne, dont le sens vrai est : cuisses blanches.“ Pierre Michon, Les deux Beune, II, 6.>>>
  19. Ulf von Rauchhaupt, „Toll schrieben es die alten Römer“, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 22. Januar 2020.>>>
  20. Se précipite, dis-je, et cependant, dans cette course, le désir demeure désir, car l’attente est une composante essentielle de la jouissance, de son « imminence éternelle » : « nous faisions durer ». « Fallait-il même conclure ? Mon désir interminable était l’égal exact de sa jouissance interminable ».“ Jean-Claude Pinson, „Pierre Michon : L’art de la prose à son acmé (Les deux Beune)“, Diacritik, 31. März 2023.>>>
  21. Botho Strauß, Oniritti Höhlenbilder (München: Hanser, 2016).>>>