Aurélien Bellanger als Lorenzaccio: Les derniers jours du Parti socialiste

Un peuple malheureux fait les grands artistes.

Alfred de Musset, Lorenzaccio, II, 2.

Ein unglückliches Volk macht große Künstler.

C’était un roman que Sauveterre avait écrit dans le plus grand secret.

Il y avait mis une rage froide, ou plutôt tous ses scrupules d’historiographe du régime. Cette partie-là de son œuvre, il se l’était promis, devrait rester intacte. Le genre qu’il avait choisi, celui de la satire, était nouveau pour lui.

Le livre, qui reprenait volontairement la structure du Soumission de Houellebecq, uchronie racontant la prise du pouvoir par les islamistes en France, et sortie le jour même de l’attaque de Charlie Hebdo, s’appelait Séparation. Sauveterre imaginait à l’inverse la prise du pouvoir par un parti politique derrière lequel on reconnaissait facilement le Mouvement du 9 décembre, dirigé par un certain Montgé, double transparent de Grémond, mais à qui Sauveterre avait donné l’apparence physique de Taillevent et le caractère de Frayère.

Aurélien Bellanger, Les derniers jours du Parti socialiste, „Séparation“.

Es war ein Roman, den Sauveterre unter strengster Geheimhaltung geschrieben hatte.

Er hatte kalte Wut oder vielmehr all seine Skrupel als Historiograph des Regimes in diese Arbeit gesteckt. Er hatte sich geschworen, dass dieser Teil seines Werks unverändert bleiben sollte. Das Genre, das er gewählt hatte, die Satire, war neu für ihn.

Das Buch, das bewusst die Struktur von Houellebecqs Soumission aufgriff, einer Uchronie, die von der Machtübernahme durch Islamisten in Frankreich erzählt und am selben Tag wie der Anschlag auf Charlie Hebdo erschien, hieß Séparation („Trennung“). Sauveterre stellte sich umgekehrt die Machtübernahme durch eine politische Partei vor, hinter der man leicht die Bewegung des 9. Dezember erkennen konnte, die von einem gewissen Montgé angeführt wurde, einem transparenten Doppelgänger von Grémond, dem Sauveterre jedoch die physische Erscheinung von Taillevent und den Charakter von Frayère verliehen hatte.

Aurélien Bellanger (geb. 1980) konstruiert im Roman Les derniers jours du Parti socialiste (2024, nach Verlagswechsel von Gallimard nun bei Seuil) eine politische Vision, die den ideologischen Kampf innerhalb der Linken und die tiefen Widersprüche des republikanischen Laizismus offenlegt. Er diskutiert für Frankreich Fragen zur Bedeutung der Laizität, der Krise der Linken und über Konsequenzen der Politisierung von Themen wie Islamophobie, dabei zeigt er, wie die linke Bewegung in Frankreich zerrüttet wurde, indem sie zwischen den Polen eines radikalen Laizismus und einer offenen, integrativen Haltung gegenüber religiösen Minderheiten zerrissen wurde. Der Text verfolgt eine Handvoll Intellektueller, die sich darauf einlassen, mit der extremen Rechten zu kokettieren und so deren Sieg zu ermöglichen. Der obskur bleibende Apparatschik der Partei, Grémond, setzt im öffentlichen Raum unter dem Deckmantel des Laizismus einen islamfeindlichen Diskurs durch. 1 Die Rezeption des Bücherherbsts zeigt, dass das Werk sowohl als Kommentar zur aktuellen politischen Lage in Frankreich als auch als Erzählung über den Niedergang der französischen Linken verstanden werden kann. Während Bellanger die fiktionalen Freiheiten seines Schreibens betont, wurde der Roman teilweise als übermäßig von der Realität durchdrungen kritisiert. Dies gilt es ebenso zu untersuchen wie die politische Dimension in Bellangers Romanwerk und die Verortung in der sehr französischen Gattung des Präsidialromans (vgl. meinen Artikel in diesem Blog).

Niederlage des kritischen Geistes

„Bellanger versucht, Verlorene Illusionen neu zu schreiben, indem er den Journalismus durch eine politische Partei ersetzt.“ 2 Beigbeder wählt in seinem Kurzverriss des neuesten Buchs von Aurélien Bellanger das ironische Wortspiel, es sei die Antwort eines Insoumis [d.h. Anhänger der linkspopulistischen Partei „France Insoumise“, dt. „Unbeugsames Frankreich“] auf Soumission [den Houellebecq-Roman über die Islamisierung Frankreichs] 3.

Im letzten Herbst reflektierte Aurélien Bellanger ernüchtert über die Machtübernahme der extremen Rechten in den Medien und die schwindende Rolle des kritischen Denkens. 4 Bei einer Veranstaltung zur Unterstützung der ehemaligen Journalisten des Journal du Dimanche (die sich gegen die Ernennung des extrem rechten Chefredakteurs Geoffroy Lejeune wehrten) thematisiert Bellanger, wie die mediale Landschaft Frankreichs sich in den letzten Jahrzehnten verändert hat: Der Wechsel von satirischen Puppen, wie denen in der Show Les Guignols, zu den „karikaturhaften“ Moderatoren, die offen extrem rechte Ansichten verbreiten, markiert für Bellanger den Verfall intellektueller und kritischer Medien. Der Glaube, wir seien als aufgeklärte Zuschauer gegen die subtilen Einflüsse von Propaganda gefeit, stellte sich als Irrtum heraus, was er auch bei sich selbst beobachtet. Dies habe letztlich dazu geführt, dass die extreme Rechte immer weiter in den ‚Mainstream‘ vordringen konnte. Die ironische Distanz und das intellektuelle Lächeln, mit dem viele die ersten Anzeichen der rechten Rhetorik betrachteten, so Bellanger, hätten letztlich zur Normalisierung dieser Haltungen beigetragen. Das kritische Denken, einst als Bastion gegen Propaganda und Manipulation gedacht, habe seine Versprechen nicht gehalten. Mit einem abschließenden Hinweis auf die deutsche Nachkriegsintelligenz sieht Bellanger in der Gegenwart eine Ohnmacht gegenüber der neuen Welle reaktionärer Medien und deren Einfluss auf die Gesellschaft: „Wie Adorno nach dem Krieg bitter feststellte, bestand der Fehler der deutschen Intellektuellen darin, dass sie glaubten, die Nazis würden sich um den Geist scheren.“ 5 Dies sei der Lektüre vorangestellt.

Aurélien Bellangers La théorie de l’information (2012) hatte die tiefgreifenden Veränderungen untersucht, die die Digitalisierung (Minitel, Internet) durch die Verknüpfung von Technologie, Wirtschaft und Politik auf die politische und gesellschaftliche Struktur Frankreichs und Europas hat, bereits hier als Transformation von Machtstrukturen, als Wandel politischer Kommunikation und als grundlegend veränderte Beziehung zwischen Staat und Bürgern. Die Protagonisten stehen für gesellschaftliche Gruppen: Die Karriere der ambivalenten Figur Pascal Ertangers Karriere zeigt, wie die Kontrolle über digitale Technologien zu wirtschaftlichem und politischem Einfluss führt, aber Gefahren der Machtkonzentration und der wachsenden Technokratisierung der Politik in sich birgt. Für die Technokraten und politischen Eliten steht hier Gérard Théry, der versucht, für den Staat eine politische Kontrolle über die digitale Revolution zu bewahren. Figuren wie der Wirtschaftsführer Mokthar Berudikc verkörpern die ökonomischen Machtstrukturen, die durch Kontrolle über Technologien und Daten entstehen. Es lohnt sich deshalb, die Bücher Bellangers als eine Art Elitenpanorama, als Comédie humaine des 21. Jahrhunderts zusammenzulesen. So hat Bellanger etwa die Jahre der neuen Raumordnung der Sarkozy-Ära in Le Grand Paris (2017) besprochen, Florence Bouchy nannte diesen Roman eine „Fiktionalisierung politisch-philosophischer Debatten“. 6 In Eurodance hatte Bellanger das damalige Lebensgefühl seiner Generation geschildert, wirklich ein Ende der Geschichte zu erleben, deshalb stellt er für den Text 1993 und eine Reflexion von 2017 der „Migrationskrise“ gegenüber:

L’idée, très simplement, c’était de montrer que le danger était ici, en nous-mêmes. À l’intérieur de l’histoire de l’Europe. C’est la partie, si l’on veut, la plus politique du spectacle, la plus convaincue, aussi : ce n’est pas des migrants qu’il fallait avoir peur, mais de nous-mêmes. Nous avons facilement accepté la Jungle, trop facilement. Même au regard des standards internationaux qui régissent le droit des réfugiés, c’était un lieu inhumain. Nous nous sommes facilement habitués à la Jungle et à l’idée, vertigineuse, que si la Jungle posait un problème insoluble, nous trouverions le moyen de le résoudre.

Aurélien Bellanger, Eurodance.

Die Idee dahinter war, ganz einfach gesagt, zu zeigen, dass die Gefahr hier in uns selbst liegt. Innerhalb der europäischen Geschichte. Dies ist, wenn man so will, der politischste Teil der Aufführung, auch der überzeugendste: Nicht vor den Migranten sollten wir Angst haben, sondern vor uns selbst. Wir haben den Dschungel leicht akzeptiert, zu leicht. Selbst nach den internationalen Standards, die das Flüchtlingsrecht regeln, war es ein unmenschlicher Ort. Wir gewöhnten uns leicht an den Dschungel und an die schwindelerregende Vorstellung, dass wir, wenn der Dschungel ein unlösbares Problem darstellte, einen Weg finden würden, es zu lösen.

Schlüsselroman einer zunehmend autoritären Republik

Aurélien Bellanger bewegt sich mit dem jüngsten Roman Les derniers jours du Parti socialiste in diesem Herbst 2024 zwischen politischer Fiktion, Schlüsselroman und gesellschaftlicher Satire, mit Elementen der Utopie, aber auch der Dystopie einer zunehmend autoritären Republik, in der die laizistischen Ideale instrumentalisiert werden, um eine islamophobe Politik durchzusetzen. Der Roman zeichnet ein Gesellschaftsbild, in dem die traditionellen politischen Lager der Republik bzw. die Grenzen zwischen links und rechts verschwimmen und in der nationalistische und identitäre Bewegungen das politische Spektrum dominieren. Über die Verbindung historischer und politischer Analyse mit einer fiktiven Erzählung führt Bellanger die Zerbrechlichkeit demokratischer Systeme und die Gefahr autoritärer Tendenzen vor. Der Schriftsteller bezeichnet sein Werk als Roman, der sich „künstlerische Freiheit“ nimmt, zugleich jedoch auch als „Text der Intervention“, der reale Ereignisse und Personen in fiktionaler Form kommentiert, so wie in vorangegangenen Romanen, etwa Xavier Niel in La théorie de l’information oder Bernard-Henri Lévy in Le continent de la douceur. Bereits in Téléréalité hat Bellanger allerdings auf Freiheiten seines Schreibens gegenüber bloßen Wirklichkeitsbezügen eines Schlüsselromans insistiert:

La littérature a vu naître et mourir presque tous les arts. Sans cesse, elle s’est vue dépassée, oubliée et défaite, toujours elle est réapparue pour reprendre son interminable récit. On voudrait qu’elle ait des adversaires, que les nouveautés du temps empêchent les hommes de lire des livres et lui contestent sa souveraineté. Il faudrait qu’elle se venge. Ce n’est pas l’objet de ce livre, qui regarde, fasciné, ce qu’a pu être, à son apogée, la télévision. Certaines choses sont vraies, des titres d’émissions ou des noms d’animateurs seront reconnaissables. Les autres sont inventées, comme le parcours du personnage principal. On pourra s’amuser à retrouver tel ou tel, mais l’exactitude biographique n’est pas l’effet recherché, pas plus que ces portraits psychologiques purement imaginaires ne prétendent apporter au lecteur des éclaircissements sur les zones d’ombre de personnalités connues. Le roman à clé est un exercice un peu vain. Ces scènes ont-elles bien eu lieu ? Jamais ailleurs que dans l’imagination du romancier. Comme dans le rêve, l’auteur est parti de quelques faits publics pour dériver vers des territoires inconnus.

Aurélien Bellanger, Téléréalité.

