Was wirklich neu war in Literatur, Malerei und Musik: Jacques Rivière

Anlässlich seines hundertsten Todestages wird Jacques Rivière in die Sammlung Bouquins aufgenommen, mit einem Band, der sein Werk als Schriftsteller, Kritiker und Essayist beleuchtet, herausgegeben von Robert Kopp in Zusammenarbeit mit Ariane Charton, mit Vorwort von Jean-Yves Tadié. Jacques Rivière (1886–1925), oft als ein „Kritiker von Genie“ beschrieben, der „durch andere lebte“, war eine zentrale Figur der französischen Literatur seiner Zeit. Gide sagte über ihn, dass er durch andere lebte. Proust und Artaud hat er besprochen, und Debussy wie Strawinsky. Als treibende Kraft der La Nouvelle Revue française (NRF) und Beobachter der literarischen, künstlerischen und musikalischen Avantgarden des 20. Jahrhunderts, prägte Rivière die intellektuelle Landschaft maßgeblich mit. Seine Auseinandersetzung mit Arthur Rimbaud und sein Werk „Introduction à une métaphysique du rêve“ sind dabei exemplarisch für Rivières Herangehensweise: eine Mischung aus tiefer Faszination, rigoroser Analyse und einer ständigen Suche nach dem eigenen Selbst durch die Werke anderer. Er starb im Alter von 38 Jahren und hatte kaum Zeit, seine Werke zusammenzustellen. Tausende von Seiten, die er an Zeitschriften – hauptsächlich La NRF – geliefert hatte, bilden einen ganzen Kontinent, der hundert Jahre nach dem Tod des Autors noch unerforscht war. Dies ist nun mit dem vorliegenden Band geschehen, der eine Auswahl von Artikeln zu Literatur, Malerei, Musik und Politik sowie seinen eigene Literatur enthält.

Rivières Rolle im Kontext der Nouvelle Revue française

Rivière war von 1911 bis 1914 Sekretär der NRF und nach seiner Kriegsgefangenschaft und Demobilisierung von 1919 bis zu seinem frühen Tod 1925 deren Direktor. Er galt als die „eigentliche Triebfeder“ (cheville ouvrière) der Zeitschrift und formte ihren modernen, anspruchsvollen Charakter entscheidend mit. Seine Aufgabe sah er darin, die NRF nach dem Ersten Weltkrieg wieder der Literatur und den Künsten zuzuführen, diese als universell zu begreifen und nicht national zu vereinnahmen.

Rivière hatte die Gabe, „das, was wirklich neu war in Literatur, Malerei und Musik“ zu erkennen und zu fördern. Er wusste zu unterscheiden zwischen dem, was „Zukunft hatte, und dem, was nur eitles Gestikulieren war“. Die NRF positionierte sich gegen den Symbolismus und strebte eine Erneuerung objektiver literarischer Formen wie Roman und Theater an. Rivière selbst suchte nach neuen Werten in Literatur, Malerei und Musik. Er war offen für Neues, respektierte aber gleichzeitig die Tradition. Ein zentrales Anliegen Rivières war die Autonomie der Kunst von politischen oder moralischen Zwecken. Er betonte die Notwendigkeit, Literatur und Politik klar zu trennen.

Rivière war nicht nur Kritiker, sondern auch ein engagierter Herausgeber, der sich um die Veröffentlichung und Verbreitung wichtiger Werke kümmerte. Er unterstützte Autoren wie Marcel Proust intensiv, indem er Manuskripte prüfte, Korrekturen vornahm und sich für die Verbreitung ihrer Werke einsetzte, auch wenn dies mit erheblichen Anstrengungen und Konflikten verbunden war. Er glaubte fest an das Potenzial von Autoren wie Antonin Artaud und gab ihnen eine Plattform, ihre Schwierigkeiten beim Schreiben als „Poetik der Schöpfung“ zu veröffentlichen.

Jacques Rivières Beitrag zur französischen Literatur und Literaturkritik

Rivière war ein „Kritiker von Genie“, dessen Besonderheit darin lag, dass er sich „vollkommen an jeden Künstler anpassen“ konnte. Er sah sich als jemand, der „nichts zu tun hat, als zu verstehen“ und sich „leer jeder Invasion“ anbot, um dann den anderen zu durchdringen und sich wieder von ihm zu lösen. Seine Kritik war nicht nur über Literatur, sondern war selbst Literatur, geprägt von einer „leidenschaftlichen Hellsichtigkeit“ und dem Wunsch, „andere Bewusstseine durch Empfindungen und Worte wiederzufinden“. Für Rivière war die Kritik ein Weg zur Selbsterkenntnis. Er nutzte die Auseinandersetzung mit anderen, um sich selbst zu verstehen und „Wahrheiten“ zu entdecken. Seine Texte sind somit auch „Selbstporträts von Jacques Rivière“.

