Les gens s’en foutent, de la vérité. Ce qui compte, c’est ce qu’ils croient. La vérité, ils écrivent par-dessus. Ils la font disparaître à force de fictions, de récits. Ils vivent de ça, de ce qu’ils se racontent. Leur vie est un palimpseste. Inutile d’aller voir dessous. Nous autres psys, nous prétendons à la vérité. N’importe quoi. L’HP, c’est tout le contraire : c’est pour se protéger de la vérité.
Camille Laurens, Celle que vous croyez.
Die Wahrheit ist den Menschen egal. Was zählt, ist, was sie glauben. Die Wahrheit überschreiben sie. Sie lassen sie durch Fiktionen und Erzählungen verschwinden. Sie leben davon, von dem, was sie sich erzählen. Ihr Leben ist ein Palimpsest. Es ist sinnlos, darunter zu suchen. Wir anderen Therapeuten erheben Anspruch auf Wahrheit. Was auch immer. HP ist genau das Gegenteil: Es geht darum, sich vor der Wahrheit zu schützen.
Camille Laurens’ Roman Ta promesse greift auf ihre Erfahrung im Bereich der Autofiktion zurück, um eine packende Geschichte von Liebe, Verrat und toxischen Abhängigkeiten zu entfalten. Der Roman schildert nicht nur eine leidenschaftliche Beziehung, sondern seziert auch die Dynamiken von Macht und Manipulation und bietet schlussendlich eine Reflexion über die kreative Schaffenskraft. Im Zentrum der Handlung stehen Claire, eine gefeierte Schriftstellerin, und der charismatische Gilles. Gilles entpuppt sich zunehmend als manipulativer Narzisst, der Claire emotional isoliert und zermürbt.
Ein Versprechen ist per Definition ein Akt, der Zukunft und Gegenwart miteinander verbindet. Es schafft eine Bindung – sei es zwischen zwei Menschen, zwischen einer Erzählerin und ihrer Geschichte oder zwischen einem Werk und seinen Lesern. Die Erzählung beginnt mit einer Reflexion über das Wesen von Versprechungen und deren Implikationen innerhalb zwischenmenschlicher Beziehungen. Bereits im Prolog und den ersten Kapiteln wird klar, dass das Versprechen eine doppelte Bedeutung hat: Es ist sowohl ein Bekenntnis als auch eine potenzielle Falle, die die Protagonistin Claire in einen Konflikt zwischen ihrem persönlichen Glück und ihrer künstlerischen Integrität zieht. Diese Eskalation gipfelt in einem Gerichtsdrama, das Laurens mit der Präzision einer Thriller-Autorin entfaltet. Ein besonderes Merkmal des Romans ist die geschickte narrative Struktur, die auf mehreren Ebenen operiert. Die Chronologie der Ereignisse wird durch Rückblenden und Perspektivwechsel aufgebrochen, was nicht nur Spannung erzeugt, sondern auch die psychologische Tiefe der Figuren herausarbeitet. Claires Erzählung wird ergänzt durch die Stimmen ihrer Freunde, die vor Gericht als Zeugen auftreten, und die multiperspektivische Darstellung gibt dem Leser Einblicke in die subtilen Mechanismen von Gilles’ Machtspiel. Christophe Henning schreibt: „Jeder beneidet dieses Paar, das von Verlangen und verrückter Liebe mitgerissen wird. Doch die Zerrissenheit der Gefühle wird sie zu tödlicher Gewalt führen.“ 1 Ta promesse thematisiert die Dynamiken von Übergriffigkeit und emotionaler Manipulation, ein Sujet, das in einer Zeit zunehmender Aufmerksamkeit für psychologische Gewalt auch literarisch zur Zeit häufig aufgegriffen wird. Gilles’ Verhalten spiegelt die Mechanismen des sogenannten „Gaslighting“ wider, die Laurens durch subtile Andeutungen und explizite Verweise auf den Filmklassiker Gaslight von George Cukor veranschaulicht.

