Ich vertraue dem Tod, er ist ein alter Freund: Grégory Cingal

Le choc fut tel à la libération du camp qu’une vaste enquête pour crimes de guerre a aussitôt été mise en place. Des centaines de déportés sont auditionnés. Kogon a remis aux autorités alliées une pièce capitale du futur dossier d’accusation : le journal d’expériences de Ding-Schuler, sauvé in extremis des flammes. Dans le chaos des derniers jours, Kogon avait surpris son patron en compagnie de Dietzsch, occupés tous deux à brûler des tiroirs entiers de dossiers et registres. Ah Kogon, vous tombez bien, où est passé mon journal de laboratoire, impossible de mettre la main dessus. – Je l’ignore, Herr Major.

Grégory Cingal, Les derniers sur la liste, VII, 24.

Der Schock bei der Befreiung des Lagers war so groß, dass sofort eine umfassende Untersuchung wegen Kriegsverbrechen eingeleitet wurde. Hunderte von Deportierten wurden angehört. Kogon übergab den alliierten Behörden ein entscheidendes Stück der künftigen Anklageschrift: Ding-Schulers Tagebuch über seine Erlebnisse, das er in letzter Minute aus den Flammen gerettet hatte. In dem Chaos der letzten Tage hatte Kogon seinen Chef mit Dietzsch erwischt, die beide damit beschäftigt waren, ganze Schubladen voller Akten und Aufzeichnungen zu verbrennen. Ah Kogon, Sie kommen gerade richtig, wo ist mein Laborjournal geblieben, ich konnte es nicht in die Finger bekommen. – Ich weiß es nicht, Herr Major.

Unter den letzten drei Büchern der Shortlist für den französischen Grand prix du roman de l’Académie Française findet sich neben Abel Quentins Erzählung über den Club of Rome und Miguel Bonnefoys Familiengeschichte aus Venezuela schließlich ein Roman über eine Flucht aus dem Konzentrationslager Buchenwald. Unter den Lagerinsassen sind auch französische Deportierte. Der Autor Grégory Cingal hat über zwanzig Jahren als Archivar in der Bibliothèque littéraire Jacques Doucet gearbeitet (die der Literatur seit dem 19. Jahrhundert gewidmet ist). Nach den ersten beiden, autobiographisch inspirierten Romanen geht dieser Text bei Grasset auf umfassende historische Recherchen zurück, man kann wohl sagen, dass hier den Akteuren einer Flucht aus dem KZ im Sommer 1944 ein Denkmal gesetzt wird, neben seiner dokumentarischen Nüchternheit ist die Fluchtdarstellung in spannungsgeladenen thrillerartigen Teilen geschrieben. Der Anlass dieser Flucht ist im Titel angedeutet, die „Liste“ verzeichnet die nächsten zu Exekutierenden. Cingal lässt u.a. die Spionin Noor Inayat Khan, den Schriftsteller Jorge Semprún und den Arzt Josef Mengele im Buch auftreten. Das Motto von Jorge Luis Borges zeigt die Gegenläufigkeit von Zukunft und Vergangenheit vor, als Schicksal der Figuren und poetologisches Prinzip des Romans.

Le capitaine Ding-Schuler est un jeune médecin dévoré d’ambition. Un bâtard poussé par une soif inextinguible de reconnaissance, entré dans la SS par arrivisme plutôt que par fanatisme. Fils illégitime du baron von Schuler, il court après son patronyme nobiliaire comme il court après la gloire médicale. Il a déposé un recours pour ne plus porter le nom de cloche de son père adoptif, mais les démarches sont interminables. Il signe Doktor Ding, parfois Ding-Schuler, et devra encore patienter deux ans avant de pouvoir signer Schuler (mais sans le von). À l’école, ses petits camarades le surnommaient ding-dong. Ding en allemand signifie truc, bidule, machin.

Élégant, affable, bien noté par ses supérieurs, le docteur Machin a pour seul bagage un poste de médecin auxiliaire en milieu concentrationnaire. Or le voilà propulsé, à vingt-neuf ans seulement, à la tête du Centre expérimental sur le typhus et les virus du camp de Buchenwald.

