Verheißung und Entfremdung des Fastfood

„En salle“ ist der Bereich, in dem niemand aus dem Team arbeiten möchte. Es ist der Essensbereich der Systemgastronomie – und der Titel des ersten Romans von Claire Baglin, geboren 1998. Die zwei Teile des Textes gehören auf desillusionierende Weise zusammen: Verheißung und Entfremdung, die Kindheit als Tochter eines Arbeiter-Vaters und die Jahre in einer Restaurantkette.

Ukraineroman zwischen Europa und Putin

„Donbass“ (2020) ist ein roman noir über die gleichnamige ostukrainische Kriegsregion, wo sich pro-russische Separatisten seit 2014 gegen die neue Macht in Kiew wendeten. – Im neuesten Roman „Les loups“ von 2022 zeigt uns Benoît Vitkine die Ukraine der Oligarchen, einige Monate vor der Maidan-Revolution und der Einsetzung einer pro-europäischen Regierung.

Zur Gattung des Präsidialromans

Eine beiderseitige Verquickung gilt es zu untersuchen zwischen politischer Macht und kulturell-ästhetischer, hier fiktionaler Repräsentation in Form von Dichterlob, Mäzenatentum, copinage oder eben eines französischen Präsidialromans der letzten Amtszeiten und bereits für 2027 (in Houellebecqs neuestem Roman „Anéantir“).

Niemandem den Krieg erklärt

Vuillard traut sich an die tabuisierte Darstellung „einer der größten militärischen Niederlagen Frankreichs, von den in der Senke von Điện Biên Phủ eingeschlossenen Truppen, vom Zusammenbruch einer Strategie, vom Chaos, vom Schrecken der Soldaten […].“ Dieses nationale Trauma incl. seiner Vorbereitung wie auch der Konsequenzen ist ein Erzählzentrum des Buchs.

Autofiktion im Irrealis

Constance Debrés „Nom“ formuliert ein politisches Programm, die radikale Moderne einer Welt ohne Abstammung, Familiennamen, ohne Kindheit und elterliche Autorität, ohne Erbschaft, Vermögen oder Staatsangehörigkeit.

Hippies in Marokko

Die aus Marokko stammende Goncourt-Preisträgerin von 2016, Leïla Slimani, legt 2022 mit Regardez-nous danser den zweiten Band ihrer Trilogie „Le pays des autres“ vor, die nach Abschluss Marokkos Geschichte von 1945 bis 2015 behandeln wird.

Musik-Fiktionen: Kerangal mit Pinget, Garcia und Reza

Maylis de Kerangals „Canoës“ bündelt einige der Dimensionen musikalischer Bezüge bei Pinget, Garcia und Reza, zum einen die semiotisch-formale Strukturierung und Arbeit der intertextuellen Bezüge, dann aber auch die tiefe Verbindung von Musikalität und Körperlichkeit, eigener Identität und musikalischer Erlebnisdimensionen. Resonanz meint, wenn ein Körper mit einem anderen mitschwingt oder mittönt, etwa bei den Bordunsaiten von Lauten.

Ende der Welt, Klimafiktion, Götterdämmerung

Reverdys „Climax“ führt im Norden Norwegens zerstörte Natur bei einem Fischerdorf vor, mit sterbenden Bären und Fischen, schmelzenden Gletschern und einem Unfall auf der Ölplattform. Wie in der nordischen Legende findet ein Kampf zweier Prinzipien statt. Das Ende der Welt wird in dem so düsteren wie schönen dystopischen Roman eingeläutet.

Afrika, Europa und der dritte Kontinent

Der senegalesische Autor Mohamed Mbougar Sarr legt mit seinem fünften Buch einen weiteren Baustein seiner politischen Literatur vor, neben Themen bisheriger Bücher wie Migration nach Sizilien (Silence du chœur), Homosexualität im Senegal (De purs hommes), Dschihadismus in der Sahelzone (Terre ceinte) tritt nun mit „La plus secrète mémoire des hommes“ die Literatur selbst in seinen Fokus.

Maske, Porträt, vergrößert, unscharf

Célia Houdart liefert ein gegenseitiges Doppelporträt zweier Fotografen, die das Buch „Journée particulière“ motivieren. Houdart reflektiert die ästhetischen Zugänge zur Welt, die mit der Fotografie möglich geworden sind. Ein flüchtiger Blick, der den kurzen Szenen ihres Schreibens entsprechen mag.

Erinnerungsblitze – und Vergessen: Proust und Modiano

Patrick Modiano zu lesen, wie ein Werk, in der Zeit strukturiert und sich erneut der Erinnerung und dem Verschwinden stellend, das lässt ihn als „ein Marcel Proust unserer Zeit“ erscheinen, in der Formulierung des Ständigen Sekretärs der Schwedischen Akademie, Peter Englund.

Kulturelle Aneignung als Tragikomödie der Generationen

Der frisch pensionierte Geschichtsprofessor mit Hang zum Alkohol, geschieden, ist der Protagonist von Abel Quentins zweitem Roman, „Le Voyant d’Étampes“, den die konservative Presse wie der Figaro und Valeurs actuelles bereits als Menetekel der Cancel Culture feiert – Quentin persifliert die medialen Reaktionen auf Jean Roscoffs Buch und nimmt damit auch die Debatte um seinen eigenen Roman vorweg.