Nackte Realität: zur Neuausgabe des frühen Claude Simon

Ohne Anfang und Ende

Ce genre d’histoire sans commencement ni fin, le public n’aime pas ça. Il aime savoir ce que deviennent les personnages et combien d’enfants ils ont eu. On m’a déjà reproché d’oublier mes personnages en route. Non, décidément, je n’aurais pas dû la raconter.

Claude Simon, La corde raide.

Das Publikum mag solche Geschichten ohne Anfang und Ende nicht. Es möchte wissen, was aus den Figuren wird und wie viele Kinder sie bekommen haben. Man hat mir schon vorgeworfen, dass ich meine Figuren unterwegs vergesse. Nein, ich hätte die Geschichte wirklich nicht erzählen sollen.

Die Jahre vor der Entstehung von La corde raide (1947) sind für Claude Simon geprägt von Kriegserfahrungen, körperlicher Krankheit und einer langen Vorgeschichte künstlerischer Arbeit als Maler. Diese drei Linien – Überlebenserfahrung, Körper- und Wahrnehmungsschulung sowie künstlerische Formsuche – prägen den Text. Der Titel ist emblematisch: La corde raide bezeichnet einerseits die lebensgefährliche Lage eines Akteurs, der auf einem Drahtseil balanciert, andererseits den ständigen Schwebezustand zwischen chaotischem Erinnerungsschub und kompositorischer Form, zwischen Vitalität und dem drohenden Absturz ins Nichts. Dieses Spannungsfeld ist nicht nur thematisch präsent, sondern auch strukturell eingeschrieben.

2025 haben die Éditions de Minuit, präsentiert von Mireille Calle-Gruber, Claude Simons frühe Texte Le tricheur und La corde raide in einem gemeinsamen Band neu herausgegeben. Die beiden Werke waren ursprünglich 1945 bzw. 1947 bei Sagittaire erschienen – rund zehn Jahre vor Le Vent, dem Buch, das Claude Simon als seinen wahren Einstieg in die Literatur betrachtete. Der Verlag erkennt in den ersten Büchern „bereits die Hauptmotive seines späteren Werks“: „In Le tricheur sind es die tragische und hoffnungslose Flucht zweier Liebender quer durch Frankreich. In La corde raide sind es Kindheit, Barcelona während des Spanischen Bürgerkriegs und das Debakel von 1940, die in fragmentarischer und kraftvoll reflektierender Form dargestellt werden.“

In ihrer Présentation des Bandes interpretiert Mireille Calle-Gruber das Frühwerk als poetologisches Laboratorium, in dem Claude Simon grundlegende Verfahren seiner späteren Prosa systematisch erprobt – nicht zuletzt aus verlegerischen Erwägungen, dieser Neuherausgabe eine grundlegende Relevanz zuzuweisen. Sie betont die Dominanz von Montage und Fragmentierung, die Auflösung einer linearen Chronologie zugunsten einer Simultaneität von Zeiten sowie den Vorrang der Sinneswahrnehmung vor narrativer Handlung. Erinnerungen, Reflexionen und Eindrücke erscheinen in einem mosaikartigen Gefüge, das die chaotische Realität des Erlebten unmittelbar erfahrbar machen soll. Calle-Gruber verknüpft diese Techniken mit Simons Ausbildung als Maler: Komposition, Farbwirkung und Rhythmus treten als strukturierende Elemente auf, und die Anordnung der Textsegmente folgt eher bildnerischen als erzählerischen Gesetzen. Diese Verbindung von visueller und literarischer Gestaltungskraft liest sie als bewusste, fast programmatische Vorwegnahme der späteren Romane.

La réédition aujourd’hui de ces premiers livres est un événement littéraire dans la mesure où elle restitue le premier maillon de la chaîne d’écriture qui constitue l’œuvre de Claude Simon. Réédition attendue et inattendue cependant, l’auteur n’ayant pas souhaité que ces ouvrages, lorsqu’ils furent épuisés, puissent reparaître.

[…]

Les premiers livres de Claude Simon ouvrent à ce mouvement de recherche à l’infini, toujours plus ample, plus perturbable, plus épiphanique, qui donnera à l’œuvre sa puissante dimension de biographie de l’écriture. Mouvement porté par le travail sans concession d’une vie à écrire.

Mireille Calle-Gruber, Présentation, in Claude Simon, Le tricheur. La corde raide. Premières œuvres 1945-1947. Minuit, 2025.

Die heutige Neuauflage dieser ersten Bücher ist ein literarisches Ereignis, da sie das erste Glied in der Kette des schriftstellerischen Schaffens von Claude Simon wiederherstellt. Eine erwartete und zugleich unerwartete Neuauflage, da der Autor nicht wollte, dass diese Werke nach ihrem Vergriffensein wieder erscheinen.

[…]

Die ersten Bücher von Claude Simon eröffnen diese Bewegung der unendlichen Suche, die immer umfassender, verstörender und epiphanischer wird und dem Werk seine kraftvolle Dimension als Biografie des Schreibens verleiht. Eine Bewegung, die von der kompromisslosen Arbeit eines Lebens als Schriftsteller getragen wird.

Claude Simon distanzierte sich später von La corde raide: „Vor Gulliver hatte ich La corde raide veröffentlicht, keinen Roman, sondern ein Buch mit Erinnerungen, das mir heute nicht mehr besonders gefällt. Es hat einen zu selbstbewussten Ton, der mich stört. Ich war damals noch jung, achtundzwanzig Jahre alt. Ich wollte mich wohl selbst beruhigen. Maurice Merleau-Ponty verteidigte La corde raide mit der Begründung, dass es bereits alles enthielt, was später kommen sollte.” 1 Claire Devarrieux formuliert in ihrer Besprechung in Libération zum Erscheinen des Doppelbandes eine leicht maliziöse Kontextualisierung der Entstehungszeit: „Claude Simon ist noch Maler – er gibt diese Tätigkeit Anfang der 50er Jahre auf –, als er Le tricheur schreibt. Man denkt daran bei bestimmten Sätzen: „Die leuchtend rosa Arme der Wäscherinnen, ihre blauen Ärmel bis zu den Ellbogen hochgekrempelt.“ La corde raide, das bei seiner Veröffentlichung 1947 im Gegensatz zu Le tricheur wenig Beachtung fand, ist ebenso sehr ein Essay über die Kunst (Cézanne, Renoir) und die Darstellung wie eine Romanhandlung. Der recht geschwätzige und prahlerische Erzähler ist mal von dem, was er sieht, mal von seiner Lage besessen: „Ich bin ein Mann. Ich bin ein Mann, der versucht zu leben, ich bin ganz und gar von dieser Schwierigkeit des Lebens eingenommen […]”. Neben der Erwähnung des Spanischen Bürgerkriegs und des Barcelona von 1936, die in späteren Romanen wieder auftauchen, ist La corde raide von der Konfrontation mit dem Tod geprägt – „diese Momente, in denen der eigene Tod beginnt“ –, eine Erfahrung, an die Claude Simon 1985 in seiner Rede in Stockholm erinnern wird. Die Mobilmachung, der Krieg und das Gefangenenlager sind bereits in diesem Buch vorhanden.“ 2

Laut ihrer „Présentation“ bereitete Mireille Calle-Gruber bereits im Jahr 1994 gemeinsam mit Claude Simon ein Projekt für eine Gesamtausgabe seiner Werke vor. Simon autorisierte damals einen ersten Band, der seine Romane von Le tricheur bis La Route des Flandres in chronologischer Reihenfolge umfassen sollte, um die Entwicklung seines Werkes sichtbar zu machen. Sie arbeiteten gemeinsam an der Aufteilung der Werke in zwei Bände. Da dieses Projekt zu Lebzeiten Simons (1913 bis 2005) nicht abgeschlossen werden konnte, übertrug Claude Simon ihr die posthume Sorge für sein Werk („Il me remit le soin posthume de son œuvre“) als moralische Verpflichtung („au titre d’ayant droit moral qui m’oblige“). Simon hatte zudem kurz zuvor seinen literarischen Nachlass der Bibliothèque littéraire Jacques Doucet gespendet und in diesem Dokument seine „ayants droit“ (Erben) damit betraut, jene Elemente seiner literarischen Erinnerung auszuwählen, die sie für unerlässlich halten. Die beiden Pléiade-Ausgaben der Werke Simons (2006 und 2013) 3 wurden gleichwohl vom Claude Simon-Forscher Alastair B. Duncan herausgegeben, beginnend allerdings erst mit Le Vent, die Bücher vor dem Verlag Minuit fehlen. 4

La corde raide nimmt in der Tat im Werk Claude Simons eine interessante Stellung ein, weil es sich nicht so eindeutig als „Frühwerk“ oder „Hauptwerk“ einordnen lässt. Einerseits ist der Text in seiner Anlage noch entfernt von den komplexen, hochgradig verschachtelten Romanen der 1960er und 1970er Jahre. Andererseits sind hier bereits wesentliche Verfahren der späteren Poetik erkennbar: die Montage von Szenen und Reflexionen, die Auflösung der Chronologie zugunsten einer simultanen Zeitstruktur, der Vorrang von Wahrnehmung und Assoziation gegenüber einer linearen Handlung. Insofern markiert La corde raide weniger eine Übergangsphase, sondern erstmals in geschlossener Form eine Erprobung zentraler Gestaltungsmittel, die sein Werk bestimmen werden.

Kriegserfahrungen

Des corps gisaient, grotesques et raides, la bouche ouverte comme pour crier encore, et les mouches bourdonnaient autour des plaies noires.

Leichen lagen grotesk und steif da, den Mund offen, als wollten sie noch schreien, und Fliegen summten um die schwarzen Wunden.

Diese drastische Körperdarstellung bricht den meditativen Ton vieler anderer Passagen. Krieg erscheint hier nicht als heroisches Ereignis, sondern als schockierende physische Realität. Innerhalb des Werks bildet dies ein Gegengewicht zur Vitalität der Natur- und Liebesszenen, wodurch die „corde raide“ zwischen Leben und Tod, Schönheit und Zerstörung sichtbar wird.

