Inhalt
Die Texte Le Fardeau (LF) von Matthieu Niango und Un nègre qui parle yiddish (NPY) von Benny Malapa sind literarische Aufarbeitungen des 20. Jahrhunderts, die sich auf komplementäre Weise mit der Komplexität hybrider Identität und der Überwindung transgenerationaler Traumata auseinandersetzen. Beide Romane leisten einen wichtigen Beitrag zur Neudefinition der nationalen Identität, indem sie die historische Komplexität der Zugehörigkeit aufzeigen. Le Fardeau konfrontiert das rassistische Ideal der Lebensborn-Ideologie mit der Realität einer ivorisch-stämmigen Filiation. Un nègre qui parle yiddish etabliert die Ehe zwischen einer Jüdin und einem Schwarzen in Paris im Jahr 1942 als einen Gründungsmythos, der beweist, dass die französische Geschichte des 20. Jahrhunderts ohne die Berücksichtigung von Nicht-Weißen (Kamerunisch/Deutsch) und jüdischen Schicksalen nicht vollständig ist. Beide Texte enthüllen genealogische Assemblages, die den totalitären Rassenlehren des Nazismus und des Kolonialismus diametral entgegenstehen. Der gemeinsame Nenner dieser Romane ist die zentrale Frage der filiation (Abstammung und Erbe) sowie die Notwendigkeit, lang gehütete Familiengeheimnisse und Traumata mittels literarischer Untersuchung ans Licht zu bringen. Die kritische Rezeption sieht in diesen Werken den Ausdruck einer neuen Phase in der französischen Erinnerungsliteratur, in der das kollektive Gedächtnis durch die Aufarbeitung intimer, dokumentarischer Familiennarrative herausgefordert wird, um die multikulturelle Realität Frankreichs im Lichte der europäischen Traumata zu verankern.
Im Zentrum von Le Fardeau steht die komplexe Abstammung des Erzählers Matthieu, dessen Erbe Französisch, Ivorisch, Nazi-Identität und potenziell Ungarisch-Jüdischsein vereint. Die zentrale, titelgebende Last (fardeau) ist das unbewusste Schuldgefühl, das aus der Lebensborn-Geburt seiner Mutter Gisela im Jahr 1943 resultiert, die als vermeintlich „reine Arierin“ in einer „pouponnière nazie“ von Lebensborn in Wégimont gezeugt wurde. Im Gegensatz dazu feiert Un nègre qui parle yiddish die „ebenso erstaunliche wie wundersame“ Ehe von Paul, einem deutsch-kamerunischen Métis, und Suzanne, einer polnischen Jüdin, deren Verbindung als direkter Akt des Widerstands gegen die Ideologie der Rassentrennung begriffen wird, die Pauls Mutter in Hamburg als „pute à nègre“ stigmatisierte. Thematisch vereint beide Werke der Schnittpunkt extremer Unterdrückung, wobei sie aufzeigen, dass Kolonialismus, Rassismus und Antisemitismus nicht isolierte Phänomene sind, sondern Teil einer umfassenden Doktrin der Inferiorisierung, deren „bêtise, la vilenie, la pauvreté intellectuelle“ (Dummheit, Niedertracht, intellektuelle Armut) durch die Existenz dieser gemischten Familien widerlegt wird.


Matthieu Niango wurde 1981 in Nancy geboren und ist Philosoph, Schriftsteller und politischer Aktivist. Er ist normalien, hat die agrégation in Philosophie sowie einen Doktortitel in politischer Philosophie und lehrt Theorie der Demokratie unter anderem an der Sciences Po Paris. Zudem war er Mitbegründer der Bewegung „À nous la démocratie!“, die eine stärkere direkte Demokratie fordert. Sein schriftstellerisches Werk ist vielseitig: In Essays wie La démocratie sans maîtres (2017) und Les Gilets jaunes dans l’histoire (2020) reflektiert er über Macht, Bürgerbeteiligung und soziale Bewegungen. 2025 veröffentlichte er mit Le Fardeau seinen ersten autobiografisch geprägten Roman. Außerdem ist ihm der kollektive Theatertext Les petits chevaux zuzurechnen, in dem ähnliche Themen von Herkunft und Erinnerung im Mittelpunkt stehen. 1 – Benny Malapa ist ein französischer Künstler mit kamerunisch-deutscher Herkunft, der vor allem als Produzent, Regisseur und Pionier des französischen Hip-Hop bekannt ist – er hat etwa das Label Sensitive Music mitbegründet und war an der „Rapattitude“-Compilation beteiligt. 2025 erschien sein literarisches Debüt.
Zwei Lesetipps für Jordan Bardella
In Matthieu Niangos Le Fardeau und Benny Malapas Un nègre qui parle yiddish wird Familiengeschichte zum moralischen Labor der europäischen Erinnerung: Zwei Söhne rekonstruieren die verschlungenen Linien ihrer Herkunft und stoßen auf das 20. Jahrhundert als genealogische Zumutung. Niangos Erzähler entdeckt, dass seine Mutter aus einem Lebensborn stammt – Tochter einer ungarisch-jüdischen Frau und eines SS-Offiziers – und ringt als Kind eines ivorischen Vaters und einer weißen Französin mit der unauflöslichen Spannung zwischen Opfer und Täter, Schwarz und Weiß, Denken und Fühlen. Malapas Erzähler dagegen erzählt die unwahrscheinliche Liebesgeschichte seiner Eltern – eines kamerunisch-deutschen Kolonialsoldaten und einer polnisch-jüdischen Exilantin – als epochenübergreifendes Gegenbild zu rassischer und kultureller Trennung. Während Le Fardeau die Bürde der Herkunft als Erkenntniskrise entfaltet, feiert Un nègre qui parle yiddish die Hybridität als Möglichkeit einer versöhnten, vielstimmigen Identität: zwei Romane, die das private Erbe zur Allegorie der Geschichte machen.
Beide Romane zeigen die systematische Verbindung der Ideologien der Verachtung: Die Autoren legen die gemeinsame Wurzel der Verfolgung frei, vom Völkermord an den Herero in Namibia bis zum Holocaust, und betonen die Kontinuität der Formen extremer Unterdrückung. LF verknüpft die eugenische Zucht direkt mit dem Schicksal der jüdischen Großmutter Margit und der rassistischen Verfolgung von Schwarzen und Métis („Mischlingen“) im Dritten Reich. Die nazistische Abneigung richtete sich nicht primär gegen „die Schwarzen, sondern die Métis,“ die als „souillure“ („Befleckung der weißen Rasse“) galten. NPY etabliert diese Verbindung noch expliziter durch Pauls Schicksal als métis germano-camerounais, dessen Herkunft sowohl von der Brutalität der deutschen Kolonisation in Kamerun als auch von der Verfolgung seiner jüdischen Frau betroffen ist.
Der Spitzenpolitiker des Rassemblement National, Jordan Bardella, könnte aus der Lektüre von Matthieu Niangos Le Fardeau und Benny Malapas Un nègre qui parle yiddish lernen, dass Herkunft keine Grenze, sondern ein Geflecht ist – und dass die moralische Würde des Menschen nicht aus seiner „Reinheit“, sondern aus seiner Fähigkeit zur Erinnerung, zur Verantwortung und zum Dialog entsteht. Beide Romane führen vor, wie die Geschichte Europas selbst durch Vermischung und Gewalt, durch Kreuzungen und Gegensätze geprägt ist. Niangos Erzähler entdeckt in sich die Erbschaften von Tätern und Opfern, Weiß und Schwarz, Europa und Afrika – und erkennt, dass die Aufgabe des Einzelnen nicht Abgrenzung, sondern Versöhnung durch Erkenntnis ist. Malapa erzählt die Liebe des afrikanisch-deutschen Mannes und der polnisch-jüdischen Frau als triumphierende Widerlegung aller ethnischen Grenzphantasien. Für einen Politiker, der die Nation als Identitätskern begreift, könnten diese Bücher eine ernüchternde Lektion sein: dass nationale Identität immer schon hybrid, geschichtlich zerspalten und moralisch verpflichtet ist.
