Die Nebelkammern des Eric Chevillard

Ce brouillard, il va le couper au couteau. Il veut décidément savoir ce qu’il y a dedans.

Éric Chevillard, Commentaire autorisé sur l’état de squelette (Fata Morgana, 2007).

Diesen Nebel wird er mit dem Messer durchschneiden. Er will unbedingt wissen, was sich darin befindet.

A. Le brouillard est si épais qu’il nous dérobe la vue des arbres voisins.
B. Il est vrai ; mais si ce brouillard, qui ne reste dans la partie inférieure de l’atmosphère que parce qu’elle est suffisamment chargée d’humidité, retombe sur la terre ?
A. Mais si au contraire il traverse l’éponge, s’élève et gagne la région supérieure où l’air est moins dense, et peut, comme disent les chimistes, n’être pas saturé ?
B. Il faut attendre.
A. En attendant, que faites-vous ?
B. Je lis.

Denis Diderot, Supplément au voyage de Bougainville.

A. Der Nebel ist so dicht, dass er uns die Sicht auf die benachbarten Bäume verwehrt.
B. Das stimmt; aber was ist, wenn dieser Nebel, der nur deshalb im unteren Teil der Atmosphäre verbleibt, weil dort genügend Feuchtigkeit vorhanden ist, wieder auf die Erde fällt?
A. Wenn er aber stattdessen die feuchte Schicht durchdringt, aufsteigt und in die obere Region gelangt, wo die Luft weniger dicht und – wie die Chemiker sagen – nicht gesättigt ist?
B. Dann muss man warten.
A. Was tun Sie unterdessen?
B. Ich lese.

Nur die Tiefe nebelt, nicht der Berg.

Jean Paul, Politische Fastenpredigten während Deutschlands Marterwoche.

Fabrice Gabriel nannte ihn einmal den schelmischen Nachkommen von Sterne, Diderot, Nabokov und Michaux 1: Eric Chevillard hat in der hohen Zeit akademischer Forschungen über postmodernes Erzählen begonnen, sein Werk Buch um Buch auszubauen, etwa 2003 mit einer Version des tapferen Schneiderleins der Gebrüder Grimm, welche sich lange Abschweifungen gestattet wie beim Humoristen Jean Paul. Autor wie fiktive Leserin gehen reflektierend in diesen Text ein und machen aus der Heldentat des Schneiders – die ja nicht wirklich eine war – einen spielerischen Text mit ernster Grundierung, denn über die Digression werden durchaus auch „Angst, Mut, Folter“ mit reflektiert. 2 Etwaigen Versuchen der Fixierung entzieht sich hier wie in Chevillards anderen Büchern der Nebel:

J’avais trouvé une parfaite définition du brouillard, je l’ai perdue.

Eric Chevillard, Le vaillant petit tailleur (2003).

Ich hatte eine perfekte Definition von Nebel gefunden, ich hab sie verloren.

Zugleich, und hier liegt die Doppeldeutigkeit des Bildes bei Chevillard, macht die Unschärfe, das nicht Form-Gewordene Spuren des Subjekts sichtbar, in einer nicht fixierbaren Suche nach sich selbst, auch nach der eigenen Vergangenheit:

Mon auréole était en papier découpé. Mon âme est restée grise et vague. On ne voit qu’elle dans le brouillard. Distinguez-vous à travers celui-ci ma silhouette confuse, inquiétante, toujours en quête d’un enfant joufflu ?

Eric Chevillard, Le vaillant petit tailleur (2003).

Mein Heiligenschein war aus Papier geschnitten. Meine Seele blieb grau und vage. Man sieht nur sie im Nebel. Kann man durch den Nebel meine verwirrte, unheimliche Silhouette erkennen, die immer auf der Suche nach einem pausbäckigen Kind ist?

Literarisches Spiel und tödlicher Ernst liegen in solchen Schreibweisen dicht beieinander: Der Name von Prosper „Brouillon“ – der gemeinsame Wurzeln mit „brouillard“ hat – bedeutet nicht umsonst „Entwurf“, und Prosper à l’oeuvre wird als ein Roman-Puzzle entworfen, das nochmal die Avantgarde-Metapher anspricht, das nicht mit der Rahmensetzung der Frontlinie beginnen will, aber den Nebel zugleich als Giftgas historisiert.

Ces phrases qui montent en lui, ces mots déjà solidement encordés – car c’est encore lui qui parle le mieux de son art –, s’avancent en éclaireurs ; le roman va se cristalliser autour d’eux. Des éléments d’intrigue se mettent en place. Prosper Brouillon n’est pas de ceux qui commencent par les bords droits du puzzle. Il s’attaque d’abord au ciel nébuleux, au fond de brouillard et de broussailles de son roman, ce qu’il appelle plus volontiers l’atmosphère et que les poilus de la Grande Guerre connaissaient sous le nom de gaz moutarde.

Eric Chevillard, Prosper à l’oeuvre (2019).

Diese Sätze, die in ihm aufsteigen, diese Worte, die bereits fest angeseilt sind – denn er spricht immer noch am besten über seine Kunst –, gehen als Späher voran; der Roman wird sich um sie herum kristallisieren. Die Handlungselemente nehmen ihren Lauf. Prosper Brouillon gehört nicht zu denjenigen, die mit den geraden Kanten des Puzzles beginnen. Er beginnt mit dem nebligen Himmel, dem Hintergrund aus Nebel und Gestrüpp seines Romans, den er eher als Atmosphäre bezeichnet und den die Poilus des Ersten Weltkriegs als Senfgas kannten.

Ein aktuelleres Beispiel: In den ersten drei Wochen des französischen Covid-Lockdowns 2020 schrieb Eric Chevillard auf Bitte von Le Monde eine tägliche Zeitungsrubrik als Chronik dieser Form des social distancing, später publiziert als Sine die, darin erzählt der Autor unter anderem von zahlreichen Menschen, die tot aufgefunden wurden, an schierer Langeweile gestorben, mangels Kontakt war ja gar keine Übertragung möglich, aber die Forscher entwickeln schon eine Waffe gegen diese Pandemie: die Wunderumarmung. Nebel steht hierbei für Wirklichkeits- und Bedeutungsverlust, der zugleich eine Sprachkrise der aufgelösten Gegenwart und eine Form des Todes bewirke:

Toutes ces personnes, donc, seraient mortes d’ennui. Tout à coup, leur esprit et leur corps dissociés n’avaient plus trouvé de prise, plus d’appui. Le réel dans un brouillard fuyant se dérobait à toute appréhension. La forme des choses se perdait en même temps que leur signification. Le langage ne nommait plus rien que des événements du passé, des évidences révolues. Alors avait commencé pour ces malheureux une chute immobile dans le néant des heures. Ou, plutôt qu’une chute, sans doute, une sorte d’ascension ou d’essor catastrophique, un arrachement de soi à soi, et bientôt, comme s’ils quittaient notre atmosphère, l’air leur manqua et, sans un spasme, sans un râle, imperceptiblement mais inexorablement, ils étaient morts.

Eric Chevillard, Sine die: chronique du confinement (19 mars – 12 mai 2020), 4 mai.

All diese Menschen würden also an Langeweile sterben. Plötzlich hatten ihr dissoziierter Geist und Körper keinen Halt, keine Stütze mehr gefunden. Die Wirklichkeit in einem flüchtigen Nebel entzog sich der Wahrnehmung. Die Form der Dinge ging zusammen mit ihrer Bedeutung verloren. Die Sprache benannte nichts anderes mehr als Ereignisse der Vergangenheit, längst vergangene Selbstverständlichkeiten. Für diese unglücklichen Menschen begann ein unbeweglicher Fall in das Nichts der Stunden. Oder, wohl eher als ein Sturz, eine Art katastrophaler Aufstieg oder Aufschwung, ein Reißen von sich aus sich selbst, und bald, als würden sie unsere Atmosphäre verlassen, ging ihnen die Luft aus und ohne Krampf oder Röcheln, unmerklich, aber unaufhaltsam, waren sie bald tot.

Auch als Kritiker für Le Monde reflektiert Chevillard auf den Nebel, der einen Roman überwabert, ohne dass der Autor eingriffe, um in der Verdichtung Sinn zu erzeugen:

Le lecteur fait lui-même l’expérience pénible de cette vacuité. Il appelle de ses vœux l’intervention rapide d’un écrivain qui donnerait un peu de sens et de densité à ce livre. Il l’attendra vainement jusqu’au bout. Une colère affleure pourtant dans ces pages, mais jamais elle ne s’incarne. Ce couteau sans lame auquel manque le manche n’était sans doute pas l’outil idéal pour couper le brouillard qui gagne peu à peu et recouvre finalement le roman de part en part.