Uniformen, Abzeichen und militärische Ausrüstung erscheinen als Symbole von Ordnung und Disziplin, aber auch von Gewalt und Unterdrückung. Die Beschreibung ist oft auf Details konzentriert – glänzende Stiefel, Schatten eines Kepis –, wodurch Macht als körpernahe, visuelle Erfahrung vermittelt wird. Diese Motive bilden eine Achse, die Kriegserfahrung und Gegenwartsszenen verbindet und der ansonsten offenen Struktur Momente von Zwang und Kontrolle entgegensetzt.

Simon selbst war Soldat in der „Drôle de guerre“ und wurde später Gefangener. Dieses persönliche Erleben der Kriegsrealität, insbesondere die Erfahrung von Tod, Verlust und Demütigung, durchzieht seine Romane. Er beschreibt die Sinnlosigkeit und das Chaos des Krieges, die ständige Bedrohung durch den Tod und die traumatischen Erinnerungen, die sich den Gegenwartserfahrungen aufdrängen. Krieg in Simons Werk wird nicht als historisches Ereignis im klassischen Sinne, sondern als intensive, traumatische und chaotische Erfahrung dargestellt, die sich durch sensorische Eindrücke, metaphorische Sprache und fragmentarische Erzählweise vermittelt. Das Werk versucht, das Gefühl des Krieges und die Nähe zum Tod literarisch zu erfassen, und zeigt den Krieg als Zustand der Auflösung von Menschlichkeit und Ordnung.

Das autobiografische Fundament – Tod der Eltern, Krieg, Gefangenschaft und Krankheit – prägt die existenzielle Grundspannung. Wie Calle-Gruber betont, ist das Schreiben für Simon eine Form der survivance: Es hält das Erlebte in einem gegenwärtigen Zustand und bewahrt es vor dem Versinken. Diese Überlebensfunktion erklärt auch die besondere Aufmerksamkeit für Details: Jede Farbschattierung, jede Bewegung im Wasser ist ein Moment, der dem Verschwinden abgerungen wird. Die Form selbst – fragmentiert, wiederholend, rhythmisierend – ist Teil dieser Überlebensarbeit: Sie hält die Balance zwischen dem Zuviel an Erinnerung und der Notwendigkeit, daraus ein tragfähiges sprachliches Gebilde zu formen.

Die Zeit in Barcelona während des Bürgerkriegs wird als eine Periode von Chaos, Absurdität und intensiver menschlicher Erfahrung dargestellt, in der sich die Grenzen zwischen Realität und Traum verwischen. Simon lehnt traditionelle narrative Strukturen ab, die Krieg als geordnete Geschichte erzählen. Stattdessen zeigt er, wie Leben und Erinnerung aus fragmentierten, überlappenden Momenten bestehen, die sich nicht zu einer klaren Erzählung fügen lassen. So wird die Erfahrung von Krieg als subjektive Wahrnehmung und inneres Erleben dargestellt, nicht als objektive Chronik.

Das Erzählzeitgefüge löst sich vollständig vom chronologischen Verlauf. Die Vergangenheit erscheint nicht als abgeschlossene, zurückliegende Schicht, sondern als durchlässiges Gewebe, das jederzeit in die Gegenwart einbrechen kann. Ein Sinneseindruck (z. B. Geruch oder Farbe) genügt, um eine detaillierte Erinnerung hervorzurufen, die wiederum weitere Assoziationen nach sich zieht. Diese temporalité ouverte erzeugt eine Simultaneität verschiedener Zeitlagen – Calle-Gruber nennt dies einmal „das immer neue Wiederverankern des Erlebten“ („inlassable réancrage du vécu“). Dadurch entsteht ein paradoxes Zeitgefühl: Die Erinnerungen sind gleichzeitig weit entfernt und völlig präsent.

Der Erzähler Claude Simon war in Spanien in Waffenschmuggel für die Republikaner verwickelt, was ihm einen direkten Einblick in die Revolution ermöglichte. Er beschrieb seinen Aufenthalt in Barcelona im September 1936 als Schock, als „explosion de colère“ und Revolution, die er als „délirant“ empfand. Die Stadt ist erfüllt von der anarchistischen Miliz, deren Autos mit Parolen wie „Viva la Muerte“ beschriftet sind. Diese Szenen werden als „irreal und grandios“ („irréel et grandiose“) beschrieben, als ob sie von einem Blitzschlag erhellt würden, der eine neue, berauschende Perspektive auf eine vertraute Landschaft eröffnet. Die Atmosphäre im Hotel Colón während des Sommers 1936, wo alle Sprachen dieselbe „ältere Geschichte als die Entdeckung der Vernunft“ („une histoire plus vieille que la découverte de la raison“) erzählen, ist ein Beispiel für die sinnliche und chaotische Darstellung. Der Lärm wird als „Symbol von Opernsängern“ („symboliques chanteurs d’Opéra“) beschrieben, die unbeweglich auf der Bühne stehen, während ihre Stimmen „aktive Worte“ („paroles actives“) tragen. Die in spanischen Apotheken öffentlich ausgestellten Gummiartikel, die religiöse und chirurgische Rituale assoziieren („articles de caoutchouc… qui faisaient penser à quelques rites à la fois religieux et chirurgicaux“), symbolisieren den Wunsch nach Kommunikation mit einem Jenseits von Mysterien oder Genuss („un au-delà de mystères, de néant ou de jouissance“), was die „theatralische“ Natur der spanischen Existenz unterstreicht („une vie transposée sur un plan théâtral permanent“). Die Stadt selbst wird als „hohl und trostlos, eine aufgeblähte, wuchernde Kulisse; Konsequenz und Gesicht einer schamlosen, weil unstillbaren Not“ („Une ville creuse et désolée, un décor boursouflé, foisonnant ; le conséquent et visage d’une impudique, parce qu’inapaisable, détresse“) beschrieben.

Die militärische Niederlage Frankreichs im Jahr 1940 wird durch die persönlichen, existenziellen Erfahrungen des Erzählers und seiner Kameraden rekonstruiert. Der Erzähler beschreibt das Gefühl, dass sein eigener Tod bereits begonnen habe, und wie das Leben in solchen Momenten „weit entfernt und fremd“ erscheine. Er erlebt eine brutale Kampfszene, in der er selbst zum Ziel wird, Kugeln an ihm vorbeipfeifen und er nur noch darauf wartet, getroffen zu werden. Die Beschreibung der Nacht im Zug mit den Gefangenen vermittelt ein Gefühl der Beklemmung und Verzweiflung. Die Gespräche der Soldaten schwanken zwischen optimistischen Kriegsparolen und der bitteren Realität des Hungers und der Erniedrigung. Der Erzähler selbst ist von einer tiefen Indifferenz gegenüber den „grandiosen Öffentlichkeiten“ des Krieges ergriffen, da sein Hunger jede andere Bedeutung überstrahlt. Der Tod im Krieg ist oft absurd und sinnlos, wie im Fall des Colonels, der sein Regiment sinnlos massakrieren lässt und dann selbst stirbt, um einem „Ehrenkodex“ zu genügen. Die Landschaft wird zu einem „verbrannten“, „rostgrauen“ Ödland mit dem „unbestimmbaren Geruch“ von schmutzigem Mensch, schlechtem Benzin und Schwefel. Die Darstellung ist geprägt von einer starken Reflexion über die menschliche Natur angesichts von Leid, der Fragmentierung der Wahrnehmung und der vergeblichen Suche nach Sinn. Das Debakel von 1940 ist somit nicht nur ein historisches Ereignis, sondern eine tiefgreifende existenzielle Erfahrung, die die Auflösung der menschlichen Identität sowie die Sinnlosigkeit von Konventionen und Dogmen aufzeigt. Auch in späteren Werken wie La Route des Flandres wird der Krieg nicht als lineare, strategische Abfolge von Ereignissen erzählt, sondern als chaotisches, überwältigendes Erlebnis, das sich der rationalen Erfassung entzieht. Die Wahrnehmung ist fragmentiert, von Halbbewusstsein geprägt und vermittelt das Gefühl der Auflösung – sowohl der militärischen Einheit als auch der Weltordnung.


Simon verwendet häufig Tiermetaphern, um die Kriegsrealität zu schildern: So werden Menschen z.B. mit Tierköpfen dargestellt, während Tiere, vor allem Pferde, humanisiert werden. Diese Vermischung von Mensch und Tier betont die Rückkehr zu einem primitiven, ursächlichen Zustand, in dem rationale Erklärungen und menschliche Kontrolle scheitern. Bestimmte Kriegserfahrungen tauchen immer wieder auf, etwa die Todesumstände des Vaters im Ersten Weltkrieg oder das Verfolgtwerden durch feindliche Scharfschützen im Zweiten Weltkrieg. Durch die Wiederholung dieser Motive versucht Simon, eine tiefere Wahrheit über das Erleben von Krieg und Tod zu erfassen. Trotz eines vermeintlichen Rückzugs des Autors von ideologischen Aussagen ist Simons Werk durchdrungen von einer kritischen Haltung gegenüber Krieg und Gewalt. Er zeigt die Absurdität und Zerstörungskraft des Krieges, ohne einfache Urteile zu fällen. Sein literarisches Engagement besteht darin, das Unaussprechliche und das Nicht-Verstehbare des Krieges darzustellen.

Dominique Viart hat aufgezeigt, dass Simon die traditionellen Formen des „engagement“ (Sartres Literatur à thèse, realistische Sozialbeobachtung, moralistische Satire) ablehnt und stattdessen eine „fiction critique“ entwickelt, die gesellschaftliche und ideologische Diskurse dekonstruiert. In La Corde raide zeigt sich dies durch die Beobachtung von Verhalten, sozialen Codes und kulturellen Praktiken ohne festen ideologischen Standpunkt, aber mit latenter Kritik an institutionellen und gesellschaftlichen Gewissheiten. Die Erzählweise zersetzt lineare Kausalitäten und stabile Urteile: Die Wirklichkeit erscheint wie „Fragmente eines Spiegels“, die sich nicht zu einem stimmigen Ganzen fügen lassen – eine Grundhaltung, die Simon schon früh gegenüber sowohl realistischen als auch satirischen Verfahren eingenommen hat. 5

Überlagerungen und Fragmentierung

Je la voyais nager, souple et rapide, ses bras soulevant de petites gerbes d’écume, son corps disparaissant et reparaissant dans la lumière mouvante, tandis que le sel me brûlait les lèvres et que les vagues me rejetaient en arrière.

