Inhalt
Die vorliegende Studie Die verletzte Republik: erzählte Gewalt im Frankreich des 21. Jahrhunderts (Mimesis 101, Berlin: De Gruyter Brill, 2022) widmet sich einer hochaktuellen und gesellschaftlich drängenden Thematik: der Darstellung und Reflexion von Gewalt in der französischen Gegenwartsliteratur. Der Autor, Markus Alexander Lenz, bietet eine tiefgehende Analyse aktueller Erzähltexte, die größtenteils in der zweiten Dekade des 21. Jahrhunderts erschienen sind. Die Arbeit ist von besonderer Relevanz, da sie einen komplementären Blick auf das Phänomen der Gewalt in Frankreich eröffnet, der über rein soziologische und historische Ansätze hinausgeht und die einzigartigen Erkenntnismöglichkeiten der Literatur in den Vordergrund rückt. Angesichts der zahlreichen Krisen, die Frankreich in den 2010er Jahren erlebte und die Demokratie sowie das Zusammenleben der Kulturen, Religionen und Ethnien herausforderten, erweist sich die Untersuchung der literarischen Auseinandersetzung mit Gewalt als ein essenzieller Beitrag zum Verständnis spätmoderner gesellschaftlicher Konfliktzonen.
Das Korpus der Untersuchung umfasst vielrezipierte narrative Texte des französischen Literaturfeldes, die ein breites Spektrum von Gewaltformen abbilden: von der Erinnerung an historische Gewalttraumata des 20. Jahrhunderts über Terrorismus des 21. Jahrhunderts, Rassismus und Klassismus der Gegenwart bis hin zu Gewalt gegen Frauen, Femizid, Homophobie, sowie die prekäre Lage von ‚Abgehängten‘ in ländlichen Gebieten und urbanen Zentren, Arbeitslosigkeit und Armut. Die Auswahl dieser Texte, die alle über Frankreich schreiben, erfolgte strategisch nach Kriterien der Sichtbarkeit und des hohen kulturellen und symbolischen Kapitals im literarischen Feld, um ihre Relevanz für den gesamtgesellschaftlichen Diskurs über Gewalt zu gewährleisten.
Fünf Thesen zum Ertrag für die französische Literaturwissenschaft
Aus dem umfassenden Zugang des Buches ergeben sich aus meiner Sicht einige Thesen, die den spezifischen Beitrag der französischen Literaturwissenschaft zur Gewaltforschung hervorheben:
Literatur als essenzielle komplementäre Wissensform zur soziologischen und historischen Gewaltforschung.
Die Studie postuliert, dass die Komplexität von Sprache und erzählten gesellschaftlichen Welten in Romanen, Essays und autofiktionalen Texten eine herausragende Modellierung und experimentelles Suchen nach Formen, Ursachen und Wirkungsweisen von Gewaltzusammenhängen ermöglicht. Das Ziel ist nicht, die Literaturwissenschaft gegen die Soziologie zu positionieren, sondern eine komplementäre Perspektive zur Untersuchung erzählender Literatur zu eröffnen. Literatur vermag den Mikrokosmos des individuellen Bewusstseins mit der Lebenswelt, symbolisch-kulturellen Normen und historischen Narrativen zu verbinden und bietet durch ihre sprachliche und semantische Flexibilität, Polysemie und Ambivalenz einen differenzierenden, oft herrschafts- und sprachkritischen Beitrag. Sie kann „dichte Beschreibung“ jener „Figurationen und Verflechtungszusammenhänge“ der Gewalt leisten, die über rein empirische Ansätze hinausgehen.
