Der Verlag P.O.L. kündigt mit Darrieussecqs Roman Pas dormir eine Poetik der Schlaflosigkeit an, die seit vielen Jahren auch das Leben der Autorin bestimmt: « J’ouvre les livres et tous me parlent d’insomnie. Woolf! Gide! Pavese! Plath! Sontag! Kafka! Dostoïevski! Darwich! Murakami! Césaire! Borges! U Tam’si! Sur tous les continents, la littérature ne parle que de ça. Comme si écrire c’était ne pas dormir. » 1 Der Roman ist aber weit mehr als nur autofiktionale Bewältigung dieses Schlafmangels im Schreiben, der abwesende Schlaf wird symbolisch aufgeladen zur Störung der Moderne, etwa in der pandemischen Corona-Übertragung, die poetologisch mit Lautréamonts berühmtem Zitat zusammengebracht wird, auch mit dem Schlaf der Vernunft bei Goya (das Buch ist übrigens voll mit Illustrationen): Schlaflosigkeit macht uns die Andersartigkeit der Welt bewusst.
Pendant un temps on a cru que le coronavirus avait atteint l’homme par le biais du pangolin. La vengeance du pangolin. Involontaire et glaçante. Un pangolin avait été mis en contact avec une chauvesouris sur les étals d’animaux d’un marché de Wuhan. Signe des temps que ces rencontres, aussi absurdes que « la rencontre fortuite sur une table de dissection d’une machine à coudre et d’un parapluie » : ainsi parlait Lautréamont, grand détecteur de catastrophes. La pandémie a convoqué avec elle les animaux sauvages jusque dans notre confinement. Des transmissions s’opèrent d’animal mort en animal mort dans une sorte de créativité barbare. Nos trafics créent des monstres. Nos coupes de forêts les débusquent. Le sommeil de notre raison nous tuera.
Marie Darrieussecq, Pas dormir
Eine Zeit lang glaubte man, dass das Coronavirus über das Pangolin-Schuppentier zum Menschen gelangt sei. Die Rache des Schuppentiers. Absichtslos und abschreckend. Ein Schuppentier war auf einem Tiermarkt in Wuhan mit einer Fledermaus in Kontakt gekommen. Diese Begegnungen, die so absurd sind wie „das zufällige Zusammentreffen einer Nähmaschine und eines Regenschirms auf einem Seziertisch“, sind ein Zeichen der Zeit: So sprach Lautréamont, ein großer Katastrophenmelder. Die Pandemie hat wilde Tiere mit in unseren Lockdown gebracht. Die Übertragung erfolgt von totem Tier zu totem Tier in einer Art barbarischer Kreativität. Unsere Mobilität schafft Ungeheuer. Unser Abholzen der Wälder vertreibt sie. Der Schlaf unserer Vernunft wird uns töten.
Politischer noch wird die scheinbar anekdotische Zusammenführung von schlaflosen Personen durch Darrieussecq: Kleine Pressemeldungen fügt sie zusammen zu einer Szenographie der Beunruhigung, die sie auch im Interview etwa mit der Zerstörung des Planeten oder der Schlaflosigkeit im Krieg in Verbindung bringt.
C’est Mme de Sévigné qui l’écrit après le départ de sa fille en Provence, au matin du 6 février 1771 : « Les réveils de la nuit ont été noirs, et le matin je n’étais point avancée d’un pas pour le repos de mon esprit. » C’est un Toulousain qui a gagné 32 millions d’euros à l’Euromillion le 28 mai 2019 et qui, au bout de sa nuit blanche, finit par « cacher le bulletin gagnant dans une chemise accrochée sur un cintre de sa penderie ».
C’est aussi Sarah Forestier après la cérémonie des César 2019 couronnant Roman Polanski : « J’aurais dû quitter la salle. On aurait dû quitter la salle. Je n’ai pas réussi à dormir de la nuit. »
C’est Ai Fen, médecin-chef d’une clinique privée près du marché de Wuhan, qui comprend dès le 1er janvier 2019 que le coronavirus se transmet entre humains, et qui reçoit en réponse, à 23 h 46, ce message du « directeur du bureau de l’inspection de la discipline de l’hôpital : Passez me voir demain matin. Elle n’en dort pas de la nuit ».
C’est James Comey, patron limogé du FBI, que son entretien avec Trump réveille d’angoisse au milieu de la nuit et qui, dans son lit, prend la décision de faire fuiter leurs propos. Après l’élection de Trump la presse américaine a d’ailleurs repéré un nouveau phénomène, la Trump-induced insomnia, l’insomnie liée à Trump, qui fut hélas durable, comme est durable la « PBI », Post Brexit Insomnia, chez certains Britanniques consternés.