Rivière diagnostizierte eine „Krise des Romans“ und forderte einen neuen „Abenteuerroman“. Er plädierte für eine Abkehr vom psychologischen Analyseroman und eine Hinwendung zu Werken, die „Raum und Zukunft“ erschließen. Er sah den Symbolismus als überholt an und drängte darauf, objektivere Formen des Romans und Theaters wiederzubeleben. Rivière war ein Vorreiter in der Anerkennung neuer literarischer Strömungen. Er sah bereits in den frühen Stadien des Dadaismus die Vorzeichen des Surrealismus, insbesondere die Methode des automatischen Schreibens.

Rivières eigener Stil war geprägt von lyrischer Sprache und der Fähigkeit, philosophische Reflexion mit imaginativer Dichtung zu verbinden. Er konzentrierte sich oft auf die „Formel“ und die Kondensation von Gedanken, wobei er oft Metaphern und Bilder nutzte, um tiefere Bedeutungen anzudeuten. Jacques Rivières Auseinandersetzung mit Rimbaud und seine „Introduction à une métaphysique du rêve“ sind beispielhaft für die Arbeitsweise eines Kritikers, der durch seine Bereitschaft, sich von anderen beeinflussen zu lassen, zu neuen Erkenntnissen gelangte. Der Band Critique et création ist dabei ein entscheidender Schritt, Rivières umfassendes und wegweisendes Werk der Öffentlichkeit zugänglich zu machen und seine Bedeutung für die französische Literatur und Kritik des 20. Jahrhunderts neu zu festigen.

Rivière und Rimbaud

Jacques Rivières Auseinandersetzung mit Arthur Rimbaud und sein Text „Introduction à une métaphysique du rêve“ sind zentrale Aspekte seines kritischen und kreativen Schaffens, die seine intellektuelle Entwicklung und seine Haltung zur Literatur beleuchten. Rivière fand in Rimbaud sowohl eine Quelle tiefer Faszination als auch intellektueller Qual:

Faszination und intellektuelle Auseinandersetzung

Jacques Rivière empfand gegenüber Arthur Rimbaud eine intensive Faszination, die jedoch von einem gewissen Unverständnis begleitet war. Er beschrieb, wie Rimbaud beim Schreiben seiner Halluzinationen „sublim oder unverständlich“ (für Rivière selbst) zu sein drohte. Diese Visionen sah er als „Transformationen der Realität durch ein fiebriges Gehirn“, hinter denen die realen Formen als Prinzip spürbar waren, was die „Verklärung der wahren Welt in Träume“ bewirkte. Dennoch blieben ihm einige Gedichte „unwiderruflich verschlossen“. Im Gegensatz zu seinem Freund Henri Fournier, der Rimbaud als Inspiration für seinen zukünftigen Roman nutzte und einen Weg sah, den er selbst einschlagen wollte, war Rivière von Rimbaud eher „gequält“.

Claudel, der Rimbaud als „die entscheidende Einflussgröße“ in seinem Leben bezeichnete, ermutigte Rivière, Rimbauds Werk, insbesondere die Illuminations, neu zu lesen und sich davon treiben zu lassen. Claudel selbst erlebte durch Rimbaud eine „Offenbarung des Übernatürlichen“ und sah darin Genie als eine „Inspiration, die wirklich von nirgendwoher kam“. Diese metaphysische und mystische Vision übertrug sich zeitweise auch auf Rivières eigene Studie. Rivière sah Rimbauds Aufruhr nicht primär als sozial, sondern als „metaphysische Revolte“. Rimbaud weigerte sich, die menschliche, ja sogar die physische und astronomische Existenz des Universums zu akzeptieren. Rivière zitierte ihn mit den Worten: „Am Leben zu sein: das ist der Horror! Da zu sein, zu erleiden, zu akzeptieren, zu dauern: das ist es, was nicht ohne Scham, ohne Verfluchung, ohne Rache geschehen kann!“.