Die ’nationale Ausnahme‘ Frankreichs als prägender Referenzrahmen für die literarische Auseinandersetzung mit Gewalt
Die Arbeit argumentiert überzeugend, warum eine Fokussierung auf das ‚Nationale‘ für die Analyse der erzählten Gewalt in Frankreich unerlässlich ist. In Frankreich wird dem Wort von Schriftstellerinnen, Schriftstellern und Intellektuellen sowie dem gedruckten Wort überhaupt ein hoher Stellenwert bei gesellschaftlichen Debatten zugestanden. Die Literatur spiegelt in ihren diegetischen Ebenen und Motivkonstellationen oft einen historisch gewachsenen identitätspolitischen Diskurs wider. Das Buch zeigt, wie die literarischen Narrative die Debatte um das unerfüllte Versprechen republikanischer und universell konzipierter Ideale des Zusammenlebens prägen, die tief in der Geschichte der kolonialen Ausbeutung und der Konsolidierung der Republik verwurzelt sind. Dies prägt auch das Erbe des aufklärerischen Universalismus, der in der Literatur infrage gestellt wird, aber immer noch als ersehnte Ideale harmonischer Konvivenz diskutiert werden muss.
Die Literatur als Medium der ‚Sichtbarmachung‘ von (un-)sichtbarer Gewalt und ihrer gesellschaftlichen Verankerung
Ein zentraler Ertrag der Studie ist die Betonung der Fähigkeit der Literatur, Gewaltformen sichtbar zu machen, die „unter der Oberfläche“ des medialen und öffentlichen Diskurses liegen. Dies umfasst strukturelle Gewalt wie ökonomische Prekarität, Arbeitslosigkeit, Ausgrenzung sowie rigide Gendernormierungen, Rassismus, Klassismus und Homophobie. Literatur kann als „seismographische Kulturtechnik“ nicht nur das Lokale erfassen, ohne das Allgemeine zu vernachlässigen, sondern auch „tieferer Gründe für gesellschaftliche wie politische Verwerfungen“ sichtbar machen. Sie „verleiht Opfern dieser Gewalt eine Stimme“ und dient als Spiegel und Brennglas der Kritik an Pauschalisierungsnormen von Gewalt durch Politik und Medien.
Die Ambivalenz der Gewalt in der französischen Gegenwartsliteratur – zwischen ästhetischem Experiment und politischem Impetus
Die analysierten Texte zeigen, dass Gewalt niemals Selbstzweck ist. Stattdessen wird die Komplexität und politische Relevanz der erzählten Gewaltformen durch ihre diegetisch-funktionale Einbettung in gesellschaftliche Sinnzusammenhänge hervorgehoben. Es gibt Übergänge zwischen Gewalt als Thema und als ästhetische Eigenschaft der Sprache selbst. Die Literatur reflektiert eine ambivalente Einstellung zur Gewalt, die tief in der französischen Kultur- und Philosophiegeschichte verankert ist. Durch ihren „pointierten, kreativen und wandelbaren Umgang mit normiertem Sprechen und Schreiben“ ist sie „imstande, eine Politik demokratisierender Sichtbarmachung und lebensweltlicher Intensivierung gesellschaftlicher Zusammenhänge“ umzusetzen. Diese „Politik des Erzählens von Gewalt als symbolischem Akt sowie des Erzählens selbst als bewusst eingesetzter symbolischer Gewalt“ wirkt als Gegenposition zu pessimistischen Determinismen.
Der Wandel der Ich-Perspektive: Die komplexe Inszenierung des Subjekts im Umgang mit Gewalt
Die Studie beleuchtet, wie die französische Gegenwartsliteratur die Auseinandersetzung mit Gewalt oft durch eine komplexe Inszenierung des individuellen Subjekts vollzieht. Besonders in autobiographischen und autofiktionalen Texten werden die Bedrohung und Fragilität des Körpers und der Psyche als „Voraussetzungen individuellen Lebens und Erlebens“ in den Fokus gerückt. Hier zeigt sich eine Verschiebung von der kollektiven Erinnerungskultur zu einer stärker individualisierten Perspektive. Gleichwohl warnt die Studie vor den Fallstricken einer „verdeckten monologischen“ Sprechweise in der Autofiktion, die durch die enge Verknüpfung von Erzählstimme und extratextuellen Autoren die Ambiguität literarischer Aussagen beeinträchtigen kann. Dennoch wird hervorgehoben, dass die Literatur durch diese personalisierte Herangehensweise „komplementär zur soziologischen Täter- und Opferforschung zum Gewaltdiskurs beitragen“ kann.
