Inhalt
Moralische Autorität und Heuchelei 1767 und 2024
Die Texte L’Ingénu (Der Freimütige, 1767) von Voltaire und Un jeune homme simple (Ein einfacher junger Mann, 2024) von Dominique Fernandez stehen in einer klaren intertextuellen Beziehung. Fernandez nimmt die Figur des naiven Außenseiters, der mit der urbanen Gesellschaft und deren Vorurteilen konfrontiert wird, auf, um eine Kritik der modernen Pariser Eliten und des Zeitgeistes zu üben, analog zu Voltaires satirischer Kritik am Ancien Régime und den religiösen Fanatismen der Aufklärung.
Un jeune homme simple beleuchtet die zeitgenössischen ideologischen und gesellschaftlichen Missstände der modernen französischen (Pariser) Gesellschaft, so wie Voltaire die Despotie und den Fanatismus seiner Zeit kritisierte. Dominique Fernandez‘ Roman präsentiert mit Arthur einen 19-jährigen Auvergnat aus der kleinen Stadt Sainte-Espèce, der für sein Studium nach Paris kommt. Arthur ist in traditionalistischen Vorstellungen aufgewachsen und pflegt die jansenistisch beeinflussten Werte seiner Heimat. Der Verlag fasst seine amourösen Niederlagen schadenfroh zusammen: „Sylviane, seine Kindheitsfreundin, die zu Besuch in Paris ist, gesteht ihm ihre Liebe, aber warum sollte er sich mit Bécassine zufrieden geben, wenn so viele giftigere Blumen unter den jungen Mädchen seiner Fakultät in greifbarer Nähe zu sein scheinen? Dazu müsste der arme Arthur allerdings erst einmal die Codes verstehen: Er wird nacheinander von einer radikalen Feministin, die ihn terrorisiert, einer Veganerin, die ihm Moralpredigten hält, und einer Klimafanatikerin, die ihm die Apokalypse prophezeit, zurückgewiesen.“ Chloé, die eloquente, aber radikalfeministische Jurastudentin, kritisiert die biblische Erzählung (Eva wurde aus Adams Rippe geschaffen) als Ursprung der männlichen Vorherrschaft; sie verurteilt klassische Kunst (Déjeuner sur l’herbe) und Ballette (Dornröschen) als sexistische Glorifizierung von Gewalt und Objektivierung, sie schlussfolgert, dass sogar die Bandenkriminalität in den Vorstädten eine ländliche Rechtfertigung in der Mythologie der Atriden (Iphigenies Opfer) findet, da die „Kultur“ ein „Freibrief für Frauenmord“ sei. So verkörpert Chloé eine spezifische ideologische Hürde der Moderne, die das traditionelle Ideal der Liebe und Partnerschaft für Arthur unmöglich macht. Die feministische Kritik wird als dogmatisches System dargestellt, das alles Kulturelle nach dem Kriterium der „Geschlechtergewalt“ bewerte. Arthur besucht später den Montmartre-Friedhof und entdeckt, dass Stendhal, sein geistiger Held, in seinen Memoiren bekannte, dass er Pascal im Geiste ähnele. Arthur ist schockiert zu erfahren, dass Stendhal, der Autor von De l’amour, im wirklichen Leben in Liebesangelegenheiten extrem ungeschickt und gedemütigt war. Arthur erkennt, dass er Sylviane, seine einfache Kindheitsfreundin, ungerecht beurteilt hat, und erinnert sich, dass sein Vater sagte, sie warte auf seine Rückkehr, ein Wendepunkt für Arthurs emotionale und existenzielle Entscheidung. Die Entzauberung des großen literarischen und romantischen Ideals (Stendhal) führt Arthur zur Erkenntnis, dass das wahre Glück in der Einfachheit und Authentizität seiner Heimat und in der einfachen Liebe zu Sylviane liegt.
Voltaires Ingénu reagiert mit einer buchstäblich verstandenen, ungebrochen natürlichen Logik auf das ihm noch unbekannte kirchliche Ritual und kehrt dessen Autorität damit unbeabsichtigt um, weil auch er die Codes nicht versteht. Seine Naivität entlarvt die Künstlichkeit der Beichtsituation, indem er den biblischen Imperativ der Gegenseitigkeit rigoros wörtlich nimmt und so den Mönch in die Defensive zwingt:
Il fallait auparavant se confesser ; et c’était là le plus difficile. L’Ingénu avait toujours en poche le livre que son oncle lui avait donné. Il n’y trouvait pas qu’un seul apôtre se fût confessé, et cela le rendait très rétif. Le prieur lui ferma la bouche en lui montrant, dans l’épître de saint Jacques le Mineur, ces mots qui font tant de peine aux hérétiques : Confessez vos péchés les uns aux autres. Le Huron se tut, et se confessa à un récollet. Quand il eut fini, il tira le récollet du confessionnal, et, saisissant son homme d’un bras vigoureux, il se mit à sa place, et le fit mettre à genoux devant lui : “ Allons, mon ami, il est dit : Confessez-vous les uns aux autres ; je t’ai conté mes péchés, tu ne sortiras pas d’ici que tu ne m’aies conté les tiens. “ En parlant ainsi, il appuyait son large genou contre la poitrine de son adverse partie. Le récollet pousse des hurlements qui font retentir l’église. On accourt au bruit, on voit le catéchumène qui gourmait le moine au nom de saint Jacques le Mineur. La joie de baptiser un Bas-Breton huron et anglais était si grande qu’on passa par-dessus ces singularités. Il y eut même beaucoup de théologiens qui pensèrent que la confession n’était pas nécessaire, puisque le baptême tenait lieu de tout. (LI)
Vorher mußte er jedoch beichten, und das war das schwierigste. Das Naturkind trug das Buch, das ihm sein Onkel gegeben, stets in seiner Tasche herum, und er konnte darin nicht finden, daß auch nur ein einziger Apostel gebeichtet hatte, und das machte ihn sehr stutzig. Der Prior schloß ihm den Mund, indem er ihm im Brief des Jakobus des Jün-geren die Worte nachwies, die den Ketzern so viel Mühe bereiten: „Bekennet einer dem andern seine Sünden.“ Der Hurone verstummte und beichtete einem Franziskanermönch. Als er fertig war, zog er den Franziskaner aus dem Beichtstuhl, packte den Mann mit festem Griff, setzte sich auf seinen Platz und zwang ihn vor sich auf die Knie. „Los, mein Freund“, rief er, „es heißt ja : Bekenne einer dem anderen seine Sünden. Ich habe dir meine Sünden aufgezählt, und nun sollst du von hier nicht eher fortkommen, bis du mir die deinen gebeichtet hast.“ Und während er dieses sagte, stemmte er sein breites Knie gegen die Brust der Gegenpartei. Der Franziskaner schrie, daß die Kirche erdröhnte. Als die Leute auf den Lärm hin herbeieilten, sahen sie, wie der Täufling im Namen St. Jakobus des Jüngeren den Mönch mit seinen Fäusten bearbeitete, aber die Freude über die Taufe eines niederbretonischen Huronen und Engländers war so groß, daß man diese Absonderlichkeiten hinnahm. Es gab sogar viele Theologen, die meinten, daß die Beichte nicht unbedingt notwendig sei, da ja die Taufe alles ersetze. (Voltaire, Der Harmlose: eine wahrhaftige Geschichte aus den Papieren des Paters Quesnel, Deutsch von Ilse Linden, Propyläen-Verlag, Berlin, 1920)
Die Szene der Beichte ist ein Meisterstück der Satire: Durch die Forderung, der Mönch solle ebenfalls beichten, verkehrt der Ingénu die Hierarchie der Kirche und die willkürliche Macht des Klerus ins Lächerliche. Der Ingénu zeigt, dass die christlichen Riten nicht auf universeller Vernunft, sondern auf wechselnden Konventionen und Dogmen beruhen, die der bon sens ablehnt.
Pascal und Wokisme
Im Paris der Gegenwart ist Fernandez‘ Arthur schockiert und befremdet von der vorherrschenden Modernität, dem Zynismus, den neuen gesellschaftlichen Freiheiten (z. B. LGBT-Kultur) und den „neuen Tabus“ der Woke-Kultur. Er wohnt mit Stanislas (Stan), einem brillanten, aber zynischen jungen Lehrer, zusammen, der für Arthur zunächst ein Rätsel ist. Stan versucht, Arthur zu verführen, gibt aber angesichts seiner großen „Candeur“ auf. Arthur versucht, seine literarischen Ambitionen zu verwirklichen, indem er seinen Roman mit lokalem, ländlichem Kolorit bei Verlagen einreicht.
Der folgende Abschnitt fängt Stans Rolle als intellektueller Katalysator und Verteidiger des historischen Relativismus ein. Er kontert die Forderung der Eltern, antike Autoren wegen der Sklaverei aus dem Unterricht zu verbannen, indem er ihre moralische Heuchelei („tartufes de la culture“) und ihren moralischen Anachronismus aufzeigt.
