« Hommage à l’ancien militant. Regret de le voir manquer de lucidité dans un livre raté. Incompréhension de le voir baiser la babouche d’un politicien xénophobe. #Roscoff #Touchepasàmonpote #SOS RACISME #Appropriationculturelle »
Abel Quentin, Le Voyant d’Étampes
Tweet de SOS Racisme
Jean Roscoff will noch einmal einen Essay schreiben, sein Leben damit nochmal erneuern, aber es wird in Worten des Verlags „die Geschichte vom Fall eines romantischen und zynischen Antihelden im Zeitalter der sozialen Netzwerke und der Identitätsverschiebungen“. 1 Gegenstand ist das Idol seiner Kindertage, der amerikanische Dichter Robert Willow, der als Linker ins französische Exil ging, Freund der Existenzialisten, und dann bei einem Autounfall im Jahr 1960 starb.
Appropriation culturelle.
Je n’avais jamais entendu ce terme. À soixante-cinq ans, je m’apercevais que j’étais déjà sur la touche. Je découvrais au hasard d’une déconvenue personnelle ce qui semblait être un concept essentiel pour comprendre l’état du racisme dans mon pays et dans le monde. On ne dira jamais assez le vertige de celui qui réalise qu’il n’est plus dans le coup. Quelques individus de ma génération compensaient ce vertige par le fait qu’ils étaient en responsabilité. Ils avaient encore prise sur quelque chose, un travail, une tribune, un engagement associatif. Ils étaient encore, du point de vue économique, du point de vue du pouvoir, dans le jeu.
Abel Quentin, Le Voyant d’Étampes
Kulturelle Aneignung.
Ich hatte diesen Begriff noch nie gehört. Mit fünfundsechzig Jahren stellte ich fest, dass ich bereits am Rande der Gesellschaft stand. In einer persönlichen Enttäuschung entdeckte ich zufällig ein Konzept, das mir wesentlich erschien, um den Zustand des Rassismus in meinem Land und in der Welt zu verstehen. Der Schwindel der Person, die feststellt, dass sie nicht mehr im Bilde ist, kann nicht hoch genug eingeschätzt werden. Einige Menschen meiner Generation kompensierten diesen Schwindel dadurch, dass sie das Sagen hatten. Sie hatten noch etwas in der Hand, einen Job, eine Plattform, eine Verpflichtung gegenüber Verbänden. Sie waren immer noch im Spiel, wirtschaftlich und in Bezug auf die Macht.
Der frisch pensionierte Geschichtsprofessor der Uni Paris 8, mit Hang zum Alkohol, geschieden, ist der Protagonist von Abel Quentins zweitem Roman, Le Voyant d’Étampes, den die konservative Presse wie der Figaro und Valeurs actuelles bereits als Menetekel der Cancel Culture feiert – Quentin persifliert die medialen Reaktionen auf Jean Roscoffs Buch und nimmt damit auch die Debatte um seinen eigenen Roman vorweg. Roscoff wird gerade auf dem Feld überwältigt, auf dem er glaubte, sich in den achtziger Jahren an der Seite von Harlem Désir und Julien Dray legitimiert zu haben. Kulturelle Aneignung lautet der Vorwurf, denn über einen Angehörigen der people of color zu schreiben (Robert Willow war ja Schwarzer), ist auch in Frankreich schwierig geworden, erstaunlich für einen ehemaligen Antirassismusaktivisten wie unseren Emeritus, der die Gründe seines Scheiterns untersucht:
Soucieux de m’amender, j’avalai gloutonnement une dizaine d’articles et de vidéos sur le thème. Les dénonciateurs de l’appropriation culturelle appartenaient tous à une mouvance antiraciste importée des États-Unis. Cette nébuleuse était qualifiée d’« indigéniste » par ses détracteurs – ses défenseurs, eux, préféraient parler de pensée décoloniale. Leur vision était née d’une critique de l’antiracisme à la papa, universaliste, celui qui réfute le terme de race. Celui pour lequel j’avais battu le pavé, avec Marc et les potes.