Ich sah sie schwimmen, geschmeidig und schnell. Ihre Arme wirbelten kleine Gischtfontänen auf, ihr Körper tauchte im flirrenden Licht auf und verschwand wieder, während mir das Salz auf den Lippen brannte und mich die Wellen zurückwarfen.

Körper werden in Bewegung, im Zusammenspiel mit Wasser, Wind oder Stoff beschrieben. Erotik entsteht dabei weniger durch explizite Handlungen als durch Andeutungen, durch das Changieren zwischen Sichtbarkeit und Verbergen. Funktional laden diese Szenen den Text mit Energie auf und erzeugen Spannungsbögen innerhalb der ansonsten kontemplativen Struktur. Zudem sind sie Knotenpunkte, von denen aus sich Assoziationsketten in andere semantische Felder (Natur, Reise, Erinnerung) verzweigen. In dieser Passage bündelt sich die Verbindung von Körper, Natur und Begehren, die den Text prägt. Die Beschreibung folgt nicht einer linearen Handlung, sondern dem Rhythmus der Sinneseindrücke. Véra ist zugleich nah und unerreichbar, das Meer ein Medium der Annäherung und der Distanz. Auf der Ebene des Romanganzen steht die Szene für die Erfahrung, dass Wahrnehmung und Begehren immer in Bewegung sind und nie abgeschlossen – ein Grundprinzip der Erzählstruktur.

Der Textverlauf ergibt kein linear erzähltes Lebensbild, sondern eine Abfolge von Szenen, Erinnerungsbildern, Reflexionen, kulturkritischen Beobachtungen und kunsttheoretischen Einschüben. Die einzelnen Segmente sind assoziativ, nicht kausal verknüpft. Ein weiteres Beispiel: Ausgehend vom Blick aus einem Pariser Fenster schweift der Erzähler über die Betrachtung eines Doms in der Nachbarschaft zu Erinnerungen an ähnliche Kuppeln in Berlin, Italien und Avignon, um dann bei der Beschreibung sommerlicher Reiseankünfte zu landen. Solche Übergänge folgen dem inneren Rhythmus der Wahrnehmung und nicht der Logik einer Handlung. Diese Technik entspricht einer frühen Form dessen, was Simon später „montage“ nennen wird: ein Nebeneinander von Materialien, die nicht nivelliert werden, sondern ihre Eigenzeitlichkeit behalten. Der Text akzeptiert Leerstellen und abrupte Schnitte – Leser müssen Brücken selbst schlagen.

Semantisch bewegt sich der Text in einem Netzwerk von Bereichen, die sich immer wieder überlagern: Reise- und Stadterfahrungen (Odessa, Gärten, Brunnen, Meeresküsten), Erinnerungen an Kindheit und Jugend, Kriegserlebnisse, erotische Begegnungen sowie kunsttheoretische Überlegungen zur Malerei und zur Darstellung überhaupt. Diese Felder werden nicht voneinander isoliert, sondern durch eine dichte motivische Verknüpfung miteinander verbunden. Wasser, Licht, Vegetation, Körper, Bewegung – all diese Elemente fungieren als Leitmotive, die sowohl sinnliche Eindrücke bündeln als auch zwischen den verschiedenen thematischen Schichten vermitteln. Die narrative Strategie besteht darin, diese semantischen Bereiche nicht in einer festen Abfolge, sondern in freier Assoziation zu entfalten. Dabei sind die Übergänge oft durch eine Sinneswahrnehmung oder ein Detail motiviert.

Diese bildlichen Achsen bei Claude Simon sind nicht isoliert, sondern ständig ineinander verschränkt. So kann eine Szene gleichzeitig Architektur, Licht, Körper, Natur und Machtzeichen enthalten. Diese Verschränkung erzeugt die charakteristische Dichte des Romans: Jede Passage ist Teil mehrerer semantischer Felder, und ihre Bedeutung entsteht aus der Überlagerung. So kann ein Abendessen in einem Gartenrestaurant gleichzeitig eine architektonische Rahmung (Platanenallee), eine Lichtinszenierung (Sonnenuntergang), eine Körperwahrnehmung (bewegte Gesten), ein Machtzeichen (Uniform am Nebentisch) und ein Werbemotiv (Leuchtreklame in der Ferne) enthalten. Durch diese komplexe Matrix aus visuellen und semantischen Achsen erhält La corde raide seine Kohärenz trotz fehlender linearer Handlung. Die Achsen fungieren als wiederkehrende Bezugspunkte, die den Lesenden Orientierung geben. Zugleich ermöglichen sie, Erfahrungen nicht nur zu erzählen, sondern in einer Art „visuellem Gewebe“ zu präsentieren, das dem Erinnerungsfluss und der simultanen Wahrnehmung näherkommt als eine chronologische Narration. In diesem Sinne ist der Roman selbst wie ein Reisender, der an Knotenpunkten verweilt, Eindrücke sammelt und Verbindungen zieht – ohne je an einem endgültigen Ziel anzukommen.

Die Erinnerung bei Simon ist fragmentiert, unzuverlässig und flüchtig. Ereignisse werden als „konfuse Abfolge von Bildern und Figuren“ („qu’une suite confuse d’images et de figures“) oder als „Reste“ am „Boden einer Schublade“ („au fond d’un tiroir“), die nach Jahren wieder geöffnet wird, beschrieben. Der Versuch, die Vergangenheit zu fassen, gleicht dem Versuch, „Wasser in den Fingern festzuhalten“ („retenir l’eau dans ses doigts“) oder „sich selbst zu suchen“ („Essayez de vous chercher“). Die Zeit selbst erscheint oft stillstehend, „unbeweglich und gleichgültig“ („immobile et indifférent) oder als eine „unablässige Zeugung“ („perpétuelle et obscure gestation“). Der Erzähler versucht, sich durch das Schreiben an das zu erinnern, „was während des Schreibens geschah“ („ce qui s’est passé pendant le moment où j’écrivais“).

Die wiederholte Verwendung der Wendungen „Je me rappelle“ („Ich erinnere mich“), „Je me souviens“ und der reflektierenden Frage „Je me demande“ ist ein grundlegendes Element in Claude Simons Roman La corde raide. Diese retrospektiven Einwürfe leiten jedoch keine chronologische oder lineare Erzählung ein, sondern offenbaren eine fragmentierte, subjektive und vorwiegend sensorische Gedächtnisarbeit. Der Erzähler springt dabei assoziativ zwischen verschiedenen Zeiten und Orten: von Dächern in Perpignan über eine Militäraktion in einer Eisenbahntrasse bis hin zu Gerüchen und Geräuschen aus Kindheit oder Kriegszeiten. Diese Nicht-Linearität der Erinnerung und die Betonung von Details wie dem Spiegeln der Blätter („miroitant“) oder dem „Geschmack des Salzes auf meinen Lippen“ („goût du sel sur mes lèvres“) unterstreichen, dass die Wahrnehmung stets partiell und fragmentarisch („partielle et fragmentaire“) ist. Die Erinnerungen sind oft rohe, unverarbeitete Eindrücke, die eine vergebliche Suche nach einem verborgenen Sinn („sens caché“) oder einer Kausalität der Ereignisse widerspiegeln. Der Erzähler konstatiert die Abwesenheit einer eindeutigen „Garantie“ („aucune garantie“) in der Liebe sowie eine Unfähigkeit, die eigene Existenz zu ordnen. Er beschreibt dies als „ein inkohärentes und zusammenhangloses Kauderwelsch“ („un charabia incohérent et décousu“). Auch die Reflexion über die eigene Sterblichkeit und die Frage „Ich frage mich, wann es so weit sein wird“ („Je me demande pour quand ce sera“) verdeutlicht eine tiefe existenzielle Unsicherheit.

Die kumulative Wirkung dieser Erinnerungsfragmente in La corde raide besteht darin, die narrative Realität nicht als feststehende Entität, sondern als kontinuierlichen Prozess zu etablieren, der vielmehr ein „Repertoire von Themen“ („répertoire de thèmes“) bildet als eine traditionelle Intrige. Der Erzähler reflektiert die Natur seines Schreibens und gibt an, zu schreiben, um sich an das zu erinnern, „was während des Schreibens geschah“ („pour essayer de me rappeler ce qui s’est passé pendant le moment où j’écrivais“). Dies deutet auf einen rekursiven Prozess hin, in dem der Akt des Schreibens selbst die Erinnerung formt und möglicherweise sogar erschafft. Die Erinnerungen verweben persönliche Erlebnisse mit Beobachtungen der Welt. Dabei kommen zentrale Themen wie die menschliche Einsamkeit – „Jeder Mensch ist allein“ („chaque homme est seul“) – und die Ablehnung künstlicher Realitäten zugunsten einer schwierigen und geheimen Wahrheit vor („réalité artificielle supplantant, remplaçant l’autre. L’autre difficile et secrète, apparente et pourtant invisible“) Der Erzähler identifiziert sich nicht als kohärentes „Ich“, da er sich selbst als ständig wandelnd begreift: „Ich bin niemals derselbe für zehn Minuten am Stück, ich bin nicht derselbe für die Dauer einer Tausendstel Sekunde, da ich nicht ich bin“ („je ne suis jamais le même pendant dix minutes à la file, moi qui ne suis pas le même pendant la durée d’un millième de seconde, puisque je ne suis pas moi“). Die „Je me rappelle“-Stellen sind somit keine bloßen anekdotischen Rückblenden, sondern die grundlegende Methode, mit der Simon bereits in diesem frühen Roman die Brüchigkeit der menschlichen Existenz, die Unfassbarkeit der Zeit und die Suche nach einem nicht vordefinierten Sinn in seiner literarischen Form erprobt und verkörpert. Sie sind das Zeugnis einer Bewusstseinsarbeit, die sich der linearen Erzählung verweigert und die Komplexität und Unbeständigkeit des Erlebten in den Vordergrund rückt.