Eric Chevillard, “Le feuilleton. Un roman extralittéraire”, Le Monde, 29. Dezember 2015.

Der Leser macht selbst die schmerzhafte Erfahrung dieser Leere. Er hofft sehnlichst auf schnelles Eingreifen eines Schriftstellers, der diesem Buch ein wenig Sinn und Dichte verleiht. Er wartet bis zum Schluss vergeblich auf ihn. Auf diesen Seiten schwingt eine Wut mit, die sich jedoch nie verkörpert. Dieses Messer ohne Klinge, dem der Griff fehlt, war wahrscheinlich nicht das ideale Werkzeug, um den Nebel zu durchtrennen, der sich nach und nach ausbreitet und schließlich den ganzen Roman überzieht.

Als das renommierte Verlagshaus Minuit 2021 von Gallimard geschluckt wurde, verweigerte sich der Autor Eric Chevillard im Nouvel Observateur der Vereinnahmung in eine Gruppe der Minuit-Autoren, Gérald Froidevaux war ähnlich verwundert und spitzte schon in den 90er Jahren zu: „Erstaunlicherweise zählt man Chevillard zu den „Minimalisten“ unter den neuen französischen Romanciers, obwohl sein Anliegen, die Wirklichkeit durch ein sprachliches Konstrukt zu ersetzen, eher ein maximalistisches Vorhaben darstellt.“ 3 Chevillards Antwort wählt den Eisnebel als Bild für ein solches minimalistisches Schreiben:

Je m’inscris en faux contre l’idée selon laquelle nous formerions un groupe cohérent d’écrivains partageant les mêmes principes d’écriture. Je me sens parfois même un peu seul dans mon genre. Et je cherche en vain parmi les auteurs des Editions de Minuit ces adeptes de la phrase blanche, froide et sans matière que nous serions tous, à en croire quelques critiques. Est-ce que ce brouillard glacé n’émanerait pas plutôt des yeux morts de ceux qui s’y égarent ?

Eric Chevillard 4

Ich wehre mich gegen die Vorstellung, dass wir eine kohärente Gruppe von Schriftstellern bilden, die dieselben Schreibprinzipien teilen. Manchmal fühle ich mich in meinem Genre sogar ein wenig einsam. Und ich suche unter den Autoren der Editions de Minuit vergeblich nach den Anhängern des weißen, kalten und stofflosen Satzes, die wir alle sein sollen, wenn man einigen Kritikern glauben darf. Kommt dieser eisige Nebel nicht vielmehr aus den toten Augen derer, die sich darin verirren?

Der Nebel durchwabert die Bücher von Chevillard nicht erst im jüngsten Buch mit der titelgebenden Nebelkammer, La chambre à brouillard (Minuit, 2023), etwa bereits schon im Titel von La nébuleuse du Crab benannt.

Comment devient-on fou? Car ce n’est pas si simple. L’esprit qui s’y applique ne conçoit que des méthodes, or toute méthode se propose finalement de réglementer la circulation des astres. Crab devra-t-il faire la dépense d’un trépan? d’autres outils encore? des tenailles? une râpe? Ou peut-il s’en remettre entièrement à sa seule force de concentration – jusqu’à griller ses lumières par excès de tension? Conscience dure et trop lucide, étoile fine, pointue, piquante, perçante, pénétrante, qui coud la nuit sur le jour – désintégrée tout à coup, explosée, répandue, apaisée: naissance d’une nébuleuse.

Eric Chevillard, La nébuleuse du Crab (1993).

Wie wird man verrückt? Das ist nicht so einfach. Der Geist, der sich damit befasst, denkt nur an Methoden, und jede Methode zielt letztlich darauf ab, den Lauf der Gestirne zu regeln. Muss Crab einen Bohrer kaufen oder andere Werkzeuge, eine Zange oder eine Reibe? Oder kann er sich ganz auf seine Konzentrationskraft verlassen – bis ihm die Lichter ausgehen, weil er sich zu sehr anstrengt? Ein hartes und allzu klares Bewusstsein, ein dünner, spitzer, scharfer, durchdringender Stern, der die Nacht an den Tag näht – plötzlich zerfallen, explodieren, sich ausbreiten, beruhigen: die Geburt eines Nebels.

Später im Buch wird die Titelfigur als nicht am Leben, aber auch als wohl nicht tot beschrieben, Crab würde ein Skalpell benötigen, um den eigenen Zustand zu bestimmen. Auch hier wird dieses diffuse Gefühl „nebulös“ genannt. Jean-Baptiste Harang schrieb damals in seiner Besprechung des fünften Romans von Chevillard in Libération: „In der Astronomie ist ein Nebel ein Himmelskörper, dessen Konturen nicht scharf sind, und die Konturen von Krabs Körper werden immer unschärfer, seine Gliedmaßen unbeständig und seine Sinne zufällig.“ 5 Crab lässt Sätze hinter sich zurück, eine schwache Spur, wie es im Buch heißt, aber er ist es ja leid, Fußabdrücke zu hinterlassen.

Die Nebelkammer ist demgegenüber ein Instrument, Unsichtbares zu zeigen, Spuren eine flüchtige Form zu verleihen, die wieder zerfällt. 1911/12 von Wilson entwickelt, macht dieser Detektor atomare Teilchen als Kondensstreifen sichtbar, wenn sie hindurchgehen, und so wurden tatsächlich damals Bestandteile der kosmischen Strahlung mit Hilfe der Nebelkammer entdeckt, Positron und Myon. Heute ist das Gerät nur noch von historischem Interesse, aber was kann eine Nebelkammer poetologisch zum Verständnis von Chevillards Werk beitragen? Zunächst ist festzuhalten, dass die Nebelkammer nur einmal im Titel und im Text auftaucht. Enttäuschend, wenn man einen Roman wie Le Principe von Jérôme Ferrari erwarten würde, der Teilchenphysik in Romanform brachte und Werner Heisenbergs Schaffen literarisierte, „wie in einem Teilchenbeschleuniger die wissenschaftlichen, politischen, philosophischen, existenziellen Leuchtspuren aufblitzen“ 6 ließ. Isabelle Bernards Analyse des Romans hatte auch die Rolle der Nebelkammer darin präzisiert: „Die vierteilige Komposition des Romans greift diese wesentlichen Daten bei der Beschreibung subatomarer Teilchen auf. So bilden „Positionen“, „Geschwindigkeit“, „Energie“ und „Zeit“ die Überschriften der Textausschnitte, die die Eckpunkte von Heisenbergs Schicksal von 1922 bis 1945 nachzeichnen; der Teil „Positionen“ (LP : 9-56) gliedert sich in vier Sequenzen: „Position 1: Helgoland“ (11-19); „Position 2: Außerhalb des Hauses, auf einem Trümmerfeld“ (21-32); „Position 3: In der Nebelkammer“ (33-41) und „Position 4: Zwischen dem Möglichen und dem Wirklichen“ (43-56). Die Existenz des Wissenschaftlers wird durch das gleiche Prisma betrachtet wie ein Teilchen in einer Nebelkammer, in der die Flugbahn von Elektronen beobachtet werden soll. In der gesamten biografischen Erzählung findet der Leser nur Positionen, d. h. Höhepunkte und Stimmungen, nicht aber ein vorhersehbares oder logisches Schicksal im Chaos des Jahrhunderts. Auf diese Weise metabolisiert das Wissen den biofiktionalen Roman.“ 7 Matthias Hennigs eher kritisch gehaltene Rezension konzediert, dass der Romantitel Le Principe „jene Unschärfe ins Zentrum rückt, die mit Heisenbergs quantenmechanischer Entdeckung geläufige Kategorien wie Objektivität und Subjektivität physikalisch radikal infrage stellte. Das Prinzip der Unschärfe war es, das die innere Struktur der Materie als etwas nicht exakt Messbares und damit genuin Unbestimmbares bestimmte.“ 8

Mais il faut bien s’éloigner de son père pour se retrouver seul et désemparé, devant la chambre à brouillard de Wilson, avec des yeux d’orphelin fixés sur la trajectoire qui ne devrait pas exister.
C’est là que vous reveniez sans cesse, il était impossible de fuir, le goût indigeste de la réalité vous donnait la nausée et même la pensée que, de ce point de vue, Schrödinger, avec ses ondes stupides, n’était pas plus capable que vous ne l’étiez d’expliquer un phénomène aussi simple ne vous apportait aucune consolation.
Mais Dieu qui, en l’absence de Bohr, se souvenait de sa miséricorde, vous a laissé une nouvelle fois regarder par-dessus son épaule. Et vous avez compris.
Dans la chambre à brouillard, on n’observait pas, et on n’avait en vérité jamais observé, la trajectoire d’un électron. On y voyait seulement les traces ponctuelles des gouttes de condensation, rien de plus, et c’est l’esprit humain qui, victime d’une routine plusieurs fois millénaire, reliait ces traces entre elles en une illusion de trajectoire continue, comme les enfants relient soigneusement les points numérotés dans leurs cahiers de dessin pour y faire apparaître des sorcières, des dragons et des chimères.
Il vous fallait encore apprendre à voir au-delà des évidences, vous dépouiller de toutes les habitudes qui vous retenaient prisonnier : quelque part, perdu dans l’immensité cosmique de la gouttelette, se trouvait l’électron. Il était impossible de dire où il se situait exactement. Un peu plus loin, il signalait à nouveau sa position approximative mais il n’était au fond même pas permis de penser que c’était le même objet qui laissait dans le brouillard les traces de son passage. Il n’y avait qu’une suite d’événements singuliers, l’éclair d’existences furtives illuminant la nuit avant de s’éteindre. Et c’était tout. Vous aviez vu. Il ne restait plus rien à voir. Pas de permanence. Pas de continuité. Aucune trajectoire – mais une armée de spectres exsangues qui traversaient la chambre de Wilson à une vitesse indéterminée, en s’incarnant vaguement pour imprimer dans la brume l’empreinte de leurs contours flous.
Et tel est le principe.