Die Literatur hat fast alle Künste entstehen und sterben sehen. Immer neu sah sie sich überholt, vergessen und besiegt, immer wieder tauchte sie auf, um ihre endlose Erzählung fortzusetzen. Man wünscht sich, dass sie Gegner hätte, dass die Neuerungen der Zeit die Menschen vom Bücherlesen abhalten, und der Literatur ihre Souveränität streitig machen. Sie solle sich rächen. Das ist nicht das Ziel dieses Buches, in dem wir fasziniert beobachten, was das Fernsehen in der Zeit seines Höhepunkts hätte gewesen sein können. Einige Dinge sind wahr, Titel von Sendungen oder Namen von Moderatoren werden erkennbar sein. Andere sind erfunden, wie der Werdegang der Hauptfigur. Es mag Spaß machen, diesen oder jenen wiederzuerkennen, aber nicht biografische Genauigkeit ist der gewünschte Effekt, ebenso wenig wie diese rein imaginären psychologischen Porträts den Anspruch erheben, dem Leser Aufschluss über die Schattenseiten bekannter Persönlichkeiten zu offenbaren. Der Schlüsselroman ist eine etwas eitle Übung. Haben sich diese Szenen wirklich ereignet? Niemals irgendwo anders als in der Fantasie des Romanautors. Wie in einem Traum ist der Autor von einigen öffentlichen Tatsachen ausgegangen, um in unbekannte Gebiete abzudriften.

Der Roman wird größtenteils aus einer auktorialen Erzählperspektive erzählt, sie ermöglicht es Bellanger, in die inneren Konflikte der Figuren einzutauchen und gleichzeitig eine analytische Distanz zu wahren. Philosophisch-politische Reflexionen und Dialoge wechseln sich ab, von politisch-strategischen Diskussionen bis hin zu persönlichen Gesprächen, die die ideologischen und emotionalen Konflikte der Figuren verdeutlichen. Grémonds Kommunikation ist dabei oft von Manipulation und Intrige geprägt, was seine Rolle als Taktiker und Stratege unterstreicht.

Auch wenn die Geschichte auf reale Persönlichkeiten der französischen Politik verweist, wie etwa Laurent Bouvet und Manuel Valls, betont Bellanger, dass er nicht die exakte Wiedergabe der politischen Realität anstrebe, sondern eine ästhetische und theoretische Neuausrichtung derselben. Im Kontext seines bereits vorgelegten Werks wird hier die Tendenz zur Dokufiktion fortgesetzt, also politische und soziale Phänomene durch den Filter der Ästhetik und literarischen Konstruktion zu betrachten, wie er es etwa bereits in La Théorie de l’information getan hatte. Der neueste Roman fokussiert die ideologischen Konflikte der französischen Linken und ihre Zersplitterung, wobei sie sich als unfähig erweist, eine kohärente Antwort auf die Herausforderungen der modernen Gesellschaft zu finden. Die Rechte, insbesondere durch den Aufstieg des Rassemblement National verkörpert, nutzt die Schwäche der Linken aus und positioniert sich als Verteidigerin nationaler Identität und Sicherheit. Der „Mouvement du 9 décembre“ (Bewegung des 9. Dezember), ein zentrales Element im Roman, weist starke Parallelen zur realen politischen Bewegung des „Printemps Républicain“ auf, die eine laizistische Agenda verfolgte. Figuren wie Grémond (Laurent Bouvet), Taillevent (Raphaël Enthoven) und Revêche (Philippe Val) sind nur leicht verschleierte Darstellungen realer Persönlichkeiten der französischen Politik. Bellanger konstruiert hier gleichwohl eine alternative politische Realität, die so verstörend wie plausibel erscheint, einen hybriden Raum, in dem Fiktion und Wahrheit untrennbar miteinander verwoben sind.

Theorie des französischen Faschismus

Die Struktur des Romans umfasst sechs Hauptteile sowie einen Prolog und einen Epilog:

Prolog, „Les secrets de l’histoire contemporaine“ – Dieser Prolog bezieht sich auf den inneren Zerfall und die Auflösung des Parti Socialiste nach den Anschlägen von 2015 und den Umbrüchen im politischen Spektrum. Er führt in die Geschichte des Mouvement du 9 décembre ein, stellt die zentrale Figur Grémond vor, Architekt dieses fiktiven politischen Aufbruchs. Eine moralische Frage wird bereits aufgeworfen: Ist der Kampf des Mouvement ein notwendiger Verteidigungskampf oder der Anfang eines politischen Abgrunds? Bellanger bedient sich hier einer essayistischen, fast journalistischen Erzählweise, die dem Leser Fakten und Interpretationen gleichzeitig liefert. Der Stil erinnert an historische Analysen, was die Authentizität der Geschichte unterstützt. Die ambivalente Rolle der Mouvement-Akteure – zwischen Helden und Schurken, Erlösern und Zerstörern – ist bereits im Prolog präsent.

1. Teil, „Le cardinal de Solférino“ verfolgt Grémonds Aufstieg im Parteiapparat des PS, man nennt ihn „Kardinal“, er wird als Hoffnungsträger dargestellt, der im Zentrum der politischen Macht steht, doch am Ende eine spaltende Figur bleibt. Die Beschreibung Grémonds erfolgt distanziert und fast klinisch, was eine innere Leere und die Entfremdung von seinen ideologischen Wurzeln unterstreicht. Grémond bleibt auf dem Weg zur Macht gefangen in der inneren Zerrissenheit zwischen Idealismus und Opportunismus. Der französische „Deep State“ war am Beispiel der politischen Großvaterfigur für Grémond Garant einer Staatsnation, die sich von ideologischen Wechseln nicht erschüttern ließ:

Ce que Grémond aime le plus au monde, c’est la morgue de l’État. Il l’a connue, enfant, à travers la figure d’un grand-père mythique qui, après être sorti major de l’agrégation d’histoire et avoir longtemps enseigné en prépa à Louis-le-Grand, avait terminé sa carrière comme recteur de l’académie de Créteil. Les plus vieux souvenirs que Grémond a de lui remontent aux visites qu’il lui faisait, enfant, dans son bureau panoramique. Son grand-père régnait sur les destinées spirituelles de la ville nouvelle comme une sorte d’évêque. Il faisait et défaisait les carrières d’un clergé innombrable, seul élément d’éternité du chantier de la cité qu’il avait sous les yeux ; le sien, aussi vieux que la France, consistait à former les âmes de la nation. Il parlait peu et laissait entendre que toutes ses actions avaient été méditées pendant des siècles, il était l’État plus puissant que les ministres de passage, que les régimes politiques successifs, il était le désir d’apprendre, la France qui se perfectionnait toujours, qui n’en finissait plus de devenir elle-même.

Ce grand-père était franc-maçon, d’un grade très élevé — Grémond n’en a eu confirmation qu’à sa mort, mais il l’avait deviné depuis longtemps. Il savait des choses qu’il ne pouvait pas dire. Mieux : des choses qu’il pouvait bien dire puisque personne n’était assez initié pour les comprendre vraiment.

Aurélien Bellanger, Les derniers jours du Parti socialiste, „L’État profond“.

Was Grémond am meisten auf der Welt liebt, ist die staatliche Leichenhalle. Als Kind lernte er sie durch die Figur eines mythischen Großvaters kennen, der seine Karriere als Rektor der Akademie von Créteil beendete, nachdem er die Agrégation d’histoire als Bester abgeschlossen und lange Zeit in Louis-le-Grand unterrichtet hatte. Die ältesten Erinnerungen, die Grémond an ihn hat, gehen auf die Besuche zurück, die er ihm als Kind in seinem Panoramabüro abstattete. Sein Großvater herrschte wie eine Art Bischof über die geistigen Geschicke der neuen Stadt. Er machte und beendete Karrieren eines unzähligen Klerus, dem einzigen Element der Ewigkeit auf der Baustelle der Stadt, die er vor Augen hatte; sein eigenes, das so alt wie Frankreich war, bestand darin, die Seelen der Nation zu formen. Er sprach wenig und ließ durchblicken, dass all seine Handlungen jahrhundertelang überlegt worden waren, er war der Staat, der mächtiger war als wechselnde Minister, als aufeinanderfolgende politische Systeme, er war der Wunsch zu lernen, Frankreich, das sich immer weiter vervollkommnete, das nie aufhörte, es selbst zu werden.

Dieser Großvater war Freimaurer, mit einem sehr hohen Rang – Grémond wurde dies erst nach seinem Tod bestätigt, aber er hatte es schon lange geahnt. Er wusste Dinge, die er nicht sagen konnte. Besser: Dinge, die er gut sagen konnte, da niemand eingeweiht genug war, um sie wirklich zu verstehen.

2. Teil, „Les deux philosophes“ – Hier werden die Figuren Taillevent und Frayère als zwei gegensätzliche intellektuelle Strömungen innerhalb der Partei eingeführt; ihre philosophischen Differenzen stehen symbolisch für den Kampf zwischen Linken und Rechten: Taillevent, ein intellektueller Kopf des Mouvement, verkörpert eine linke, aber immer mehr nationalistische und laizistische Position, während Frayère den Übergang zum rechten Lager symbolisiert. Die Figuren stehen für die Spannungen zwischen Demokratie und Autoritarismus. In der Satire auf die französische Intelligenzija basieren die Figuren Taillevent und Frayère auf den realen Intellektuellen Raphaël Enthoven und Michel Onfray, die für ihre früheren Debatten über Laizität und Republikanismus bekannt sind. 7 Ihre Diskussion dreht sich um den Platz der Linken in der modernen Gesellschaft und die Frage, ob die Trennung zwischen Links und Rechts noch relevant ist. Dieser Teil stellt die zentrale Frage des Romans: Was bedeutet es noch, heute links zu sein? Bellanger verwendet hier einen dialogischen Stil, der die Rhetorik philosophischer Debatten aufgreift, aber auch die intellektuelle Sterilität der Linken vorführt: Die Debatte endet im Zirkelschluss, ohne wirkliche Lösungen für die realen Probleme der Gesellschaft zu bieten. Kritiker wie Saïd Mahrane (Le Point) und Frédéric Beigbeder (Le Figaro) greifen diese Figuren auf und kritisieren Bellanger dafür, die Charaktere zu stark an ihre realen Vorbilder zu binden, was dem Roman manchmal die literarische Tiefe nehme.

Taillevent et Frayère. L’héritier et l’autodidacte, le philosophe des villes et le philosophe des champs, l’enfant de Saint-Germain-des-Prés et celui de la rurale Aurion dans le Bas-Maine, le fils d’une éditrice et d’un professeur de la Sorbonne, celui d’un garçon de ferme et d’une ouvrière.

Tout les oppose. Ils ont pourtant lu les mêmes philosophes, adolescents, qui ont décidé de leur vocation — une façon de transfigurer leurs rages étonnamment similaires d’enfant du peuple et d’enfant de l’élite confrontés à une même angoisse : comment exister dans un monde qui ne les désire pas ?

Aurélien Bellanger, Les derniers jours du Parti socialiste, Les deux philosophes

Taillevent und Frayère. Der Erbe und der Autodidakt, der Stadtphilosoph und der Landphilosoph, das Kind von Saint-Germain-des-Prés und das aus dem ländlichen Aurion im Bas-Maine, der Sohn einer Verlegerin und eines Sorbonne-Professors, der Sohn eines Bauernjungen und einer Arbeiterin.

Alles stellt sie einander gegenüber. Dennoch haben sie als Teenager dieselben Philosophen gelesen, die über ihre Berufung entschieden haben – eine Art der Verklärung ihrer erstaunlich ähnlichen Wut als Kinder des Volkes und Kinder der Elite, die mit derselben Angst konfrontiert sind: Wie können sie in einer Welt existieren, die sie nicht begehrt?

3. Teil, „Charlie Hebdo“ – Die Auswirkungen der Terroranschläge von 2015 für eine fundamentale Veränderung des politischen Klimas in Frankreich werden erzählt. Hier nimmt der Aufstieg des Mouvement du 9 décembre seinen Lauf. Die Gesellschaft ist polarisiert, und der politische Diskurs verhärtet sich für Grémond, das Mouvement sieht die Chance auf einen ideologischen Wandel. Der Anschlag und die darauffolgenden Reaktionen werfen Fragen auf, ob der Terrorismus als Katalysator für die Rechtfertigung autoritärer Maßnahmen dient oder ob er tatsächlich eine Bedrohung für die demokratischen Grundwerte darstellt.