Bardella, der selbst aus einer von Migration, sozialer Prekarität und familiärer Zersplitterung geprägten Biographie stammt, könnte in beiden Romanen ein Spiegelbild seiner eigenen verdrängten Komplexität finden. Le Fardeau würde ihm zeigen, dass das Leugnen der eigenen Mischung – der Wunsch nach einem reinen, homogenen Selbst – zur geistigen Verarmung führt, während Un nègre qui parle yiddish ihn lehren könnte, dass Zugehörigkeit nicht durch Ausgrenzung, sondern durch Weitergabe, Erzählung und Anerkennung entsteht. Beide Texte entziehen den Begriff „Identität“ dem politischen Missbrauch und machen ihn zu einem Ort ethischer Arbeit. Wer sie liest, müsste verstehen, dass das, was Frankreich zusammenhält, nicht Herkunft oder Blut ist, sondern die Fähigkeit, inmitten der Widersprüche menschlich zu bleiben.
Die Werke veranschaulichen ebenso, dass die extremen historischen Ereignisse des 20. Jahrhunderts – Krieg, Holocaust, Kolonialismus – tiefe psychologische Narben hinterlassen, die unweigerlich an die Nachkommen weitergegeben werden. In Le Fardeau äußert sich dieses Trauma als ein unbestimmtes Schuldgefühl („sentiment de culpabilité“) beim Erzähler, dessen Glück es verhinderte, bevor er die „invraisemblable, et pourtant vraie“ Geschichte seiner Mutter aufdeckte. Das Trauma ist an die Verdrängung der Herkunft geknüpft, welche die Mutter Gisela durch lebenslanges Kaschieren fortführen wollte. In NPY manifestiert sich das Trauma in einer unausgesprochenenen („non formulé“) Pflicht, die Geschichte zu erzählen, um die Leiden von Pauls staatenlosem Kampf gegen den Rassismus und Suzannes Verlust ihrer im Holocaust ermordeten Familie zu bewahren.
Beide Romane lassen sich als anti-identitäre Literatur lesen, wenn auch auf sehr unterschiedliche Weise und mit jeweils spezifischer ästhetischer Logik. In Matthieu Niangos Le Fardeau richtet sich die gesamte Erzählbewegung gegen die Vorstellung einer stabilen, reinen oder eindeutigen Identität. Der Erzähler entdeckt, dass seine eigene Herkunft sich über unvereinbare Gegensätze spannt – Kind eines ivorischen Vaters, einer weißen Französin, Enkel eines SS-Offiziers und einer jüdischen Frau. Diese genealogische Konstellation sprengt jedes identitäre Schema. Der Roman zeigt, dass Identität hier nicht Einheit, sondern Widerspruch ist: „Je suis fait d’impossibles alliances“ (LF). Das Motiv der Bürde meint daher nicht nur die Last des Wissens, sondern auch die Unmöglichkeit, sich in einer eindeutigen Kategorie wiederzufinden. Niango verweigert jede Festschreibung – weder „französisch“ noch „africain“, weder „victime“ noch „bourreau“ – und ersetzt Zugehörigkeit durch Verantwortung. Seine Poetik ist rational, essayistisch, introspektiv: das Denken selbst wird zum Mittel, Identität zu verflüssigen. In diesem Sinn ist Le Fardeau ein dezidiert anti-essentialistischer Roman, der zeigt, dass Identität nur als „Arbeit am Widerspruch“ moralisch haltbar ist.
Benny Malapas Un nègre qui parle yiddish geht denselben Weg, aber mit entgegengesetztem Tonfall: nicht über Zersetzung, sondern über eine Feier der Mischung. Der Titel selbst – eine provokative Zusammenfügung in sich – macht die Unmöglichkeit reiner Identität zum poetischen Programm. Malapa lässt den Sohn eines afrikanisch-deutschen Vaters und einer polnisch-jüdischen Mutter als Erzähler auftreten, der zwischen Sprachen, Kontinenten und Gedächtnissen pendelt. In dieser polyglotten, mündlichen, geradezu rhythmischen Prosa wird Vermischung nicht als Problem, sondern als schöpferische Kraft begriffen: „Le yiddish, c’est la langue de ma mère ; le ndolé, celle de mon père – et j’écris dans la langue de leurs silences“ (NPY). Das heißt: Identität entsteht in der Überlagerung, im Zwischenraum, im Übersetzen. Auch hier gilt: Jede Reinheitsidee ist Gewalt.
Die Protagonisten kämpfen gegen die Staatenlosigkeit, die ihnen durch Krieg und rassistische Bürokratie aufgezwungen wurde. Paul (in NPY) verlor nach dem Ersten Weltkrieg seinen Status, kämpfte in Deutschland gegen die Ausweisung und wurde schließlich nach Frankreich abgeschoben. Gisela (in LF) war nach ihrer Geburt im Lebensborn staatenlos und wurde von einem Flüchtlingszentrum zum nächsten verschleppt. Die Reaktion darauf ist die aktive Behauptung des gewählten Ortes und der Zugehörigkeit: Paul bekennt sich zum Judentum („ein wahrer Jude“), nicht durch Geburt, sondern durch Wahl. Suzanne wiederum nimmt die kamerunische Nationalität an, ein symbolischer Akt der Solidarität. In LF wird die Heimat durch die Überwindung der „legalen Lüge“ der Adoption und die bewusste Entscheidung der Familie, das „Unreine“ als Stärke anzunehmen, neu definiert.
Beide Texte sind so anti-identitär in einem radikalen Sinn, aber nicht postmodern-beliebig. Sie lehnen Identität als ideologische Fixierung ab, nicht Zugehörigkeit als gelebte Erfahrung. Sie zeigen, dass wahre Identität dialogisch, relational, unabschließbar ist – eine Arbeit des Erinnerns, keine Essenz. Wo Niango die Zersplitterung analytisch reflektiert und das Denken als moralische Selbstprüfung entwirft, lässt Malapa die Zersplitterung in Klang, Geschichte und Sprache übergehen – er macht sie fruchtbar. Beide erweisen sich als Gegenentwürfe zu ethnonationalen, rassischen oder kulturell „reinen“ Selbstbildern: anti-identitäre Romane, weil sie das Identische durch das Verhältnis ersetzen.
Eine vergleichende Interpretation hat zu zeigen, wie beide Texte auf unterschiedliche Weise das Verhältnis von Erinnerung, Schuld und Weitergabe gestalten: Wie begegnen sich Archiv und mündliche Überlieferung, Dokument und Mythos, in der Arbeit des Gedächtnisses? Die introspektive, philosophische Sprache Niangos und die polyphone, oral geprägte Poetik Malapas – welche Kommunikationsformen verkörpern zwei Ethiken des Erinnerns: Verantwortung durch Analyse und Verantwortung durch Weitergabe? Inwiefern spiegeln Figurenkonstellation und Zeitstruktur zwei komplementäre Weisen, postkoloniale und postshoahhafte Identität zu denken? Und schließlich: Was sagen diese Romane über das Schreiben selbst als Form der moralischen Handlung und über das Erzählen als Versuch, inmitten der Gewaltgeschichte ein gemeinsames Gedächtnis zu stiften?