Il faut se garder de prendre Rimbaud pour un bohème ; il ne faut pas le croire lorsqu’il se peint lui-même dans ses premiers vers « débraillé comme un étudiant » ; il est bien autre chose qu’un voyou. Le visage ébouriffé et désordonné que lui prête Fantin-Latour, s’il n’est pas sans vraisemblance, cependant risque de suggérer une fausse interprétation de sa révolte. La bohème est une protestation contre la société et ses usages, contre la hiérarchie des classes, contre l’organisation que les hommes se sont eux-mêmes imposée ; elle prétend renverser tout ce qu’il y a d’artificiel dans la vie, tout ce qui est surajouté à la simple nature. Mais elle accepte certains commencements, les fondations de l’édifice et tout au moins l’existence ici-bas. Rimbaud refuse tout en bloc : c’est contre la condition humaine qu’il s’élève, bien mieux contre la condition physique et astronomique de l’Univers. Là est l’insupportable : dans tout. Être vivant : voilà l’horreur ! Être là, subir, admettre, durer : voilà ce qui ne se peut faire sans honte, sans exécration, sans vengeance ! Il y a quelque chose qui vous tient à la gorge, qui vous étouffe. Il y a une impossibilité positive et comme agressive à « être au monde ». La colère de Rimbaud, c’est une intolérance, au sens médical du mot. Il ne peut rien « garder », tout son organisme est en défense et dans un état de malaise et de rejet primitif, fondamental, permanent. Il suffoque, il se tourne et se retourne indéfiniment ; en vain toujours. Ses fugues continuelles sont les sursauts de cette intolérance métaphysique. L’endroit où il se trouve a pour lui quelque chose de brûlant, la place qu’il occupe le chasse comme avec une main ; il n’a pas besoin, pour n’y pouvoir rester, de la méchanceté des hommes ; le seul fait d’y être situé, la simple station en ce point sont en eux-mêmes assez épouvantables pour l’obliger à fuir. D’un bout à l’autre de cette lettre à Delahaye dont nous avons déjà cité plusieurs passages, on sent bien l’espèce de folie que la présence en un lieu donne à Rimbaud, on sent peser cette masse invisible qui, partout où il se tient, l’écrase, contre laquelle il n’a pas trop de toute sa fureur : « Mais ce lieu-ci ; distillation, composition, tout étroitesses… »

Man darf Rimbaud nicht für einen Bohemien halten; man darf ihm nicht glauben, wenn er sich in seinen ersten Versen als „schlampig wie ein Student“ beschreibt; er ist viel mehr als ein Ganove. Das zerzauste und ungepflegte Gesicht, das Fantin-Latour ihm verleiht, ist zwar nicht unwahrscheinlich, birgt jedoch die Gefahr einer falschen Interpretation seiner Rebellion. Die Bohème ist ein Protest gegen die Gesellschaft und ihre Gepflogenheiten, gegen die Klassenhierarchie, gegen die Organisation, die sich die Menschen selbst auferlegt haben; sie will alles Künstliche im Leben, alles, was der einfachen Natur hinzugefügt wurde, umstürzen. Aber sie akzeptiert bestimmte Anfänge, die Fundamente des Gebäudes und zumindest die Existenz hier auf Erden. Rimbaud lehnt alles pauschal ab: Er lehnt sich gegen die menschliche Existenz auf, vielmehr gegen die physikalische und astronomische Existenz des Universums. Das ist das Unerträgliche: in allem. Lebendig zu sein: das ist das Grauen! Da zu sein, zu erdulden, zu akzeptieren, zu bestehen: das ist unmöglich ohne Scham, ohne Verachtung, ohne Rache! Etwas umklammert die Kehle, erstickt einen. Es gibt eine positive und wie aggressive Unmöglichkeit, „in der Welt zu sein”. Rimbauds Wut ist eine Intoleranz im medizinischen Sinne des Wortes. Er kann nichts „behalten”, sein ganzer Organismus ist in Abwehrhaltung und befindet sich in einem Zustand des Unwohlseins und der primitiven, grundlegenden, permanenten Ablehnung. Er erstickt, er dreht und wendet sich unaufhörlich; immer vergeblich. Seine ständigen Fluchtversuche sind die Ausbrüche dieser metaphysischen Intoleranz. Der Ort, an dem er sich befindet, hat für ihn etwas Brennendes, der Platz, den er einnimmt, vertreibt ihn wie mit einer Hand; er braucht nicht die Boshaftigkeit der Menschen, um nicht dort bleiben zu können; allein die Tatsache, sich dort zu befinden, allein der Aufenthalt an diesem Ort sind an sich schon schrecklich genug, um ihn zur Flucht zu zwingen. Von Anfang bis Ende dieses Briefes an Delahaye, aus dem wir bereits mehrere Passagen zitiert haben, spürt man deutlich die Art von Wahnsinn, die Rimbaud durch die Anwesenheit an einem Ort überkommt, spürt man das Gewicht dieser unsichtbaren Masse, die ihn überall, wo er sich aufhält, erdrückt und gegen die er mit all seiner Wut nicht ankommen kann: „Aber dieser Ort; Destillation, Komposition, alles Enge …”