Grégory Cingal, Les derniers sur la liste, I, 1.

Hauptmann Ding-Schuler ist ein junger Arzt, der von Ehrgeiz zerfressen ist. Er ist ein Bastard, der von einem unstillbaren Durst nach Anerkennung getrieben wird und der eher aus Arroganz als aus Fanatismus in die SS eingetreten ist. Als unehelicher Sohn des Barons von Schuler jagt er seinem Adelsnamen ebenso nach wie dem Ruhm als Arzt. Er hat eine Klage eingereicht, um nicht mehr den Glockennamen seines Adoptivvaters tragen zu müssen, aber die Verfahren ziehen sich endlos hin. Er unterschreibt Doktor Ding, manchmal Ding-Schuler, und muss sich noch zwei Jahre gedulden, bevor er Schuler unterschreiben darf (allerdings ohne das von). In der Schule wurde er von seinen Mitschülern Ding-Dong genannt. Ding bedeutet auf Deutsch Ding, Dings, Dingsda.

Der elegante, freundliche und von seinen Vorgesetzten gut bewertete Dr. Dingsda hat als einziges Gepäckstück eine Stelle als Hilfsarzt in einem Konzentrationslager. Mit nur 29 Jahren wurde er zum Leiter des Typhus- und Viruszentrums im Lager Buchenwald befördert.

Grob kann man die neun Teile so gliedern: Ein erster Teil konzentriert sich auf die erfolglose, brutale Figur des Nazi-Arztes Erwin Ding-Schuler, der in Experimenten mit den Insassen ein Typhus-Impfmittel entwickeln möchte. Dies ist auch Anlass, die Lagerbürokratie, Zwangsarbeit, bittere Kälte und Nahrungsmangel für die Insassen zu zeigen. Der Block der Offiziere der Alliierten und ihre politischen Spannungen und internen Überlebensstrategien bilden den zweiten Teil. Die schon hier in der reduzierten Kommunikation deutliche Solidarität in der Bedrohungssituation wird im dritten Teil intensiviert, der drohende todbringende Transport steigert die Verzweiflung unter den Häftlingen. Aus diesem Kollektiv tritt nun Yéo hervor, der hier vor einem moralischen Dilemma steht, denn die Rettung weniger Menschen bei einer Flucht bedeutet das sichere Todesurteil für viele.

Yéo avait remis une liste complémentaire lorsqu’il avait désigné Harry et Stéphane pour l’accompagner au Block 46. Au cas où l’on pourrait en cacher d’autres, au block des cobayes ou ailleurs. Balachowsky lui avait promis qu’il en tiendrait compte. Il avait compris que c’était une manière pour Yéo de se décharger du choix terrifiant auquel il avait été acculé. En tête de cette liste figurait Henri Frager. Peut-être parce que parmi les Français du groupe, il avait longuement hésité entre lui et Stéphane. Entre un père de famille de quatre enfants et un jeune homme de vingt-six ans. Stéphane l’a-t-il su après coup ? Lorsqu’il évoquera le sentiment de culpabilité qui l’étreint toujours, cinquante ans après, d’avoir été sauvé à la place d’un autre, c’est le nom d’Henri Frager qui viendra sous sa plume.

Grégory Cingal, Les derniers sur la liste, V, 17.

Yéo hatte eine zusätzliche Liste abgegeben, als er Harry und Stéphane dazu bestimmt hatte, ihn zu Block 46 zu begleiten. Für den Fall, dass noch mehr versteckt werden könnten, im Block mit den Versuchskaninchen oder anderswo. Balachowsky hatte ihm versprochen, dass er das berücksichtigen würde. Er verstand, dass dies Yéos Art war, die erschreckende Wahl, vor die er gestellt worden war, zu entlasten. An der Spitze dieser Liste stand Henri Frager. Vielleicht, weil er unter den Franzosen in der Gruppe lange zwischen ihm und Stéphane geschwankt hatte. Zwischen einem Familienvater mit vier Kindern und einem sechsundzwanzigjährigen jungen Mann. Hat Stéphane das im Nachhinein herausgefunden? Als er über die Schuldgefühle sprach, die ihn auch nach 50 Jahren noch umklammerten, weil er anstelle eines anderen gerettet worden war, kam ihm der Name Henri Frager in den Sinn.