Abel Quentin, Le Voyant d’Étampes
In dem Bestreben, das wiedergutzumachen, habe ich ein Dutzend Artikel und Videos zu diesem Thema verschlungen. Diejenigen, die die kulturelle Aneignung anprangerten, gehörten alle zu einer aus den Vereinigten Staaten importierten antirassistischen Bewegung. Dieser Nebel wurde von seinen Gegnern als „indigenistisch“ bezeichnet – seine Befürworter sprachen lieber von dekolonialem Denken. Ihre Vision entstand aus der Kritik am universalistischen Antirassismus nach Art der Väter, der den Begriff Rasse ablehnt. Die, für die ich mit Marc und den Kumpels den Weg geebnet hatte.
So steht der Protagonist auch für den Generationenübergang in der Linken, exemplarisch am Scheitern eines alten weißen Mannes, der mit Linkssein noch die soziale Frage der 80er Jahre meinte und weniger die Empfindlichkeiten der Identitätspolitik. Authier fasst im Figaro mit Bezug auf einschlägige Essays von Paul Yonnet und Gilles Châtelet zusammen: „Ein Krieg der Generationen, ein Krieg der Rassen, ein Krieg der Identitäten: Der Schriftsteller seziert eindringlich den Krieg aller gegen alle, die Rivalität der Repräsentationen und die Viktimisierung, die im heutigen Frankreich herrschen.“ 2
Im ersten Roman von Abel Quentin, Sœur, konvertiert die biofranzösische Jugendliche Jenny Marchand zum Islam, überdrüssig mitten in einem bürgerlichen Jugendzimmer mit Harry-Potter-Postern möchte sie Märtyrerin werden, in einer Zeit, in der der Präsident der Französischen Republik, Saint-Maxens, für einen ausgelaugten Politikbetrieb steht. Der zweite Roman nun sucht die politische Malaise im Generationenbruch und analysiert den Antirassismus der 80er Jahre bereits im Übergang hin zum Privatfernsehen, und so dient die Fiktion als Thesenroman, als Geschichte der französischen Linken, die im Scheitern eines Altlinken auch die Probleme der nahenden Präsidentschaftswahlen 2022 aufgreift, in welcher die Zersplitterungen auf beiden Seiten der politischen Mitte die Opponenten im zweiten Wahlgang immer komplizierter vorhersagen lassen.
À l’époque, SOS Racisme était une antichambre de l’Élysée. Mais aussi, pour qui savait manœuvrer entre les courants invisibles et profonds de la gauche morale, SOS Racisme pouvait conduire à Canal plus. La jeune chaîne télé était née en 1983, l’année de la marche des beurs. Celle, aussi, où Laurent Fabius et sa morgue aristocratique éteignaient les derniers feux de la période romantique, jauressienne, vieille gauche, inflationniste, incarnée par l’imposant Pierre Mauroy – et c’était tout un programme que de voir un trentenaire aux doigts délicats et aux costumes croisés déloger le colosse du Nord, l’ancien professeur d’enseignement technique, le militant besogneux qui avait plus d’une fois allongé ses grosses mains au-dessus d’un feu de baril, dans le matin gelé, au milieu des grévistes. C’était le début du règne de la raison, (le cercle de la raison avait écrit un essayiste), la fin du Temps des cerises et des grandes réformes. C’était aussi le début d’un autre règne, médiatique celui-là, celui de la chaîne cryptée (voulue par François Mitterrand) et de son ironie branchouille, de ses émissions léchées.
Abel Quentin, Le Voyant d’Étampes
Damals war SOS Racisme ein Vorzimmer des Élysée-Palastes. Aber auch für diejenigen, die zwischen den unsichtbaren und tiefen Strömungen der moralischen Linken zu manövrieren wussten, konnte SOS Racisme zu Canal Plus führen. Der junge Fernsehsender wurde 1983, im Jahr des Marsches der Beurs, gegründet. Es war auch das Jahr, in dem Laurent Fabius und seine aristokratische Leichenhalle die letzten Feuer der romantischen, jauresken, altlinken, inflationären Periode löschten, verkörpert durch den imposanten Pierre Mauroy – und es war ein ziemliches Programm zu sehen, wie ein Dreißigjähriger mit zarten Fingern und Zweireihern den Koloss aus dem Norden verdrängte, der ehemalige Lehrer für technische Bildung, der fleißige Aktivist, der mehr als einmal seine großen Hände am eiskalten Morgen über einem Tonnenfeuer inmitten der Streikenden ausgestreckt hatte. Es war der Beginn der Herrschaft der Vernunft (der Kreis der Vernunft, hatte ein Essayist geschrieben), das Ende der Zeit der Kirschen und der großen Reformen. Es war auch der Beginn einer anderen Herrschaft, die des verschlüsselten Senders (von François Mitterrand gewollt) und seiner modischen Ironie, seiner ausgefeilten Programme.