Trop agacé pour les reprendre sur leurs âneries, j’ai préféré les attaquer de front, par une contre-offensive qui les a pris de court. — Si vous êtes si susceptibles sur la responsabilité des classes dirigeantes, leur ai-je dit, pourquoi remonter si loin dans le passé ? Vous devriez pour commencer avoir honte de vos grands-parents et vous indigner de leur égoïsme. Ils garnissaient leur poêle ou alimentaient leur chaudière avec le charbon extrait au fond des mines par des ouvriers qui, s’ils n’étaient pas tués par un coup de grisou ou par l’inondation d’une galerie, mouraient de tuberculose avant l’âge de cinquante ans. Les esclaves grecs et romains étaient mieux traités ! Le maître prenait soin d’eux, ne serait-ce que par intérêt, pour les garder en bonne santé et valides. Blessés, on leur venait en aide. Malades, on les soignait. Ils faisaient partie de la maison, de la famille. (JHS)
Da ich zu genervt war, um sie wegen ihres Unsinns zu korrigieren, entschied ich mich, sie frontal anzugreifen, mit einer Gegenoffensive, die sie überraschte. „Wenn Sie so empfindlich auf die Verantwortung der herrschenden Klassen reagieren“, sagte ich ihnen, „warum gehen Sie dann so weit in die Vergangenheit zurück? Sie sollten sich zunächst einmal für Ihre Großeltern schämen und sich über deren Egoismus empören. Sie befeuerten ihre Öfen oder heizten ihre Heizkessel mit Kohle, die von Arbeitern aus den Tiefen der Bergwerke gefördert wurde, die, wenn sie nicht durch eine Grubenexplosion oder eine Überschwemmung ums Leben kamen, vor ihrem fünfzigsten Lebensjahr an Tuberkulose starben. Die griechischen und römischen Sklaven wurden besser behandelt! Der Herr kümmerte sich um sie, schon allein aus Eigeninteresse, um sie gesund und arbeitsfähig zu halten. Wenn sie verletzt waren, wurde ihnen geholfen. Wenn sie krank waren, wurden sie gepflegt. Sie gehörten zum Haushalt, zur Familie.
Stan lenkt die Cancel Culture-Kritik auf die unmittelbare Vergangenheit der Eltern, deren Nutzung von Kohlebergwerken eine größere und näherliegende Ungerechtigkeit darstellte, als die Sklaverei in der Antike. Diese Provokation dient dazu, Arthurs Bewusstsein für die Willkür ideologischer Urteile zu schärfen.
Bei Voltaire dient die indigene Kultur der Huronen als die „natürliche“ und vorbildliche Welt, deren freimütige und unverfälschte Perspektive die Mängel der europäischen Zivilisation aufdeckt, die von religiöser Intoleranz, Vorurteilen und Bürokratie geprägt ist. Die angeborene Vernunft und Männlichkeit des Protagonisten in L’Ingénu steht im Gegensatz zur Verlogenheit und Bigotterie des Ancien Régime. Dominique Fernandez spiegelt diese Struktur in Un jeune homme simple wider, indem er die traditionelle provinzielle Kultur Arthurs dem hypermodernen, ideologisch konformistischen Paris gegenüberstellt.
Die „natürliche“ Welt in Fernandez‘ Roman ist die Auvergne, insbesondere Arthurs Heimatstadt Sainte-Espèce. Diese Region wird als ein Ort beschrieben, der „abseits der großen Routen, intakt geblieben“ („écartée des grandes routes, restée intacte“) ist, und dessen Sitten und Moral von einer „austérité de ses mœurs“ (Strenge seiner Sitten) den Ort vor sündhafter Unordnung („désordre peccamineux“) bewahrt haben. Arthur ist in „traditionellen Ideen“ aufgewachsen und tief im Jansenismus verwurzelt, der in der Heimat Pascals noch immer präsent ist. Sein Vater, ein sozialistischer Lehrer, lehrte ihn, die Heuchelei und den Mangel an Aufrichtigkeit in Paris zu verachten, und vermittelte ihm die Maxime Pascals, das „moi haïssable“ (das hassenswerte Ich) zu vermeiden. Arthurs „candeur“ (Ehrlichkeit/Unschuld) und sein „bon sens“ (gesunder Menschenverstand) dienen als moralische und intellektuelle Rüstung, die die Absurditäten der karikierten Pariser Gesellschaft entlarvt.
Pascal selbst dient als zentrale moralische Autorität, insbesondere im Hinblick auf Arthurs anfängliche Lebensführung und literarische Haltung. Pascal, dessen Logique de Port-Royal genannt wird, wird als Meister im Vermeiden des Egos dargestellt. Er forderte, dass ein ehrlicher Mensch die Worte „je“ und „moi“ meiden sollte, da jedes Ego der Feind und Tyrann aller anderen sein möchte („chaque moi est l’ennemi et voudrait être le tyran de tous les autres“). Arthurs Vater, ein sozialistischer Lehrer, schenkte ihm Pascals Pensées als „viatique“ (Wegzehrung), um ihn vor den „Fallen der Eitelkeit“ („pièges de la vanité“) in Paris, des „neuen Babylon“, zu schützen. Auch in literarischer Hinsicht wird Pascals „scrupule“ im Hinblick auf die Liebe zur Wahrheit und die Präzision in der Sprache hervorgehoben. Pascals Kompatrioten in Clermont-Ferrand meiden die Oper, da sie dem Philosophen treu bleiben, der jegliche Art von Spektakel als Ablenkung vom rechten Weg angesehen hätte.
Paradoxerweise wird Pascals Philosophie von Stanislas genutzt, um die dogmatische Arroganz der modernen Woke-Kultur zu attackieren, indem er den Relativismus der Moral betont. Im Streit über das Schutzalter und die moralische Verurteilung historischer Figuren zitiert Stan Pascal, um die Willkür moralischer Gesetze aufzuzeigen. Er verweist auf Pascals Satz, dass Gerechtigkeit und Wahrheit vom Klima und geografischen Grenzen abhängen: „Plaisante justice qu’une rivière borne ! Vérité en deçà des Pyrénées, erreur au-delà.“ („Lustige Gerechtigkeit, die ein Fluss begrenzt! Wahrheit diesseits der Pyrenäen, Irrtum jenseits davon.“) Er zitiert auch Pascals Überlegungen zur Ungerechtigkeit, die entsteht, wenn Gesetze nur aufgrund von geografischen Unterschieden gelten. Stan verwendet Pascals Logik, um zu beweisen, dass die Meinungen relativ zu den Epochen sind, was die rigide, anachronistische Urteilskraft der Cancel Culture entlarvt.
Im hypermodernen Paris wird Arthur mit einer Flut neuer ideologischer Dogmen konfrontiert, dem sogenannten „Wokisme“, der als eine „nouvelle religion, aussi injonctive que toutes les religions“ (neue Religion, so zwingend wie alle Religionen) beschrieben wird, komplett mit „Fanatikern“ und „Ayatollahs“. An die Stelle alter Tabus treten neue Verbote, wie die Verpflichtung, sich der „Pensée unique“ (einheitliches Denken) zu beugen, oder die absurde Regel, das Geschlecht eines Neugeborenen als „sexe assigné arbitrairement à la naissance“ (bei der Geburt willkürlich zugewiesenes Geschlecht) zu bezeichnen, da die biologische Realität als kolonialistisch und sexistisch gilt. Diese neue Gesellschaft wird auch als eine „allgemeine Unfähigkeit, selbstständig zu denken und zu handeln“ („incapacité générale de penser et d’agir par soi-même“) charakterisiert, da die Menschen ständig auf Beratung (GPS, Ernährungsberater) angewiesen sind.
Die satirische Karikatur erreicht ihren Höhepunkt in der Kritik des literarischen Establishments. Die Pariser Verlagswelt ist primär vom Umsatz getrieben. Arthur muss erkennen, dass die Pariser Verlagswelt sein Manuskript aufgrund seiner Einfachheit und seines provinziellen Themas ablehnt. Die Herausgeberin und der Herausgeber Pierrelot erklären ihm, sein Roman sei nicht tendance, weil er weder einer Frau, einem Homosexuellen noch einem Missbrauchsopfer die Stimme gebe, außerdem sei er „zu gut geschrieben“ und verwende „veraltete“ Wörter, was als „elitär“ gelte. Arthur konstatiert, dass der Stil selbst zu einer Kontraindikation geworden ist, da man sich dem Niveau der Leser anpassen muss, um nicht der Demokratie zu schaden. Arthur wird Zeuge und Diskussionsteilnehmer von Debatten über Cancel Culture, die Kritik an klassischen Autoren wegen Sklaverei oder Sexismus und die Lächerlichkeit des politischen und kulturellen Betriebs. Stan erlebt eine Krise der Identität: Er ist von der Konformität und Spießigkeit der modernen, legalisierten Homosexualität zutiefst enttäuscht, die ihren ursprünglichen rebellischen Charakter verloren habe. Am Ende beschließt Arthur, Paris und die Moderne abzulehnen. Die Rückkehr Arthurs in die Auvergne zu Sylviane am Ende interpretiert Stan daher als die Entscheidung eines „jeune homme simple“, der das traditionelle Glück wählt und der banalen Konformität des neuen Pariser Zeitalters entflieht.
Voltaires L’Ingénu
— Comment, étant né huron, avez-vous pu, monsieur, venir en Angleterre ? – C’est qu’on m’y a mené ; j’ai été fait, dans un combat, prisonnier par les Anglais, après m’être assez bien défendu ; et les Anglais, qui aiment la bravoure, parce qu’ils sont braves et qu’ils sont aussi honnêtes que nous, m’ayant proposé de me rendre à mes parents ou de venir en Angleterre, j’acceptai le dernier parti, parce que de mon naturel j’aime passionnément à voir du pays.
