Ein besseres Gedächtnis als wir: Mathias Énard, Déserter

1. Vibrationen aus Odessa

Le deuil est une forme d’interminable présence. Images, parfums, goûts, rêves.

Mathias Énard, Déserter, Kap. IV, S. 35

Überall Körper. 1 Énards Déserter (Untertitel: Roman) von 2023 ist ein Text mit sprachlicher Wucht, die trifft. Man stelle sich dieses Buch als Ballett der Trauer, der Erinnerung, der Verletzungen, des Schmerzes, der Gewalterfahrung, des Traumas vor. Schwer erträglich an einigen Stellen, und zugleich voller Zartheit und Liebe. Und neben der Poesie ist da die Mathematik, sie dient als „Schleier, der über die Welt gelegt wird, der sich den Formen der Welt anpasst, um sie ganz zu umhüllen“, wie es einmal heißt, es ist der Versuch, mathematisierend im Grauen des KZ zu überleben, lange Jahre war sie dem Protagonisten „ein Licht in der Nacht“, „ein Sinn, genauso wie das Sehen oder Hören, und damit eine Art, die Natur wahrzunehmen“, für Paul ist Mathematik eine Flucht in die Welten der Sterne: „die Gestirne, die Liebe, die Körper, die Ringe, die Ideale, all dieses Sammelsurium, das so zutiefst menschlich ist, dass es nicht zusammenbrechen kann, weil es in uns, in der imaginären Welt, bleibt“. Hocine Bouhadjera sieht die Einarbeitung des Mathematischen im Roman als nicht konsequent umgesetzt: „Die angebliche ‚geheime Musik der Mathematik‚, die den meisten Literaturwissenschaftlern entgeht, setzt Mathias Énard an einer einzigen Stelle der Erzählung mit einem Gedicht in Szene, das nur Eingeweihte verstehen werden. Ansonsten gibt es keine Gleichungen oder algebraische, arithmetische oder geometrische Entwicklungen, er beschränkt sich auf das Porträt eines deprimierten Kommunisten. Bleibt ein Versuch, die Wissenschaft der Wissenschaften zu definieren: ‚Eisige Materie wie die Sterne, göttliche Sprache‘. Affektlos, als ob sie für Engel erfunden worden wären, die keinen Schwefel zum Ausgeben haben. Die Mathematik als Trost, wie man verstanden hat, aber nicht die Quelle einer möglichen Erlösung für den deutschen Gelehrten…“ 2 — Gleichwohl, überall in diesem Buch Körper. Die Frauen sind erste Opfer in dieser sehr realen Welt der Gewalt, ihre geschundenen Körper gehen dem fliehenden Deserteur (dem zweiten Protagonisten, einem nun selbst gejagten Jäger) nicht aus dem Kopf:

mon cœur, dans toute la montagne résonne son rythme de mitrailleuse, ma bouche est sèche, j’ai froid, depuis le début de la guerre j’ai froid, des mois et des mois de froid, je veux partir vers le nord pour échapper au froid glacial de la mer, de la ville, du pays, celles qui étaient avec moi ce jour-là n’ont pas voulu partir, elles ont payé dirent-elles, elles ont payé par leur corps et leur honte elles ont payé elles peuvent rester, rester tondues, rester violées, rester conchiées, rester dans l’étable, dans le froid intense de l’étable, le froid absolu de la guerre qui durera encore des années, la nuit, dans les sommeils de tous, les tortionnaires et les torturés,

Mathias Énard, Déserter, Kap. XXVII.

Mein Herz, in den ganzen Bergen hallt der Rhythmus eines Maschinengewehrs wider, mein Mund ist trocken, mir ist kalt, seit Beginn des Krieges friere ich, Monate und Monate der Kälte, ich will nach Norden gehen, um der eisigen Kälte des Meeres, der Stadt, des Landes zu entkommen, die Frauen, die an diesem Tag mit mir waren, wollten nicht gehen, sie haben bezahlt, sagen sie, sie haben mit ihrem Körper und ihrer Scham bezahlt, sie haben bezahlt, sie können bleiben, bleiben geschoren, bleiben vergewaltigt, bleiben verachtet, bleiben im Stall, in der großen Kälte des Stalls, der absoluten Kälte des Krieges, der noch Jahre dauern wird, nachts, im Schlaf von allen, der Folterer und der Gefolterten,

Der Körper ist nicht nur Objekt des Traumas, sondern auch Instrument der Untersuchung, etwa im Tanz des Verrats, einer Art Choreographie von Énards Buch:

C’est une danse yougoslave, ou hongroise, la danse de la trahison, précisa Alma. Une danse de vérité, de divination – on découvre, en dansant, ce que l’autre vous a caché. Il n’y a plus rien à dissimuler, tout sort en pleine lumière, tout est pardonné, sans qu’on n’ait rien à avouer, c’est la beauté de la danse de la trahison.

Mathias Énard, Déserter, Kap. XXIV.

„Es ist ein jugoslawischer oder ungarischer Tanz, der Tanz des Verrats“, präzisierte Alma. „Ein Tanz der Wahrheit, der Weissagung – man entdeckt beim Tanzen, was der andere einem verschwiegen hat. Es gibt nichts mehr zu verbergen, alles kommt ans Licht, alles wird vergeben, ohne dass man etwas gestehen muss – das ist die Schönheit des Tanzes des Verrats.“

Auch Mathias Énard selbst scheint körperlich stark betroffen zu sein von seinem Stoff. Die ungeplanten Änderungen, die sein Roman Déserter erfahren hat, erklärt der Autor als Folge der eigenen Bestürzung und Krise: „Das Eingesperrtsein, die Ereignisse, die das Jahr 2021 belastet haben, der Krieg, der so nah, so allgegenwärtig und so schlagartig ist: lauter Wellen, die mich zu den Riffen treiben.“ 3 Breitseite auf den Schriftsteller, Aufprall eines militärischen Angriffsschlags. Der Autor als Sonde, Fühler der Erschütterungen, als Treibgut im Toben der Geschichte. Das Romanprojekt von Mathias Énard hat sich grundlegend verschoben, spätestens als der Angriffskrieg auf die Ukraine die Schreibpläne umwarf. „Am 24. Februar 2022 traf der Konflikt meine Pläne mit voller Wucht.“ 4 Zunächst sollte es eine fiktive Biographie des ostdeutschen Mathematikers Paul Heudeber werden. Der Autor fühlte sich angesichts der medialen Kriegsbilder in Odessa wieder schmerzlich erinnert an den Jugoslawienkrieg etwa in Sarajevo. Er spricht von seinen obsessiven Ängsten, Albträumen und Kriegstraumata, die er angesichts dieses erneuten Kriegs auf europäischem Boden im Buch vertiefen müsse: „Der Roman, den ich plante, konnte nicht mehr derselbe sein. Die Wiederauferstehung des Diskurses – Nazis, entnazifizieren – ließ die 1940er Jahre bis zu uns zurückreichen. Russland bekannte sich zu seinem Imperialismus. Es trug seine Gewalt mit Stolz vor sich her. Die Farben der 1990er Jahre (Winter, Blut, Feuer) färbten Europa wieder ein. Die sowjetischen T72-Panzer, diese flachen grünen Kisten, die wir in den verlassenen Maisfeldern Pannoniens gesehen hatten, wie sie auf Vukovar schossen, rollten auf Odessa zu, und ihre Besatzungen, diese russischen Soldaten unter zwanzig, verbrannten zu dritt lebendig, gefangen in ihrer Panzerung, als eine Javelin-Rakete ihren Panzer aufschlitzte, wie man einem Küken den Kopf mit den Zähnen abreißt. Durch die Bäume hindurch sah man wieder Tiere – Schweine, Hunde – auf unsere Bildschirme wandern, oft grausam verstümmelt, bevor sie mit einem Bajonett getötet wurden. Odessa, das Alexandria des Schwarzen Meeres, sollte das Schicksal von Sarajevo erleiden.“ 5

