Die Farbe Schwarz: Justine Bo

Wahrhaft mythologisches, archaisches Bild

Jefferson se félicitait. En pleine élection, en plein virage à 360° de l’Amérique, en pleine sécession du nord avec le sud, en pleine fièvre raciste qui des foules tirait le pire, on allait afficher sur le mur du poste de police le visage du tout premier officier noir, un esclave affranchi qui avait marché mille kilomètres pour s’établir à Brooklyn. Pour en faire voir à Trump, disait-il.

Jefferson gratulierte sich selbst. Mitten in den Wahlen, mitten in einer 360-Grad-Wende Amerikas, mitten in der Abspaltung des Nordens vom Süden, mitten in einer rassistischen Hysterie, die das Schlimmste aus den Menschenmassen hervorbrachte, würde man das Gesicht des allerersten schwarzen Polizisten an die Wand der Polizeistation hängen, eines befreiten Sklaven, der tausend Kilometer gelaufen war, um sich in Brooklyn niederzulassen. Um Trump eins auszuwischen, sagte er.

Justine Bos Eve Melville, Cantique passt in die bedrohliche gesellschaftspolitische Stimmung in den USA seit der zweiten Amtszeit von Präsident Trump, weil der Roman in eindringlicher Sprache die rassistische Gewaltgeschichte Amerikas als eine nie abgeschlossene, immer wiederkehrende Tragödie erzählt. Der Angriff auf Eve Melvilles Haus – das im Roman nicht nur materielles Erbe, sondern auch identitätsstiftende Zuflucht ist – steht exemplarisch für die aktuelle Reaktivierung alter Feindbilder: Die Fassade des Nachbarhauses wird in einem Akt symbolischer Gewalt pechschwarz überstrichen, was die Bewohnerinnen und Bewohner Brooklyns als Angriff auf ihre Existenz deuten. In diesem Bild kulminiert das Unbehagen einer Zeit, in der die Feinde des gesellschaftlichen Fortschritts nicht mehr nur aus der Vergangenheit kommen, sondern aktiv im städtischen Raum intervenieren – anonym, massiv und bedrohlich. Die überzeichnete Metapher verweist auf reale Dynamiken wie Vertreibung, Gentrifizierung und rassistische Ressentiments, die durch Trumps Politik neuen Auftrieb erhalten haben.

Gleichzeitig zeigt das Buch, wie tief das historische Trauma der Sklaverei und die damit verbundene Sprachlosigkeit in die Gegenwart hineinwirken. In der Figur Solomon Melville, einem ehemaligen Sklaven, dessen Leben durch eine Mischung aus Schweigen, Stolz und körperlicher Erinnerung geprägt ist, begegnet uns eine Geschichte, die sich nicht in offiziellen Erzählungen auflösen lässt. Eve, seine Urenkelin, spürt diese ungebrochene Gewalt am eigenen Körper, sie lebt mit dem Wissen einer Vergangenheit, die nie ganz vergangen ist. In einem politischen Klima, in dem die Errungenschaften der Bürgerrechtsbewegung zunehmend untergraben werden und in dem schwarze Geschichte marginalisiert oder instrumentalisiert wird, ist Bos Roman ein widerständiger Akt poetischer Repräsentation. Die Wiederkehr der Geschichte im Gewand der Farbschicht auf einer Hauswand wird so zur düsteren Allegorie auf eine Nation, die mit ihrer Vergangenheit nicht versöhnt ist – und unter Trump erneut bereit scheint, alte Wunden aufzureißen.

Justine Bo, geboren 1989 in Cherbourg, hat bisher sieben Romane veröffentlicht, darunter Fils de Sham (2013), Onanisme (2019), Alphabet (2022) und Eve Melville, Cantique (2024). Neben ihrer literarischen Tätigkeit wirkte sie bereits als Filmemacherin – etwa mit dem Kurzfilm The Beyrouth Follies, der 2012 ausgezeichnet wurde. Außerdem verbrachte sie Zeit in Palästina und Syrien – Erfahrungen, die ihren ersten Roman Fils de Sham beeinflussten. In ihren Büchern finden sich klare Gemeinsamkeiten: Ein radikaler, fragmentarischer Schreibstil, eine poetische Sprache, die soziale Marginalisierung, Gewalt und Traumata thematisiert. Sowohl Onanisme (über eine junge Araberin in Frankreich, die durch den Fund einer Waffe ihre Existenz spürt) als auch Alphabet (ein autobiografisch inspirierter Roman über Inzest, Erinnerung und Identität) beschäftigen sich mit Mechanismen von Macht, Trauma, körperlicher und psychischer Gewalt sowie der Suche nach Selbstrepräsentation.

Über die Entstehung von Eve Melville, Cantique erzählt Justine Bo in einem Interview mit France Culture, dass die Figur der Eve Melville von einer realen Frau geprägt wurde, die sie einst in Brooklyn besuchte und deren Präsenz sie nie losließ. Der Name „Eve Melville“ sei bewusst gewählt: „Eve“ als erste Frau, „Melville“ als wortwörtlich „schlechte Stadt“, und „Cantique“ als Verweis auf das biblische Hohelied – ein poetisches, aber auch rebellisches Bild. 1 Dieses Motiv führte sie zu einem Roman, der die Erinnerung an Sklaverei, Gentrifizierung, AIDS, schwarze Geschichte und urbane Gewalt in New York zusammenführt – ausgehend von der dramatischen Metapher eines Hauses, nachts schwarz gestrichen als Angriff auf Identität und Besitz.

