Son infidélité ne me choquait pas. C’était le mensonge qui m’était douloureux. Qu’elle puisse trafiquer la réalité après tant d’années de vie commune. Transpirer dans les bras d’un autre homme, oui. Affabuler, non. C’était ma limite.
De mon côté, j’étais devenu fidèle sans trop forcer ma nature. La fidélité possédait une dimension un peu absurde et jusqu’au-boutiste qui ne me déplaisait pas, quelque chose de japonais : l’amour d’une seule femme comme l’approfondissement d’un motif, de même que Monet avait choisi les nymphéas à la fin de sa vie, y avait borné son talent sans s’égarer à peindre à côté des cactus ou des girafes.
Erwan Desplanques, La part sauvage, Éditions de l’Olivier, 2024.
Ihre Untreue schockierte mich nicht. Es war die Lüge, die mich schmerzte. Dass sie nach so vielen Jahren des Zusammenlebens die Realität manipulieren konnte. In den Armen eines anderen Mannes zu schwitzen, ja. Aber Geschichten erfinden, nein. Das war meine Grenze.
Ich meinerseits war treu geworden, ohne meine Natur zu sehr zu strapazieren. Die Treue hatte etwas Absurdes und Kompromissloses an sich, das mir nicht missfiel, etwas Japanisches: Die Liebe zu einer einzigen Frau wie die Vertiefung eines Motivs, so wie Monet am Ende seines Lebens die Seerosen gewählt und sein Talent darauf beschränkt hatte, ohne sich darin zu verlieren, daneben noch Kakteen oder Giraffen zu malen.
Erwan Desplanques’ Erzählband La part sauvage (2024) vereint zehn Kurzgeschichten, die in ihren feinen, psychologisch dichten Momentaufnahmen das Porträt einer Generation zeichnen, die zwischen Anpassung und Selbstverlust, zwischen ironischer Weltklugheit und innerer Müdigkeit schwankt. Allen Geschichten ist ein spezifischer struktureller und thematischer Angelpunkt gemeinsam: der Kippmoment. Es handelt sich dabei um einen Moment der Veränderung, der Konfrontation oder der Erkenntnis, der den Figuren – oft schmerzhaft, oft leise – einen anderen Blick auf sich selbst oder ihre Welt eröffnet. Aus der Summe dieser Brüche, Übergänge und Erschütterungen ergibt sich eine tiefgehende Reflexion über das Verhältnis des Menschen zu sich selbst, zu seinen Beziehungen und zur Gegenwart. Stéphane Jarno schreibt: „Desplanques zeichnet Situationen und Figuren mit wenigen prägnanten Strichen und lässt den Countdown sofort beginnen, doch seine wahre Stärke liegt darin, Sprengstoff zu platzieren. Wie ein guter Sprengmeister erkennt er genau, wo dieser den größten Schaden anrichten wird: an schlecht geflickten Rissen, abgenutzten Materialien, wackeligen Mauern, oxidierten Gefühlen, abgestumpften Paaren, vermodnete Freundschaften, Lügen, Heuchelei … Und die Explosionen tun weh, besonders den Bourgeois, Intellektuellen, Bobos, Führungskräften oder Neoruralen, also den – zumindest scheinbar – gemäßigten Milieus, die der Autor gut zu kennen scheint und in denen er seine zehn Kurzgeschichten angesiedelt hat.“ 1