« Aujourd’hui, nous avons perdu une bataille culturelle, mais pas la guerre. J’arrive de la place de la République, qui n’a jamais aussi bien porté son nom. Je ne m’attendais pas à y voir autant de drapeaux bleu blanc rouge et à entendre chanter autant de Marseillaise. Même par des vieux libertaires. L’attentat a visé terriblement juste. Mais pas tout à fait au cœur : l’esprit français sortira renforcé de l’épreuve. Il fallait voir la foule tendre à bout de bras ses pancartes de fortune imprimées sur du papier A4 : « Je suis Charlie ! » Qui pourrait être aux années 2010 ce que le signe Peace and Love a été aux années 1970. J’ai aussi noté ce slogan : « Laïcité, égalité, fraternité ». Tout va être dit, il y aura des récupérations, des appels sincères à ne pas faire d’amalgames, et d’autres, tout aussi sincères, à reconstituer la Ligue pour sortir vainqueur de la nouvelle guerre de religion qui s’annonce. Le pacte républicain pourrait ne pas survivre à la spirale de violence à venir. C’est là que le concept de laïcité est appelé à jouer tout son rôle. Car cette attaque visait à punir un prétendu blasphème, elle était, essentiellement, anti-laïque. La défense de la laïcité : voilà le point que nous devons mettre en avant. Voilà notre guerre culturelle pour les jours, les mois et les années qui viennent. C’est sur notre plus belle allégorie de la laïcité qu’on a tiré ce matin. »

Aurélien Bellanger, Les derniers jours du Parti socialiste, „Ce soir, nous sommes tous islamophobes“.

„Heute haben wir eine Kulturschlacht verloren, aber nicht den Krieg. Ich komme gerade von der Place de la République, die ihrem Namen noch nie so gut gerecht wurde. Ich hatte nicht erwartet, dort so viele blau-weiß-rote Fahnen zu sehen und so viele Marseillaise-Gesänge zu hören. Selbst von alten Libertären. Das Attentat traf erschrecken präzise ins Schwarze. Aber nicht ganz ins Herz: Der französische Geist wird gestärkt aus der Prüfung hervorgehen. Man musste sich ansehen, wie die Menschenmenge ihre behelfsmäßigen, auf DIN-A4-Papier gedruckten Schilder mit den Armen ausstreckte: „Je suis Charlie!“. Das für die 2010er Jahre das sein könnte, was das Peace-and-Love-Zeichen für die 1970er Jahre war. Ich habe mir auch den Spruch „Laïcité, égalité, fraternité“ (Laizität, Gleichheit, Brüderlichkeit) notiert. Alles wird gesagt werden, es wird Vereinnahmungen geben, aufrichtige Appelle, keine Vermischungen vorzunehmen, und andere, ebenso aufrichtige, die Liga neu zu formieren, um aus dem neuen Religionskrieg, der sich ankündigt, als Sieger hervorzugehen. Der republikanische Pakt wird die kommende Spirale der Gewalt möglicherweise nicht überleben. Hier ist das Konzept der Laizität gefordert, seine ganze Rolle zu spielen. Denn dieser Angriff zielte darauf ab, eine angebliche Blasphemie zu bestrafen, er war im Wesentlichen anti-säkular. Die Verteidigung des Säkularismus: Das ist der Punkt, den wir in den Vordergrund stellen müssen. Das ist unser Kulturkrieg für die kommenden Tage, Monate und Jahre. Auf unsere schönste Allegorie des Säkularismus wurde heute Morgen geschossen.“

4. Teil, „Le Mouvement du 9 décembre“ – Der Höhepunkt der Bewegung, seine ideologische Ausrichtung und der Zerfall der sozialistischen Partei werden mit Grémond verbunden, der zentralen Figur, die das politische Erbe des Mouvement prägt. Viele Kritiken, darunter die von Libération und Nouvel Observateur, konzentrieren sich auf die Schaffung des fiktiven „Mouvement du 9 décembre“ (der klar an den realen Printemps Républicain erinnert). Dieser wird von Bellanger als eine Bewegung beschrieben, die von einer extremen Form der Laizität besessen ist und dazu führt, dass Frankreich in autoritäre Bahnen gelenkt wird. Diese Bewegung wird als Ursache der Auflösung der französischen Linken und als Mitverursacher der Erfolge der extremen Rechten dargestellt.

Le Mouvement du 9 décembre, ni parti politique, ni association, ni même lobby, reste difficile à cerner.

Il faudrait peut-être utiliser, pour le définir, le mot un peu désuet de confrérie. Ses membres se cooptent et partagent, incontestablement, des valeurs communes, bien qu’ils se répartissent sur un spectre politique très large allant de l’anarchisme, issu de « l’esprit Charlie », au républicanisme un peu étriqué des laïcards. Tous les bords et tous les milieux sont représentés. Il y a des fils d’ouvriers et des grands bourgeois, des militants syndicaux et des grands patrons, des rescapés des années noires algériennes ou de la guerre civile libanaise, haïssant l’islamisme dans leur chair, comme des militants souverainistes fascinés par la théorie du grand remplacement. « Des hommes venus de partout, comme dans la Résistance », nous a-t-on dit souvent. Et présents partout. Le Mouvement du 9 décembre, à son apogée, aura presque pris possession de la République, notamment via les préfectures ou les cabinets des ministres. Ses raids sur les réseaux sociaux sont redoutés, sur les plateaux ses chroniqueurs sont les plus impitoyables, leurs réparties, au micro, sont les plus tranchantes.

Aurélien Bellanger, Les derniers jours du Parti socialiste, „Les jacobins errants“.

Die Bewegung des 9. Dezember, die weder eine politische Partei noch ein Verein oder gar eine Lobby ist, bleibt schwer zu fassen.

Vielleicht sollte man das etwas veraltete Wort „Bruderschaft“ verwenden, um sie zu definieren. Ihre Mitglieder werden kooptiert und teilen unbestreitbar gemeinsame Werte, obwohl sie sich über ein sehr breites politisches Spektrum verteilen, das vom Anarchismus, der aus dem „Geist von Charlie“ hervorgegangen ist, bis hin zum etwas engstirnigen Republikanismus der Laizisten reicht. Alle politischen Richtungen und Milieus sind vertreten. Es gibt Arbeitersöhne und Großbürger, Gewerkschaftsaktivisten und Großunternehmer, Überlebende der dunklen Jahre in Algerien oder des libanesischen Bürgerkriegs, die den Islamismus in Grund und Boden hassen, ebenso wie militante Souveränisten, die von der Theorie des großen Austauschs fasziniert sind. „Männer, die von überall her kamen, wie in der Résistance“, wurde uns oft gesagt. Und überall präsent. Die Bewegung des 9. Dezember wird auf ihrem Höhepunkt fast die Republik in Besitz genommen haben, insbesondere über die Präfekturen oder die Kabinette der Minister. Ihre Razzien in den sozialen Netzwerken sind gefürchtet, ihre Kolumnisten sind die unerbittlichsten, ihre Worte am Mikrofon die schärfsten.

5. Teil, „Le Chanoine“ – Der Verrat des Mouvement durch rechte Kräfte zeigt sich hier, was ein Auseinanderbrechen der Bewegung zur Folge hat. Ehemalige Mitglieder des Mouvement tun sich mit rechten Kräften zusammen, um politischen Einfluss zu gewinnen. Grémond sieht sich von ehemaligen Weggefährten verraten: Die Fragilität politischer Allianzen und der Zerfall einstiger Ideale treffen aufeinander in einer Atmosphäre des Verrats und der Desillusionierung. Der Verrat kann sowohl als moralische Kapitulation des Mouvement als auch als unvermeidlicher Teil des politischen Spiels interpretiert werden. Bellanger lässt hier bewusst Raum für unterschiedliche Lesarten. Mehrere Kritiken, wie etwa Solenn de Royer in Le Monde, gehen auf die Figur des „Chanoine“ ein, die deutlich Ähnlichkeit zum Präsidenten Emmanuel Macron aufweist. 8 Die fiktive Figur Macrons wird als Strippenzieher dargestellt, der die politische Linke zersetzt und Frankreich auf den Weg in den Autoritarismus führt.

Les analystes politique se sont complus à décrire le plus jeune président de la Ve République comme une énigme vivante. Ni de droite, ni de gauche, chantre du « en même temps », volontaire sur les questions de mœurs comme la fin de vie ou l’avortement, mais respectueux aussi des inquiétudes démographiques de son aile droite, de plus en plus obsédée par la théorie du grand remplacement. Le Chanoine, a-t-on inlassablement répété, n’aimait rien tant que l’ambiguïté, la pensée complexe, les instants périlleux. Tout cela ne relève pourtant que de la mauvaise littérature, faussement profonde et terriblement obséquieuse. Une littérature de cour qui passe à côté du personnage. Il paraît plus fécond, aujourd’hui, d’articuler ces paradoxes, relevant jusque-là de la pure spéculation psychologique, autour d’un élément plus tangible : celui des rapports du Chanoine avec les ultras de la laïcité, dont il aimait s’entourer car ils étaient les seuls à pouvoir mesurer sa grandeur, celle d’un homme émancipé de toutes les appartenances, le premier laïc de France.

Aurélien Bellanger, Les derniers jours du Parti socialiste, „Le premier laïc de France“.

Politische Analysten haben sich darin gefallen, den jüngsten Präsidenten der Fünften Republik als ein lebendes Rätsel zu beschreiben. Weder rechts noch links, ein Verfechter des „Gleichzeitig“, willensstark in Sittenfragen wie der Sterbehilfe oder der Abtreibung, aber auch respektvoll gegenüber den demografischen Sorgen seines rechten Flügels, der zunehmend von der Theorie des großen Austauschs besessen ist. Der Kanonikus, so wurde unermüdlich wiederholt, liebte nichts so sehr wie Mehrdeutigkeit, komplexes Denken und gefährliche Momente. All dies ist jedoch nur schlechte Literatur, die fälschlicherweise tiefgründig und schrecklich unterwürfig ist. Eine höfische Literatur, die an der Person vorbeigeht. Es scheint heute fruchtbarer, diese Paradoxien, die bislang reine psychologische Spekulation waren, um ein greifbareres Element zu gruppieren: die Beziehung des Domherrn zu den Ultras der Laizität, mit denen er sich gerne umgab, weil nur sie seine Größe ermessen konnten, die eines von allen Zugehörigkeiten emanzipierten Mannes, des ersten Laizisten Frankreichs.

6. Teil, „Théorie du fascisme français“ – Dieser letzte Hauptteil unternimmt eine politische Analyse des Aufstiegs rechter Bewegungen und deren Verbindung zu faschistischen Ideologien. Die Linke wird immer stärker von rechten Narrativen vereinnahmt. Grémond diskutiert die aufkommenden faschistischen Tendenzen in Frankreich, er reflektiert über die historische Entwicklung und stellt Parallelen zwischen dem Aufstieg des Faschismus und der aktuellen politischen Lage her. Der Faschismus wird als Symptom für das Versagen der Demokratie und die Schwäche der Linken dargestellt. Ein halbes Jahr nach Tod von Grémond wird ihm zu Ehren an der Sorbonne von Freunden ein großes Kolloquium über die neuen Bedrohungen für die Republik veranstaltet, kurz vor den Präsidentschaftswahlen 2022, Taillevent hatte den Titel „Déconstruire la déconstruction, rallumer les Lumières“ gewählt, „Dekonstruktion dekonstruieren, Aufklärung neu entfachen“, der Erzähler nennt den Moment der Eröffnung den „offiziellen und endgültigen Tod des Mai 1968“, der Erziehungsminister besiegelt dies mit seiner Eröffnungsrede:

Le discours inaugural du ministre de l’Éducation, sous le haut patronage duquel ce colloque avait été placé, ne laissait planer aucun doute sur ce qu’on en attendait. Ces cinquante dernières années avaient été presque entièrement consacrées, dans le champ académique, à rejouer sans fin cette révolution ratée en imposant son nihilisme jouisseur jusque dans le cerveau des élèves. L’université, qu’elle avait pervertie, avait prétendu faire table rase d’une civilisation entière, de trois mille ans d’histoire ininterrompus. Tout raser, tout détruire : Attila n’avait été repoussé aux champs Catalauniques que pour revenir comme doctorant à Nanterre. Quelle était l’histoire, quel était le grand récit, quel était le roman national, aujourd’hui, qu’on transmettait aux citoyens de demain ? Une histoire sans vainqueurs, un récit sans intrigue, un roman sans héros. Pire, sans péripéties ni dates. Même 1492, l’année de la découverte de l’Amérique et de la fin de la Reconquista espagnole, ne faisait plus consensus, sinon au titre d’événement néfaste. Pouvait-on encore écrire l’histoire si le simple fait de désigner le début de l’ère moderne faisait l’objet d’un tel tabou ? Avait-on pensé à ce paradoxe que si l’unique sujet de l’histoire était le vaincu, le dominé, sinon l’illettré lui-même, alors il n’y avait plus d’histoire ? Voilà ce que le ministre redoutait avant tout, au nom de l’humanisme, au nom des Lumières : qu’on soit entré, par incapacité politique à écrire encore l’histoire, dans une nouvelle préhistoire.

