Dehors, c’est un terrain vague, un trou dans le paysage. Des mauvaises herbes poussent sous les plaques, fendent les morceaux de terre nue. Il y a un banc au milieu du vide. Une cagette cassée sur la roue d’une voiture, le sol marqué par la trace d’un feu allumé la veille. Dans le tesson d’une bouteille, le mégot d’une cigarette gonflé d’humidité.
Le mur coupe à travers le terrain, beaucoup plus loin, il obstrue les fenêtres des immeubles abandonnés. C’est une ligne basse à laquelle on s’est habitué, une ligne morne qui s’éclaire quand vient la nuit. Pour Hannah, Berlin s’arrête là. Là-bas. Dans cet ailleurs dont elle ne sait presque rien et qu’elle entend parfois dans les conversations d’adultes, les chuchotements, les noms de lieux étranges et de villes imaginaires. Comme la porte de la maison, comme le plafond de la chambre, le mur délimite l’espace qui lui appartient, définit les frontières de ce qu’elle appelle chez moi. Ce qui se trouve au-delà ne la concerne pas. Elle se contente de jouer dans ces endroits qui poussent près des frontières, la nature recouvrant ce qui a été démoli. Des déserts. Des planètes.
Benjamin de Laforcade, Berlin pour elles, Gallimard, 2024.
Draußen ist ein Brachland, ein Loch in der Landschaft. Unkraut wächst unter den Platten, zerteilt die nackten Erdbrocken. In der Mitte der Leere steht eine Bank. Eine zerbrochene Kiste liegt auf dem Rad eines Autos, der Boden ist von den Spuren eines Feuers gezeichnet, das am Vorabend entzündet wurde. In der Scherbe einer Flasche liegt der von Feuchtigkeit aufgeblähte Stummel einer Zigarette.
Die Mauer durchschneidet das Gelände, viel weiter entfernt versperrt sie die Fenster der verlassenen Gebäude. Es ist eine niedrige Linie, an die man sich gewöhnt hat, eine trübe Linie, die hell wird, wenn die Nacht kommt. Da endet Berlin für Hannah. Dort. In diesem Anderswo, von dem sie fast nichts weiß und das sie manchmal in den Gesprächen der Erwachsenen hört, im Flüstern, in den Namen von seltsamen Orten und imaginären Städten. Wie die Tür des Hauses und die Decke des Zimmers begrenzt die Mauer den Raum, der ihr gehört, und legt die Grenzen dessen fest, was sie als mein Zuhause bezeichnet. Was sich dahinter befindet, ist für sie nicht relevant. Sie begnügt sich damit, an jenen Orten zu spielen, die in der Nähe der Grenzen wachsen, und die Natur bedeckt das wieder, was abgerissen wurde. Es sind Wüsten. Planeten.
In Berlin pour elles (2024), dem zweiten Roman von Benjamin de Laforcade, bildet die Freundschaft zwischen Hannah und Judith das Zentrum einer Erzählung, die zwischen individueller Nähe und staatlicher Kontrolle entlangführt. Durch die Perspektive zweier Mädchen in der DDR entwickelt der Roman ein anschauliches Bild der ostdeutschen Gesellschaft, das sich zwischen Anpassung, Widerstand und alltäglicher Solidarität bewegt. Laforcade, als französischer Autor mit Außenperspektive auf Ostberlin und als Wahlberliner, nutzt die Freundschaft nicht nur als Erzählmotiv, sondern auch als Mittel zur Untersuchung von Gesellschaftsstrukturen und menschlichen Werten.
Die Schlussszene des Romans aus dem Jahr 2016 stellt die Spannung zwischen öffentlicher Geschichtsschreibung und individueller Erinnerung in den Mittelpunkt. Im Interview mit einem Dokumentarfilmer wird Hannah in ein vorgefertigtes Narrativ gedrängt: Sie soll ihre Haft als tragische Ironie der Wende erzählen, ihre Kindheit als repressiv und ihre Stasi-Akte als Demütigung empfinden. Doch sie widersetzt sich: „Hannah antwortete, es gebe nur wenige Kindheiten, die so schön gewesen seien wie ihre, woraufhin er das Thema wechselte.“ 1 Ihre positive Erinnerung an die DDR passt nicht ins Schema, sodass der Interviewer das Thema wechselt. Noch entschiedener ist ihre Verweigerung der Akteneinsicht: Hannah lehnt es ab, ihre Identität durch die Stasi-Berichte bestimmen zu lassen, ein Akt der Selbstbestimmung – sie entzieht sich dem offiziellen Diskurs und entscheidet, dass nicht Fremde, sondern sie selbst über ihre Vergangenheit bestimmt. Während das Interview eine distanzierte, fremdbestimmte Erinnerung erzwingt, steht der Kuss Judiths für gelebte, intime Geschichte. In der Wärme dieses Moments liegt die eigentliche Antwort auf die Frage, wie Hannah mit ihrer Vergangenheit umgeht: nicht durch Archive, sondern durch persönliche Verbundenheit.
Der erste Roman Rouge nu (2022) von Benjamin de Laforcade erzählt die Geschichte des Malers Andreas Mauser, eines gefeierten Künstlers, der in Berlin eine eigene Schule für Malerei gegründet hat. Im Zentrum der Handlung steht sein monumentales letztes Werk, ein Gemälde, das in einem würfelförmigen Betonbau über seinem Atelier verborgen bleibt und das niemand außer ihm selbst zu Gesicht bekommt. Auch wenn sich das Berlinbild des Erstlingsromans klar von Berlin pour elles unterscheidet, gibt es Überlappungen, etwa im Bericht vom Stasigefängnis:
Elle lui a raconté ses jeunes années et les transformations de la ville. Izabela connaît Berlin comme l’on connaît un ami d’enfance, elle parle des lieux disparus avec autant de nostalgie que d’excitation. Berlin continue d’être ce qu’elle a toujours été : un ensemble désordonné en mouvement perpétuel, un village fragmenté dont les cicatrices sont laissées visibles, montrées, transformées en endroits où il est autorisé de s’asseoir. Izabela est née dans la République démocratique allemande, ses parents ont rêvé de la voir grandir en chantant les hymnes, foulard autour du cou. Elle a passé son adolescence dans une ville réunifiée et les musiques électroniques ont remplacé les Lieder de la Jeunesse allemande libre. Pendant les promenades qu’ils font ensemble, Izabela redécouvre les fantômes de Berlin. Le centre sportif de la Landsberger Allee dont les piscines ont été vidées, remplacées par des terrains de badminton aux dimensions étranges, la prison de la Stasi dans laquelle l’un de ses oncles a été enfermé pendant plusieurs mois.
Benjamin de Laforcade, Rouge nu, Gallimard, 2022.
Sie erzählte ihm von ihren jungen Jahren und den Veränderungen in der Stadt. Izabela kennt Berlin, wie man einen Freund aus der Kindheit kennt, sie spricht von den verschwundenen Orten mit ebenso viel Nostalgie wie Aufregung. Berlin ist weiterhin das, was es schon immer war: ein ungeordnetes Gebilde in ständiger Bewegung, ein zersplittertes Dorf, dessen Narben sichtbar gelassen, gezeigt und in Orte verwandelt werden, an denen man sitzen darf. Izabela wurde in der Deutschen Demokratischen Republik geboren, ihre Eltern träumten davon, sie mit einem Kopftuch um den Hals Hymnen singend aufwachsen zu sehen. Ihre Teenagerjahre verbrachte sie in einer wiedervereinigten Stadt und elektronische Musik ersetzte die Lieder der Freien Deutschen Jugend. Während ihrer gemeinsamen Spaziergänge entdeckt Izabela die Gespenster Berlins wieder. Das Sportzentrum in der Landsberger Allee, dessen Schwimmbäder leergeräumt und durch Badmintonfelder mit seltsamen Abmessungen ersetzt wurden, das Stasi-Gefängnis, in dem einer ihrer Onkel mehrere Monate lang eingesperrt war.