Jérôme Ferrari, Le Principe (2015).

Aber man muss sich von seinem Vater entfernen, um sich allein und hilflos vor Wilsons Nebelkammer wiederzufinden, mit den Augen eines Waisenkindes auf den Pfad gerichtet, der nicht existieren sollte.
Dorthin kehrten Sie immer wieder zurück, es gab kein Entkommen, der unverdauliche Geschmack der Realität verursachte Ihnen Übelkeit und selbst der Gedanke, dass Schrödinger mit seinen dummen Wellen in dieser Hinsicht genauso wenig in der Lage war, ein so einfaches Phänomen zu erklären, wie Sie es waren, bot Ihnen keinen Trost.
Aber Gott, der sich in Bohrs Abwesenheit an seine Barmherzigkeit erinnerte, ließ Sie noch einmal über seine Schulter schauen. Und Sie verstanden.
In der Nebelkammer wurde die Flugbahn eines Elektrons nicht beobachtet und wurde in Wahrheit nie beobachtet. Man sah nur die punktuellen Spuren der Kondensationstropfen, mehr nicht, und es war der menschliche Geist, der, als Opfer einer tausendjährigen Routine, diese Spuren miteinander zu einer Illusion einer kontinuierlichen Flugbahn verband, so wie Kinder die nummerierten Punkte in ihren Zeichenheften sorgfältig verbinden, um Hexen, Drachen und Chimären erscheinen zu lassen.
Sie mussten noch lernen, hinter das Offensichtliche zu blicken, alle Gewohnheiten ablegen, die Sie gefangen hielten: Irgendwo, verloren in der kosmischen Unendlichkeit des Tröpfchens, befand sich das Elektron. Es war unmöglich zu sagen, wo genau es sich befand. Etwas weiter entfernt meldete es erneut seinen ungefähren Standort, aber es war nicht einmal möglich zu glauben, dass es das gleiche Objekt war, das im Nebel die Spuren seiner Passage hinterließ. Es gab nur eine Reihe von Einzelereignissen, das Aufleuchten von flüchtigen Existenzen, die die Nacht erhellten, bevor sie erloschen. Und das war alles. Sie hatten gesehen. Es gab nichts mehr zu sehen. Keine Beständigkeit. Keine Kontinuität. Kein Weg – sondern eine Armee von blutleeren Gespenstern, die mit unbestimmter Geschwindigkeit durch Wilsons Zimmer liefen und sich vage verkörperten, um ihre verschwommenen Umrisse in den Nebel zu drücken.
Und das ist das Prinzip.

Während Ferrari eine Art biographische Wissenschaftsfiktion schreibt, die die Funktion der Nebelkammer ästhetisiert, liefert Chevillard zugleich weniger und mehr, er benötigt kein distanziertes „vous“/„Sie“ gegenüber dem Wissenschaftler, sondern erzählt präzise aus der Unschärfe heraus als „je“. Die Nebelkammer ist nur für den Ich-Erzähler von Interesse, um im Halbdunkel besser wahrnehmen zu können, er ist auf der Suche nach einem selbst herzustellenden Instrumentarium, das sich für seine Erzählung eignet. Im vorausgegangenen Roman Monotobio, wobei der Titel wie „mon autobio“ klingt, fragt sich der Ich-Erzähler, wie er selbst wohl zustande gekommen sei unter den Bettdecken im katholischen Ehebett der Eltern bzw. Großeltern. Und an dieser Stelle wird Die Nebelkammer bereits angekündigt, zugleich zurückgenommen. Die aufgeworfenen Fragen der Existenz, der Ursachen und Folgen der eigenen Handlungen, der kontingenten Ereignisse, verbinden sich mit der Reihenfolge des Schreibens und Publizierens:

Était-ce plutôt, après une relecture consternée, pour que je renonce à publier La Chambre à brouillard ? Il m’avait pourtant fallu l’écrire avant. Dès lors, n’était-il pas absurde d’imaginer que j’avais été appelé à naître afin que ce manuscrit ne voie jamais le jour ? Il est vrai que nul autre que moi ne changea les housses élimées des deux fauteuils du bureau, mais j’avais largement contribué par mes travaux et lectures insatiables à en user la trame. Serait-ce à dire que nous ne naissons que pour réparer les torts que nous infligeons au monde en naissant ? Et pour guérir aussi bien alors des rhumes que nous contractons ? Je frottai sous mes narines encombrées un coton imprégné d’huile essentielle de menthe poivrée. Puis j’éternuai, car certains de nos actes demeurent sans effet. Certains autres seraient-ils sans cause ? Des faits isolés peuvent-ils malgré tout se produire ? Peut-être, mais ce sont des instants où l’on meurt, puisque nul ne va s’installer et prospérer sur la météorite qu’il reçoit sur le crâne, n’est-ce pas ?

Eric Chevillard, Monotobio (2020).

War es eher so, dass ich nach einer bestürzten Lektüre darauf verzichtete, Die Nebelkammer zu veröffentlichen? Ich hätte es doch vorher schreiben müssen. War es da nicht absurd anzunehmen, dass ich geboren worden war, damit dieses Manuskript nie das Licht der Welt erblicken würde? Es stimmt, dass niemand außer mir die abgenutzten Bezüge der beiden Sessel im Arbeitszimmer austauschte, aber ich hatte durch meine Arbeit und meine unersättliche Lektüre viel dazu beigetragen, dass sich das Gewebe abnutzte. Ist es so, dass wir nur geboren werden, um das Unrecht, das wir der Welt bei unserer Geburt zufügen, wieder gut zu machen? Und um die Erkältungen zu heilen, die wir bekommen? Ich rieb mir einen Wattebausch, der mit Pfefferminzöl getränkt war, in die verstopften Nasenlöcher. Dann nieste ich, denn einige unserer Handlungen bleiben ohne Wirkung. Sind einige andere ohne Ursache? Können einzelne Ereignisse trotzdem geschehen? Vielleicht, aber das sind Momente, in denen man stirbt, denn niemand wird sich auf dem Meteoriten, der ihm auf den Kopf fällt, niederlassen und gedeihen, oder?

La chambre à brouillard ist dreigeteilt, der Anfang überrascht zunächst vielleicht den mit Chevillard vertrauten Leser, wie in einer traditionellen Gaunergeschichte übergibt hier in einem Rückblick um 30 Jahre der Taschendieb Oleg dem Erzähler die Beute, verfolgt von Polizisten, bis der Roman seinen Zerfall durchspielt, wie Pierre Maurys Rezension unterstreicht: „Denn all das ist sehr mysteriös – der Nebel im Titel war nicht zufällig da, das wurde angedeutet. Eine seltsame Kreatur, deren Spezies um so weniger präzisiert wird, als sie sich im Laufe der Zeit zu verändern scheint, taucht auf. Sie wurde dem Erzähler anvertraut, der sie zu seinem „Sujet“ gemacht hat. Studienobjekt, ein Sujet, über das er im Prinzip die Macht eines Herren hat, aber hat man vergessen, dass die Beziehung zwischen Herr und Diener, auch wenn dieses Wesen nicht arbeitet, oft komplexer ist, als man erwartet hatte? Je mehr der Erzähler glaubt, es zu kennen, desto mehr entzieht es sich dem Verständnis. Es verschwindet, gibt nichts über seine wahren Bedürfnisse preis, entzieht sich jeder endgültigen Definition, schwillt an und schrumpft wieder, hat eine verdächtige Beziehung zu Nine, die es anfangs gar nicht mochte, kurzum, es bringt weit über den Keller hinaus, in dem es eigentlich festgehalten wird, alles durcheinander.“ 9