Der Teil „Un miracle“ berichtet spannungsgeladen die Fluchtaktion. Die Lautsprecherdurchsagen im folgenden Teil stehen für das Kontrollsystem der Nazis, auch für die Entmenschlichung in der Lagerbürokratie. Teil VII kann als Analyse der Traumatisierung der Flüchtenden gelesen werden, eine Rückkehr in ein „normales“ Leben erscheint unmöglich: Harry Peulevé etwa stirbt jung und gebrochen, während Yéo nach dem Krieg ein leeres, von inneren Konflikten gezeichnetes Leben führt. Nur Stéphane Hessel, der ebenfalls an der Flucht beteiligt war, scheint diese schreckliche Erfahrung überstanden zu haben. Mit historischen Photographien in der Reinheit einer Schneelandschaft kulminiert Teil VIII, der persönliche Erinnerungen und Geschichtsdokument verknüpft.

Harry a d’abord piétiné les photos dispersées dans la neige, rageusement, une par une, puis il a pointé son revolver vers l’un des deux soldats, celui au front dégarni. Peut-être parce que ce front ample offrait une cible plus facile au cas où sa main aurait tremblé, une cible inratable à deux mètres de distance, il aurait pu fermer les yeux au moment d’appuyer sur la détente. Le soldat s’est laissé tomber sur les genoux en geignant. Harry lui a ordonné de se relever mais le soldat ne l’entendait pas. Il sanglotait bruyamment, le nez prostré dans la neige. Harry a attrapé l’un des ceinturons à terre. Il s’est mis à le fouetter de toutes ses forces, quatre fois, sur le dos, sur la nuque, sur ses mains enroulées autour de la tête. La boucle métallique du ceinturon était luisante de sang. Une flaque de framboises écrasées s’évasait lentement dans la neige. Harry s’est tourné vers l’autre soldat, figé de stupeur. Si celui-ci avait soutenu son regard, s’il avait décelé dans ce regard un soupçon de morgue, une lueur de défi, il l’aurait abattu séance tenante. Il aurait achevé son acolyte gisant à terre, puis il se serait tué dans la foulée. Trois balles, trois têtes éclatées dans la neige. Les Américains de l’autre côté du bois n’auraient pas cherché à comprendre, ils n’auraient pas perdu leur temps à reconstituer la scène, ils les auraient laissés pourrir là, dans le bois, ou bien ils les auraient embarqués dans un camion à demi rempli d’autres cadavres gelés.

Grégory Cingal, Les derniers sur la liste, VIII, 17.

Harry trat zuerst wütend auf die im Schnee verstreuten Fotos ein, eines nach dem anderen, dann richtete er seinen Revolver auf einen der beiden Soldaten, den mit der schütteren Stirn. Vielleicht, weil diese breite Stirn ein leichteres Ziel bot, falls seine Hand zitterte, ein unfehlbares Ziel aus zwei Metern Entfernung, hätte er die Augen schließen können, als er abdrückte. Der Soldat ließ sich wimmernd auf die Knie fallen. Harry befahl ihm, aufzustehen, aber der Soldat konnte ihn nicht hören. Er schluchzte laut auf und steckte seine Nase protestierend in den Schnee. Harry schnappte sich einen der am Boden liegenden Gürtel. Er begann, ihn mit aller Kraft zu peitschen, viermal, auf den Rücken, in den Nacken, auf seine um den Kopf geschlungenen Hände. Die Metallschnalle des Gürtels glänzte von Blut. Eine Pfütze aus zerquetschten Himbeeren breitete sich langsam im Schnee aus. Harry drehte sich zu dem anderen Soldaten um, der vor Schreck erstarrt war. Wenn dieser seinem Blick standgehalten hätte, wenn er in diesem Blick einen Hauch von Verachtung, einen Schimmer von Herausforderung entdeckt hätte, hätte er ihn sofort niedergeschossen. Er hätte seinen am Boden liegenden Kumpanen erledigt und sich dann selbst getötet. Drei Kugeln, drei Köpfe, die im Schnee zerschmettert wurden. Die Amerikaner auf der anderen Seite des Waldes hätten nicht versucht zu verstehen, sie hätten keine Zeit damit verschwendet, die Szene zu rekonstruieren, sie hätten sie dort im Wald verrotten lassen oder sie auf einen Lastwagen geladen, der halb mit anderen erfrorenen Leichen gefüllt war.