Justine Bos Roman Eve Melville, Cantique taucht tief in die Traumatisierungen der amerikanischen Geschichte ein und beleuchtet dabei, wie sich alte Wunden in der Gegenwart neu manifestieren. Der Ausgangspunkt des Dramas ist ein scheinbar alltäglicher Akt des Vandalismus: Die Hausfassade von Eve Melvilles Nachbarin in Brooklyn wird über Nacht schwarz gestrichen. Doch diese äußere „Verunstaltung“ wird für Eve, deren Familie seit Generationen eng mit diesem Haus und seiner Umgebung verbunden ist, zu einem schmerzhaften Auslöser. Es reißt eine Wunde in ihr auf und führt sie zurück zu den Ursprüngen ihrer Familie, die untrennbar mit der Sklaverei in den Südstaaten verbunden sind. Das Haus, einst von ihrem Urgroßvater Solomon Melville als Bollwerk der Freiheit und des Besitzes erworben, wird zu einem Brennpunkt, an dem sich die Vergangenheit und die Gegenwart Amerikas in ihrer ganzen Brutalität begegnen. Es verkörpert nicht nur physischen Raum, sondern auch die kumulierte Erinnerung und den anhaltenden Kampf einer Familie gegen Enteignung und Vergessen.

La maison est noire, d’un noir atroce, repoussant, terrifiant, un noir de limbes, un noir de maladie, un noir aveuglant, un noir à rendre sourd, un noir à se pendre, un noir infini qui ouvre sur une dimension inconnue du monde, un noir dont on ne peut sortir, un noir infernal, un noir de délice, fascinant, un noir qui aimante, un noir de mille contrastes, un noir qui n’est jamais le même selon l’endroit de la rue où l’on se place, noir trompe-l’œil, noir incandescent, un noir qui brûle la rétine, qui la réhabilite et la sauve, un noir qui enchante, envoûte, un noir vibrant, exquis, sublime, un noir du diable.

Das Haus ist schwarz, von einer grauenhaften, abstoßenden, furchterregenden Schwärze, einer Schwärze der Vorhölle, einer Schwärze der Krankheit, einer blendenden Schwärze, einer Schwärze, die taub macht, einer Schwärze, die einen zum Erhängen bringt, einer unendlichen Schwärze, die zu einer unbekannten Dimension der Welt führt, einer Schwärze, aus der man nicht entkommen kann, einer höllischen Schwärze, einer Schwärze der Wonne, einer faszinierenden Schwärze, einer Schwärze, die anzieht, eine Schwärze voller Kontraste, eine Schwärze, die je nach Standort auf der Straße immer anders ist, eine trügerische Schwärze, eine glühende Schwärze, eine Schwärze, die die Netzhaut verbrennt, sie rehabilitiert und rettet, eine Schwärze, die verzaubert, betört, eine vibrierende, exquisite, erhabene Schwärze, eine Schwärze des Teufels.

Eves Reaktion auf die schwarze Fassade entwickelt sich schnell von persönlicher Empörung zu einem umfassenden Kampf gegen die Gentrifizierung ihres Viertels und die damit einhergehende Verdrängung der angestammten Bewohner. Ihre Wut richtet sich gegen die Bauunternehmer, die das „Antlitz ihrer Kindheit entstellen“, und sie wird zur unbeugsamen Verteidigerin ihrer Heimat und ihrer kollektiven Erinnerung. Der Roman verwebt dabei meisterhaft individuelle Schicksale – von der Folter auf Indigo-Plantagen bis zu den Wirren der AIDS-Epidemie und den Unruhen in Brooklyn – mit der „amerikanischen Mythologie“, die sich ständig wiederholende Konflikte in sich trägt. Durch Eves Augen wird die Lesererfahrung zu einer Reise durch die Zeit, bei der die Grenzen zwischen Realität, Gedächtnis und einer fast archaischen, von Bo als „Gesang, Polyphonie und Dissonanz“ beschriebenen Sprache verschwimmen, um eine tiefere literarische Wahrheit zu enthüllen, die jenseits soziologischer Darstellungen liegt.

In einem Interview zu ihrem Roman erklärt Justine Bo, sie beabsichtige mit ihrem Roman Eve Melville, Cantique eine Auseinandersetzung mit „unmöglichen Motiven, die sich einer Erzählung entziehen“ zu führen, und sucht dabei nach einer „anderen, der Literatur eigenen Sprache“. Ihr zentrales Anliegen ist es, die „Frage der Entwurzelung und der Lücke, die sie in Erinnerung und Sprache hinterlässt“ zu beleuchten, indem sie die Erfahrung einer schwarzen Frau, die im Erbe der Sklaverei gefangen ist, durch die Überwindung mittels „Erinnerungserzählungen“ nachempfindet.