Vielleicht ist auch dies der große Unterschied zwischen Abel Quentin und den Linken vergangener Jahrzehnte, in einer veränderten medialen Welt: Im Roman und seiner Vielstimmigkeit muss er selbst nicht explizit Position beziehen wie der in Quentins Roman sehr präsente Intellektuelle Sartre. Im Text können beide Generationen der Linken, die hier gegeneinander antreten, weitere Argumente für ihren Kampf finden, und selbst die konservative Leserschaft kann ihr Mütchen kühlen. Der prismatische Meta-Diskursroman führt damit selbst vor, was der Emeritus Jean Roscoff noch nicht beherrscht.
Le hashtag #jesuisroscoff était twitté 112 000 fois, tandis que #noircestnoir et #yapabonroscoff cumulaient, à eux deux, 150 000 retweets. Justice4blackpeople, un collectif d’anonymes engagé dans la lutte contre la « négrophobie d’État », avait balancé sur les réseaux mon adresse personnelle, mon adresse email et mon numéro de sécurité sociale. (…) J’ouvrais ma messagerie. Elle avait reçu un afflux d’emails inhabituel. « FÉLICITATIONS ! » m’informait un message : j’avais été abonné à un club libertin spécialisé dans le fist fucking. Des prélèvements automatiques sur mon compte LCL avaient été mis en place, les débits avaient commencé. Un compte Twitter à mon nom avait été créé la veille, alimenté de photos de gang bang interethniques, et d’une dizaine de messages orduriers signés « Jean Roscoff, profession : fdp. » Léonie m’expliquait le sens peu amène de cet acronyme. La photo du profil était un montage sordide.
Abel Quentin, Le Voyant d’Étampes
Der Hashtag #ichbinroscoff wurde 112.000 Mal getwittert, während #schwarzistschwarz und #nixgutroscoff zusammen 150.000 Retweets erhielten. Justice4blackpeople, ein Kollektiv anonymer Personen, die sich dem Kampf gegen „staatliche People-of-color-Feindlichkeit“ verschrieben haben, hatten meine persönliche Adresse, meine E-Mail-Adresse und meine Sozialversicherungsnummer in die Netze gestellt. (…) Mein Postfach enthielt eine ungewöhnliche Menge von E-Mails. „GLÜCKWUNSCH“ lautete die Nachricht: Ich war in einem Sexclub angemeldet, der sich auf fist fucking spezialisiert hatte. Lastschriften auf mein LCL-Konto waren eingerichtet worden, und die Abbuchungen hatten begonnen. Am Tag zuvor war ein Twitter-Account in meinem Namen eingerichtet worden, gefüllt mit Fotos von interethnischer Bandenkriminalität und einem Dutzend schmuddeliger Nachrichten mit der Unterschrift „Jean Roscoff, Beruf: fdp“. Léonie erklärte mir die unangenehme Bedeutung dieses Akronyms, Hurensohn. Das Profilfoto war eine schäbige Fotomontage.
Kai Nonnenmacher
- „[…] la chute d’un anti-héros romantique et cynique, à l’ère des réseaux sociaux et des dérives identitaires“, Éditions de l’Observatoire.>>>
- „Guerre des générations, guerre des races, guerre des identités: l’écrivain dissèque avec force la guerre de tous contre tous, la rivalité mimétique et la victimisation à l’oeuvre dans la France d’aujourd’hui.“ Christian Authier, „Le voyant d’Etampes, d’Abel Quentin: le bouc émissaire à l’ère de la «cancel culture»“, Le Figaro, 22. September 2021.>>>