Matthieu Niango: Le Fardeau
Le Fardeau (Die Bürde, 2025) ist die hochgradig investigative und tief persönliche Autobiografie Matthieu Niangos, der sich auf eine Suche nach der verborgenen Herkunft seiner Mutter, Gisela, begibt. Die genealogische Ermittlung weitet sich rasch zu einer existenziellen und moralischen Auseinandersetzung mit dem 20. Jahrhundert aus. Niangos Roman strukturiert sich als autofiktionale Recherche eines Philosophen, der als normalien an der Schwelle zum Erwachsensein und der „agrégation de philosophie“ mit einem Geheimnis konfrontiert wird. Der Erzähler entdeckt, dass seine Großmutter in einem Lebensborn geboren wurde. Seine Großmutter war eine ungarische Jüdin, sein Großvater ein deutscher SS-Offizier. Seine Mutter ist das Kind einer Verbindung zwischen Opfer und Täter, geboren in einem Ort, der als Labor der Ideologie und als Schmelztiegel der Gewalt fungierte. Der Roman beginnt mit Angstbildern aus der Kindheit, „la peur se glisse entre moi et le bonheur“, und überträgt diese Urangst auf das genealogische Unheimliche, das in den Körper und die Erinnerung der Nachgeborenen eindringt.
Die adoptierte Gisela war zeitlebens bemüht, ihre biologischen Wurzeln zu verdrängen. Die „enquête extravagante“ (LF) führt zur schockierenden Entdeckung, dass Gisela 1943 in Wégimont, Belgien, in einem Lebensborn geboren wurde – jenen „pouponnières nazies“, die Himmlers SS zur Züchtung einer „reiner Arier“ betrieb. Diese Wahrheit konfrontiert den Erzähler mit einem zersplitterten, paradoxen Erbe: Er ist Franzose und Ivorer, aber sein genetisches Erbe umfasst auch einen Nazi-Großvater (wahrscheinlich einen SS-Offizier) und eine ungarische Jüdin (Margit Sestura) als Großmutter, die Gisela mit diesem Offizier zeugte. Niango sieht sich „en droit de se poser quelques questions sur la complexité de son héritage“. Die psychologische Triebkraft der Recherche ist der Kampf gegen ein tief sitzendes, unverschuldetes „sentiment de culpabilité“ und das transgenerationale Trauma, das er als Last begreift, welches durch das lebenslange Schweigen seiner Mutter nur verstärkt wurde. Gisela selbst versuchte, diese „horreur“ durch Verdrängung zu überwinden, bis sie sich im Alter den Ursprüngen stellen musste, indem sie Wégimont und sogar Dachau besuchte, um zu prüfen, ob „rien ne s’était infiltré en elle de cette horreur“.
Die narrative Aufarbeitung dieses „Fardeau“ vollzieht sich durch die sorgfältige Montage von dokumentarischem Material (etwa aus Bad Arolsen, UNRRA und Indersdorf) und bewusster fiktionaler Rekonstruktion, wo die Beweise fehlen. Die Geschichte der Großmutter Margit Sestura beleuchtet die Verzweiflung, die zum Verrat am eigenen Kind führte. Margit, eine staatenlose ungarische Immigrantin, die nach Flucht und Gefängnis in der deutschen Militärindustrie (Bataville) arbeitete, zeugte das Kind mit einem Mann namens Otto. Ihre Entscheidung, das Baby Gizela im Lebensborn zurückzulassen, war wahrscheinlich der verzweifelte Versuch, das Kind in Sicherheit zu wissen, da sie selbst kurz darauf wegen „évasion“ (Flucht) gesucht, von der Gestapo verhaftet und brutal gefoltert wurde, bevor sie 1944 nach Berlin deportiert wurde. Das Buch verfolgt Giselas Weg vom Lebensborn über das UNRRA-Flüchtlingszentrum Indersdorf – wo Kinder von Holocaust-Überlebenden und Lebensborn-Babys koexistierten – bis zu ihrer Adoption in Frankreich unter einer „legale[n] Lüge“. Der Autor nutzt seine Aufdeckung als Akt der Liebe und Verantwortung, um seinen eigenen Kindern, insbesondere Odile, die „richesse inépuisable de nos identités multiples“ (unerschöpflichen Reichtum unserer vielfältigen Identitäten) zu vermitteln und die rassistischen Determinismen des Lebensborn zu negieren: „Braune Haut, krauses Haar und arisches Blut. Pygmäe, SS“. 2
Die narrative Bewegung führt den Erzähler von der intimen Familiengeschichte zur Reflexion über europäische Schuld, koloniale Verflechtung und Identität im Zeichen von Mehrfachzugehörigkeit. Der Sohn einer weißen Französin und eines ivorischen Vaters entdeckt in sich das Erbe der Täter und der Opfer, das weiße und das schwarze, das christliche und das jüdische, das nationale und das entwurzelte Element. Das Motiv des „fardeau“, der Bürde, ist dabei doppeldeutig: Es bezeichnet das genealogische Gewicht einer unbewältigten Vergangenheit, aber auch die ethische Verantwortung, sie zu tragen und zu denken. In dialogischer Form mischt der Text Selbstbefragung, Archivrecherche, Traumsequenzen, philosophische Meditation und realistische Familienchronik. Der Erzähler, der als Philosoph denkt, sucht das Denken als Form der Wiedergutmachung: „Je ne renoncerai pas“, lautet der letzte Satz des Prologs – das Versprechen, der Wahrheit standzuhalten.
Zeitlich ist Le Fardeau schichtartig und datiert: Prolog (nächtliche Gegenwart 2022), Sprünge in 2004 (Entdeckung der Adoption), Rückblenden bis 1943 (Lebensborn), Vorgriffe in die Gegenwart (Familienleben, Kinder). Diese mehrschichtige Chronologie dient einem archäologischen Verfahren: die Vergangenheit wird schrittweise exhumiert. Der Roman nutzt Datumsüberschriften, die einen dokumentarischen Rhythmus erzeugen, und verwandelt so literarische Zeit in eine Historiographie-Logik.
Die Handlung im engeren Sinn ist in der Abfolge als Entdeckung, Untersuchung, Konfrontation und (teilweise) Enthüllung strukturiert, doch der Roman verteilt Handlung auf mehrere Stränge: familiäre Alltagschronik (Vaterschaft, Ehe), genealogische Spurensuche (Akten, Reisen), historische Episoden (Schicksal der Großmutter in der NS-Maschinerie), psychologische Reflexion (Angst, Erbe) und politische Meditation über kollektive Schuld. Niango ordnet die Handlungsstränge modular, mit einem mosaikhaftes Ethos. Die Spannung resultiert weniger aus einem ‚Who Did It‘ als aus dem moralischen Dilemma der Erkenntnis: Was tun mit dem Wissen, das die eigene Identität destabilisiert?