Während sich junge Künstler wie Ezra, ein talentierter Student, an Mausers Schule einschreiben, entfaltet sich eine komplexe Erzählung über Kunst, Macht und persönliche Abgründe. Parallel dazu wird die Geschichte von Izabela erzählt, einer Frau, die sich mit einer unerwarteten Schwangerschaft konfrontiert sieht und mit den traumatischen Erinnerungen an ihre Vergangenheit in der DDR ringt.
Certaines nuits, Ezra sort de chez lui et marche dans la ville. Il marche jusqu’à se perdre, jusqu’à ce que ses jambes deviennent dures et brûlantes. Il traverse des quartiers qui ressemblent à des villages, il traverse les ambiances, les couleurs et les accents. Il passe du bruit au silence et de l’obscurité à la lumière. Berlin n’est pas une ville, c’est un ensemble de lieux dissemblables, rapprochés uniquement par leur proximité géographique. Des pays accolés par un mouvement de terre, un glissement de terrain. Il s’y perd à la façon d’un voyageur mal renseigné. Ses promenades nocturnes sont faites d’erreurs de direction, et partout il sent peser sur lui le regard de ceux qui reconnaissent la démarche des étrangers. Marcher pour ne pas réfléchir. S’épuiser pour ne pas se souvenir. Ne pas dormir pour éteindre les voix qui se battent en lui. Ezra croise la route d’autres oiseaux de nuit, d’autres marcheurs qui fuient d’autres noirceurs. Ils avancent dans l’immense Karl-Marx-Allee, sous les façades carrelées dont la couleur appartient à un autre temps. Ils avancent vers le quartier de Friedrichshain, descendent retrouver la Spree et ses méandres noirs. Ezra les suit, profite de leur aspiration pour soulager son corps et la douleur dans ses jambes. Pour ne plus décider du chemin qu’il emprunte. Ne plus décider, c’est cesser d’être responsable. Il laisse glisser sa main sur les peintures au gaz qui recouvrent le mur jusqu’à ce qu’un pont en brique barre sa route, habité par des ombres et des fumées blanches. L’odeur de l’urine et de la viande grillée, l’alcool qui réchauffe le cœur des clochards, qui leur font oublier que l’hiver est presque là. Il tourne, il remonte la rue aux dimensions inhumaines. Il descend un escalier débouchant sur une cour intérieure, cachée, cerclée de bâtiments percés. Ceux qui n’ont pas réussi à trouver le sommeil se sont réunis autour d’un très grand feu, assis sur un banc. Ezra trouve une place et s’assoit avec eux, il approche ses mains de la flamme, un cône rouge aux allures de montagne. Il se repose, il se souvient.
Benjamin de Laforcade, Rouge nu, Gallimard, 2022.
In manchen Nächten geht Ezra aus dem Haus und läuft durch die Stadt. Er läuft, bis er sich verliert, bis seine Beine hart und brennend werden. Er durchquert Viertel, die wie Dörfer aussehen, er durchquert Stimmungen, Farben und Akzente. Er wechselt vom Lärm zur Stille und von der Dunkelheit zum Licht. Berlin ist keine Stadt, sondern eine Ansammlung ungleicher Orte, die nur durch ihre geografische Nähe zusammengebracht wurden. Länder, die durch eine Erdbewegung oder einen Erdrutsch aneinandergefügt wurden. Er verirrt sich dort wie ein schlecht informierter Reisender. Seine nächtlichen Spaziergänge bestehen aus Richtungsfehlern, und überall spürt er die Blicke derer auf sich lasten, die den Gang von Fremden erkennen. Gehen, um nicht zu denken. Sich erschöpfen, um sich nicht zu erinnern. Nicht schlafen, um die Stimmen auszuschalten, die in ihm kämpfen. Ezra kreuzt den Weg anderer Nachtvögel, anderer Wanderer, die vor anderen Dunkelheiten fliehen. Sie gehen die riesige Karl-Marx-Allee entlang, unter den gefliesten Fassaden hindurch, deren Farbe einer anderen Zeit angehört. Sie gehen weiter in Richtung Friedrichshain, hinunter zur Spree und ihren schwarzen Mäandern. Ezra folgt ihnen, nutzt ihren Sog, um seinen Körper und die Schmerzen in seinen Beinen zu lindern. Um nicht mehr zu entscheiden, welchen Weg er nimmt. Nicht mehr zu entscheiden bedeutet, nicht mehr verantwortlich zu sein. Er lässt seine Hand über die Sprühfarbe an der Wand gleiten, bis eine Ziegelbrücke seinen Weg versperrt, die von Schatten und weißem Rauch besiedelt wird. Der Geruch von Urin und gegrilltem Fleisch, der Alkohol, der die Herzen der Penner wärmt und sie vergessen lässt, dass der Winter fast da ist. Er biegt ab, geht die unmenschlich dimensionierte Straße hinauf. Er geht eine Treppe hinunter, die in einen verborgenen Innenhof mündet, der von durchlöcherten Gebäuden umringt ist. Diejenigen, die keinen Schlaf finden konnten, haben sich um ein sehr großes Feuer versammelt und sitzen auf einer Bank. Ezra findet einen Platz und setzt sich zu ihnen, er nähert sich mit seinen Händen der Flamme, einem roten Kegel, der wie ein Berg aussieht. Er ruht sich aus, erinnert sich.
Berlin bildet auch hier die Kulisse für eine Atmosphäre der Spannung und des Wandels: Die Stadt ist gleichermaßen Symbol für künstlerische Freiheit wie für die Narben der deutschen Teilung. Mausers strenge Ästhetik steht in Kontrast zu den Sehnsüchten seiner Schüler, insbesondere Ezra, der sich mit seiner eigenen künstlerischen Identität auseinandersetzen muss. Die Handlung verdichtet sich, als Izabela in einer existenziellen Krise ein Kind zur Welt bringt, während Mauser sich zunehmend in seinem obsessiven Schaffen verliert. Schließlich wird sein verborgenes Meisterwerk zum Zentrum einer öffentlichen Enthüllung, doch der Künstler selbst scheint daran zu zerbrechen. Der Roman endet in einer offenen Geste, die den Mythos des unvollendeten Werks und die Fragilität der menschlichen Existenz betont. Rouge nu von Benjamin de Laforcade ist ein Roman über künstlerische Schöpfung und Selbstzerstörung, der eine Poetik des Unvollendeten entwickelt: Der Text bleibt fragmentarisch, springt zwischen Stimmen und Zeiten und entzieht sich einer kohärenten Ordnung, so wie auch das zentrale Kunstwerk in seiner endgültigen Form verborgen bleibt. Thematisch verhandelt der Roman die Grenzen von Identität, Körper und Erinnerung, indem er die existenzielle Krise eines Künstlers mit der metaphysischen Leere seiner Werke parallelisiert. Berlin erscheint hier als ein Ort der ästhetischen wie auch politischen Spannung, ein urbaner Raum, in dem Nachkriegsgeschichte, kreative Dekadenz und persönliche Tragödien aufeinandertreffen.