Chevillard ist sich bewusst, dass seine Schreibweise den Lesern einen Zugang auch verweigern kann. Für sie bildet sein Werk eine haltlose Rutschfläche und einen undurchdringlichen Nebel:

Certaines personnes ne comprennent rien à ce que j’écris, mais rien. Elles m’en font parfois la confidence – parmi elles, des embarrassées, bien honteuses même et qui en conçoivent une sorte de mésestime d’elles-mêmes qui bien évidemment me navre ; mais aussi, parmi elles, des offusquées, vaguement moqueuses ou méprisantes qui me prennent pour un prétentieux vain et fumeux, ce qui bien évidemment me navre. Pour toutes, ma phrase est telle : ×+×+×+×+×+×+×+×+×+×+×+×+×, si elle n’est carrément ×2+×2+×2+×2+×2+×2+×2+×2+×2+×2. Elles dérapent sur mes pages comme sur de la glace ou s’y égarent comme dans un brouillard. Leur intelligence peut être agile, par ailleurs, ce ne sont pas (toutes) de sombres brutes, mais cette fois rien à faire : pas d’entrée, pas de prise. À se demander si nous possédons le même cerveau, devant ce constat angoissant : nos têtes ne peuvent rien échanger que des hochements dépités et les bosses qui en résultent quand elles se cognent. Or les calculs et démonstrations mathématiques me laissent tout aussi sot et décontenancé que ces lecteurs face à mes propres spéculations. Une mouche bourdonne derrière mon front, mon regard s’opacifie, il se peut qu’un filet de bave s’écoule de ma bouche entrouverte.

Eric Chevillard, Le Désordre azerty (2014).

Es gibt Leute, die nichts von dem verstehen, was ich schreibe, aber auch gar nichts. Manchmal vertrauen sie mir das an – unter ihnen sind einige, die sich schämen, sich sogar schämen müssen und eine Art Selbstmissachtung empfinden, was mir natürlich sehr leid tut; aber unter ihnen sind auch einige, die beleidigt sind, sich über mich lustig machen oder mich verächtlich machen und mich für einen eitlen, eingebildeten Wichtigtuer halten, was mir natürlich auch leid tut. Für sie alle lautet mein Satz: ×+×+×+×+×+×+×+×+×+×+×+×+×, wenn nicht sogar ×2+×2+×2+×2+×2+×2+×2+×2+×2+×2. Sie rutschen auf meinen Seiten wie auf Eis oder verirren sich auf ihnen wie in einem Nebel. Ihre Intelligenz kann flink sein, und sie sind auch nicht (alle) finstere Rüpel, aber dieses Mal ist nichts zu machen: kein Zugang, kein Zugriff. Man fragt sich, ob wir das gleiche Gehirn haben, wenn man bedenkt, dass unsere Köpfe nichts austauschen können außer einem verdrossenen Nicken und den daraus resultierenden Beulen, wenn sie zusammenstoßen. Mathematische Berechnungen und Demonstrationen lassen mich genauso dumm und ratlos zurück wie diese Leser meine eigenen Spekulationen. Eine Fliege summt hinter meiner Stirn, mein Blick wird trübe und vielleicht läuft mir ein Rinnsal Schleim aus meinem halb geöffneten Mund.

Trotz dieser Schwierigkeiten des Zugangs gilt: Eric Chevillard ist in Frankreich ein viel kommentierter Gegenwartsautor, die Editions Minuit allein führen 24 seiner Werke auf 10, 12 Titel bei Fata Morgana 11, nicht gerechnet die 14 Bände L’Autofictif zwischen 2009 und 2022 und weitere Verlage. Zwei gewichtige französische Sammelbände über Chevillard etwa sind hier zu nennen. 12 Die Bibliographie der französischen Literaturwissenschaft von Klapp zeigt 304 Einträge zum Autor, darunter allerdings kaum ein deutscher Text. Niklas Bender wunderte sich bereits 2013, dass Chevillard ein „großer Unbekannter“ und „Geheimtipp“ 13 geblieben sei. Auch an Übersetzungen liegen ganze vier Werke vor, soweit ich sehe, Palafox und Le Caoutchouc décidément in den 1990er Jahren bei Residenz, La Nébuleuse du crabe und Le Vaillant Petit Tailleur bei Diaphanes aus den 2010er Jahren.

Der erste Teil von La chambre à brouillard beginnt medias in res: Oleg, der Gauner, hatte also dem zufällig anwesenden Erzähler seine Beute angedreht, ein Fall von Hehlerei oder Plagiat, wie Afeissa in seiner Rezension schreibt 14, er wertet das Buch als Wunderwerk, das im Werkkontext so originell wie zugleich chevillardesk sei: „Man muss nicht sehr weit lesen, um zu verstehen, dass das Subjekt des Buches in einer letzten reflexiven Schleife letztlich nichts anderes ist als er selbst, d. h. das beeindruckende Werk, das der Autor langsam und sicher aufgebaut hat und das mittlerweile rund 40 Bücher umfasst.“ 15 In den drei Teilen von La chambre à brouillard eröffnet sich mit dem zweiten Teil wieder ein zweiter Roman innerhalb des ersten. Vergleichbar Queneaus Variation derselben kleinen Episode in seinen Stilübungen nähert sich der Erzähler wiederholt der Geschichte aus dem kurzen ersten Teil. Er will eine literarisch elaborierte Travestie des banalen Stoffs versuchen. „Während Oleg selbst im zweiten Teil der Geschichte (dem längsten der drei Teile) völlig verschwindet, bleibt die Kriminalgeschichte, in deren Mittelpunkt er im ersten Teil steht, in sublimierter Form eine der wichtigsten diegetischen Triebfedern: Wie wir sehen werden, geht es nun nicht mehr darum, Oleg auf der Flucht zu stellen, sondern die Spur der Person zu finden, die geflohen ist, nachdem sie unglücklicherweise der Wachsamkeit des Erzählers entgangen ist. Wie zu erwarten war, ist es Oleg selbst, der im dritten Teil des Buches dem Erzähler zum zweiten Mal den Flüchtigen übergibt und damit seine Schuld endgültig begleicht.“ 16

Strahlung und Detektor: In einer poétique du flou, einer Unschärfe als Erzählprinzip, gleicht die Apparatur der Literatur, die der Humorist und autofiktionale Schriftsteller errichtet, dem Verhältnis von formlosem Nebel und Partikelspuren. Wie in Jean Pauls Leben des vergnügten Schulmeisterlein Maria Wutz in Auenthal der Schreiber die Bücher aus dem Leipziger Messekatalog, die er sich nicht leisten kann, einfach selbst schreibt, arbeitet auch Chevillard, indem er die Literaturwissenschaft einbezieht: „Chevillards Texte stellen die literarische Institution gerne in ihren Grundlagen und Nebenschauplätzen dar und amüsieren sich über ihre Ticks, Posen und Eigenheiten.“ 17 Dies gilt auch für das Verhältnis von Leben und Text: Für die Zeitschrift Fixxion hat der Autor in rhythmisierter Prosa Subjekt und Objekt des Schreibens in ein vertracktes Zeitverhältnis gesetzt. Die Blogform, die Chevillard seit Jahren wählt, hängt mit diesem Bild des zappelnden, frisch geangelten Fisches zusammen, hier eine annäherungsweise Übersetzung dieser freien Schreibweise:

Mes livres écrits j’accumule pour plus tard quand je serai grand vieux mes livres écrits il n’y aura qu’eux alors les lirai et saurai qui j’étais quand vivais ce que j’ai vécu quand étais comment la vie ai traversé dans quel corps et quel péril je fus ce que je fis et quand quel jour je fis cela pourquoi dans mes livres accumulés tout sera n’aurais fait que cela et c’est pourquoi je prends garde aujourd’hui à ce que j’écris puis de ne rien faire d’autre qui m’échapperait et ne serait conséquemment pas retenu par mes lignes de traîne dont chaque lettre est un hameçon courbe choisi pour se crocheter dans la lèvre de mes sourires rictus grimaces et me ferrer comme un poisson à chaque instant de ma vie tout frétillant dans le soleil mon dos argent mon ventre blanc mon œil extraordinairement gros si bien que ma tête est dedans avec la bille de mon cerveau et voilà ainsi continue d’accumuler cumuler mes livres écrits pour bien plus tard quand serai grand vieux vieillard et bien curieux de me connaître les lirai avec mon gros œil chassieux et mon cerveau dedans noyé et n’y comprenant rien alors comprendrai tout.

