Chronik der Macht von Versailles nach Silicon Valley: Marc Dugain

Für B.

Höfische Gesellschaft

Der Roman Légitime violence (2025) von Marc Dugain verbindet historische Fiktion mit einer vielschichtigen politischen Machtanalyse. Handlungsstruktur und Figurenkonstellation greifen dabei eng ineinander und veranschaulichen auf exemplarische Weise die Mechanismen von Herrschaft, Kontrolle und gesellschaftlicher Gewalt im Frankreich des 17. Jahrhunderts.

Der Roman spielt zur Zeit Ludwigs XIV. und greift die historische „Affaire des poisons“ auf. Im Zentrum steht die Marquise de Brinvilliers, eine aristokratische Frau, die sich aus der engen patriarchalen Ordnung zu befreien versucht. Ihre rebellische Suche nach Autonomie – emotional, sexuell und sozial – führt sie in eine Welt aus Intrigen, Vergiftung und moralischer Dekadenz. Um sie herum formiert sich ein komplexes Figurenensemble: Sainte-Croix, ihr Geliebter und Alchemist, der mit Gift und Macht experimentiert; Madame de Warnens, eine protestantische Comtesse, deren Beziehung zur Marquise zwischen Liebe, politischer Solidarität und Rache changiert; Pennautier, Finanzmann und Symbol ökonomischer Berechnung; sowie der Prévôt d’Aubray, der patriarchale Vater, der religiöse und gesellschaftliche Macht verkörpert.

Die Handlungsstruktur folgt dem Muster einer Aufstieg-und-Fall-Erzählung: Dugain verknüpft amouröse Verwicklungen mit politischen Verschwörungen, die sich vom privaten Bereich bis in die Nähe des königlichen Hofs ausweiten. Die Geschichte entfaltet sich mosaikartig aus multiplen Perspektiven, zwischen Salons, Gefängnissen und Gerichtssälen, wobei die Grenze zwischen persönlichem Verbrechen und Staatsraison zunehmend verwischt. Das Motiv des Giftes dient als Metapher für eine durch und durch korrumpierte Gesellschaftsordnung – die Gewalt, die in der Ehe, in der Religion und in der Machtpolitik institutionalisiert ist, wird buchstäblich „verinnerlicht“ und chemisch ins Werk gesetzt.

Seul un des passagers était déjà venu à la cour, et une fois la voiture arrivée à destination, il fut bien utile pour indiquer aux autres comment s’orienter dans cette enfilade de bâtiments dont une majeure partie était réservée aux grands du royaume. Il fallait, pour le particulier, se faufiler dans un dédale de couloirs vides qui conduisaient, par un escalier, sombre en ce début de soirée, aux appartements des centaines de personnes qui officiaient à la cour. Plus on montait, plus il faisait froid, et plus la splendeur s’évanouissait, ramenant le visiteur à une réalité toute différente des fastes qu’il avait pu apercevoir au détour d’une porte ou d’une vitre. Mais le froid avait l’avantage d’atténuer l’odeur lancinante laissée par ceux qui, profitant d’un recoin ou de l’illusion d’une fosse d’aisances, s’étaient soulagés en toute quiétude. Briancourt avait marché une bonne demi-heure dans les couloirs du château, avant d’atteindre une porte qui ne se distinguait des dizaines d’autres que par le nom de la personne qui y était inscrit. Impressionné, il l’était assurément. Et tout autant intrigué.

Nur einer der Passagiere war bereits am Hof gewesen, und als das Auto sein Ziel erreicht hatte, war er sehr hilfreich, um den anderen zu zeigen, wie sie sich in dieser Reihe von Gebäuden zurechtfinden konnten, von denen ein Großteil den Großen des Königreichs vorbehalten war. Privatpersonen mussten sich durch ein Labyrinth leerer Gänge schlängeln, die über eine Treppe, die in der Abenddämmerung dunkel war, zu den Gemächern der Hunderten von Menschen führten, die am Hofe tätig waren. Je höher man stieg, desto kälter wurde es und desto mehr schwand die Pracht, sodass der Besucher in eine Realität zurückkehrte, die sich völlig von dem Prunk unterschied, den er hinter einer Tür oder einem Fenster gesehen hatte. Aber die Kälte hatte den Vorteil, dass sie den stechenden Geruch milderte, den diejenigen hinterlassen hatten, die sich in einer Ecke oder in der Illusion einer Latrine in aller Ruhe erleichtert hatten. Briancourt war eine gute halbe Stunde lang durch die Gänge des Schlosses gelaufen, bevor er eine Tür erreichte, die sich von den Dutzenden anderen nur durch den Namen der Person unterschied, der dort stand. Er war zweifellos beeindruckt. Und ebenso fasziniert.

Diese Passage enthüllt die aufgefächerte Hierarchie und die oft glanzlose Realität hinter der Fassade der höfischen Pracht. Die Machtstruktur des Hofes spiegelte sich direkt in der Architektur und den Wohnbedingungen wider. Die Hauptteile des Gebäudes waren den Hochgestellten („grands du royaume“) vorbehalten. Für Personen niedrigeren Ranges, wie die Hunderten von Bediensteten („centaines de personnes qui officiaient à la cour“) und Besucher wie Briancourt, bestand der Zugang zur Macht aus einem „Labyrinth leerer Korridore“ und dunklen Treppen. Je höher man in diesen Labyrinthen stieg, desto kälter wurde es, und desto mehr „verflüchtigte sich der Glanz“ („la splendeur s’évanouissait“), was den Besucher in eine ganz andere Realität zurückholte als die Pracht, die er vielleicht kurz gesehen hatte. Diese Realität war von extrem schlechten hygienischen Bedingungen geprägt, die ständige, eindringliche Gerüche hinterließen, da die Menschen sich in Ecken oder in der vermeintlichen Illusion einer Senkgrube erleichterten. Nur die Kälte linderte diesen Gestank. Briancourts lange Suche nach dem bescheidenen Apartment seiner Dienstherren (die sich nur durch den Namen unterschied) verdeutlicht, dass die höfische Pracht nur einer Elite zugänglich war, während die meisten in einer undichten, unsauberen und kalten Umgebung lebten.