Benjamin de Laforcade zeichnet in Berlin pour elles zunächst ein Bild der DDR als Überwachungsstaat. Die Stasi ist allgegenwärtig, nicht nur durch ihre Agenten, sondern auch durch ein System der Denunziation, das Familien und Freundeskreise durchdringt. Der Roman beleuchtet verschiedene Facetten der Überwachung: von technologischen Spionagemethoden über psychologische Zersetzungsstrategien bis hin zur Angst, die selbst nach der Wende in den Figuren nachhallt.
Mais personne à Berlin ne se tait.
On guette, on observe, on espionne et on parle, on parle, on parle. On raconte tout, quitte à mentir pour combler les vides. On inscrit au rapport, on signe et contresigne. On dénonce. Petits fayots amoureux de leur maître, grisés d’être témoin d’un manquement à la règle, ils courent à la centrale de Lichtenberg et vident leurs saletés sur les bureaux de la Stasi. Il y a des choses plus graves que d’autres. Cacher une presse et imprimer des tracts font partie des choses graves.
Benjamin de Laforcade, Berlin pour elles, Gallimard, 2024.
Aber niemand in Berlin schweigt.
Man lauert, beobachtet, spioniert und redet, redet, redet. Man erzählt alles, selbst wenn man lügt, um die Lücken zu füllen. Es wird berichtet, unterschrieben und gegengezeichnet. Man denunziert. Kleine Bohnenstangen, die in ihren Meister verliebt sind, berauscht davon, Zeuge eines Regelverstoßes zu werden, rennen sie zur Zentrale in Lichtenberg und entleeren ihren Dreck auf die Bürotische der Stasi. Manche Dinge sind schlimmer als andere. Das Verstecken einer Presse und das Drucken von Flugblättern gehören zu den ernsten Dingen.
Eines der zentralen Motive im Roman ist die systematische Überwachung durch das Ministerium für Staatssicherheit. Die Figur Peter, ein hochrangiger Stasi-Mitarbeiter, verkörpert diese Mechanismen und schildert mit nüchterner Präzision die Methoden der Kontrolle. So beschreibt der Roman, wie Miniaturkameras in Knöpfen versteckt und Mikrofone in Kugelschreibern platziert werden. Diese technische Aufrüstung der Stasi zeigt den Wandel der Überwachung von traditionellen Methoden hin zu immer raffinierteren Techniken. Doch nicht nur Technologie spielt eine Rolle, sondern auch psychologische Manipulation. Besonders eindrücklich ist eine Szene, in der Stasi-Agenten heimlich in die Wohnung einer verdächtigen Frau eindringen und dort absichtlich Gegenstände verschieben – Tassen, Zahnbürsten, alltägliche Dinge. Ziel ist es, sie in Paranoia zu treiben, sodass sie sich selbst isoliert und niemand mehr ihren Berichten über heimliche Eindringlinge Glauben schenkt.
La boucle écaillée, le cuir usé et les lanières effilées, son cartable noir est en mauvais état. Alors que son costume est neuf et que ses chaussures sont cirées, il gâche sa tenue. Peter hésite, jette un œil vers la mallette rouge d’Inge, neuve, se ravise. Elle ne s’en sert jamais. Il referme la porte sans faire de bruit et se dirige vers la centrale.
La centrale du ministère de la Sécurité d’État est un ensemble de bâtiments modernes, d’une architecture sobre et fonctionnaliste, un bloc brun bien agencé au cœur du district de Lichtenberg. Par beau temps, le soleil trace une ligne claire et se reflète sur la façade vitrée de l’édifice principal. Tout autour, le quartier reste calme du matin jusqu’au soir, les logements sont neufs, les bâtiments s’élèvent dans le ciel, on peut voir en été des enfants jouer autour des fontaines. Un paysage cubique tracé au compas et bâti au marteau. Le rêve de Peter. Le siège de la Stasi.
Après être descendu de l’ascenseur continu, Peter arrive à son bureau, s’assoit sur sa chaise et pose à côté de lui la mallette d’Inge dont il tire son petit déjeuner. Pour chasser le sentiment de culpabilité qui entame son humeur, il mord dans le pain, époussette consciencieusement les miettes sur sa chemise et se met au travail. Les journées importantes commencent la faim au ventre. Il ouvre son premier dossier.
Tout est encore nouveau, chaque répertoire, chaque abréviation, chaque méthode de classification lui est étranger. Tout ce qu’il lit doit être retenu, assimilé. Des notes de service communiquent les changements de procédure et Peter fouille sa mémoire pour y remplacer l’information apprise quelques jours plus tôt, déjà obsolète. Il lui arrive d’en rêver, son cerveau se livrant à une sorte de digestion, restituant un ensemble de mots et de concepts inédits. À son réveil, il s’inquiète de trouver ses souvenirs abîmés par la nuit, les acronymes inversés et les noms de ses nouveaux collègues effacés de sa mémoire. Il se livre à un court examen mental et découvre avec soulagement que tout est resté en ordre. Comme face à une étagère bien classée, il accède avec efficacité aux informations dont il a besoin, il sent ses connaissances accroître, il les sent pénétrer les tissus de son crâne et y laisser une trace exploitable.
C’est lorsqu’il voit son nom sur les chemises des documents que Peter s’autorise une pointe d’orgueil. Peter Moehn, ministère de la Sécurité d’État. En mouillant son index, il fait défiler devant lui les notes d’informations et les comptes rendus, essayant de ne pas se perdre. Il est question d’un directeur d’usine rapportant les propos hostiles d’une de ses employées. Une proposition de peine pour un poète du quartier de Prenzlauer Berg dont les textes appellent à la haine et au séparatisme. Un homme sous l’emprise de l’alcool, déguisé en clown de cirque dans une rue de Pankow, agressant les passants et urinant sur le trottoir.
Benjamin de Laforcade, Berlin pour elles, Gallimard, 2024.
Die Schnalle ist abgeplatzt, das Leder abgenutzt und die Riemen verjüngt – sein schwarzer Schulranzen ist in schlechtem Zustand. Während sein Anzug neu ist und seine Schuhe geputzt sind, ruiniert dieser sein Erscheinungsbild. Peter zögert, wirft einen Blick auf Inges neue rote Aktentasche, überlegt es sich aber anders. Sie benutzt sie nie. Er schließt leise die Tür und geht zur Zentrale.
Die Zentrale des Ministeriums für Staatssicherheit ist ein moderner Gebäudekomplex mit nüchterner, funktionalistischer Architektur, ein brauner, übersichtlicher Block im Herzen des Bezirks Lichtenberg. Bei schönem Wetter zieht die Sonne eine klare Linie und spiegelt sich in der Glasfassade des Hauptgebäudes. Rundherum bleibt der Bezirk von morgens bis abends ruhig, die Wohnungen sind neu, die Gebäude ragen in den Himmel, im Sommer kann man Kinder um die Brunnen spielen sehen. Eine kubische Landschaft, die mit dem Zirkel gezeichnet und mit dem Hammer gebaut wurde. Der Traum von Peter. Das Hauptquartier der Stasi.
Nachdem Peter aus dem Paternoster gestiegen ist, erreicht er sein Büro, setzt sich auf seinen Stuhl und stellt Inges Aktenkoffer neben sich, aus dem er sein Frühstück holt. Um das Schuldgefühl zu vertreiben, das seine Stimmung trübt, beißt er in das Brot, wischt gewissenhaft die Krümel von seinem Hemd und macht sich an die Arbeit. Wichtige Tage beginnen mit Hunger im Bauch. Er öffnet seinen ersten Ordner.