Kommunikationsformen
Niangos Roman funktioniert als polyvalentes Kommunikationsfeld: Tagebuch-/Prolog-Ton, familiäre Gespräche, Dokumente (Briefe, Geburts-/Adoptionsakten), innerer Monolog und philosophische Reflexion. Diese Kombination schafft ein Heteroglossie-Gefüge, in dem verschiedene Diskurse konkurrieren — das intime Familien-Register, das wissenschaftlich-philologische Sprechen des Erzähler-Philosophen, das sakrale oder volkstümliche Register (Erzählungen der Großmutter, Dorflegenden) und die Sprache der Archive. Der Sprecher schaltet zwischen einem impliziten öffentlichen Anspruch (er „untersucht“, er „trägt Zeugnis“) und einem privaten Bekenntnismodus, was die Ethik der Mitteilung sichtbar macht: Erzählen ist zugleich Erkenntnisakt und moralische Pflicht.
Zentral ist die Variabilität der Adressaten: oft spricht der Ich-Erzähler selbstreflexiv mit sich, dann zu Familienmitgliedern (im Rückblick), gelegentlich an einen hypothetischen Leserkreis — das erzeugt eine doppelte Verantwortung: gegenüber der Familie (Klarheit und Schonung) und gegenüber der öffentlichen Erinnerung (Historisierung und Dokumentation). Die Form des Romans als Autofiktion bzw. Archivroman macht die Kommunikation zum Thema: wie teilt man eine belastete Wahrheit, wie mediatisiert man das Unheimliche (Lebensborn und die Täter-Opfer-Kollision innerhalb derselben Linie)? Die Schlusspassage des Prologs — „Je me cache dans le lit et me blottis contre Georges […] J’ai peur. Je ne renoncerai pas.“ — zeigt die Dialektik von Angst und Entschlossenheit: Schreiben als Trotz gegen Furcht (LF). Die Kommunikation in Le Fardeau ist Verwandlung: Schweigen wird in Erzählung überführt; es fungiert als kommunikative Negativform (die verbrannten Adoptionsakten, das Nicht-Reden der Mutter), die durch beharrliches Sprechen und Abhqeften neutralisiert werden soll. Die Normsprache der Philosophie dient dabei als Disziplin: sie organisiert das Material, ohne die Emotionskraft zu neutralisieren.
Benny Malapa: Un nègre qui parle yiddish
Paul, 1914 in Hamburg geboren, Sohn eines kamerunischen Kolonialsoldaten und einer deutschen Arbeiterin; und Suzanne, 1918 in Warschau geboren, Tochter einer jüdischen Familie, die vor dem Antisemitismus nach Paris flieht – Beide begegnen sich kurz vor dem Zweiten Weltkrieg, lieben sich und heiraten; eine unvorstellbare Verbindung im Frankreich unter deutscher Besatzung. Ihr Bund wird zum Symbol einer radikalen Menschlichkeit gegen alle rassistischen Systeme: „c’est à la mairie du XXe arrondissement […] qu’est célébrée l’union aussi stupéfiante que miraculeuse“. Benny Malapas Roman Un nègre qui parle yiddish (2025) ist ein groß angelegtes Familienepos, das zugleich autobiographisch, historiographisch und mythopoetisch verfährt.
Der Text erzählt die epische Familiengeschichte von Paul Malapa und Suzanne Rubin, deren außergewöhnliche Ehe eine lebendige Chiffre für die Verwerfungen und den Widerstand des 20. Jahrhunderts darstellt. Paul, 1914 in Hamburg geboren als Sohn der weißen Deutschen Frida Legsoff und des Kameruners Boulou Malapa, wächst in extremer Armut und unter dem kolonialrassistischen Joch auf. Sein Vater Boulou war als Geisel der deutschen Kolonialverwaltung zum Studium nach Deutschland geschickt worden. Pauls Kindheit in Hamburg ist geprägt von der Demütigung seiner Mutter als „pute à nègre“ (Negerhure) und dem eigenen Kampf gegen Rassismus und Staatenlosigkeit. Nach der erzwungenen Trennung von seiner Mutter und dem Verlust seines Status durch den Versailler Vertrag, flieht Paul mittellos nach Paris, wo er im Boxen Anerkennung findet, da er die Armut nur „grâce à nos poings“ (dank unserer Fäuste) überwinden will. Suzanne Rubin, vier Jahre jünger, stammt aus einer wohlhabenden polnisch-jüdischen Familie aus Warschau, die durch die Krise von 1929 ruiniert wurde. Vor dem Hintergrund des wachsenden Antisemitismus emigriert die intellektuelle Suzanne, eine Jiddisch-Sprecherin und Verfechterin des Humanismus, nach Paris, wo sie sich ihrer Familie wieder anschließt.
Die Begegnung von Paul, dem „nègre qui parle yiddish“, und Suzanne vor dem Zweiten Weltkrieg mündet in eine als ebenso erstaunlich wie wundersam beschriebene Ehe. Paul identifiziert sich stark mit dem Judentum und betrachtet sich selbst als „vrai juif“. Während der deutschen Besatzung gerät das Paar in doppelte Gefahr: Suzanne als Jüdin, Paul als métis germano-camerounais. Sie fliehen aus Paris in die Zone Libre (Marseille, Cantal). Während Paul als Agent des Résistance-Netzwerks Liban arbeitet und gleichzeitig Schmuggel (von Kaffee und Schreibmaschinen) betreibt, um die Familie zu ernähren, muss Suzanne den traumatischen Verlust ihrer in Paris gebliebenen Familie hinnehmen, die von den Nazis deportiert und ermordet wird. Die Erzählung, die oft durch die transkribierten Stimmen von Paul und Suzanne selbst erfolgt, preist den „esprit de révolte“ (Geist der Revolte) und die freiwillig oder unfreiwillig vermittelte Überlebenskraft dieses Paares, dessen Geschichte eine Odyssee durch Kolonisation, Pogrome, Holocaust und Rassismus darstellt. Suzanne manifestiert ihren Widerstand nach dem Krieg, indem sie die kamerunische Nationalität annimmt. Pauls lebenslanger Kampf, als nega-jude anerkannt zu werden, und Suzannes „vitalité hors du commun“ (außergewöhnliche Vitalität) bilden das Fundament eines Erbes, das sich gegen alle rassistischen Theorien wendet.
Malapas Roman weitet Liebesgeschichte zu einer Erzählung des gesamten 20. Jahrhunderts: Kolonialismus, Shoah, Exil, Entkolonialisierung und Diaspora bilden den historischen Horizont, in dem sich das Leben von Paul und Suzanne entfaltet. Der Text ist polyphon angelegt – verschiedene Stimmen, Briefauszüge, mündliche Erzähltraditionen – und verschränkt genealogische Spurensuche mit kulturellem Gedächtnis. Der Titel wird zum paradoxen Emblem einer Identität, die sich jeder Einordnung entzieht. Das Jiddisch steht für das Überleben durch Sprache, das „nègre“ für die koloniale Stigmatisierung; zusammen ergeben sie die Poetik des Übergreifens und der Unmöglichkeit der Reinheit. Der Sohn, der die Geschichte schreibt, erkennt sich als Aoide („aède“), als Bewahrer der mündlichen Bibliothek seiner Ahnen, deren Geschichten sich über drei Kontinente spannen. Malapa verbindet dabei dokumentarische Genauigkeit mit oraler Intensität, historische Recherche mit mythischer Rahmung, individuelle Erfahrung mit kollektiver Erinnerung.