— Évidemment qu’il l’a fait exprès, dit Carole. C’est bien caché et on ne peut rien prouver mais tout-est-fait-ex-près. Tout est calculé, absolument tout, à commencer par la date. La Saint-Valentin, l’anniversaire de la mort de Tristan, et la veille du spectacle de danse que Claire appréhendait tant ! Il a bien chargé la barque pour la couler ! C’est un connard fini, point barre, comme il dit. La pire espèce de salaud. Même la phrase pansement est découpée pour ne rien panser. Au contraire, c’est fait pour arracher la chair. « Je t’aime, je te respecte, je t’admire. » Il manque « je te désire ». Il le sait très bien. Il sait qu’elle va le remarquer, qu’elle va en souffrir. Il l’écorche à chaque mot. Il distille son poison dans tous les interstices de la conversation, l’air de rien. Il ment, il gaslighte… Tout est fait pour l’affaiblir, la vider de sa… — Il gasquoi ? — Il gaslighte. C’est un mot très courant, Maître, y compris dans les tribunaux. Aux États-Unis et ailleurs. Renseignez-vous, ça peut vous servir. Emprunté au film de Cukor, Gaslight, avec Ingrid Bergman et Charles Boyer. Il faut que vous le voyiez. Le gaslighting, c’est l’art de rendre l’autre fou, folle surtout, en lui embrouillant l’esprit par des messages contradictoires. C’est détruire l’autre par le langage. Pour une écrivaine, qu’y a-t-il de pire ? Voilà ce que vous devez plaider, Maître : la violence psychologique, l’emprise perverse. Et dès le début, malgré les apparences d’idylle. Pensez à la promesse : il demande à une écrivaine dont toute l’œuvre repose sur le récit de soi, qui est connue et reconnue pour cela, il lui fait jurer de ne jamais écrire sur lui ! Autant dire : ne plus jamais écrire. Se mettre au macramé ! D’ailleurs, pourquoi la promesse est-elle négative ? « Promets-moi de ne pas… » Quelle censure au cœur du serment ! La promesse en est gauchie, dévitalisée, elle perd tout son potentiel d’avenir, d’engagement heureux, elle devient une restriction, une privation : une négation de l’autre dans ce qu’elle a de plus cher, de plus intime, dans l’une de ses plus profondes raisons d’être. C’est évidemment pourquoi Claire a répondu de même, par une autre négation. « Promets-moi de ne pas me trahir. » Elle a perçu la trahison que constituait la promesse exigée d’elle. Elle était déjà trahie, à ce moment-là. Trahie au plus profond d’elle-même. Par ce bâtard. Qu’il crève !
Camille Laurens, Ta promesse.
„Natürlich hat er es absichtlich gemacht“, sagt Carole. „Es ist gut versteckt und man kann es nicht beweisen, aber es ist alles aus dem Bauch heraus gemacht. Alles ist berechnet, absolut alles, angefangen mit dem Datum. Valentinstag, Tristans Todestag und der Tag vor der Tanzaufführung, vor der Claire sich so gefürchtet hatte! Er hat das Boot gut beladen, um es zu versenken! Er ist ein ausgemachtes Arschloch, und damit basta, wie er sagt. Die schlimmste Art Mistkerl. Sogar der Satz mit dem Pflaster wird zerschnitten, um nichts zu lindern. Im Gegenteil, es ist dazu gedacht, das Fleisch abzureißen. „Ich liebe dich, ich respektiere dich, ich bewundere dich.