Erwan Desplanques’ Erzählung „La part sauvage“ bildet nicht nur das titelgebende Zentrum der gleichnamigen Sammlung, sondern auch ihr thematisches Herzstück. Sie verhandelt mit leiser Intensität Fragen nach Erinnerung, Familiengeschichte, Identität und der Rolle der Sprache im Umgang mit dem, was sich nicht vollständig sagen oder rationalisieren lässt: dem Fremden im Eigenen, dem Ungezähmten inmitten bürgerlicher Fassade – jener „wilden“ Teil, der in der Ordnung der Gegenwart keinen Platz mehr zu haben scheint, aber immer wieder zurückkehrt. Im Zentrum der Geschichte steht ein Ort, den es nicht mehr gibt: der ehemalige Zoo des Großvaters, heute ein Supermarktparkplatz. Der Zoo ist in doppelter Hinsicht ein „verschwindender Ort“: physisch ausgelöscht und zugleich mental verdrängt. Die Ich-Figur – Vater zweier kleiner Töchter – erfährt von der Existenz dieses Zoos zufällig und indirekt, im Rahmen eines Familienbesuchs. Es ist nicht die Erinnerung, die ihn antreibt, sondern ein Mangel: « Je n’ai aucun souvenir de ce lieu, mais j’ai besoin d’y aller. » Diese Lücke wird zum Motor der Geschichte: Die Suche nach dem Zoo wird zur Suche nach einem fehlenden, verdrängten Teil der eigenen Herkunft. Der Ort steht emblematisch für das Vergessene, das Unheimliche, das in der Familienerzählung keinen Raum hatte – für die „wilde“ Seite der Familie, die durch das allmähliche Verschwinden der alten Generationen aus dem Bewusstsein zu kippen droht.
Der Erzähler gehört zur Generation der Bildungsbürger, die ihr Leben im Griff haben – Beruf, Beziehung, Kinder, Ironie. Doch dieser Griff wirkt brüchig. Das Auftauchen des verschwundenen Zoos stört die scheinbare Ordnung. In seiner Reaktion auf die Nachricht von dessen Existenz zeigt sich ein fast kindlicher Drang, dorthin zurückzukehren – nicht um der Nostalgie willen, sondern um etwas zu begreifen, was in der Sprache des Alltags keinen Ausdruck findet. Desplanques schildert diese Bewegung nicht pathetisch, sondern mit einer Mischung aus Ernst, Selbstironie und Melancholie. Der Erzähler weiß, dass es „nichts mehr zu sehen“ gibt. Aber das Begehren bleibt: « Je veux voir le zoo. » – ein Satz, der fast trotzig wirkt, wie ein symbolischer Akt gegen das glatte Vergessen.
Der Zoo verweist nicht nur auf einen Ort, sondern auf ein Verhältnis zur Wildheit, zum Tierischen, das unterdrückt oder kontrolliert wird. Das Tier ist hier keine äußere Figur, sondern Ausdruck des Anderen im Selbst. Die Tiere des Zoos – längst tot oder verkauft – wirken nach: in den Träumen, in den Gesten, in den Lücken der Erinnerung. Die Erzählung schlägt vor, dass diese „part sauvage“ nicht verschwunden ist, sondern latent weiterlebt – in der Wahrnehmung, in der Sprache, vielleicht im Körper.
Das Treffen mit der Tante – einer der letzten Verbindungspunkte zur Generation des Großvaters – verdeutlicht, wie sehr die Geschichte der Familie von Brüchen und Schweigen durchzogen ist. Die Tante erinnert sich bruchstückhaft, zögerlich, tastend. Die Sprache verliert ihre Selbstverständlichkeit – es herrscht das Zögern, das Verstummen. Das Wilde hat keinen Platz mehr in der Ordnung der Rede, aber es lebt weiter im Körper, in Gesten, Blicken, in der Imagination.