Alles ist noch neu, jedes Verzeichnis, jede Abkürzung, jede Klassifizierungsmethode ist ihm fremd. Alles, was er liest, muss er sich merken, verinnerlichen. In Memos werden Verfahrensänderungen mitgeteilt, und Peter durchforstet sein Gedächtnis, um die vor wenigen Tagen gelernten, bereits veralteten Informationen zu ersetzen. Manchmal träumt er davon, während sein Gehirn eine Art Verdauungsprozess durchläuft und eine Reihe neuer Wörter und Konzepte wiedergibt. Wenn er aufwacht, ist er besorgt, dass seine Erinnerungen durch die Nacht beschädigt sind, die Akronyme vertauscht und die Namen seiner neuen Kollegen aus seinem Gedächtnis gelöscht sind. Er unterzieht sich einer kurzen geistigen Prüfung und stellt erleichtert fest, dass alles in Ordnung geblieben ist. Wie vor einem gut sortierten Regal greift er effizient auf die Informationen zu, die er braucht, er spürt, wie sein Wissen wächst, wie es in das Gewebe seines Schädels eindringt und dort eine verwertbare Spur hinterlässt.
Erst als er seinen Namen auf den Dokumentenmappen sieht, wird Peter ein wenig stolz. Peter Moehn, Ministerium für Staatssicherheit. Mit angefeuchtetem Zeigefinger lässt er Informationsnotizen und Protokolle an sich vorbeiziehen und versucht, sich nicht zu verlieren. Es geht um einen Fabrikdirektor, der von feindseligen Äußerungen einer seiner Mitarbeiterinnen berichtet. Ein Strafvorschlag für einen Dichter aus dem Prenzlauer Berg, der in seinen Texten zu Hass und Separatismus aufruft. Ein Mann unter Alkoholeinfluss, der als Zirkusclown verkleidet auf einer Straße in Pankow Passanten angreift und auf den Bürgersteig uriniert.
Die Stasi war nicht allein auf ihre offiziellen Mitarbeiter angewiesen, sondern auf ein breites Netz inoffizieller Informanten, ein System der Denunziation. Im Roman gibt es eine Szene, in der eine Frau ohne Zwang beginnt, einen Bekannten zu bespitzeln und ihn detailliert bei der Stasi anzeigt. Besonders perfide: Sie steigert sich in ihre Rolle als Spitzel hinein und beginnt, erfundene Details hinzuzufügen, um sich als nützlich zu erweisen. Das Wissen um die allgegenwärtige Überwachung führt zu einem Klima der Angst und der Selbstzensur.
Die DDR wird im Roman durch ihre politischen Strukturen und sozialen Mechanismen greifbar. So wird beschrieben, wie Wohnungen von Dissidenten infiltriert und Objekte manipuliert werden, um Paranoia zu erzeugen. Neben dem ideologischen System beschreibt Laforcade auch politische Schlüsselereignisse. Die wirtschaftliche Stagnation der 1980er Jahre wird angedeutet, ebenso wie die inneren Widersprüche des Regimes. Die Überwachung und der politische Druck führten schließlich zu einem wachsenden Dissens, der in der Wende von 1989 kulminierte. Der Roman veranschaulicht ebenso die ideologische Erziehung: In einer Schulstunde wird die Mauer als „Damm gegen die kapitalistische Flut“ dargestellt, der Schutz vor westlicher Dekadenz bietet. Diese Darstellung zeigt die ideologische Prägung der DDR-Kinder, die zwischen Propaganda und individueller Wahrnehmung hin- und hergerissen sind. Ein weiteres zentrales Motiv ist die Rolle der Kirche als Widerstandsort. Der Pastor Harald druckt verbotene Schriften, was ihn zur Zielscheibe der Stasi macht. Die BRD erscheint aus der Perspektive der DDR-Bürger ambivalent. Einerseits ist sie das „verbotene Land“, eine Utopie, die sich in Konsum und Freiheiten manifestiert. Andererseits wird sie in offiziellen Diskursen als dekadent und sozial ungerecht gezeichnet. Diese Widersprüchlichkeit wird in der Figur Karls deutlich, der zwischen den Systemen pendelt und im Westen exzessiven Hedonismus erlebt. Auch die Gefangenenfreikäufe werden thematisiert: Die BRD kauft politische Häftlinge frei, ein Geschäft, das Menschenleben in ökonomische Kategorien presst.
Zwei zentrale männliche Figuren stehen für unterschiedliche Werthaltungen: Peter, Judiths Vater, ist ein Anhänger des Systems und reproduziert die staatlichen Narrative über „asoziale Elemente“ wie Rita und Hannah. Harald, Judiths Onkel, ist Pastor und verkörpert eine alternative Moral, die sich der staatlichen Ideologie entzieht. Diese Figuren stellen ein ideologisches Spannungsfeld, in dem sich Judiths und Hannahs Entwicklung vollzieht. Neben der alltäglichen Überwachung thematisiert der Roman auch die systematische Verfolgung von Regimekritikern. Eine Schlüsselszene beschreibt die Inhaftierung eines jungen Oppositionellen, dessen Name auf einer Liste der Stasi steht. Die Figuren erleben, dass nicht nur offene Gegner, sondern auch potenziell Unzuverlässige unter Verdacht stehen und drangsaliert werden. Besonders brutal sind die Maßnahmen gegen Dissidenten wie den Pastor Harald, der heimlich regimekritische Schriften druckt. Die Stasi infiltriert seine Umgebung, überwacht seine Kirche und setzt ihn zunehmend unter Druck. Die Strategie ist klar: Kritische Stimmen sollen gebrochen und mundtot gemacht werden. Auch nach dem Ende der DDR bleibt das Gefühl der Überwachung präsent. In einer Szene, die 2016 spielt, nimmt eine ehemalige politische Gefangene an einer Dokumentation über die Stasi teil. Sie schildert, wie selbst nach der Wiedervereinigung die Überwachung eine mentale Last bleibt. Berlin pour elles zeigt eindrucksvoll, wie tiefgreifend Überwachung die Gesellschaft der DDR prägte. Laforcades Roman geht dabei über eine bloße Schilderung technischer Spionagemethoden hinaus und verdeutlicht die psychologische Dimension: Misstrauen, Isolation und die langfristigen Folgen der Überwachung bleiben auch nach dem Mauerfall bestehen. Damit wird die DDR nicht nur als historisches Überwachungsregime beschrieben, sondern als System, das bis in die Gegenwart hineinwirkt.
Le pasteur Harald s’est fait arrêter et l’état de Rita s’est aggravé, la toux et la paranoïa dans la même mesure. Ils. Toujours les mêmes. Ils la tuaient à petit feu. Ils cherchaient à la rendre folle. Ils finiraient par la prendre elle aussi, l’enfermer comme le pasteur et la laisser crever là-bas, dans la prison pour femmes de Hoheneck. Hannah s’est interdit de vivre pour faire survivre Rita. Avant d’être la mercière de Mme Schimmelpfennig, elle a été l’infirmière de sa mère. Celle qui voit le désastre formé à l’horizon, qui comptabilise chaque jour les petites régressions, le poids perdu et les rides nouvelles.