Zeit in Malapas Roman ist episch und zyklisch: Erzählstränge führen vom späten 19. Jahrhundert (Großeltern-Generation) bis in die Gegenwart; sie sind verbunden durch Migration, Exil, Rückkehrversuche. Das Buch nutzt Prolog, dann Elternstimmen, Sohnkommentare und schließlich episodische Rückblenden. Anders als Niango operiert Malapa mit einer Zeitordnung mündlicher Kulturen: Wiederholung, Einschübe, Lieder, Anekdoten. Das eröffnet eine kollektive Zeitwahrnehmung, die sich nicht linear an Dokumentation, sondern an Überlieferung orientiert. Die zyklische Struktur modelliert die Kontinuität der Gemeinschaft; Erinnerung ist nicht linear archiviert, sondern im Wiedererzählen erneuert.
Niango arbeitet in einer chronologisch dokumentarischen Logik; Malapa in einer zyklischen, oral performativen. Niango datiert, nummeriert, bewahrt. Das Datum-System erzeugt Verlässlichkeit und schafft die Vorstellung, dass Wahrheit „gefunden“ werden kann. Malapa wiederholt, singt, setzt Episoden nebeneinander: Erinnerung ist hier rhythmisch, nicht linear. Dokumentation schafft Rechtsanspruch auf Wahrheit; Erzählung schafft kulturelle Legitimität.
Handlungsromanelemente sind Pauls Lebenslauf (Hamburg, Boxkarriere, Paris, Exil), Suzannes Emigrationsgeschichte (Warschau und Paris), ihre Liebe, die Flucht 1942, die Nachkriegszeit, wirtschaftlicher Auf- und Abstieg. Hinzu kommen Episoden der afrikanischen Diaspora in Paris, Erinnerungen an Nachtleben und Boxhallen, jüdische Familienzerstörung und religiöse Rituale. Die narrativen Stränge kreuzen Kolonialgeschichte und Shoah-Erfahrung; aber statt Gegensätzen bilden sich Gegenüberstellungen, die zusammen eine neue Erzählwelt entstehen lassen: eine transnationale Familienepik.
Kommunikationsformen
Malapas Roman ist von vornherein als mündliche Erzählung inszeniert, sagten wir: das auktoriale Ich des Sohnes, die mündlichen Erinnerungsakten der Eltern (Paul und Suzanne), die Interjektionen von Stadtnamen, Liedern und kulturellen Idiomen. Sprachliche Pluralität ist Programm: Jiddisch, Plattdeutsch, französische Register, kamerunische Kulinarik-Vokabular (ndolé) finden sich nebeneinander. Das Epigraph-Zitat („Le yiddish, c’est la langue de ma mère…“) setzt bereits die Wichtigkeit der Sprache als Trauma- und Trostträger (NPY). Die Prologszene, in der der Erzähler auf Hebräisch/Jiddisch eine Grußformel sagt, worauf die Mutter des Begleiters ausruft „Yankelé, un nègre qui parle yiddish ?“ (NPY) Das ist nicht nur ein Streich; es ist ein symbolischer Moment, in dem Sprachkompetenz gesellschaftliche Erwartung und Rassenkategorien kollidieren. Kommunikation ist Widerstand: die Mehrsprachigkeit wird zur Waffe gegen monolithische Kategorien von „Rasse“ und „Volk“. Sprache bildet Brücken (Paul versteht Jiddisch), sie ist hier aber auch Provokation.
Niango problematisiert die Möglichkeit der Kommunikation nach traumatischen Enthüllungen; Malapa zelebriert die Notwendigkeit des Erzählens als sozialem Akt. Bei Niango ist die Kommunikation ein technisches Mittel: Archive, Datierung, dokumentarische Sorgfalt. Das Medium (schriftliche Akten, verbrannte Papiere) ist zugleich Problem. Der Erzähler verwendet philosophische Sprache als Instrument der Bewältigung, er formalisiert — „Je me cache… J’ai peur. Je ne renoncerai pas.“ (LF) Die Entschlossenheit ist sprachlich diszipliniert. Malapa dagegen setzt Sprache als Gefäß: Polyglotte Rede, Lieder, Rezepturen sind nicht nur Information, sondern Identitätsstiftung. Die Prolog-Anekdote zeigt, wie eine sprachliche Geste Begegnung und Verwunderung zugleich hervorruft; ihre Wiederholung verhärtet das Bewusstsein dafür, dass Kommunikation immer kulturelle Übersetzung ist (NPY). Beide Romane nehmen Sprache ernst, kann man folgern — Niango als Analyse- und Reparaturinstrument, Malapa als Übertragungsmedium, das Identität konstruiert.
Genealogie und zwischen Kolonialismus und Shoah
Die Elternfiguren strukturieren das Gedächtnis beider Romane. In Le Fardeau ist die Mutter die Trägerin des Geheimnisses – diejenige, die alles verbrannt hat („a tout brûlé“, LF), den Akt der Vernichtung wiederholt, den die Geschichte an ihr verübt hat. Sie steht für das Schweigen, das der Sohn durchbrechen muss. Der Vater, der Ivorer, ist der stille Zeuge, Symbol einer anderen, heiteren Genealogie, die von der kolonialen Gewalt ebenso gezeichnet ist. Zwischen beiden entsteht die Spaltung, in der der Sohn lebt. In Un nègre qui parle yiddish hingegen bilden Vater und Mutter ein Paar der Gleichwertigkeit: Beide tragen unterschiedliche Leiden, aber ihr Zusammensein wird zur Utopie einer versöhnten Menschheit. Die Mutter, Suzanne, bewahrt das Jiddisch, die Sprache der Toten; der Vater Paul trägt die Geschichte der Versklavten. Ihre Vereinigung – und die Stimme des Sohnes – bedeutet, dass aus zwei Leidensgeschichten eine Erzählung der Hoffnung entsteht. So wird das Familiäre bei Malapa zur Allegorie einer globalen Ethik.
Während Niango die Familie als Ort des Rätsels und der Zerklüftung darstellt, sieht Malapa sie als Ort der Resistenz und der kulturellen Synthese. Niangos Mutter ist geheimnistragend; ihre Adoptionsgeschichte ist Quelle von Scham und Schweigen; der Sohn dekonstruiert diese Mauer. Bei Malapa sind Vater und Mutter Partner in historischer Subversion: ihre Interkonfessionalität und Interethnizität ist politisch; die Figuren sind zugleich historische Agenten (Paul als Boxer und Performer; Suzanne als Ritualträgerin). Die Kinder fungieren in beiden Romanen als ethische Agenten.
Beide Romane sind, auf unterschiedliche Weise, genealogische Erzählungen, in denen ein Sohn die verdrängte oder vergessene Geschichte seiner Eltern und Großeltern rekonstruiert. Sowohl Niango als auch Malapa schreiben aus der Position der „deuxième génération“ – Nachkommen, die die Last der Geschichte als „fardeau“ oder als „héritage“ empfinden. In Le Fardeau wird das Geheimnis der Adoption zur Eintrittspforte in das unheimliche Archiv des 20. Jahrhunderts: Lebensborn, Shoah, koloniale Migration. In Un nègre qui parle yiddish dagegen ist das Erzählen selbst der Akt der genealogischen Heilung – das „raconter, raconter, raconter“ (NPY) ersetzt das Schweigen der Eltern. Bei Niango steht die Enthüllung am Anfang, bei Malapa die Weitergabe am Ende. Beide Autoren inszenieren das Schreiben als ethische Verpflichtung gegenüber der Vergangenheit: der eine will wissen, der andere will bewahren.