Die zweite Ebene der Erzählung spielt in der bürgerlichen Gegenwart: Schule, Kinder, Alltag, Supermarkt – die Bühne des funktionierenden Lebens. Doch auch hier schimmern Risse durch: Das Kind ist enttäuscht, weil es in der Zooschule keine echten Tiere gibt; der Erzähler beobachtet sich selbst in seiner Rolle als Vater, als „moderner Mann“ – stets reflektiert, bemüht, aber innerlich distanziert. Die emotionale Dichte des Besuchs beim alten Zoogelände steht im Kontrast zur glatten Oberfläche des Gegenwartsdiskurses. In diesem Kontrast liegt die eigentliche Spannung der Erzählung: zwischen einer Welt der Ordnung, der Repräsentation, der Erziehung – und einer Welt des Ungesagten, Unzivilisierten, des Wilden, das keine Sprache, keinen Namen mehr hat. Die „part sauvage“ ist das, was sich dem Zugriff entzieht – aber sie macht sich bemerkbar: durch Begehren, Unruhe, durch das Schweigen zwischen den Worten. Stilistisch operiert Desplanques mit einer knappen, präzisen Sprache, die selten explizit wird, aber atmosphärisch hoch verdichtet ist. Er arbeitet mit Leerräumen, mit Andeutungen, mit rhythmisch gesetzten Sätzen, die oft mehr verschweigen als sagen. Gerade dadurch erzeugt er jene melancholische Intensität, die seine Geschichten auszeichnet. Die „Wildheit“ erscheint nicht als Naturidyll oder Gewaltphantasie – sondern als leise, aber drängende Präsenz des Unkontrollierten im scheinbar Zivilisierten.
„La part sauvage“ ist eine Reflexion über die Generationen, über Erinnerung, über das Verschwinden – und über das, was nicht verschwindet. Die Geschichte erinnert daran, dass das Vergangene nicht abgeschlossen ist, solange es nicht erinnert worden ist – und dass jede Ordnung, die das Wilde, das Andere, das Unpassende tilgt, auf brüchigem Grund steht. Die Rückkehr zum „Zoo“ ist daher keine sentimentale Reise, sondern eine existenzielle Bewegung: hin zum Nichtgewussten, zum Unheimlichen, zur Wahrheit einer „part sauvage“.
Beim Versuch, die Erzählungen zusammenzufassen, bildet diese Geschichte einen Hintergrundston:
L’homme debout. Ein früherer Vorgesetzter taucht nach Jahren plötzlich auf, verwickelt in ein Gerichtsverfahren wegen Mobbing, und bittet den Erzähler, als Entlastungszeuge aufzutreten – ein Wunsch, der alte Wunden aufreißt. In der Begegnung mit diesem Mann, der einst Macht über ihn hatte, wird dem Erzähler die ganze emotionale und psychische Last der Vergangenheit bewusst. Der Moment, in dem er sich weigert zu lügen, ist keine simple moralische Entscheidung, sondern ein Akt tiefer Selbstachtung: Die Rückkehr des Täters zwingt ihn zur Rückschau, aber auch zur Abgrenzung.
La brûlure. Als Anna sich beim Backen die Hand verbrennt, ist das mehr als ein Küchenunfall – es ist ein kathartischer Ausdruck ihrer inneren Erschöpfung, ihrer unterdrückten Kränkungen und ihres melancholischen Selbstzweifels. Die äußere Wunde macht eine innere Verletzung sichtbar, die lange verleugnet wurde: das Gefühl, übersehen, zu wenig gesehen oder nie ganz ernst genommen worden zu sein. Die Begegnung mit einer empathischen Ärztin in der Notaufnahme öffnet schließlich einen Raum für Zärtlichkeit, Verständnis und Selbstannahme. In dieser scheinbar banalen Episode verdichtet sich das Drama eines stillen, weiblichen Lebens im Schatten der Erfolge anderer.
Le grand saut. Ein junger Mann begleitet seinen Vater, einen charismatischen Rockstar, auf Tournee und erlebt mit, wie dieser vom Publikum wie ein Gott verehrt wird – bis er ihn bei einem „Crowd Surfing“-Sprung heimlich schlägt. Die Szene wirkt wie ein surreales Vatermord-Ritual, eine körperliche Geste der Emanzipation, die in der Gewalt Ausdruck findet, weil Sprache zwischen Vater und Sohn längst versagt hat. Der Schlag ist weniger Rache als der Versuch, ein symbolisches Gleichgewicht herzustellen, ein Moment körperlicher Wahrheit gegenüber einer existenziellen Kränkung. Die Geschichte verhandelt das schwierige Erbe der Väter, die Mischung aus Bewunderung, Enttäuschung und stummer Wut – und das komplizierte Bedürfnis, trotzdem geliebt zu werden.