Als erst 2023 in deutscher Sprache der frühe Roman Der perfekte Schuss von Énard erscheint, kommentiert Lothar Müller in der Süddeutschen Zeitung diesen Zeitpunkt in ähnlicher Weise wie beim historischen Schock, den Énard für die Schreibzeit von Déserter geltend macht: „Dass dieser schmale Roman jetzt, zwanzig Jahre später, auf Deutsch erscheint, dürfte mit dem Krieg in der Ukraine zu tun haben.“ 6 Wer das jüngste Buch Déserter als Resonanzkörper liest, wird die Vibrationen (die übrigens häufig in den Büchern von Énard thematisiert werden), geradezu körperlich aufnehmen. Die Erschütterung des 11. Septembers 2001 breitet sich wie eine physikalische Druckwelle aus und greift auf alles über, auch auf die geplante wissenschaftliche Tagung zum Mathematiker Paul Heudeber, einem ostdeutschen Mathematiker, auf einem Schiff auf der Havel in der Nähe von Berlin: „Am 11. September 2001, als die Gewalt das Schiff Beethoven, das vor der Pfaueninsel lag, erschüttert hatte, wie sich Wellen auf dem Wasser ausbreiten“ 7. Vibrationen sind Erschütterungen, spürbare Schwingungen für den, der ein Organ für sie hat. Literatur kann wie ein Sensor, ein Rezeptor, Resonanzen sichtbar machen, als Detektor, als Visualisierung von Wellendynamiken, Mustern nachspüren, sie übereinander legen und so Spannungen erzeugen:

Je regarde la mer, elle s’oppose à la guerre mais la transporte : là-bas, au-delà de l’Italie, on se bat encore en Bosnie, même si la paix est proche. Là-bas il y a eu un siège atroce, des camps de concentration, un génocide. La mer pourrait transmettre des cris, des vibrations, des ondes si puissantes qu’on les verrait jusqu’ici à la surface de l’eau, on pourrait les lire, on pourrait déchiffrer les noms des morts, on pourrait les rejoindre en nageant.

Mathias Énard, Déserter, Kap. XXIV, S. 221.

Ich schaue auf das Meer, es stellt sich dem Krieg entgegen, transportiert ihn aber: Dort drüben, jenseits von Italien, wird in Bosnien immer noch gekämpft, obwohl der Frieden nahe ist. Dort gab es eine grausame Belagerung, Konzentrationslager und Völkermord. Das Meer könnte Schreie, Vibrationen und Wellen übertragen, die so stark sind, dass man sie bis hier an der Wasseroberfläche sehen könnte, man könnte sie lesen, man könnte die Namen der Toten entziffern, man könnte sie schwimmend erreichen.

Die zahllosen Kriegswaffen – Énard erspart uns ihre Namen nicht – produzieren eine plötzliche Vibration in der Luft, Gewalt ist unvorhersehbar, Gewalt ist diese traumatisierende Erschütterung der Opfer, Schmerzen und Schrecken und Schreie und Angst, Verlust und Exil, hier verdichtet als das leise Surren des Projektils:

Il était, enfant, un chasseur patient. Allongé sur le dos dans le jour les yeux au ciel il revoit les longues parties de chasse à l’automne : son père portait une pauvre escopette à canon unique, vestige, relique qui faisait un boucan de tous les diables – la guerre a multiplié les armes, les a ensemencées et cultivées, toutes sortes d’armes, avec leurs noms, fusils, carabines, pistolets, revolvers, mitrailleuses, canons, mortiers, obusiers, la guerre c’est un changement de nombre dans les choses, des noms qui apparaissent, une soudaine vibration dans l’air, un écouvillon en acier, une fiole d’huile minérale, une douleur une perte une peur un contact involontaire avec le monde du projectile et de la blessure, le monde incertain de la douleur, de l’exil et de la perte, le monde atone du kaki, du marron et du gris, le monde sauge de la sueur, de l’effroi et du cri.

Mathias Énard, Déserter, Kap. V., S. 48.

Als Kind war er ein geduldiger Jäger. Er liegt tagsüber auf dem Rücken und schaut in den Himmel. Er sieht die langen Jagdausflüge im Herbst vor sich: sein Vater trug eine armselige einläufige Eskopette, ein Überbleibsel, ein Relikt, das einen Höllenlärm machte – der Krieg hat die Waffen vermehrt, sie gesät und gezüchtet, alle Arten von Waffen, mit ihren Namen, Gewehre, Karabiner, Pistolen, Revolver, Maschinengewehre, Kanonen, Mörser, Haubitzen, Krieg ist eine Veränderung der Anzahl in den Dingen, Namen, die auftauchen, ein plötzliches Vibrieren in der Luft, ein stählerner Tupfer, ein Fläschchen Mineralöl, ein Schmerz ein Verlust eine Angst ein unfreiwilliger Kontakt mit der Welt des Geschosses und der Verletzung, der ungewissen Welt des Schmerzes, des Exils und des Verlustes, der atonalen Welt von Khaki, Braun und Grau, der salbeifarbenen Welt des Schweißes, des Schreckens und des Schreis.

Kriege bestimmen das literarische Schaffen von Enard seit seinem Erstling La Perfection du tir aus dem Jahr 2003 (dt. Der perfekte Schuss, 2023 8 ) über einen Scharfschützen ohne Skrupel im Bürgerkrieg (möglicherweise in Beirut); Zone von 2008 (dt. 2010) ist ein epischer Monolog während einer Zugfahrt, unter anderem über den israelisch-palästinensischen Krieg; die Eroberung von Konstantinopel im Jahr 1453 ist Thema in Parle-leur de batailles, de rois et d’éléphants (2010, dt. 2011), Rue des voleurs (2012, dt. 2013) ist mitten in den Aufständen des arabischen Frühlings und islamistischer Terroristen angesiedelt.

Antoine Perraud liest Énard als Erzähler des Grauens — und von Momenten der Erlösung: „Mathias Énard, der wohl begabteste Schriftsteller seiner Generation, erkundet in seinem Werk mit dichter Anmut, wie sehr das Grauen überhand nimmt. […] Doch manchmal kann ein einziges Wesen den Zorn bremsen. Das ist wie die Erlösung der Art, egal wie zerbrechlich oder vorübergehend die barmherzige Geste auch sein mag.“ 9 Während der Mathematiker Paul als Widerstandskämpfer 1941 in Lüttich verhaftet wurde und Buchenwald überlebte, durchstreift in der zweiten Geschichte des Buchs ein Deserteur, Schweißer im ehemaligen Beruf, versteckt in einer Berghöhle am Mittelmeer, noch mit der Waffe seines Kriegs, vor dem er flüchtet, nun gebirgige Gegenden seiner wilden, einsamen Kindheit und will ins Exil, also die Grenze seines Landes überwinden. Die Gewaltgeschichte im Mittelmeerraum hatte Énard bereits in Zone als Bewusstseinsfluss auf einer langen Zugfahrt erzählt. Auch hier schon begegnen uns Deserteure, die bei der Festnahme vogelfrei, ohne jeden Schutz sind:

[…] quand le Destin nous a envoyé deux prisonniers après une embuscade, l’un était blessé, l’autre indemne tremblait de frayeur il disait mon père a de l’argent, mon père a de l’argent, si vous me laissez partir il vous donnera beaucoup d’argent, il avait trop peur pour mentir, nous les avions ramassés alors qu’ils essayaient de déserter, j’étais tenté de les laisser filer, j’étais sur le point de les confier à un troufion pour qu’il les emmène à Osijek, mais Andrija est arrivé, tu débloques ou quoi ? tu as déjà oublié Vukovar ? Que pas un d’entre eux n’en réchappe, et il les a mitraillés longuement, sur-le-champ, sans hésiter […]

Mathias Énard, Zone.