Norbert Elias‘ Thesen zur höfischen Gesellschaft im absolutistischen Frankreich, insbesondere zur Zeit Ludwigs XIV., stellen diese als ein spezifisches Beziehungsgeflecht von interdependenten Individuen dar, deren zentrales Merkmal die Verschränkung von politischer Machtzentralisierung und einer tiefgreifenden Disziplinierung der Adeligen ist. Elias beschreibt, wie der absolute Monarch die Machtbalance zwischen den aufstrebenden Bürgern und dem traditionellen Adel gezielt nutzte, um seine eigene zentrale Position zu sichern und zu festigen: Er schloss den Adel von der direkten Ausübung militärischer und fiskalischer Macht aus. Diese Machtmittel (Gewaltmonopol und Steuermonopol) wurden in der Hand des Zentralherrschers konzentriert. Der Adel wurde an den Hof gebunden und in ein engmaschiges Geflecht gegenseitiger Abhängigkeiten und von der königlichen Gunst abhängig gemacht. Der Hofadel wurde zwar entmachtet, erhielt aber Privilegien und Prestige (Ehren, Ränge, Pfründen) als Ersatz. Der König garantierte seine Stellung, indem er weder den Adel vollständig vernichtete noch dem aufstrebenden Bürgertum zu viel Macht verlieh. Er verteilte „Gunst“ und „Prestige“ so, dass er stets der unumgängliche Mittelpunkt blieb, dessen Entscheidungen über Aufstieg und Abstieg entschieden.

Die räumliche und soziale Enge des Hofes, kombiniert mit der Abhängigkeit von der königlichen Gunst, führte zu einer umfassenden Verhaltensregulierung und Disziplinierung der Hofgesellschaft, die Elias als Teil des Zivilisationsprozesses betrachtet: Um am Hof bestehen zu können, mussten die Adeligen ihre Affekte, Aggressionen und spontanen Impulse stark kontrollieren und verfeinern. Offene Konflikte wurden durch subtilere Konkurrenzkämpfe um Status und Anerkennung ersetzt. Das überaus komplizierte und rigide Hofzeremoniell diente als Instrument der Disziplinierung. Es schrieb jedes Detail des Verhaltens vor und fungierte als eine Art sozialer Mechanismus, der die Adeligen zwang, ständig auf ihre Umgebung und ihr eigenes Auftreten zu achten. Der anfängliche äußere Zwang (die Notwendigkeit, sich anzupassen, um nicht in Ungnade zu fallen) wurde mit der Zeit verinnerlicht und formte einen neuen Habitus – eine zweite Natur – der höfischen Menschen. Diese Selbstkontrolle und Verfeinerung der Sitten war die Überlebensbedingung im höfischen Machtspiel. Elias sah die höfische Gesellschaft als eine soziogenetische Zwischenstufe, in der die politische Zentralisierung der Macht unmittelbar zur Psychogenese eines neuen, zivilisierteren und affektkontrollierten Menschentypus führte.

Louis XIV s’attachait à donner à son règne un lustre sans précédent, dont chacun se plaisait à partager la gloire. Sa popularité était alors à son apogée auprès de la petite noblesse et de la bourgeoisie possédante, où il recrutait ardemment, avec l’idée d’éloigner la grande noblesse des responsabilités. Il avait de celle-ci le souvenir des années de Fronde, ce soulèvement des puissants contre l’autorité royale qui l’avait obligé, enfant, à errer de château en château comme un proscrit. Cette haute noblesse ne s’était pas privée non plus de questionner sa légitimité.

Ludwig XIV. war bestrebt, seiner Herrschaft einen beispiellosen Glanz zu verleihen, an dessen Ruhm sich jeder gerne teilhaben ließ. Seine Popularität bei dem niederen Adel und dem wohlhabenden Bürgertum, aus denen er eifrig neue Mitglieder rekrutierte, um den hohen Adel von den Verantwortlichkeiten fernzuhalten, war zu dieser Zeit auf ihrem Höhepunkt. Er erinnerte sich an die Jahre der Fronde, jenem Aufstand der Mächtigen gegen die königliche Autorität, der ihn als Kind gezwungen hatte, wie ein Geächteter von Schloss zu Schloss zu ziehen. Auch der Hochadel hatte es sich nicht nehmen lassen, seine Legitimität in Frage zu stellen.