“ Es fehlt „Ich begehre dich“. Er weiß das ganz genau. Er weiß, dass sie es merken wird, dass sie darunter leiden wird. Er zieht ihr mit jedem Wort die Haut ab. Er destilliert sein Gift in alle Ritzen des Gesprächs, ohne etwas zu sagen. Er lügt, er gaslightet. Alles wird getan, um sie zu schwächen, sie auszusaugen ….“ „Er gas- was?“ – „Er gaslightet. Das ist ein sehr gebräuchliches Wort, Herr Anwalt, auch in den Gerichten. In den Vereinigten Staaten und anderswo. Informieren Sie sich, es könnte Ihnen nützlich sein. Entliehen aus Cukors Film Gaslight, mit Ingrid Bergman und Charles Boyer. Sie müssen ihn unbedingt sehen. Gaslighting ist die Kunst, den anderen verrückt zu machen, verrückt vor allem, indem man seinen Verstand mit widersprüchlichen Botschaften verwirrt. Es bedeutet, den anderen durch die Sprache zu zerstören. Was kann es für eine Schriftstellerin Schlimmeres geben? Das ist es, worauf Sie plädieren müssen, Herr Anwalt: psychische Gewalt, perverse Manipulation. Und zwar von Anfang an, trotz des Anscheins einer Idylle. Denken Sie an das Versprechen: Er bittet eine Schriftstellerin, deren gesamtes Werk auf der Autofiktion beruht, die dafür bekannt und anerkannt ist, er lässt sie schwören, nie über ihn zu schreiben! Genauso gut könnte man sagen: nie wieder schreiben. Mit Makramee zu beginnen! Warum ist das Versprechen übrigens negativ? „Versprich mir, dass du nicht …“. Was für eine Zensur im Herzen des Schwurs! Das Versprechen wird dadurch verzerrt, entkräftet, es verliert all sein Potenzial für die Zukunft, für eine glückliche Verpflichtung, es wird zu einer Einschränkung, einer Entbehrung: eine Verneinung des anderen in dem, was ihm am liebsten ist, was ihm am intimsten ist, in einem seiner tiefsten Gründe zu sein. Das ist natürlich der Grund, warum Claire genauso antwortete, mit einer weiteren Verneinung. „Versprich mir, dass du mich nicht verrätst“. Sie erkannte den Verrat, den das von ihr verlangte Versprechen darstellte. Sie war zu diesem Zeitpunkt bereits betrogen. Verraten in ihrem tiefsten Inneren. Von diesem Bastard. Er soll krepieren!“
Die anfängliche Liebesgeschichte wirkt mitunter klischeehaft, und die Protagonistin Claire erscheint in den ersten Kapiteln weniger vielschichtig als in der späteren Entwicklung. Dieser „fade“ erste Teil, wie er in in der Kritik von Didier Jacob beschrieben wird, bildet eine vergleichsweise fragile Basis für die spätere emotionale Intensität. 2 Davon abgesehen, ist Ta promesse ein Werk, das mit erzählerischer Raffinesse besticht und wirkt. Laurens spricht von der Struktur und dem Rhythmus des Romans als wichtigen Elementen ihres Schreibens. Die Erzählung wechselt zwischen Momenten der Ruhe und intensiven Szenen, die das Tempo steigern. Diese stilistische Vielfalt umfasst poetische Passagen in freier Versform, lebendige Dialoge und Momente, die von Thrillern inspiriert sind. Camille Laurens stellt unter Beweis, dass sie eine der Stimmen der zeitgenössischen Literatur ist; ihr Roman ist eine tiefgehende Reflexion über die Machtverhältnisse in zwischenmenschlichen Beziehungen und die transformative Kraft der Literatur.