Petit à petit, comme si elle avait enfin baissé les armes, Rita n’a presque plus rien dit. Elle n’a plus parlé des écoutes ni des intrus, ni des micros cachés dans les papiers peints ou le culot des ampoules. Tais-toi, dès qu’Hannah se plaignait des rayons vides ou des listes d’attente, des lenteurs administratives, des policiers bas du front et des mesquineries de l’État. Tais-toi ! Un doigt sur les lèvres et l’autre vers le plafond. Tais-toi. Dès que revenaient dans la bouche d’Hannah les prénoms du passé. Harald. Karl. Werner. Inge, Peter, Michael. Judith.
Le plus sûr est de rester chez soi. Se laisser aller et se trouver des ennemis moins dangereux. Les Fidschi par exemple, qui débarquent du Vietnam par centaines. On dit qu’ils mangent du rat et de la viande de chat, il faut reconnaître que leurs enfants sont beaux.
Benjamin de Laforcade, Berlin pour elles, Gallimard, 2024.
Pastor Harald wurde verhaftet, und Ritas Zustand verschlechterte sich, der Husten und die Paranoia im gleichen Maße. Sie. Immer dieselben. Sie brachten sie langsam um. Sie versuchten, sie in den Wahnsinn zu treiben. Irgendwann würden sie auch sie holen, sie wie den Pastor einsperren und sie dort, im Frauengefängnis Hoheneck, verrecken lassen. Hannah hat sich das Leben verboten, um Rita zu überleben. Bevor sie Frau Schimmelpfennigs Dankesfrau wurde, war sie die Krankenschwester ihrer Mutter. Sie war diejenige, die die Katastrophe am Horizont heranwachsen sah und jeden Tag die kleinen Rückschritte, das verlorene Gewicht und die neuen Falten zählte.
Nach und nach, als hätte sie schlussendlich die Waffen niedergelegt, sagte Rita fast nichts mehr. Sie sprach nicht mehr von Abhörgeräten oder Eindringlingen, nicht mehr von Wanzen, die in Tapeten oder Glühbirnen versteckt waren. Still, sobald Hannah sich über leere Regale oder Wartelisten beschwerte, über langsame Behördengänge, niedrige Polizisten und die Schäbigkeit des Staates. Sei still! Ein Finger auf den Lippen und der andere zeigt zur Decke. Sei still! Sobald in Hannahs Mund wieder die Vornamen der Vergangenheit auftauchten. Harald. Karl. Werner. Inge, Peter, Michael. Judith.
Am sichersten ist es, zu Hause zu bleiben. Sich gehen lassen und sich weniger gefährliche Feinde suchen. Die Fidschi zum Beispiel, die zu Hunderten aus Vietnam kommen. Man sagt, dass sie Ratten und Katzenfleisch essen, man muss zugeben, dass ihre Kinder schön sind.
Laforcade zeigt die DDR aber nicht nur als repressives System, sondern als komplexe Gesellschaft, in der Kontrolle und Widerstand, Anpassung und Eigenständigkeit ineinandergreifen. Besonders deutlich wird dies in der Darstellung des Bildungssystems: Die Jungen Pioniere und die Schule bilden einen Mikrokosmos der sozialistischen Ordnung, in dem Kinder früh mit Ideologie konfrontiert werden. Eine Schlüsselszene beschreibt Judiths erste Teilnahme an der Pionierzeremonie. Während sie mit Stolz ihr Halstuch trägt und die Gebote aufsagt, bleibt Hannah stumm und bewegt nur die Lippen, um nicht aufzufallen. Aktive Identifikation versus stilles Ausharren sind die beiden Strategien im Umgang mit ideologischer Disziplinierung. Zugleich entwirft Laforcade subtile Gegenwelten zur staatlichen Ordnung. Die Freundschaft zwischen Hannah und Judith, aber auch die Solidarität zwischen den Frauenfiguren, bildet eine moralische Parallelstruktur, in der Werte wie Fürsorge, Gerechtigkeit und gegenseitige Unterstützung jenseits offizieller Doktrinen bestehen. Laforcades Roman zeigt, dass die DDR nicht nur aus Repression bestand, sondern auch aus moralischer Eigenständigkeit und individueller Widerständigkeit. Die Freundschaft zwischen Hannah und Judith wird dabei zum Symbol eines alternativen Wertekompasses, der sich der ideologischen Kontrolle entzieht. Berlin dient als Erinnerungsspeicher, in dem Geschichte und Biografie miteinander verschmelzen. In dieser Komplexität liegt eine Stärke des Romans: Er zeigt, dass Systeme vergehen, aber die Erfahrungen und Beziehungen, die sie geprägt haben, fortbestehen.
Berlin wird in Berlin pour elles sowohl als realer als auch als symbolischer Raum inszeniert. Für die Kinder ist die Mauer zunächst keine politische Trennung, sondern eine natürliche Begrenzung ihres Spielraums. Erst mit zunehmendem Alter begreifen Hannah und Judith, dass der Mauerstreifen mehr ist als ein leerer Raum. Ihre spielerische Annäherung an die Grenze spiegelt das schrittweise Erwachen eines politischen Bewusstseins wider.
Sur la carte du maître, deux espaces séparés par une ligne. Dans l’est de Berlin, on voit le tracé des rues, des routes, le canal et les lacs. On s’imagine en train de remonter l’avenue familière. De ce côté de la ligne s’étire le monde que l’on connaît, celui dans lequel on grandit, pays de la joie et de la paix. De l’autre côté du mur, une zone orange pâle. Pas de rues, pas d’avenues, rien que l’on puisse identifier. Un Ouest lisse, ni routes ni reliefs, une zone dont la couleur pastel provoque la fuite du regard. Comme les mers, comme ces pays insignifiants dont le nom n’est pas à connaître pour la prochaine évaluation. Le maître produit une deuxième carte, une carte du pays cette fois, et les choses sont plus claires. Le mur ne traverse pas la ville : il encercle la zone orange. Il enferme ce bout d’Ouest, ridicule au milieu de l’Allemagne, écrasé par la taille du pays qui le contient. C’est tout ce que l’autre camp a été capable d’obtenir, une flaque orange dans la capitale, un morceau de vanité dans lequel cohabitent des millions de solitudes. Il y a ceux qui ne travaillent pas et ceux qui vivent dehors. Vivre dehors, c’est dormir dehors et manger dehors, comme un chien ou moins qu’un chien. C’est mourir quand l’hiver est trop rude et que la maladie ne peut être soignée, quand la main qui vous sauve ne viendra jamais. Dans la zone orange, il faut, pour être, que l’autre ne soit pas.
Benjamin de Laforcade, Berlin pour elles, Gallimard, 2024.
Auf der Karte des Lehrers sind zwei Räume durch eine Linie getrennt. Im Osten Berlins sieht man den Verlauf der Straßen und Wege, den Kanal und die Seen. Man stellt sich vor, wie man die vertraute Allee hinaufgeht. Auf dieser Seite der Linie erstreckt sich die Welt, die man kennt, die Welt, in der man aufwächst, das Land der Freude und des Friedens. Auf der anderen Seite der Mauer liegt ein blassorangefarbenes Gebiet. Keine Straßen, keine Alleen, nichts, was man identifizieren könnte. Ein glatter Westen, keine Straßen oder Erhebungen, ein Gebiet, dessen Pastellfarbe den Blick zur Flucht veranlasst. Wie die Meere, wie diese unbedeutenden Länder, deren Namen man für die nächste Bewertung nicht wissen muss. Der Lehrer produziert eine zweite Karte, diesmal eine Karte des Landes, und die Dinge sind klarer. Die Mauer verläuft nicht durch die Stadt: Sie umschließt die orangefarbene Zone. Sie schließt diesen Teil des Westens ein, lächerlich in der Mitte Deutschlands, erdrückt von der Größe des Landes, das ihn einschließt. Das ist alles, was die andere Seite zu erreichen vermochte, eine orangefarbene Pfütze in der Hauptstadt, ein Stück Eitelkeit, in dem Millionen von Einsamkeiten zusammenleben. Es gibt diejenigen, die nicht arbeiten, und diejenigen, die draußen leben. Draußen leben heißt, draußen zu schlafen und draußen zu essen, wie ein Hund oder weniger als ein Hund. Es bedeutet zu sterben, wenn der Winter zu hart ist und die Krankheit nicht behandelt werden kann, wenn die rettende Hand nie kommen wird. In der orangefarbenen Zone muss man, um zu sein, den anderen nicht sein lassen.