Eve boit seule. Avide, elle boit, sans filet, sans filtre, aphone, sa voix d’outre-tombe déchiquetée par la substance, la gorge brûlée, sa langue morte, comme coupée par le mal. Eve boit sans limite. Elle s’arrime au goulot et se détourne de son reflet. Elle boit pour ne pas tuer. S’assassiner au lieu de suicider. Elle boit par altruisme. Pour épargner sa présence, diminuer. Réduire son empreinte. Asphyxier l’ombre qui hante les trottoirs du quartier. Taire son rire réfléchi partout depuis l’enfance, sur toutes les façades de toutes les maisons du hood. Elle boit pour parler à dieu. Elle boit sans raison aucune, par instinct. Eve boit pour se perdre. Eve boit pour disparaître.

Eve trinkt allein. Gierig trinkt sie, ohne Netz, ohne Filter, stimmlos, ihre Stimme aus dem Jenseits zerfetzt von der Substanz, die Kehle verbrannt, die Zunge taub, als wäre sie vom Bösen abgeschnitten. Eve trinkt ohne Limit. Sie klammert sich an den Flaschenhals und wendet sich von ihrem Spiegelbild ab. Sie trinkt, um nicht zu töten. Sich selbst zu ermorden, statt Selbstmord zu begehen. Sie trinkt aus Altruismus. Um ihre Anwesenheit zu verschonen, zu verringern. Um ihren Fußabdruck zu verringern. Um den Schatten zu ersticken, der die Gehwege des Viertels heimsucht. Um ihr Lachen zu ersticken, das seit ihrer Kindheit überall widerhallt, an allen Fassaden aller Häuser der Hood. Sie trinkt, um mit Gott zu sprechen. Sie trinkt ohne Grund, aus Instinkt. Eve trinkt, um sich zu verlieren. Eve trinkt, um zu verschwinden.

Der Roman ist ein Experimentieren mit einer fremden Sprache, geprägt von Gesang, Polyphonie und Dissonanz, das die Geschichte letztlich „zerbricht und ihren Figuren ein neues Licht bietet“. Die Autorin will die „ganze Kraft dieses visuellen Schocks“ – das 2016 selbst erlebte Bild eines über Nacht schwarz gestrichenen Nachbarhauses in Brooklyn – vermitteln, das sie als „wahrhaft mythologisches, archaisches Bild“ und als „Fluch, der über die Nachbarschaft gefallen war, wie ein Einbruch einer weit entfernten Vergangenheit“ empfand. Ihre Poetik zeichnet sich durch das Aufeinanderprallen und die Vermischung mehrerer Sprachen aus, wobei sie eine „andere Geometrie“ verfolgt und sich der „Dimension der Stille“ in der Literatur widmet. Bo betont die Verbindung zwischen Schreiben und Skulptur, da es ihr um die „Textur, das Material des Textes selbst – etwas im Wesentlichen Physisches“ geht.

Bo invertiert die Zeitformen: „Die Erinnerungen stehen im Präsens, aber das einfache Präteritum ist das Präsens der Erzählung, eine Zeitform, die von etwas Ungelöstem zeugt“, da die Vergangenheit eine „einschneidende Kraft“ und „Einbruchspotenzial“ besitzt. Es ist ihr wichtig, die „Erleichterung des individuellen Lebens“ herauszuarbeiten, indem sie die große Geschichte ins kleine Detail drängt, wie am Beispiel der Muschelschale der Sklaven. Sie möchte die Gewalt nicht benennen, sondern „ihre Gewalt wiederherstellen, das, was nicht neu formuliert werden kann, sondern eine andere, analoge Form finden muss“, um die „Intensität dieser Leere wiederherzustellen“. Bo lehnt es ab, Charaktere durch zugeschriebene Adjektive oder Gedanken zu definieren, stattdessen konzentriert sie sich auf die „reine Beschreibung ihrer Gesten und Empfindungen“ und arbeitet durch „Anhäufung“, fast exzessiv Material hinzufügend, sodass es dem Leser überlassen bleibt, „darin zu formen“. Sie ist daran interessiert, die „Fragmentierung des Lebens, das chaotische Leben“ darzustellen und Figuren zu zeigen, die unfähig sind, ihre eigene Geschichte zu schreiben, da dies in einer Gesellschaft, die eine Lebensgeschichte fordert, eine Gefahr darstellt.

Bo sieht die Familiengeschichte nicht als Mittel zur Wiederherstellung von Verbindungen, sondern um „die Tiefe der Schnitte“ in ihr zu bewahren, was sie als ein „Auf dem Kopf stehen … Auf dem Kopf dessen, was die Sprache hervorbringen will“ bezeichnet. Sie kritisiert die amerikanische Tendenz zur „Diskursproduktion“, die die „Intensität der Gewalt ersticken“ kann, und positioniert Eve Melville als Figur, die in eine „unhaltbare Situation“ gebracht wird, ohne Zugang zu ihrer eigenen Geschichte, durchbohrt von einer „unnahbaren und glühenden Vergangenheit“.