Florabelle. Ein Installateur begegnet einer berühmten Influencerin und wird, zusammen mit seiner Partnerin, zunehmend von ihrem schönen, scheinbar perfekten Leben in den Bann gezogen – eine voyeuristische Obsession entsteht. Doch als er der Frau im echten Leben wieder nahekommt, etwa in einem körperlich engen Moment im Geräteschuppen, zerbricht die Fantasie an der Realität. Die Geschichte dekonstruiert das Bildhafte: Was digital glänzt, wirkt im echten Leben blass, körperlich, ungeschützt – und letztlich banal. Das Begehren nach medialer Oberfläche führt in die Leere, es wird schwer, zwischen echten Gefühlen und inszenierten Sehnsüchten zu unterscheiden.
L’esprit d’équipe. Eine Fußballmannschaft erfährt vom plötzlichen Tod eines Kameraden – aus dem Schock entsteht kein großer Ausdruck der Trauer, sondern eine stille, gemeinschaftliche Entscheidung: zu spielen. Der Sport wird zur Trauerarbeit ohne Worte, zur körperlichen Verarbeitung des Verlusts. Indem sie das Spiel wieder aufnehmen, ehren sie nicht nur den Verstorbenen, sondern retten sich selbst vor der Ohnmacht. In dieser zurückhaltenden Geschichte liegt eine große emotionale Kraft: Sie zeigt, wie Rituale des Alltags – hier der Sport – in existenziellen Momenten eine Form von Halt bieten können, die Sprache nicht leisten kann. Bewegung wird zur Form von Erinnerung.
La part sauvage. Ein Mann erfährt zufällig, dass sein Großvater einst einen Zoo besaß – ein Fakt, der in seiner Familiengeschichte völlig ausgeblendet wurde – und macht sich auf, diesen verschwundenen Ort zu suchen. Die Reise wird zu einer symbolischen Expedition in die verdrängte Vergangenheit, in das Ungezähmte, das sich weder rational erklären noch vollständig erinnern lässt. Zwischen den Trümmern eines untergegangenen Lebensentwurfs und der Verantwortung als Vater entdeckt der Erzähler etwas, das über bloße Nostalgie hinausweist: ein Empfinden für das Uneinholbare, für das, was jeder Ordnung widersteht.
Les dinosaures du futur. Zwei Jugendliche verstecken sich während eines möglichen Amoklaufs im Schulgebäude – im Schatten der Gewalt gestehen sie sich ihre Liebe, wissend, dass diese Worte eher Schutzformeln als Wahrheiten sind. Die Szene offenbart das paradoxe Bedürfnis nach Sinn im Angesicht des Absurden: Das Liebesgeständnis ist zugleich authentisch und performativ, zärtlich und kalkuliert. Die Bedrohung aktiviert eine letzte, kindlich-reine Form von Nähe, die im Alltag sonst keinen Platz hat. Das Unverfügbare – das Ende, die Gewalt, die Wahrheit – kann jederzeit in diese Welt des prekären Erwachsenwerdens einbrechen.
Une catastrophe privée. Ein Mann scheitert daran, den Erwartungen seiner Familie und insbesondere seines Schwiegervaters gerecht zu werden – in einem Moment scheinbar banaler Gesprächigkeit bricht die Ohnmacht des modernen Mannes hervor. Inmitten der ökonomischen Rationalität und der Erwartung, sich selbst permanent zu optimieren, zeigt sich die Leere hinter der Leistungsmaske. Die Geschichte entlarvt mit leiser Ironie die Bruchstellen klassischer Männlichkeitsbilder: Stärke, Verantwortlichkeit, Kontrolle – alles gerät ins Wanken.