Die Bohème lehnt gesellschaftliche Konventionen, Klassenhierarchien und künstliche Lebensformen ab, akzeptiert aber die Grundlagen der Existenz. Rimbauds Revolte verweigert laut Rivière nicht nur die Gesellschaft, sondern die ganze menschliche und kosmische Bedingung. Sein Aufstand richtet sich gegen das bloße „Être vivant“ – gegen das Dasein selbst, das er als unerträglich empfindet. Rivière beschreibt dies als eine Art „Allergie gegen das Sein“ – eine fundamentale, körperlich-seelische Unverträglichkeit, überhaupt in der Welt zu sein. Sie äußert sich als Atemnot, als permanentes Malaise, das ihn rastlos und unhaltbar macht. Rimbauds ständige Fluchten sind Ausdruck dieser metaphysischen Intoleranz. Nicht die Bosheit der Menschen zwingt ihn, Orte zu verlassen, sondern das bloße Faktum, irgendwo sein zu müssen. Jeder Ort wird für ihn brennend, unerträglich, erdrückend. Rivière deutet Rimbauds „révolte“ nicht sozial oder politisch, sondern als eine ontologische Auflehnung gegen die Tatsache des Daseins selbst, ein unstillbares Gefühl der Erstickung, das ihn rastlos umhertreibt.

Schlüsselkonzepte in Rivières Rimbaud-Analyse

Rivière sah die „Idee der Unschuld“ als den Schlüssel zu Rimbauds Werk und dessen Poesie. Für Rimbaud war das Schreiben ein Mittel, sich seiner „Unschuld zu entledigen“, die ihn erstickte. Sein Werk war eine Art „Körper“, den er seiner makellosen Seele gab, eine „Region“, die er seiner Unschuld öffnete.

Rivière analysierte Rimbauds Stil als objektiv, unpersönlich und von einer tiefen Leidenschaft geprägt, die sich nicht um ihr Objekt kümmerte. Rimbaud schien sich nicht an den Leser zu wenden, da sein Ziel „egoistisch“ und unmittelbar war. Die „Inkohärenz“ von Rimbauds Sprache war für Rivière ein Spiegel seiner Unkenntnis dessen, was er sagte. Rimbaud wusste nicht im Voraus, was er sagen würde, sondern erfuhr es im Moment des Aussprechens. Rivière beschrieb dies mit Rimbauds eigenem Satz: „Denn Ich ist ein anderer; wenn das Kupfer als Fanfare erwacht, ist es nicht seine Schuld. Das ist mir offensichtlich: ich wohne der Entstehung meines Gedankens bei; ich sehe ihn, ich höre ihn; ich setze den Bogen an: die Symphonie bewegt sich in den Tiefen, man kommt mit einem Sprung auf die Bühne“.

Rimbaud n’a pas de système. Il ne cherche pas à imposer à ses sensations une forme arrêtée. Il ne cherche même pas à s’y reconnaître lui-même. Il s’y livre tout entier, et tout ce qu’elles entraînent de lui passe dans ses vers. Elles se développent librement, sans prévision, sans contrôle. Il n’y a point de volonté chez lui d’organiser sa poésie.

Le style de Rimbaud est objectif, impersonnel et d’une passion profonde qui ne s’occupe pas de son objet. On ne sent pas qu’il parle pour un lecteur, son but est égoïste et immédiat. L’incohérence de sa langue est l’image de son ignorance de ce qu’il dit. Il ne savait pas d’avance ce qu’il allait dire, il l’apprenait au moment où il le prononçait. Il a dit : Car Je est un autre. Si le cuivre s’éveille clairon, il n’y a rien de sa faute. Cela m’est évident : j’assiste à l’éclosion de ma pensée : je la regarde, je l’écoute : je lance un coup d’archet : la symphonie fait son remuement dans les profondeurs, ou vient d’un bond sur la scène.

Cette passivité devant son inspiration est ce qui donne à son style cette apparence de désordre et de brusquerie. Mais en réalité ce désordre est plein de vie. Il correspond exactement à la surprise qu’il éprouvait lui-même en découvrant son propre génie. C’est pourquoi sa poésie a cet air de nouveauté absolue, de fraîcheur intacte, comme si elle venait d’un monde où rien n’avait encore été dit.