Im französischen Literaturbetrieb ist Camille Laurens (Pseudonym von Laurence Ruel) eine einflussreiche Frau, etwa mit ihren regelmäßigen Besprechungen in Le Monde. Sie hat seit 2020 das siebte Gedeck in der Académie Goncourt inne, das vorher je vier Jahre von Virginie Despentes und Régis Debray und davor 39 Jahre von Michel Tournier besetzt wurde. Auch Skandalen ist sie nicht ausgewichen, so in einer Plagiatsklage gegen Marie Darrieussecq und ihren Roman Tom est mort (2007): Laurens warf Darrieussecq vor, in ihrem Buch Ideen und Motive aus Laurens’ eigenem Roman Philippe (1995) übernommen zu haben, ohne diese angemessen zu kennzeichnen, nicht als Plagiat im juristischen Sinne, sondern als ethische Verletzung. Beide Romane thematisieren den Verlust eines Kindes und die damit verbundenen traumatischen Erfahrungen einer Mutter. Die Debatte war intensiv, aber letztlich für beide eher schädlich. In ihrer Zeit als Jurorin der Académie Goncourt schrieb Laurens ferner eine scharfe Rezension zum Roman La carte postale von Anne Berest, der 2021 für den Goncourt-Preis nominiert war, ebenso nominiert wie das Buch Les Enfants de Cadillac von Laurens’ Lebensgefährten François Noudelmann. Laurens blieb zwar Mitglied der Jury, doch der Skandal hinterließ einen Schatten über den Entscheidungsprozessen des prestigeträchtigen Literaturpreises. In Deutschland sind von der Autorin vergleichsweise wenige Bücher übersetzt, die vielleicht einen nicht wirklich repräsentativen Eindruck von ihrem Schreiben geben: In den Armen der Männer (2000), Lieben (2005), Es ist ein Mädchen (2022) und So wie du mich willst (2023, in F: 2016), 2019 mit Juliette Binoche verfilmt. Im Mittelpunkt steht hier die 48-jährige Literaturprofessorin Claire Millecam, die nach einer gescheiterten Ehe und gesellschaftlichen Erwartungen an Frauen in ihrem Alter gegen das „Unsichtbarwerden“ ankämpft. Claire (die in Ta promesse ein zweites Mal als Protagonistin erscheint, falls nicht sowieso alle Protagonistinnen freie Variationen von Camille Laurens sind) erschafft ein fiktives Facebook-Profil der 24-jährigen Claire Antunès, um dem 35-jährigen Fotografen Chris zu begegnen. Diese Identität ermöglicht ihr nicht nur die Rückeroberung eines jugendlichen Begehrens, sondern konfrontiert sie auch mit den Grenzen von Realität und Illusion. Der Roman wechselt zwischen Claires inneren Monologen, transkribierten Therapiesitzungen und den Perspektiven anderer Charaktere, darunter ihr Psychiater, ihr Ex-Mann und eine Schriftstellerin, die eine Schreibwerkstatt in Claires Psychiatrie leitet. Marielle Kreienborg schreibt in der Taz vom 22. August 2024: „Was folgt, ist eine Meta-Erzählung, in der jede Geschichte, gemäß dem Matrjoschka-Prinzip, eine weitere und noch eine weitere enthält. Polyphone Erzählformen und -perspektiven, in denen sämtliche Beteiligten glauben, die anderen zu täuschen, und ihrerseits getäuscht werden, prallen aufeinander.“ Jeder Erzähler wird sowohl als glaubwürdig als auch als unzuverlässig dargestellt. Dadurch entsteht ein Labyrinth aus Wahrheit und Fiktion, das weniger danach fragt, was wahr oder falsch ist, sondern vielmehr untersucht, welche Bedingungen verschiedene Formen der Selbstdarstellung hervorbringen.
Ça m’a fait du bien d’écrire la dernière page, enfin l’une des dernières pages, le début de la fin, quand Claire, ma narratrice, découvre la preuve, c’est-à-dire un fait pour lequel il n’y a pas d’interprétation possible, un fait monolithique, nouveau mais irréfutable, daté, nommé, un fait brut étranger à toute subjectivité. Cette découverte clôt l’enquête angoissée à laquelle je soumets sa vie depuis des mois, à tourner autour de bribes, de souvenirs, de témoignages et d’hypothèses contradictoires, sans trouver vraiment ni une forme ni un sens, encore moins une certitude. Il faut que ce livre finisse comme finit un roman policier : par la vérité. Car la vérité existe, n’en déplaise aux hérauts de la nuance, aux champions de l’ambivalence, aux tenants de la fiction universelle. À un moment, dans le champ de la vie, quelque chose est vrai ou faux, fait ou fable. Cela ne dure peut-être qu’un moment, mais c’est un moment de vérité. Or, tout le monde a peur de la vérité. On traîne les pieds, on y va à reculons, on tergiverse. On ne veut pas la vérité, on veut la paix. Non, pas la paix. La tranquillité. La vérité est une aventure, or on veut être tranquille, peu importe le prix. Mais un roman ne doit pas sacrifier la vérité, il perdrait sa raison d’être, qui consiste à s’y risquer, quelle qu’elle soit. Si vous n’écrivez pas pour la chercher, n’écrivez pas. Et si vous ne lisez pas pour l’approcher, à quoi bon ? C’est pourquoi je commence toujours par écrire la fin. Pour me donner le courage de suivre le chemin. Pour être sûre d’aller au bout sans lâcheté. Je vais l’écrire, ce livre, puisque je l’ai déjà fini. J’en suis venue à bout. Voilà ce que je me dis. Je suis venue à bout de l’illusion, même si c’en est une encore de s’y croire parvenue. C’est le chemin qui compte, après tout. Jamais été éblouie par la vérité, à la fin ? Oh, je me contenterai d’un rai de lumière. J’entrevois aussi comment entrer dans le récit, par cette épigraphe d’Héraclite – je ne me refuse rien : « Qui cherche la vérité doit être prêt à l’inattendu, car elle est difficile à trouver et, quand on la rencontre, déconcertante. » D’un autre côté, cet adjectif ne convient pas. Déconcertante, la vérité ? Elle est monstrueuse. Elle est meurtrière. Comment ne pas comprendre que le bonheur veuille s’en protéger ? On est tellement plus heureux par les choses qu’on ignore que par celles qu’on sait.