– Mais, monsieur, dit le bailli avec son ton imposant, comment avez-vous pu abandonner ainsi père et mère ? – C’est que je n’ai jamais connu ni père ni mère „, dit l’étranger. La compagnie s’attendrit, et tout le monde répétait : Ni père, ni mère ! “ Nous lui en servirons, dit la maîtresse de la maison à son frère le prieur ; que ce monsieur le Huron est intéressant ! “ L’Ingénu la remercia avec une cordialité noble et fière, et lui fit comprendre qu’il n’avait besoin de rien. (LI)
„Wie sind Sie denn, lieber Herr, als Hurone nach England gekommen?“ – „Ich wurde hingebracht. Die Engländer haben mich, nachdem ich mich in einem Kampf wacker verteidigt hatte, gefangengenommen. Und da die Engländer Tapferkeit lieben, weil sie selber tapfer und ebenso höflich sind wie wir, machten sie mir den Vorschlag, entweder zu meinen Eltern zurückzukehren oder nach England mitzukommen. Ich entschloß mich zu dem letzteren, weil ich von Natur aus gern fremde Länder sehe.“ „Aber, verehrter Herr“, sagte der Amtmann in imponierendem Ton, „wie konnten Sie denn Vater und Mutter verlassen?“ — „Weil ich weder Vater noch Mutter je gekannt habe.“ Die ganze Gesellschaft war gerührt, und jeder wiederholte : „Weder Vater noch Mutter !“ – „Wir wollen Sie Ihnen ersetzen“, sagte die Hausherrin mit ihrem Bruder, dem Prior. „Der Herr Hurone ist so sehr interessant !“ Das Naturkind dankte ihr sehr herzlich, und in edler und stolzer Art gab er ihr zu verstehen, daß er keiner Hilfe bedürfe. „Ich merke, Herr Naturmensch“, sagte der würdige Amtmann, „daß Sie besser französisch sprechen als sonst die Huronen.“ — „Ein Franzose, den wir, als ich noch Kind war, im Huronenlande gefangengenommen hatten und mit dem ich in sehr enger Freundschaft verbunden war, hat mir seine Sprache beigebracht. Ich lerne alles sehr schnell, wozu ich Lust habe. Als ich in Plymouth ankam, traf ich einen Ihrer französischen Flüchtlinge, die Sie, ich weiß nicht warum, >Hugenotten< nennen. Mit seiner Hilfe habe ich in Ihrer Sprache weitere Fortschritte gemacht, und sobald ich mich verständlich ausdrücken konnte, bin ich in Ihr Land hergekommen, denn ich mag die Franzosen gern, wenn sie nicht zuviel fragen.“
Dieser frühe Dialog etabliert sofort das satirische Prinzip der Naivität. Die Huronen und Engländer werden analogisiert („aiment la bravoure“) und fungieren als positiver Kontrast zur französischen Gesellschaft. Der Ingénu spricht „naïvement ce que je pense“ und antwortet „fort juste“, indem er die einfache Wahrheit ausspricht, dass er weder Vater noch Mutter kannte. Dies konterkariert die vorgefassten moralischen Urteile des Bailli. Die Reaktion der Gesellschaft, die in kollektivem Ethnozentrismus verfällt, schwankt zwischen rührseliger Sentimentalität und der sofortigen Annahme, sie müssten den Fremden bevormunden, was er mit einer „noble et fière“ Haltung ablehnt.
L’Ingénu erzählt die Geschichte eines jungen Huronen, der als Franzose in Kanada geboren, aber in der indigenen Kultur der Huronen aufgewachsen ist. Nach dem Tod seiner Eltern reist er nach Europa und kommt in der Bretagne bei seinem Onkel, dem Prior von Notre-Dame de la Montagne, und seiner Tante, Mademoiselle de Kerkabon, an. Er wird schnell als deren Neffe identifiziert. Aufgrund seiner unverbildeten Ehrlichkeit und seines „unschuldigen“ Blickes wird er „l’Ingénu“ genannt. Seine unverblümte Art stellt die Vorurteile der bretonischen Gesellschaft in Frage. Er wird konvertiert und getauft, wobei er die christlichen Rituale (wie die Taufe im Fluss) strikt und stur nach der wörtlichen Auslegung des Neuen Testaments interpretiert, was bei den Klerikern für große Verwirrung sorgt. Er verliebt sich in seine Patentante, Mlle de Saint-Yves, und versucht, sie sofort zu heiraten, wobei er jegliche notwendige Zustimmung durch die Kirche oder zivile Gesetze als lächerlich ablehnt, da die Naturgesetze allein maßgebend seien.
Um seine Geliebte zu verteidigen und seine Treue zu beweisen, kämpft der Ingénu mutig gegen die landenden Engländer und erzielt einen Sieg, wofür er große Anerkennung erhält. Er reist nach Versailles, um seine Belohnung einzufordern und die Hand von Mlle de Saint-Yves zu erbitten. Dort angekommen, erlebt er die Absurdität der höfischen Bürokratie und Korruption:
Le Huron, tout étonné, le suit ; ils restent ensemble une demi-heure dans une petite antichambre. “ Qu’est-ce donc que tout ceci ? dit l’Ingénu ; est-ce que tout le monde est invisible dans ce pays-ci ? Il est bien plus aisé de se battre en Basse-Bretagne contre des Anglais que de rencontrer à Versailles les gens à qui on a affaire. “ Il se désennuya en racontant ses amours à son compatriote. Mais l’heure en sonnant rappela le garde du corps à son poste. Ils se promirent de se revoir le lendemain, et l’Ingénu resta encore une autre demi-heure dans l’antichambre, en rêvant à mademoiselle de Saint-Yves, et à la difficulté de parler aux rois et aux premiers commis.
Enfin le patron parut. “ Monsieur, lui dit l’Ingénu, si j’avais attendu pour repousser les Anglais aussi longtemps que vous m’avez fait attendre mon audience, ils ravageraient actuellement la Basse-Bretagne tout à leur aise. “ Ces paroles frappèrent le commis. Il dit enfin au Breton : “ Que demandez-vous ? – Récompense, dit l’autre ; voici mes titres. “ Il lui étala tous ses certificats. Le commis lut, et lui dit que probablement on lui accorderait la permission d’acheter une lieutenance3. “ Moi ! que je donne de l’argent pour avoir repoussé les Anglais ? que je paye le droit de me faire tuer pour vous, pendant que vous donnez ici vos audiences tranquillement ? Je crois que vous voulez rire. Je veux une compagnie de cavalerie pour rien ; je veux que le roi fasse sortir mademoiselle de Saint-Yves du couvent, et qu’il me la donne par mariage ; je veux parler au roi en faveur de cinquante mille familles que je prétends lui rendre. En un mot, je veux être utile ; qu’on m’emploie et qu’on m’avance. (LI)
Der Hurone folgte ihm, außer sich vor Verwunderung. Eine halbe Stunde lang mußten sie dann in einem kleinen Vorzimmer warten. „Was soll das alles?“ fragte das Naturkind. „Ist denn in diesem Lande niemand anzutreffen? Es ist leichter, sich in der Niederbretagne mit den Engländern zu schlagen, als in Versailles die Personen zu treffen, mit denen man zu tun hat.“ Um die Langeweile zu vertreiben, erzählte er seinem Landsmann seine Liebesgeschichte. Aber dann schlug die Uhr und rief den Gardisten auf seinen Posten. Sie verabredeten, sich am nächsten Tage wiederzutreffen, und das Naturkind blieb noch eine halbe Stunde lang im Vorzimmer sitzen und sann über Fräulein von Saint-Yves und über die Schwierigkeiten nach, die es gab, wenn man Könige oder Obersekretäre sprechen wollte.
Endlich erschien der Beamte. „Mein Herr“, redete ihn das Naturkind an, „wenn ich mir so viel Zeit genommen hätte, um die Engländer zurückzuschlagen, wie Sie mich hier haben warten lassen, so hätten die Feinde jetzt nach Herzenslust die Niederbretagne dem Boden gleichgemacht.“ Diese Worte verblüfften den Beamten. „Was wollen Sie?“ fragte er den Bretonen. „Belohnung“, erwiderte dieser, „hier sind meine Papiere“, und er breitete vor ihm alle Bescheinigungen aus. Der Beamte las sie durch und sagte, man würde ihm wahrscheinlich die Erlaubnis erteilen, eine Leutnantsstelle zu kaufen. „Was? Ich soll noch Geld zahlen dafür, daß ich die Engländer zurückgeschlagen habe? Ich soll für das Recht zahlen, mich für Euch töten zu lassen, während Ihr hier in aller Gemütsruhe Audienzen erteilt? Ich glaube, Sie wollen sich über mich lustig machen. Ich will umsonst ein Kavallerieregiment haben. Ich möchte ferner, daß der König Fräulein von Saint-Yves aus dem Kloster befreit und sie mir zur Frau gibt. Und dann will ich mit dem König über fünfzigtausend Familien sprechen, die ich ihm wiederzugeben beabsichtige. Kurzum, ich will mich nützlich machen; man soll sich meiner bedienen und mich befördern.“
Dieser Abschnitt karikiert die absolutistische Monarchie und die Unzugänglichkeit der Macht am Hof von Versailles. Der Kontrast zwischen der militärischen Tatkraft des Ingénu in der Niederbretagne und der bürokratischen Trägheit in Versailles dient als satirische Achse. Die Frage des Ingénu, ob hier alle unsichtbar seien, offenbart die Bizarrerien der französischen Sitten und prangert die künstliche Etikette an, die König und Minister unerreichbar macht. Die absurde „Belohnung“ – die Erlaubnis, ein Amt zu kaufen („acheter une lieutenance“) – deckt die Korruption und das systemische Übel des Ancien Régime auf, wo Ämter käuflich waren, und nicht durch Verdienst erworben wurden.