Pisten der Lektüre

Im Folgenden werden thesengeleitet einige Stellen des Textes diskutiert:

Das schwarze Haus als Katalysator für historische Traumata und Gentrifizierung

Die Übermalung der Nachbarfassade mit schwarzer Farbe ist der zentrale Auslöser für Eves Kampf. Justine Bo erklärt, dass dieses Bild, das sie 2016 in Brooklyn real wahrgenommen hatte, sofort eine „literarische Form“ annahm und sich wie ein „Fluch“ anfühlte, eine „Einbruch einer weit entfernten Vergangenheit, der in der Gegenwart auftauchte“. Im Roman wird die schwarze Farbe als „apocalypse“ und als Zeichen für die „Verletzung“ der Straße empfunden. Eve interpretiert es als eine gezielte Aggression: „Die jungen Weißen, die Upper Manhattan verlassen, um in Bed-Stuy Familie zu gründen, können nicht in denselben Häusern wohnen wie wir, denselben Häusern wie die Armen vor ihnen. Sie brauchen ein Unterscheidungsmerkmal. Die schwarze Fassade signalisiert eine andere Präsenz. Sie bevölkern nicht dieselben Mauern. Man übermalt die Häuser schwarz, um die Schwarzen zu vertreiben“. Die schwarze Fassade symbolisiert nicht nur die Verdrängung, sondern auch das „Vergessen“ und die „Zerstörung“, die mit der Gentrifizierung einhergehen.

Die Konfrontation mit der Vergangenheit durch sensorische Erfahrungen und materielle Spuren

Der Roman vermeidet eine rein intellektuelle Auseinandersetzung mit der Geschichte und legt den Fokus auf körperliche und sensorische Erfahrungen. Eve findet eine Puppenkopf in einer Badewanne voller Erde, was sie an die Kindheit und die idyllische Begleitung von Puppen erinnert, die ihr als schwarzem Kind verwehrt blieben und was eine frühe Form der Erniedrigung darstellte. Der Geschmack von Erde im Mund, der immer wiederkehrt, verbindet sie direkt mit Moon River in Georgia und den Leiden ihrer Vorfahren. Solomon, ihr Urgroßvater, trägt das Indigo der Plantagen auf seinen Händen und im Blut. Bo betont, dass Eve durch „Texturen und Farben, unmittelbarere Zeichen“ an das Erbe der Sklaverei erinnert wird, nicht durch eine „psychische Bahn“. Das Motiv der Muschel, die Solomon wie ein Heiligtum aufbewahrt, ist ein „stiller und sicherer Beweis der Geschichte“.

Die ungelöste Natur von Geschichte und Trauma – die „noch ausstehende“ Vergangenheit

Die Vergangenheit ist im Roman keine abgeschlossene, sondern eine „ungelöste Zeit“, die weiterhin auf die Gegenwart einwirkt. Bo bezieht sich auf Maurice Blanchot, um dieses Konzept zu erklären: „Der Moment meines Todes, immer noch ausstehend“. Solomon weigert sich, seine Erfahrungen als Sklave zu erzählen, weil er weiß, dass „nichts, was gesagt werden konnte, verstanden werden konnte“. Seine Geschichte bleibt in ihm gefangen. Eves „Wut“ ist die Inkarnation dieser ungelösten Gewalt. Die Sklaverei, ihre „Unterwerfung“ und die „Folter“ ihrer Vorfahren sind Kräfte, die in Eve weiterleben und ihre „Kämpfe“ im Inneren auslösen. Der Roman zeigt, dass die Unterdrückung nicht mit der Abschaffung der Sklaverei endete, sondern sich in neuen Formen fortsetzt.

Sa colère une pieuvre, aux tentacules étendus du gouffre au parasite, de Lewis Avenue au boulevard Malcolm X, de Canal Street dans le Bowery à Crown Heights en passant par les houles de Rockaway Beach. Monstre de colère, Eve Melville, ivre, morte, ressuscitée par la colère, mariée à sa colère, colère faite chair, vengeresse, résolue à hurler jusqu’à ce que de colère en elle, il ne reste plus rien, colérique Eve Melville, dans ses muscles et ses os, colère dans le sang. En colère contre Samuel, Eve Melville, en colère contre Moses et contre Solomon, en colère contre Peter Stephenson, contre Hannah Horowitz, en colère contre Jefferson et sa sœur Jemma, morte en silence dans le vacarme de Bergen Street, en colère contre le sud et les enfants de Savannah en Géorgie, en colère contre sa mère dont elle ne se souvenait pas, en colère, Eve Melville, contre cette ville, contre les Adelstein, contre Halsey Street. Du jour de sa naissance, une aube de printemps 1955, des limbes de son berceau placé sous le tilleul, aux boues du Moon River et aux rades de Chinatown, Eve Melville n’avait pas décoléré.

Ihre Wut ist wie eine Krake, deren Tentakel sich vom Abgrund bis zum Parasiten, von der Lewis Avenue bis zum Malcolm X Boulevard, von der Canal Street in der Bowery bis nach Crown Heights und über die Wellen von Rockaway Beach erstrecken. Ein Monster der Wut, Eve Melville, betrunken, tot, wiederbelebt durch die Wut, verheiratet mit ihrer Wut, Wut in Fleisch und Blut, rachsüchtig, entschlossen zu schreien, bis von der Wut in ihr nichts mehr übrig ist, die wütende Eve Melville, in ihren Muskeln und Knochen, Wut im Blut. Wütend auf Samuel, Eve Melville, wütend auf Moses und Solomon, wütend auf Peter Stephenson, auf Hannah Horowitz, wütend auf Jefferson und seine Schwester Jemma, die still im Lärm der Bergen Street gestorben ist, wütend auf den Süden und die Kinder von Savannah in Georgia, wütend auf ihre Mutter, an die sie sich nicht erinnern konnte, wütend, Eve Melville, wütend auf diese Stadt, auf die Adelsteins, auf die Halsey Street. Seit dem Tag ihrer Geburt, einem Frühlingsmorgen im Jahr 1955, seit den Anfängen in ihrer Wiege unter der Linde, bis zum Schlamm des Moon River und den Straßen von Chinatown, hatte Eve Melville ihre Wut nicht verloren.