Camille Laurens, Ta promesse.
Es hat mir gut getan, die letzte Seite zu schreiben, na ja, eine der letzten Seiten, den Anfang vom Ende, als Claire, meine Erzählerin, den Beweis entdeckt, d. h. eine Tatsache, für die es keine Interpretation gibt, eine monolithische, neue, aber unwiderlegbare, datierte und benannte Tatsache, eine rohe Tatsache, die jeder Subjektivität fremd ist. Diese Entdeckung beendet die angstvolle Untersuchung, der ich sein Leben seit Monaten unterziehe, indem ich um Bruchstücke, Erinnerungen, Zeugenaussagen und widersprüchliche Hypothesen kreise, ohne wirklich weder eine Form noch einen Sinn, geschweige denn eine Gewissheit zu finden. Dieses Buch muss so enden, wie ein Kriminalroman endet: mit der Wahrheit. Denn die Wahrheit existiert, ob es den Vorboten der Nuancen, den Vorkämpfern der Ambivalenz oder den Verfechtern der universellen Fiktion gefällt oder nicht. Irgendwann im Leben ist etwas wahr oder falsch, Fakt oder Fabel. Es mag nur einen Moment dauern, aber es ist ein Moment der Wahrheit. Nun hat aber jeder Angst vor der Wahrheit. Man trödelt, man geht rückwärts, man zögert. Man will nicht die Wahrheit, man will den Frieden. Nein, nicht den Frieden. Die Ruhe. Die Wahrheit ist ein Abenteuer, und man will seine Ruhe haben, egal, was es kostet. Aber ein Roman darf die Wahrheit nicht opfern, denn dann würde er seine Daseinsberechtigung verlieren, die darin besteht, sich in sie zu wagen, wie auch immer sie aussehen mag. Wenn Sie nicht schreiben, um sie zu suchen, schreiben Sie nicht. Und wenn Sie nicht lesen, um sich ihr zu nähern, wozu dann? Aus diesem Grund schreibe ich immer zuerst das Ende. Um mir den Mut zu geben, den Weg zu gehen. Um sicherzugehen, dass ich das Ende ohne Feigheit erreichen kann. Ich werde es schreiben, dieses Buch, da ich es bereits beendet habe. Ich habe es zu Ende gebracht. Das ist es, was ich mir sage. Ich habe die Illusion überwunden, auch wenn es immer noch eine Illusion ist, zu glauben, dass ich es geschafft habe. Es ist schließlich der Weg, der zählt. Sind Sie jemals von der Wahrheit geblendet worden? Oh, ich begnüge mich mit einem Lichtstrahl. Ich erahne auch, wie man in die Erzählung einsteigen kann, durch diese Epigraphik von Heraklit – ich verweigere mir nichts: „Wer die Wahrheit sucht, muss auf das Unerwartete vorbereitet sein, denn sie ist schwer zu finden und, wenn man ihr begegnet, verwirrend.“ Andererseits ist dieses Adjektiv unpassend. Verwirrend ist die Wahrheit? Sie ist ungeheuerlich. Sie ist mörderisch. Wie kann man nicht verstehen, dass das Glück sich vor ihr schützen will? Man ist so viel glücklicher durch die Dinge, die man nicht weiß, als durch die, die man weiß.