Aurélien Bellanger, Les derniers jours du Parti socialiste.

Die Eröffnungsrede des Bildungsministers, unter dessen Schirmherrschaft das Symposium stand, ließ keinen Zweifel daran, was man sich von ihm erhoffte. Die letzten 50 Jahre waren im akademischen Bereich fast ausschließlich damit verbracht worden, die gescheiterte Revolution endlos nachzuspielen und ihren genusssüchtigen Nihilismus bis in die Gehirne der Schüler zu tragen. Die Universität, die sie pervertiert hatte, gab vor, eine ganze Zivilisation, dreitausend Jahre ununterbrochener Geschichte auslöschen zu wollen. Alles dem Erdboden gleichmachen, alles zerstören: Attila war nur auf den Katalaunischen Feldern abgewehrt worden, um als Doktorand nach Nanterre zurückzukehren. Was war die Geschichte, was war die große Erzählung, was war der Nationalroman heute, der den Bürgern von morgen vermittelt wurde? Eine Geschichte ohne Sieger, eine Erzählung ohne Handlung, ein Roman ohne Helden. Schlimmer noch, ohne Wendungen und Daten. Selbst 1492, das Jahr der Entdeckung Amerikas und des Endes der spanischen Reconquista, war kein Konsens mehr, es sei denn, es wurde als verhängnisvolles Ereignis angesehen. Konnte man überhaupt noch Geschichte schreiben, wenn schon die Bezeichnung des Beginns der Neuzeit mit einem solchen Tabu belegt war? Hatte man an das Paradoxon gedacht, dass es keine Geschichte mehr gibt, wenn das einzige Subjekt der Geschichte der Besiegte, der Beherrschte, wenn nicht sogar der Analphabet selbst ist? Das war es, was der Minister im Namen des Humanismus, im Namen der Aufklärung, vor allem fürchtete: dass wir aus politischer Unfähigkeit, noch Geschichte zu schreiben, in eine neue Vorgeschichte eingetreten sind.

Das endgültige Scheitern der sozialistischen Partei, Grémonds Tod und das Ende der Bewegung stehen am Schluss des Romans. Die rechte Verschwörungstheorie des Grand Remplacement (der „große Austausch“ als ethnopluralistischer Kampfbegriff der Neuen Rechten, u.a. formuliert 2011 von Renaud Camus) wird diskutiert, die den politischen Diskurs in Frankreich maßgeblich beeinflusst hat und die politische Linke überrollt. Bellanger präsentiert diese Theorie als gefährliche ideologische Waffe, die von populistischen Parteien instrumentalisiert wird; zugleich bleibt die Positionierung ambivalent, wenn Grémond darüber reflektiert, ob die Ängste vor einer kulturellen Transformation gerechtfertigt sind. Grémond, der stark an Laurent Bouvet angelehnt ist, leidet an der Charcot-Krankheit. Kritiken etwa von Les Echos und Le Point greifen auf diese tragische Figur zurück und diskutieren, wie Grémond, obwohl durch die Krankheit geschwächt, als intellektuelle Schlüsselfigur in Bellangers Roman auftaucht. Seine Figur wird als Symbol der alten Garde der französischen Linken dargestellt, die immer mehr an Einfluss verliert; er wird als tragische Figur gezeichnet, die das Erbe der Revolution nicht fortführen kann, sondern in einem moralischen und politischen Dilemma endet.

Bellangers Stil ist geprägt von langen, reflexiven Passagen, die politische Philosophie und Theorie mit narrativen Elementen verbinden. Der Roman bedient sich einer dichten, teilweise essayistischen Sprache, die viele historische und philosophische Referenzen einbettet. Auffällig sind die Bildlichkeit und die Leitmotive der Revolution, des Verrats und der politischen Transformation. Die Bildlichkeit des Königsmords verweist auf die Tötung der sozialistischen Ideale durch ihre eigenen Protagonisten, während der „Kardinal“ Grémond als mächtige, aber letztlich isolierte Figur erscheint, die politische Macht ohne moralischen Kompass ausübt.

Sauveterres Roman im Roman

Sauveterres Biografie ist die eines Künstlers, der die Macht der Fiktion versteht, doch am politischen System scheitert. Er ist als autopoetologisch-metafiktionale Figur des politischen Schriftstellers, als Alter Ego von Bellanger im Roman konzipiert. Nehmen wir Bellangers Verweis auf die komplexe Figur von Mussets Lorenzaccio ernst, so ist dieser Büchermensch und Idealist im Theaterstück eine Warnung: wie er sich von Figuren der Historie wie Brutus leiten lässt, die Tyrannei des Vetters Alessandro heroisch zu beenden, wird er aber beim Versuch, sein Vertrauen zu gewinnen, dessen zügellosen Lebensstil annehmen. Nach der erfolgreichen Ermordung des Tyrannen muss er feststellen, dass die erkämpfte Freiheit wertlos ist: Da die Bürger von Florenz sie nicht zu schätzen wissen, sondern mit Cosimo einen weiteren Tyrannen an die Macht kommen lassen, bleibt für Lorenzo nur die Flucht nach Venedig. Nachdem der romantische Held erkennt, dass seine Tat vergeblich war und dass die Vorbereitung ihn selbst korrumpiert hat, unternimmt er keinen ernsthaften Versuch, sich zu retten – und wird letztlich ermordet. Alfred de Musset hatte kurz nach dem Scheitern der Julirevolution 1830 (die den Sturz der restaurativen Monarchie unter Charles X. und seiner konservativen Unterstützer brachte) mit seinem Theaterstück Lorenzaccio die Verschwörung des 16. Jahrhunderts als historische Folie benutzt: Die Revolution weckte bei ihm Hoffnungen auf eine Ära der Freiheit, soziale Gerechtigkeit und Reformen, doch die Jugend, die enthusiastisch auf den Barrikaden für die Errichtung einer Republik gekämpft hatte, fühlte sich betrogen, als kaum Verbesserungen spürbar wurden, ebenso wie die Generation der Romantiker mit einem nostalgischen „mal du siècle“ reagiert.

Sauveterre songea alors au Lorenzaccio de Musset : devenir un familier du prince pour mieux le poignarder, dans l’intimité, quand sa cote de mailles se serait entrouverte… Combien de visiteurs invités à dîner à l’Élysée avaient successivement regardé leur main, leur couteau, ces quelques centimètres de peau nue sous la mâchoire du prince et calculé le nombre de pas qui les séparait d’un régicide ? Sauveterre avait-il seulement une raison d’en vouloir à ce prince-président qui l’avait, en l’invitant à plusieurs réceptions ou dîners d’écrivains, toujours honoré du minimum de considération que sa vanité réclamait ? Se disait-il, au contraire, que toute cette courtisanerie, difficilement évitable au pays de Louis XIV et des historiographes officiels, n’était acceptable que si elle permettait, le moment venu, à un écrivain d’assumer son rôle historique et de venger le peuple de l’insolence du tyran ?

Aurélien Bellanger, Les derniers jours du Parti socialiste, „Lorenzaccio“.

Sauveterre dachte an Mussets Lorenzaccio: ein Vertrauter des Prinzen zu werden, um ihn im Privaten besser erstechen zu können, wenn sich sein Kettenhemd geöffnet hatte … Wie viele Besucher, die zum Abendessen im Elysée-Palast eingeladen waren, hatten nacheinander ihre Hand, ihr Messer und die paar Zentimeter nackter Haut unter dem Kiefer des Prinzen betrachtet und die Anzahl der Schritte berechnet, die sie von einem Königsmörder trennten? Hatte Sauveterre überhaupt einen Grund, auf den Prinzen-Präsidenten wütend zu sein, der ihn durch die Einladung zu mehreren Empfängen oder Schriftstellerdiners immer mit dem Minimum an Achtung beehrt hatte, das seine Eitelkeit verlangte? Dachte er im Gegenteil, dass all diese Höflichkeit, die im Land Ludwigs XIV. und der offiziellen Historiografen kaum zu vermeiden war, nur dann akzeptabel war, wenn sie es einem Schriftsteller ermöglichte, zu gegebener Zeit seine historische Rolle zu übernehmen und das Volk für die Anmaßung des Tyrannen zu rächen?

Lorenzo will den Herrscher im Alleingang töten, um die Republik Florenz wiederzuherstellen. Mussets Protagonist ist eine ambivalente, gespaltene Figur: zugleich romantischer Idealist („Lorenzino“) und so strategisch korrupt wie ausschweifend („Lorenzaccio“). Musset erlaubte sich wie Bellanger Freiheiten der Fantasie, etwa bei der Gestaltung von Lorenzos Tod. Im Dichter Sauveterre spiegelt Bellanger die eigene Rolle als Künstler: Sauveterre wird schnell zu einem bekannten Namen in intellektuellen Kreisen, doch seine Romane sind geprägt von einer tiefen Skepsis gegenüber politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen. Zugleich reflektieren sie über die Macht von Fiktion und Erzählungen, die Realität zu formen oder zu verzerren. Sauveterre bleibt zunächst passiver Beobachter der Welt der Politik, wird aber immer mehr in die politischen Debatten seiner Zeit hineingezogen, seine Romane werden immer mehr nicht nur als Kunstwerke, sondern auch als politische Kommentare verstanden. Stärker gerät er in den Fokus politischer Akteure, die seine Werke als direkte Angriffe auf ihre Ideologie interpretieren. In einer dramatischen Wendung wird Sauveterre selbst zur Zielscheibe von Verschwörungserzählungen: Er wird beschuldigt, Teil eines geheimen Netzwerks zu sein, das hinter den Kulissen die politische Landschaft manipuliert. Diese frei erfundenen Vorwürfe verbreiten sich schnell und setzen seiner Karriere zu. Die Grenzen zwischen Fiktion und Realität verschwimmen: Sauveterre wird zu einem Opfer der Erzählungen, die er selbst als Fiktion entlarvt hat. Dies führt zu einer persönlichen Krise, in der er sich fragt, ob seine Rolle als Schriftsteller nicht dazu beigetragen hat, diese manipulativen Erzählungen überhaupt erst zu ermöglichen.

An einzelnen Stellen des Romans erzählt Sauveterre alternative Versionen der politischen Ereignisse oder interpretiert sie auf unerwartete Weise. Diese Momente dienen als metanarrative Kommentare und dekonstruktieren die Hauptgeschichte. Sie zeigen, wie Geschichten innerhalb von Geschichten funktionieren und wie die Grenzen zwischen Erfindung und Realität verschwimmen können. Die antagonistische Beziehung zwischen Sauveterre und Grémond wird im Roman als intellektueller und politischer Konflikt dargestellt, sie erzeugt zugleich narrative Spannung und kommentiert die Rolle des Schriftstellers in der Politik. Sauveterre wurde zu einem der schärfsten Kritiker des Mouvement du 9 décembre, und Bellanger nutzt diese Beziehung, um über Macht, Ideologie und die Rolle des Intellektuellen in der politisch gespaltenen Gesellschaft zu reflektieren.

Le Mouvement du 9 décembre est l’emblème des temps troublés que nous traversons. Il ne sera pas possible, dans ce seul ouvrage, de délier tous les destins qui s’y sont entrecroisés : il faudrait être romancier, il faudrait être Sauveterre, il faudrait être Balzac pour y parvenir. Une lecture attentive des Cahiers de prison du martyr de la gauche italienne Antonio Gramsci a néanmoins apporté un éclairage indirect sur tout cela, l’Italie ayant souvent eu, depuis Machiavel et Mussolini, jusqu’à Berlusconi, Beppe Grillo ou Giorgia Meloni, un coup d’avance sur le monde en ces matières-là.