Doch die Dynamik der Enthüllung unterscheidet sich: Niangos Erzähler ist ein rationaler, intellektueller Suchender, dessen Philosophie durch das Familiengeheimnis erschüttert wird. Malapas Erzähler dagegen ist der Sohn einer mündlichen Kultur, der sich in den Rhythmen des Erzählens selbst findet. Bei Niango führt das Wissen zur Krise, bei Malapa führt das Erzählen zur Versöhnung. Le Fardeau analysiert die genealogische Wunde als Erkenntnisproblem; Un nègre qui parle yiddish verwandelt sie in eine kosmopolitische Vision, in der Identität aus Vermischung besteht.
Beide Texte stellen das Verhältnis von Kolonialgeschichte und Shoah in den Mittelpunkt, allerdings aus komplementären Blickwinkeln. In Le Fardeau verschränken sich die Spuren des europäischen Rassismus mit denen des kolonialen Blicks im Körper des Erzählers: Sohn eines Ivorers und einer Französin, Enkel eines SS-Mannes und einer jüdischen Frau, er verkörpert die Gewalt der Klassifikationen. Die Begegnung der genealogischen Linien – schwarz/weiß, Täter/Opfer – macht die Figur zu einem lebenden Paradox. Der Roman denkt diese Vermischung nicht als Synthese, sondern als Spannung: „Je suis sûr que si je n’avais pas connu l’histoire invraisemblable […] je n’aurais jamais cessé d’errer“ (LF).
Bei Malapa hingegen wird die Verbindung von Kolonialismus und Shoah genealogisch realisiert: Paul, der afrikanisch-deutsche Kolonialsoldat, und Suzanne, die polnisch-jüdische Exilantin, verbinden die beiden großen historischen Verbrechen Europas. Ihre Liebe ist eine Antwort auf die doppelte Entmenschlichung: der Schwarze, den man versklavt, und die Jüdin, die man vernichtet, schaffen durch ihre Vereinigung eine neue Form von Humanität. In der Stimme des Sohnes verschmelzen beide Linien: das Jiddisch der Mutter und das „ndolé“ des Vaters. Malapa zeigt, dass diese Verschmelzung nicht Widerspruch, sondern Reichtum ist: das gelebte Gegenbild der rassistischen Ideologien. Während Niango den Bruch reflektiert, feiert Malapa die Hybridität als Widerstand.
Ethik des Erinnerns, Ethik der Vermischung
Poetologisch stehen sich die Texte gegenüber wie zwei Weisen des Erinnerns: Le Fardeau als Archivroman, Un nègre qui parle yiddish als oralgeschichtliche Chronik. Niango schreibt in einer klaren, introspektiven Prosa, die zwischen Tagebuch, Ermittlung und Essay changiert. Seine Sprache ist kontrolliert, bisweilen analytisch, und gewinnt gerade daraus emotionale Kraft: Die Nüchternheit wird zum Stil des Ertragens. In der Struktur der Kapitel – datiert, oft tagebuchartig überschrieben – spiegelt sich die Logik der Untersuchung. Der Text ist linear, aber durchsetzt von Rückblenden, Zitaten, Dokumenten, die eine Archäologie des Selbst ergeben.
Malapas Roman dagegen entfaltet sich vielstimmig und zyklisch. Er wechselt Perspektiven (Sohn, Vater, Mutter, Freunde), integriert Erzählungen in Erzählungen, Lieder, Mythen, Dialoge. Diese Poetik der Mündlichkeit ist zugleich ein politisches Statement: Sie erhebt das marginalisierte Gedächtnis – das afrikanische, das diasporische, das subalterne – in den Rang der großen Erzählung. Der Erzähler nennt sich selbst „l’aède“ (NPY), der die „bibliothèque“ der Alten vor dem Vergessen bewahrt. Damit wird der Roman selbst im Sinne Hampâté Bâs ein Gegenarchiv, das den Kolonialismus durch Erinnerung überlebt. So repräsentieren beide Werke zwei epistemologische Modelle: das westlich-rationale (LF) und das afrodiasporisch-orale (NPY). In ihrer Differenz ergänzen sie sich – der eine gräbt, der andere erzählt –, beide aber schreiben gegen das Schweigen an.
In beiden Romanen ist Sprache das Medium, in dem Identität und Ethik verhandelt werden. Bei Niango wird die französische Sprache zu einem Labor der Reflexion, in dem die Logik des „fardeau“ begrifflich erkundet wird. Er spricht im Namen eines Philosophen, der seine Sprache diszipliniert, um dem Ungeheuren standzuhalten. Sein Stil ist der eines moralischen Zeugen, nicht des Romanciers. Die Sprachspannung zwischen „je“ und „elle“ (die Mutter), zwischen Dokument und Imagination, erzeugt jene Ambivalenz, in der Denken und Erzählen ununterscheidbar werden. Malapas Sprache hingegen ist ein polyglottes Gewebe: Französisch, Jiddisch, Plattdeutsch, Douala und hebräische Einsprengsel mischen sich in einem Strom des Erinnerns. Das titelgebende „Un nègre qui parle yiddish“ ist zugleich eine Szene des Skandals und der Anerkennung – die Sprachmischung als Akt des Widerstands. Sprache fungiert hier nicht als Träger nationaler Identität, sondern als Ort der Transgression. Wo Niango nach einem verlorenen Ursprung sucht, feiert Malapa die Abwesenheit des Ursprungs als Ort der Freiheit.
Beide Texte schreiben gegen das Vergessen, aber sie tun es mit unterschiedlicher Ethik. Niango will wissen, um zu verstehen – er sieht im Wissen eine moralische Pflicht, auch wenn es schmerzt. Sein Erzählen ist ein Akt der Selbsterziehung zur Verantwortung: die Last der Herkunft als philosophisches Problem. Malapa dagegen erzählt, um weiterzugeben – für ihn ist das Erinnern ein Akt der Gemeinschaft. Das Motiv der „bibliothèque“ ersetzt das des „fardeau“: Erinnerung ist nicht Last, sondern Erbe, das geteilt werden will.
In dieser Differenz spiegelt sich auch ein Wandel der postkolonialen Poetik in Frankreich. Niangos Roman gehört zur Generation der intellektuellen „enfants de deux mondes“, die zwischen Frankreich und Afrika, zwischen Kolonialerbe und Shoah-Gedächtnis vermitteln. Malapa hingegen schreibt aus einer diasporischen Perspektive, in der das Erzählen selbst die Welt neu zusammensetzt. Beide Romane transformieren die französische Literatur in eine transnationale – eine Literatur der „double mémoire“, die Kolonialismus und Shoah, Afrika und Europa, Rationalität und Oralität zusammendenkt.
Über die Vergangenheit hinaus
Die Aufarbeitung der familiären Geschichte wird von den Autoren als ein existenzieller, ethisch notwendiger Prozess dargestellt. Matthieu Niango sucht die Wahrheit, um sich von der „Last“ zu befreien und seinen Kindern die „richesse inépuisable de nos identités multiples“ (den unerschöpflichen Reichtum unserer vielfältigen Identitäten) zu vermitteln. Im NPY ist es die Übertragung der mündlichen Geschichte an die Kinder, die als Schutzschild dient, damit die „Bibliothek“ der Eltern nicht verbrennt. Dieser narrative Akt zielt darauf ab, Schweigen und Lügen zu durchbrechen, welche die Opfer oft zum Schutz gewählt hatten – Giselas bewusste Verdrängung in LF oder die Unfähigkeit von Überlebenden wie Paul, über ihre intimsten Leiden zu sprechen.