Stilistisch brilliert Laurens mit einer Sprache, die gleichermaßen poetisch und scharf ist. Sie setzt sprachliche Mittel ein, um die emotionalen Spannungen zu verstärken und den Leser in die innere Welt der Protagonistin zu ziehen. Gleichzeitig reflektiert der Roman die Funktion von Sprache und Literatur als Mittel der Selbstbehauptung und der Wahrheitsfindung. Die Protagonistin Claire steht im Mittelpunkt einer Geschichte, die von Manipulationen und Lügen geprägt ist, was sie schließlich vor Gericht bringt. Die Suche nach der Wahrheit wird zur Hauptmotivation ihres Schreibens und ihrer Reflexionen. Ein zentrales Thema ist die Differenz zwischen der subjektiven Wahrnehmung und der objektiven Wahrheit. Claire beschreibt, wie sie die Wahrheit in ihrem Leben und in ihren Beziehungen sucht, während sie gleichzeitig die Herausforderungen und die Angst vor dieser Wahrheit reflektiert. Claire bricht eine versprochene Loyalität, als sie beginnt, über ihre Beziehung zu Gilles zu schreiben, was sie als eine Art Verrat empfindet. Die zentrale Dynamik des Buches ist das schrittweise Erwachen der Protagonistin, die nach und nach die Täuschungen und die gefährliche Natur ihres Partners entdeckt. Laurens legt großen Wert darauf, dass der Leser diese Entwicklung miterlebt, als ob er an Claires Seite steht. Der Roman entfaltet sich wie eine Art Detektivgeschichte, bei der die Wahrheit Stück für Stück ans Licht kommt.
— Qu’est-ce qu’elle cherchait ? Qu’est-ce qu’elle cherche ? — Ce que cherchent les détectives. La vérité. Et ce que cherchent les écrivains : une forme pour la contenir. En fait, quand j’y réfléchis, je me dis qu’elle a dû faire appel à un vrai détective. Tu verras, il y a des choses qu’elle n’a pas pu apprendre toute seule. Des détails précis sur des moments où elle n’était pas là, des scènes avec des gens qu’elle n’a jamais rencontrés en vrai. — Elle les a inventées, c’est tout. Un écrivain, ça invente, non ? — Oui. Peut-être. Peut-être que je délire. En tout cas, mises bout à bout, ses trouvailles, ses lectures, ses analyses et sa gamberge visent à une reconstitution complète, comme dit la justice. Claire mène sa propre instruction. La vraie scène de crime, pour elle, ce n’est pas la maison, c’est le passé, c’est la cervelle du mec ! Elle fouille les moindres recoins, perquisitionne les souvenirs, sonde les fondations. Et à quel prix ! Elle tient plus à la vérité qu’au bonheur. Le cœur de ton film est là, si tu veux faire son portrait.
Camille Laurens, Ta promesse.