Dugain beschreibt hier die politische Strategie von Ludwig XIV., Glanz und Pracht gezielt zur Zentralisierung der Macht einzusetzen. Die Herrschaft des Königs war darauf ausgerichtet, einen beispiellosen Glanz („lustre sans précédent“) zu schaffen, an dessen Ruhm jeder teilhaben wollte. Der Kern der Machtstruktur liegt hier in der bewussten politischen Manipulation der Adelsklassen. Er rekrutierte eifrig Personal aus dem Kleinadel und dem wohlhabenden Bürgertum, um diesen Schichten Verantwortung zu übertragen. Das Hauptziel dieser Strategie war es, den Hochadel („grande noblesse“) von verantwortungsvollen Positionen fernzuhalten. Die Quelle erklärt diesen Schritt als direkte Folge des historischen Traumas der Fronde. Ludwig XIV. erinnerte sich an diese Jahre des Aufstands der Mächtigen gegen die königliche Autorität, in denen er als Kind gezwungen war, wie ein Geächteter von Schloss zu Schloss zu irren. Zudem hatte dieser Hochadel auch die Legitimität des Königs in Frage gestellt. Daher diente die Schaffung dieses beispiellosen Glanzes nicht nur der Darstellung königlicher Macht („lustre“), sondern auch der strategischen Entmachtung und Kontrolle derjenigen, die potenziell seine Autorität bedrohen könnten.

Die Erzählstruktur von Légitime violence unterstützt Dugains politische Analyse: Der Roman entwirft ein Modell absolutistischer Macht, in dem jede Form von persönlicher Emanzipation zugleich als Bedrohung der Ordnung gilt. Der König bleibt eine ferne, fast unsichtbare Präsenz, aber sein System durchdringt jede soziale Beziehung – vom Schlafzimmer bis zum Gerichtssaal. Dugain zeigt, wie der frühmoderne Staat sich über religiöse und moralische Diskurse legitimiert, während seine Vertreter (Klerus, Justiz, Polizei) selbst korrupt und gewalttätig handeln. Die weibliche Selbstermächtigung der Marquise wird so politisch gedeutet: Ihr „Verbrechen“ ist weniger das Töten als die Überschreitung der männlichen Herrschaftsgrenzen.

Insgesamt entfaltet der Roman eine doppelte Bewegung: Er erzählt eine historische Kriminalgeschichte – Intrigen, Morde, Affären – und zugleich eine Allegorie auf die strukturelle Gewalt der Macht. Die Figuren verkörpern soziale Rollen im System der Kontrolle: der ehrgeizige Technokrat (Pennautier), der opportunistische Wissenschaftler (Sainte-Croix), die ketzerische Frau (Brinvilliers) und die protestantische Außenseiterin (Warnens). Zusammen bilden sie ein Tableau politischer Energien, das Dugain nutzt, um zu zeigen, wie private Leidenschaften, religiöser Fanatismus und staatliche Autorität sich gegenseitig legitimieren – eine „légitime violence“ im doppelten Sinn.

Den Roman durchzieht ein semantisches Feld der Alchemie, das von Sainte-Croix’ Experimenten ausgeht, aber den gesamten Text durchdringt. Das Alchemistische steht für den Versuch, Materie (und Schicksal) zu verwandeln – eine Parallele zu den Figuren, die ihr gesellschaftliches Gefüge zu transzendieren suchen. Doch die „Transmutation“ gelingt nie: Statt Gold entsteht Gift, statt Erlösung Verderben. Diese Metaphorik kommentiert indirekt die politische Ideologie des Sonnenkönigs: Auch der Staat versucht, durch Glanz, Ordnung und Architektur (Versailles und Fontainebleau) die Gesellschaft zu „veredeln“. Die alchimie du pouvoir ist somit das Herrschaftsprinzip selbst – eine Umwandlung von Unterdrückung in Pracht, von Gewalt in Schönheit.

Chronik moderner Macht in Dugains Werk

Marc Dugain verhandelt in seinem Werk häufig zeitgenössische oder jüngere historische Machtfragen (Krieg, Geheimdienste, Digitalkapitalismus, moderne Politik) in Romanform oder Essayform. Seine Romane untersuchen Strukturen, die Individuen formen, unterdrücken oder instrumentalisierten. Seine Bücher durchlaufen die Geschichte – vom Ersten Weltkrieg bis zur digitalen Zukunft – und zeigen, dass Macht in all ihren Formen denselben Kern hat: die Unterwerfung des Individuums unter eine unsichtbare, aber wirksame Ordnung. Dugain ist Chronist dieser Ordnungen, Chronist der Gewalt, die in Institutionen, Technologien und Ideologien überlebt.

Der jüngste Roman Légitime violence (2025) verlagert diese Perspektiven in die absolutistische Vergangenheit am Hof Ludwigs XIV. Politisch bleibt das Thema Macht und ihre Legitimation zentral, aber der Fokus ist historisch-gesellschaftlich: Herrschaftsarchitektur, Geschlechter- und Klassenzwänge, Dynastie- und Erbfragen sowie die Gewalt, die Herrschaftsordnungen stützt. Dugain nutzt diesmal historische Distanz, um Mechanismen der Herrschaft (wie Zwangslegitimierung, soziale Sanktionierung von Abweichung) sichtbar zu machen — ein anderer Modus der Machtanalyse als die zeitgenössischen Warnungen in Transparence, L’Homme nu oder der modernen Machtpolitik der L’Emprise-Trilogie. Formal wechselt Dugain damit vom zeitgenössischen Politthriller, von Essay und Dystopie zurück zur historischen Erzählung als politischem Instrument.