Auf poetischer Ebene teilen beide Werke eine tiefe Verpflichtung zur dokumentarischen Genauigkeit und zur Erweiterung des Genres Autobiografie/Memoir.
Beide Autoren stützen sich auf eine akribische Archivarbeit, um ihren persönlichen Geschichten historische Validität zu verleihen und die Lücken des „mensonge officiel“ (offiziellen Lüge) zu füllen. Niango (LF) verbrachte über zwanzig Jahre mit der Untersuchung von Dokumenten der Croix-Rouge, den UNRRA-Berichten (Indersdorf) und genealogischen Akten aus Frankreich, Deutschland, Belgien und Ungarn. Er verweist direkt auf Experten und historische Biografien, etwa von Himmler. Malapa (NPY) untermauert die Erzählungen seiner Eltern durch die Recherche der politischen und sozialen Umstände des polnischen Judentums, der deutschen Kolonialpolitik und Pauls Boxkarriere.
Darüber hinaus nutzen beide die Hybridisierung der Erzählformen. Niango, der Philosoph, reflektiert explizit über die Grenzen des Dokumentarischen: Er muss die „absence de preuves“ (LF) mit sorgfältig gekennzeichneter Fiktion füllen, wie etwa die inneren Monologe Himmlers, Margits Folterungsszenen oder die Rekonstruktion ihrer Geburt im Lebensborn. Er nennt dies das „sentiment d’une fiction extravagante“. Malapa (NPY) nutzt die orale Tradition als poetisches Fundament, indem er die Geschichten von Paul und Suzanne transkribiert und ihre Odyssee in eine Familiensaga verwandelt.
Niangos Text beruht auf einer dokumentarischen Recherche – Briefe, Fotos, Zeitzeugenberichte. Das Verhältnis zwischen Wahrheit und Fiktion bleibt dabei offen, doch die Form der Autofiktion ermöglicht eine moralische Wahrhaftigkeit jenseits des Dokumentarismus. Der Erzähler sagt nie, er erfinde; aber sein Wissen ist fragmentarisch, sodass das Ungewisse Teil der Wahrheit wird. Die Grenze zwischen Historie und Imagination wird zum Ort der Verantwortung: „Je ne renoncerai pas“ ist nicht nur ein Schwur, sondern auch eine ästhetische Entscheidung – das Erzählen als Widerstand gegen die Auslöschung.
Malapa dagegen integriert Geschichte in den Rhythmus des Mythos. Sein Erzählen funktioniert zyklisch, wie ein afrikanisches griot-Epos: Geschichte wird wiederholt, transformiert, gesungen. Der historische Realismus verschmilzt mit der legendären Dimension; die Figuren sind Träger kollektiver Erfahrung. So überschreitet der Roman die westliche Grenze zwischen Fiktion und Dokument. Geschichte wird im Akt des Sprechens selbst erinnert.
Schließlich richten beide Texte den Blick über die Vergangenheit hinaus. Niangos Erzähler beginnt in der Angst der Nacht – einer Vision der toten Großmutter –, doch sein Schreiben verwandelt diese Angst in Erkenntnis. Das „fardeau“ wird tragbar, weil es benannt ist. Der Roman endet offen, in der Gegenwart des Schreibens: Erinnerung als Arbeit des Jetzt.
Malapas Erzähler dagegen spricht aus einer Position der Kontinuität: Seine Aufgabe ist, die Bibliothek lebendig zu halten. Seine letzte Geste ist ein Segen – das Versprechen, dass das Feuer der Erinnerung nicht erlischt: „Je les laisse raconter chacun à sa façon“ (NPY). Das Erzählen selbst wird zur Zukunftsform des Überlebens.
So antworten sich die beiden Bücher: Le Fardeau denkt die Last der Vergangenheit, Un nègre qui parle yiddish verwandelt sie in Gesang. Der eine endet im Denken, der andere im Singen. Zusammen bilden sie das doppelte Gesicht der postkolonialen Erinnerungsliteratur im französischen 21. Jahrhundert.
Vom Erben zum Erzähler
Was beide Autoren verbindet, ist der Übergang vom Erben zum Erzähler. Niango ist der Sohn, der die Wahrheit sucht, um sie zu begreifen; Malapa der Sohn, der sie besitzt, um sie zu teilen. Beide verwandeln die genealogische Wunde in Literatur. Ihr Werk zeigt, dass die „postmémoire“ – im Sinne Marianne Hirschs – nicht bloß Weitergabe des Traumas ist, sondern kreative Transformation.
In Le Fardeau bedeutet Schreiben: Last aufnehmen, ohne sich von ihr erdrücken zu lassen. In Un nègre qui parle yiddish bedeutet es: Stimmen vereinen, um eine neue Sprache der Welt zu schaffen. Beide Texte sind, trotz ihres Schmerzes, zutiefst humanistisch: Sie glauben an die Macht des Wortes, die Gewalt der Geschichte in Bedeutung zu verwandeln. In einem Jahrhundert, das von Rassenideologien, Vertreibungen und Gedächtniskonflikten geprägt war, formulieren sie eine neue Ethik des Erzählens: die Ethik des Gemischten, des Unreinen, des gemeinsamen Gedächtnisses.
Le Fardeau endet nicht in einer einfachen Auflösung. Der Roman schließt mit dem Modus des Tragbaren: die Bürde bleibt, aber das Sprechen hat ihr eine Form gegeben. Konkrete Schlusszitate wie das bereits angeführte «Je ne renoncerai pas» markieren ein ethisches Versprechen — nicht unbedingt die erfolgreiche Integration der Vergangenheit, sondern die Weigerung, sie weiter ungesagt zu lassen (LF). Das Schreiben ist keine Therapie, die vollständig heilt, sondern ein performativer Akt: durch das Benennen wird Verantwortung übernommen. Niango wählt einen Schluss, der ambivalent bleibt (keine reine Versöhnung, kein voyeuristisches Finale), weil die Komplexität des Erbes (Täter-/Opfer-Mischung) nicht in narrative Katharsis aufgelöst werden kann. Dieser Schluss ist politisch: er fordert, dass Gesellschaften dauerhafte Formen der Auseinandersetzung akzeptieren.
Malapas Schluss arbeitet auf Versöhnung und Kontinuität hin: der Sohn erklärt ausdrücklich seine Aufgabe als Bewahrer — «c’est à moi que revient cette lourde tâche…» und mehrfach das erwähnte Motiv „raconter, raconter, raconter“ (NPY) als imperativische Verpflichtung. Das Ende ist prospektiv: Erinnerung wird nicht abgeschlossen, sondern anvertraut. Malapa schließt nicht mit einem einzelnen Aufdeckmoment, sondern mit einem Versprechen der Weitergabe — Erinnerung als Aktivität, nicht als Archivalie. Diese Geste ist politisch-ethisch: nachdem die Eltern durch Exil, Rassismus und Krieg gedemütigt wurden, wird die nächste Generation verpflichtet, das narratives Kapital zu pflegen. Das Ende ist deshalb nicht simpel optimistisch, sondern kämpferisch-erhaltend: Erinnerung ist utopisch in dem Sinne, dass sie einen anderen sozialen Horizont erzeugt.