Aufgrund einer Denunziation, die ihn fälschlicherweise der Sympathie für Hugenotten (die er auf seiner Reise getroffen hatte) und des Jansenismus bezichtigt, wird er durch eine lettre de cachet verhaftet und in die Bastille geworfen. Im Gefängnis beginnt seine eigentliche „Bildung“, als er durch den Jansenisten Gordon, seinen Mitgefangenen, in die Lektüre der Wissenschaften (Geometrie, Physik) und Philosophie eingeführt wird. Mlle de Saint-Yves, die verzweifelt seine Freilassung erreichen will, opfert ihre Tugend an den Subminister M. de Saint-Pouange. Durch dieses Opfer wird der Ingénu zusammen mit Gordon befreit. Als sie erfährt, dass ihr Opfer zur Freilassung geführt hat, stirbt Mlle de Saint-Yves aus Scham, Kummer und wegen einer sich verschlimmernden Krankheit. Der Ingénu trauert zutiefst, wird schließlich ein furchtloser Offizier und Philosoph, der die Erinnerung an seine Geliebte ehrt.
Inhaltliche und strukturelle Parallelen
Die Figur des „Naiven“
Beide Protagonisten verkörpern den homme naturel oder zumindest den unverbildeten Außenseiter, dessen unmittelbare Wahrnehmung die Absurditäten der „zivilisierten“ Gesellschaft entlarvt. Voltaires Ingénu ist ein „Fremder, der nicht ganz fremd ist“, dessen Naivität in seiner wörtlichen Auslegung von Theologie und Gesetz gründet und dessen physische Stärke und Geradlinigkeit bewundert werden. Arthur ist ein „einfacher junger Mann“, dessen Naivität aus seiner traditionellen Auvergnater Erziehung resultiert, die ihn immun gegen die modernen Pariser Moden und den Zynismus macht. Die Gesellschaft reagiert auf beide Protagonisten mit Erstaunen oder Verachtung; Voltaires Bretonen hielten „einen Mann, der nicht in Frankreich geboren war, für nicht ganz bei Verstand“, während Arthurs Zeitgenossen seine traditionellen Werte als „lächerlich“ oder „périmé“ (veraltet) abtun.
Der Konflikt der Kulturen
In L’Ingénu kollidiert die unverstellte Welt der Huronen mit der bigotten, absolutistischen und zentralistischen französischen Gesellschaft (Bretagne und Versailles). Im JHS prallt die Welt der Auvergne – repräsentiert durch Pascal, Jansenismus und lokale Traditionen – auf das hypermoderne und zynische Paris, das von Woke-Ideologie und Cancel Culture dominiert wird. Beide Geschichten zeigen den „Ausländer“/„Provinzialen“, der sich unweigerlich mit den „Seltsamkeiten der französischen Sitten“ auseinandersetzen muss.
Die Bildungsreise und Desillusionierung
Beide Werke sind Bildungsromane oder, genauer, romaneske Satiren, die eine Entwicklung darstellen. Voltaires Ingénu durchläuft eine schnelle Metamorphose: Er wird in der Bastille durch Gordon vom „Wilden zum Menschen“ beziehungsweise vom impulsiven Jugendlichen zum reflektierten Geist und Philosophen. Seine Bildung ist ein Gewinn, auch wenn sie in der Tragödie endet. Arthurs Bildung hingegen ist eine Desillusionierung; er lernt die „Mechanismen“ und die Korruption der Pariser Gesellschaft kennen (Verlagswesen, soziale Dynamiken, kulturelle Heuchelei). Er erkennt, dass Vernunft und Talent dort keinen Platz haben, wo „das Geschäft“ zählt.
Kritik an der Metaphysik und der Ideologie
Voltaire führt durch den Ingénu und Gordon eine Kritik an der Metaphysik, der Theologie und dem Dogmatismus (Jansenisten gegen Jesuiten). Die Freimütigkeit des Ingénu legt die Unlogik der Religion offen. Arthur ist mit einer modernen Form des Dogmatismus konfrontiert: der Woke-Ideologie und der Cancel Culture. Die „neuen Tabus“ ersetzen die alten religiösen Vorurteile. Diskussionen über die Geschlechtertheorie ( théorie du genre) oder die Verurteilung klassischer Autoren für ihre Haltung zur Sklaverei oder zum Sexismus zeigen, wie Arthur die neue ideologische Engstirnigkeit und den Mangel an historischer Relativierung (Ethnozentrismus) als absurd empfindet.
Der Appell an den gesunden Menschenverstand (Bon Sens)
Voltaire nutzt die Naivität des Ingénu als „legitimen Offenbarer der Bizarrie französischer Sitten“, um den gesunden Menschenverstand (bon sens) gegen die Verwirrung und die Vorurteile der Gesellschaft in Stellung zu bringen. Arthur verkörpert ebenfalls den gesunden Menschenverstand, besonders im Gegensatz zu den absurden Forderungen der Aktivisten. Sein Co-Mieter Stan argumentiert philosophisch, dass Meinungen zeitbedingt sind, und dass es dumm sei, Homer, Sophokles oder Platon für die Ignoranz der Sklaverei zu verurteilen, da sie die Aufklärung nicht kannten. Arthur selbst reflektiert, dass der ständige Bedarf an Anleitung (GPS, Bio-Essen, Wettervorhersage) eine „allgemeine Unfähigkeit, selbstständig zu denken und zu handeln“, widerspiegelt.
Poetologische Haltung zur Literatur und Sprache
Voltaire kritisiert die Literatur seiner Zeit, indem er den Ingénu Dramen (wie Cornielles Rodogune) als langweilig und unglaubwürdig empfinden lässt. L’Ingénu entwickelt in der Bastille einen scharfen literarischen Geschmack. Ib JHS wird die Kritik am literarischen Establishment zum Hauptthema. Arthur gerät in Konflikt mit den „ästhetischen“ Dogmen der Verlage, die nur nach Verkaufszahlen und Trends ( tendance) urteilen. Man sagt Arthur, sein Stil sei zu gut geschrieben (zu elitär), und seine Themen zu provinziell. Arthur hingegen verteidigt die zeitlose Qualität von Autoren wie Stendhal und Dante gegen die kurzlebigen literarischen Moden (Autofiktion, Oulipo).
Paria oder Bourgeois – oder Woke
Sexuelle Befreiung
“ — Monsieur, dit-elle avec un fort accent allemand, la copulation classique (Arthur sursauta), klassische Begattung, a fait long feu. Finie, ou sur le point de finir, l’époque des planches à repasser, étendues raides et immobiles en attendant l’assaut. Vous avez sans doute sélectionné mon établissement pour les spécialités qui font sa réputation. Vous voyez là, sous les fenêtres, répartie en quatre brigades, la panoplie complète des quatre tendances à la mode. À vous de choisir. Une partie de mes pensionnaires ont été dressées à l’intention des sados, une autre pour répondre aux aspirations de la mouvance maso, regardez-les, un fouet à la main, sont-elles mignonnes, de vrais amours, on ne croirait jamais qu’elles sont prêtes à le brandir et à en frapper les croupes, die schöne Popo, ja! so hübsch, so appetitlich… La troisième variété s’adresse aux bi, la quatrième se destine aux trans, une variété qui compte de plus en plus d’adeptes. Ils ne veulent plus être coincés dans le rôle que la société leur a assigné, sous prétexte qu’il est déterminé par le sexe. Vieilleries dépassées, préjugés d’un autre temps, antiquités préhistoriques. À mettre au trou, le marqueur biologique, voyez-moi ça!“ (JHS)
„Mein Herr“, sagte sie mit starkem deutschen Akzent, „die klassische Begattung (Arthur zuckte zusammen) hat sich überlebt. Die Zeit der Bügelbretter, die steif und unbeweglich auf den Angriff warteten, ist vorbei oder steht kurz vor dem Ende. Sie haben sich zweifellos für mein Etablissement entschieden, weil es für seine Spezialitäten bekannt ist. Dort unten, unter den Fenstern, sehen Sie, aufgeteilt in vier Brigaden, die gesamte Palette der vier aktuellen Trends. Sie haben die Wahl. Ein Teil meiner Bewohnerinnen wurde für Sado-Liebhaber ausgebildet, ein anderer Teil, um den Wünschen der Maso-Bewegung gerecht zu werden. Sehen Sie sie sich an, mit der Peitsche in der Hand, sind sie nicht süß, echte Schätzchen, man würde nie glauben, dass sie bereit sind, sie zu schwingen und auf die Hinterteile zu schlagen, die schöne Popo, ja! So hübsch, so appetitlich… Die dritte Sorte richtet sich an Bisexuelle, die vierte an Transsexuelle, eine Sorte, die immer mehr Anhänger findet. Sie wollen nicht mehr in der Rolle gefangen sein, die ihnen die Gesellschaft unter dem Vorwand zugewiesen hat, dass sie durch das Geschlecht bestimmt ist. Überholter Unsinn, Vorurteile aus einer anderen Zeit, prähistorische Antiquitäten. Weg mit dem biologischen Marker, sehen Sie sich das an!”
Dieser Auszug aus Arthurs „ersten Schritten“ in Paris gibt eine satirische Exposition der modernen urbanen Welt und stellt Arthurs Schock aus. Frau Metzinger, die deutsche Leiterin, präsentiert die sexuelle Befreiung als kommerzielle Dienstleistung, die in vier „Brigaden“ unterteilt ist. Die Satire liegt in der Banalisierung und Katalogisierung sexueller Praktiken und der Ablehnung aller „marqueur[s] biologique“. Dies etabliert sofort den Konflikt zwischen Arthurs traditioneller Moral (die Auvergne als Ort der Strenge) und der Pariser Zivilisation, in der alle Tabus durch eine neue, ebenso zwingende, aber kommerzialisierte Freiheit ersetzt wurden.