Jamais poète n’a été plus vierge que lui devant les choses. Sa sincérité n’est pas tant de dire ce qu’il pense que de se laisser traverser par ce qu’il voit. Il ne juge pas, il ne conclut pas, il laisse venir. Ainsi ses images ont une violence incomparable, parce qu’elles sont la chose même, saisie dans l’instant où elle frappe l’âme, sans intermédiaire, sans préparation.

Mais cette spontanéité a aussi ses dangers. Elle expose à l’incohérence, à l’obscurité, à la dispersion. Rimbaud n’a pas toujours échappé à ces périls. Parfois son poème se défait avant même d’avoir trouvé sa forme, il se perd dans son excès d’intensité. Mais même dans ses échecs, on sent la grandeur d’un être qui n’a jamais triché avec lui-même, qui a voulu se donner tout entier, sans calcul, sans réserve

Rimbaud hat kein System. Er versucht nicht, seinen Empfindungen eine festgelegte Form aufzuzwingen. Er versucht nicht einmal, sich selbst darin wiederzuerkennen. Er gibt sich ihnen ganz hin, und alles, was sie aus ihm hervorbringen, fließt in seine Verse ein. Sie entwickeln sich frei, ohne Vorhersehbarkeit, ohne Kontrolle. Er hat keinerlei Absicht, seine Poesie zu organisieren.

Rimbauds Stil ist objektiv, unpersönlich und von einer tiefen Leidenschaft geprägt, die sich nicht mit ihrem Gegenstand befasst. Man spürt nicht, dass er für einen Leser spricht, sein Ziel ist egoistisch und unmittelbar. Die Inkohärenz seiner Sprache spiegelt seine Unkenntnis dessen wider, was er sagt. Er wusste nicht im Voraus, was er sagen würde, er lernte es in dem Moment, in dem er es aussprach. Er sagte: Denn Ich ist ein anderer. Wenn das Blech zum Horn erwacht, ist das nicht seine Schuld. Für mich ist es offensichtlich: Ich bin Zeuge der Entfaltung meines Gedankens: Ich beobachte ihn, ich höre ihm zu: Ich spanne den Bogen: Die Symphonie bewegt sich in den Tiefen oder springt auf die Bühne.

Diese Passivität gegenüber seiner Inspiration verleiht seinem Stil den Anschein von Unordnung und Plötzlichkeit. Aber in Wirklichkeit ist diese Unordnung voller Leben. Sie entspricht genau der Überraschung, die er selbst empfand, als er sein eigenes Genie entdeckte. Deshalb hat seine Poesie diesen Anschein absoluter Neuheit, unberührter Frische, als käme sie aus einer Welt, in der noch nichts gesagt worden war.

Kein Dichter war jemals unberührter als er gegenüber den Dingen. Seine Aufrichtigkeit besteht weniger darin, zu sagen, was er denkt, als sich von dem, was er sieht, durchdringen zu lassen. Er urteilt nicht, er zieht keine Schlussfolgerungen, er lässt es einfach geschehen. So haben seine Bilder eine unvergleichliche Gewalt, weil sie das Ding selbst sind, eingefangen in dem Moment, in dem es die Seele trifft, ohne Vermittler, ohne Vorbereitung.

Aber diese Spontaneität birgt auch Gefahren. Sie setzt einem der Gefahr der Inkohärenz, der Unklarheit, der Zerstreuung aus. Rimbaud ist diesen Gefahren nicht immer entgangen. Manchmal zerfällt sein Gedicht, noch bevor es seine Form gefunden hat, es verliert sich in seiner übermäßigen Intensität. Aber selbst in seinen Misserfolgen spürt man die Größe eines Menschen, der sich selbst nie betrogen hat, der sich ganz hingeben wollte, ohne Berechnung, ohne Vorbehalte.

Rivière hob die Kürze und Kondensation von Rimbauds Stil hervor, insbesondere durch den Vergleich von Entwürfen und endgültigen Texten der Saison en enfer. Er bemerkte, dass Rimbaud durch die Reduzierung und Verdichtung der Worte eine tiefere „Wahrheit“ anstrebte und dabei „instinktiven Rhythmen“ folgte.

Rivière versuchte auch, das mysteriöse, plötzliche poetische Verstummen des neunzehnjährigen Genies zu erklären. Er sah es nicht nur in Rimbauds Biografie begründet, sondern in der Natur seines Werkes selbst. Sobald Rimbaud die „Vision des Paradieses“ erobert hatte, verlor die Literatur in seinen Augen ihren Sinn. Die Veröffentlichung der Saison en enfer warf er beiseite, als ob es ein Instrument wäre, das nicht mehr gebraucht wird. Er hatte durch das Schreiben alles gewusst, was er wissen wollte. Rivière führte das Verstummen auch auf die „Instabilität des direkten Wissens, der reinen Intuition“ zurück.