[…] als das Schicksal uns nach einem Hinterhalt zwei Gefangene schickte, war einer verwundet, der andere unverletzt und zitterte vor Angst. Er sagte: Mein Vater hat Geld, mein Vater hat Geld, wenn ihr mich gehen lasst, gibt er euch viel Geld, er hatte zu viel Angst, um zu lügen, wir hatten sie aufgegriffen, als sie versuchten zu desertieren, ich war versucht, sie laufen zu lassen, ich war kurz davor, sie einem Soldaten zu übergeben, damit er sie nach Osijek bringt, aber dann kam Andrija, bist du verrückt geworden oder was? hast du Vukovar schon vergessen? Und er schoss lange auf sie, sofort, ohne zu zögern […]

Mathias Enard lit un extrait de son roman, Déserter.

Auch dem flüchtenden Deserteur im neuesten Roman ist diese Gefahr sehr bewusst:

tu n’es plus qu’un couard, une chiffe, une odeur de solitude, c’est le nombre des soldats qui fait leur force, la foule de la camaraderie,

les soldats s’observent les uns les autres dans le viol et la torture,

un déserteur seul c’est tout juste bon pour la corde, le garrot,

on ne va pas gâcher de balles pour lui,

on va le suspendre à une branche au bord de la route que tous le voient, sa veste abaissée au milieu des biceps, les mains liées dans le dos, il se balancera doucement, les enfants lui jetteront des pierres qui feront fuir les corneilles en train de lui bouffer la langue, noire hors de la bouche,

Mathias Énard, Déserter, Kap. IX., S. 84.

du bist nur noch ein Feigling, ein Lumpen, ein Geruch der Einsamkeit, es ist die Zahl der Soldaten, die ihre Stärke ausmacht, die Menge der Kameradschaft,

die Soldaten beobachten sich gegenseitig bei Vergewaltigung und Folter,

ein Deserteur allein ist gerade gut genug für den Strick, die Schlinge, die Garrotte,

wir werden keine Kugeln für ihn verschwenden,

man wird ihn an einem Ast am Straßenrand aufhängen, damit alle ihn sehen können, seine Jacke bis zur Mitte des Bizeps heruntergezogen, die Hände auf dem Rücken gefesselt, er wird sanft schaukeln, die Kinder werden Steine auf ihn werfen, die die Krähen verscheuchen, die gerade seine Zunge fressen, die schwarz aus dem Mund hängt,

Rossellini, Francesco giullare di Dio
Roberto Rossellini, Francesco, giullare di Dio (1950), Standbild.

Vergleichbar etwa der neorealistischen Gleichsetzung von Regen und Wirklichkeit in Rossellinis Film über den Heiligen Franz von Assisi entwirft Énard Bilder der existenziellen Ausgesetztheit des Einzelnen, hier bei der flüchtenden Frau, der der Deserteur in der Wildnis begegnet:

C’est d’abord l’odeur qui est montée du sol, un parfum de roche chaude et d’ardoise, avant que l’âne ne se mette à frémir, à braire et à marcher trop vite ; puis les premières gouttes, molles, grasses, rares, ont laissé des marques brunes sur la terre sablonneuse du sentier. Le soleil a disparu soudain ; la lumière portait une stridence violacée, c’était une lumière d’intérieur, comme si le soir était déjà là, le soir est déjà là, elle a tourné le visage vers le ciel, elle a tiré sur la longe, essayé de rassurer l’âne – le tonnerre écrase la terre de sa rage éclatante, interminable, à l’étroit entre les montagnes, qu’il semble écarter ; le tonnerre ouvre en roulant l’adret, le tonnerre infini court sous les coups de l’éclair, haché, sèche étincelle de géants qui fend les pierres de son craquement – la foudre est tombée tout près, la foudre tombe toujours tout près, elle sent son odeur d’ozone, sa lumière a aveuglé l’œil borgne de l’âne d’un horrible reflet, les gouttes d’eau sont devenues des filets, des ruisseaux droits, des rideaux opaques de pluie continue, un déluge immédiat dont la force commence à déplacer les cailloux sous les pieds, la pente devient un torrent dans le tonnerre qui reprend et roule à nouveau, écrasant l’espoir d’un refuge, elle est immédiatement trempée, elle dégouline, elle cherche un abri inexistant, la pluie frappe le sol aussi fort que le tonnerre lui-même, elle marche quelques pas à droite, puis revient vers la gauche en courant, sonnée, l’âne hurle à chaque coup de tonnerre, il brait comme un perdu, ajoutant ses cris au tumulte, les éclairs claquent, le tonnerre ne s’interrompt plus, c’est un canon continu qui fait vibrer la terre, entrecoupé d’arcs électriques formidables tranchant la masse même de la pluie. Elle remarque l’ombre noire d’un chêne se découper dans la tourmente, elle court vers le maigre refuge, avec l’âne qui renâcle ; partout se forment des torrents, des cascades qui dévalent la pente : tout le versant recueille, tout le versant laisse glisser l’eau en direction de la mer. Le vent s’est levé ; entre deux coups de tonnerre, il tournoie en hurlant et plie les bourrasques jusqu’à les rendre parallèles au sol, projette des vagues de pluie contre les corps, comme si la mer elle-même avait envahi la montagne ; les trombes d’eau continuent à battre obstinément le sol,

Mathias Énard, Déserter, Kap. XI., S. 91.