Inhaltlich lässt sich auch schon La corde raide nur schwer als fortlaufende Handlung nacherzählen. Der Roman besteht aus einem Mosaik aus Szenen: ein Bad im Meer mit der jungen Véra, Abendessen unter Platanen, Kriegsbilder, Erinnerungen an das Elternhaus, Betrachtungen über Cézanne. Der Titel erweist sich dabei als programmatisch: Die „corde raide“ – das straff gespannte Seil – bezeichnet die Balance, auf der sich der Erzähler bewegt: zwischen der Fülle chaotischer, oft widersprüchlicher Lebenserfahrung einerseits und dem Versuch, dieser Fülle durch künstlerische Form Halt zu geben andererseits. Das Seil, so heißt auch die deutsche Übersetzung bei Suhrkamp von Eva Moldenhauer aus dem Jahr 1964. Das Seil steht zugleich für den schmalen Grat zwischen Vitalität und Todesbewusstsein, zwischen Aufgehen im Augenblick und der Notwendigkeit, diesen Augenblick festzuhalten. So wird der Titel zum Schlüssel, um den Text als poetologisches Selbstbekenntnis zu verstehen: ein Balanceakt zwischen Erleben und Gestalten.

Die Balance, die mit dem Titel angesprochen ist, betrifft zuallererst den Körper, der sich im Roman mit Gefährdung auseinandersetzen muss: „corde raide“ (straffes Seil), „équilibre“ (Gleichgewicht), „vaciller“ (schwanken), „hasardeux“ (zufällig, riskant), „instable“ (instabil), „incertain“ (unsicher), „risque“ (Risiko), „danger“ (Gefahr), „menaçant“ (bedrohlich), „branlant“ (wackelig), „brinquebalant“ (schwankend), „chancelant“ (schwankend), „glissant“ (rutschig), „incertaine“ (unsicher). Claude Simon schreibt nicht aus einer abstrakten Reflexionshaltung, sondern aus der konkreten Erfahrung der physischen Gefährdung – als Reiter im Krieg, als Schwimmer im Meer, als Kranker, der zwischen Genesung und Rückfall schwebt. Die Beschreibung von Körperbewegungen, von Anspannung und Lockerung, von Atemrhythmus und Muskelarbeit ist im ganzen Text präsent. Wenn der Erzähler beispielsweise einen Ritt schildert, ist das Gleichgewicht im Sattel nicht nur eine technische Voraussetzung, sondern ein sensorisches Ganzkörpererlebnis: Die Hüfte folgt der Bewegung des Pferdes, die Hände halten die Zügel so, dass Spannung und Lockerung einander abwechseln, der Blick muss den Horizont fixieren, während unter den Füßen die Erde schwankt. In solchen Momenten ist das Motiv der Balance körperlich konkret, aber durch den Titel aufgeladen mit der Vorstellung, dass ein falscher Schritt den Absturz bedeuten würde.

Entwicklung einer Schreibweise

Das Frühwerk Simons umfasst neben den beiden neu herausgegebenen Texten Gulliver (1949) und Le Sacre du printemps (1954) bei Calman-Lévy. Diese frühe Phase ist noch stark durch einen traditionellen, teilweise existenzialistischen Romanstil geprägt, der sich am Beispiel von Schriftstellern wie Camus oder Sartre orientiert. Simon selbst bezeichnete diese Phase als Experiment, das er als gescheitert ansah, und distanzierte sich später davon. In seinem Frühwerk fehlen noch die radikale Auflösung traditioneller Erzählstrukturen und die sensorisch-subjektive Schreibweise, die sein späteres Werk prägen werden. Die Texte sind teilweise noch linear und folgen den Konventionen der Zeit, mit einem stärkeren Fokus auf eine konventionelle Handlung und Charakterentwicklung.

Ab Le Vent (1957) – nun erstmals bei Minuit – und vor allem mit La Route des Flandres (1960) vollzog sich eine radikale Veränderung. Simon entwickelte eine innovative Erzähltechnik, die auf Fragmentierung, Auflösung der linearen Zeit und der Verschmelzung von Erinnerung und Gegenwart basiert. Er verabschiedete sich vom herkömmlichen Romanaufbau zugunsten eines „Magmas“ aus Sinneseindrücken, Eindrücken und Assoziationen. Dabei arbeitet er mit Wiederholungen, Brüchen und einer „Spirale“ von Szenen, die immer wieder neu zusammengesetzt werden. Sein Schreiben verzichtet auf abschließende Deutungen und übergeordnete Erklärungen. Er zeigt eine Welt im Zustand des Chaos und der Melancholie, ohne klare Ursache-Wirkung-Verhältnisse zu liefern.

Claude Simons sensorisch dichte Schreibweise ist stark geprägt von seiner persönlichen Biographie, insbesondere von traumatischen Erfahrungen wie dem Verlust seiner Eltern in der Kindheit, seiner eigenen Kriegserfahrung während des Zweiten Weltkriegs und der Auseinandersetzung mit Tod, Verlust und der Absurdität der Geschichte. Mit seinem Schreiben zielt er darauf ab, subjektive Bewusstseinszustände und Wahrnehmungen wiederzugeben. Seine Texte sind geprägt von einem sinnlichen Zugang, der alle Sinne einbezieht – nicht nur das Visuelle, sondern auch den Tastsinn, Gerüche und Klang. Die Sprache erzeugt eine Melodie der Phrase und ist von einem Rhythmus durchzogen, der an Malerei oder Musik erinnert. Simon beschreibt nicht einfach die Welt, sondern versucht, sie durch die unmittelbaren Sinneseindrücke und Empfindungen des Erlebenden zu rekonstruieren.


Seine Sätze sind oft lang und verschachtelt und folgen nicht der klassischen Chronologie. Er arbeitet mit Brüchen, Einschüben und Wiederholungen, um die Simultaneität der Wahrnehmung darzustellen. Dabei löst er die lineare Erzählweise auf und erzeugt eine Art Roman in Spiralform, der den Fluss des Bewusstseins widerspiegelt. Sein Werk ist stark von seiner früheren Tätigkeit als autodidaktischer Maler geprägt. Er ist fasziniert von Künstlern wie Cézanne, Dubuffet oder Bacon, deren Bildwelten er in seinen Texten als Vorbild nimmt. Ebenso übernimmt er filmische Techniken wie Einstellungen, Großaufnahmen oder Gegenüberstellungen, um die narrative Struktur zu formen.

Claude Simons Werk ist von einer tiefen Skepsis gegenüber erzählerischem Wissen geprägt – der Roman des 20. Jahrhunderts ist für ihn der Roman des Nicht-Wissens. Obgleich seine Texte teilweise experimentell wirken, beansprucht Simon für seine Literatur eine Form des „Realismus“, verstanden als ein neuartiges literarisches Verfahren, das die Realität nicht im Sinne einer objektiven Darstellung, sondern durch subjektive Erfahrung und sprachliche Konstruktion vermittelt. Dabei ist sein Stil von einer starken Aufmerksamkeit für Wörter, Klänge und rhythmische Effekte geprägt, was eine poetische Dimension seiner Prosa erzeugt.

Krieg ist ein allgegenwärtiges Thema, das sich durch die Erzählung zieht – von persönlichen Erlebnissen bis zu umfassenderen Beobachtungen. Er wird als absurd, chaotisch und doch faszinierend dargestellt. Er ist ein Ort, an dem „man bestimmte Dinge gut sehen kann“ („le seul endroit où l’on puisse bien voir certaines choses“), eine „legalisierte Illegalität“ („légale illégalité“) oder ein „Traum“ („rêve“), der die Menschen auf eine grundlegendere Ebene des Seins zurückwirft. Die Soldaten werden zu gesichtslosen Massen, ihre Uniformen zu „spöttischen und grausamen Stigmata“ („d’ironiques et cruels stigmates“). Die Auseinandersetzung mit Krieg und Tod, insbesondere die traumatischen Erfahrungen der Kriege des 20. Jahrhunderts spiegeln sich in zahlreichen Werken wider (z. B. „La Route des Flandres“, „L’Acacia“, „Les Géorgiques“) und bilden ein wiederkehrendes Leitmotiv. Daneben spielen Erinnerung, Vergänglichkeit, Verlust und die Schwierigkeit, die Wirklichkeit zu fassen, eine zentrale Rolle. Auch die Relation zum Raum und zur Geographie, etwa die Schlachtfelder in Flandern oder die mediterrane Landschaft um Perpignan, sind von Bedeutung. Weitere Leitthemen sind Zeit, Objekte und materielle Welt sowie das Unfassbare: Zentrales Thema ist das Gedächtnis, das sich nicht linear, sondern fragmentarisch und simultan entfaltet. Die Gegenwart wird von der Vergangenheit durchdrungen, die Zeit wird als simultanes Ineinander von Momenten erlebt. Simon arbeitet mit einer starken Präsenz von Gegenständen als Trägern von Erinnerung und Bedeutung. Dies kennzeichnet seine Werke auch als materielle Erinnerung. Das Schreiben ist für Simon ein Versuch, das Unaussprechliche der Erfahrung zu erfassen, ohne dabei in konventionelle Erzählmuster zu verfallen.

Kindheitsszenen

Je revois la maison, la lumière oblique sur les tuiles, l’odeur chaude de la poussière, et le cri lointain d’un train que je croyais alors venir d’un autre monde.

Ich sehe das Haus wieder vor mir, das schräge Licht auf den Dachziegeln, den warmen Geruch von Staub und den fernen Schrei eines Zuges, der mir damals aus einer anderen Welt zu kommen schien.

Diese Kindheitserinnerung verbindet visuelle, olfaktorische und akustische Eindrücke. Sie steht exemplarisch für Simons Methode, autobiographische Szenen nicht als abgeschlossene Episoden, sondern als Sinneskomplexe zu gestalten. Im Romanganzen bilden solche Passagen Knotenpunkte, von denen andere Erinnerungsebenen ausgehen. Die Kindheitsszenen in La corde raide erscheinen nicht als geschlossenes Kapitel der Biografie des Erzählers, sondern als wiederkehrende Inseln im Strom von Reisen, Beobachtungen und Reflexionen. Sie sind nicht chronologisch geordnet, sondern treten assoziativ auf, ausgelöst durch Sinneseindrücke – ein Geruch, ein Lichtfall, ein Geräusch –, die eine Rückblende initiieren. Diese Struktur zeigt, dass Kindheit für Simon kein zeitlich abgeschlossenes Stadium ist, sondern ein Reservoir von Bildern, Empfindungen und Erlebnissen, das jederzeit in die Gegenwart eindringen kann.