Mit La Chambre des officiers (1998) beginnt Dugains Werk im Zeichen der Verletzung. Der Antikriegsroman über die „gueules cassées“ des Ersten Weltkriegs entlarvt das heroische Pathos des Patriotismus als Körperzerstörung. Politik erscheint hier nicht als Ideendiskurs, sondern als Verwaltung von Leid. Der Staat organisiert Gewalt, nationaler Stolz ersetzt Empathie. Die Verstümmelten, denen das Gesicht fehlt, werden Sinnbilder für eine Gesellschaft, die sich selbst entstellt hat. In diesem Sinne ist der Roman Dugains erster Kommentar zu einer „Politik der Entfremdung“ – der Preis für den Glauben an kollektive Größe. Auch Campagne anglaise (2000) und Heureux comme Dieu en France (2002) führen diese Analyse sozialer und politischer Hierarchien fort: Während ersterer die subtilen Machtverhältnisse zwischen Klassen und Nationen in persönlichen Beziehungen sichtbar macht, untersucht letzterer lokale Formen von Kollaboration und Widerstand während der deutschen Besatzung und zeigt, wie moralische und politische Entscheidungen Identität und Gemeinschaft prägen.

Ab Mitte der 2000er Jahre verschiebt Dugain den Fokus von der europäischen Kriegserfahrung auf die Mechanismen moderner Machtapparate. In La Malédiction d’Edgar (2005) untersucht er den FBI-Direktor Hoover als Archetypus des modernen Machthabers: ein Mann, der Sicherheit als Vorwand für Kontrolle instrumentalisiert. Hoover ist ein Vorläufer der digitalen Überwachungsgesellschaft – Dugain zeichnet ihn nicht als Monster, sondern als Funktion: ein Mensch, der im System der Angst seine Daseinsberechtigung findet. Mit Une exécution ordinaire (2007) weitet Dugain diesen Blick nach Russland. Der Roman, der Stalinismus und Putinismus ineinanderblendet, zeigt die strukturelle Kontinuität autoritärer Macht, unabhängig vom politischen System. Die russische Macht ist bei Dugain ein Spiegel des westlichen Machtwillens – nur weniger verschleiert. L’Insomnie des étoiles (2010) deutet historische Traumata als Spiegel ideologischer Verblendung. Auch die Erzählungen in En bas, les nuages (2008) greifen diese Themen auf, indem sie die Schnittstellen zwischen privater Erfahrung und gesellschaftlicher Macht sichtbar machen.

In den 2010er Jahren rückt Dugain zunehmend die Verschränkung von politischer, ökonomischer und medialer Macht in den Mittelpunkt. Avenue des géants (2012) verbindet Kritik am amerikanischen Kapitalismus mit einer Reflexion über kulturelle Dominanz und Manipulation durch Medien. Zwischen 2014 und 2016 legt Dugain mit L’Emprise, Quinquennat und Ultime Partie seine Trilogie über die französische Macht vor. Diese drei Romane bilden das Herz seines politischen Denkens. Diese Trilogie L’Emprise (2014–2016) entfaltet schließlich ein Panorama politischer Intrigen, in dem Geheimdienste, Wirtschaft und Regierung zu einem einzigen System der Einflussnahme verschmelzen. Sie zeigt den modernen Politiker als Getriebenen und analysiert die schleichende Aushöhlung demokratischer Prozesse in einem Land, dessen Entscheidungen von Lobbyisten, Geheimdiensten, Mediennetzwerken und Finanzinteressen gelenkt werden. Politik erscheint als Schachspiel, dessen Figuren austauschbar sind; Moral ist nur noch rhetorisches Inventar. Dugain schreibt damit eine Anatomie des modernen Zynismus: Die Macht als Fiktion der Autonomie in einem System ökonomischer Abhängigkeit. Die Emprise (der „Einfluss“, aber auch die „Besessenheit“) bezeichnet das Netz, in dem Individuen gefangen sind – ein Begriff, der später in seinen Essays zur digitalen Kontrolle wiederkehrt. In Zusammenarbeit mit dem Journalisten Christophe Labbé entwickelt Dugain in L’Homme nu (2016) und L’Homme sans contact (2022) diese Analyse weiter: Hier richtet sich der Blick auf die Macht der Tech-Konzerne, die digitale Überwachung und den Verlust individueller Autonomie im Zeitalter der Datenökonomie.

Seine jüngeren Werke weiten diese Perspektive in dystopische und geopolitische Richtungen aus. Ils vont tuer Robert Kennedy (2017) beleuchtet politische Gewalt und die Macht verdeckter Interessen in der US-Geschichte, während Transparence (2019) eine Zukunft imaginiert, in der totale Transparenz und algorithmische Kontrolle jede Form politischer Freiheit ersetzen.

Hier geht es um die „Diktatur des Komforts“ – die freiwillige Unterwerfung des Menschen unter digitale Systeme, die alles wissen, nichts fühlen und niemandem verantwortlich sind. Dugain analysiert den Übergang von der sichtbaren Gewalt (Staat, Krieg, Repression) zur unsichtbaren Gewalt (Algorithmus, Daten, Selbstüberwachung). In dieser Perspektive sind Google, Meta oder die Überwachungssoftware keine technischen Phänomene, sondern neue politische Regime: postdemokratische, affektgesteuerte Ordnungen, die Zustimmung durch Bequemlichkeit erkaufen. In Tsunami (2023) thematisiert Dugain schließlich die Einsamkeit exekutiver Macht im Krisenmodus und die Fragilität demokratischer Ordnung unter Druck. Dugain konfrontiert den Leser mit der Einsamkeit eines Präsidenten, der versucht, in einer medial überhitzten Welt noch Sinn zu erzeugen. Die Katastrophe, von der der Titel spricht, ist ebenso psychologisch wie politisch: eine Welle der Desorientierung, die jede Ideologie überrollt. In Transparence schließlich denkt Dugain Macht als digitale Metaphysik – totale Sichtbarkeit als neue Form der Kontrolle. Der Mensch, der alles zeigt, hat nichts mehr zu verbergen, aber auch nichts mehr zu sein. Hier erreicht Dugains politisches Denken seine philosophische Reife: Politik wird zur Anthropologie der Angst, Macht zur Religion der Daten.