Dominique Fernandez formuliert in Un jeune homme simple keine pauschale traditionalistische Wende in der Sexualmoral, sondern liefert eine facettenreiche Kritik, die sich sowohl gegen den hypermodernen, kommerzialisierten Konformismus der Pariser Eliten als auch gegen die bourgeoise Assimilation der Homosexuellenbewegung richtet. Einerseits repräsentiert der Protagonist Arthur mit seinem Rückzug in die traditionelle, jansenistisch geprägte Auvergne und seiner Wahl der einfachen Liebe (Sylviane) eine antimoderne Flucht vor der von Wokisme und Théorie du genre dominierten urbanen Moral. Andererseits artikuliert die Figur Stan, Arthurs offen schwuler Mitbewohner, die eigentliche Kritik an der Schwulenbewegung der Gegenwart: Stan verabscheut die Normalisierung und Assimilation der Homosexuellen in die Bourgeoisie. Er beklagt, dass die „Tribu“ (die Community) ihre ursprüngliche „singularité“ und ihren Status als „contre-pouvoir“ aufgegeben hat, um sich dem „idéal plan-plan“ (spießigen Ideal) der Heteros anzupassen und die bürgerliche Ehe zu suchen. Stan sieht darin einen Verrat, da sie von „potentiels dynamiteurs de la société“ zu deren „plus solides piliers“ wurden. Für ihn ist der Homosexuellen-Mainstream nun „ringard“ (altmodisch), und die wahre „unique transgression restée possible“ (einzige noch mögliche Übertretung) sehen Stan und seine Schüler im radikalen Transgenrismus. Fernandez nutzt somit die Enttäuschung über die verlorene Marginalität des homosexuellen Parias als zentrales Argument gegen den kulturellen Konformismus der modernen, toleranten, aber uniformierenden Gesellschaft. Die Haltung des Buchs ist nicht traditionalistisch in Bezug auf heteronormative Moral, sondern verteidigt gleichermaßen den konservativen, intellektuellen Nonkonformismus, aber gleichermaßen die „Ehre des Paria“ gegen die erzwungene Spießbürgerlichkeit der Gegenwart.
Verführung
Stanislas versucht, den Protagonisten Arthur auf mehrere Arten zu verführen, wobei er sowohl subtile Gesten als auch direkte Avancen nutzt, bevor er sein Vorhaben angesichts Arthurs großer Naivität und Aufrichtigkeit schließlich aufgibt. Stan beginnt seine Versuche, indem er körperliche Nähe und intellektuelle Verführung kombiniert, um Arthurs Unerfahrenheit auszunutzen: Stan schafft in der winzigen Küchenzeile absichtlich beengte Verhältnisse, sodass Arthur sich „an ihn drücken“ muss. Er berührt Arthurs weichen Wangen wie in einer Liebkosung („semblant de caresse“), während er seine Freude über das Zusammenleben signalisiert. Später legt Stan Arthur während eines Gesprächs seine Hand auf die Hand, was Arthur erröten lässt.
Stan gesteht Arthur immer offener: „Arthur, mein Lieber, du gefällst mir ziemlich. Und sogar furchtbar“ („Tu me plais assez. Et même terriblement“). Er spricht Arthur auf seine körperlichen Vorzüge an und fragt, warum ein so sympathischer Mensch keine Geliebte habe. Schließlich fragt Stan explizit: „Zusammen schlafen, hast du das wirklich noch nie versucht?“ („Dormir à deux, tu n’as vraiment jamais essayé?“). Er insistiert darauf, dass sie nicht bei bloßen Gesprächen bleiben sollten, da dies nur eine erste Etappe sei. Stan versucht, Arthurs Ablehnung in einen Anreiz zu verwandeln, indem er sie als willkommene Herausforderung interpretiert: „Leiste mir Widerstand, du wirst mir umso mehr gefallen…“ („Résiste-moi, tu ne m’en plairas que davantage…“). Dies sei nötig, da das moderne schwule Leben in Paris zu einfach geworden sei und ihm der Nervenkitzel fehle. Stan untermauert seine Sehnsucht mit literarischen Zitaten, insbesondere aus Vergils Bucoliques, indem er Corydons herzzerreißende Klagen über den abweisenden Alexis rezitiert, um Arthur zu schmeicheln und ihn mit der „glücklichen Zeit“ („fortunata tempora“) der griechischen Paiderastia zu vergleichen, in der solche Beziehungen üblich waren. Obwohl Stan versucht, Arthur mit allen Mitteln zu gewinnen, scheitert er letztlich an Arthurs Unschuld („candeur“) und seiner tief verwurzelten traditionellen Erziehung. Stan gibt die Verführung auf und wird Arthurs loyaler Freund und Beschützer.
Werkgeschichte des Paria
Die Aufgabe der Homosexuellen als Paria und antibürgerliche Gruppe variiert in Dominique Fernandez‘ Werken je nach historischem und sozialem Kontext, ist aber stets an die Ablehnung von Konformität und die Verteidigung der existenziellen und sexuellen Differenz gebunden.
In L’Étoile rose und La Gloire du Paria thematisiert Fernandez die Homosexualität als eine existenzielle und politische Haltung des Widerstands gegen die repressive bürgerliche und patriarchale Zivilisation, welche Sexualität der Reproduktion und Effizienz unterordnet. Das Doppelbuch L’Homme de trop thematisiert die Krise und Enttäuschung über den Verlust der homosexuellen singularité (Einzigartigkeit) und des Widerstandsgeistes, die durch die „perfekte Integration“ verursacht werden. Un jeune homme simple thematisiert, dass die Homosexualität durch die Normalisierung ihre einstige submersive Kraft verloren hat und nun selbst zum Konformismus geworden ist, was die Suche nach einer neuen radikalen Form der Übertretung notwendig macht. Die Behandlung verlagert die Rolle des antibürgerlichen Parias auf Transgender ( transgenrisme), indem sie radikal das biologische Diktat der Geschlechter in Frage stellen.
Im frühen Werk L’Étoile rose (1978), das die Erfahrungen des Protagonisten David in einer repressiveren Ära reflektiert, leitet sich die Aufgabe der Homosexuellen direkt aus ihrem Paria-Status und der historischen Verfolgung ab. Die antibürgerliche Rolle besteht darin, die patriarchalische Zivilisation und ihre wirtschaftlichen Imperative abzulehnen, welche die Sexualität der Reproduktion und dem Effizienz („Rendement“) unterordnen. Katholiken, Kommunisten und Kapitalisten verurteilen Homosexualität gleichermaßen, weil sie einen „verschwenderischen Luxus“ („luxe dispendieux“) darstelle. Die Homosexuellen sind historisch die Opfer von repressiven Regimen (von Vichy über die Stalinisten bis hin zum Gaullismus, der das Land neu bevölkern wollte). Als Opfer der „Francisque“ (der Axt der Vichy-Flagge) und der „Étoile rose“ (Rosa Winkel) wurden sie zum Symbol des politischen Widerstands gegen die totalitäre und reaktionäre Ordnung. Aufgabe war so die Bewahrung der „tournure de notre esprit“ und die Demonstration, dass ihre Lebensweise kein Mangel oder Krankheit, sondern eine legitime Existenzform ist. Die Angst der Homophoben beruht auf der Bedrohung, die diese marginale Gruppe für die „cohésion du territoire“ und die „volonté unificatrice du pouvoir“ darstellt.
In La gloire du Paria (1987) versucht Fernandez die Umkehrung der Verfolgung in moralischen Ruhm. Die Aufgabe besteht darin, die Außenseiterrolle zu verteidigen und zu zelebrieren, anstatt die bürgerliche Akzeptanz zu suchen: Die Homosexuellen (Parias) genossen das „Privileg“, im Geheimen zu leben („privilège de vivre à part, d’agir en secret“) und die Nacht zu nutzen. Ihre Aufgabe ist es, diesen Status zu bewahren und nicht in das „Banale des Alltagslebens“ („le banal de la vie quotidienne“) zu verfallen und „so wie die anderen“ („pareil aux autres“) zu werden. Bernard ist der ältere Partner, „fast doppelt“ so alt wie Marc. Bernard ist derjenige, der die Nostalgie für die Zeit empfindet, in der Homosexuelle gezwungen waren, „die Mauern abzuradieren“ („raser les murs“), und dessen Leben von der „blessure au flanc“ („Wunde in der Flanke“) der Andersartigkeit geprägt ist. Er glaubt, dass eine Liebe, die kein Hindernis überwindet, nicht den Namen Liebe verdient. Bernard war Französischlehrer an einem Gymnasium, dessen Vater ebenfalls Französischlehrer war. Er sah sich als „anormal, ein Kranker“ („un anormal, un taré“) und empfand Abscheu und Ekel vor seinem Körper („la haine et le dégoût de son corps“). Marc ist der jüngere Partner, fünfundzwanzig Jahre alt, zwanzig Jahre jünger als Bernard. Marc steht der modernen, toleranten Gesellschaft näher und versteht Bernards Nostalgie für die Zeit der Verfolgung nicht immer. Marc findet das Leben mit Bernard viel dynamischer und anregender als seine frühere Beziehung zu Hervé. Er muss mit der Angst leben, dass Bernard ihre Beziehung als „précaire, révocable“ (prekär und widerruflich) betrachtet.