Rivières spätere Distanzierung gegenüber Rimbaud

Nach dem Krieg und der Lektüre von Freud sowie dem Aufkommen von Dada und dem Surrealismus änderte sich Rivières Blick auf Rimbaud. Er gab die Idee auf, dass Rimbauds Visionen ein „externes Zeichen“ waren, und deutete an, dass sie eher seinem Unbewussten entsprangen. Rivière bezeichnete Rimbaud weiterhin als „unvergleichliches Monster“, betonte aber, dass man „aus dieser Sache herauskommen“ und „die menschlichen Proportionen wiederfinden“ müsse. Für ihn war Rimbaud ein „vergangener Schritt“. Diese Entwicklung zeigte sich auch in einer handgeschriebenen, aber unveröffentlichten Schlussfolgerung zu seiner Rimbaud-Studie von 1914, in der er die „Wunde“ in seiner Intelligenz, die Rimbaud hinterlassen hatte, durch katholische Dogmen heilen wollte. Dieser Passus führte nach seinem Tod zu einer Kontroverse.

Im Anhang von Critique et création wird das so dokumentiert: Als Rivières handschriftliche Passage zirkulierte, waren viele schockiert, dass Rivière Rimbaud als „monstre incomparable“ bezeichnete, aber zugleich forderte: „sortir de cette affaire“ und die „proportions humaines“ wiederzufinden. Für die jungen surrealistischen Autoren wirkte es wie ein Verrat, dass Rivière – der Rimbaud früh enthusiastisch verteidigt hatte – ihn nun als „pas dépassé“ abtat und auf katholische Dogmen als Heilmittel verwies. Breton und Aragon reagierten kühl und nahmen Distanz zu Rivière. Auf der anderen Seite begrüßten katholische Intellektuelle diese Wendung. Sie sahen in Rivières Manuskript die Rehabilitierung eines Dichters, den sie sonst eher ablehnten, und deuteten Rimbauds „blessure“ als Zeichen für die Notwendigkeit dogmatischer Wahrheit. Später stritten Literaturhistoriker darüber, ob Rivière diese Schlussfolgerung jemals wirklich veröffentlichen wollte oder ob es sich nur um eine private Notiz handelte. Manche sahen darin ein Symptom von Rivières Suche nach geistiger Ordnung nach dem Krieg; andere betrachteten es als Abbruch seiner früheren Nähe zu Rimbaud und als Zeichen seiner zunehmenden Distanz zu den Avantgarden. Damit wurde Rivières Verhältnis zu Rimbaud nachträglich zu einem politisch-kulturellen Streitfall zwischen Katholiken, Surrealisten und den Kritikern, die ihn eher als Humanisten sehen wollten.

„Introduction à une métaphysique du rêve“: Kontext und Inhalt

Der Text „Introduction à une métaphysique du rêve“ wurde 1908 von Jacques Rivière verfasst, 1909 überarbeitet und in der La Nouvelle Revue française (NRF) veröffentlicht. Er ist dem „Gedenken an Jean-Arthur Rimbaud“ gewidmet. Diese Widmung ist von Bedeutung, da nach eigenem Bekunden Rivières „Geist durch Rimbaud gequält“ wurde. Das „Fremde“ in Rimbauds Werk beeinflusste Rivière tief und inspirierte ihn zu diesem „unerwartetsten“ Text. Rivière stellte sein Projekt 1908 Claudel vor und beschrieb es als „ein gutes Mittel, um, während man ernste Dinge sagt, sich über die Philosophieprofessoren lustig zu machen“. Dies zeigt eine spielerische, aber zugleich tiefgründige Absicht, die über rein akademische Reflexion hinausging.

In seiner „Introduction à une métaphysique du rêve“ versucht Rivière, die von Rimbaud wahrgenommene übernatürliche oder parallele Realität zu erforschen, die durch Träume zugänglich gemacht werden kann. Er beabsichtigt, die „Lampe der Träume zu entzünden“ und in den „Abgrund hinabzusteigen“, um ein „großes schlafendes Wesen“ und eine „gedämpfte Akklamation“ zu finden, um so eine Metaphysik des Traumes zu formulieren, die über rein religiöse oder konventionell philosophische Erklärungen hinausgeht. Diese Methode betont die Erforschung der Traumerfahrung als einen Weg, die Spiritualität jenseits traditioneller Dogmen zu ergründen und die tiefsten, verborgenen Wahrheiten des menschlichen Inneren zu entdecken.