Die analytischen Kapitel zu Einzelwerken
Die Studie ist in drei Hauptkapitel unterteilt, die unterschiedliche Zugänge zur erzählten Gewalt in Frankreich beleuchten.
Kapitel 3: Frankreichs ‚große‘ Kriege: Literarisches Erinnern, Deuten und Vergessen historischer Gewalt
Dieses Kapitel befasst sich mit der literarischen Aufarbeitung historischer, kollektiv geteilter Konflikte des 20. Jahrhunderts, die das kulturelle Gedächtnis der Nation prägen.
Pierre Lemaitres Au revoir là-haut (2013) wird als gesellschaftssatirische Auseinandersetzung mit der unmittelbaren Nachkriegszeit des Ersten Weltkriegs analysiert. Der Roman hinterfragt die offizielle Erinnerungskultur und die „Brutalität der französischen Nachkriegsgesellschaft“, die sich aus Werten wie Status und Profit speist und die Solidarität der Frontsoldaten verrät. Lemaitres Verwendung realistischer Techniken mit satirischer Färbung ist eine bewusste Anlehnung an den klassischen Realismus des 19. Jahrhunderts.
Alexis Jennis L’Art français de la guerre (2011) thematisiert die schmerzhafte Erinnerung an französische Kriegs- und Kolonialgeschichte des 20. Jahrhunderts. Der Roman, der eine „Suchbewegung nach dem nationalen ‚Wir'“ im Kontext militärischer und kolonialer Triumphe vollzieht, dekonstruiert die Idee eines zivilisatorisch überlegenen Universalismus. Er zeigt, wie „Sprache als Leerform zu einem fatalen Repräsentationsregime kollektiv weitergetragener Machtstrukturen und Hierarchiebeziehungen“ beitragen kann.
Josef Andras’ De nos frères blessés (2016), dessen Autor den ihm verliehenen Prix Goncourt du premier roman ablehnte, wird als engagierte Literatur mit explizitem ethischen Anliegen qualifiziert. Der Roman klagt „kolonialistische Narrative einer Gesellschaft, ihrer Politik und ihrer Medien während der Periode des Algerienkriegs“ an und verleiht dem Fall des unschuldig zum Tode verurteilten Fernand Iveton literarische Substanz. Seine Ablehnung des Preises war ein Statement für die „Unabhängigkeit des Schreibens“ und die „Ideale, die von den Charakteren getragen werden“, gegen die Institutionalisierung des literarischen Feldes.
Kapitel 4: Unter der Oberfläche, abseits des Zentrums: Körper, Milieu, Klasse oder die Gewalt erzählter sozialer Gegenwart in Frankreich
Dieses Kapitel konzentriert sich auf die weniger sichtbaren, „unter der Oberfläche“ wirkenden Gewaltformen der jüngeren Vergangenheit und Gegenwart.
Édouard Louis’ Histoire de la violence (2016) analysiert sexuelle und milieubezogene Diskriminierung und Ausgrenzung, indem er das individuelle Erleben mit systemischer Gewalt verbindet. Louis‘ Schreibweise wird als „konfrontativ“ beschrieben, die Leserinnen und Leser zu einer politischen Haltung auffordert. Die Studie diskutiert hierbei auch die Ambivalenzen und Gefahren des autofiktionalen Schreibens, insbesondere die Möglichkeit einer monologischen, perspektivisch verzerrten Interpretation, wenn die Erzählstimme über den extratextuellen Autor oder die Autorin dominiert.
Nicolas Mathieus Leurs enfants après eux (2018) liefert ein Panorama der strukturschwachen Moselregion der 1990er Jahre. Der Roman modelliert subtile Formen struktureller, systemischer und räumlicher Exklusion, die junge Menschen und die Elterngeneration betreffen. Durch die Vielstimmigkeit und gleichberechtigte Repräsentation verschiedener Milieus und Soziolekte vermeidet Mathieu eine monologische Perspektivierung. Der Roman thematisiert die Auswirkungen der ökonomischen Asymmetrie und der fehlenden sozialen Mobilität in ländlichen Regionen Frankreichs.