La tempête. Ein junges Mädchen erlebt einen Sturm, während ihre Eltern und Großeltern hilflos wirken – und erkennt dabei, dass sie es ist, die die Familie zusammenhält. Die kindliche Perspektive macht sichtbar, wie brüchig die erwachsene Welt ist, wie sehr ihre Stabilität auf äußeren Rollen beruht. Salomé wird zur „stillen Erwachsenen“ in einer Welt, in der die eigentlichen Erwachsenen ihrer Verantwortung kaum gerecht werden. Die Erzählung dekonstruiert elterliche Autorität nicht laut, sondern über das leise, präzise Beobachten.
Giulia. Ein Vater, erschöpft von familiären Spannungen, legt sich mit Augenpflastern ins Gras – bis der Familienhund sich sanft an seine Schläfe schmiegt. Es ist eine wortlose Geste, fast zu zart für das gelebte Leben, aber stark genug, einen inneren Riss kurz zu schließen. Inmitten der Unfähigkeit, Bedürfnisse auszusprechen oder Konflikte zu lösen, wirkt das Tier als medium affektiver Wahrheit: nicht denkend, sondern fühlend. Giulia ist ein stilles Plädoyer für die Würde der Zuwendung, die außerhalb der Sprache stattfindet.
Die Kurzgeschichten Desplanques’ sind keine klassischen Handlungsplots, sondern verdichtete Seelenlandschaften, deren Dramaturgie auf dem inneren Umkippen einer Situation basiert. Was alle Geschichten verbindet, ist das Gefühl einer Leerstelle: ein Mangel an Orientierung, ein unaufgelöster Konflikt, ein emotionales Vakuum. Ob es die Vaterfigur ist (Le grand saut, La part sauvage), das Begehren nach Anerkennung (Florabelle, Une catastrophe privée), der Tod und das Scheitern von Fürsorge (La tempête, Giulia) oder die Kollision mit der eigenen Mittelmäßigkeit (La brûlure) – die Geschichten operieren im Spannungsfeld zwischen privater Innenwelt und gesellschaftlichem Außen. Besonders zentral ist das Motiv des Scheiterns: beruflich, emotional, familiär. Desplanques’ Figuren sind erschöpft von einem Ideal, das sie nicht erfüllen können – und das doch unausweichlich auf sie projiziert wird.
Ein weiteres zentrales Thema ist das Begehren – nicht nur im erotischen Sinne, sondern als Wunsch nach Sichtbarkeit, nach Wärme, nach Nähe, nach Bedeutung. Gerade diese Momente – wenn eine Figur plötzlich körperliche Berührung sucht oder verweigert – markieren entscheidende Übergänge. Oft sind es Männerfiguren, die sich in ihrer Unbeholfenheit entblößen, aber auch weibliche Figuren wie Anna in La brûlure oder Salomé in La tempête durchleben existenzielle Schwellen, die ihre Subjektivität neu ordnen.
Desplanques’ Erzählstil ist zurückhaltend, unaufgeregt, hochsensibel. Die Geschichten sind meist in der ersten Person erzählt oder aus einer sehr nahen personalen Perspektive. Es sind Stimmen, die tastend, reflektierend, manchmal ironisch, oft melancholisch erzählen – und die der Leser:in erlauben, in ein Bewusstsein einzutauchen, das zwischen Selbstschutz und Offenheit changiert. Die Sprache ist schnörkellos, aber von großer Suggestivkraft. Einfache Bilder (z. B. die Brandwunde, die Bewegung eines Rollers, ein Hund auf dem Rasen) laden sich symbolisch auf, ohne je allegorisch überfrachtet zu wirken. Dialoge und innere Monologe greifen ineinander, Erinnerungen durchziehen die Gegenwart. Es ist ein Schreiben, das sich ganz auf Wahrnehmung konzentriert, das in kleinen Gesten ganze Lebenshaltungen einfängt – und das dabei fast filmisch funktioniert.