Aurélien Bellanger, Les derniers jours du Parti socialiste, „Prologue“.

Die Bewegung des 9. Dezember ist ein Sinnbild für die unruhigen Zeiten, die wir durchleben. Es wird nicht möglich sein, in diesem einen Werk alle Schicksale zu entwirren, die sich darin verwoben haben: Man müsste Romancier sein, man müsste Sauveterre sein, man müsste Balzac sein, um dies zu erreichen. Eine aufmerksame Lektüre der Gefängnishefte des Märtyrers der italienischen Linken Antonio Gramsci hat jedoch indirekt Licht auf all dies geworfen, da Italien seit Machiavelli und Mussolini bis hin zu Berlusconi, Beppe Grillo oder Giorgia Meloni der Welt in diesen Dingen oft einen Schritt voraus war.

Aurélien Bellanger, Les derniers jours du Parti socialiste.

Sauveterre zieht sich schließlich in seine fiktiven Welten zurück, um der politischen Realität zu entkommen, die er als zunehmend manipulativ und zerstörerisch empfindet. Als Folge der Verschwörungserzählungen und der politischen Angriffe gegen ihn gerät der Schriftsteller immer mehr in Isolation. Er zieht sich aus dem öffentlichen Leben zurück und arbeitet an seinen letzten Werken, die von einem tiefen Pessimismus geprägt sind. Sauveterres Tod bleibt mysteriös. Einige glauben, dass er ermordet wurde, weil er die Wahrheit über die Bewegung des 9. Dezember enthüllt hat, während andere davon ausgehen, dass er seinem Leben selbst ein Ende gesetzt hat. In einer der letzten Szenen des Romans wird Sauveterre gleichwohl als politische Figur dargestellt, obwohl er sich immer dagegen gewehrt hat. Seine Werke werden von unterschiedlichen politischen Gruppen als Manifest ihrer Ideologie interpretiert, obwohl er dies nie beabsichtigt hat. Nach seinem Tod wird Sauveterre zu einer fast mythischen Figur: Seine Werke werden weiterhin gelesen und debattiert, doch seine Figur wird wachsend fiktionalisiert; in der Nachwelt wird er sowohl als Held gefeiert, der gegen die Macht des Mouvement kämpfte, als auch als tragische Figur, die der politischen Manipulation zum Opfer fiel.

Ästhetische Revolte: Le vingtième siècle

Aus deutscher Sicht irritiert, dass der neueste Roman von Aurélien Bellanger Les derniers jours du Parti socialiste meist völlig isoliert besprochen wird und nicht als Teil eines systematischen Romanwerks über Geschichte, Gegenwart und Zukunft Frankreichs. Dass etwa auch der vorangegangene Walter Benjamin-Roman Le vingtième siècle (hier im Februar 2023 besprochen) von Aurélien Bellanger als Kommentar zur Linken gelesen werden kann, ist von der Literaturkritik bislang vernachlässigt worden, etwa in einer (fiktiven) Notiz von Walter Benjamin, die er auf eine Seite seines Exemplars von Rousseaus Bekenntnissen geschrieben hätte:

Sur la gauche et la droite, Walter Benjamin.
Il y a des choses interdites mais la seule chose illégale c’est le pouvoir : voilà l’unique constitution recevable, si elle n’impliquait pas contradiction. Le seul activisme de la droite, c’est l’État : la droite est ce qui se consolide dans le moindre de ses mouvements. De perdre à chaque coup, de voir chacun de ses coups déjoué : cela pourrait être la définition tragique de la gauche. Mais ne pouvoir perdre, être perpétuellement condamné à la victoire, c’est le destin encore plus tragique de la droite qui ne peut jamais être défaite. Et c’est en cela, pourtant, qu’elle pourra être vaincue. Car ce n’est pas la colère de Dieu mais la révolte de ses ouvriers qui détruisit Babel.

Aurélien Bellanger, Le vingtième siècle, „Sur la gauche et la droite, Walter Benjamin. Fragment crayonné sur une page de son exemplaire des Confessions de Rousseau.“

Über die Linke und die Rechte, Walter Benjamin.
Es gibt verbotene Dinge, aber das einzig Illegale ist die Macht: Das ist die einzig zulässige Einrichtung, wenn sie keinen Widerspruch beinhalten würde. Der einzige Aktivismus der Rechten ist der Staat: Die Rechte ist das, was sich in jeder ihrer Bewegungen verfestigt. Jeden Zug zu verlieren, jeden seiner Züge vereitelt zu sehen: Das könnte die tragische Definition der Linken sein. Aber nicht verlieren zu können, immer zum Sieg verdammt zu sein, ist das noch tragischere Schicksal der Rechten, die niemals besiegt werden kann. Und gerade darin kann sie jedoch besiegt werden. Denn es war nicht der Zorn Gottes, sondern die Revolte seiner Arbeiter, die Babel zerstörte.

In Le vingtième siècle ist es eine ultralinke Gruppierung, die sich nach Walter Benjamin benennt, ohne eigene realpolitische Strategien zu erarbeiten; Bellanger nennt die Gruppierung einen Zufluchtsort für Intellektuelle, einen ultimativen Feind dieser Welt, sie will die Welt zerstören, indem sie die Symbole des Staates, des Kapitalismus oder der Autoritäten zerschlägt. 9 In einer Parodie Bellangers eines Artikels aus Les Inrockuptibles lesen wir:

Pire, la droite et la gauche, chacune de leur côté du temps et dressées l’une contre l’autre, le camp du passé et celui du futur, martèlent à vide la feuille d’or du présent. Et on se dit que l’âge d’or ne pourrait être que ça, un trompe-l’œil, la feuille froissée d’une histoire immobile — un rebut. Un rébus. Le temps s’entorsade comme les récits de soumission en esclavage des peuples sur les colonnes romaines — sauf que nous sommes cette fois le peuple vaincu dont il ne demeure que des figures estompées sur la surface lisse d’une pièce dévaluée.

Aurélien Bellanger, Le vingtième siècle, „Les Inrocks, spécial séries, janvier 2014.“

Schlimmer noch, die Rechte und die Linke, jede auf ihrer Seite der Zeit und gegeneinander aufgestellt, das Lager der Vergangenheit und das der Zukunft, hämmern leer auf das goldene Blatt der Gegenwart ein. Und man denkt sich, dass das Goldene Zeitalter nur das sein könnte, ein Trompe-l’œil, das zerknitterte Blatt einer unbeweglichen Geschichte – ein Ausschuss. Ein Rebus. Die Zeit verdreht sich wie die Erzählungen von der Versklavung der Völker auf den römischen Säulen – nur dass wir diesmal das besiegte Volk sind, von dem nur noch verwischte Figuren auf der glatten Oberfläche einer entwerteten Münze übrig sind.

Die Linke wird aus der Ichperspektive schon hier durchaus diskreditiert, da sie sich nicht den realen Bedrohungen der Gesellschaft stellt, sondern sich bspw. mit ästhetischer Werbekritik begnügt, sie definieren sich dabei weder als Marxisten noch als Anarchisten, sondern als Situationisten: „Ein Zufluchtsort für Intellektuelle, die sich nicht vorstellen konnten, der extremen Rechten direkt die Straße streitig zu machen. Eine kleine Nische, von der ich mir selbst ein wenig vorgaukelte, sie sei der ideale Beobachtungsposten für den Kapitalismus und seine Auswüchse. Ich hatte mich entschieden, nicht direkt gegen den Faschismus zu kämpfen, in seiner niedrigsten Form, mit seinen folkloristischen Tätowierungen und den unter den Ecken der Sticker versteckten Rasierklingen, oder gar in seiner verdinglichten, staatlichen und polizeilichen Form, sondern in seiner immateriellsten, ideologischsten, losgelöstesten Form: Ich schloss mich dem Lager dessen an, was man damals Antipubs nannte.“ 10 Bellanger erwähnt dabei Benjamins Verständnis von Gewalt als etwas, das nicht nur destruktiv, sondern auch potenziell schöpferisch ist.

Diese Benjamin-Aktivisten führen nun also rätselhafte performative Aktionen durch, als „ewige Guerilla“, als Revolte, die den Staat an seiner Peripherie unterminieren will, wie es in einem zitierten anonymen Text mit dem Titel Misère de la révolution angedeutet wird. Diese ästhetische Kritik steht im Spannungsfeld zwischen einer melancholischen Betrachtung der Vergangenheit und der andauernden Suche nach revolutionären Möglichkeiten in der Gegenwart. Bellanger entwirft in Le vingtième siècle ein Bild der Moderne, das gleichermaßen von Nostalgie und einer Sehnsucht nach einem neuen politischen und ästhetischen Paradigma geprägt ist. Bellanger greift die Idee der Revolution als etwas auf, das in der modernen Welt sowohl an Bedeutung verloren hat als auch eine neue ästhetische und symbolische Dimension gewonnen hat. Die Misère de la révolution reflektiert die Enttäuschung über die Revolution als politische Möglichkeit, besonders nach dem Scheitern der marxistischen Bewegungen im 20. Jahrhundert; in ihrer transformierten Form als kultureller und ästhetischer Prozess bleibt die Revolution zentral für den Roman, weniger als eine gewaltsame Umwälzung, sondern eher als eine Umgestaltung der Wahrnehmung und des Bewusstseins.

Rechte und linke Raumplanung: Le Grand Paris

Le Grand Paris ist nicht nur ein Roman über die urbane Transformation der Metropolregion, sondern auch eine Reflexion über die Machtstrukturen, die diese Transformation antreiben. Bellanger taucht hier tief in die politischen, sozialen und ökonomischen Verhältnisse Frankreichs ein, insbesondere im Großraum Paris: Politik, Raumplanung und Machtverhältnisse werden zu zentralen Themen, die durch verschiedene Erzählstränge und Charaktere im Roman reflektiert werden, u.a mit Verweis auf Henri Lefebvre und dessen Arbeiten über das „Recht auf Stadt“ und die Produktion des urbanen Raums. Die Entwicklung der Metropole Paris steht in direkter Verbindung zur politischen Führung und zu wirtschaftlichen Interessen. Die Modernisierung der Infrastruktur hat unterschiedliche Wirkungen für verschiedene Bevölkerungsgruppen, der Bau des neuen Metrosystems etwa beinhaltet zugleich eine Neuordnung der Wählerstimmen. Stadtplanung erweist sich als Machtinstrument, um den eigenen Einfluss auf die Region auszubauen, und die Spannung zwischen linker und rechter Politik zeigt sich vor allem in der Beschreibung der sozialistischen und konservativen Akteure, die beide ihre jeweilige Vision für Paris durchsetzen wollen. Paris und seine Vororte werden als Orte der Migration und des sozialen Wandels dargestellt. Besonders die Beschreibung der Vororte wie Seine-Saint-Denis zeigt, wie Migration und Armut von politischen Akteuren instrumentalisiert werden, um Wählerstimmen zu gewinnen. Bellanger beschreibt, wie die konservative Rechte versucht, diese Gebiete, die traditionell von der Linken dominiert wurden, für sich zu gewinnen. Die „nouvelle droite populaire et sécuritaire“ wird als Kraft dargestellt, die sich die Ängste und Unsicherheiten der Bevölkerung zunutze macht.