Eric Chevillard, „Dix-huit tentatives de poésie précédées d’une note d’intention en bon français“, Fixxion 18

Meine geschriebenen Bücher sammle ich für später, wenn ich groß und alt bin, meine geschriebenen Bücher, es wird nur sie geben, dann werde ich sie lesen und wissen, wer ich war, wann ich lebte, was ich lebte, wann ich wie war, das Leben in welchem Körper, und welche Gefahr ich überstand, ich war, was ich tat und wann ich an welchem Tag das tat, warum in meinen gesammelten Büchern alles sein wird, ich hätte nur das getan und deshalb achte ich heute darauf, was ich schreibe und dass ich nichts anderes tue, was mir entgleitet und folglich nicht von meinen Schleppzeilen zurückgehalten wird, von denen jeder Buchstabe ein gebogener Haken ist, der ausgewählt wurde, um sich in die Lippe meines Lächelns, meiner grinsenden Grimasse einzuhaken und mich wie einen Fisch in jedem Moment meines Lebens zu fangen, der in der Sonne zappelt, mein silberner Rücken, mein weißer Bauch, mein außergewöhnlich großes Auge, so dass mein Kopf darin ist mit der Kugel meines Gehirns, und so geht es weiter mit der Anhäufung meiner Bücher, die ich geschrieben habe, um sie später, wenn ich groß, alt, alter Mann und neugierig auf mich selbst bin, mit meinem großen, jagenden Auge, werde lesen und mein Gehirn darin ertränken, und dann nichts davon verstehend, werde ich alles verstehen.

La chambre à brouillard reiht sich also einerseits ein in ein unbestimmt-vieldeutiges Bild des Nebels, folgt dabei aber keiner naturwissenschaftlich inspirierten Methode der Beobachtung von Wirklichkeit und des Nachweises von nicht unmittelbar einsichtigen Vorgängen. Die Nebelkammer ist Metapher des literarischen Herangehens, um das der Erzähler im Buch ringt:

Et je ne vois pas très bien auprès de quel commerçant me fournir.
Moi qui me croyais équipé pour traiter ou affronter tous les cas de figure ! Je n’aurai pourtant besoin ni de mon oscilloscope ni de mon trébuchet.
C’est un détecteur de particules qu’il me faudrait.
Une chambre à brouillard.
Celle de Wilson ou celle de Langsdorf peut-être me permettraient d’observer ce muon tout à loisir.
À moins que la chambre à bulles de Glaser ne soit mieux indiquée en l’occurrence.
J’hésite.

Eric Chevillard, La chambre à brouillard (2023).

Und ich weiß nicht, bei welchem Händler ich mich eindecken soll.
Und ich dachte, ich wäre für alle Fälle gerüstet. Ich brauche weder mein Oszilloskop noch meine Feinwaage.
Ich brauche einen Partikeldetektor.
Eine Nebelkammer.
Die Wilson- oder vielleicht die Langsdorf-Nebelkammer würde es mir ermöglichen, das Myon in aller Ruhe zu beobachten.
Es sei denn, Glasers Blasenkammer wäre für diesen Zweck besser geeignet.
Ich zögere.

Denn das Nebelbild meint keine Weltlosigkeit des l’Art pour l’Art, kein bloßes Spiel, sondern eine doppelt gerichtete Poetik, die in die Welt hinein und aus ihr heraus führt. In Chevillards L’Auteur et moi (2012) durchkreuzt ein Roman einen anderen, während der Autor versucht, die Kontrolle über sein Werk zu bewahren, indes sich Teile des Textes verselbständigen. Hier ist der Formwandel in ein Nebelbild gebracht, das beide Richtungen des Schreibens zusammenführt:

Mais pour acheter ce rideau, il faudrait sortir encore, s’aventurer dans les rues, entrer en relations avec un commerçant (pour rompre tout commerce), s’inquiéter aussi auprès de celui-ci de la tringle, car tout se tient en ces matières, le rideau, la tringle, l’un sans l’autre ne se conçoit pas : le rideau sans la tringle est un ciel effondré sur un champ dévasté, un paysage de ruines et de brouillard peuplé de fantômes vagues, tandis que la tringle sans le rideau vous embroche comme un poulet derrière la vitre de la rôtissoire. Il semblerait donc que la condition première pour se retirer du monde soit de s’y exposer d’abord de façon extrêmement voyante et grotesque, une tringle à rideau sous le bras, et qu’il n’y ait point de retraite ni d’isolement possibles sans cette humiliation publique préalable.

Eric Chevillard, L’Auteur et moi (2012).

Aber um diesen Vorhang zu kaufen, müsstest du noch weiter hinausgehen, dich auf die Straße wagen, mit einem Händler in Verbindung treten (um den Handel abzubrechen) und dich bei ihm auch um die Gardinenstange kümmern, denn alles hängt in diesen Dingen zusammen, der Vorhang, die Stange, das eine ohne das andere ist nicht denkbar: Der Vorhang ohne die Stange ist ein eingestürzter Himmel über einem verwüsteten Feld, eine Landschaft aus Ruinen und Nebel, die von vagen Geistern bevölkert wird, während die Stange ohne den Vorhang dich wie ein Huhn hinter der Scheibe des Grills aufspießt. Es scheint also, dass die erste Voraussetzung für den Rückzug aus der Welt darin besteht, dass man sich zuerst auf extrem auffällige und groteske Weise der Welt aussetzt, mit einer Gardinenstange unter dem Arm.

Die Atome und ihre Strahlung werden in der Nebelkammer gewissermaßen „erzählbar“, anschaulich für einen kurzen Moment. In Dino Egger wird Albert Moindre als Biograph einen Dino Egger erfinden und wie Jean Pauls Schulmeisterlein im Schreiben vorübergehend zum Leben erwecken. Einmal wird die Frage der Ontologie gar parodiert: „Warum gab es Dino Egger und nicht nichts?“ 19

On ne croirait pas, quand valsent les quilles, qu’elles puissent décrire en retrouvant le sol une figure mieux venue et pourtant, tout ce qui vole sous les sabots de son cheval, les gerbes d’eau que soulèvent l’étrave de sa goélette retombent dans une disposition nouvelle, harmonieuse, forment des plis moins chiffonnés, quelque chose sourit qui grimaçait dans l’ordonnancement des infimes particules solides ou liquides qui constituent la surface de ce globe terraqué, leur assemblage obéit enfin à un plan d’ensemble comme si chacun de ces atomes était un grain de blé semé d’une main sûre, à la volée avec tous les autres mais considéré cependant pour lui-même, comme un détail de première importance.

Eric Chevillard, Dino Egger (2011).

Man würde nicht glauben, dass die Kiele beim Aufprall auf den Grund eine bessere Figur machen, doch alles, was unter den Hufen seines Pferdes fliegt, die Wassergarben, die der Bug seines Schoners aufwirbelt, fallen in einer neuen, harmonischen Anordnung zurück und bilden weniger gekräuselte Wellen, etwas lächelt, das in der Anordnung der winzigen festen und flüssigen Partikel, die die Oberfläche dieses Erdballs bilden, gegrinst hat, es ist, als ob jedes dieser Atome ein Weizenkorn wäre, das mit sicherer Hand zusammen mit allen anderen gesät wurde, aber dennoch für sich selbst betrachtet wird, als ein Detail von größter Bedeutung.

Wir sind alle Bewohner der unwirtlichen Insel Choir im gleichnamigen Roman, wollen weggehen und werden doch festgehalten von Sand und Schlamm, worin man wie eine Figur von Beckett bis zum Hals feststeckt, eine Szenerie voll Düsterkeit und Humor. Der Nebel ist in Choir Grundlage einer dunklen Anthropologie, im Nebel ist der Mensch ohne soziale Kontrolle und nicht von Moral geleitet:

Nous vaquons dans le raz-de-marée à nos petites affaires. Mais quand le brouillard recouvre Choir, alors nous nous livrons sans retenue aux activités honteuses que le grand jour condamne. Et s’il se lève d’un coup, nous nous surprenons les uns les autres le pantalon aux chevilles.

Eric Chevillard, Choir (2010).

Wir gehen in der Flutwelle unseren kleinen Geschäften nach. Aber wenn der Nebel über Choir liegt, dann gehen wir hemmungslos den schändlichen Aktivitäten nach, die der große Tag verurteilt. Und wenn er sich plötzlich lichtet, ertappen wir uns gegenseitig mit Hosen an den Knöcheln.

Wie in einem Höllenkreis Dantes wird auf dieser Insel der Nebel die Wirklichkeit verdüstern, ihrer Form berauben, die Bewohner in Zweifel und Verzweiflung stürzen:

Nous vivons entourés d’énigmes. Comme un brouillard corrosif, le mystère ronge toute chose à Choir. Point d’angles ici, ni de contours ni d’arêtes, les réalités les plus massives même sont mangées par l’ombre et le doute. Et pourtant, Gilooly seul se pose la question importante, question qui le taraude et que chacun de ses gestes formule obscurément : aire ou piste ?