Zuerst war es der Geruch, der vom Boden aufstieg, ein Duft von heißem Fels und Schiefer, bevor der Esel anfing zu zittern, zu brüllen und zu schnell zu gehen; dann hinterließen die ersten Tropfen, weich, fettig, selten, braune Spuren auf der sandigen Erde des Pfades. Die Sonne verschwand plötzlich; das Licht trug einen violetten Schimmer, es war ein innerliches Licht, als ob der Abend schon da wäre, der Abend ist schon da, sie drehte ihr Gesicht zum Himmel, zog am Seil, versuchte den Esel zu beruhigen – der Donner zermalmt die Erde mit seiner gleißenden Wut, endlos, eng zwischen den Bergen, die er auseinander zu drücken scheint; der Donner öffnet walzend den Abhang, der unendliche Donner rollt unter den Schlägen des Blitzes, zerhackt, trockener Funke von Riesen, der mit seinem Krachen die Steine spaltet – der Blitz ist ganz nah gefallen, der Blitz fällt immer ganz nah, sie riecht seinen Ozongeruch, sein Licht hat das Auge des einäugigen Esels mit einem schrecklichen Reflex geblendet, die Wassertropfen sind zu Strömen geworden, zu geraden Bächen, zu undurchsichtigen Vorhängen aus Dauerregen, zu einer unmittelbaren Flut, deren Kraft beginnt, die Steine unter den Füßen zu verschieben, der Hang wird zu einem Strom im Donner, der wieder einsetzt und erneut rollt, zerschmettert die Hoffnung auf einen Unterschlupf, sie ist sofort klatschnass, sie tropft, sie sucht nach einem nicht vorhandenen Unterschlupf, der Regen schlägt so hart auf den Boden wie der Donner selbst, sie geht ein paar Schritte nach rechts und rennt dann betäubt nach links zurück, Der Esel schreit bei jedem Donnerschlag, er brüllt wie ein Verirrter und fügt seine Schreie dem Tumult hinzu, die Blitze zucken, der Donner hört nicht mehr auf, es ist ein kontinuierlicher Kanon, der die Erde vibrieren lässt, unterbrochen von gewaltigen Lichtbögen, die selbst die Masse des Regens durchtrennen. Sie bemerkt den schwarzen Schatten einer Eiche, der sich im Sturm abzeichnet, sie läuft mit dem Esel, der schnaubt, zu der mageren Hütte; überall bilden sich Bäche, Wasserfälle, die den Hang hinabstürzen: der ganze Hang fängt das Wasser auf, der ganze Hang lässt das Wasser in Richtung Meer fließen. Der Wind hat sich erhoben; zwischen zwei Donnerschlägen wirbelt er heulend herum und biegt die Windböen, bis sie parallel zum Boden sind, schleudert Regenwellen gegen die Körper, als ob das Meer selbst den Berg überflutet hätte; die Wassermassen schlagen weiterhin unerbittlich auf den Boden,

Als dieser apokalyptische Regen endlich endet, spricht die unbehauste Frau ihr Gebet (das an die Cinq Prières pour le temps de la guerre von Francis Jammes erinnert, mit denen Énard sein Buch eröffnet): „Gott, ich flehe dich um Vergebung an, ist es auch dein Himmel, der mich und uns geschlagen hat, wir verdienen nichts als Krieg und Feuer, es gibt keine Kraft, keine Macht außer in Gott,“ 10 Ist die Begegnung des Deserteurs mit der Frau im Gebirge allegorisch zu verstehen als Gelegenheit, sich vergangener Schuld zu stellen? Sein Ringen ist Ausdruck eines doppelten Kriegs, des Krieges, den er flieht, und des Krieges, der in ihm noch nicht ausgetrieben ist:

la guerre lui tombe comme la peau du lépreux, il la perd, la guerre il voudrait se l’arracher comme une croûte morte – le fusil est toujours sur ses genoux, pourtant, les souvenirs en lui, le corps de la femme allongée sur la banquette de pierre est une réplique des corps qu’il a déshonorés à mort, un gisant pour des centaines de morts. Il joue avec les cartouches comme un enfant – l’étui en laiton, la petite ogive d’acier à son extrémité, pointue, parfaite, il les extrait du magasin, les remet,

Mathias Énard, Déserter, Kap. III, S. 27.

der Krieg fällt von ihm ab wie die Haut eines Aussätzigen, er verliert sie, den Krieg möchte er sich abreißen wie eine tote Kruste – das Gewehr liegt immer noch auf seinem Schoß, dennoch, die Erinnerungen in ihm, der Körper der Frau, die auf der Steinbank liegt, ist eine Nachbildung der Körper, die er zu Tode geschändet hat, ein Liegeplatz für Hunderte von Toten. Er spielt mit den Patronen wie ein Kind – das Messingetui, der kleine Stahlkopf an seinem Ende, spitz, perfekt, er holt sie aus dem Magazin, steckt sie zurück

Die Doppelgeschichte des Mathematikers und des Deserteurs bildet eine wellenartige Überlagerung, Resonanzen zwischen zwei Geschichten entstehen in Énards doppelten Wellenaufzeichnungen von Gewalt und Krieg. Nimmt man die Verlagsankündigung ernst, dann ist der Text kein episches Geschichtspanorama mehr wie Zone, sondern eine Anordnung, die wie ein dynamisiertes Tableau des ut pictura poesis zwei Gleichungen, zwei Wellenbewegungen gegenseitig interferieren lässt, diese Lektüre müsste aber nicht narrativ sondern poetisch sein: „Aus der Spannung zwischen diesen beiden Erzählungen erhebt sich wie durch eine Art Magie – poetisch, räumlich, mathematisch – all das, was sich in der Liebe wie in der Politik zwischen Engagement und Verrat, zwischen Treue und Klarheit, zwischen Hoffnung und Überleben abspielt. Mathias Enard entfaltet hier eine Ökonomie des Schweigens und der Vibration, die eine Romandichte erzeugt, die umgekehrt proportional zu ihrem Aufwand an Worten ist. Da der Krieg gestern wie heute Geschichte ist, rüstet uns Déserter mit Bildern und Konjekturen aus, um die Zufallsgleichungen zu entschlüsseln.“ 11

2. Gespenster in Weimar

La proximité entre les choses m’asphyxie – Weimar à deux heures de train de Berlin, le camp de concentration à trois quarts d’heure de marche de Goethe, Schiller et moi.

Mathias Énard, Déserter, Kap. XXVI, S. 231.

Die Nähe der Dinge erstickt mich – Weimar zwei Zugstunden von Berlin entfernt, das Konzentrationslager eine Dreiviertelstunde Fußweg von Goethe, Schiller und mir entfernt.

Énards Orientalismus ist ein gebrochener bzw. kritischer. Am Beispiel der europäischen Touristen nach Tanger machte sich Énard schon in Rue des voleurs über deren Orientalismusbilder von Tausendundeiner Nacht lustig. Weimar ist vielfach verbunden mit dem Orient, neben dem Ginkgo und Goethe mit Herder, Schiller und Indien, mit Wieland und seinem Dschinnistan. Énards Roman Boussole über die deutsche Orientalistik berichtet wie Déserter von einem Kolloquium, dort am Wohnsitz des ersten großen österreichischen Orientalisten, Joseph von Hammer-Purgstall, der Tausendundeine Nacht übersetzt hatte, er hatte den Dichter Rückert im Persischen unterrichtet und damit, so Énard, Gustav Mahlers Kindertotenlieder mit der Orientalistik des 19. Jahrhunderts und der Poesie von Hafiz verbunden. Auch der Mathematiker-Vater der Tochter-Erzählerin von Déserter hatte so einen Mentor, genauer eine Mentorin, die (nicht fiktive) Wissenschaftlerin Emmy Noether, die 1933 ins US-amerikanische Exil floh und hier eine schöne Würdigung erfährt.

Auch die Topographie von Déserter ist offen, neben dem unbenannt bleibenden Mittelmeerraum des flüchtenden Deserteurs ist der Widerstandskämpfer Paul nicht nur im Konzentrationslager Buchenwald anzutreffen, auch im Camp Gurs nördlich der Pyrenäen, im ostbelgischen Lüttich, nach der Befreiung aus Buchenwald (das Wort kann er nicht aussprechen) dann lässt er sich in (Ost-)Berlin nieder, wo die posthume Tagung zu seinen Ehren dann über das Attentat vom 11. September mit New York verbunden wird. In Déserter begegnen wir ebenfalls dem Werk der Tausendundeinen Nacht, perspektiviert durch Tusi, einen Wissenschaftler im Bagdad des Wissens und der Poesie, der als Spiegel für das Ethos auch des Mathematikers Paul im Sozialismus stehen kann, als Idealismus mathematischer Abstraktion, nicht zuletzt heißt ja der Kolloquiumsbeitrag der Erzählerin als Laudatio auf ihren Vater Paul Heudeber „Mathematik und Widerstand“ (VIII.).