Insgesamt lässt sich Dugains Werk als vielstufige Chronik moderner Macht lesen – eine Bewegung von der physischen Gewalt des Kriegs über die institutionelle Kontrolle der Demokratie bis zur unsichtbaren Herrschaft digitaler Systeme. Seine Romane verbinden historische Präzision mit politischer Diagnose und zeichnen ein eindringliches Panorama der Transformation von Macht: vom Körper zur Information, vom Staat zur Plattform, von der sichtbaren Gewalt zur algorithmischen Steuerung des Lebens.

Rückkehr in die Geschichte: Légitime violence (2025)

Mit Légitime violence kehrt Dugain formal zur historischen Erzählung zurück, thematisch aber bleibt er seinem Leitmotiv treu: der Legitimation der Gewalt. Der Schauplatz – Frankreich zur Zeit Ludwigs XIV. – erlaubt ihm, die Wurzeln jener Machtstrukturen zu erkunden, die seine früheren Romane in moderner Form zeigen. Hof, Erbfolge, Patriarchat, göttliche Ordnung: Hier wird Macht nicht erklärt, sondern sakralisiert. Doch Dugain nutzt die Geschichte auch, um Gegenwart zu durchleuchten. Der Absolutismus ist kein bloßer Hintergrund, sondern ein Spiegel: Die Mechanismen, mit denen der Sonnenkönig sein System stabilisiert – Kontrolle über Information, Inszenierung von Pracht, Disziplinierung der Körper – ähneln frappierend denen digitaler und politischer Systeme des 21. Jahrhunderts.

Über nahezu dreißig Jahre zeigt Dugains Werk einen Weg von der sichtbaren zur subtilen Gewalt:

  1. Körperliche Zerstörung (La Chambre des officiers);
  2. Institutionelle Kontrolle (La Malédiction d’Edgar, Une exécution ordinaire);
  3. Systemische Manipulation (L’Emprise);
  4. Digitale Unterwerfung (L’Homme nu, Transparence);
  5. Ideologische Rechtfertigung (Légitime violence).

In all diesen Etappen bleibt der Mensch der Macht unterlegen, weil er sie nicht als etwas Äußeres, sondern als etwas in sich selbst erfährt. Dugain beschreibt keine Revolutionen, sondern Anpassungen – die stetige Perfektionierung der Beherrschung durch Konsens, Gewohnheit oder Glauben.

Dugain legt die Kommunikationsstruktur des Hofes als System ritualisierter Sprechakte offen. Am Hof herrscht eine Sprache der Umwege, des Kompliments, der Ellipse. Worte dienen nicht der Mitteilung, sondern der Verdeckung. Wer „spricht“, verliert; wer „schweigt“, überlebt. So werden die Konversation, die Denunziation und die Beichte zu den drei dominanten Kommunikationsformen: Die Konversation ist ästhetisch und leer, eine Form von sozialem Tanz. Die Denunziation (Berichte, Spionage, Inquisition) ist die politische Sprache der Macht – Information wird zur Währung. Die Beichte (religiös oder erotisch) ist die intime Form der Kontrolle – das Geständnis als Instrument der Unterwerfung. Der junge Briancourt als Erzähler und Beobachter ist in diese Kommunikationsnetze verstrickt: als Spion und zugleich als Liebender steht er für den Widerspruch zwischen Wahrheit und Überleben in einer Welt, in der jedes Wort potenziell tödlich ist.

Die „legitime Gewalt“, von der der Titel spricht, ist nicht die rohe Brutalität, sondern die Institutionalisierung des Zwangs als Normalität. Das ist der Punkt, an dem Dugain alle seine Themen bündelt: Krieg, Überwachung, Herrschaft, Religion des Fortschritts. In jeder Epoche finden Menschen Gründe, Gewalt zu rechtfertigen – im Namen des Königs, der Nation, der Sicherheit oder der Daten.

Dugain ist kein Ideologe, sondern ein Moralist im klassischen Sinn: Er beobachtet, wie Macht die menschliche Seele formt. Sein Werk spannt einen Bogen von den Schützengräben bis zum Serverraum, von Versailles bis Silicon Valley. Wo andere politische Schriftsteller agitieren, analysiert er. Wo andere die Gegenwart kritisieren, zeigt er ihre historischen Spiegelungen. Légitime violence ist daher kein Bruch, sondern ein Schlusspunkt: die historische Tiefenschicht seiner bisherigen Machtanalysen.

Archäologie und Ästhetik der Macht bei Hofe

Marc Dugains neues Werk Légitime violence (2025) markiert eine Rückkehr zur historischen Fiktion, ohne jedoch die politische Linie seines bisherigen Schaffens zu verlassen. Wie schon in La Malédiction d’Edgar (2005), Une exécution ordinaire (2007), der Trilogie L’Emprise (2014–2016) und Transparence (2019) analysiert Dugain Macht als ein System sozialer Kontrolle, das sich über Epochen hinweg wandelt, aber nie verschwindet. In Légitime violence verlagert sich der Schauplatz in die Zeit Ludwigs XIV. – in eine Welt, in der Gewalt noch als göttlich legitimiert gilt. Die historische Distanz dient Dugain dabei nicht zur Rekonstruktion, sondern als analytischer Spiegel moderner Machtmechanismen.