Inhaltlich sind diese Szenen stark an konkrete Sinneswahrnehmungen gebunden: die Wärme der Sonne auf Dachziegeln, der Staubgeruch in einem Zimmer oder das ferne Geräusch eines Zuges, das als „aus einer anderen Welt“ wahrgenommen wird. Es geht weniger um narrative Entwicklung – keine Abfolge von Erziehungsstationen, keine vollständige Familiensaga –, sondern um die Verdichtung von Momenten, die als prägend empfunden werden. Dadurch wird Kindheit zu einer Art Ursprungsschicht der Wahrnehmung: Hier sind die Sinneskanäle noch ungefiltert, Erlebnisse werden als unauflösliche Einheit von Gefühl, Bild und Geräusch gespeichert.

Funktional übernehmen diese Kindheitsszenen im Roman eine doppelte Rolle. Erstens sind sie zentrale Bezugspunkte im Netzwerk der Erinnerungen. Sie wirken wie Fixsterne, um die sich andere Zeitebenen drehen – Kriegserlebnisse, Reisen, Begegnungen –, und geben dem bruchstückhaften Erzählfluss eine innere Kohärenz. Zweitens stellen sie eine Kontrastfolie zur existenziellen Erfahrung der Gegenwart dar. Im Licht der Kindheitsszenen erscheinen spätere Erlebnisse oft als Entfremdung von einer ursprünglichen Vitalität und Sinnlichkeit. Dabei idealisiert Simon die Kindheit nicht sentimental, sondern zeigt sie als eine Zeit, in der Intensität und Verletzlichkeit untrennbar sind. So verankern diese Passagen den Roman in einer elementaren Erfahrungsdimension, die seine poetische Bewegung zwischen Erinnerung und Gegenwart immer wieder neu antreibt.

Schein

Das Spannungsfeld zwischen Schein (Apparition) und Realität (Réalité) ist ein zentrales philosophisches und ästhetisches Thema, das sich wie ein roter Faden durch den Text zieht. Der Erzähler entlarvt konsequent die Oberflächen und Illusionen, um zur tiefer liegenden, oft unbequemen Wahrheit vorzudringen. Der Begriff „truquage“ (Fälschung, Trick) ist von zentraler Bedeutung für die Kritik des Erzählers an der Kunst und der Darstellung der Welt. Er wendet sich gegen jede Form von Künstlichkeit („artificiel“) und Oberflächlichkeit. Malerei wird als „Fälschung“ bezeichnet, wenn sie eine „ideale Vision der Welt“ schafft, die „freiwillig begrenzt und willkürlich“ ist und sich auf eine „Moral“ stützt, die „einen mehr oder weniger wichtigen Teil des Lebens“ verbirgt. Solche Kunst ist ein „Spektakel, blendend, aber künstlich“, eine „hohle Welt“, die ohne ihre „Projektoren, Schminke, Dekorationen, Prinzipien“ bedeutungslos wäre. Diese Art der Kunst ist eine „Weigerung und eine Zuflucht“, eine bewusste Verdrehung der Realität, um Unbehagen zu vermeiden. Die „Affentricks“ („tours de singes“) der Maler in Museen sind ein weiteres Beispiel für diese Fälschung.

Auch in der Gesellschaft manifestiert sich der Schein. Die „Fassade“ (façade) der Häuser mit ihren „verlöschten Fenstern zu den schlafenden Geheimnissen“ verdeckt das verborgene Leben dahinter. Die „äußerlichen Erscheinungen“ („apparences extérieures“) des Lebens werden durch eine „Inszenierung“ („mise en scène“) transformiert, um sie „lebenswert“ erscheinen zu lassen. Die „verführerische Unaufrichtigkeit“ der Werbung oder Karikaturen mit ihren „konventionellen Zeichen“ erschaffen eine „künstliche Realität“, die die wahre, „schwierige und geheime“ Realität „ersetzt“.

Der Erzähler kritisiert die „Illusion“ der Freiheit für Ausländer und die „wunderbaren Illusionen“, die die Kunst bieten kann. Er lehnt die Notwendigkeit solcher Illusionen für sich selbst ab, fragt sich aber, ob er sie in einem Zustand extremer Müdigkeit suchen würde. Die „Illusion der Freiheit“ entsteht auch im Krieg auch aus „Ekel und dem Gefühl der Verantwortungslosigkeit“. Die Menschen, die „vorgaben zu lächeln“, um ihre wahren Gefühle am Bahnhof zu verbergen, zeigen eine Art der „Täuschung“ („tromperie“), die auch die „Lügen“ (mensonge) und „Täuschungen“ derer umfasst, die ihre Einsamkeit im Angesicht des Todes verbergen.

Uniformen und „Verkleidungen“ („déguisements“) sind Symbole für den Schein und die Konformität, die die individuelle Realität verschleiern. Die „Operettenpolizei“ wirkt trotz ihres theatralischen Aussehens nicht weniger brutal. Selbst die „Gesetze und Verfassungen“ werden als bloße „Erscheinung“ („apparence“) und „lächerliche Konzession“ an das Bedürfnis nach Ordnung beschrieben, die „nur dazu dient, die Zeitungsseiten zu schwärzen“.

Im Gegensatz zum Schein sucht der Erzähler nach der „Wahrheit“ (vérité) und der „Essenz“ („essence“) der Dinge. Für ihn kann „keine Wahrheit es ertragen, verkleidet zu werden“. Wahre Kunst soll eine „Wahrheit jenseits der äußeren Erscheinungen“ suchen.

„Nacktheit“ („nudité“) und Transparenz („transparent“) sind positive Metaphern für eine ungeschminkte Realität. Alte Monumente in Barcelona werden für ihre „tragische Nacktheit“ bewundert. Der Krieg wird als etwas beschrieben, das alles bis auf „Nacktheit und Sakrileg“ („nudité et sacrilège“) entblößt. Der Erzähler selbst beschreibt sich als eine Hülle, durch die die Welt „transparent“ hindurchscheint. Dies bedeutet eine Auflösung der individuellen Hülle zugunsten einer unmittelbaren Wahrnehmung der Realität. Die „Tiefe“ („profondeur“) der Verzweiflung und die „substanzielle“ („substantiel“) Bedeutung der Kunst stehen im Gegensatz zur Oberflächlichkeit des Scheins. Die „wirkliche Realität“ („vraie réalité“) liegt in der ungeschminkten, oft brutalen Materialität der Dinge, wie dem „Geschmack der Erde“ oder der körperlichen Erfahrung des Todes.

Der Erzähler betont, dass er „sehen“ will („je veux voir“) und die Vorhänge seiner Fenster niemals schließt, selbst nachts, um die Sterne oder das gelbliche Licht der Straßenlaternen zu sehen. Dies ist ein Akt der bewussten Konfrontation mit der unmittelbaren, unverhüllten Realität, im Gegensatz zur Flucht in Illusionen. Die innere Realität („intérieur“) des Menschen und die verborgenen („caché“) Aspekte des Seins sind dem Erzähler wichtiger als das Äußere. Die „Tiefe“ der persönlichen Not und die „tiefe Notwendigkeit“, die einen Menschen zum Sprechen antreibt, sind Beispiele für diese verborgene, aber treibende Realität. Das „Geheimnis“, warum Dinge geschehen, kann nicht durch einfache, rationale Erklärungen wie Statistiken erfasst werden, sondern muss durch direkte, ungeschminkte Beobachtung ergründet werden.

Schein vs. Realität formulieren somit nicht nur eine ästhetische, sondern auch eine moralische und existenzielle Frage im Text. Der Erzähler strebt danach, die Schichten des „truquage“ und der „illusion“ zu durchdringen, die von Gesellschaft und Kunst geschaffen werden, um die oft harte, unschöne, aber authentische „vérité“ des Seins zu finden. Diese Suche nach dem Wahren, Nackten und Substanziellen ist ein zentraler Antrieb seiner Reflexionen und seiner Kritik an der konventionellen Welt.

Schule des Sehens

Die malerische Herkunft Simons zeigt sich besonders in den Licht- und Farbbeschreibungen. Licht formt Szenen, lenkt den Blick, erzeugt Kontraste zwischen Helligkeit und Schatten. Farben sind nicht Beiwerk, sondern zentral für die Wahrnehmung: das Gold der Dachziegel, das Grün der Platanen, das Blau der Gläser. Diese Elemente strukturieren den Text rhythmisch, indem sie Übergänge markieren: Eine veränderte Lichtstimmung kann den Sprung in eine andere Erinnerung oder einen anderen Ort auslösen. Semantisch verknüpfen sie Natur, Dingwelt und Körper in einem synästhetischen Raum.

Der Text reflektiert über den Zweck und die Natur der Kunst, insbesondere der Malerei. Simon kritisiert die „Fälschungen“ („truquage“) in der Malerei, die eine „idealisierten, willkürlich begrenzten Vision“ („vision idéale du monde, volontairement limitée et arbitraire“) der Welt darstellen. Er lehnt akademische Techniken ab und bevorzugt das „Fehlen von Rezepten“ („absence de recettes) für ein Meisterwerk. Cézanne ist für ihn ein Vorbild, da er es schaffte, über die äußeren Erscheinungen hinauszugehen und eine „formelle und formidable Evidenz“ („formelle et formidable évidence“) zu schaffen. Die Kunst soll nicht belehren oder befriedigen, sondern eine „Wahrheit ausdrücken, die in jedem Menschen latent vorhanden ist“ („parcelle de vérité découverte à travers lui qu’il exprimera, cette vérité n’était pas déjà latente en lui“).

Die Passagen über Cézanne und die Malerei in La corde raide sind weit mehr als beiläufige kulturgeschichtliche Einschübe – sie sind poetologische Schlüsselstellen, in denen Claude Simon sein eigenes Schreiben in einem anderen Medium spiegelt und kommentiert. Der Erzähler reflektiert dort über die Arbeitsweise des Malers, über die Bedeutung von Licht, Form, Farbe und Komposition. Wenn er bei Cézanne betont, „ce qui compte, ce n’est pas la pomme, mais la lumière qui la traverse et la transforme“, formuliert er damit eine ästhetische Priorität, die sich unmittelbar auf die Prosa von La corde raide übertragen lässt: Es geht nicht um das Sujet als solches, sondern um die Wahrnehmung und ihre Transformation in künstlerische Form.