J’avais parfois du mal à associer la femme avec laquelle je parlais aux images qui me revenaient en tête, cette gamine boudeuse qui résumait à elle seule l’Italie, la fiction, la jeunesse éternelle et l’âge d’or du cinéma mondial.
Giulia m’avait confié que le secret de la réussite était de savoir quitter un rôle, d’en faire le deuil pour endosser le suivant. C’était presque une leçon de vie : se dépouiller des personnages qu’on s’invente et finir par être soi. Enfin soi. Plus que soi.
Erwan Desplanques, La part sauvage, Éditions de l’Olivier, 2024.
Manchmal fiel es mir schwer, die Frau, mit der ich mich unterhielt, mit den Bildern in meinem Kopf in Verbindung zu bringen – dieses schmollende Kind, das Italien, Fiktion, ewige Jugend und das goldene Zeitalter des Weltkinos in sich vereinte.
Giulia hatte mir anvertraut, dass das Geheimnis des Erfolgs darin bestehe, eine Rolle zu verlassen, sie zu betrauern und in die nächste zu schlüpfen. Es war fast wie eine Lektion fürs Leben: die selbst erfundenen Charaktere abzustreifen und am Ende man selbst zu sein. Endlich man selbst. Mehr als man selbst.
Die Sammlung La part sauvage entfaltet ein Weltbild der Zartheit im Zeitalter der Überforderung. In einer Gesellschaft, in der Leistung, Sichtbarkeit und Konsum omnipräsent sind, markieren die Geschichten Räume des Innehaltens, der Selbstbefragung, der Verletzbarkeit. Desplanques zeigt Figuren, die nicht mit Macht, sondern mit Ohnmacht ringen; keine Heldinnen oder Helden, sondern Menschen, die lernen zu ertragen, loszulassen oder ehrlich zu sein. Das „Wilde“ im Titel meint dabei keine Gewalt, keine Flucht ins Animalische, sondern eine unzähmbare, nicht vollständig zivilisierbare Zone des Menschlichen: ein Bedürfnis nach Sinn, nach unbedingter Nähe, nach ungeschütztem Dasein. In diesem Sinne sind die Geschichten auch ein Plädoyer für Empathie: Sie zeigen, wie schwer (und kostbar) es ist, Mensch zu sein. La part sauvage ist eine Sammlung stiller Revolutionen. Die Figuren durchbrechen Erwartungen nicht lautstark, sondern mit einem Flüstern, einem Blick, einer Ablehnung, einem Schmerz. Desplanques schreibt Geschichten, die sich wie feine Risse durch das Selbstbild seiner Figuren ziehen – und vielleicht auch durch das der Leser. In ihrer Unaufgeregtheit, ihrer Menschlichkeit und Verletzlichkeit liegt ihre Kraft. Dieses Wilde, so zeigt sich, liegt nicht jenseits der Zivilisation – sondern in unserem Inneren. Und man kann sich dem stellen.
Anmerkungen- „S’il croque situations et personnages en quelques traits vifs et enclenche sans tarder le compte à rebours, Desplanques excelle dans l’installation des charges explosives. En bon artificier, il repère l’endroit où elles feront le plus de dégâts : les fêlures mal comblées, les matériaux usés, les murs branlants, l’oxydation des sentiments, les couples émoussés, les amitiés moisies, le mensonge, les faux-semblants… Et les déflagrations font mal, particulièrement chez les bourgeois, les intellos, les bobos, les cadres ou les néoruraux, des milieux tempérés — du moins en apparence — que l’auteur semble bien connaître et où il a situé ces dix nouvelles.“ Stéphane Jarno, “La Part sauvage”, d’Erwan Desplanques : ces moments où tout déraille…, Télérama, 8. März 2024.>>>