Die Herausforderung traditioneller Erzählweisen und der Einsatz von Polyphonie und Dissonanz

Bo lehnt eine lineare, soziologische Darstellung der Realität ab und setzt auf eine „fremde Sprache, geprägt von Gesang, Polyphonie und Dissonanz“, um die Komplexität der Erfahrungen darzustellen. Die Erzählerin, Éden Borde, ist nicht allwissend, sondern hat einen „verschwommenen, verzerrten, gebrochenen Blick“, was die Subjektivität der Wahrnehmung unterstreicht. Die Geschichte springt zwischen Zeiten und Perspektiven hin und her, z. B. zwischen 1845 (Solomons Geburt) und 2016 (Eves Kampf). Diese Fragmentierung spiegelt die zersplitterte Erinnerung und Identität der Figuren wider. Bo beabsichtigt, die „Intensität dieser Leere“ wiederherzustellen, indem sie das Erzählen auf den Kopf stellt.

Die Subversion des „amerikanischen Traums“ und der Besitz als Freiheit

Für Solomon Melville ist der Erwerb des Hauses in Brooklyn der Höhepunkt seines Lebens und ein Versprechen auf Freiheit für seine Nachkommen: „ein autonomer Staat inmitten von Brooklyn, ein Raum, den ihm niemand jemals nehmen kann“. Doch diese Vision wird im Laufe des Romans zynisch untergraben. Eve muss feststellen, dass der Besitz ihrer Familie juristisch nicht gesichert ist und sie von Enteignung bedroht ist. Das Haus, einst Symbol der Freiheit, wird für Eve zum „Spiegel all dessen, was sie abstieß“. Die Verlockung, das Haus für „eine Million Dollar“ zu verkaufen, entlarvt die Kommerzialisierung von Erinnerung und Identität. Der „amerikanische Traum“ vom Besitz und Aufstieg erweist sich als fragil und illusorisch, da die systematische Unterdrückung fortbesteht.

Eve Melville als Verkörperung kollektiver Erinnerung und Widerstand

Eve ist nicht nur eine individuelle Figur, sondern eine Projektionsfläche für die Traumata und den Widerstand ihrer gesamten Linie. Ihr Körper trägt die Zeichen der Geschichte, von Solomons Indigo-Händen bis zur „Erde“ und dem „Schmutzwasser“ des Moon River, das sie im Mund schmeckt. Sie wird zur „Priesterin“ und „Göttin“, die mit ihrem Megafon die „Erinnerung der Unseren“ verteidigt und die „Promoter verurteilt“. Ihre „Wut“ ist die „Materie“, die sie vorantreibt. Bo beschreibt Eve als eine Figur, die der Geschichte „standhält“ und deren „körperliche Erfahrung“ die Erzählung ersetzt. Eve verkörpert die „Narben“, die nicht schweigen.

Die Rolle von „Unvollkommenheit“ und Fruchtbarkeit in Eves Identität

Eve leidet unter ihrer „Unvollkommenheit“, insbesondere ihrer Kinderlosigkeit, was sie als „Makel“ empfindet. Moses verbannt sie aus dem Haus, als er sie mit Hannah Horowitz, einer weißen Frau, überrascht, was ihre Scham verstärkt. Dieser Konflikt zwischen ihrer sexuellen Identität und den gesellschaftlichen (und familiären) Erwartungen an Fortpflanzung und „Normalität“ prägt ihr Leben tiefgreifend. Sie versucht, diese „Unvollkommenheit“ durch die Annahme von Éden und Saúl als ihre „Kinder“ zu überwinden. Ihre Beziehung zu Maria De la Cruz bietet ihr „irdische Nahrung“ und „Verzückung“, eine Form der Erfüllung jenseits biologischer Mutterschaft.

Die Kritik an Modernität und Gentrifizierung

Der Roman prangert die „Promoter an, die die Landschaft ihrer Kindheit entstellen“. Der Zuzug „junger Weißer“ und die damit einhergehende Umgestaltung des Viertels in eine „Welt zum Verkauf, eine Welt zum Kauf“ werden als Akt der Aggression und Zerstörung wahrgenommen. Die neuen, teuren Restaurants wie „L’Antagoniste“ symbolisieren die kulturelle Verdrängung. Eve Melville sieht darin den Plan, die schwarze Bevölkerung zu „jagen“ und „zu beseitigen“, bis „alle Häuser leer sind und sie sie kaputtmachen und wieder aufbauen können, ohne das Blau des Himmels zu sehen“. Die Renovierungen erzeugen einen „Höllenlärm“.