Die Malereibezüge reflektieren, wie der Erzähler seine Szenen baut. Wie in einem Gemälde entsteht Bedeutung aus dem Zusammenspiel von Farbflächen, Lichtreflexen, Konturen, nicht aus einer linear fortschreitenden Handlung. Auch die Montagetechnik des Romans, die das Nebeneinander von Szenen, Zeiten und Räumen erlaubt, entspricht einer bildnerischen Kompositionsweise, in der mehrere Bildebenen gleichzeitig präsent sind. Die Anordnung von Wahrnehmungselementen auf der Seite ähnelt der Setzung von Farbtupfen oder Pinselstrichen auf der Leinwand – kleine, präzise gesetzte Einheiten, die erst im Ganzen ihren Effekt entfalten.

Darüber hinaus haben die Malereipassagen im Kontext des Romanganzen eine doppelte Funktion. Einerseits sind sie Reflexionsinseln, in denen das Erzählen über sich selbst nachdenkt, ohne die Selbstreferenzialität explizit zu thematisieren. Andererseits verbinden sie das Schreiben mit einer Tradition, die über das Literarische hinausweist: Die Malerei wird zu einer Schule des Sehens, die den Erzähler gelehrt hat, wie man Welt fragmentiert, um sie neu zu ordnen. Indem Simon Cézannes Methode als eine Art „corde raide“ zwischen Wahrnehmung und Form, zwischen unmittelbarer Empfindung und strenger Struktur versteht, macht er die Kunstbetrachtung zum poetologischen Kern des Romans – und zeigt, dass La corde raide auch als Prosagemälde gelesen werden kann, in dem die Welt in Licht, Farbe und Struktur übersetzt wird.

Bezogen auf La corde raide lassen sich gleichwohl Irene Albers’ Überlegungen zum Status des fotografischen Bildes 6 anwenden: Die Fotografie dient Albers zufolge als zentrale Metapher für ein Gedächtnis, das nicht kohärent narrativ arbeitet, sondern aus einzelnen, kraftvollen, stummen Bildern besteht – wie Standaufnahmen eines zerrissenen Films. Albers identifiziert hier den Ursprung von Simons zentraler ästhetischer Vision: des fotografischen Denkens in der Erinnerungsliteratur. In La corde raide finden sich viele Passagen, in denen der Erzähler Sinneseindrücke wie isolierte Momentaufnahmen schildert: Gesichter, Straßenszenen, Landschaftsdetails erscheinen als „eingefrorene“ visuelle Segmente ohne narrative Einbettung. Das entspricht Albers’ „homme-caméra“-Konzept – der Erzähler fungiert als eine Art Kamera, die registriert, ohne zu ordnen oder zu kommentieren. Wie Albers es beschreibt, werden Ereignisse nicht in einem kontinuierlichen Zeitfluss erzählt, sondern als einzelne Bilder heraufgerufen. In La corde raide sind dies z. B. Kindheitsszenen, Spiegelbilder, Straßendurchblicke – sie stehen unvermittelt nebeneinander, ohne verbindende Kausalität. Die „Erinnerung“ ist hier ein Album loser Fotos, das sich nicht zu einer eindeutigen Geschichte fügen lässt. Die im Text festgehaltenen visuellen Eindrücke wirken wie Versuche, einen Augenblick gegen das Vergehen zu fixieren. In La corde raide steht dieser Impuls oft in Spannung zu der Einsicht, dass Zeit und Veränderung nicht aufzuhalten sind – die festgehaltenen Bilder bleiben brüchig, subjektiv und veränderlich. Bestimmte Bilder – etwa der Blick in den Spiegel, in dem das eigene Gesicht als „végétal“ und fremd erscheint – funktionieren wie fotografische Traumabilder: Sie sind hochgradig konkret und körperlich, aber zugleich entfremdet, mit einer Mischung aus Evidenz und Unwirklichkeit. Solche Bilder kehren wieder, als hartnäckige visuelle Fixpunkte, die nicht integriert werden können. Die Prosa in La corde raide ist oft statisch, fragmentiert, bildzentriert, weniger auf Handlungsentwicklung als auf die minutiöse Schilderung einzelner visueller Situationen gerichtet. Das entspricht Albers’ These, dass Simon eine sprachliche Form entwickelt, die die Funktionsweise des fotografischen Sehens – das Registrieren, Speichern, Arrangieren von isolierten Eindrücken – in Literatur übersetzt.

Albers betont, dass La corde raide — ähnlich wie Histoire von 1967 — mit einem Blick durch ein Fenster beginnt, von einem Raum in den nächsten verschachtelt, und so Erinnerungen als Schichtung von Bildern inszeniert. Die Fensterrahmen öffnen sich zu weiteren Bildern, Räumen und Zeiten – eine visuelle Struktur, die Erinnerungen als überlagernde Kamerabilder organisiert. Schon in La corde raide findet sich eine explizite Reflexion über die mnemotechnischen Möglichkeiten der Fotografie. Albers sieht darin den Auftakt einer fotografischen Poetik bei Simon, die in späteren Werken wie Le vent oder Le palace weiterentwickelt wird. Albers zitiert eine Passage, in der Simon das Gedächtnis mit einer Schublade vergleicht, die man nach langer Zeit wieder öffnet: Dort liegen nur „une suite confuse d’images et de figures, pleines de violence et de lumière, véhémentes, muettes“ – eine Bilderreihe ohne Zusammenhang, ein stummes, fragmentiertes Filmgedächtnis. Diese Bilder werden als „film gesticulant“ beschrieben: ein sich bewegender Film, der seine Kohärenz verloren hat, aufgeblasen durch Licht, aber stumm, ohne Erzählton oder Musik. Zwar animiert, bleiben sie doch diskret und fragmentiert – analog zu Fotografien, nicht zu einem kohärenten Film. Albers zitiert eine Lesung durch Duncan: „la mémoire restitue un passé brouillé et fragmentaire. Elle se compose de choses perçues et surtout de choses vues, d’instantanés.“ 7 Das heißt: Erinnern funktioniert in La corde raide wie ein Flickenteppich aus flüchtigen Bildmomenten, nicht als kontinuierliche Erzählung.

Mais quand je parle de truquage, ce n’est pas à cela que je fais allusion. En employant ce mot, je veux dire que tous les grands peintres que je pouvais voir dans les musées, n’avaient pu exprimer qu’une vision idéale du monde, volontairement limitée et arbitraire, chacune de ces visions du monde étant basée sur une conception, ou plutôt une morale de l’univers visible, ou même, ce qui est plus grave pour des peintres, une morale tout court. Par morale, j’entends une définition sélective et pratique du bien et du mal, permettant de se cacher une partie plus ou moins importante de la vie, souvent très importante, pour n’en voir (et n’en montrer), qu’un seul aspect. En quelque sorte, les grands peintres que j’aimais, m’offraient un spectacle artificiel, éblouissant mais artificiel, un monde creux si on le séparait d’avec – (ce qu’apportent projecteurs, fards, décors, principes). Au lieu d’aller chercher une vérité au-delà des apparences extérieures, ils s’étaient contentés de prendre ces apparences extérieures dans leur plus vulgaire aspect et de les transfigurer à l’aide de déformations linéaires ou colorées, non pas propres à l’objet ou à l’ensemble d’objets qu’ils voulaient peindre, mais ajoutées, consciemment ou non, conforme à ce beau moyennant quoi tout ce qui constituait une gêne ou une souffrance pouvait être taxé de laid, éliminé et ignoré.

Aber wenn ich von Fälschung spreche, meine ich nicht das. Mit diesem Wort meine ich, dass alle großen Maler, die ich in Museen sehen konnte, nur eine ideale Sicht der Welt zum Ausdruck bringen konnten, die bewusst begrenzt und willkürlich war, wobei jede dieser Weltanschauungen auf einer Vorstellung oder vielmehr einer Moral des sichtbaren Universums oder, was für Maler noch schwerwiegender ist, auf einer Moral schlechthin beruhte. Unter Moral verstehe ich eine selektive und praktische Definition von Gut und Böse, die es ermöglicht, einen mehr oder weniger großen Teil des Lebens, oft einen sehr großen Teil, zu verbergen, um nur einen einzigen Aspekt davon zu sehen (und zu zeigen). In gewisser Weise boten mir die großen Maler, die ich liebte, ein künstliches Spektakel, blendend, aber künstlich, eine hohle Welt, wenn man sie von dem trennte, was sie ausmachte (Scheinwerfer, Schminke, Kulissen, Prinzipien). Anstatt nach einer Wahrheit jenseits der äußeren Erscheinungen zu suchen, begnügten sie sich damit, diese äußeren Erscheinungen in ihrer vulgärsten Form zu nehmen und sie mit Hilfe von linearen oder farblichen Verzerrungen zu verklären, die nicht dem Objekt oder der Gesamtheit der Objekte, die sie malen wollten, eigen waren, sondern bewusst oder unbewusst hinzugefügt wurden, um dem schönen Ideal zu entsprechen, wonach alles, was störend oder leidvoll war, als hässlich bezeichnet, beseitigt und ignoriert werden konnte.

Kunst als „ideale Weltanschauung, freiwillig begrenzt und willkürlich“, ein „Weigerung und eine Zuflucht“: Im Roman La corde raide äußert der Erzähler Claude Simons Ansicht über Kunst, insbesondere Malerei und Literatur, als eine selektive moralische Vision. Er kritisiert die meisten großen Maler, die er in Museen sieht, dafür, dass sie „nur eine ideale Vision der Welt ausdrücken konnten, freiwillig begrenzt und willkürlich“. Simon argumentiert, dass viele Künstler nicht die volle Realität abbilden, sondern bewusst eingeschränkt und willkürlich bleiben. Dies ist für ihn ein „Trick“ oder eine „Fälschung“ („truquage“). Er definiert „Moral“ in diesem Kontext als eine praktische und selektive Definition von Gut und Böse, die es ermöglicht, einen Teil des Lebens – oft einen sehr wichtigen Teil – zu verbergen und nur einen einzigen Aspekt zu zeigen. Anstatt eine tiefere Wahrheit jenseits der äußeren Erscheinungen zu suchen, beschränken sich diese Maler darauf, die vulgärsten Aspekte der Realität zu nehmen und sie durch lineare oder farbliche Verzerrungen zu transfigurieren. Diese Verzerrungen dienen dazu, alles, was als unangenehm oder leidvoll empfunden wird, als hässlich abzustempeln, zu eliminieren und zu ignorieren.