Der Text behandelt die Topografie als Ausgangspunkt der Reflexion. Dies spiegelt Rivières generelles Interesse an Orten und Räumen wider, wie es auch in anderen seiner fiktionalen Werke (z.B. „Les Beaux Jours“, „Le Chemin de fer“) zum Ausdruck kommt, wo der Raum oft eine Metapher für die Suche nach dem authentischen Selbst ist. Ein zentrales Motiv ist die Suche nach einer höheren Instanz und die Erforschung von Spiritualität jenseits des religiösen Bereichs. Rivière sah im Traum die Möglichkeit, „die Worte des ewigen Lebens“ zu finden, was die Verbindung von Traumaktivität und Schlüsselformeln des Christentums herstellt. Die Reflexion über den Traum findet sich auch in seinen späteren Artikeln über Freud und Proust wieder und kann mit dem Beginn von Prousts À la recherche du temps perdu in Verbindung gebracht werden, der ebenfalls um 1908-1909 entstand.

Der Text beginnt mit einer atmosphärischen, düsteren und surrealen Beschreibung einer Landschaft, die eine „Hügelkette der Finsternis“ und einen „Talus, der in den weichen, stummen Fluss zerfällt“, umfasst. Der Sprecher beschreibt flüchtige Visionen wie „maskierte Assassinen“ und eine unbehagliche Pilgerreise zu einem „sehr müden Gott“, wobei er von einem Gefühl der Ungewissheit und des Rätselhaften ergriffen ist. Diese topographische Einleitung dient als Ausgangspunkt für die Reflexion und vermittelt dem Leser eine traumähnliche oder übernatürliche Atmosphäre, die die spätere Auseinandersetzung mit der Traummetaphysik vorbereitet.

Der zentrale Gedanke des Essays ist Jacques Rivières Bestreben, eine „Metaphysik des Traumes“ zu formulieren, ein „großes schlafendes Wesen“ zu finden und einer „gedämpften Akklamation“ zu lauschen, die aus unsichtbaren Mündern kommt. Dieses Vorhaben, das Rimbaud gewidmet ist, soll eine übernatürliche oder parallele Realität erforschen, die durch Träume zugänglich wird, und geht dabei über rein religiöse oder konventionell philosophische Erklärungen hinaus, um die Spiritualität jenseits traditioneller Dogmen zu ergründen. Eine vorbereitende Notiz zu diesem Text deutet an, dass der Traum „die Worte des ewigen Lebens“ innehaben könnte.

Stilistisch und methodisch verbindet Rivière in diesem Essay philosophische Reflexion mit einer phantasievollen, fast narrativen Gestaltung, wobei die spekulative Dimension zugunsten der Metapher des Traumes als „Land“ oder „Traum-Erzählung“ zurücktritt. Der Text kann thematisch und stilistisch als Vorläufer des Surrealismus betrachtet werden, wie Marcel Raymond bemerkte. Die lyrische, manchmal verwirrende Sprache, die Auflösung der Realität in Traumbilder und die Betonung des Inneren, wie im Incipit beschrieben, sind deutliche Anzeichen dafür.

Rivières Überarbeitung zielte darauf ab, die spekulative Dimension zugunsten der Metapher des Traumes als Land und des Traumberichts zu minimieren. Die Textstelle aus dem Incipit, die von einer „Hügelkuppe der Finsternis“, einer „stummen, weichen Flut“ und einem „unbestimmten, von Fallen übersäten Feld“ spricht, das „von einem blutigen Strich am Rande des Wolkendeckels begrenzt“ ist, evozieren eine surreale Landschaft:

Sous cette colline de ténèbres, sur ce talus qui s’effrite dans la molle rivière muette, des tréteaux où se joue ma tragédie. Le ciel descend lourdement comme un balcon qui sombre sous les étoffes. Toute cette foule naine innombrablement accroupie s’ébranle par moments d’un rire minutieusement idiot et contenu. Je sortirai. – Le sombre courant sans remous où plongea la parade se dissipe en vapeur ; un instant, flotte au travers, et déjà voici présente une plaine indéfinie, bossuée de broussailles qui sont des embûches, cernée d’un trait sanglant au ras du couvercle des nuages ; je tressaille, frôlé par l’un des assassins masqués qui rampent et convergent vers ce cri plus étouffé que la chute d’un corps sans vie dans le silence de tentures. – Aube lente, aigreur de la brise ; j’accompagne un pèlerinage menu, piétinant, inquiet vers je ne sais quel dieu très las qui siège derrière cet horizon. De celui que j’ai saisi par la manche auprès de moi, je fais le tour sans découvrir un visage. Il n’en a pas. Il n’est que l’arbre où je m’appuie pour écouter râler les dernières fusées de la fête nocturne, qui se dénoue là-bas dans la lassitude de ses drames et de ses barques.