Sprache und das Unsagbare – die Grenzen der Erzählung

Die Autorin ringt mit der Darstellung des Unsagbaren. Solomon schweigt gegenüber den nordamerikanischen Beamten, weil er weiß, dass seine Geschichte „nicht in einer anständigen englischen Sprache wiedergegeben werden konnte“. Eve selbst findet oft keine Worte und ihre Wut äußert sich in physischen Handlungen wie dem Einschlagen auf den Briefkasten oder dem Zerstören von Schaufenstern. Bo betont, dass sie „die Realität formal nicht wiederherstellen“ will, sondern deren „Gewalt wiederherstellen, das, was nicht neu formuliert werden kann, sondern eine andere, analoge Form finden muss… um die Intensität dieser Leere wiederherzustellen“. Sie sucht die „Dimension der Stille“ in der Literatur und die „Darstellung des Selbst als Materie“. Eves Megafon-Reden erreichen nur „imaginäre Menschenmengen“, was die Schwierigkeit, gehört zu werden, unterstreicht.

Die Mehrdeutigkeit des „Wahnsinns“ und die Suche nach Sinn

Die Frage „Wie Eve Melville verrückt wurde“ ist ein wiederkehrendes Motiv. Ihr „Wahnsinn“ wird nicht als bloße Geisteskrankheit dargestellt, sondern als eine Reaktion auf eine unerträgliche Realität und als Form des Widerstands. Ihr Handeln, das von der Gesellschaft als „wild“ oder „barbarisch“ wahrgenommen wird (z. B. das Anzünden des verlassenen Hauses oder die Zerstörung des Restaurants), ist ein Versuch, die Kontrolle zurückzugewinnen und die Erinnerung zu verteidigen. Sie sucht nach einem Sinn im Leid, findet aber nur „ein Denkmal des menschlichen Verlusts“. Ihr „Wahnsinn“ ist auch ein Ausdruck ihres „unheilbaren Spleens“, der auf die kumulierten Traumata ihrer Familie und ihrer eigenen Verluste (Peter, Maria) zurückgeht.

Cantique

Der Schluss des Romans schildert das bewegende Ende der Geschichte um Eve Melville und ihre Verbindung zur historisch belasteten Hausnummer 629 in der Halsey Street, Brooklyn. Eve, die lange gegen den Verfall und die Veränderungen in ihrem Viertel gekämpft hat, bereitet sich gemeinsam mit Maria De la Cruz auf den Weg zur Westküste vor, wo sie ein neues Leben beginnen wollen. Vor ihrem Abschied besucht Eve noch einmal das Haus, durchschreitet vertraute Räume, nimmt Abschied von den Erinnerungen und symbolisch von ihrer Vergangenheit, indem sie ihre Haare abschneidet und ihre Koffer packt. Dieses Ende ist von einer starken Melancholie, aber auch von einer transzendenten Geste der Annahme geprägt. Eve Melville hat den Kampf um ihr Haus physisch verloren; das Schild „verkauft“ hängt an der Fensterscheibe, und die „Existenz von Solomon“ ist auf „Dinge reduziert, die zwischen den Trennwänden zerstreut sind“. Das einst so starke Symbol des Besitzes und der Freiheit ist zerbrochen.

Der Roman endet mit einem Gefühl von Abschied, aber auch von Hoffnung: Während Eve und Maria sich aufmachen zu neuen Ufern, wird die Erinnerung an das Haus und die Geschichte, die es trägt, bewahrt. Eve Melville spricht abschließend den Wunsch aus, dass die künftigen Generationen gesegnet sein mögen, und die Erzähler schließen das Buch mit der wiederholten Aussage, dass sie „einen schönen Frühling gehabt haben“. Im Angesicht ihrer Niederlage enthüllt Eve eine andere Form der Stärke. Sie kommt zu Éden und Saúl, die ebenfalls im Begriff sind, die USA zu verlassen. Die Szene des Abschieds ist zutiefst intim: Eve, die „Angst“ hat, dass sie gehen, lädt die beiden ein, sich zu versammeln und einen Gebetskreis zu bilden. Sie bittet um einen Segen für diese „Kinder“, die sie selbst nicht hatte, und für alle, die nach ihnen kommen. In ihrem „Cantique“ bittet sie Gott, sie nicht zu verachten, weil sie „ein bisschen schwarz“ oder „unvollkommen“ ist und kein Kind bekommen kann. Durch diese Worte erhebt sie ihre eigene Geschichte des Leidens und der Ablehnung zu einer spirituellen Botschaft. Sie spricht dabei von der Erinnerung an ihre Vorfahren und dem Erbe, das mit dem Haus verbunden ist. Trotz des Verlusts der Hausbesitzrechte bleibt das Haus ein bedeutendes Symbol für die Geschichte und den Kampf ihrer Familie sowie für die Identität des Viertels.