Bereits im ersten Kapitel von Légitime violence zeichnet Dugain eine Gesellschaft, in der jede Handlung durch Hierarchie bestimmt ist: Der Hof als Mikrokosmos des Staates, das Geschlecht als Dispositiv sozialer Gewalt, und der König als metaphysischer Mittelpunkt der Ordnung. Der junge Briancourt, zwischen Diener und Beobachter, bewegt sich durch ein System der Überwachung und des Opportunismus: er wird nicht nur Erzieher, sondern auch Spion – ein Mikromodell dessen, was Foucault als „Panoptismus“ beschrieben hat.

Die Gewalt, die Dugain hier beschreibt, ist nicht exzessiv, sondern strukturell. Sie zirkuliert im Verborgenen: „Cumuler les fonctions de précepteur d’enfants et d’informateur au service du prévôt de Paris…“ (Kap. 1) Diese Konstellation – Erziehung, Information, Kontrolle – ist paradigmatisch für Dugains politische Romane: Wissen ist immer zugleich Macht. Die „legitime“ Gewalt des Titels meint genau diese Form institutionalisierter Gewalt, die nicht auf physischer Brutalität, sondern auf symbolischer Unterwerfung beruht.

Dugain konstruiert Macht nicht als Thema, sondern als Struktur der Erzählung selbst. Wie in L’Emprise, wo Intrige und Manipulation den politischen Prozess formen (vgl. dazu meine Besprechung von Dugains Trilogie im Kontext des Präsidialromans), organisiert in Légitime violence das höfische System die narrative Bewegung: Beziehungen, Intrigen und Begierden spiegeln die politischen Mechanismen des Absolutismus. Der Roman ist zugleich ein Gesellschaftspanorama und eine politische Allegorie. Die „affaire des poisons“, auf die sich Dugain bezieht, steht als Metapher für die Vergiftung durch Macht – ein Motiv, das seine Werke von La Chambre des officiers bis Transparence durchzieht: Macht hinterlässt Spuren am Körper und in der Sprache.

Im höfischen Raum des 17. Jahrhunderts erscheint Gewalt nicht als Ausnahme, sondern als ästhetische Notwendigkeit: Pracht, Architektur, Etikette – alles sind Formen der Disziplinierung. Dugain dekonstruiert den Glanz des Barock, um das autoritäre Prinzip der Ordnung offenzulegen.

Dugains Hofgesellschaft ist eine Bühne – durch und durch theatralisiert. Kleidung, Mimik, Gesten und Zeremonien sind in Légitime violence nicht bloße Dekoration, sondern Herrschaftstechniken. Die Figuren „spielen“ ihre Rolle im sozialen Drama; die Ästhetik ersetzt Ethik. Der König selbst erscheint weniger als Mensch denn als Ästhetisches Prinzip – der „astre“, dessen Glanz das Denken blendet. Diese Überästhetisierung analysiert Dugain als politische Waffe: Schönheit, Etikette und Architektur verwandeln Gehorsam in Bewunderung. Versailles (noch im Bau) wird mehrfach beschrieben als Ort, an dem „des milliers d’ouvriers vivent et meurent“ – die Gewalt der Macht ist in den Marmor eingelassen. Der höfische Stil ist also eine Form von légitime violence: Gewalt, die sich in der Ästhetik aufhebt, aber gerade dadurch verinnerlicht wird. Der Roman enthüllt so das Ritual als doppelte Struktur: Es sichert die Macht, indem es sie ästhetisch entpolitisiert. Doch zugleich macht Dugains Sprache – reich an sinnlichen Beschreibungen, Ironie und Distanz – diese Maskierung durchschaubar.

In Légitime violence wird das 17. Jahrhundert zur Allegorie der Gegenwart: Dugain zeigt, wie Macht durch Sprache, Schönheit und Ritual unsichtbar gemacht wird. Das semantische System des Romans (Gift – Körper – Wort – Ornament – Gericht) bildet ein geschlossenes Netz, in dem Gewalt immer schon „legitim“ ist, weil sie schön, kultiviert oder göttlich erscheint. So wird die höfische Welt zu einer Metapher moderner politischer Systeme: eine Ästhetisierung der Macht, die das Grauen im Glanz verbirgt – und darin ihre tiefste Form der Gewalt entfaltet.

Geschlecht, Körper und der Weg von sichtbarer zu unsichtbarer Gewalt

Der Roman ist von einem konsequenten Vokabular der Körperauflösung und der Kontamination durchzogen. Begriffe wie chair, poison, corruption, fièvre, odeur, saignée, cloporte bilden ein System, in dem der menschliche Körper als politische und moralische Projektionsfläche erscheint.

Das Gift wirkt als zentrale Metapher der Macht: Es steht für eine Gewalt, die nicht offen auftritt, sondern sich schleichend, unsichtbar, aber unumkehrbar durchsetzt – wie die Macht selbst. Die Intrigen am Hof, die Manipulationen von Colbert, die Begierden der Marquise und die religiösen Eiferer teilen eine gemeinsame semantische Logik: Macht wirkt chemisch, als langsame Infiltration. Dugain inszeniert die Körper der Figuren als Schauplätze der Macht. Krankheit, Lust und Tod sind nicht nur biologische Zustände, sondern politische Zeichen. Der weibliche Körper – in seiner Sexualität und Fragilität – wird zum Austragungsort sozialer Kontrolle. Damit verweist Dugain auf Foucaults Begriff der biopolitischen Macht: die Disziplinierung der Körper durch Kirche, Staat und Moral.