Toutes les œuvres de ces peintres sont un refus. C’est pourquoi, je dis qu’il y a truquage. Un refus et un refuge. Il est plus commode de refuser de voir, refuser d’ouvrir les yeux, et de préférer les plisser, ne plus laisser qu’une étroite fente qui ne permette de pénétrer en vous de l’univers que la partie qui vous semble la plus favorable.

Alle Werke dieser Maler sind eine Verweigerung. Deshalb sage ich, dass sie manipuliert sind. Eine Verweigerung und eine Zuflucht. Es ist bequemer, sich zu weigern zu sehen, die Augen nicht zu öffnen und sie lieber zusammenzukneifen, nur einen schmalen Spalt zu lassen, durch den nur der Teil des Universums in dich eindringen kann, der dir am günstigsten erscheint.

Für Simon sind solche Kunstwerke somit „eine Weigerung und eine Zuflucht“ („un refus et un refuge“). Es ist bequemer, sich zu weigern, die Augen zu öffnen und stattdessen nur eine „schmale Spalte“ offen zu lassen, die nur den Teil des Universums durchlässt, der als am günstigsten erscheint. Dies impliziert eine Kritik an einer Kunst, die die unbequemen oder schmerzhaften Aspekte der Existenz ausblendet und sich in einer idealisierten, aber letztlich leeren Darstellung der Welt flüchtet. Simon bevorzugt eine Kunst, die sich der gesamten Komplexität und den „unseriösen“ Aspekten des Lebens stellt, auch wenn sie dadurch für das „Publikum“, das Geschichten mit klarem Anfang und Ende bevorzugt, weniger zugänglich wird. Cézanne wird im Roman als Gegenbeispiel zu dieser Art von „Truquage“ dargestellt, da er in seinen Werken eine tiefere, ungeschminkte Realität festhalten konnte.

Der Erzähler illustriert diese These anhand verschiedener berühmter Maler und ihrer „Moral“:

  • Renaissance-Maler glaubten an Raum, Perspektive und die „gelehrte und mathematische Rekonstruktion der Welt“.
  • Poussin hatte eine „Moral der Ordnung“, die das Leben durch eine „etwas feierliche Entsprechung der Linien“ veredelte.
  • Delacroix glaubte an die Farbe und malte „wunderbar im Dienst dieser einzigen Moral, diesem einzigen Aspekt“, unter dem das Leben für ihn „erträglich“ war.
  • Ingres hatte eine „bürgerliche Moral“, die der Erzähler als „entsetzlich lüstern, akribisch und ausgetrocknet“ beschreibt; Farbe sei für ihn nebensächlich gewesen.
  • Renoir wollte in der Welt „nur das Licht sehen“. Alle Werke dieser Maler sind für den Erzähler „eine Weigerung“.

Der Erzähler lehnt die „Technik“ und den „Kult der Technik“ in der Kunst ab, da sie direkt zu „leeren und akademischen Werken“ führen. Er kritisiert das Kino als Beispiel, wo die Technik immer stärker wird, aber das „Kino selbst immer wertloser“. Große Maler waren seiner Meinung nach groß trotz – und nicht wegen ihrer Technik. Er sieht das Fehlen von „Rezepten“ als das „beste Rezept für ein Meisterwerk“.

Im krassen Gegensatz zu diesen Künstlern stellt der Erzähler Cézanne dar. Obwohl er zunächst nichts Außergewöhnliches an Cézannes Bildern fand – nur „etwas perfekt Gemaltes“ („quelque chose de parfaitement peint“) das ihm „große Freude“ („une très vive et très grande jouissance“) bereitete – erkannte er später, dass Cézannes Kunst eine andere Art von Vergnügen bot. Er lernte, sein Vergnügen zu „differenzieren“ („différencier mon plaisir“) und „allem zu misstrauen, was nicht wahres Vergnügen war“ („me méfier de tout ce qui n’était pas du vrai plaisir“), und die wahre Quelle seines Vergnügens von ihrer „äußeren Erscheinung“ („son apparence extérieure“) zu trennen. Cézanne wird als jemand beschrieben, der sich einer „entsetzlichen Panik“ („panique affreuse“) und einem „völligen Mangel an Schneid“ („manque total de culot“) stellte, was ihn befähigte, in Bereiche vorzudringen, „in die kein Mensch vor ihm eindringen konnte (noch nicht einmal die Idee hatte, dass man eindringen könnte)“ („là où aucun homme avant lui n’avait pu pénétrer (ni même eu l’idée qu’on pût pénétrer)“). Cézannes „Badende oder Äpfel“ („baigneuses ou pommes“) hatten „nichts Märchenhaftes“ („rien de féerique“) an sich; sie zeigten eine Welt, die „völlig entblößt von allem war, außer von Wahrheit und Kohärenz“ („totalement dépouillé de tout, excepté de vérité et de cohésion“). Dies führte zu einem „Verlust der Illusionen“ („la perte des illusions“) und einer „substanziellen, gleichzeitig desillusionierten und geblendeten Erkenntnis“ („connaissance substantielle, dans le même moment désenchantée et éblouie“).

Cézannes „Auge, Hand und diese Funktion seiner selbst, die weder sprach noch schlief“ („œil, main, et cette fonction de lui-même qui ne parlait ni ne dormait“) strebten nach „Besitz, Eroberung und Wahrheit“ („possession, de conquête et de vérité“). Er sah die „multiple Unendlichkeit der Realitäten, alle gleich möglich, alle gleich wahr“ („la multiple infinité des réalités, toutes également possibles, toutes également vraies“), und er suchte nach etwas „noch Vollkommenerem, das jede Vorstellung von Intervention, Harmonie oder Fixität ausschloss“ („quelque chose d’encore plus parfait, excluant toute idée d’intervention, d’harmonie ou de fixité“). Die Äußerung Cézannes, „Am Ende fängt man an, uns mit der Kunst um der Kunst willen auf die Nerven zu gehen“ („À la fin, bougonna Cézanne, on commence à nous faire suer avec l’art pour l’art“), unterstreicht die Abkehr von reinem Ästhetizismus hin zu einem tieferen Engagement für die Wahrheit. Der Erzähler kritisiert auch die Motivation von Künstlern, die für ein Publikum und nicht für das malen oder schreiben, was sie zu sagen haben. Dies sei die „schlimmste Unehrlichkeit und die schlimmste Missachtung der anderen“ („la pire malhonnêteté et le pire mépris à l’égard des autres“). Die Wahrheit könne es nicht ertragen, „verkleidet zu werden“ („Aucune vérité ne peut supporter d’être travestie“).

Die öffentliche Rezeption von Kunst wird als oft oberflächlich dargestellt. Besucher von Museen empfinden manchmal ein „kleines oder großes Kribbeln“ („petit ou un grand chatouillement“) oder gar nichts, kaufen aber erklärende Bücher („achètent des livres explicatifs“), um den Schein zu wahren. Der Erzähler sympathisiert mit denen, die Museen als langweilig empfinden und nicht zurückkehren („Ceux-là ont toute ma sympathie“). Das Konzept der „Schönheit“ wird auf eine „Messung ihrer Bedeutungslosigkeit“ („mesure de son insignifiance“) reduziert, oft verglichen mit einer „gehaltenen Henne“ („poules entretenues“), deren einziger Zweck es ist, gut auszusehen und zu gefallen („n’a rien d’autre à faire qu’à bien s’habiller“). Solche „idealen und kostenlosen Elemente, absichtlich unbrauchbar“ („élément idéal et gratuit, intentionnellement inutilisables“), werden von „moralischen Leuten“ („gens moraux“) in der Kunst gesucht.

Die Idee der „wunderbaren Illusionen“ („merveilleuse illusion“) in der Kunst wird ebenfalls angesprochen. Der Erzähler stellt fest, dass er selbst keine solchen Illusionen braucht („Je n’ai pas besoin de merveilleuses illusions“), fragt sich aber, ob er sie eines Tages aus „extremer Müdigkeit und Pessimismus“ („point extrême de lassitude et de pessimisme“) doch suchen wird.

Die Figur des Picasso dient als weiteres Beispiel für die Komplexität der Kunst. Der Erzähler empfindet seine Kunst als „furchterregend“ („effrayantes“), weil Picasso „Spanier und Katholik“ („Espagnol et Catholique“) sei. Die katholische Moral respektiere die menschliche Form, insbesondere die weibliche, nicht, was sich in Picassos deformierten Darstellungen zeige. Er bezeichnet die Kunst in Museen als „Affentricks“ („tours de singes“). Picasso wird als „Farceur“ („Farceur“) bezeichnet, aber in einem ernsten Sinne: „die Farce erweist sich als die einzige Ausdrucksmöglichkeit des Menschen angesichts der Tragik des Lebens“ („dans la mesure où la farce s’avère la seule possibilité d’expression de l’homme en présence du tragique de la vie“). Dies erfordere „eine Dosis Adel, Herz und Kraft“ („une dose de noblesse, de cœur, et de puissance“), die nicht alltäglich sei. Picassos „geschmacklose“ („mauvais goût“) Perioden werden den ihn umgebenden Literaten zugeschrieben. Für den Erzähler bringt Kunst etwas, das ihn „sättigt“ („rassasie“), „beruhigt“ („apaise“) und „eine Leere in ihm füllt“ („comble un vide en moi“) – das „unerwartet Erwartete“ („l’inattendu attendu“), beziehungsweise das, was er nicht zu erwarten wusste, aber sich als sein wahres Verlangen erwies.

Die Kunst Matisses wird als „senile Malerei“ („peinture sénile“) oder „vergreist“ („gâteux“) abgetan, trotz des Lobes der Kritiker. Der Erzähler rät, lieber Blumen zu kaufen, als Matisses Bilder zu betrachten, die er als „Blumenstrauß“ („bouquet“) empfindet. Die Vereinfachung in Matisses Werk wird als „eine Art, die Ohnmacht zu nennen“ („une façon comme une autre d’appeler l’impuissance“) interpretiert.

Zusammenfassend ist Kunst für den Erzähler, wenn sie nicht die ungeschminkte Wahrheit des Seins konfrontiert, eine Manipulation und eine Flucht. Nur jene Kunst, die die Schleier der Illusion und der moralischen Konventionen beiseitelegt und die rohe, unversöhnliche Realität des menschlichen Daseins in all ihrer Komplexität und ihrem Schrecken zeigt, kann wahre Bedeutung haben. Dies ist eine Kunst, die nicht belehren oder gefallen will, sondern lediglich „dem Unformulierten eine Form gibt“ („donner une forme à l’informulé“).