Dans le sang qui de ma paume à celle de Saúl circule, qui de la paume de Saúl aux doigts d’Eve coule, et depuis ses poignets gagne mes bras, je sens la force de son obstination et la rage de son cœur, je sens la terre d’elle à cet instant surgir, cette terre du fond des temps, du fond de sa bouche, terre des entrailles de Solomon, régurgitée par Moses, terre diluée puis reformée en Samuel, asséchée dans la gorge d’Eve, cette terre qui en elle bouillonne et tremble, éructe par ses lèvres, une terre qui contamine tout son corps et durcit, devient solide, devient sa langue, une terre qui à Savannah, en Géorgie, nourrit les racines des sycamores, cette terre en elle parle pour nous absoudre, cette terre nous signe et irradie, cette terre nous délivre, et sur le radeau d’Eve nous passons sur l’autre rive seigneur, ne me dédaignez pas si je suis un peu noire, c’est que le soleil m’a brûlée, ne m’accablez pas si je suis imparfaite, car c’est ainsi que vous m’avez conçue, ne me haïssez pas de servir votre royaume par l’aumône, je suis auprès des mortels et je ne les abandonnerai pas, seigneur, ne me voyez pas stérile, faites de moi encore votre vaisseau seigneur, je vous en conjure, à la mémoire de Solomon, au corps endormi de Moses, sur les fronts de tous les tombés du Bowery, dans toutes les veines de mes camarades emportés par le parasite seigneur, bénissez ces enfants, menez-les auprès de vous, protégez-les, ces enfants d’Amérique et d’Europe, ces enfants que je n’ai pas eus et que personne n’aura, ces enfants que la maison noire n’a pas ternis, qui n’ont pas fui devant le danger, ces enfants du risque et de la folie dans le sang qui toujours entre nos mains se répand, dans la supplication qui se termine, dans la voix incantatoire d’Eve qui retombe, j’entrouvre mes paupières closes pour apercevoir, entre mes cils, son visage solennel, son beau visage grave, et par nos yeux à demi ouverts, avec Saúl Cicero nous rions, nous rions de nous trouver ici, aux États-Unis à Brooklyn, dans le quartier de Bedford-Stuyvesant, au centre de la rue Halsey, au numéro 629 qui ne lui appartient plus.

Im Blut, das von meiner Handfläche in die von Saúl fließt, das von Saúls Handfläche zu Evas Fingern fließt und von ihren Handgelenken in meine Arme gelangt, spüre ich die Kraft ihrer Hartnäckigkeit und die Wut ihres Herzens, ich spüre die Erde in diesem Augenblick aus ihr aufsteigen, diese Erde aus der Tiefe der Zeit, aus der Tiefe ihres Mundes, Erde aus den Eingeweiden Salomos, von Moses wieder ausgespuckt, verdünnt und dann in Samuel neu geformt, ausgetrocknet in Evas Kehle, diese Erde, die in ihr brodelt und zittert, die aus ihren Lippen erbricht, eine Erde, die ihren ganzen Körper kontaminiert und verhärtet, fest wird, zu ihrer Zunge wird, eine Erde, die in Savannah, Georgia, die Wurzeln der Platanen nährt, diese Erde in ihr spricht, um uns zu entschuldigen, diese Erde zeichnet uns und strahlt uns aus, diese Erde befreit uns, und auf Evas Floß gelangen wir ans andere Ufer Herr, verachte mich nicht, wenn ich ein wenig schwarz bin, denn die Sonne hat mich verbrannt, bedränge mich nicht, wenn ich unvollkommen bin, denn so hast du mich geschaffen, hasse mich nicht, weil ich deinem Reich mit Almosen diene, ich bin bei den Sterblichen und werde sie nicht verlassen, Herr, seht mich nicht als unfruchtbar an, macht mich wieder zu eurem Gefäß, Herr, ich flehe dich an, im Gedenken an Solomon, an den schlafenden Körper von Moses, an die Stirnen aller Gefallenen der Bowery, in allen Adern meiner Kameraden, die von dem Parasiten, Herr, dahingerafft wurden, segne diese Kinder, führe sie zu dir, beschütze sie, diese Kinder Amerikas und Europas, diese Kinder, die ich nicht hatte und die niemand haben wird, diese Kinder, die das schwarze Haus nicht befleckt hat, die nicht vor der Gefahr geflohen sind, diese Kinder des Risikos und des Wahnsinns im Blut, das immer zwischen unseren Händen fließt, in der Bitte, die endet, in der beschwörenden Stimme Evas, die verklingt, ich öffne meine geschlossenen Augenlider einen Spalt breit, um zwischen meinen Wimpern ihr feierliches Gesicht zu sehen, ihr schönes, ernstes Gesicht, und durch unsere halb geöffneten Augen lachen wir mit Saúl Cicero, wir lachen darüber, dass wir hier sind, in den Vereinigten Staaten, in Brooklyn, im Stadtteil Bedford-Stuyvesant, mitten auf der Halsey Street, in der Hausnummer 629, die ihr nicht mehr gehört.

Während sie ihre Hände halten, spürt Éden das „Blut“, das zwischen ihnen zirkuliert, die „Erde“, die von Solomons „Eingeweiden“ bis zu Eves „Kehle“ pulsiert und schließlich zu ihrer „Sprache“ wird. Dies ist der entscheidende Moment der Transzendenz: Der Besitz des Hauses mag verloren sein, aber die Erinnerung, der Kampfgeist und die Essenz der Familiengeschichte werden auf einer tieferen, körperlichen und spirituellen Ebene weitergegeben. Éden und Saúl, Agnostiker und Atheisten, „lachen“, ein Lachen, das sowohl Absurdität als auch eine Form der Akzeptanz und Verbundenheit in sich trägt. Es ist das Lachen über die Paradoxie, an einem Ort gesegnet zu werden, der der Protagonistin nicht mehr gehört, und gleichzeitig die Erkenntnis, dass etwas Tieferes als materieller Besitz geteilt wurde. Der Frühling, ein wiederkehrendes Motiv für Hoffnung und Neubeginn, wird hier als „schön“ bezeichnet, aber auch als vergänglich. Das Ende ist kein Triumph, sondern eine Feier der Resilienz im Angesicht des Unvermeidlichen, ein „Übergang an das andere Ufer“, auf Eves „Floß“, das die Geschichte nicht heilt, sondern in ihrer Verwundung bewahrt.