Tusi accompagna les Mongols jusqu’à la capitale des califes abbassides, jusqu’à Bagdad. Bagdad de la Maison de la Sagesse et des bibliothèques, Bagdad des Mille et Une Nuits, Bagdad de la pensée, de la poésie, du savoir et de la poésie, Bagdad qui avait été le phare du monde pendant cinq cents ans et fut perdue, détruite par les Mongols d’Hulagu début février 1258 – combien moururent dans les massacres qui suivirent la chute, tous, voilà la réponse de Nasiruddin, tous sont morts, les savants et les illettrés, les riches, les pauvres, les puissants, les mendiants, les femmes, les hommes, les esclaves et les musulmans : tous furent tués, leurs corps empilés, et on tua même, à flèches, les corbeaux et les charognards qui s’approchèrent des cadavres. Puis Tusi poursuivit sa route, sans verser une larme, semble-t-il, sur les vies qui venaient d’être perdues, ni sur la science à jamais détruite. Comme s’il avait la certitude de sa reconstruction. Comme s’il appartenait aux savants de reconstruire.

Mathias Énard, Déserter, Kap. XVIII, S. 135.

Tusi begleitete die Mongolen bis in die Hauptstadt der abbasidischen Kalifen, nach Bagdad. Bagdad des Hauses der Weisheit und der Bibliotheken, Bagdad aus Tausendundeiner Nacht, Bagdad des Denkens, der Poesie, des Wissens und der Dichtung, Bagdad, das 500 Jahre lang das Leuchtfeuer der Welt gewesen war und verloren ging, Anfang Februar 1258 von Hulagus Mongolen zerstört – wie viele starben in den Massakern, die dem Fall folgten, alle, das ist Nasiruddins Antwort, alle starben, die Gelehrten und die Analphabeten, die Reichen, die Armen, die Mächtigen, die Bettler, die Frauen, die Männer, die Sklaven und die Muslime : alle wurden getötet, ihre Leichen aufgestapelt, und man tötete sogar mit Pfeilen die Raben und Aasfresser, die sich den Leichen näherten. Dann setzte Tusi seinen Weg fort, ohne eine Träne über die verlorenen Leben oder die für immer zerstörte Wissenschaft zu vergießen. Es war, als hätte er die Gewissheit, dass er wieder aufgebaut werden würde. Als ob es die Aufgabe der Wissenschaftler wäre, den Wiederaufbau voranzutreiben.

So ist Déserter ein weiteres Buch von Énard mit einer Ost-West-Spiegelung, Paul als moderner Tusi erweist sich allerdings nicht so unbeirrbar wie sein Vorgänger, denn er erscheint nur bis zu seiner Inhaftierung im Konzentrationslager als unerschütterlicher Optimist: „man hat fast den Eindruck, dass es sich um einen anderen Menschen handelt, vor der Folter, vor der Verzweiflung“, heißt es einmal.

In Weimar spuken Gespenster der deutschen Geschichte. „Dreimal in diesem Jahrhundert ist die öffentliche Berufung auf Goethe und die Weimarer Klassik mit einem epochalen Zeitenwechsel in der Geschichte der Deutschen verbunden gewesen“, so schrieb 1999 Karl Robert Mandelkow, „1919 mit Friedrich Eberts Rede auf der Nationalversammlung in Weimar, seiner Beschwörung des „Geistes von Weimar“ als Kontrapunkt zum „Geist von Potsdam“ nach dem Zusammenbruch des Kaiserreichs. 1932 mit der Feier von Goethes 100. Todestag am Vorabend der nationalsozialistischen Herrschaft, die mit dem Restaurieren des „Geistes von Potsdam“ das Ende des von Ebert ausgerufenen „Geistes von Weimar“ bedeutete. Und 1949 mit der Feier von Goethes 200. Geburtstag, die im Zeichen der Errichtung zweier deutscher Staaten stand.“ 12 In Boussole hat Énard bereits einige Schichten der Weimarer Geistes- und Kulturgeschichte durch eine Figur charakterisieren lassen:

À Weimar on trouve aussi (en vrac) un retable de Cranach avec un magnifique démon difforme et verdâtre ; la maison de Schiller, celle de Liszt ; l’université du Bauhaus ; de jolis palais baroques ; un château ; le souvenir de la Constitution d’une république fragile ; un parc avec des hêtres centenaires ; une petite église en ruine qu’on dirait droit sortie (sous la neige) d’un tableau de Schinkel ; quelques néonazis ; des saucisses, des centaines de saucisses de Thuringe, sous toutes leurs formes, crues, séchées, grillées, et mon meilleur souvenir germanique,

Bien à toi,
Sarah

Mathias Énard, Boussole.

In Weimar findet man auch (in loser Folge) einen Cranach-Altar mit einem wunderschönen, grünlichen, deformierten Dämon; das Haus von Schiller, das Haus von Liszt; die Bauhaus-Universität; hübsche Barockpaläste; ein Schloss; die Erinnerung an die Verfassung einer zerbrechlichen Republik; ein Park mit hundertjährigen Buchen; eine kleine Kirchenruine, die aussieht, als wäre sie (im Schnee) einem Schinkel-Gemälde entsprungen; ein paar Neonazis; Bratwürste, hunderte von Thüringer Bratwürsten, in allen Formen, roh, getrocknet, gegrillt, und meine beste deutsche Erinnerung,

Herzlichst,
Sarah

Die lang geführte Debatte um den Weimar-Besucher Thomas Mann und Buchenwald finden wir etwa in seinem Doktor Faustus gespiegelt:

Unterdessen läßt ein transatlantischer General die Bevölkerung von Weimar vor den Krematorien des dortigen Konzentrationslagers vorbeidefilieren und erklärt sie – soll man sagen: mit Unrecht? – erklärt diese Bürger, die in scheinbaren Ehren ihren Geschäften nachgingen und nichts zu wissen versuchten, obgleich der Wind ihnen den Stank verbrannten Menschenfleisches von dorther in die Nasen blies, – erklärt sie für mitschuldig an den nun bloßgelegten Greueln, auf die er sie zwingt, die Augen zu richten. Mögen sie schauen – ich schaue mit ihnen, ich lasse mich schieben im Geiste von ihren stumpfen oder auch schaudernden Reihen.

Thomas Mann, Doktor Faustus: das Leben des deutschen Tonsetzers Adrian Leverkühn, erzählt von seinem Freunde, XLVI.
Blick aus dem Lagertor Buchenwald, Bild: Lars K Jensen

Jorge Semprún lässt in seinem zweiten Buchenwaldbuch Was für ein schöner Sonntag! (1980) Léon Blum mit Goethe zum Konzentrationslager Buchenwald/Weimar spazieren:

Dann nahm Goethe mich wieder beim Arm und ließ mich einige Schritte auf das Lagertor zu machen.

»Sehen Sie diese Inschrift?« fragte er mich, »Jedem das Seine. Ich weiß nicht, wer der Verfasser ist, wer die Initiative ergriffen hat. Aber ich finde es sehr bedeutungsvoll und sehr ermutigend, daß eine derartige Inschrift das Eingangstor zu einer Stätte der Freiheitsberaubung, der Umerziehung durch Zwangsarbeit ziert. Denn was bedeutet letztlich Jedem das Seine? Ist das nicht eine ausgezeichnete Definition einer Gesellschaft, die dazu gebildet worden ist, die Freiheit aller, die Freiheit der Allgemeinheit, wenn es sein muß, sogar auf Kosten einer übertriebenen und unseligen individuellen Freiheit zu verteidigen? Ich habe es Ihnen bereits vor mehr als einem Jahrhundert gesagt, und Sie haben es in Ihren Gesprächen unter dem Datum, Montag, dem 9. Juli 1827, aufgezeichnet. Erinnern Sie sich daran?