Ivan Jablonkas Laëtitia, ou la fin des hommes (2016) ist ein Grenztext zwischen journalistischer Dokumentation, Erzählung und essayistischer Reflexion, der einen realen Mordfall aufarbeitet. Jablonka rekonstruiert die „Genealogien misogyner Gewalt“, indem er die konkreten gesellschaftlichen Ermöglichungsbedingungen struktureller und physischer Gewalt beleuchtet. Die Studie betont Jablonkas klare politische Positionierung und seine Absicht, durch seine „Anklage“ und das Sichtbarmachen der Tragik des Opfers über die reine Faktenebene hinauszugehen.
Kapitel 5: Kritik oder Provokation? Erzählte Gewalt als Politiken der Literatur
Dieses abschließende analytische Kapitel beleuchtet literarische Texte, die als symbolische Handlungen oder „Gegengewalt“ gegen dominante Diskurse fungieren.
Shumona Sinhas Assommons les pauvres! (2011) wird als literarisches Statement über Migration und Integration analysiert, das auf Baudelaires Prosagedicht rekurriert. Der Roman thematisiert die „Dysfunktionalität des Asylsystems“ und die „Gewalt der Lüge“ in der Kommunikation. Sinhas eigene Entlassung als Dolmetscherin nach der Veröffentlichung des Buches verdeutlicht die „Wirkkraft literarisch modellierter Gesellschaft in weiteren Diskursräumen“.
Philippe Lançons Le Lambeau (2018) ist ein essayistischer Text über den Terroranschlag auf Charlie Hebdo aus der Opferperspektive. Lançon räumt der „erkenntnistheoretischen Funktion von Literatur“ einen höheren Stellenwert ein als wissenschaftlichen Analysen, um die traumatische Erfahrung zu erfassen. Er nutzt ein „vielstimmigen, zeitnahen Diskurs über Lebenswelt und Subjektivität“ und zahlreiche intertextuelle Referenzen, um seine Erfahrung zu reflektieren und als „Politik des Schreibens“ und „symbolische Gegen-Gewalt“ zu fungieren.
Mahir Guvens Grand frère (2017) untersucht die Radikalisierung zum fundamentalistischen Islamismus anhand der Lebenswege zweier Brüder mit Migrationshintergrund. Der Roman zeigt, wie systemische und strukturelle Exklusion und mangelnde Partizipationsmöglichkeiten zu resignativem Widerstand oder gewalttätigem Handeln führen können. Guven beleuchtet die Problematik der „intergenerationalen Ausgrenzung“ und die Suche nach Werten in einer Welt des Scheiterns des aufklärerischen Universalismus.
Virginie Despentes’ Vernon Subutex-Trilogie (2015–2017) wird als „politische Gesellschafts-Fiktion“ analysiert, die Symptome dysfunktionalen Zusammenlebens aufdrastische Weise beleuchtet. Die Romane verbinden verbale Gewalt, Tiraden und direkte Gewaltdarstellungen mit komplexeren strukturellen und symbolischen Gewaltzusammenhängen wie ökonomischer Ungleichheit, Sexismus und Rassismus. Despentes‘ Texte formulieren eine „radikale“ Gestaltungsmöglichkeit einer freien, diversen und solidarischen Gesellschaft, die „gegen die Dominanz männlich-weißer ökonomischer wie kultureller Heteronormativität“ gerichtet ist.
Fazit und Ausblick
Die vorliegende Studie zeichnet sich durch eine Vielzahl von Stärken aus. Hervorzuheben ist die umfassende theoretische Fundierung, die literatursoziologische Theorie, Feldtheorie (Pierre Bourdieu) und Erzähltheorie miteinander verbindet. Die interdisziplinäre Ausrichtung ermöglicht einen gewinnbringenden Dialog mit soziologischer und historischer Gewaltforschung, wodurch Literatur nicht als Ersatz, sondern als komplementäre Wissensform positioniert wird. Die tiefgehenden Textanalysen der ausgewählten Werke sind detailliert und präzise, beleuchten Motivstrukturen, Figurenkonstellationen, Stilistik und narrative Verfahren aufschlussreich. Besonders hervorzuheben ist das konsequente Ziel der „Sichtbarmachung“ weniger offensichtlicher Gewaltformen, indem die Literatur dazu beiträgt, Opfern eine Stimme zu geben und gesellschaftliche Verwerfungen aufzuzeigen. Der Autor vermeidet dabei essentialistische oder simplifizierende Deutungen von Gewalt und betont deren Komplexität und Prozessualität.