In Lucas’ Reflexionen in L’Homme de trop (I: 2021, II, 2022) nach den großen gesetzlichen Siegen über Diskriminierung (Pacs, Mariage pour tous) liegt die Hauptaufgabe paradoxerweise in der Verweigerung der Anpassung selbst. Lucas beklagt, dass die Erlangung von Gleichheit („mêmes droits que les autres“) zu einer Enttäuschung geführt habe, weil die Homosexuellen ihren Stolz, anders zu sein („fierté d’être à part“) aufgegeben haben und sich nach „reconnaissance, d’harmonie, de consensus universel“ sehnen. Die zentrale Aufgabe des Parias war es, ein Ferment des Widerstands („ferment de contestation“) zu bleiben und eine „spezifische Irreduzibilität“ zu verkörpern. Die antibürgerliche Haltung wird durch die Verachtung der bürgerlichen Bindungen bekräftigt. Die Mariage pour tous wird als ehelicher Maulkorb („muselière conjugale“) und „licou“ (Fessel) interpretiert, und die Homosexuellen, die einst „électron libre“ (ungebundene Elektronen) waren, werden so fesselt. Die Annahme der Ehe dient dem Interesse der Heterosexuellen, die Homosexuelle gebunden sehen wollen, um sie weniger „dangereux“ für ihre Söhne und Ehemänner zu machen. Lucas befürchtet, dass diese „parfaite intégration“ die „précieuse arme de combat“ der Gemeinschaft verschwinden lässt und die „misère mais aussi leur gloire“ (Elend, aber auch ihren Ruhm) auslöscht, indem sie sich der Haste zur Konformität ( hâte à se conformer) anschließen.
Die Rolle von AIDS für den Paria-Status der Homosexuellen in Fernandez’ Werk wird als eine tragische, biologische Regression interpretiert, die die hart erkämpften Siege der sexuellen Befreiung zunichtemacht. La Gloire du Paria, der das Konzept der Ehre des Außenseiters einführt, reflektiert die frühen Jahre der Epidemie und die damit verbundene existenzielle Angst und Stigmatisierung. Die Krankheit stellte Homosexuelle plötzlich wieder als eine Risikogruppe („population à risques“) dar, was zum Wiederaufleben alter Reflexe des Hasses und der Intoleranz (“ vieux réflexes de haine et d’intolérance“ ) führte. AIDS wurde nicht nur als wissenschaftliches Problem gesehen (wie Marc argumentiert), sondern als moralisches und theologisches Phänomen interpretiert, das die Befreiung der Sitten („libération des mœurs“) bestrafe. Dadurch sahen sich Homosexuelle einer biologischen Fatalität gegenüber, die nicht weniger „intraitable“ war als die Verfolgung durch die Inquisition oder die „férocité des nazis“. Anstatt in die Gesellschaft integriert zu werden, wurden sie erneut mit Stigmatisierung und Ausgrenzung konfrontiert, was paradoxerweise den existenzialistischen Ruhm des Außenseiters – die „Gloire du Paria“ – wiederbelebt und als literarischen Stoff für Bernards Stück dient. In L’Homme de trop wird die AIDS-Krise als Hauptgrund dafür behandelt, dass die Hoffnungen auf eine vollständige soziale Anerkennung und Integration scheitern, und es wird der Verlust des antibürgerlichen Kampfgeistes inmitten der erneuerten Lebensgefahr festgestellt. Der Text thematisiert detailliert die wissenschaftliche Debatte, die moralische Verurteilung und die Angst vor der „parfaite intégration“, die der AIDS-Krise folgte.
— Tu sais, j’ai quelquefois envie de cesser d’être pédé, tant c’est devenu banal. À force de réclamer le droit à l’indifférence, la tribu a abdiqué ce qui faisait son originalité. Elle était si fière autrefois d’être en marge, à l’écart, inassimilable, en rupture de ban, honnie par la société, et voilà qu’elle est devenue un troupeau de moutons… Vouloir se marier, quelle sottise ! Se mettre en ménage ! Ils ne se rendent pas compte qu’ils ont les mêmes ambitions, le même idéal plan-plan, que ceux qui les persécutaient autrefois… Ils deviennent plus pot-au-feu que leurs grands-pères. Quel marché de dupes ! Quel plat alignement sur les normes bourgeoises ! (JHS)
— Weißt du, manchmal möchte ich aufhören, schwul zu sein, weil es so banal geworden ist. Indem sie das Recht auf Gleichgültigkeit einforderte, hat die Community das aufgegeben, was ihre Originalität ausmachte. Früher war sie so stolz darauf, am Rande zu stehen, ausgegrenzt, nicht assimilierbar, geächtet, von der Gesellschaft verachtet, und jetzt ist sie zu einer Herde von Schafen geworden … Heiraten wollen, was für eine Dummheit! Zusammenziehen! Sie merken nicht, dass sie dieselben Ambitionen, dieselben langweiligen Ideale haben wie diejenigen, die sie früher verfolgt haben … Sie werden konservativer als ihre Großväter. Was für ein fauler Kompromiss! Was für eine blinde Anpassung an bürgerliche Normen!
Dieser Auszug, der Stans existentielle Krise darstellt, ist zentral für die Kritik an der modernen Gesellschaft. Der Erfolg der Homosexuellenbewegung („droit à l’indifférence“) wird als philosophische Katastrophe dargestellt. Stan beklagt, dass die Community ihre ursprüngliche „originalité“ und ihre „singularité“ – die „fierté d’être à part“ und „en marge“ – geopfert hat, um in die bürgerliche „Schafherde“ aufgenommen zu werden. Die Verachtung für bürgerliche Rituale wie die Ehe und das „pot-au-feu du dimanche“, zeigt Stan’s Verzweiflung darüber, dass die Homosexualität ihren subversiven Geist verloren hat und nun nur noch ein neuer, „plan-plan“ (spießiger) Konformismus ist, der keine Abenteuer oder Widerstände mehr bietet.
Nach der Revolution
Im jüngsten Roman Un jeune homme simple wird die antibürgerliche Aufgabe als übertragbar betrachtet, da die Homosexualität selbst ihren revolutionären Gehalt verloren hat. Stanislas konstatiert, dass homosexuell zu sein keine „Marke der Originalität mehr ist, sondern von Konformismus“ („marque d’originalité selon lui, mais de conformisme“). Die Aufgabe des antibürgerlichen Paria ist es nun, eine neue Form der Übertretung („transgression“) zu finden, da die Assimilation die Bewegung in eine Schafherde („troupeau de moutons“) verwandelt hat. Stan sieht die Jugendlichen, die das biologische Geschlecht ablehnen (transgenrisme), als die „derniers aventuriers“ und „derniers romantiques“ der Gesellschaft. Sie verkörpern die die einzig verbliebene mögliche Übertretung („ultime transgression restée possible“), da sie die „réalité biologique“ selbst in Frage stellen. Es bleiben nötig, letzter Ausbruch von Energie in einer abgeflachten Gesellschaft („ultime sursaut d’énergie dans une société aplatie“) zu sein. Eine Aufgabe bleibt auch die satirische Entlarvung des Konformismus, der die „Woke-Kultur“ prägt (z. B. die Forderung, das Geschlecht als „sexe assigné arbitrairement à la naissance“ zu bezeichnen), sowie die Kritik an der Verlogenheit der Pariser Verlagswelt, die nur noch dem Diktat des Geldes folgt.
So lässt sich sagen, dass Fernandez in allen Werken die historische Rolle der Homosexuellen als Korrrektiv gegen die bürgerliche Ordnung, den Moralismus und den staatlichen oder ideologischen Dogmatismus sieht. Während die frühen Werke diesen Paria-Status als historisch auferlegte revolutionäre Ehre verstehen, beklagen die späteren Werke den Verrat dieser Rolle durch die Assimilation und suchen nun nach einer neuen radikalen Avantgarde im Transgenrismus, um die antibürgerliche Aufgabe fortzusetzen.
Fernandez erwähnt Voltaire in seinen Werken, insbesondere in Dialogen und Reflexionen über historische Ungerechtigkeit, bürgerliche Moral, Zensur und die Rolle der Aufklärung im Hinblick auf Homosexualität und literarische Kritik. Am direktesten identifiziert Fernandez den Protagonisten Arthur direkt als „L’ingénu“ von Voltaire, der heute nach Paris „kommt“ („L’ingénu“ de Voltaire „montant“ aujourd’hui à Paris). Im Roman L’Étoile rose dagegen wird Voltaire direkt und scharf kritisiert, weil er, obwohl er ein Verfechter der Freiheit war, die „Freiheit, die uns am nächsten ging“ („celle qui nous touchait de plus près“), verleugnete. Voltaire wird dafür angeklagt, den „dümmsten Text“ („texte le plus stupide“) über Masturbation geschrieben zu haben: den Artikel „Onan“ im Dictionnaire philosophique, in dem Voltaire behauptet, dieser „abscheuliche Frevel“ verstoße nicht nur gegen das Moralgesetz, sondern verderbe den Organismus, mache krank und blöd – und verkürze das Leben. Dies wird als reaktionär und ignorant kritisiert. In L’Homme de trop II wird Voltaire in einem Gespräch vor dem Panthéon von Gaël verteidigt. Gaël fragt Lucas, ob er Voltaire mag, und erinnert an die Geschichte des Ritters François-Jean de La Barre. Dieser wurde 1766 im Alter von 19 Jahren zu Tode gefoltert (Zunge herausgerissen, Hand abgehackt) und lebendig verbrannt, weil er seinen Hut beim Vorbeiziehen einer Prozession nicht abgenommen hatte. Dies dient als Beispiel für Voltaires Kampf gegen die Intoleranz und die religiöse Tyrannei. Voltaire wird als „Pamphletist“ bezeichnet, der „losprescht“ und „provoziert“, im Gegensatz zu der objektiven Kunst eines Tolstoi. Voltaire wird in einer Elternversammlung kritisiert, weil Gaël (M. Bordebure) seinen Schülern die Korrespondenz des Enzyklopädisten d’Alembert mit dem König von Preußen lesen ließ, in der d’Alembert sich auf Voltaires neue Ausgabe bezieht, die in Kehl gedruckt wurde. Ein konservativer Vater (M. Le Floch) beschwert sich, dass es bereits ein „Missbrauch der Freiheit“ („abuser de la liberté des programmes“) sei, sich mit Voltaire aufzuhalten.