Ein zentrales Moment der politischen Narration in Légitime violence ist die Geschlechterordnung. Die Marquise de Brinvilliers und die Comtesse de Vernes stehen exemplarisch für eine doppelte Unterdrückung: durch das Patriarchat und durch die monarchische Struktur. Dugain zeigt, wie Sexualität als Währung politischer Macht fungiert – ein Motiv, das schon in La Chambre des officiers (1998) in Form der körperlichen Verletzung verhandelt wurde. Hier verwandelt sich die weibliche Figur in ein Subjekt der Revolte. Die „affranchie“, die sich gegen die gesellschaftliche Ordnung auflehnt, wird zugleich zur Bedrohung des Staates. Dugains politische Narration verknüpft so Geschlecht und Regierung: Die Kontrolle des weiblichen Körpers spiegelt die Kontrolle der Untertanen durch den König.

Légitime violence lässt sich im Lichte von Dugains Gesamtwerk als Rückkehr zum Ursprung der Macht lesen. Nochmals zur Erinnerung: In La Malédiction d’Edgar analysiert er die Macht des Staates im Zeitalter der Information. In L’Emprise und Quinquennat zerlegt er die Mechanismen der politischen Klasse der Fünften Republik. In L’Homme nu und Transparence diagnostiziert er die digitale Überwachung als neue Form der Unterwerfung. In Légitime violence schließlich führt Dugain diese Linien zusammen: Er zeigt, dass jede moderne Form der Macht auf vormodernen Strukturen beruht. Der Absolutismus ist nicht Vergangenheit, sondern Ursprung des Technokratischen. Ludwig XIV. wird zur Matrix des heutigen Präsidenten, Colbert zum Vorläufer neoliberaler Rationalität, und die Überwachung des Hofes zum Vorbild des algorithmischen Panoptikums.

Theoretisch lässt sich Dugains Roman zwischen Foucaults Genealogie der Macht und Arendts Analyse der Autorität verorten. Bei Foucault ist Macht kein Besitz, sondern ein Netz von Praktiken – genau das zeigt Dugain, wenn er das höfische Ritual als politische Maschine beschreibt. Bei Arendt wiederum ist Gewalt stets ein Zeichen des Machtverlusts. Der Titel Légitime violence spielt mit diesem Paradox: Je stärker der König seine Herrschaft legitimieren muss, desto deutlicher wird die Brüchigkeit seiner Autorität. Die „legitime Gewalt“ ist daher kein Naturrecht, sondern eine rhetorische Konstruktion. Dugains politische Narration entlarvt sie als ideologischen Akt – als Versuch, Ordnung durch Angst zu stabilisieren.

Wie in Transparence ist Sprache in Légitime violence ein Instrument der Macht. Die höfische Rede, durchsetzt von Euphemismen, schmeichelt, verschleiert, kontrolliert. Dugain nutzt den archaischen Stil, um den Diskurs der Herrschaft zu imitieren – und damit zu entlarven. Das höfische Französisch wird zum Symbol einer politischen Grammatik: alles ist codiert, geregelt, kontrolliert. Damit schafft Dugain eine Form der „linguistischen Archäologie“, die das Verhältnis von Sprache und Macht im 17. und im 21. Jahrhundert zugleich problematisiert.

Légitime violence ist keine Abkehr von Dugains politischem Werk, sondern dessen historische Tiefenschicht. Der Roman zeigt, dass jede moderne Form der Legitimation – ob demokratisch, technokratisch oder digital – auf derselben Logik beruht: der Transformation von Gewalt in Ordnung. So schließt sich der Kreis von La Chambre des officiers (die Entstellung des Körpers) über L’Emprise (die Entstellung der Demokratie) bis Légitime violence (die Ästhetisierung der Gewalt). Dugain entwirft damit eine umfassende Anthropologie der Macht: Vom Schützengraben über den Geheimdienst bis zum Königshof bleibt der Mensch der Ort, an dem die Gewalt sich rechtfertigt.

Auflösung des Komplotts und Edikt von Nantes

Der Schluss des Romans bietet eine politische Interpretation der absolutistischen Machtmechanismen unter Ludwig XIV., wobei die staatliche Justiz nicht der Wahrheit, sondern der politischen Zweckmäßigkeit dient. Die Auflösung des Giftmordkomplotts zeigt auf, wie der König und seine Minister die Wahrheit manipulieren, um die Gloire der Krone zu schützen und die Kontrolle über die Eliten zu wahren.

Der entscheidende Moment, in dem die politische Wahrheit konstruiert wird, ist das Verhör von La Chaussée durch den Lieutenant général de la police, La Reynie:

Nous pouvons nous accorder sur le fait que tu ne voulais pas empoisonner Sa Majesté. Je préfère couper la branche du complot parce qu’il est rare que l’on en maîtrise les ramifications. Si quelqu’un parle de conspiration à Sa Majesté sans que nous puissions trouver qui est derrière, j’y vois plus d’inconvénients que d’avantages, raison pour laquelle je te formule ma proposition : nous nous en tenons aux trois meurtres du prévôt et de ses fils dont nous ne faisons de toi que l’exécuteur zélé. Nous oublions le roi et, cadeau en prime, nous oublions également le prélat… et son valet évidemment. Pour les défunts d’Aubray, je ne vois pas d’autre justification possible que le motif d’argent dont la seule bénéficiaire est de facto la marquise. Elle aura reçu l’aide de Sainte-Croix qui aura fourni le poison. Adhérerais-tu à ce tableau que tu m’en verrais fort aise car voilà une composition qui, tout en collant à la réalité, t’éviterait bien des douleurs, dont je t’ai déjà détaillé le menu. Une simple pendaison viendrait conclure ton hasardeuse existence.