In der retrospektiven Erzählebene von 2016 wird Berlin als Stadt der Erinnerungen dargestellt. Judith, inzwischen erwachsen, besucht ihre alte Nachbarschaft und stellt fest, dass viele Orte ihrer Kindheit verschwunden sind. Laforcade nutzt Berlin als historische Projektionsfläche, in der persönliche und kollektive Geschichte ineinandergreifen.
Die Beziehung zwischen Hannah und Judith ist nicht nur eine Freundschaft, sondern ein zentrales moralisches Spannungsfeld. Während Judith als Tochter eines systemnahen Vaters in der DDR sozial integriert ist, bleibt Hannah als Kind einer alleinerziehenden Arbeiterin eine Außenseiterin. Ihre Freundschaft entwickelt sich in Phasen: in der Kindheit (1967) mit unbeschwertem Spielen, um 1975 aber auch mit einem beginnenden politischen Bewusstsein und dem ersten Bewusstwerden sozialer Unterschiede, in der Adoleszenz (1988) angesichts der Endphase der DDR mit Brüchen von Freundschaften, mit gesellschaftlichen Spannungen und ideologischen Gegensätzen konfrontiert, und im Nachwendetreff (2016) als Reflexion über Vergangenheit und Verluste. Die Geschichte der DDR hat sich als prägende Erfahrung in die Biografien der Figuren eingeschrieben. Die narrative Struktur des Romans ist nicht linear, sondern arbeitet mit Rückblenden, Erinnerungsfragmenten und Perspektivwechseln. Dies erzeugt eine dokumentarische Unschärfe, die den Erinnerungscharakter der Erzählung betont.
Elles n’ont peur de rien. Ni les craquements, ni les racines au sol, le cri du hibou et le feulement du vent, la lune au-dessus des arbres, sa clarté, les pierres en forme de bête et les fourrés grouillant de vie, tous les secrets de la forêt qu’elles traversent en courant. Elles n’ont peur de rien et elles ont gagné. Elles sont libres, et Judith est vengée.
Le See est noir comme le ciel, traversé des mêmes étoiles.
« Viens. »
Leurs chaussures pleines de terre, elles les ont balancées pour plonger leurs pieds nus dans la nuit. Le lac ne dort pas non plus, il les accueille ici, loin des autres et de leurs mauvaises têtes, loin du camp et de ses règles. Elles savourent la fatigue de la course et la dignité retrouvée. Hannah et Judith se tiennent encore la main.
« Je ne l’ai pas embrassée, la Tanja. »
Hannah se tourne vers elle, de sa voix sérieuse elle répond.
« D’accord. »
C’est Judith qui approche son visage, qui tend ses lèvres la première. Hannah a l’idée de fermer les yeux pour rester concentrée. Elles perdent peu à peu la notion des distances, se demandent où elles en sont jusqu’à ce que leurs lèvres se rencontrent, fraîches comme le lac, chaudes comme leur cœur, la piqûre électrique de ce qui est trop sensible, la troublante émotion d’avoir percé ensemble le plus lourd des secrets.
Quand Judith se recule en ouvrant les yeux, quand elles se retrouvent l’une en face de l’autre, les lèvres engourdies et le regard brumeux, leur trouble se change en un rire si fort qu’elles en sont asphyxiées. Hannah cherche un peu d’air pour imiter le cri de la Tanja, ridicule, effrayée par un vieux bout de corde. Judith se sent mourir d’amour.
Benjamin de Laforcade, Berlin pour elles, Gallimard, 2024.
Sie haben vor nichts Angst. Nicht das Knacken, nicht die Wurzeln am Boden, der Ruf der Eule und das Rauschen des Windes, der Mond über den Bäumen, seine Helligkeit, die Steine in Tierform und das Dickicht voller Leben, all die Geheimnisse des Waldes, durch den sie rennen. Sie haben vor nichts Angst und sie haben gewonnen. Sie sind frei und Judith ist gerächt.
Der See ist schwarz wie der Himmel, der von denselben Sternen durchzogen ist.
„Komm.“
Ihre Schuhe voller Erde haben sie weggeworfen, um ihre nackten Füße in die Nacht zu tauchen. Auch der See schläft nicht, er empfängt sie hier, weit weg von den anderen und ihren bösen Gesichtern, weit weg vom Lager und seinen Regeln. Sie genießen die Müdigkeit des Laufens und die wiedergewonnene Würde. Hannah und Judith halten sich immer noch an den Händen.
„Ich habe sie nicht geküsst, die Tanja.“
Hannah dreht sich zu ihr um, und mit ihrer ernsten Stimme antwortet sie.
„In Ordnung.“
Es ist Judith, die sich ihrem Gesicht nähert, die ihre Lippen zuerst ausstreckt. Hannah hat die Idee, die Augen zu schließen, um konzentriert zu bleiben. Sie verlieren nach und nach das Gefühl für Entfernungen, fragen sich, wo sie sind, bis sich ihre Lippen treffen, kühl wie der See, warm wie ihr Herz, der elektrische Stich dessen, was zu empfindlich ist, das beunruhigende Gefühl, gemeinsam das schwerste aller Geheimnisse entschlüsselt zu haben.
Als Judith zurückweicht und die Augen öffnet, als sie sich mit tauben Lippen und nebligem Blick gegenüberstehen, verwandelt sich ihre Verwirrung in ein Lachen, das so laut ist, dass es sie erstickt. Hannah sucht nach Luft, um den lächerlichen Schrei der Tanja zu imitieren, die von einem alten Stück Seil erschreckt wird. Judith fühlt sich, als würde sie vor Liebe sterben.
Benjamin de Laforcades Berlin pour elles ist nicht nur ein historischer Roman über die DDR und das geteilte Berlin, sondern auch eine Erzählung über Erinnerung, Vergänglichkeit und die Spuren der Vergangenheit in der Gegenwart. Trotz der Jahresgliederung, die Zeitstruktur des Romans ist dabei keineswegs immer linear, sondern folgt einer mehrschichtigen, fragmentierten Erzählweise, die verschiedene Zeitebenen miteinander verschränkt.
Rita, Hannahs alleinerziehende Mutter, verkörpert das Spannungsfeld zwischen weiblicher Emanzipation und sozialer Stigmatisierung. Die DDR propagierte offiziell Gleichberechtigung, doch die Realität zeigt ein anderes Bild. In einer eindrücklichen Szene wird sie von männlichen Kollegen für ihre Unabhängigkeit belächelt. Innerhalb der DDR-Arbeiterkultur mag es diese latente Misogynie gegeben haben, aber auch die Kraft der weiblichen Selbstbehauptung. Rita und Inge, Judiths Mutter, verkörpern dabei unterschiedliche Strategien: Während Rita sich offen gegen Konventionen stellt, versucht Inge, innerhalb der Strukturen einen Weg zu finden – ein Gegensatz, der sich auch auf die Freundschaft ihrer Töchter überträgt.