Jorge Semprún, Was für ein schöner Sonntag!

Die erstickende Nähe der Dinge, von der Énard spricht, wird in der unerträglich klingenden humanistischen Reflexion Goethes auf den Lagerspruch ad absurdum geführt. So betroffen wie ratlos zieht die Erzählerin eine Verbindung ihrer Erzählung zum Ukrainekrieg, zu russischen Agressoren wie ukrainischen — und deutschen! — Rechtsextremen der Gegenwart:

La proximité entre les choses m’asphyxie – Weimar à deux heures de train de Berlin, le camp de concentration à trois quarts d’heure de marche de Goethe, Schiller et moi. […]
Que reste-t-il d’hier à part le pire ?
Mon téléphone m’annonce en direct les destructions et les morts en Ukraine. Les Russes se battent de nouveau contre les nazis, assurent-ils. L’extrême droite ukrainienne nationaliste s’accroche au nom de Stepan Bandera.
L’extrême droite allemande la plus violente existe de nouveau.
Le raclement des chaînes de ces fantômes m’effraie.

Mathias Énard, Déserter, Kap. XXVI, S. 231.

Die Nähe zwischen den Dingen erstickt mich – Weimar zwei Zugstunden von Berlin entfernt, das Konzentrationslager eine Dreiviertelstunde Fußmarsch von Goethe, Schiller und mir entfernt. […]
Was ist von gestern übrig geblieben, außer dem Schlimmsten?
Mein Telefon meldet mir live die Zerstörung und die Toten in der Ukraine. Die Russen kämpfen wieder gegen die Nazis, versichern sie. Die nationalistische ukrainische extreme Rechte klammert sich an den Namen Stepan Bandera.
Die gewalttätigste deutsche extreme Rechte existiert wieder.
Das Kettenrasseln dieser Gespenster macht mir Angst.

Zugleich hat die 71jährige Erzählerin mit den Stasiakten ihrer Mutter Maja Scharnhorst die zu diesem Zeitpunkt schon eineinhalb Jahrzehnte verstorben ist, andere „Gespenster“ der Geschichte in ihrer Tasche auf der Weimarreise dabei. Der Vater Paul hatte beim Lesen der eigenen Akte zwar laut gelacht, war aber „mehr über die Sprache der Stasi entsetzt als über die tatsächlichen Fakten, die ihn betrafen.“

3. Konjekturen und Metafiktion

Nos rêves ont-ils meilleure mémoire que nous ?

Mathias Énard, Déserter, Kap. XXIV, S. 223.

Als métafictions historiographiques deutete Wolfgang Asholt in einem Doppelartikel gemeinsam mit Dominique Viart Énards Bücher, diese gehen über den (historischen) Roman als Fiktion hinaus und greifen historiografische Probleme auf, diskutieren sie und stellen methodologische und epistemologische Fragen der Rekonstruktion der Vergangenheit aus einer zeitgenössischen Perspektive in den Mittelpunkt. Auf diese Weise betonen diese Metafiktionen die Diskontinuität zwischen dem faktischen Ereignis und der Erzählung dieses Ereignisses, also die für die romanhafte Erzählung konstitutive Spannung zwischen Fiktion und Geschichte. Durch das Gedächtnis und das Bewusstsein der sich erinnernden Figur wird diese Spannung rekonstruiert. 13 Für Déserter gilt dies auf Ebene des Autors selbst, wie angedeutet, aber auch im intertextuellen Universum etwa eines wissenschaftlichen Vortrags der Erzählerin über den Protagonisten, einer fiktiven Aufzeichnung des Protagonisten über die Lagerzeit: Paul Heudeber, Les Conjectures de l’Ettersberg: élégies mathématiques (Berlin: Deutsche Akademie der Wissenschaften zu Berlin, 1947). Dt. in etwa: Konjekturen vom Ettersberg: mathematische Elegien. Die Konjektur ist eine editionsphilologische Bezeichnung dafür, dass Herausgeber in den Text eingreifen, um bei einem „verderbten“ Text die vermutete Autorintention wiederherzustellen. Und in der Tat finden sich Bemerkungen zur Editionsgeschichte dieses Bandes, der ja indirekt mit der ganzen Frage von Zeugnisliteratur, Trauma und Holocaust aus Perspektive des ersten Viertels des 21. Jahrhunderts verknüpft ist. Dies ist wohl impliziert, wenn Sébastien Omont in seiner Rezension das Fazit zieht: „Déserter kann als Andeutung gelesen werden, dass die jüngsten Kriege ihre Wurzeln in den Scheinwelten der europäischen Geschichte haben.“ 14

Il s’agit des travaux de Paul Heudeber rédigés autour de sa détention au camp de Buchenwald entre 1940 et 1946. Aujourd’hui vénérées par les mondes scientifiques et littéraires comme un trésor, Les Conjectures ne furent rééditées qu’une seule fois en Allemagne de l’Est, en 1973 (dans une version purement mathématique, sans les poèmes, les corollaires, les commentaires à propos de la vie du camp), et ce n’est qu’en 1991 que l’Akademie Verlag réédita la version originale, augmentée par Paul des fragments qu’il avait lui-même écartés (principalement les poèmes d’amour à Maja écrits entre 1937 et 1947) lors de la première publication. C’est cette version, sous le titre Les Conjectures de Buchenwald, traduite en anglais par Robert Kant à Cambridge, qui fit le tour de la planète, seul ouvrage de mathématiques à avoir connu un relatif succès, à tel point que les éditeurs, qui imaginaient que ce succès puisse être encore plus grand, suggérèrent à Paul d’en autoriser une version exclusivement “littéraire”, sans les développements mathématiques, ce qu’il refusa bien entendu jusqu’à sa disparition.

Mathias Énard, Déserter, Kap. IV, S. 37f.

Es handelt sich um die Arbeiten von Paul Heudeber, die er während seiner Haft im Lager Buchenwald zwischen 1940 und 1946 verfasst hat. Die Konjekturen, die heute von Wissenschaftlern und Literaten wie ein Schatz verehrt werden, wurden in Ostdeutschland nur einmal, 1973, neu aufgelegt (in einer rein mathematischen Version, ohne die Gedichte, Korollarien und Kommentare über das Lagerleben), und erst 1991 veröffentlichte der Akademie Verlag die Originalversion neu, von Paul um die Fragmente erweitert, die er selbst bei der Erstveröffentlichung ausgelassen hatte (hauptsächlich die Liebesgedichte an Maja, die zwischen 1937 und 1947 geschrieben wurden). Es war diese Version unter dem Titel Die Buchenwald-Konjekturen, die von Robert Kant in Cambridge ins Englische übersetzt wurde, die um die Welt ging und das einzige mathematische Werk war, das einen relativen Erfolg hatte, so dass die Herausgeber, die sich vorstellten, dass dieser Erfolg noch größer sein könnte, Paul vorschlugen, eine ausschließlich „literarische“ Version zu autorisieren,
ohne die mathematischen Ausführungen, was er natürlich bis zu seinem Tod ablehnte.