Unter diesem Hügel der Finsternis, auf diesem Abhang, der in den sanften, stummen Fluss zerfällt, stehen die Kulissen, auf denen sich meine Tragödie abspielt. Der Himmel senkt sich schwer wie ein Balkon, der unter den Stoffen versinkt. Diese zwergenhafte, unzählbar kauernde Menschenmenge bricht von Zeit zu Zeit in ein minutiös idiotisches, zurückhaltendes Gelächter aus. Ich werde hinausgehen. – Der dunkle, wirbelfreie Strom, in den die Parade eintauchte, löst sich in Dampf auf; einen Augenblick lang schwebt er hindurch, und schon ist eine unbestimmte Ebene zu sehen, hügelig mit Dornengestrüpp, das Fallstricke bildet, begrenzt von einer blutigen Linie am Rand der Wolkendecke; Ich zucke zusammen, als mich einer der maskierten Mörder streift, die kriechen und sich auf diesen Schrei zubewegen, der dumpfer ist als der Fall eines leblosen Körpers in die Stille der Vorhänge. – Langsame Morgendämmerung, scharfe Brise; ich begleite eine kleine trampelnde, unruhige Pilgergruppe, auf dem Weg zu einem mir unbekannten, sehr müden Gott, der hinter diesem Horizont thront. Denjenigen, den ich neben mir am Ärmel gepackt habe, drehe ich um, ohne ein Gesicht zu entdecken. Er hat keines. Er ist nur der Baum, an den ich mich lehne, um die letzten Raketen der nächtlichen Feier röcheln zu hören, die sich dort in der Ermüdung ihrer Dramen und Boote auflöst.

Die Beschreibung einer pilgernden Menge, die sich einem „sehr müden Gott“ nähert, ohne dass ein Gesicht sichtbar wird, unterstreicht die Suche nach dem Unsichtbaren und das rätselhafte Erleben der Welt. Rivière sah Rimbaud als einen beunruhigenden Katalysator für seine eigene intellektuelle und spirituelle Suche. Seine Interpretation von Rimbauds „metaphysischer Revolte“ und dem Konzept der „Unschuld“ war originell, und dabei ist „Introduction à une métaphysique du rêve“ ein Text, der nicht nur Rivières eigene intellektuelle Entwicklung markiert, sondern auch die Vorahnung neuer literarischer Strömungen in seinem Werk aufzeigt.

Rivières „Introduction à une métaphysique du rêve“ zeigt die Grundspannung seiner Rimbaud-Deutung: die Faszination für Zustände, in denen das Bewusstsein von etwas Fremdem, Unkontrollierbarem durchdrungen wird, und zugleich die Suche nach einer Form, diese Erfahrung zu bändigen. Der Traum erscheint ihm als ein Bereich, in dem das Ich nicht Herr seiner selbst ist, sondern passiv etwas empfängt, das es kaum versteht – genau so beschreibt Rivière Rimbauds poetische Praxis: „il ne savait pas d’avance ce qu’il allait dire, il l’apprenait au moment où il le prononçait“. Die Poetik der Inkohärenz und der plötzlichen Bilder, die Rivière bei Rimbaud bewundert, korrespondiert mit seiner frühen Theorie des Traums als einer Erfahrung, in der das Subjekt von Kräften überwältigt wird, die über seine Intentionen hinausgehen. Gleichzeitig ist die „métaphysique du rêve“ ein Versuch, diese anarchische Erfahrung auf ein System zurückzuführen, ihr einen metaphysischen Sinn zu verleihen. Darin liegt auch der Keim von Rivières späterer Distanzierung: Rimbaud bleibt für ihn der Dichter, der den Traumzustand in Reinform verkörpert – ein „monstre incomparable“ –, doch weil Rivière überzeugt bleibt, dass man aus dem Traum zurückkehren und „les proportions humaines“ wiederfinden müsse, sieht er in Rimbaud letztlich nur eine Übergangsfigur. Die Introduction liefert also die doppelte Linse: sie erklärt, warum Rivière Rimbaud zunächst als authentischen „voyant“ feierte, aber auch, warum er ihn nach dem Krieg als einen überschrittenen Schritt abtat – weil der Traum für ihn nie das letzte Ziel sein konnte, sondern ein Durchgang zu einer höheren, geordneten Wahrheit.


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