Die erste Zeitebene des Romans (1967) zeigt die DDR aus der Perspektive von Kindern. Hannah und Judith begegnen sich zum ersten Mal und bauen eine Freundschaft auf, die zunächst frei von ideologischen Konflikten erscheint. Die DDR wird hier nicht als repressiver Staat wahrgenommen, sondern als natürliche Umgebung, die für die Kinder selbstverständlich ist, auffällig ist ihre naive Sichtweise auf die Berliner Mauer. Gleichzeitig enthält diese Phase bereits subtile Hinweise auf die soziale Realität der DDR: Während Judith aus einer Familie mit systemnahen Strukturen stammt, wächst Hannah in einem weniger privilegierten Umfeld auf. Diese Differenzen sind für die Mädchen noch nicht bewusst spürbar, doch sie bilden bereits die Grundlage für spätere Konflikte.
Im Jahr 1975 wird die Freundschaft zwischen Hannah und Judith auf eine erste Probe gestellt. Das Bildungssystem der DDR beginnt, stärker auf die Kinder einzuwirken, und Ideologie dringt zunehmend in den Alltag ein. Eine Schlüsselszene ist Judiths Aufnahme in die Jungen Pioniere: Während Judith die Zeremonie mit Stolz erlebt, bleibt Hannah skeptisch. Sie bewegt zwar die Lippen mit, spricht die Worte aber nicht wirklich aus. Dies ist ein erster Moment der Distanzierung zwischen den beiden Freundinnen, der sich durch die folgenden Jahre ziehen wird. Gleichzeitig beobachtet Laforcade in diesem Zeitschnitt, wie sich die soziale Kluft zwischen den Familien vertieft: Judiths Vater Peter ist ein linientreuer DDR-Bürger, während Hannahs Mutter Rita als alleinerziehende Arbeiterin Schwierigkeiten hat, sich in der Gesellschaft zu behaupten. Eine entscheidende Szene ist ein Streit zwischen Peter und Inge, als er erfährt, dass Hannah oft bei ihnen übernachtet. Peter nennt sie „Asoziale“. Soziale und politische Normen in der DDR wurden ja nicht nur durch staatliche Institutionen, sondern auch durch alltägliche Kommunikation reproduziert.
Die dramatischste Zeitebene ist das Jahr 1988, in dem sich nicht nur die DDR, sondern auch die Beziehung zwischen Hannah und Judith verändert. Während in der Gesellschaft Unruhe wächst und das Ende des Systems absehbar wird, erleben die Figuren persönliche Brüche. Judith beginnt sich zunehmend von Hannah zu distanzieren, da ihr familiärer Hintergrund sie stärker an die DDR bindet. Hannah hingegen erlebt die politische Instabilität als Hoffnungsschimmer und als Möglichkeit, ihrem bisherigen Leben zu entkommen. Eine zentrale Szene ist ein Streit zwischen den beiden Freundinnen, als Hannah andeutet, dass sie in den Westen gehen könnte. Die Mauer, die sie als Kinder nicht verstanden haben, wird nun zur realen Trennlinie zwischen ihren Lebenswegen. Zugleich spiegelt die gesellschaftliche Atmosphäre den privaten Konflikt wider: Demonstrationen, Gerüchte über die bevorstehende Wende und eine zunehmende Unsicherheit prägen das Lebensgefühl. Die Freundschaft zwischen Hannah und Judith zerfällt parallel zum politischen System, das sie einst umgeben hat.
Die Trennung der Freundinnen ist dramatisch und schmerzhaft. Judith hat sich entschieden, die Stasi zu informieren, dass ihr Bruder Michael plant, illegal die Grenze zu überqueren. Dies geschieht in einem Moment der Verzweiflung und des Schutzes für ihre Familie, aber es führt auch dazu, dass sie sich von Hannah distanziert, die sie als ihre beste Freundin betrachtet. Judith hat Angst, dass ihre Entscheidung die Freundschaft gefährden könnte, und sie ist sich bewusst, dass dies Hannah sehr verletzen wird. Judith wird von ihrem eigenen Vater, Peter Moehn, unter Druck gesetzt, die Loyalität zur Familie über die Freundschaft zu stellen, was zu einer tiefen inneren Zerrissenheit führt. Während Judith die Stasi informiert, wird klar, dass ihre Entscheidung nicht nur ihre Beziehung zu Hannah, sondern auch ihr eigenes Leben drastisch verändern wird. Es wird deutlich, dass das politische System und die familiären Erwartungen sie in eine unmögliche Lage bringen, was zu ihrer emotionalen Isolation führt.
Im letzten kurzen Zeitschnitt von 2016 kehrt Judith nach Berlin zurück, nun als Erwachsene mit einer distanzierten Perspektive auf ihre Kindheit und Jugend. Die Stadt hat sich verändert: Die DDR existiert nicht mehr, die Orte ihrer Kindheit sind verschwunden oder umgebaut worden. Doch in ihrer Erinnerung bleibt alles lebendig: „Elle se souvenait du mur, mais ce n’était pas le même mur. Celui d’aujourd’hui n’était qu’un symbole, une trace. L’autre était une réalité.“ Judith versucht, Hannah wiederzufinden.
Comment est-ce qu’on peut vivre dans un paysage gris et avoir une vie lumineuse ?
Le décor de Berlin, aujourd’hui, inspire cette histoire, dans la mesure où, à Berlin, l’Histoire est partout. Il est impossible de ne pas se rendre compte de l’Histoire de la ville quand on parcourt ses rues, quand on rencontre ses habitants, quand on entend une conversation au-dessus de son épaule, dans un bar. Moi, c’est la première fois que j’ai senti que l’Histoire était aussi proche de moi.
Avant, pour moi, l’Histoire, c’était un vieux monsieur qui venait à l’école, qui s’asseyait et qui racontait la guerre, qui racontait d’autres choses difficiles à comprendre. Et aujourd’hui, Berlin et la RDA, ce sont, pour moi, des amis, des collègues de travail, la personne qui vient chez moi pour relever le compteur d’électricité.
C’est cette Histoire très présente qui m’a poussé à me demander : qui sont ces gens ? Comment ont-ils vécu ? Comment ont-ils aimé ? À travers l’histoire d’Hannah et de Judith, mes personnages principaux, j’ai voulu revivre cette période qui vient jusqu’à nous, qui traverse vingt ans de l’Histoire de la RDA et nous amène jusqu’à aujourd’hui.
Il y a aussi cette dimension d’héritage, peut-être de patrimoine, de mémoire. Comment vivons-nous aujourd’hui à la mesure de notre passé ? Je crois qu’on peut dire, à certains égards, que nous sommes déterminés par l’Histoire, comme par bien d’autres déterminismes, qu’ils soient familiaux, sociaux… L’histoire travaille notre matière d’être humain.
Et la question du roman, c’est : comment vivre quand même ? Comment vivre des choses, comment vivre des amours, des amitiés ? Comment, peut-être, se libérer de cette détermination, de ce déterminisme ?
Benjamin de Laforcade über Berlin pour elles, Librairie Mollat
Wie kann man in einer grauen Szenerie leben und trotzdem ein leuchtendes Leben haben?