Die politische Rechte, im Roman repräsentiert durch Figuren wie Michel Pornier, nutzt diese Transformationen, um ihre Macht zu festigen: Pornier steht als ehemaliger Minister und Bürgermeister für eine Politik der Ordnung und Kontrolle, die in den Vororten durchgesetzt wird. Seine politische Philosophie basiert auf dem Glauben an den Liberalismus und den sozialen Aufstieg durch individuelle Leistung, während er gleichzeitig das soziale Ungleichgewicht als Antrieb für gesellschaftlichen Fortschritt betrachtet. Pornier vertritt die Meinung, dass starke soziale Unterschiede notwendig sind, um den „Wettbewerb“ zwischen Arm und Reich aufrechtzuerhalten, was letztlich allen zugute komme. Der Roman thematisiert auch die Spannungen zwischen der islamischen Bevölkerung und den politischen Institutionen. Diese Spannungen werden nicht direkt als Antiislamismus beschrieben, sondern eher als eine unterschwellige, systematische Ausgrenzung, die durch die städtebaulichen Maßnahmen verstärkt wird. Migration als Bedrohung für die Identität und Stabilität der Region darzustellen, bietet im Kontext der Rechtspolitik einen fruchtbaren Boden für populistische Interessen, oft auf Kosten sozialer Gerechtigkeit. Pornier kritisiert das ambitionierte Ziel der Linken, in allen französischen Städten 20 Prozent Sozialwohnungen zu bauen, als unrealistisch und gefährlich für die städtische Struktur. Er sieht die Stadtentwicklung als Teil eines ideologischen Konflikts zwischen den „reichen Städten“ im Westen von Paris und den „armen Städten“ im Osten, insbesondere in der Vorstadt Seine-Saint-Denis, wo sozialistische und kommunistische Strukturen traditionell dominieren. Ein prominenter linker Politiker ist Villandry, eine komplexe Figur, die trotz ihrer aristokratischen Herkunft eine linke politische Philosophie vertritt; er pflegt enge Beziehungen zu Menschen aller sozialen Schichten und zeigt sich im Umgang mit anderen menschenfreundlich und tolerant. Villandry symbolisiert den traditionellen linken Idealismus, der an soziale Gerechtigkeit und Solidarität glaubt. Er widmet sich humanitären Themen und pflegt enge Verbindungen zu internationalen Gemeinschaften, wie der kurdischen Diaspora. Villandry verkörpert die linke Utopie einer klassenlosen Gesellschaft, in der soziale Unterschiede negiert und alle Menschen gleich behandelt werden. Trotz seines Idealismus wirkt Villandry jedoch immer stärker desillusioniert und frustriert über die politische Realität, in der er operiert. Seine sympathische Art und seine scheinbare Unfähigkeit, Macht zu erlangen oder Veränderungen durchzusetzen, machen ihn letztlich zu einer tragischen Figur in Bellangers politischem Universum.

Bellangers Chroniken einer Spaltung

Bellanger beschreibt in seinen Chroniken für France Culture 11 eine tief gespaltene Gesellschaft, er beleuchtet die Spannungen zwischen der städtischen Elite und der ländlichen Bevölkerung sowie die Herausforderungen, die durch Migration und ethnische Vielfalt entstehen. Auch in einer seiner Chroniken, „La gare Montparnasse“ verwendet Bellanger die Architektur als Metapher für politische Veränderungen in Frankreich. Er beschreibt den städtebaulichen Wandel als Ausdruck der Ideale der französischen Republik, wobei der Bau von TGV-Strecken oder die Suburbanisierung als Symbole für Modernisierung und politischen Wandel dienen. Diese städtebaulichen Entwicklungen, insbesondere die Verbreitung von Einfamilienhäusern in Vororten, spiegeln auch den Aufstieg des Rechtspopulismus wider, da sie eine neue soziale Schicht geschaffen haben, die oft anfällig für populistische Ideen ist. In „La France pavillonnaire“, zeichnet Bellanger die politische Dynamik der Gelbwesten als Bewegung, die auf die Marginalisierung ländlicher Regionen und der Mittelschicht reagiert. Die Abhängigkeit von Autos und die Wahrnehmung, dass die Infrastruktur des Staates sie im Stich gelassen hat, macht sie empfänglich für populistische Forderungen. Der Automobilist wird zur Symbolfigur für eine gespaltene Gesellschaft, die ihre Mobilität und Unabhängigkeit bedroht sieht. Figuren des einfachen Volkes und solche mit Migrationshintergrund werden mehrfach thematisiert, etwa in „Une journée à Calais“, die seine Reise zum provisorischen Flüchtlingslager von Calais berichtet, wobei er die Migranten als „meine Brüder“ bezeichnet, eine empathische Verbindung beschwörend. In einer anderen Szene besucht der Erzähler Saint-Denis, einen Vorort von Paris mit einer hohen migrantischen Bevölkerung, und erlebt das Milieu des Proletariats, das hier durch einen Freund dargestellt wird, der bei der RATP arbeitet und gleichzeitig einen prekären Lebensstil führt. In „Le plus grand HLM de France“ thematisiert Bellanger die politisch-ideologische Spaltung zwischen der Linken und Rechten, vor allem in Bezug auf das Verständnis von Macht und Institutionen: Während die Rechte symbolisch Macht und Ordnung darstelle, kämpfe die Linke oft mit internen Konflikten und verliere an Einfluss. In der Chronik „Un social-traître“ analysiert Bellanger die Verbindungen zwischen Rassismus, Extremismus und der instrumentellen Nutzung historischer Narrative durch die extreme Rechte. Die Rechtsextremen inszenieren sich laut Bellanger oft als Verteidiger einer imaginären Tradition und verzerren historische Tatsachen, um ideologische Macht zu gewinnen. Diese Verzerrung stelle eine „Umkehrung“ religiöser Dogmen dar, die den Anschein erwecken, sie seien im Widerstand gegen die Moderne. In „La poubelle du métro Châtelet“ kommentiert Bellanger den aufkommenden intellektuellen Rassismus in Frankreich und dessen mediale Verbreitung. Dabei greift er das Thema Halal-Fleisch und die damit verbundenen Polemiken auf, die von rechtspopulistischen Strömungen – etwa von Zemmour – beeinflusst werden. Bellanger sieht hierin eine Form des „intellektuellen Rassismus“, der durch das Wiederaufleben fremdenfeindlicher Rhetorik befeuert wird.

Auch politische Figuren der Republik sind Thema der Chroniken, so in „La France du diesel“ die Präsidentschaftswahlen und Macron, der sich zunächst weder eindeutig links noch rechts positioniert. In der Chronik „La dissertation“ modelliert Bellanger das politische Spektrum der Fünften Republik, beginnend mit Charles de Gaulle. Er beschreibt die aufeinanderfolgenden Amtszeiten von Präsidenten wie Pompidou, Giscard d’Estaing, Mitterrand, Chirac, Sarkozy und Hollande als eine Art „Schachspiel“ zwischen Links und Rechts, beobachtet die Kontinuität und die evolutionären Sprünge im französischen Wahlsystem. Als exemplarisch für Forderungen, dass Frankreich aus der EU austreten möge, diskutiert Bellanger in „François Asselineau“ diesen „Balzac’schen“ Charakter, einen hochrangigen Funktionär, der in der Politik vor allem die Rolle eines Außenseiters einnimmt und mit seiner frexitistischen Vision gegen das politische Establishment antritt. In der Chronik „Mai 68“ befasst sich Bellanger mit der politischen Entwicklung Frankreichs nach den Studentenprotesten 1968: Er betrachtet die Wahl François Mitterrands und die „moderne Linke“ als ein direktes Ergebnis der Ereignisse von 1968, betont jedoch gleichzeitig die ideologischen Umwälzungen, die die politischen Lager betrafen. Mai 68 wird als Wendepunkt für die politische Kultur Frankreichs dargestellt, der langfristig die Machtbalance zwischen der politischen Linken und Rechten veränderte.

Europäische Technokratie: Le continent de la douceur

Le continent de la douceur zeigt das europäische Volk als fragmentierte Masse, der es nicht gelingt, eine kollektive Identität zu formulieren. Die Titelmetapher der Sanftheit deutet auf eine tiefere Leere und das Scheitern der europäischen Großprojekte, vor allem in Bezug auf Migration und Integration. Figuren wie der Protagonist Flavio zeigen, wie Migration in den europäischen Kontext eingefügt wird. Flavio, selbst von gemischter Herkunft, steht an der Schnittstelle zwischen verschiedenen Kulturen und zeigt die Spannungen und das Unbehagen, das Migration in einer immer nationalistischer werdenden europäischen Gesellschaft hervorruft. Solche Personen symbolisieren den „Anderen“, der gewissermaßen in die fragile europäische Identität eindringt. In einer Szene des Romans wird das Karstgebirge als symbolische Grenze zwischen verschiedenen Welten beschrieben. Es repräsentiert die Herausforderungen der Integration von „Fremden“ in das europäische Kollektiv und setzt die Topographie historischer Spannungen zwischen alten europäischen Identitäten und neuen Einflüssen von außen. Bellanger suggeriert, dass Europa sich immer noch mit der Idee des „muslimischen Anderen“ auseinandersetzt, oft in Form eines unbestimmten Gefühls der Bedrohung, das jedoch weniger auf reale Individuen als auf geopolitische Kräfte projiziert wird. Ein wirkmächtiges Motiv im Roman ist die Vorstellung einer „belagerten Festung“ Europa, umgeben von einer Welt, die immer unvorhersehbarer und chaotischer wird. Bellanger verknüpft die Geschichte Europas mit einem Gefühl des Abstiegs, das er in die politische Gegenwart überträgt.

Aber statt ideologischer Debatten wird die politische Landschaft im Roman von einer technokratischen Struktur, von Experten und Administratoren dominiert, die Entscheidungen auf Basis von technischen und ökonomischen Überlegungen treffen. Eine der einleitenden Szenen beschreibt eine Gruppe von Mathematikern und Technokraten, die sich in einem futuristischen, technologisch fortschrittlichen Kontext bewegen, wobei diese Figurengruppe als „die schönsten Früchte der Erde“ bezeichnet wird. Dies weist auf eine stille Revolution hin: die Machtübernahme der Finanz- und Technologiewelt durch hochqualifizierte Eliten. Die Revolution hier ist nicht blutig, sondern technokratisch, eine Veränderung der politischen und sozialen Machtverhältnisse durch die Vorherrschaft von Fachwissen und technologischem Fortschritt. In dieser neuen Ordnung spielen Finanzmärkte und Algorithmen eine zentrale Rolle, die die traditionellen politischen Systeme herausfordern und oft überlagern. Der Mathematiker Leandro de Souza arbeitet daran, die Märkte vorhersehbar zu machen und so zukünftige Finanzkrisen zu verhindern. De Souza spricht von einer „großen Revolution“, die so bedeutsam sein könnte wie die Entdeckung des Feuers. Gleichzeitig fragt Bellanger kritisch, ob diese Revolution wirklich im Dienste der Menschheit wäre – oder ob sie zu noch größerer Ungleichheit und Kontrolle durch technokratische Eliten führen würde. Die Figur des Manuel Barroso, ehemaliger Präsident der Europäischen Kommission, der nach seinem politischen Amt zu Goldman Sachs wechselt, weist auf eine Art „politische Revolution“, die Bellanger in Form von Zynismus und dem Verschmelzen politischer und finanzieller Macht beschreibt. Diese Verschiebung der Macht von den politischen Institutionen hin zu den Finanzmärkten ist eine stille, aber tiefgreifende revolutionäre Veränderung. Die Figur Paretti belebt in einem Schwarzbuch des Liberalismus revolutionäre marxistische Ideen, die immer noch bei den Denkern weiterleben, auch wenn sie in der Praxis wenig Resonanz finden. Dies spiegelt die melancholische Erkenntnis wider, dass viele der großen revolutionären Ideale des 20. Jahrhunderts gescheitert sind, aber intellektuell weiterhin überleben.

Leitfiguren der französischen Linken

Der Roman Les derniers jours du Parti socialiste bezieht sich insbesondere in seinen essayistischen Partien auf historische Figuren wie die ideologische Leitfigur Jean Jaurès und den Präsidenten François Mitterrand, der hier als Symbol für den Höhepunkt der französischen Linken und für die Synthese zwischen verschiedenen sozialistischen Strömungen gezeigt wird. Lionel Jospin dagegen wird als Anfang des Niedergangs der französischen Linken gedeutet. Der Anführer von La France Insoumise Jean-Luc Mélenchon wird als Vertreter einer radikalen Linken mit populistischer und antikapitalistischer Haltung von einigen Figuren kritisch reflektiert, insbesondere in Bezug auf seine Beziehung zur sozialistischen Partei. Präsident Nicolas Sarkozy repräsentiert die rechtskonservative Wende in der französischen Politik, der Roman reflektiert über seinen Erfolg bei den traditionellen Wählern der Linken und die Unfähigkeit der Linken, eine kohärente Gegenstrategie zu entwickeln. In historischen Exkursen wird Robespierre als Idealist und Symbol für das verlorene revolutionäre Ideal der französischen Linken zitiert, die nach Grémonds Auffassung ihre radikale Ader zugunsten eines pragmatischen Opportunismus aufgegeben hat. Napoleon vertritt als Gegenfolie zu Grémonds demokratischen Idealen Autoritarismus und zentralisierte Macht; Georges Clemenceau und Charles de Gaulle stehen für starke, unnachgiebige Führungspersönlichkeiten, die die französische Republik noch einen konnten. Als philosophische Bezugsfiguren treten gleichermaßen Antonio Gramsci (der in Bezug auf das Mouvement als Theoretiker der kulturellen Hegemonie angeführt wird) und Charles Maurras auf, nationalistischer Denker und Hauptvertreter des Action Française, dessen Konzept der Metapolitik in die Strategien des Mouvement Eingang findet. Auch Allan Bloom als amerikanischer Philosoph, Kritiker des Multikulturalismus und der Identitätspolitik und Befürworter einer nicht egalitären, elitären Führung, wird zitiert, zudem René Rémond, französischer Historiker und Politikwissenschaftler, der die drei Strömungen der französischen Rechten (Legitimisten, Orléanisten, Bonapartisten) analysierte und auf den sich Grémond für die eigenen Analysen über die Transformation der französischen Gesellschaft bzw. für die Annäherung von rechter und linker Politik bezieht. Der Roman stellt somit nicht nur eine narrative Erzählung über den Zerfall einer Partei dar, sondern auch eine philosophische Reflexion über Macht, Ideologie und die Rolle der Geschichte in der Formung der politischen Gegenwart.