Eric Chevillard, Choir (2010).

Wir leben inmitten von Rätseln. Wie ein ätzender Nebel frisst sich das Rätselhafte durch alles auf Choir. Hier gibt es keine Ecken, keine Konturen oder Kanten, selbst die massivsten Realitäten werden von Schatten und Zweifeln gefressen. Und doch stellt sich nur Gilooly die wichtige Frage, eine Frage, die ihn quält und die jede seiner Gesten dunkel formuliert: Fläche oder Spur?

Unerfüllbar ist die Sehnsucht zu entkommen, außer in der mythischen Geschichte von Ilinuk, der dereinst die Insel verlassen konnte. Die Atome schweben im Vakuum, und Amaury da Cunha verglich diesen Gestus mit Thomas Bernhard, bei dem auch immer wieder die Sprache gegen das Thema stößt und dabei neue Wörter hervorsprudeln lässt: „Die Worte sind machtlos gegenüber der Schwerkraft der Welt, aber sie haben die Macht, sich an ihre Stelle zu setzen durch eine Handlung, die sich Poesie nennt.“ 20 Tatsächlich beruht ja die Konstruktion von Nebelkammern auf einer Temperaturdifferenz, die mit Bildern von Höhe und Tiefe zusammenhängen:

Nuage pulvérulent sur lequel nous cherchons sans grand succès à assurer notre équilibre, poignée de sable jetée au vent, si Choir n’est en effet rien d’autre que cette nappe de poussière – des atomes de boue – flottant dans le vide, alors les corps qui le traversent rejoignent sûrement le ciel au-dessous et nous nous fourvoyons en tâchant de ne plus peser, de nous alléger au maximum, en rêvant d’ascension, d’assomption, en visant les hauteurs.

Eric Chevillard, Choir (2010).

Eine Staubwolke, auf der wir mit wenig Erfolg versuchen, unser Gleichgewicht zu halten, eine Handvoll Sand, die in den Wind geworfen wird, wenn Choir wirklich nichts anderes als diese Staubschicht – Schlammatome – ist, die im Vakuum schwebt, dann werden die Körper, die durch die Leere hindurchgehen, sicher den Himmel unter ihnen erreichen, und wir gehen in die Irre, wenn wir versuchen, nichts mehr zu wiegen, uns so leicht wie möglich zu machen, wenn wir vom Aufstieg träumen, von der Aufnahme in den Himmel, wenn wir nach den Höhen streben.

Die Vorgeschichte des Menschen wird durch Erfindung der Schrift beendet, stellt der Erzähler in Préhistoire fest, genauer gesagt endet sie in dem Moment also, in dem die Erzählung beginnt. Hier ist es ein ehemaliger Archäologe, der zum Führer der vorzeitlichen Palus-Höhle und ihrer Wandmalereien ernannt, und er passt nicht in die Uniform des Wächter-Vorgängers Boborikin:

Je n’ai encore rien fait depuis que je suis là, selon eux, Boborikine mort est plus actif que moi, plus efficace, il demeure au moins fidèle à sa vocation. Il se soucie de l’avenir de la paléontologie. Il échange des molécules. Il se minéralise. Ses restes contiennent déjà moins de carbone 14 et cette diminution progressive nous permettra de faire régulièrement le point. Ainsi nous ne nous laisserons pas abuser par les accélérations ou les lenteurs de l’Histoire : il suffira de procéder à l’examen scientifique des ossements de Boborikine pour connaître l’heure et nous situer précisément dans le temps. Car, il se pourrait que je vous l’apprenne, la mort redoutée survient quarante mille ans au moins après la constatation officielle du décès, lorsque nos derniers atomes de carbone 14 sont éliminés. Alors seulement nous cessons d’émettre des radiations et nous sommes fixés sur le sort de notre âme. Que Dieu, ce jour-là, accueille Boborikine en sa sainte garde.

Eric Chevillard, Préhistoire (1994).

Ich habe noch nichts getan, seit ich hier bin. Sie sagen, dass der tote Boborikin aktiver und effizienter ist als ich, und dass er zumindest seiner Berufung treu bleibt. Er sorgt sich um die Zukunft der Paläontologie. Er tauscht Moleküle aus. Er mineralisiert sich selbst. Seine Überreste enthalten bereits weniger Kohlenstoff 14 und diese allmähliche Abnahme wird es uns ermöglichen, regelmäßig eine Bestandsaufnahme zu machen. So werden wir uns nicht von der Beschleunigung oder der Langsamkeit der Geschichte täuschen lassen: Es wird genügen, die Knochen von Boborikin wissenschaftlich zu untersuchen, um die Uhrzeit zu kennen und uns genau in der Zeit zu verorten. Denn, so könnte ich dir sagen, der gefürchtete Tod tritt mindestens 40.000 Jahre nach der offiziellen Feststellung des Todes ein, wenn unsere letzten Kohlenstoff-14-Atome ausgelöscht sind. Erst dann hören wir auf, Strahlung auszusenden, und das Schicksal unserer Seele steht fest. Möge Gott an diesem Tag Boborikin in seine heilige Obhut nehmen.

Durchaus als Ökofiktion lesbar ist Chevillards Sans l’orang-outan, malayisch für „der Waldmensch“, und ein Pfleger kümmert sich hier um das letzte Pärchen Bagus und Mina, und mit ihrem Verschwinden wird die Menschheit verlassen sein, die Erde entvölkert. Der Staub und der Dampf bilden hier ein Ethos menschlicher Existenz zwischen Erdung und Zerstreuung:

Nous puisons autant de sable que d’eau dans nos puits. Nous le filtrons à travers ce même tissu écru, très rêche, dans lequel nous taillons nos vêtements, pantalons larges, courtes tuniques sans col, taille et modèle uniques, sur quoi nous enfilons un manteau de laine de yack, avec ou sans manches, quand vient l’hiver.
Nous disons sable, mais c’est poussière, poussière grise, impalpable, qui pénètre toutes les épaisseurs de linge et notre peau même en est couverte, imprégnée. On pourrait se croire modelés dedans, constitués de ces atomes liés par le hasard des rafales et des tourbillons qui se sépareront de même à la première occasion, à la faveur d’un autre hasard, d’une autre tempête dispersant notre être comme une fumée. Le vent peut-être alors nous emportera-t-il ailleurs, loin d’ici ?
Mais lorsque nous consentons à cet éparpillement, il n’en est soudain plus question, au contraire, le sable s’insinue sous nos vêtements, dans nos cheveux, dans nos poches, notre corps s’alourdit encore, comme pris dans une gangue de boue, de nouveaux atomes s’y agrègent qui tiennent au sol par tous leurs crochets. Tels sont les liens puissants qui nous attachent à ce pays.

Eric Chevillard, Sans l’orang-outan (2007).

Wir schöpfen genauso viel Sand wie Wasser aus unseren Brunnen. Wir filtern ihn durch denselben rauen, rohen Stoff, aus dem wir unsere Kleidung schneidern, weite Hosen, kurze, kragenlose Tuniken, die in Größe und Muster einzigartig sind, und über die wir im Winter einen Mantel aus Yakwolle ziehen, mit oder ohne Ärmel.
Wir sagen Sand, aber es ist Staub, grauer, nicht greifbarer Staub, der alle Schichten der Wäsche durchdringt und selbst unsere Haut ist damit bedeckt und durchtränkt. Wir könnten glauben, dass wir darin geformt sind, aus Atomen bestehen, die durch den Zufall der Böen und Wirbel gebunden sind und sich bei der ersten Gelegenheit wieder trennen, durch einen weiteren Zufall, einen weiteren Sturm, der unser Wesen wie Rauch zerstreut. Vielleicht trägt uns der Wind dann an einen anderen Ort, weit weg von hier?
Aber wenn wir dieser Zerstreuung zustimmen, ist davon plötzlich keine Rede mehr, im Gegenteil, der Sand kriecht unter unsere Kleidung, in unser Haar, in unsere Taschen, unser Körper wird noch schwerer, wie in einer Schlammschicht gefangen, neue Atome verbinden sich mit ihm, die sich mit allen ihren Haken am Boden festhalten. Das sind die mächtigen Bande, die uns an dieses Land binden.