Kleinere Schwächen der Studie ergeben sich teilweise aus der Natur eines solchen Forschungsvorhabens. Die pragmatische Eingrenzung auf Texte, die in und über das europäische Frankreich schreiben und größtenteils in der zweiten Dekade des 21. Jahrhunderts erschienen sind, wird vom Autor selbst als Forschungsdesiderat für zukünftige transnationale und transareale Projekte benannt. Obwohl dies methodisch stringent begründet ist, bleibt der Blick auf die breitere frankophone Literatur und ihre Bedeutung für ein umfassendes Bild Frankreichs damit eingeschränkt. Die Studie hebt zudem die potenziellen Fallstricke des autofiktionalen Schreibens hervor, insbesondere die Gefahr einer monologischen Erzählweise, die – obwohl im Text selbst kritisch reflektiert – eine differenzierte Diskussion erschweren kann, indem sie die Wahrheitsperspektive des Opfers absolut setzt und andere Stimmen unterrepräsentiert. Dies ist jedoch eher eine kritische Beobachtung des untersuchten Genres als eine inhärente Schwäche der Analyse selbst.
Die Studie schließt mit dem Plädoyer für ein „Wissen der Literatur“ als kritisches und notwendiges Wissen für einen freien und dynamischen Gesellschaftsdiskurs. Sie bietet zahlreiche Anknüpfungspunkte für weiterführende Forschungen.
Erweiterung des Korpus: Eine offensichtliche Anschlussforschung wäre die Ausweitung der Untersuchung auf nicht-frankophone Literaturen, die sich mit Frankreich befassen, sowie auf frankophone Literaturen außerhalb des europäischen Frankreichs (z.B. aus den Überseegebieten oder anderen frankophonen Gebieten der Welt). Dies würde zu einem globalen frankophonen Maßstab führen und weitere ‚exzentrische‘ Perspektivierungen hinzufügen.
Die literarisch modellierten Gewaltphänomene könnten mit Befunden u.a. aus der Soziologie abgeglichen werden, um die Korrespondenz zwischen literarisch dargestelltem und beobachtetem Gewaltempfinden zu untersuchen. Dies würde eine tiefere Auseinandersetzung mit der „Sichtbarkeit“ von Gewalt in der Gesellschaft ermöglichen.
Die „Gewalt der Literatur“ im Detail: Der Aspekt der Literatur als eigener Form symbolischer und sprachlicher Gewalt könnte in zukünftigen Projekten noch stärker vertieft werden, indem untersucht wird, wie Texte Diskurse über Gewalt formen und beeinflussen.
Analyse institutioneller Konsekrationsmechanismen: Eine detailliertere Untersuchung der Entscheidungsfindungsprozesse literarischer Preisjurys wäre wünschenswert, um die Asymmetrien und Machtstrukturen im literarischen Feld transparenter zu machen. Dies könnte aufzeigen, inwiefern bestimmte Gewalt-Narrative durch institutionelle Anerkennung bevorzugt werden oder welche Perspektiven marginalisiert bleiben.
Prospektiv-ethische Dimension: Eine vertiefte Untersuchung der prospektiv-ethischen Dimension der analysierten Texte, d.h. inwiefern sie Möglichkeiten zu einem „bewussteren Zusammenleben“ und „Eindämmung von Gewalthandeln“ aufzeigen, würde den praktischen Beitrag der Literatur weiter beleuchten.
Insgesamt ist die Studie ein wertvoller und facettenreicher Beitrag zur Literaturwissenschaft und Gewaltforschung, der nicht nur das Verständnis der französischen Gegenwartsliteratur vertieft, sondern auch neue Impulse für interdisziplinäre Forschungsansätze liefert. Sie bestätigt die überzeitliche Relevanz der Literatur als kritische Instanz gesellschaftlicher Selbstreflexion und als „Ort einer kritischen Diskussion des Gewaltphänomens“.