Traumaliteratur wird so von Énard in sein Buch eingeflochten, dass zum einen das Motiv der Verbindung von Wissenschaft und Dichtung, also hier Mathematik und Poesie in dem Buch und seiner Editionsgeschichte reflektiert wird, dass aber der Traumatext selbst statt des Traumas in den Fokus rückt, das Schreiben dieser Konjekturen — freie Verse, abgehackte Sätze, persönliche Syntax — ist mit dem „hungrigen Körper“ des posttraumatischen Protagonisten verbunden („je flottais quelque part entre ces gribouillis et mon corps affamé“).

grâce aux Conjectures je pouvais regarder mon traumatisme en face, il était devenu un objet analysable, extérieur, et je sus immédiatement que je voulais poursuivre ces travaux-là, c’est-à-dire des travaux littéraires, des travaux dans cette branche particulière des mathématiques qu’est la littérature, et plus précisément la poésie, qui est l’algèbre de la littérature.

Mathias Énard, Déserter, Kap. XXIV, S. 189.

dank der Konjekturen konnte ich meinem Trauma ins Gesicht sehen, es war zu einem analysierbaren, äußeren Objekt geworden, und ich wusste sofort, dass ich diese Arbeit fortsetzen wollte, d. h. literarische Arbeit, Arbeit in diesem besonderen Zweig der Mathematik, der Literatur, und genauer gesagt der Poesie, die die Algebra der Literatur ist.

Eine Zusammenführung der Weimargespenster — Humanität und KZ — und des Konjekturenbuchs ihres eigenen Vaters in der Imagination der Erzählerin soll hier abschließend nur angedeutet werden. Stattdessen als Schlusszitat ein in die Erzählung eingefügter Textausschnitt aus dem fiktiven Konjekturen-Buch des fiktiven Paul Heudeber, eine (hier gekürzte) Verdichtung von Mathematik und Poesie, Tod und Trauma, die wie ein Prosimetrum Énards Buch auf die Stufe historiographischer Metafiktion hebt, man mag Anklänge an Celans Todesfuge hören.

In Frankreich sticht unter den ersten Reaktionen auf Déserter die spitze Besprechung von Bouhadjera hervor, der Énard seinen Status als Nationalschriftsteller vorwirft und dies auch in seinem Roman diagnostiziert: „Dieser Text ist der eines offiziellen Schriftstellers: Alles ist in den beiden Erzählungen abgeschliffen (eine Sendung auf France Culture zu haben, entschuldigt hier offensichtlich nicht). Jede kleine Zweideutigkeit wird sofort entschärft: Der Roman ähnelt diesen Deutschkursen, die zwischen Berliner Ökovierteln, der Mauer und der Stasi pendeln: sirupartig und inkonsequent.“ 15 Déserter ist nach meiner Einschätzung ein stupendes, wichtiges, sehr zeitgenössisches französisches Buch, das vielleicht auf den Longlists des Goncourt und des Renaudot fehlt, weil es in vielem so deutsch ist wie der Goncourt-Preisträger von 2015 mit Boussole: Mathias Énard ist seit 2021 Mitglied der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung.

[…]
Marche, pas
Je compte derrière la virgule du néant un nombre premier de pas
Je compte les morts
Je compte les vivants
Marche, pas
Il n’y a personne dans les nombres
Il n’y a rien dans les comptes
Rien dans la partie réelle
Rien dans les entiers
Et chaque seconde de ma vie
(Singularité complexe)
Est dans le langage de la douleur
Partie imaginaire,
Marche, pas
Coups
Je compte les coups
Je compte un à chaque nombre premier de morts.

Mathias Énard, Déserter, Kap. XXIV, S. 191f. / Paul Heudeber, Les Conjectures de l’Ettersberg, Deuxième conjecture, Corollaire un, “Compter”.

[…]
Geh, Schritt
Ich zähle hinter dem Komma des Nichts eine Primzahl von Schritten
Ich zähle die Toten
Ich zähle die Lebenden
Geh, Schritt
Es gibt niemanden in den Zahlen
Es gibt nichts in den Zählungen
Nichts im Realteil [komplexer Zahlen]
Nichts in den natürlichen Zahlen
Und jede Sekunde meines Lebens
(Komplexe Singularität)
Ist in der Sprache des Schmerzes
Imaginärteil [komplexer Zahlen],
Geh, Schritt
Schläge
Ich zähle die Schläge
Ich zähle einen zu jeder Primzahl der Toten.

Mathias Énard, Déserter / Paul Heudeber, Konjekturen vom Ettersberg, Zweite Konjektur, Folgerung eins, „Zählen“.

[N.B. Die Rezensionen von Omont und Bouhadjera wurden nach Online-Publikation dieser Besprechung nachträglich eingearbeitet.]