Dieser Spannungsbogen ist tragisch und komisch, wie Crab, der den Nebel nicht durchdringen kann und sowieso immer Pech hat:

– C’est toujours sur moi que ça tombe, dit Crab, réellement affligé, parlant de la pluie. Mais Crab n’a jamais eu de chance. Si l’on tient à définir le personnage de Crab, toutes tendances confondues, par sa principale caractéristique, on oubliera sa dangereuse instabilité, sa laideur effrayante, sa nostalgie rancunière, sa bêtise impénétrable, sa lucidité tranchante, son intégrité morale et physique, la beauté régulière de ses traits, pour insister sur sa malchance, durable, acharnée, quotidienne et dominicale, car c’est toujours lui que le froid engourdit, que le feu brûle, et s’il est en ce monde quelqu’un à qui le brouillard dissimule toutes choses, qui va souffrir de la soif jusque dans le désert, ce quelqu’un, vous ne risquez rien à parier que c’est Crab, c’est le visage de Crab qui se ride quand le temps passe, ce sont ses facultés qui s’émoussent, et l’homme qui va mourir un jour, vous verrez que ce sera lui, encore Crab, desservi par le sort jusqu’au bout, victime une dernière fois de sa malchance.

Eric Chevillard, Un fantôme (1995).

„Es fällt immer auf mich“, sagte Crab wirklich betrübt und meinte damit den Regen. Aber Crab hatte noch nie Glück. Wenn man Wert darauf legt, den Charakter von Crab, egal welcher Richtung, durch seine Haupteigenschaft zu definieren, wird man seine gefährliche Instabilität, seine erschreckende Hässlichkeit, seine nachtragende Nostalgie, seine undurchdringliche Dummheit, seine messerscharfe Klarheit, seine moralische und körperliche Unversehrtheit vergessen, die gleichmäßige Schönheit seiner Züge, um sein Pech zu betonen, dauerhaft, verbissen, täglich und sonntäglich, denn er ist immer derjenige, den die Kälte betäubt, den das Feuer verbrennt, und wenn es in dieser Welt jemanden gibt, dem der Nebel alle Dinge verbirgt, der bis in die Wüste hinein Durst leiden wird, dann ist es dieser jemand, und der Mann, der eines Tages sterben wird, wird wieder Crab sein, der bis zum Ende vom Schicksal gebeutelt wird und ein letztes Mal seinem Pech zum Opfer fällt.

Der Nebel ist eine Qual und eine Wohltat, er ermöglicht zudem die Erfindung und den Identitätswechsel, wie in Démolir Nisard:

Mes lacets se dénouent sans cesse, dirait-on — ce sont les brins d’herbe deux par deux que je rattache : j’aime le brouillard où toutes les confusions se trouvent justifiées. L’invisible vache qui remue la queue dans un pré, c’est aussi bien moi qui époussette mes meubles et mes étagères avec un plumeau, et voilà accomplie la corvée que je repoussais depuis des semaines. Mais surtout, j’aime le brouillard parce qu’il fait disparaître le monde de Nisard : miracle qui vaut toutes les apparitions divines. Dès lors, nous sommes obligés d’inventer. J’en profite à chaque fois pour changer d’identité. Je suis l’araignée de cette toile immense. Tout ce qui est pris dedans m’appartient.
Parfois, bien sûr, je me heurte à quelque chose de dur, ou de pointu, qui semble solide, qui résiste — ainsi l’amputé sent encore son membre fantôme : mes nerfs ont la mémoire du monde anéanti. Déplaisantes sensations qui passeraient si le brouillard voulait tenir… RÔARRR… Vous avez entendu comme moi ce rugissement. Où sommes-nous ? La géographie est une notion dépassée. Nous quittons aussi l’époque. Nous nous perdons dans le temps… TUDIEU !… Vous avez entendu ?

Eric Chevillard, Démolir Nisard (2006).

Meine Schnürsenkel lösen sich ständig, so scheint es – es sind die Grashalme, die ich paarweise zusammenbinde: Ich liebe den Nebel, in dem alle Verwirrungen gerechtfertigt sind. Die unsichtbare Kuh, die auf der Weide mit dem Schwanz wedelt, ist genauso gut ich, der ich mit einem Staubwedel meine Möbel und Regale abstaube, und schon ist die Arbeit erledigt, die ich seit Wochen vor mir herschiebe. Vor allem aber liebe ich den Nebel, weil er Nisards Welt verschwinden lässt – ein Wunder, das alle göttlichen Erscheinungen übertrifft. Von da an sind wir gezwungen, etwas Neues zu erfinden. Ich nutze jedes Mal die Gelegenheit, um meine Identität zu wechseln. Ich bin die Spinne in diesem riesigen Netz. Alles, was darin gefangen ist, gehört mir.
Manchmal stoße ich natürlich auf etwas Hartes oder Spitzes, das fest zu sein scheint, das Widerstand leistet – so fühlt der Amputierte noch sein Geisterglied: Meine Nerven haben die Erinnerung an die vernichtete Welt. Unangenehme Empfindungen, die vorübergehen würden, wenn der Nebel halten wollte… ROARRR … Du hast das Gebrüll genauso gehört wie ich. Wo sind wir? Die Geographie ist ein überholtes Konzept. Wir verlassen auch die Zeit. Wir verlieren uns in der Zeit … TUDIEU! Gottverdammt!… Haben Sie das gehört?

In vieler Hinsicht ist La chambre à brouillard leicht und schwer zugänglich, ein Werk für Insider, die mit dem vorangegangenen Werk vertraut sind, vielleicht aber auch für die voraussetzungslose erste Lektüre. Das gilt auch für den Autor, der auf der Suche nach seinem Gegenstand bleibt. Diese kleine (chevillardeske) Besprechung verfolgte das Bildfeld des Nebels und der Nebelkammer als poetologisches Prinzip bei Chevillard. Damit soll zugleich der Verwunderung Ausdruck gegeben werden, dass dieser Autor in Deutschland (und Frankreich) in der literarischen Öffentlichkeit noch immer Geheimtipp geblieben ist. Man lese Chevillard, es ist nicht zu spät.

Bourgeonner.
Croître dans des directions inconnues.
Expérimenter des états nouveaux, liquide, gazeux.
Pulvérulent !
Le voici réduit à lui-même, suffocant dans son œuf de pierre, ramené à ses médiocres desseins originels.
Or nous savons à quels fourvoiements ces desseins l’ont conduit.
Quel prix nous aussi nous avons payé en conséquence.
Avec moi, il allait faire mieux, il allait revoir ses ambitions à la hausse, il avait l’étendue du ciel au-dessus où se déployer, de bord à bord. Il allait prendre de l’envergure et enfin donner sa mesure.
Le voici tout rétracté dans un coin sombre, attaqué par le doute.
Il s’est caché sous une pierre. Il attend la mort dans la tombe.
Son goitre faseye à tous les souffles.
Sa tige ploie.
Son genou flanche.
Il a le groin en tire-bouchon.
Une barbe de mousse le mange tout entier.
Les regards glissent sur lui sans le comprendre, sans le voir peut-être.
Il se perd dans les ombres.
Il se cherche dans les brumes.
Le vent lui vole sa plainte.
Est-il trop tard déjà ?

Eric Chevillard, La chambre à brouillard (2023).

Zu knospen.
In unbekannte Richtungen wachsen.
Experimentieren mit neuen Zuständen, flüssig, gasförmig.
Pulverisiert!
Hier ist er auf sich selbst reduziert, erstickt in seinem steinernen Ei und wird auf seine ursprünglichen, mittelmäßigen Ziele zurückgeworfen.
Wir wissen, zu welchen Irrwegen diese Pläne ihn geführt haben.
Welchen Preis auch wir dafür bezahlt haben.
Mit mir würde er es besser machen, er würde seine Ambitionen erhöhen, er hatte die Weite des Himmels, über dem er sich von Rand zu Rand ausbreiten konnte. Er würde sich ausdehnen und endlich sein volles Potenzial entfalten.
Hier ist er ganz zurückgezogen in einer dunklen Ecke, von Zweifeln angegriffen.
Er hat sich unter einem Stein versteckt. Er wartet im Grab auf den Tod.
Sein Kropf keucht bei jedem Atemzug.
Sein Rumpf biegt sich.
Sein Knie ist schlaff.
Er hat eine korkenzieherartige Schnauze.
Ein moosiger Bart frisst ihn ganz auf.
Die Blicke gleiten über ihn, ohne ihn zu verstehen, ohne ihn wohl zu sehen.
Er verliert sich in den Schatten.
Er sucht sich selbst in den Nebeln.
Der Wind stiehlt ihm seine Klage.
Ist es schon zu spät?