„Wonach hat sie gesucht? Wonach sucht sie?“ „Das, was Detektive suchen. Nach der Wahrheit. Und was Schriftsteller suchen: eine Form, um sie einzudämmen. Wenn ich darüber nachdenke, denke ich sogar, dass sie einen echten Detektiv beauftragt haben muss. Du wirst sehen, dass es Dinge gibt, die sie nicht alleine herausfinden konnte. Genaue Details über Zeiten, in denen sie nicht da war, Szenen mit Menschen, die sie nie in echt getroffen hat.“ „Sie hat sie einfach nur erfunden. Ein Schriftsteller erfindet doch, oder?“ „Ja. Vielleicht. Vielleicht fantasiere ich. Auf jeden Fall zielen ihre Funde, ihre Lektüre, ihre Analysen und ihre Spinnerei, wenn man sie zusammenfügt, auf eine vollständige Rekonstruktion ab, wie die Justiz sagt. Claire führt ihre eigene Untersuchung durch. Der wahre Tatort ist für sie nicht das Haus, sondern die Vergangenheit, das Gehirn des Mannes! Sie durchsucht die kleinsten Ecken, durchsucht Erinnerungen, erforscht das Fundament. Und zu welchem Preis! Die Wahrheit liegt ihr mehr am Herzen als das Glück. Hier liegt das Herzstück deines Films, wenn du ihn porträtieren willst.“
Was bedeutet es, dass Laurens in zwei Romanen dieselbe Protagonistin wählt? In Celle que vous croyez von Camille Laurens wird Claire als eine Frau beschrieben, die sich ein zweites Leben unter der Identität einer jüngeren Frau namens Claire Antunès schafft, um eine Beziehung zu einem jüngeren Mann namens Chris aufzubauen. Diese Geschichte behandelt Themen wie Identität, Illusion und das Verlangen nach Liebe und Akzeptanz. In Ta promesse wird Claire als eine Autorin dargestellt, die ebenfalls mit Themen der Liebe und des persönlichen Konflikts kämpft, insbesondere in Bezug auf ihre Beziehung zu Gilles Fabian. Diese Geschichte ist mehr autobiografisch geprägt und erforscht die Auswirkungen von Beziehungen auf das Selbstverständnis und die kreative Arbeit der Protagonistin. Nach der Selbsttäuschung in einer digitalen Welt reflektiert nun Ta promesse über die realen Konsequenzen von persönlichen Entscheidungen und deren Einfluss auf das Schreiben und die Kunst. Ein zentrales Thema der ersten Seiten ist das Spannungsverhältnis zwischen dem persönlichen Glück und der künstlerischen Schöpfung. Claire ist sich bewusst, dass sie, um als Schriftstellerin erfolgreich zu sein, möglicherweise sowohl ihre eigenen Erfahrungen als auch die ihrer Beziehungen aufarbeiten muss. Hierbei wird das Versprechen, nicht über Gilles zu schreiben, zu einer Art kreativer Blockade. Diese Ambivalenz zwischen der Notwendigkeit der künstlerischen Verarbeitung und der Angst vor der Realität, die sie in ihren Schriften obsolet erscheinen lässt, wird durch Metaphern der Leere und des Verlustes verstärkt.
Camille Laurens teilt in einem Radiogespräch 3 ihre Perspektive auf das Schreiben, ihre literarische Philosophie und ihr aktuelles Werk La Promesse. Sie sieht Schriftsteller als die „manipulateurs suprêmes“, die alle Fäden einer Geschichte in der Hand halten, dabei aber gleichzeitig von einer inneren Eingebung geführt werden. Sie beschreibt diesen Prozess als fast intuitiv, als ob der Pinsel selbst ihre Hand leitet. Dieses Spannungsfeld zwischen Kontrolle und Hingabe an die Inspiration ist für sie zentral im kreativen Schaffen. Laurens ist überzeugt, dass Schmerz, Enttäuschung und Verlust essenzielle Grundlagen für Literatur sind; sie glaubt, dass glückliche Menschen „keine Geschichten haben“, die es wert wären, erzählt zu werden, da Romane oft aus der Reflexion über schwierige, tragische oder schmerzhafte Erlebnisse entstehen, um die Schattenseiten des Lebens in Kunst zu transformieren. Camille Laurens’ Ta promesse ist für sie ein Instrument, die Grenze zwischen Fakt und Fiktion auszuloten und produktiv zu machen, zwischen Gaslighting und Autofiktion. Wahrheit erweist sich für sie nicht als starres Konzept, sondern – und das macht die Ambivalenz des Buches aus – ist als dynamischer Prozess zu begreifen.
Anmerkungen- „Tout le monde envie ce couple emporté par le désir et l’amour fou. Mais la déchirure des sentiments les mènera à la violence mortifère.“ Christophe Henning, La Croix, 8. Januar 2025.>>>
- Didier Jacob, „Ta promesse, par Camille Laurens : anatomie d’une lutte“, L’Obs, 6. Januar 2025.>>>
- Camille Laurens : „Thriller, romance, procès : j’ai mêlé dans ce texte les rythmes et les genres“, Radio France Inter, 12. Januar 2025.>>>