Beide Schlüsse sind moralisch, nicht narrativ: sie operieren als ethische Programmierung für Leser und Nachkommen. Niango schließt mit der Verpflichtung zur Wahrheit, auch wenn sie erschreckend bleibt. Sein Schlusssatz ist ein Gelöbnis: die Bürde wird nicht verleugnet, sondern getragen. Malapa schließt mit der Pflicht der Weitergabe und verwandelt Erinnerung in kollektive Praxis. Niango verlangt Auseinandersetzung (Gerechtigkeit, Anerkennung des Paradoxons Täter/Opfer in einem Familienkörper). Malapa verlangt Solidarität (Erbe bewahren, um eine andere Zukunft zu ermöglichen). Beide Ansprüche sind komplementär: die Auseinandersetzung mit Schuld (Niango) ohne Bewahrung (Malapa) wäre unvollständig; die Bewahrung ohne Auseinandersetzung bleibt sentimental.
Beide Romane sind signifikante Beispiele der gegenwärtigen französischsprachigen Literatur, die post-/transnationale Identität in einem Europa nach Kolonialismus und Shoah verhandelt. Niango schreibt als philosophischer Archivist; Malapa als mündlicher Aoide. Gemeinsam zeigen sie, wie Schrift in der Gegenwart die Spannungen des 20. Jahrhunderts produktiv macht und in ästhetisch-moralische Formen überführt. In Niango organisiert Philosophie das Wissen; bei Malapa ist Mehrsprachigkeit Widerstand. Niango fordert die fortwährende Arbeit am Bewusstsein der Bürde; Malapa verpflichtet zur Weitergabe als kollektiver Akt. Beide Antworten zusammen bilden ein Modell, wie Literatur Gedächtnis, Moral und politische Gegenwart verbinden kann.
Die wesentlichsten Unterschiede liegen in der Erzählstimme und dem daraus resultierenden Stil.
Le Fardeau wird von einer einzigen, hochgradig intellektuellen Ich-Stimme dominiert: Matthieu Niango, der agrégé de philosophie. Der Stil ist introspektiv, reflexiv und akademisch. Er integriert philosophische Konzepte (Leibniz, Arendt, Barthes) und verwendet Metaphern wie das „Fardeau“. Seine Sprache ist präzise, analytisch und ringt mit der moralischen und psychologischen Bedeutung der Fakten. Die Erzählung ist stark auf die innere Welt des Forschers fokussiert, der seine eigene Unfähigkeit zur Liebe auf das Trauma seiner Vorfahren zurückführt.
Un nègre qui parle yiddish ist polyphon und weniger akademisch. Benny Malapa fungiert als aède (Barde), der die rohen, unmittelbaren Stimmen seiner Eltern Paul und Suzanne wiedergibt. Pauls Sprache ist direkt, geprägt vom Hamburger Plattdeutsch und dem Jargon des Box-Milieus. Er beschreibt Armut, Rassismus und Gewalt mit unverblümter Wut („il criait, il frappait“) und Humor („alle di fresse mensch“, „sale boche“). Suzannes Stimme ist die einer intellektuellen, die ihre jüdische Herkunft in den Vordergrund stellt und ihren polnisch-jüdischen Akzent behält („avec son accent yiddish“). Die direkte Wiedergabe ihrer Gespräche und Auseinandersetzungen („Tâté, si je n’ai pas travaillé…“) verleiht dem Text eine lebendige Unmittelbarkeit, die die orale Überlieferung betont. Während Niango (LF) seine eigene „culpabilité“ thematisiert, manifestiert Malapa (NPY) seine Rolle als kollektiver Sprecher („Je dis souvent ’nous‘ dans mes propos, car je ne parle pas qu’en mon nom“).
Beide Werke die Macht der Erzählung als therapeutische und politische Waffe gegen die ideologische Zerstörung begreifen. Le Fardeau dringt in die dunklen, verdrängten Ecken der Abstammung vor und befreit die Nachfahren durch die schonungslose Analyse der Genealogie des Schreckens. Un nègre qui parle yiddish feiert die Vereinigung der Unterdrückten und ihre hart erkämpfte Freiheit, indem es die Stimmen jener verewigt, die die Geschichte in ihrer „vilenie“ (Niedertracht) überlebt und besiegt haben. Beide Texte zeigen exemplarisch, wie die literarische Montage von Recherche, persönlicher Erfahrung und historischer Fiktion die komplexe Realität des 20. Jahrhunderts als ein unabgeschlossenes, vielschichtiges „Fardeau“ in die Gegenwart trägt.
Die poetische und methodische Manifestation der Identitätssuche unterscheidet sich signifikant. Niango (LF) verfolgt eine investigative und philosophische Poetik. Als agrégé de philosophie führt er eine „enquête extravagante“ durch, die auf der akribischen Analyse von Archivdokumenten (Bad Arolsen, UNRRA) beruht, um die „legale Lüge“ der Adoption seiner Mutter aufzudecken. Seine literarische Seriosität erlaubt ihm, wo „absence de preuves“ (Abwesenheit von Beweisen) herrscht, die Leerstellen mit fiktiven Rekonstruktionen zu füllen (z. B. Himmlers innere Monologe, Margits Folterung), wobei er das Gefühl einer „fiction extravagante“ zulässt. Die Suche ist hier eine primär intellektuelle Konfrontation mit den Genealogien des Schreckens. Im Gegensatz dazu basiert Malapas Un nègre qui parle yiddish auf einer polyphonen, oralen Poetik, in der der Autor Benny Malapa selbst als Hüter der „bibliothèque“ seiner verstorbenen Eltern fungiert. Paul und Suzanne erzählen ihre Geschichte abwechselnd in eigenen, direkten Stimmen, durchsetzt mit Plattdeutsch und Jiddisch. Ihre Identität manifestiert sich nicht durch Recherche, sondern durch aktiven, kämpferischen Überlebenswillen – Pauls Karriere als Boxer und seine Arbeit im Résistance-Netzwerk Liban – und Suzannes Trotz, die sich weigerte, den Judenstern zu tragen, und später bewusst die kamerunische Staatsbürgerschaft annahm.
Letztlich konvergieren beide Sagas in der Ablehnung des genetischen Determinismus und der moralischen Verpflichtung, die komplexe Wahrheit an die nächste Generation weiterzugeben. Niango zieht die Quintessenz, dass „les gènes ne sont pas un déterminisme“ und sein „devoir“ (Pflicht) ist es, seinen Kindern (insbesondere Odile) die „richesse inépuisable de nos identités multiples“ (unerschöpflichen Reichtum unserer vielfältigen Identitäten) zu übermitteln. Dieses Wissen dient der Befreiung der Nachfahren vom fardeau. Im Falle von NPY ist die Erzählung ein Beweisstück gegen die totalitäre Ideologie: Paul und Suzanne haben „volontairement ou involontairement“ (freiwillig oder unfreiwillig) einen Geist der Revolte geschaffen, indem sie die ideologisch feindlichsten Herkünfte in Liebe vereinten. Indem sie die individuellen Biografien Pauls und Suzannes detailliert beleuchten – von Pauls Kampf gegen Rassismus in Hamburg bis zu Suzannes Verlust ihrer Familie im Holocaust – beweisen die Autoren, dass das Überleben in der Hybridität und im Trotz gegen die aufgezwungene Identität der höchste moralische und literarische Akt ist. Der Akt des Schreibens und die Erinnerung manifestieren sich hier als therapeutische und politische Waffe gegen die Fortdauer des Traumas und des Vergessens.
- Anmerkungen
- Vgl. Laurent Schteiner, « Les petits chevaux » de Séverine Cojannot, Camille Laplanche, Matthieu Niango et Jeanne Signé, Sur les planches, 27. März 2025.>>>
- „Peau brune, cheveux crépus et sang aryen. Pygmée, SS.“>>>