Justine Bo selbst beschreibt im zitierten Interview ihre Absicht mit dem Buch: „Es geht nicht darum, die Schnitte durch eine wiederherstellende Erzählung zu reparieren, die Resilienz bietet. Es geht vielmehr darum, diese Erzählung so neu zu komponieren, dass die Tiefe der Schnitte erhalten bleibt. Auf dem Kopf stehen … Auf dem Kopf dessen, was die Sprache hervorbringen will“. Dies spiegelt die Komplexität des Romanendes wider, das keine einfache Lösung oder Katharsis bietet, sondern die fortbestehenden Narben der Geschichte als Teil einer größeren, neu komponierten Erzählung feiert.

Der Titel Cantique lässt sich sowohl inhaltlich als auch formal-poetologisch begründen. Justine Bo versteht ihren Roman als Gesang, Hymne, Lobgesang. Sie schreibt in einer stark rhythmisierten, hoch poetischen Sprache. Sie nutzt Wiederholungen, Einschübe, eine litaneiartige Struktur, was dem Text einen rituellen, fast beschwörenden Charakter gibt. So wird die Sprache selbst zu einem „Cantique“, einer Form der Erinnerung, der Klage, der Aufrichtung gegen das Unsagbare. In der Verlagsankündigung heißt es so: „Dans une langue incantatoire, magnifique, puissante, ce cantique pour Eve Melville remonte aux racines d’un pays qui rejoue sans cesse ses batailles.“

Eve Melville, Cantique ist kein Roman, der sich an der Chronologie orientiert. Er ähnelt eher einem musikalischen Werk: Er besteht aus Motiven, Kontrasten, Wiederholungen, Dissonanzen und einem vielstimmigen Chor von Stimmen, Erinnerungen, Perspektiven. Der Gesang, der „Cantique“, durchzieht die Textur wie ein Thema in einem musikalischen Oratorium. Der Roman durchzieht das Motiv des Klagelieds oder Requiems über eine verdrängte Geschichte: die genealogische Wunde der Sklaverei, der Gewalt, der Enteignung. Es ist kein „realistischer“ Bericht, sondern eine klanglich verdichtete Wiederholung des Nicht-Vergessbaren. Eve Melville wird – wie in einer liturgischen Handlung – zur Verkörperung einer kollektiven, oft verstummten Geschichte, die durch den Akt des Singens oder der gesungenen Sprache wieder hörbar gemacht wird. Das „Cantique“ ist auch eine ästhetische Antwort auf die Unzulänglichkeit der Sprache, auf das Verstummen angesichts von Gewalt. Der Gesang ersetzt das gesprochene Wort – er ist ein Formprinzip.

Der Titel benennt die Form und zugleich die Widmung: Ein Cantique für Eve Melville. Eve ist nicht die Sängerin dieses Liedes – sie ist Gegenstand des Gesangs, Adressatin eines Textes, der versucht, das Unsagbare, das sie verkörpert, in Sprache zu bannen. Gleichzeitig kann sie selbst nicht erzählen – ein zentraler Aspekt des Romans und seiner doppelten Erzählstruktur: „Es ist also genau die Geschichte, die ihr aufgezwungen wird, es ist ein bisschen so, als hätten wir einen Film mit völliger Desynchronisation zwischen Ton und Bild.“ Der Roman ist ein Cantique, weil er eine poetische, gesungene Form des Gedenkens, der Klage und des Widerstands gegen sprachliche Normen darstellt. Bo schreibt gegen das lineare Erzählen an, gegen das reine Zeugnis, gegen die Erzählkonvention – und schafft stattdessen eine polyphone, klanglich strukturierte Hommage an eine Figur, die selbst keine Sprache für ihre Geschichte finden kann.

Anmerkungen
  1. „Ce titre, c’est d’abord l’être qui a donné corps au texte et qui est le personnage principal de ce roman. C’est Eve Melville. Eve Melville, peut-être, je peux expliquer un peu d’où est venu le nom. C’est une figure qui m’a été inspirée par une femme que j’ai croisée il y a longtemps à Brooklyn, chez qui j’ai habité, et dont le souvenir me hante encore, et qui ensuite est devenue Eve Melville. Évidemment, ce n’était pas son nom. Eve Melville, c’est d’abord Eve, la première femme, et c’est aussi Melville… Ce nom qui pourrait être un nom de lieu, mais qui en réalité veut dire la „mauvaise ville“. Et le cantique, évidemment, c’est une référence au cantique des cantiques. Ce texte de la Bible qui est très poétique, qui est presque une rêverie, un long fantasme et qui m’a beaucoup guidée dans l’écriture.“ Radio France, 17. Februar 2024.>>>

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