Marie Darrieussecq, Pas dormir
Mme de Sévigné war es, die nach der Abreise ihrer Tochter in die Provence am Morgen des 6. Februar 1771 schrieb: „Das häufige Erwachen in der Nacht war schwarz, und am Morgen war ich zur Erholung meines Geistes keinen Schritt vorangekommen. Ein Mann aus Toulouse war es, der am 28. Mai 2019 bei der Euromillion 32 Millionen Euro gewonnen hat und der am Ende seiner schlaflosen Nacht schließlich „den Gewinnschein in einem Hemd versteckt, das auf einem Bügel in seinem Kleiderschrank hängt.“
Sarah Forestier war es auch, die nach der Verleihung des César 2019 an Roman Polanski sagt: „Ich hätte den Raum verlassen sollen. Wir hätten den Raum verlassen sollen. Ich konnte die ganze Nacht nicht schlafen.“
Ai Fen war es, Chefärztin einer Privatklinik in der Nähe des Marktes von Wuhan, die seit dem 1. Januar 2019 weiß, dass das Coronavirus von Mensch zu Mensch übertragen wird, und die daraufhin um 23.46 Uhr diese Nachricht erhält vom „Leiter der Disziplinarkontrolle des Krankenhauses: Kommen Sie morgen früh zu mir. Sie wird deshalb die ganze Nacht nicht schlafen.“
James Comey war es, der entlassene Chef des FBI, den mitten in der Nacht sein Treffen mit Trump vor Angst weckt und der in seinem Bett beschließt, das Gesagte zu veröffentlichen. Nach der Wahl Trumps entdeckte die amerikanische Presse übrigens ein neues Phänomen, die Trump-induzierte Schlaflosigkeit, die leider lange anhielt, ebenso wie die „PBS“, die Post-Brexit-Schlaflosigkeit, bei vielen bestürzten Briten.
Die Psychoanalytikerin Marie Darrieussecq hat bereits mit Notre vie dans les forêts den Wald als Zufluchtsort vor den Zumutungen der Technomoderne gewählt. Der Roman endet nicht mit dem ersehnten Schlaf oder dem Erwachen am neuen Tag, sondern einer Reflexion auf Hypnagogie, die unscharfe, poetisch produktive Übergangszone: 2
La poésie, comme le rêve, dit une vérité sauvage. Le sommeil et l’insomnie, territoires asymétriques, ouvrent leurs propres chemins. Dans la zone hypnagogique, nous écoutons avec notre peau comme les grenouilles, avec notre ligne latérale comme les requins, dans notre ventre comme les femmes enceintes. Les vibrations nous guident comme les araignées. Nous entendons les arbres. Nous quittons la ligne droite. Nous renonçons à notre excitation électrique, à notre conscience frénétique, à notre bon sens élagueur de rameaux.
Marie Darrieussecq, Pas dormir
Die Poesie erzählt – wie die Träume – eine wilde Wahrheit. Schlaf und Schlaflosigkeit, diese asymmetrischen Territorien, eröffnen ihre eigenen Wege. In der hypnagogischen Zone hören wir mit unserer Haut wie Frösche, mit unserer Seitenlinie wie Haie, in unserem Bauch wie Schwangere. Schwingungen leiten uns wie Spinnen. Wir hören die Bäume. Wir verlassen die gerade Linie. Wir verzichten auf unsere elektrische Erregung, auf unser frenetisches Bewusstsein, auf unseren gesunden Menschenverstand beim Beschneiden der Äste.
Kai Nonnenmacher
- „Ich schlage Bücher auf, und sie alle erzählen mir von Schlaflosigkeit. Woolf! Gide! Pavese! Plath! Sontag! Kafka! Dostojewski! Darwich! Murakami! Césaire! Borges! U Tam’si! Auf allen Kontinenten dreht sich alles in der Literatur um diese Frage. Wie wenn Schreiben heißt, nicht zu schlafen.“>>>
- Wikipedia erläutert: „Als Hypnagogie bezeichnet man einen Bewusstseinszustand, der beim Einschlafen auftreten kann, also beim Übergang vom Wachzustand in den Schlaf. In dieser Phase können Wachträume, visuelle, auditive und/oder taktile Halluzinationen sowie eine Schlafparalyse auftreten.“>>>