Die Rechte der alten Eliten wird durch „Le Chanoine“ („der Kanoniker“) repräsentiert, so dass die Perspektive entsteht, wieder nationalkonservative Werte zu stärken und zurückzukehren zu einer engen Verknüpfung von Staat, Kirche und Familie und einen autoritären Nationalismus. Die rechtspopulistischen Kräfte des Rassemblement National verteidigen aus Frust über den Verlust nationaler Souveränität und über die wirtschaftliche Unsicherheit eine französische Identität gegen Einwanderung, Islam und Multikulturalismus. Jean-Marie Le Pen erscheint nur implizit als Schattenfigur der radikalen Rechten, expliziter ist der intellektuelle Überläufer Frayer, er hat sich als ehemals prominenter Denker der Linken von der traditionellen Linken distanziert und fortan Intellektualität und politische Rechte verflochten, die aus seiner Sicht die einzige politische Kraft ist, die die französische Zivilisation schützen und bewahren kann. Umgekehrt tauchen etwa muslimische Figuren nicht einzeln auf, sondern in einer kollektiven Darstellung, als Objekte von Integration und Laizitätsdebatten und als Objekte von Angst, etwa die Jugendlichen aus den Banlieues, die soziale Spannungen und Entfremdung von der Mehrheitsgesellschaft symbolisieren. Der Imam als spirituelle Führungsfigur der Muslime, aber auch als Vermittler zwischen ihnen und der französischen Gesellschaft in der Spannung von religiöser Praxis uns säkularer Republik erscheint hier als instrumentalisiert in den Konflikten zwischen der extremen Rechten und den Linken. Das französische Volk kommt nicht individuell verkörpert, sondern in den Diskursen der Linken als kollektive Arbeiterklasse vor, es zeigt sich von den Eliten ebenfalls entfremdet und wird vom Rassemblement National vereinnahmt. Die Idee der „französischen Nation“ taucht im Roman als eine zentrale, jedoch abstrakte Figur auf, instrumentalisiert in der Republik, der Laizität und der französischen Sprache. Grémond verkörpert als zentrale, ambivalente Figur des Romans die inneren Spannungen des französischen Volkes. Er ist sowohl Teil der politischen Elite als auch ein Symbol für den Wunsch nach Erneuerung und die Suche nach nationaler Identität. So repräsentiert er die Uneinigkeit und Fragmentierung des französischen Volkes, das sich zwischen alten politischen Traditionen und neuen, radikalen Bewegungen hin- und hergerissen sieht. Auffällig ist übrigens, wie wenig Frauen im Roman präsent sind, abgesehen etwa von Grémonds Mutter, die als Vertreterin traditioneller Werte und seines familiären Hintergrunds erscheint. Marie verkörpert als politische Verbündete wie Objekt erotischen Interesses die ambivalente Position der modernen Frau in der Politik.

Die Literaturkritik der deux France

Dass Aurélien Bellanger von den deutschen Verlagen bisher übersehen wurde, soweit ich sehe, mag daran liegen, dass einige seiner Romane nationales Wissen der Leserschaft aufrufen, etwa beim Beginn von Minitel, des französischen Reality-TV oder mit einem städteplanerischen Hauptstadtprojekt; andererseits hat sich Bellanger mit einem Europa-Roman und einem Roman über Walter Benjamin durchaus mehr Interesse auf deutscher Seite verdient. Hier nun erzählt Bellanger die Entfremdung der französischen politischen Elite von der Gesellschaft (wobei das Volk im Roman abwesend bleibt), die auch die deutsche Leserschaft tangieren könnte, mit dem Relevanzschwund der deutschen Sozialdemokratie, mit dem neuen, sozioökonomisch linken und soziokulturell rechten „Bündnis Sahra Wagenknecht“ und mit der rechtspopulistischen, zunehmend rechtsextremen „Alternative für Deutschland“.

Den Schriftsteller Bellanger als „Houellebecq der Linken“ zu bezeichnen, hat in Frankreich bereits Tradition. (Bellanger nannte Houellebecq wiederum einen „rechten Marxisten“. 12 ) Auch aus Anlass seines neuesten Romans Les derniers jours du Parti socialiste wiederholt diesen Beinamen etwa Gilles Clavreul, 13 Mitbegründer des Republikanischen Frühlings, dieser Bewegung, die im Roman stellvertretend für die Krise der französischen Linken leicht verklausuliert ihre Unfähigkeit erweist, die Probleme der Gegenwartsgesellschaft zu lösen. Die Besprechung im (laut Yves de Kerdrel rechtsextremen) Blatt Valeurs actuelles bezeichnet Bellangers Werk als einseitiges, gar böswilliges Werk eines ideologischen „islamo-gauchiste“, der intellektuell wie künstlerisch schwach sei, der verstorbene Personen diffamiere, zugleich in der Figurenzeichnung überzeichne und so unglaubwürdig sei. Der Vorwurf wird auf die Medien ausgedehnt, auf eine unkritische linksliberale Presse wie Libération oder Les Inrockuptibles nämlich, die Bellanger als modernen Balzac feiere und seine offensichtlichen Schwächen verharmlose, sich stattdessen in Propaganda verliere. 14 Übereinstimmend bespricht Eugénie Bastié im konservativen Figaro das Buch als „Antiliteratur“ 15; beim gescheiterten Versuch, Houellebecqs Soumission-Roman zu invertieren, entstehe nur ein aktivistisches Pamphlet im Zeichen der Abrechnung, aber ohne literarischen Wert, die Figuren würden auf den Status ideologischer Werkzeuge reduziert, das Werk weise nicht die geistige Tiefe auf, die große Literatur auszeichne. Bellanger reagiert im Interview mit Les Inrockuptibles auf solche heftigen Reaktionen (die er erklärtermaßen provozieren wollte) wenig überrascht, er diskreditiert diese Kritiker als „Untote des Denkens“, die keine neuen Ideen hervorbrächten, sondern nur überholte Positionen verteidigten. Er erkennt seriösere Kritiken seines Schreibens in Teilen an, habe aber nie die ästhetischen Nuancen und den postmodernen Relativismus angestrebt, sondern suche eine intellektuelle Auseinandersetzung in einer so ernsten politischen Situation, dass man sich als Schriftsteller nicht mehr im Elfenbeinturm verschanzen dürfe. Ein Teil der Linken hat sich laut Bellanger in intellektuellen Debatten verloren, die letztlich den Aufstieg autoritärer Kräfte begünstigen. 16

Quentin Girard betont im Gegensatz zu den konservativen Kritiken, dass Ambivalenz und literarische Raffinesse Kennzeichen des Romans seien. Auch Girard betont, dass der Roman auf Widerstand von realen Figuren traf. Der Hauptcharakter Grémond werde gleichwohl nicht nur als negativer Held gezeichnet, sondern als tiefgründige Figur, die für einen intellektuellen Bruch in der französischen Linken stehe. Bellanger wirke fasziniert und zugleich abgestoßen von den Entwicklungen, die er beschreibt, was sich auch in seiner Darstellung des Charakters Sauveterre – einer Figur, die stark an Bellanger selbst erinnert – widerspiegle. Der Roman vermischt gezielt Fiktion und Realität, reale Debatten werden so in eine Form der Docufiction übersetzt, ohne die Freiheiten eines Romanautors aufzugeben. 17 Simon Blin hatte in Erwartung des neuen Buchs im April 2024 ebenfalls in Libération eine biographische Deutung über den Autor vorgelegt, der statt nach der perfekten Formulierung zu suchen, wissenschaftliche und ästhetische Eindrücke miteinander verknüpfe. Er war laut Blin lange politisch wenig aktiv und sei erwacht durch Bewegungen wie Black Lives Matter, #MeToo oder die Proteste gegen die Rentenreform in Frankreich. Doch zeichnet der Journalist eher das Bild eines nicht im Milieu aufgehenden Solitärs, eines naiven Idealisten mit verschiedenen Obsessionen: „In der Szene hat er nur wenige Freunde, kaum mehr Feinde. Nur der linke Schriftsteller François Bégaudeau, der sich mit einem Teil seiner politischen Familie zerstritten hat, versuchte einen Frontalangriff: Aurélien Bellanger sei ein „mächtig rechter“ Autor, der sich seiner Faszination für die Eliten schuldig mache. Für Bégaudeau unterschlägt sogar sein Buch über Walter Benjamin den marxistischen Einfluss des deutschen Philosophen zugunsten seiner mystischen Dimension. „Ich stimme diesem Vorwurf zu“, räumt Bellanger ein. Nur habe ich nicht wirklich einen intellektuellen Anspruch. Verwirrung ist das Schlimmste, was einem Denker passieren kann. Für einen Romanautor hingegen ist sie eine enorme mentale Stärke“. Die Wahrheit ist nicht sein Thema.“ 18

Ulysse Baratin unterstreicht in seiner kritischen Lektüre zwar einerseits, dass Bellanger im neuesten Roman wieder auf typische Themen der Geschichte und Zukunft Frankreichs zurückgreife, aber dass er hier eben nun aktuelle Tendenzen der französischen Politik zu extrapolieren suche, den Aufstieg faschistoider, islamophober Republikaner, angeführt von Grémond, vormals unauffälliger Politikwissenschaftler und Ideologe der sozialistischen Partei, der nun strategisch eine konservative, etatistische und autoritäre Version des Mitterrandismus entwerfe. Baratin erklärt den Roman für so ambitioniert wie gescheitert. Dies auch, weil die einzigen Handlungen sprachlicher Natur seien und eine Figur nur dann existiere, wenn sie den Mund aufmacht oder einen Text verfasst, so dass sich unaufhörliches Geschwätz mit seitenlangen Dialoge in Ministerbüros oder auf Fernsehbühnen und mit ganzen Passagen theoretischer Ausführungen abwechseln, oft in Form von Artikeln, Notizen und Briefen. Baratin kritisiert, es gelinge dem Autor nicht, eine andere Stimme als seine eigene zu Gehör zu bringen: „Anstelle einer Polyphonie disharmonischer Klangfarben hört man die Modulationen einer einzigen Kehle, Aphorismen eingeschlossen. Hier könnte die Verwandtschaft mit Balzac stichhaltig erscheinen: Wie dieser lässt Bellanger hauptsächlich Personen zu Wort kommen, deren Positionen er nicht teilt; wie dieser ist er von okkulten Gesellschaften gefesselt. Doch wo Balzac eine gesellschaftliche Umwälzung mit unabsehbaren Folgen beschrieb, scheint Bellanger bei den taktischen Verschiebungen einer Clique stehen zu bleiben. Er ist noch nicht geboren, der Roman über die tiefgreifenden Umstrukturierungen des Staates in Frankreich.“ 19 In ähnlicher Richtung hebt Lucille Commeaux für France Culture das Ludische einer Literatur der Verschwörungserzählungen hervor; aus dieser Sicht wäre wie bei Houellebecq der Roman und auch die öffentliche Person des Autors eine Diskursmaschine anderer Ordnung: „Es ist ein Roman, der von den Täuschungen profitiert, die er platziert, und ich vermute, dass Bellanger die Täuschung der echten falschen Realität verlängert, wenn er in diesen Tagen Zeitungsinterviews gibt und dabei eine kämpferische politische Agenda anlegt. Ich entscheide mich schließlich dafür, das alles sehr spielerisch zu finden – mir scheint, Bellanger interessiert sich nicht so sehr für das zeitgenössische ideologische Material, das potenziell entflammbar ist, sondern für die Art und Weise, wie es organisiert ist, die Struktur, das Netzwerk: Geheimnisse, Verschwörungen, Arkanum, Vorzimmer, alles Formen, die er mit einer Art kindlicher Freude mit Rätseln, Höhlen, Abenteuern und Verschwörungen gleichsetzt. Unter diesem Gesichtspunkt liest sich Die letzten Tage der sozialistischen Partei weniger wie eine Chronik mit Schlüsseln, sondern vielmehr wie ein Spurensuchspiel.“ 20