Naivität als Spiegel der Welt: Widerstand bei Voltaire, Rückzug bei Fernandez
Die Schlussfolgerungen von L’Ingénu und Un jeune homme simple spiegeln unterschiedliche philosophische Haltungen gegenüber der Möglichkeit des Glücks und der Freiheit in einer korrupten Welt wider. Der Schluss von L’Ingénu ist tragisch und pessimistisch. Mlle de Saint-Yves stirbt, nachdem sie ihre „Tugend opfert, um den jungen Fremden zu retten“. Ihr Tod ist eine Folge der Ungerechtigkeiten des absolutistischen Systems, verkörpert durch die willkürliche Macht des Königs und seiner Minister. Obwohl der Ingénu durch seine Haft zu einem Philosophen und tapferen Offizier heranreift und seine Metamorphose vom „Wilden zum Mann“ vollendet, bleibt der Schmerz über den Verlust seiner Geliebten unüberwindbar.
Die Tragödie verdeutlicht, dass die aufklärerischen Ideale von Vernunft und natürlicher Moral im korrupten Frankreich des Ancien Régime scheitern können. Die Korrupten werden belohnt: Der Abbé und der Prior erhalten Pfründen („bénéfice“), Saint-Pouange empfindet zwar Reue, aber sein Leben ändert sich nicht grundlegend. Die Tugend (Mlle de Saint-Yves) wird bestraft. Das Ende enthält das Fazit: „Unglück ist zu nichts nütze!“ ( Malheur n’est bon à rien! ). Obwohl der Ingénu weiterhin als „Philosoph intrépide“ und „Krieger“ dient, signalisiert der tragische Schluss die Notwendigkeit des ständigen Kampfes gegen die Ignoranz und die Intoleranz („l’Infâme“). Voltaires Botschaft ist ein Aufruf an den aufgeklärten Menschen, seine Pflicht in der Welt der Ungerechtigkeit anzunehmen, selbst wenn das Glück unmöglich ist.
„Vous êtes dans une situation bien plus intéressante : il s’agit de rendre votre amant au jour et de l’épouser ; c’est un devoir sacré qu’il vous faut remplir. On n’a point blâmé les belles et grandes dames dont je vous parle ; on vous applaudira, on dira que vous ne vous êtes permis une faiblesse que par un excès de vertu.
– Ah ! quelle vertu ! s’écria la belle Saint-Yves ; quel labyrinthe d’iniquités ! quel pays ! et que j’apprends à connaître les hommes ! Un père de La Chaise et un bailli ridicule font mettre mon amant en prison, ma famille me persécute, on ne me tend la main dans mon désastre que pour me déshonorer. Un jésuite a perdu un brave homme, un autre jésuite veut me perdre ; je ne suis entourée que de pièges, et je touche au moment de tomber dans la misère. Il faut que je me tue, ou que je parle au roi ; je me jetterai à ses pieds sur son passage, quand il ira à la messe ou à la comédie.
– On ne vous laissera pas approcher, lui dit sa bonne amie ; et si vous aviez le malheur de parler, mons de Louvois et le révérend père de La Chaise pourraient vous enterrer dans le fond d’un couvent pour le reste de vos jours.“ (LI)
„Sie befinden sich ja in einer noch viel interessanteren Lage : Es handelt sich darum, Ihren Geliebten dem Tageslicht wieder zurückzugeben und ihn zu heiraten. Das ist eine heilige Pflicht, die Sie erfüllen müssen. Niemand hat die schönen und großen Damen, von denen ich Ihnen erzählt habe, getadelt. Man wird Sie bewundern, man wird sagen, daß Sie sich nur aus Übermaß an Tugend eine Schwäche erlaubt haben.“ – „Oh, diese Tugend !“ rief die schöne Saint-Yves. „Das ist ein Labyrinth von Freveln ! Was ist das hier für ein Land ! Wie lerne ich die Menschen kennen ! Ein Pater de La Chaise und ein lächerlicher Amtmann bringen meinen Geliebten ins Gefängnis, meine Familie verfolgt mich, und man reicht mir in meinem Unglück nur die Hand, um mich zu entehren. Der eine Jesuit hat einen redlichen Menschen ins Verderben gestürzt, ein anderer will mich zugrunde richten. Ich sehe rings um mich nichts als Fallstricke, ich stehe dicht vor dem erbärmlichen Sturz ins Elend. Entweder muß ich mich töten, oder ich muß mit dem König sprechen. Ich werde mich ihm zu Füßen werfen, wenn er zur Messe oder ins Theater geht.“ „Man wird sie nicht in seine Nähe lassen“, entgegnete ihr ihre gute Freundin, „und sollten Sie wirklich das Unglück haben, ihn zu sprechen, so könnten Herr von Louvois und der hochwürdige Pater de La Chaise Sie für den Rest Ihrer Tage tief in einem Kloster vergraben.“
Dieser Auszug markiert den Übergang der Satire zum Roman sensible und zum tragischen Ende. Mlle de Saint-Yves muss ihre Tugend opfern, um die ungerechtfertigte Willkür des absolutistischen Staates (die lettre de cachet) rückgängig zu machen. Die Argumentation ihrer Freundin, der „dévote de Versailles“, ist eine zynische Anwendung der Kasusistik, die behauptet, ihr Opfer sei ein „excès de vertu“. Der wahre Sinn der Szene liegt in der Anklage des Systems, das die reinste Tugend in eine schreckliche Tat zwingt – ein „labyrinthe d’iniquités“. Mlle de Saint-Yves‘ Tod wird durch diesen inneren Konflikt verursacht. Ihr Abschied im Sterben unterstreicht die Tragödie des Scheiterns der Vernunft in einer korrupten Welt, da ihr persönliches Opfer das Fundament für die Befreiung und Reife des Ingénu bildet.
Arthurs Rückzug als moralischer Sieg?
Toute spontanéité t’est interdite. On ne peut plus écrire un roman si l’on ignore la théorie du genre, ni entamer un flirt avec une fille sans craindre qu’elle ne vous accuse de harcèlement. […] Le GPS t’engueule, si tu prends une autre route que celle qu’il t’a indiquée. […] Le besoin d’être conseillé en permanence, assisté en permanence, orienté dans la bonne direction, averti à temps du danger, immunisé contre tout risque, relève de cette incapacité générale de penser et d’agir par soi-même. […] Si je m’examine, j’ai en moi des valeurs sûres, éprouvées, sur lesquelles je peux m’appuyer. Dix-huit ans en Auvergne m’ont donné une armature de fer ; tant pis si je te parais vieux jeu. Je retourne à Sainte-Espèce, non par envie du „terroir“, non par un virage à droite, mais, socialiste impénitent, en jeune homme simple, de bon sens, qui a besoin de marcher sur un terrain stable. (JHS)
Spontaneität ist dir verboten. Man kann keinen Roman mehr schreiben, ohne die Gender-Theorie zu kennen, und man kann kein Mädchen mehr anbaggern, ohne befürchten zu müssen, dass sie einen der Belästigung bezichtigt. […] Das Navi schimpft mit dir, wenn du eine andere Route als die von ihm vorgegebene nimmst. […] Das Bedürfnis, ständig beraten, ständig unterstützt, in die richtige Richtung gelenkt, rechtzeitig vor Gefahren gewarnt und gegen alle Risiken immunisiert zu werden, ist Ausdruck dieser allgemeinen Unfähigkeit, selbstständig zu denken und zu handeln. […] Wenn ich mich selbst betrachte, habe ich in mir sichere, bewährte Werte, auf die ich mich stützen kann. Achtzehn Jahre in der Auvergne haben mir ein eisernes Rückgrat verliehen; schade, wenn ich dir altmodisch erscheine. Ich kehre nach Sainte-Espèce zurück, nicht aus Sehnsucht nach der „Heimat”, nicht im Sinne einer Rechtswende, sondern als unverbesserlicher Sozialist, als einfacher junger Mann mit gesundem Menschenverstand, der es braucht, auf festem Boden zu stehen.
Dieser Auszug aus Arthurs Abschiedsbrief an Stan ist die Schlussfolgerung des Romans und Arthurs endgültige Ablehnung der karikierten Welt. Er identifiziert das Grundübel der Moderne als die „incapacité générale de penser et d’agir par soi-même“ und die übermäßige Regulierung, die jede Spontaneität oder persönliche Wahl unterbindet (Gendertheorie, Harassment-Vorwürfe, GPS-Diktat). Arthur entscheidet sich für den Rückzug in die Auvergne, die er als „terrain stable“ mit „valeurs sûres, éprouvées“ ansieht. Er definiert sich als „jeune homme simple, de bon sens“, der die bürgerlichen Dogmen des Wokisme ablehnt. Im Gegensatz zu Voltaires L’Ingénu, der in der Welt bleiben muss, wählt Arthur das private Glück in der Tradition und findet seinen moralischen Sieg in der Abwendung von der urbanen Korruption.