Kai Nonnenmacher

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Anmerkungen
  1. Les Inrockuptibles, 15. Oktober 2003.>>>
  2. Vgl. aus Anlass von Anne Webers Übersetzung des Buches: Jürgen Ritte, „Grimm und Grimm reloaded“, Neue Zürcher Zeitung, 25. Februar 2016.>>>
  3. Gérald Froidevaux, „Picknick der Reformer“, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 7. Mai 1996, S. 40.>>>
  4. Éditions de Minuit : « Ce n’est pas un éditeur de livres. C’est un éditeur d’auteurs », Nouvel Observateur, 25. Juni 2021. Vgl. zur Diskussion Wolfgang Asholt, Der französische Roman der achtziger Jahre (Darmstadt, 1994).>>>
  5. „En astronome, une nébuleuse est un corps céleste dont les contours ne sont pas nets, et les contours du corps de Crab sont de plus en plus flous, ses membres inconstants, et ses sens aléatoires.“ Jean-Baptiste Harang, „Chevillard dans sa coquille“, Libération, 18. Februar 1993.>>>
  6. Joseph Hanimann, „Der Blick über Gottes Schulter“, Süddeutsche Zeitung, 26. Februar 2015.>>>
  7. „La composition quadripartite du roman reprend ces données essentielles dans la description des particules subatomiques. Ainsi, « positions », « vitesse », « énergie » et « temps » constituent-ils les titres des découpes du texte qui retracent les points phares de la destinée d’Heisenberg de 1922 à 1945 ; la partie « positions » (LP : 9-56) se structure en quatre séquences : « Position 1 : Helgoland » (11-19) ; « Position 2 : hors de la demeure, sur un champ de ruines » (21-32) ; « Position 3 : dans la chambre à brouillard » (33-41) et « Position 4 : entre le possible et le réel » (43-56). L’existence du savant s’y trouve envisagée sous le même prisme qu’une particule dans une chambre à brouillard14, ce dispositif destiné à observer la trajectoire des électrons. Dans l’ensemble du récit biographique, le lecteur ne découvrira que des positions, c’est-à-dire des moments forts et des états d’âme, nullement une destinée prévisible ou logique dans le chaos du siècle. C’est ainsi que les savoirs métabolisent le romanesque biofictionnel.“ Isabelle Bernard, « Éthique et mystique scientifique dans Le Principe (2015) de Jérôme Ferrari », Itinéraires 2017-1/2018, mis en ligne le 15 février 2018.>>>
  8. Matthias Hennig, „Als auf Farm Hall eine Bombe platzte“, Neue Zürcher Zeitung, 17. November 2015.>>>
  9. „Car tout cela est bien mystérieux – le brouillard du titre n’était pas là par hasard, on l’avait laissé entendre. Une étrange créature, dont l’espèce sera d’autant moins précisée qu’elle semble se modifier au fur et à mesure que le temps passe, apparaît. Elle a été confiée au narrateur qui en a fait son « sujet ». Sujet d’étude, sujet sur lequel il a en principe les pouvoirs d’un maître, mais a-t-on oublié que la relation entre maître et esclave, encore que cet être-ci ne travaille pas, était souvent plus complexe qu’on l’avait anticipé ? Plus le narrateur croit le connaître, plus il échappe à l’entendement. Il disparaît, ne révèle rien de ses véritables besoins, échappe à toute définition définitive, gonfle et rétrécit, entretient une relation suspecte avec Nine qui pourtant ne l’appréciait guère au début, bref, met la pagaille bien au-delà de la cave où il est, en principe, retenu.“ Pierre Maury, „L’étrange créature d’Eric Chevillard“, Le Soir, 2. März 2023.>>>
  10. Au plafond (1997), Choir (2010), Dino Egger (2011), Du hérisson (2002), Démolir Nisard (2006), Juste ciel (2015), L’Auteur et moi (2012), L’Explosion de la tortue (2019), L’Oeuvre posthume de Thomas Pilaster (1999), La Chambre à brouillard (2023), La Nébuleuse du crabe (1993), Le Caoutchouc, décidément (1992), Le Démarcheur (1989), Le Désordre azerty (2014), Le Vaillant petit tailleur (2003), Les Absences du capitaine Cook (2001), Monotobio (2020), Mourir m’enrhume (1987), Oreille rouge (2005), Palafox (1990), Préhistoire (1994), Ronce-Rose (2017), Sans l’orang-outan (2007), Un fantôme (1995).>>>
  11. Ailes (2005), Commentaire autorisé sur l’état de squelette (2007), Dans la zone d’activité (2014), Départs (2011), Détartre et désinfecte (2017), En guerre (2018), En territoire cheyenne (2009), Iguanes et moines (2011), Portrait craché du romancier en administrateur des affaires courantes (2004), Péloponnèse (2013), Scalps (2004), Zoologiques (2020).>>>
  12. Pour Éric Chevillard, hrsg. von Dominique Viart, Pierre Bayard, Bruno Blanckeman und Tiphaine Samoyault (Paris: Éditions de Minuit, 2014). Éric Chevillard dans tous ses états, hrsg. von Olivier Bessard-Banquy und Pierre Jourde (Paris: Classiques Garnier, 2015).>>>
  13. Niklas Bender, „Behaartes Geheimnis: Éric Chevillards Porträt eines Sonderlings“, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 14. Juni 2013, 32.>>>
  14. Hicham-Stéphane Afeissa, „Eric Chevillard : six sujets en quête d’auteur“, nonfiction.fr, 2. März 2023.>>>
  15. „Il n’est pas nécessaire d’avancer très loin dans la lecture pour comprendre que le sujet⁶ du livre, en une ultime boucle réflexive, n’est, au final, rien d’autre que lui-même, c’est-à-dire que l’œuvre impressionnante que l’auteur a édifiée lentement et sûrement, forte aujourd’hui d’une quarantaine de livres.“ Hicham-Stéphane Afeissa, „Eric Chevillard : six sujets en quête d’auteur“, nonfiction.fr, 2. März 2023.>>>
  16. „Si le personnage d’Oleg lui-même disparaîtra en effet complètement de la deuxième partie du récit (la plus longue des trois), l’intrigue policière dont il occupe le centre en première partie ne cessera pas de constituer, sous une forme sublimée, l’un des principaux ressorts diégétiques : comme nous le verrons, il s’agira alors, non plus de mettre la main sur Oleg en cavale, mais de retrouver la trace du sujet³ qui s’est enfui après avoir malencontreusement échappé à la vigilance du narrateur. Ainsi qu’il était prévisible, c’est Oleg en personne qui, dans la troisième partie du livre, viendra remettre au narrateur pour la seconde fois le fugitif, en s’acquittant par là même définitivement de sa dette.“ Hicham-Stéphane Afeissa, „Eric Chevillard : six sujets en quête d’auteur“, nonfiction.fr, 2. März 2023.>>>
  17. „[…] les textes de Chevillard mettent volontiers l’institution littéraire en scène, dans ses fondements et ses à-côtés, et s’amusent de ses tics, de ses poses et de ses travers.“ Denis Saint-Amand et Léa Tilkens, „Ce qu’Éric Chevillard fait à la critique académique“, CONtEXT, 9. Oktober 2017.>>>
  18. Eric Chevillard, „Dix-huit tentatives de poésie précédées d’une note d’intention en bon français“. Fixxion: revue critique de fixxion française contemporaine, no. 1 (mars 2012): p. 106-113.>>>
  19. „Pourquoi y eut-il rien plutôt que Dino Egger ? Voilà la question et, pour y répondre, il faudrait pouvoir qualifier le rien, avancer que peut-être le rien est le fruit de la réticence et que s’il n’en allait pas ainsi – si le rien n’était pas seulement la perspective ouverte en vain devant l’âne rétif –, il serait inconcevable et donc sans réalité pour notre intelligence comme pour nos sens. Il n’y aurait pas de rien. Le rien, s’il n’était défendu par cette résistance qui le constitue exclusivement, s’il ne tenait ainsi à rien, serait aussitôt conquis, comblé, occupé. Il serait occulté, rempli, encombré. Voyez ce qu’il advient d’un placard ou d’un tiroir vide. Le rien défini comme pure absence de choses porte un autre nom, l’effroi ou le vertige. Le rien est donc plutôt le refus des choses après examen. Un examen succinct, dégoûté, un examen malgré tout, une estimation. Non, non, non et non, dit le rien, sans passion, sans colère, mais avec une fermeté que l’on n’attendrait pas d’une notion aussi lâche. Non, c’est non.“ Eric Chevillard, Dino Egger.>>>
  20. „Eric Chevillard réussit ce tour de force que l’on rencontre aussi dans les livres de Thomas Bernhard : mettre en place une mécanique qui repose sur le développement d’un seul sujet contre lequel la langue bute sans cesse, mais qui provoque le jaillissement perpétuel des mots. Choir est bien ce motif inépuisable qui défie le langage, mais dont il n’arrive jamais à bout : les mots sont impuissants face à la pesanteur du monde, mais ils ont le pouvoir de se substituer à lui par une action qui s’appelle poésie.“ Amaury da Cunha, „Une île à contre-courant“, Le Monde, 26. Februar 2010.>>>