Wir sind uns einig, dass du Seine Majestät nicht vergiften wolltest. Ich ziehe es vor, die Verschwörung zu unterbinden, da man deren Auswirkungen selten kontrollieren kann. Wenn jemand Seiner Majestät von einer Verschwörung berichtet, ohne dass wir herausfinden können, wer dahintersteckt, sehe ich darin mehr Nachteile als Vorteile. Aus diesem Grund mache ich dir folgenden Vorschlag: Wir beschränken uns auf die drei Morde an dem Vogt und seinen Söhnen, bei denen wir dich nur als eifrigen Vollstrecker sehen. Wir vergessen den König und als Bonus vergessen wir auch den Prälaten … und natürlich seinen Diener. Für die Verstorbenen von Aubray sehe ich keine andere mögliche Rechtfertigung als das Motiv des Geldes, dessen einzige Begünstigte de facto die Marquise ist. Sie wird Hilfe von Sainte-Croix erhalten haben, der das Gift besorgt hat. Wenn du dich mit diesem Szenario einverstanden erklärst, würde mich das sehr freuen, denn es handelt sich um eine Konstellation, die zwar der Realität entspricht, dir aber viel Leid ersparen würde, dessen Einzelheiten ich dir bereits dargelegt habe. Eine einfache Erhängung würde dein riskantes Leben beenden.

Der politisch brisanteste Aspekt der Affäre, der versuchte Königsmord durch La Chaussée im Auftrag von Madame de Warnens (einer Agentin der protestantischen Niederlande), wird vollständig aus der offiziellen Akte gelöscht. Ludwig XIV. wollte nicht, dass bekannt wird, wie nahe ihm Giftstoffe kommen konnten. La Reynie entscheidet, dass es mehr Nachteile als Vorteile hätte, wenn über eine Verschwörung gesprochen würde, deren Verzweigungen nicht kontrolliert werden können („couper la branche du complot“). Die höchste Priorität des Staates liegt darin, die Unverletzlichkeit und Göttlichkeit des Königs zu bewahren, selbst auf Kosten der gerichtlichen Wahrheit. Der König, informiert durch Louvois, verlangt, dass die „designierten Schuldigen“ schnell ausgelöscht werden, um die Seite umzuschlagen.

La Reynie, obwohl als integrer Mann beschrieben, handelt als politischer Pragmatiker. Er schlägt La Chaussée ein Arrangement vor: Der Valet wird lediglich für drei Morde verurteilt (den Prévôt und seine Söhne), deren einziges Motiv die Gier der Marquise nach dem Erbe ist. Im Gegenzug werden die Morde am Prälaten und seinem Diener fallengelassen, da diese Morde politische Verbindungen zu Pennautier und Colbert implizieren.

Die Marquise de Brinvilliers, die tatsächlich ihren Vater und ihre Brüder vergiftet hat, wird zum „größten Mörder ihrer Zeit“ erklärt und dient als perfektes Exempel dafür, dass die Gerechtigkeit auch den Adel trifft. Ihre Hinrichtung durch Enthauptung (statt Hängen) wahrt symbolisch ihren adligen Stand bis in den Tod. Ihre wahre Motivation – die Rache für den Missbrauch durch Vater und Brüder – wird dabei ignoriert.

Pierre-Louis Reich de Pennautier, der die Charge La Chaussées bezahlte und die Vergiftung des Prälaten zur Auffüllung der Staatskassen (und seiner eigenen Taschen) nutzte, bleibt unantastbar. Seine Verbrechen werden durch den Dienst am Staat (Finanzierung des Krieges) legitimiert und unterliegen dem Staatsgeheimnis („opération de haute politique“). Er beendet seine Beziehungen zu Warnens, als sie politisch gefährlich und körperlich entstellt wird, was seine rein opportunistische Natur bestätigt.

Der Schluss des Romans weitet die Perspektive über das individuelle Schicksal hinaus auf das historische Schicksal der Hugenotten (Protestanten). Leonor de Warnens floh, um der Untersuchung zu entgehen, die sie als potenzielle Verschwörerin gegen den König entlarvt hätte. Letztendlich stirbt sie jedoch nicht für ihre Beteiligung an den Giftmorden oder der Verschwörung, sondern durch die staatliche Gewalt gegen ihre Glaubensgemeinschaft.

Die endgültige politische Entscheidung Ludwig XIV. ist die Widerrufung des Edikts von Nantes einige Jahre später. Der König, dessen Herrschaft von beispielloser Pracht gekennzeichnet war (Ludwig XIV. wollte die Gloire für sich), toleriert keine religiöse Dissidenz mehr, insbesondere von Calvinisten, denen republikanische Sympathien nachgesagt wurden. Warnens wird von den Dragonern des Königs bei dem Versuch, die Grenze zur Schweiz zu überqueren, getötet, was die brutale und blutige Unterdrückung der protestantischen Minderheit durch den Staat belegt. Die persönliche Tragödie der Protagonisten ist somit eingebettet in die größere politische Tragödie des französischen Absolutismus.


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