Tiefere Überlegungen über die Auswirkungen der Lagerhaft beschließen den Roman, der sich auf eine Vielzahl historischer Quellen stützt, darunter die Berichte von Zeitzeugen wie Stéphane Hessel und Alfred Balachowsky, außerdem Archivmaterial aus Buchenwald und verschiedene historische Darstellungen wie Sisyphe heureux von Thierry Neuville. Der Erzählstil von Les derniers sur la liste ist nüchtern, fast klinisch, was die Schrecken des Lagers umso intensiver wirken lässt. Dass die Flucht gelingt, liegt an der verdeckten Hilfe des Entomologen Alfred Balachowsky, Mitglied des französischen Widerstands, und von Eugen Kogon, dem katholischen Soziologen, der Überzeugungsarbeit bei einigen Nazis leistet, indem er ihnen Fürsprache anbietet bei der nahenden Befreihung durch die Allierten.

Un professeur de l’Institut Pasteur témoigna à Nuremberg. Sur un ton neutre, objectif, dépourvu de toute passion, il exposa les conditions inhumaines dans lesquelles il avait survécu à Dora. Jamais je n’oublierai cet homme triste et brisé par une telle barbarie, dont l’accusation dénuée de haine continue à me poursuivre.

L’auteur de ces lignes est Albert Speer, architecte raffiné et cultivé, chouchou du Führer, ministre de la Production industrielle du Reich. L’un des rares, parmi les vingt et un salopards du banc des accusés, à avoir échappé à la corde. Et pourtant, sans lui, le régime se serait écroulé six mois plus tôt. Sans son génie d’organisateur, jamais Hitler n’aurait pu poursuivre sa démente guerre à outrance. Sans son énergie hors norme de bâtisseur d’usines souterraines, des milliers d’esclaves auraient eu la vie sauve. Bien plus coupable, en somme, qu’un Keitel, un Jodl, un Göring, maréchaux fantoches de fin de règne. S’il sauva sa tête, c’est parce qu’il préféra le costume-cravate à l’uniforme. Les méchants, ce sont les brutes galonnées à képi, pas les ingénieurs aux lunettes d’écaille. Encore moins les médecins drapés dans leurs blouses d’oies blanches.

Grégory Cingal, Les derniers sur la liste, IX, 13.

Ein Professor des Institut Pasteur sagte in Nürnberg als Zeuge aus. In einem neutralen, objektiven und leidenschaftslosen Ton schilderte er die unmenschlichen Bedingungen, unter denen er in Dora überlebt hatte. Nie werde ich diesen traurigen und durch eine solche Barbarei gebrochenen Mann vergessen, dessen hasslose Anklage mich immer noch verfolgt.

Der Verfasser dieser Zeilen ist Albert Speer, ein raffinierter und gebildeter Architekt, Liebling des Führers und Minister für industrielle Produktion des Deutschen Reiches. Er war einer der wenigen unter den einundzwanzig Dreckskerlen auf der Anklagebank, die dem Strick entgingen. Und doch wäre das Regime ohne ihn schon sechs Monate früher zusammengebrochen. Ohne sein organisatorisches Genie hätte Hitler niemals seinen wahnsinnigen Krieg bis zum Äußersten fortsetzen können. Ohne seine außergewöhnliche Energie als Erbauer von unterirdischen Fabriken wären Tausende von Sklaven am Leben geblieben. Er war viel schuldiger als ein Keitel, ein Jodl oder ein Göring, die als Marionettenmarschälle am Ende der Herrschaft standen. Wenn er seinen Kopf rettete, dann nur, weil er Anzug und Krawatte der Uniform vorzog. Die Bösen sind die galonierten Brutalos mit Käppi, nicht die Ingenieure mit Hornbrillen. Noch weniger die Ärzte, die in ihre gänseartig weißen Kitteln eingehüllt sind.

Kai Nonnenmacher

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