Arthurs Schluss ist weniger von Tragik als von einer stillen Ablehnung der Moderne geprägt. Nach seiner Desillusionierung durch die Verlagsbranche und die Woke-Kultur beschließt er, Paris zu verlassen. Sein Ziel ist die Rückkehr nach Sainte-Espèce, wo er Sylviane heiraten will, „die so wenig wie er für diese neue Welt geschaffen ist“. Dies ist eine bewusste Entscheidung für die traditionelle Einfachheit und gegen die Komplexität und Heuchelei der Hauptstadt.
Dieser Rückzug kann als Sieg der Integrität über die Konformität interpretiert werden. Arthur lehnt die moderne Diktatur der Trends und Theorien ab, die er als „Ausverkauf“ und „Geschäft“ empfindet, sei es in der Literatur oder in der Moral. Er zieht die „einfache und schöne“ Beziehung mit Sylviane der Suche nach „universeller“ Bedeutung oder sexuellem Abenteuer vor, was Stan ihm als plan-plan (spießig) vorgeworfen hatte. Die Rückkehr zur jansenistisch inspirierten Heimat bestätigt die Überlegenheit der stabilen, regionalen Werte gegenüber dem flüchtigen, moralisch relativistischen Pariser Milieu, wie es Pascal mit seiner These von der „spaßhaften Gerechtigkeit, die ein Fluss begrenzt“ („plaisante justice qu’une rivière borne!“) beschrieb.
Der Schluss von JHS ist ein Rückzug in die Authentizität. Arthur wird als „einfacher junger Mann“ beschrieben. Er gewinnt das private Glück, indem er sich weigert, sich den Regeln der modernen Zivilisation zu beugen. Wo Voltaires Ingénu gezwungen war, in der korrupten Welt zu kämpfen, entscheidet sich Arthur dafür, die ihn abstoßende Gesellschaft zu ignorieren und seine Werte in der Abgeschiedenheit zu bewahren. Beide Werke verwenden die Figur des naiven Außenseiters zur satirischen Kritik an den Machtzentren und den vorherrschenden Préjugés ihrer jeweiligen Epochen. Voltaires Ingénu wird durch das System zerstört und wächst dennoch in seinem Leid, was in einer tragischen Schlussfolgerung einen Imperativ zum philosophischen Widerstand generiert. Fernandez’ Arthur wird durch das moderne System desillusioniert und wählt einen Rückzug in die Einfachheit und traditionelle Moral. Während Voltaire den Kampf in der Gesellschaft fordert, zeigt Fernandez, dass in der hyper-ideologisierten und kommerzialisierten Welt die einzig verbleibende Form der Integrität der bewusste Rückzug aus ihr sein mag. Arthur wird somit zur modernen Antithese Voltaires, indem er die aufgeklärte Zivilisation zugunsten der einfachen, unverbildeten Existenz ablehnt.
Die Heimkehr Arthurs ist vor allem eine ironische Volte und ein philosophisches Statement des Autors gegen den neuen Pariser Konformismus und die sogenannte Doxa. Arthur, der anfangs als Voltaires „L’ingénu“ in die Hauptstadt kam, um ihre Sitten zu studieren, beschließt, sich der übermäßigen Unterwerfung unter die vorherrschende Meinung („soumission exagérée à l’opinion dominante“) zu entziehen. Er flieht vor dem „allgemeinen Klima“ der „schwankenden Sitten“ (mœurs flottantes) und dem „Verrat der alten Werte“. Er entscheidet sich für die Rückkehr zu dem, was er als festen Boden betrachtet: die traditionellen Überzeugungen seiner Heimat, wie die Überzeugung: „un homme est un homme, une femme est une femme“. Diese scheinbar rückwärtsgewandte Entscheidung ist die ultimative antikulturelle Geste gegen die Ideologie der théorie du genre, des Wokisme und der Cancel Culture, welche er als heuchlerisch und ideologisch auferlegt empfindet.
Für die Figur selbst stellt das Ende jedoch ein deutliches Scheitern auf mehreren Ebenen dar, was Arthur in seinem Abschiedsbrief detailliert zusammenfasst. Erstens scheitert er in seinen literarischen Ambitionen, da sein Manuskript (La Morte-Saison) abgelehnt wird, weil sein Stil zu gut geschrieben ist – eine Qualität, die als „antipathique“ und „préjudiciable à la vente“ (nicht verkaufsfördernd) beurteilt wird, da sie dem Wunsch des Lesers nach Einfachheit und banalen Formeln widerspricht. Zweitens scheitert er in seinem Ideal, eine Partnerin zu finden („une Iseut, une Laure, une Clélia“), da die modernen Pariserinnen entweder materialistisch (Vanessa) oder zu ideologisch radikal (Chloé) sind, und er feststellt, dass die Liebe im Jahr 2022 nicht seinen traditionellen Vorstellungen entspricht. Er sucht nach dem spießigen Ideal einer Bourgeoisie, das in der modernen Metropole nicht mehr existiert.
Die Rückkehr zur Jugendfreundin Sylviane ist die ultimative ironische Volte, die das Scheitern in eine moralische Tugend verkehrt. Arthur wählt bewusst die unbeholfene, „altmodische“ („démodée“) Sylviane, deren Aufrichtigkeit („la droiture même“) in der Hauptstadt deplatziert wirkte. Er gesteht, dass er sich von der dominanten Meinung hat beeinflussen lassen, ihre Unschuld („candeur“) und ihren „ruban rose“ abfällig zu beurteilen, doch ihre Integrität macht sie schließlich attraktiver als die zynische Pariser Schickeria. Stan fasst dieses ironische Happy End zynisch zusammen: „C’est vraiment, comme il se définit lui-même, un jeune homme simple. De ceux dont on dit: ‘Ils se marièrent et eurent beaucoup d’enfants.’“ Die Annahme dieses konventionellen Schicksals provoziert eine intellektuelle Elite, die glaubt, diese einfache Existenz überwunden zu haben.
Die Satire in JHS ist primär darauf ausgerichtet, die Absurdität und Heuchelei der zeitgenössischen Pariser Eliten und des kulturellen Establishments offenzulegen, ähnlich wie Voltaire die Ungerechtigkeit und den Fanatismus des Ancien Régime kritisierte. Arthurs „natürliche“ Welt ist nicht die eines „bon sauvage“ im Rousseau’schen Sinne (was Voltaire kritisch sah), sondern die einer spezifischen, traditionalistischen, jansenistisch geprägten Auvergne. Arthur wählt am Ende den Rückzug in diese Heimat, um Sylviane zu heiraten und die Moderne abzulehnen. Diese Verherrlichung regionaler und religiös untermauerter konservativer Werte und die Ablehnung urbaner Vielfalt und moderner Freiheiten (LGBTQIA+, Feminismus) kann als ein reaktionärer Impuls interpretiert werden. Er befürwortet eine Art kulturellen Isolationismus und eine Ablehnung der Aufklärungsideale des Fortschritts durch Zivilisation, die Voltaire verteidigte.
Die Haltung zur sozialen Außenseiterrolle in Fernandez früheren Texten, die zur Furcht vor bürgerlicher Assimilation führte, legt nahe, dass die Satire in JHS nicht nur ein ästhetisches Statement ist, sondern die historische Angst des Autors vor der Entpolitisierung und Existenzialverarmung der homosexuellen Identität widerspiegelt, sobald der soziale Druck und die Notwendigkeit des Kampfes („la lutte“) verschwinden. Die Ablehnung der Anpassung bei Stan ist daher die logische Konsequenz der idealen „Paria-Ehre“ aus Fernandez‘ früherem Denken. Fernandez‘ Schreiben gegen bürgerliche Konformität und seine Verteidigung der Homosexualität als politische, intellektuelle und existenzielle Haltung der Nonkonformität lässt deshalb zögern, was das neue Buch zeigen will: Ist Arthurs Rückkehr gesteigerte Provokation oder eine neokonservative Regression im Alter?
Fernandez nutzt das satirische Instrument von Voltaire – die Naivität als legitimer Offenbarer der Bizarrie –, um seine Kritik zu legitimieren. Bei Voltaire wurde die „natürliche Vernunft“ des Huronen genutzt, um religiöse Dogmen (Taufe, Beschneidung) und höfische Bürokratie zu attackieren. Voltaire, ein Verteidiger der Zivilisation und des Fortschritts, nutzte die Satire, um eine aufgeklärte, liberale politische Haltung zu fördern, die zur Toleranz aufruft.
Fernandez hingegen benutzt Arthur, um eine Verteidigung der traditionellen kulturellen Werte und des individuellen gesunden Menschenverstands gegen eine hyper-ideologisierte, kommerzialisierte und über-regulierende moderne Gesellschaft zu führen. Die Satire kann als ein Versuch interpretiert werden, die Werkzeuge der Aufklärung zu verwenden, um eine Kritik zu üben, deren zugrunde liegende Werte in vielen Aspekten der modernen Auffassung nach als konservativ oder gar reaktionär gelten könnten. Arthur lehnt die neue Welt „nicht durch einen Virage à droite“ ab, sondern als „ein einfacher junger Mann, von gesundem Menschenverstand, der auf stabilem Terrain gehen muss“. Ob die Satire letztlich in ihrem Ausgang aufklärerisch oder traditionalistisch ist, hängt von der Perspektive ab, aber sie ist unzweifelhaft eine radikale satirische Anklage des kulturellen und intellektuellen Status quo in Paris, die die klassischen Waffen der Vernunft und der Naivität (das „Ignorieren des Vorurteils“) gegen die modernen „Vorurteile“ der Zeitstimmung richtet.