Die Kulisse des heutigen Berlins inspiriert diese Geschichte, da in Berlin die Geschichte überall präsent ist. Es ist unmöglich, sich der Geschichte der Stadt nicht bewusst zu sein, wenn man durch ihre Straßen geht, ihre Bewohner trifft oder ein Gespräch über die Schulter in einer Bar belauscht. Bei mir war es das erste Mal, dass ich das Gefühl hatte, dass mir die Geschichte so nahe war.
Früher war Geschichte für mich ein alter Mann, der in die Schule kam, sich hinsetzte und vom Krieg erzählte, der andere Dinge erzählte, die schwer zu verstehen waren. Und heute sind Berlin und die DDR für mich Freunde, Arbeitskollegen, die Person, die zu mir nach Hause kommt, um den Stromzähler abzulesen.
Es ist diese sehr präsente Geschichte, die mich dazu gebracht hat, mich zu fragen: Wer sind diese Menschen? Wie haben sie gelebt? Wie haben sie geliebt? Anhand der Geschichte von Hannah und Judith, meinen Hauptfiguren, wollte ich diese Zeit nacherleben, die bis zu uns kommt, die zwanzig Jahre der DDR-Geschichte durchläuft und uns bis in die Gegenwart führt.
Es gibt auch diese Dimension des Vermächtnisses, vielleicht des Erbes, der Erinnerung. Wie leben wir heute nach dem Maßstab unserer Vergangenheit? Ich glaube, man kann in gewisser Hinsicht sagen, dass wir von der Geschichte bestimmt werden, wie von vielen anderen Determinismen, seien sie etwa familiär, sozial … Die Geschichte bearbeitet unser Menschsein.
Und die Frage des Romans lautet: Wie können wir trotzdem leben? Wie können wir Dinge erleben, wie können wir Liebe und Freundschaften leben? Wie können wir uns vielleicht von dieser Determination, diesem Determinismus befreien?
Benjamin de Laforcades Roman Berlin pour elles entfaltet das Leben in der DDR, gerade die vielen alltäglichen Szenen überzeugen literarisch.
Judith aide sa mère dans la cuisine. Elle essuie les assiettes au torchon, propres et mouillées d’une eau tiède sur laquelle perlent encore quelques bulles de savon. Inge nettoie avec une brosse, un bac d’eau claire et un d’eau savonneuse, Judith range sans prendre de retard sur le rythme de sa mère. Les couverts dans le tiroir, le plat dans le buffet et la poêle au crochet. Sec, propre. Elles travaillent en silence dans le fond de l’appartement. Elles écoutent d’une oreille ce qui se passe dans le salon, prêtes à intervenir. La mère et la fille profitent de ces moments simples, de ces tâches faciles pour passer en revue les affaires quotidiennes. Mentalement, elles dressent les listes de courses, les changements d’humeur, les emplois du temps et les anniversaires, les secrets à garder et le travail de la journée, entre celui du matin et celui du soir, les directeurs et les collègues avec lesquels il faut s’entendre, qu’il faut bien consoler quand les choses ne vont pas, les élèves toujours sages et le laboratoire toujours propre. Excellentes.
Il arrive que leurs regards se croisent. Inge les mains dans l’eau, dans la saleté des autres, Judith le torchon sur l’épaule comme une patronne de Kneipe. Un sourire bref. Une gêne.
Alors que la vie pourrait être adéquate, les deux femmes ont gardé tout au fond de leur cœur des souvenirs bruyants, colorés par le rire, tremblants d’excitation. Une époque dont on ne parle plus, si lointaine maintenant. Inge et Judith se souviennent des crises de folie douce, des barbes de mousse et des amitiés aussi chaudes que les premiers soleils d’été. Dans les yeux de sa fille, Inge voit passer les fantômes d’une enfance interdite. Les échappées de la fin de semaine, les après-midi sur la Panke et les invitations à dormir. L’amour dans le regard de Judith quand sonnait le rire d’Hannah, la joie d’avoir trouvé l’amie qui restera.
Benjamin de Laforcade, Berlin pour elles, Gallimard, 2024.
Judith hilft ihrer Mutter in der Küche. Sie wischt die Teller mit dem Geschirrtuch ab, sie sind sauber und mit lauwarmem Wasser benetzt, auf dem noch einige Seifenblasen perlen. Inge putzt mit einer Bürste, einem Behälter mit klarem Wasser und einem mit Seifenlauge, Judith räumt auf, ohne dem Rhythmus ihrer Mutter hinterherzuhinken. Das Besteck in die Schublade, die Schüssel in die Anrichte und die Pfanne an den Haken. Trocken und sauber. Sie arbeiten schweigend im hinteren Teil der Wohnung. Mit einem Ohr hören sie auf das Geschehen im Wohnzimmer, bereit, einzugreifen. Mutter und Tochter nutzen diese einfachen Momente und Aufgaben, um den Alltag Revue passieren zu lassen. Im Geiste erstellen sie Einkaufslisten, Stimmungsschwankungen, Stundenpläne und Geburtstage, Geheimnisse, die es zu bewahren gilt, und die Arbeit des Tages zwischen Morgen- und Abendarbeit, die Direktoren und Kollegen, mit denen man auskommen muss, die man trösten muss, wenn etwas schiefgeht, die Schüler, die immer brav sind, und das Labor, das immer sauber ist. Ausgezeichnet.
Es kommt vor, dass sich ihre Blicke treffen. Inge mit den Händen im Wasser, im Schmutz der anderen, Judith mit dem Geschirrtuch über der Schulter wie eine Kneipenwirtin. Ein kurzes Lächeln. Eine Verlegenheit.
Während das Leben angemessen sein könnte, haben die beiden Frauen ganz tief in ihren Herzen laute, vom Lachen gefärbte, vor Aufregung zitternde Erinnerungen bewahrt. Eine Zeit, über die man nicht mehr spricht, die jetzt so weit weg ist. Inge und Judith erinnern sich an die Anfälle von sanftem Wahnsinn, an Schaumstoffbärte und an Freundschaften, die so heiß waren wie die ersten Sommersonnen. In den Augen ihrer Tochter sieht Inge die Gespenster einer verbotenen Kindheit vorbeiziehen. Die Wochenendfluchten, die Nachmittage auf der Panke und die Einladungen zum Übernachten. Die Liebe in Judiths Augen, wenn Hannahs Lachen ertönte, die Freude, eine Freundin gefunden zu haben, die bleiben wird.
Der Roman zeigt, dass die DDR zwar als politisches System untergegangen ist, aber in den Erinnerungen der Menschen fortlebt. Die Freundschaft zwischen Hannah und Judith ist ein Spiegelbild dieser Entwicklung: Sie beginnt in einer scheinbar stabilen Welt, durchläuft ideologische Spannungen und zerbricht schließlich im Umbruch des Systems. Judiths Rückkehr nach Berlin symbolisiert den Versuch, Vergangenheit und Gegenwart neu zu verbinden. Doch die Frage bleibt, ob es möglich ist, verlorene Bindungen wiederherzustellen oder ob die Vergangenheit nur noch als Erinnerung existieren kann. Die Zeitstruktur des Romans verstärkt diese Botschaft, indem sie verschiedene Epochen verknüpft und dadurch die bleibende Wirkung historischer Umbrüche auf das individuelle Leben erfahrbar macht. Laforcade zeigt, dass Geschichte nicht einfach in der Vergangenheit bleibt – sie formt Identitäten, Beziehungen und Wahrnehmungen bis in die Gegenwart hinein.
Anmerkungen- „Hannah a répondu qu’il y avait peu d’enfances aussi belles que la sienne, il a changé de sujet.“>>>