Kai Nonnenmacher

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Anmerkungen
  1. Einige der zahlreichen Körperthematisierungen: „la trahison commence par le corps“ — „un corps, un anneau – tu es sceau de toute chose, unique“ — „plus la guerre s’éloigne et plus son corps se démonte“ — „ton corps, après l’eau, après le soleil, perd l’odeur électrique, de graisse et de sang, que la guerre lui a donné“ — „son visage, ses épaules, son corps était parcouru de terreur“ — „la montagne elle-même, percée tel un corps mitraillé“ — „je flottais quelque part entre ces gribouillis et mon corps affamé“ — „son corps la retient prisonnière“ — „de penser à l’arrestation de Paul, à son corps torturé“ — „un corps déjà rongé par les oiseaux de proie et les charognards“ — „il va laisser à son agonie ce corps inutile“ — „il a donné ce coup de grâce à des corps tout à fait vivants qui s’ignoraient morts, les yeux bandés, des corps qui tombaient lourds et mats dans une fosse“ — „elle sent son corps se briser en morceaux de feu“ — „tous furent tués, leurs corps empilés“ — „les astres, l’amour, les corps, les anneaux, les idéaux, tout ce fatras si profondément humain“ — „il passe une éponge sur son corps pour en retirer le sang séché“ — „les cadavres décoraient de couleurs l’entassement des gravats, des bleus de travail, des lambeaux de foulards rouges, écrasés avec le corps qui les portait“ — „le corps de la femme allongée sur la banquette de pierre est une réplique des corps qu’il a déshonorés à mort, un gisant pour des centaines de morts“ — „des corps qui tombent des fenêtres, des tours qui s’effondrent“ — „son corps une lave de douleur sans flammes“ — „rien ne semble avoir de l’effet sur son corps engourdi“ — „son corps encore moulu, chaque geste encore douloureux“ — „il se revoit caressant ce corps agonisant dans la cabane“ — „un corps qui n’est plus comme les autres, que tu désires exempt de souffrance, hors de douleur“ — „on n’avait bien sûr jamais retrouvé son corps, identifié des mois plus tard d’après quelques fragments“ — „son corps a été retrouvé, noyé“ — „les formalités judiciaires concernant, je cite, l’expatriation du corps“.
    „Verrat beginnt mit dem Körper“ — „ein Körper, ein Ring — du bist das Siegel von allem, einzigartig“ — „je weiter der Krieg entfernt ist, desto mehr zerlegt sich sein Körper“ — „dein Körper verliert nach dem Wasser, nach der Sonne den elektrischen Geruch von Fett und Blut, den der Krieg ihm verliehen hat“ — „sein Gesicht, seine Schultern, sein Körper war von Terror durchzogen“ — „der Berg selbst, durchbohrt wie ein Körper mit Maschinengewehrfeuer“ — „ich schwebte irgendwo zwischen diesen Kritzeleien und meinem hungrigen Körper“ — „ihr Körper hält sie gefangen“ — „an Pauls Verhaftung zu denken, an seinen gefolterten Körper“ — „ein Körper, der bereits von Raubvögeln und Aasfressern zerfressen war“ — „er wird diesen nutzlosen Körper seiner Agonie überlassen“ — „er gab diesen Todesstoß ganz lebendigen Körpern, die sich selbst als tot ignorierten, mit verbundenen Augen, Körper, die schwer und stumpf in eine Grube fielen“ — „sie fühlt, wie ihr Körper in Feuerstücke zerbricht“ — „alle wurden getötet, ihre Körper gestapelt“ — „die Gestirne, die Liebe, die Körper, die Ringe, die Ideale, all dieses zutiefst menschliche Durcheinander“ — „er fährt mit einem Schwamm über seinen Körper, um das getrocknete Blut zu entfernen“ — „die Leichen schmückten den Schutthaufen mit Farben, Arbeitsblusen, Fetzen von roten Halstüchern, die mit dem Körper, der sie trug, zerquetscht wurden“ — „der Körper der Frau, die auf der steinernen Bank liegt, ist eine Replik der Körper, die er zu Tode geschändet hat, eine Liege für Hunderte von Toten“ — „Leichen, die aus den Fenstern fallen, Türme, die einstürzen“ — „sein Körper eine Lava aus Schmerz ohne Flammen“ — „nichts scheint eine Wirkung auf seinen betäubten Körper zu haben“ — „sein Körper noch immer geformt, jede Geste noch immer schmerzhaft“ — „er sieht sich selbst, wie er diesen sterbenden Körper in der Hütte streichelt“ — „ein Körper, der nicht mehr wie die anderen ist, den du dir wünschst, frei von Leiden, frei von Schmerz“ — „sein Körper wurde natürlich nie gefunden, erst Monate später anhand einiger Fragmente identifiziert“ — „sein Körper wurde gefunden, ertrunken“ — „die gerichtlichen Formalitäten bezüglich, ich zitiere, der Ausbürgerung des Körpers“.>>>
  2. „La supposée « musique secrète des mathématiques » qui échappe à la plupart des littéraires, Mathias Énard la met en scène à un seul moment du récit, avec un poème qu’uniquement les initiés comprendront. Sinon, nulle équation ni développement algébrique, arithmétiques ou géométriques, il se borne à un portrait de communiste déprimé. Reste une tentative de définition de la science des sciences : « Matière glacée comme les étoiles, langue divine. » Sans affect, comme si elles avaient été inventées pour les anges qui n’ont aucun soufre à dépenser. Les mathématiques comme consolation, on l’aura compris, mais non la source d’une possible rédemption pour le savant allemand…“ Hocine Bouhadjera, „Déserter : le bain tiède de Mathias Énard“, Actualitté, 20. September 2023.>>>
  3. „L’enfermement, les événements qui ont pesé sur l’année 2021, la guerre, si proche, si présente et si soudaine : autant de vagues qui me poussent vers les récifs.“ Mathias Énard, Déserter, Kap. IV, S. 35.>>>
  4. „Le 24 février 2022, le conflit a frappé de plein fouet mes projets.“ Mathias Énard, Verlagsseite zum Buch.>>>
  5. „Le roman que j’envisageais ne pouvait plus être le même. La résurrection du discours – nazis, dénazifier – faisait remonter les années 1940 jusqu’à nous. La Russie assumait son impérialisme. Elle brandissait sa violence comme une fierté. Les couleurs des années 1990 (hiver, sang, feu) teintaient de nouveau l’Europe. Les chars soviétiques T72, ces boîtes plates et vertes que nous avions vues dans les champs de maïs abandonnés de Pannonie tirer sur Vukovar, roulaient vers Odessa, et leurs équipages, ces soldats russes de moins de vingt ans, brûlaient vifs trois par trois, prisonniers de leur blindage, lorsqu’un missile Javelin ouvrait leur tank comme on arrache la tête d’un oisillon avec les dents. À travers les arbres, on voyait de nouveau les animaux – les cochons, les chiens – errer jusque sur nos écrans, souvent horriblement mutilés, avant d’être achevés d’un coup de baïonnette. Odessa, l’Alexandrie de la mer Noire, allait subir le sort de Sarajevo.“ Mathias Énard, Verlagsseite zum Buch.>>>
  6. Lothar Müller, „Das Handwerk des Tötens“, Süddeutsche Zeitung, 10. Juli 2023.>>>
  7. „Le 11 septembre 2001, alors que la violence avait, comme les ondes sur l’eau se propagent, secoué le bateau Beethoven amarré en face de l’île aux Paons“, Mathias Énard, Déserter, Kap. XXIV.>>>
  8. Vgl. die Rezensionen von Niklas Bender in der FAZ vom 22. April 2023, „Das Handwerks des Krieges zur Kunst erheben“ und von Lothar Müller, „Das Handwerk des Tötens“, SZ vom 11. Juli 2023.>>>
  9. „L’oeuvre de Mathias Énard, créateur puissant et sans doute le plus doué de sa génération, consiste à explorer, avec une grâce tout en densité, à quel point déferlent les horreurs. […] Or un seul être, parfois, endigue la fureur. Cela vaut rachat de l’espèce, aussi fragile ou provisoire que soit le geste miséricordieux.“ Antoine Perraud, „« Déserter », de Mathias Enard : guerre et poésie mathématique“, La Croix, 30. August 2023.>>>
  10. „Dieu, j’implore ton pardon, est-ce bien ton ciel qui vient de me frapper, de nous frapper, nous ne méritons que la guerre et le feu, il n’y a de force, de puissance, qu’en Dieu,“ Mathias Énard, Déserter, XI.>>>
  11. „De la tension entre ces deux récits s’élève, comme par une sorte de magie – poétique, spatiale, mathématique –, tout ce qui se joue, en amour comme en politique, entre l’engagement et la trahison, entre la fi délité et la lucidité, entre l’espoir et la survie. Mathias Enard déploie ici une économie du silence et de la vibration qui produit une densité romanesque inversement proportionnelle à sa dépense en mots. Puisque la guerre est l’Histoire en marche, hier comme aujourd’hui, Déserter nous arme des images et des conjectures pour en déchiffrer les équations aléatoires.“ Aus der Verlagsankündigung.>>>
  12. Karl Robert Mandelkow, „Der Geist von Weimar, das Erbe von Buchenwald und die Berliner Republik“, Tagesspiegel, 26. August 1999.>>>
  13. Vgl. Wolfgang Asholt und Dominique Viart, „L’œuvre de Mathias Énard, les Incultes et le roman contemporain français: regards croisés“, in Mathias Énard et l’érudition du roman, hrsg. von Markus Messling, Cornelia Ruhe, Lena Seauve und Vanessa de Senarclens (Leiden ; Boston : Brill Rodopi, 2020), 4-30, hier S. 22ff.>>>
  14. „On peut lire Déserter comme la suggestion que les guerres récentes plongent leurs racines dans les faux-semblants de l’histoire européenne.“ Sébastien Omont, „Europe furieuse“, En attendant Nadeau, 20. September 2023.>>>
  15. „Ce texte est celui d’un écrivain officiel : tout est arrondi (avoir une émission sur France Culture ne pardonne pas visiblement) dans les deux récits. Toute petite ambiguïté est immédiatement désamorcée : le roman ressemble à ces cours d’allemand, qui oscillent entre les écoquartiers, le mur de Berlin et la Stasi : sirupeux et inconséquent.“ Hocine Bouhadjera, „Déserter : le bain tiède de Mathias Énard“, Actualitté, 20. September 2023.>>>