Zuflucht in der Höhle

Im Gespräch mit Pierre-Edouard Peillon reflektiert Bellanger die Rolle des Romans als Werkzeug zur Darstellung politischer Realität. Er bezieht sich dabei auf frühere literarische Formen wie den Sozialrealismus, aber auch auf den fantastischen Roman, der die gesellschaftliche Realität als Grundlage für die Erzählung verwendet. Der Roman kann in der heutigen Zeit laut Bellanger hilfreich sein, die Manipulation von Informationen sichtbar zu machen und gleichzeitig die Möglichkeiten des Widerstands gegen solche Manipulationen zu erkunden. Bellanger betrachtet den Roman als einen Ort der Reflexion, an dem die Grenzen zwischen Realität und Fiktion ausgelotet werden können. Er bezieht sich auf den Soziologen Luc Boltanski, der in seinem Werk Enigmes et complots die Verbindung zwischen dem Aufstieg der modernen Nationalstaaten und der Literatur über Spionage und Geheimnisse analysiert hat. Für Bellanger erweist sich der Roman als ein Raum, in dem die undurchsichtigen Mechanismen moderner Staaten und die Komplexität der globalisierten Welt dargestellt werden können. 21

Der Epilog des Romans schildert Flucht und die folgende Existenz des Königsmörders, der nach seiner Tat – wie Lorenzaccio! – geflohen ist und jahrelang im Verborgenen in den Wäldern und in ländlichen Gebieten weiterlebt. Zuflucht findet er schließlich in einer einsamen, von Natur umgebenen Höhle (Bellanger ist leidenschaftlich an Höhlen interessiert); diese symbolisiert freilich auch seine mentale Isolation. Während der Zeit in der Höhle beginnt er als „Troubadour“, seine Geschichte in die Wände zu ritzen – ein Zeichen dafür, dass er sich seiner eigenen Rolle in der Geschichte immer bewusster wird. Es scheint ihm, als hätte er bei seinem Regizid in einem uralten, rituellen Akt gehandelt, der über seine persönliche Kontrolle hinausgeht. In einem verlassenen Schloss entdeckt der Attentäter eine festlich gedeckte Tafel, wird von einer mysteriösen Frau in Weiß angesprochen, die ihn auffordert, im nahe gelegenen Mühlenhaus zu leben, als Dank des Königreichs an ihn. In den folgenden zwanzig Jahren lebt der Königsmörder ebendort und arbeitet bis zu seinem Tod daran, das verfallene Schloss wiederaufzubauen und zeitweise in der Höhle sein Buch zu vervollständigen.

« Il avait demandé à être inhumé non pas sous une dalle de la chapelle, mais dans la grotte où il était revenu, parfois, quand il estimait devoir écrire un nouveau chapitre de son histoire : celui de son mariage, celui de la clôture de l’ancienne enceinte, celui de l’achèvement du donjon et des anciens corps de logis. Ceux, plus sombres, qui racontaient comment on avait accueilli bientôt, dans ces vastes espaces, de nouveaux fugitifs — et la transformation qui fut décidée, maintenant qu’elle avait rempli son amoureuse fonction, de la petite chapelle en mosquée clandestine. »

Aurélien Bellanger, Les derniers jours du Parti socialiste, „Épilogue“.

„Er hatte darum gebeten, nicht unter einer Platte in der Kapelle begraben zu werden, sondern in der Höhle, in die er manchmal zurückkehrte, wenn er meinte, ein neues Kapitel seiner Geschichte schreiben zu müssen: das Kapitel seiner Hochzeit, das Kapitel der Schließung der alten Stadtmauer, das Kapitel der Fertigstellung des Bergfrieds und der alten Wohngebäude. Die dunkleren, die davon erzählten, wie man in diesen weitläufigen Räumen bald neue Flüchtlinge aufgenommen hatte – und von der Umwandlung der kleinen Kapelle in eine Untergrundmoschee, die beschlossen wurde, nachdem sie nun ihren Liebeszweck erfüllt hatte.“

Der Status dieses Epilogs freilich markiert den Unterschied von Welthaltigkeit und Zeitgenossenschaft, politischem Engagement und kritischem Realismus, andererseits der Selbstermächtigung und Freiheit der Fiktion:

Alors que s’achevait notre enquête sur cette hérésie française du socialisme que fut le Mouvement du 9 décembre, nous avons retrouvé un dernier inédit de Sauveterre, possible fin fantasmée aux Mémoires disparus du Chanoine.

Aurélien Bellanger, Les derniers jours du Parti socialiste, „Épilogue“.

Als unsere Untersuchung über die französische Ketzerei des Sozialismus, die die Bewegung vom 9. Dezember darstellte, zu Ende ging, fanden wir ein letztes unveröffentlichtes Dokument von Sauveterre, ein mögliches Fantasieende der verschwundenen Memoiren des Kanonikus.

Kai Nonnenmacher

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Anmerkungen
  1. Vgl. Caroline Pernes, „Pourquoi le roman à clés d’Aurélien Bellanger fait polémique“, Télérama, 28. August 2024.>>>
  2. „Bellanger tente de réécrire Illusions perdues en remplaçant le journalisme par un parti politique.“ Frédéric Beigbeder: «Aurélien Bellanger, le Balzac des Insoumis avec le style d’un Que sais-je», Le Figaro, 9. September 2024.>>>
  3. „la réponse d’un Insoumis à Soumission“, ebd.>>>
  4. Olivier Milot, „Aurélien Bellanger : Nous assistons à la triste défaite de l’esprit critique“, Télérama, 27. Oktober 2024.>>>
  5. „Comme le notait amèrement Adorno après-guerre, l’erreur des intellectuels allemands aura été de croire que les nazis en avaient quelque chose à faire de l’esprit.“ Ebd.>>>
  6. Florence Bouchy, „Aurélien Bellanger : « La politique est la mise en marche des passions »“ Le Monde, 18. Januar 2017.>>>
  7. Enthoven hat im Interview ausführlich reagiert, vgl. Thomas Mahler, Raphaël Enthoven : „Aurélien Bellanger ne se conduit pas en romancier, mais en nécrophage“, L’Express, 18. August 2024.>>>
  8. Vgl. insbesondere Solenn de Royer, „Emmanuel Macron, « prince de l’indécision » et « prestidigitateur de lui-même », dans un roman“, Le Monde, 25. August 2024.>>>
  9. „Le Groupe Benjamin rassemblerait une dizaine de membres, hommes et femmes, entre 18 et 40 ans. Ses modalités d’action le rattachent à l’ultra-gauche, selon la définition qu’en donne un spécialiste du mouvement : « l’ultra-gauche se positionne comme l’ennemie ultime de ce monde, et n’éprouve pas le besoin de construire des stratégies politiques ; elle veut le détruire, en frappant les symboles de l’État, du capitalisme ou encore de l’autorité. À la différence d’autres mouvances terroristes, elle tient cependant à ne pas faire de victimes. »“ Aurélien Bellanger, Le vingtième siècle.>>>
  10. „Un refuge pour intellectuels, de ceux qui ne se voyaient pas disputer directement la rue à l’extrême droite. Une petite niche dont je me suis un peu forcé à croire qu’elle était le poste d’observation idéal sur le capitalisme et ses dérives. J’avais choisi de me battre non pas directement contre le fascisme, sous sa forme la plus basse, avec ses tatouages folkloriques et ses lames de rasoir cachées sous les coins des stickers, ni même sous sa forme réifiée, étatique et policière, mais sous sa forme la plus immatérielle, la plus idéologique, la plus détachée : j’ai rejoint le camp de ce qu’on appelait alors les antipubs.“ Aurélien Bellanger, Le vingtième siècle.>>>
  11. Gesammelt als: Aurélien Bellanger, La France, coédition Gallimard / France Culture, 2019.>>>
  12. David Caviglioli et Grégoire Leménager, „Houellebecq est-il d’extrême droite ? Cinq compagnons de route analysent son évolution politique“, Nouvel Observateur, 12. Dezember 2020>>>
  13. „Gilles Clavreul : « Aurélien Bellanger est le Michel Houellebecq de gauche, le talent en moins »“, propos recueillis par Erwan Seznec, Le Point, 7. September 2024.>>>
  14. Edouard Lavollé, „Aurélien Bellanger, l’ignominie faite roman“, Valeurs actuelles, 23. September 2024.>>>
  15. Eugénie Bastié, „Aurélien Bellanger ou l’anti-littérature“, Le Figaro, 5. September 2024.>>>
  16. „Aurélien Bellanger : “Cela m’aurait paru fou de n’avoir aucune attaque”“, entretien par Jean-Marie Durand, Les Inrockuptibles, 20. September 2024.>>>
  17. Quentin Girard, „«Les Derniers Jours du Parti socialiste», laïcité de la peur“, Libération, 23. August 2024.>>>
  18. „Dans le milieu, il a peu d’amis, guère plus d’ennemis. Seul l’écrivain de gauche François Bégaudeau, en brouille avec une partie de sa famille politique, a tenté une attaque frontale : Aurélien Bellanger serait un auteur «puissamment de droite», coupable de sa fascination pour les élites. Pour Bégaudeau, même son livre sur Walter Benjamin minore l’influence marxiste du philosophe allemand au profit de sa dimension mystique. «Je suis d’accord avec ce reproche, admet Bellanger. Sauf que je n’ai pas vraiment de prétention intellectuelle. La confusion est ce qui peut arriver de pire pour un penseur. Par contre, c’est une force mentale énorme pour un romancier.» La vérité n’est pas son sujet.“ Simon Blin, „Aurélien Bellanger, cétacé curieux“, Libération, 2. April 2024.>>>
  19. „Au lieu d’une polyphonie de timbres discordants, on entend les modulations d’un unique gosier, aphorismes compris. Ici, le cousinage avec Balzac pourrait paraître valable : comme lui, Bellanger donne essentiellement la parole à des personnes dont il ne partage pas les positions ; comme lui, il est captivé par les sociétés occultes. Mais là où Balzac décrivait un bouleversement social aux conséquences incalculables, Bellanger semble s’arrêter aux déplacements tactiques d’une clique. Il n’est pas né encore, le roman des profondes restructurations de l’État en France.“ Ulysse Baratin, „Roman à clés, ou roman Sciences Po ?“, En attendant Nadeau, 24. September 2024.>>>
  20. „C’est un roman qui jouit des leurres qu’il met en place, et je soupçonne Bellanger de prolonger le subterfuge du vrai faux réel, quand il donne ces jours-ci des interviews dans les journaux, en endossant un agenda politique combatif. Je choisis finalement de trouver tout ça très ludique – il me semble que ce qui intéresse Bellanger avant tout ce n’est pas tant la matière idéologique contemporaine, potentiellement inflammable, mais la manière dont elle s’organise, la structure, le réseau : secrets, complots, arcanes, antichambres, autant de formes qu’il assimile avec une forme de joie enfantine à des énigmes, des grottes, des aventures et des complots. De ce point de vue Les derniers jours du parti socialiste se lit moins comme une chronique à clés qu’il ne se pratique comme un jeu de pistes. Bref ça se lit comme un bon Club des cinq, qui donne du jeu et à un échiquier politique immobilisé, et de la vie à des pions bloqués : c’est à cet endroit il me semble qu’il est le plus efficace politiquement, dans la confiance paradoxale et toute littéraire qu’il accorde au jeu des partis et des idées.“ Lucile Commeaux, „Derniers jours du Parti socialiste, premiers plaisirs de roman“, France Culture, 26. August 2024.>>>
  21. Pierre-Edouard Peillon, „Aurélien Bellanger et Philippe Vasset : ‘Le complot est un bon outil littéraire,’“ Le Monde, 25. August 2024.>>>