Lesbarkeit von Architektur

Auch Architektur tritt bei Simon nicht als abstrakte Beschreibung von Gebäuden auf, sondern als unmittelbare Erfahrungsqualität: Fassaden, Balkone, Kolonnaden, Bahnhöfe, Hotelhallen. Die Beschreibung ist oft detailgenau und vermittelt Materialität – abblätternder Putz, Eisenverzierungen, Staub, Steinmaserung. Funktional wirken diese Bilder als Verankerungspunkte im Erzählfluss: Sie geben Szenen eine räumliche Struktur und verankern Erinnerung im physischen Raum. Zugleich sind sie Projektionsflächen für historische und emotionale Aufladungen – der Bahnhof mit seinen „colonnes blanches“ kann militärische Strenge ausstrahlen, die verfallene Fassade Melancholie. „Les façades lépreuses, avec leurs balcons de fer forgé tordus, semblaient s’effriter sous la chaleur, laissant pendre des volets disjoints.“ Die heruntergekommenen Fassaden werden als lebendige, von der Zeit angegriffene Körper beschrieben. Architektur ist hier Teil einer Wahrnehmung, die Geschichte und Verfall sichtbar macht, und wirkt wie ein Spiegel der existenziellen Brüchigkeit im Roman. „Les colonnes blanches de la gare, alignées comme une armée immobile, se perdaient dans la perspective poussiéreuse du quai.“ Hier tritt Architektur als geordnete, fast militärische Struktur auf, die zugleich Bühne für Bewegung und Abreise ist. Sie betont das Motiv des Übergangs und der Reise, das den fragmentierten Erzählfluss rahmt.

In La corde raide sind die Architekturschilderungen von Anfang an nicht bloß ornamentale Kulissen, sondern Orte, an denen sich der Blick des Erzählers, seine Erinnerungsarbeit und seine poetische Bildproduktion kreuzen. Gleich zu Beginn, in den ersten Seiten, ist der Blick aus dem Fenster in Paris so komponiert, dass die Elemente der Stadtlandschaft – eine Hauswand, ein Dom, ein Fabrikschornstein, der Himmel – nicht in linearer Beschreibung erscheinen, sondern als gerahmte Komposition: „In Paris sah man durch den Fensterrahmen die Seite eines Hauses, eine Kuppel, weiter entfernt einen Fabrikschornstein und viel Himmel.“ („À Paris, dans l’encadrement de la fenêtre, il y avait le flanc d’une maison, un dôme, une cheminée d’usine plus loin, et beaucoup de ciel.)“ Der Erzähler nimmt nicht „die Stadt“ in ihrer Totalität wahr, sondern einen Ausschnitt, der durch den Rahmen des Fensters und die Auswahl der Elemente zu einem Bild wird. Architektur ist hier immer schon durch einen subjektiven Bildausschnitt gefiltert, der sie in die Logik einer malerischen Komposition überführt.

Das Farbspiel ist dabei entscheidend, denn die Gebäude existieren in diesem Text nie farblos oder rein funktional, sondern als Teil einer atmosphärischen Skala, die mit den Jahreszeiten moduliert. Über die Pariser Aussicht heißt es: „Im Winter alles in Lachsrosa und Hellgrau, im Sommer in Zitronengelb und Blau.“ („Tout cela saumon et gris pâle l’hiver, citron et bleu l’été.“) Die Gebäude werden in ihrer Erscheinung nicht durch Maße, Baustile oder Baujahre charakterisiert, sondern durch farbige Stimmungen, die saisonal wechseln. Die Farbpaare sind keine beiläufigen Adjektive, sondern präzise Farbnennungen, die wie Notationen aus der Malerei wirken. Die Architektur wird in den Jahreszeiten neu gemalt, ihre „Identität“ ist also abhängig von Licht, Temperatur, Luftqualität. Das lässt sie im Text nicht als starres Bauwerk erscheinen, sondern als Teil eines lebendigen, sich wandelnden Farbraums.

Immer wieder fungieren architektonische Details als Auslöser für Erinnerungsreisen. Das Motiv der Kuppel ist ein besonders prägnantes Beispiel. Der Erzähler betrachtet den „laid, ogival“ Dôme aus geripptem Zink, der vor seinem Fenster sichtbar ist, und notiert: „Mais c’était un dôme et en le regardant je pouvais voyager et me souvenir…“ Diese Wendung ist programmatisch: Architektur ist nicht Selbstzweck, sondern Auslöser einer mentalen Bewegung, die den Betrachter fortträgt in andere Städte, zu anderen Kuppeln – nach Berlin, nach Italien, nach Avignon. Ein reales Detail wird zur Schwelle, durch die räumlich und zeitlich entfernte Bilder in die Gegenwart eindringen. Architektur ist hier weniger als Bauwerk im urbanistischen Sinn interessant, sondern als Gedächtnisbild, das in der Lage ist, andere Bilder, Gerüche, Atmosphären hervorzurufen.

Diese Funktion von Architektur als Markierungspunkt in der Reiseerfahrung zieht sich durch den ganzen Text. Der Erzähler erinnert sich an jene Morgen, an denen man zum ersten Mal eine fremde Stadt betritt, und die Beschreibung dieser ersten Gänge führt fast immer über architektonische Eindrücke: Plätze, Fassaden, Dachlinien, Straßenzüge. Die Gebäude sind dabei keine neutralen Objekte, sie sind untrennbar mit Bewegung, mit Licht und mit sozialen Szenen verbunden. Eine Kuppel oder ein Platz wird nicht isoliert analysiert, sondern erscheint in einer dichten sensorischen Konfiguration – begleitet vom Geräusch einer Straßenbahn, vom Geruch eines Cafés, vom Blick auf Passanten. Architektur ist so in La corde raide ein integraler Bestandteil der Erfahrung, die Raum, Körper und Erinnerung miteinander verschränkt.

In manchen Passagen tritt zudem die symbolische Lesbarkeit von Architektur hervor, wenn der Erzähler etwa von Kasernen oder Polizeigebäuden spricht und ihre Form und Lage in Zusammenhang mit Uniformen, mit öffentlicher Ordnung und Macht bringt. Auch wenn hier weniger die architektonische Gestalt im Vordergrund steht, wird doch deutlich, dass Gebäude Zeichencharakter haben. Sie sind Teil eines semiotischen Systems, das zugleich historisch und kulturell kodiert ist. Wie bei der Werbetafel „cirage Éclipse“ interessiert Simon auch hier, dass gebaute Formen mehr sind als nützliche Strukturen: sie sind Träger von Bedeutungen, von Machtansprüchen, von kultureller Selbstverortung.

Die Art und Weise, wie Simon Architektur beschreibt, ist dabei konsequent anti-akademisch. Er vermeidet architekturhistorische Terminologie, benennt keine Stile oder Baumeister, sondern setzt auf sinnliche Qualitäten: auf die Rundung einer Kuppel, das Relief eines gerippten Zinks, den Schimmer einer Fassade im Sommerlicht. Das sind visuelle und haptische Eindrücke, die den Eindruck erwecken, der Erzähler habe die Szene tatsächlich gemalt oder skizziert. Diese Nähe zur Malerei ist kein Zufall: Simon war vor dem Krieg als Maler tätig, und seine Prosa in La corde raide denkt Architektur wie ein Maler, der Linien, Flächen und Farbkontraste in Relation setzt. Das, was in der Realität ein schweres Bauwerk ist, wird in der Sprache zu einer farbigen, beweglichen Fläche.

Architektur erweist sich in La corde raide weder als bloßes dekoratives Element noch als isoliertes Kunstobjekt. Sie ist immer im doppelten Sinn „vermittelt“: durch die subjektive Perspektive, die sie rahmt, und durch ihre Funktion als Auslöser von Erinnerungsbewegungen. Sie ist zugleich Farbfeld, Erinnerungsbild und soziales Zeichen, ein Gegenstand, an dem sich Simons Poetik des Sehens und Erinnerns verdichtet. Gebäude, Kuppeln, Fassaden sind hier Momente einer „vision“ – Augenblicke, in denen Raum und Zeit zusammenfallen und durch die Sprache in eine malerische Präsenz übersetzt werden. So wird deutlich, dass die architektonischen Passagen in diesem frühen Werk nicht abseits der zentralen poetologischen Fragen stehen, sondern ihrerseits Träger jener Balance sind, die der Titel als „corde raide“ benennt: eine Bewegung zwischen dem Sichtbaren und dem Erinnerbaren, zwischen materieller Schwere und sprachlicher Leichtigkeit.

Farbkomposition und Lichtführung

Claude Simon beginnt La corde raide mit einer Wahrnehmung, die man eher einem Maler als einem Romanautor zuschreiben würde: Der Blick aus dem Pariser Fenster wird nicht topografisch oder erzählerisch erschlossen, sondern in eine Komposition aus Formen, Farben und Lichtwerten zerlegt. Die Häuserflanke, die Kuppel, der Fabrikschornstein und der weite Himmel erscheinen nicht als benannte Gegenstände, sondern als Flächen im Bildrahmen, deren saisonale Farbmodulation gleich mitgeliefert wird – im Winter „saumon et gris pâle“, im Sommer „citron et bleu“. Dass der Erzähler die Farbbegriffe nicht in die Nebensätze einschiebt, sondern sie als gleichberechtigte Bestandteile der Beschreibung setzt, macht klar, dass es hier nicht um bloße Dekoration geht. Farbe ist Trägerin der Szene, ja, sie ersetzt teilweise die Funktion des linearen Erzählens.

Dieses Verfahren hat eine tiefe Verbindung zu Simons biografischem Hintergrund als Maler in den 1930er Jahren. Die Prosa denkt in Flächen und Tonwerten, sie „komponiert“ wie auf einer Leinwand: Das Motiv wird im Bildausschnitt gerahmt, die Farbakkorde werden aufeinander abgestimmt, und das Licht ist nicht nur Beleuchtung, sondern formgebendes Element. Simon verzichtet auf architekturhistorische Terminologie oder psychologische Einordnung und fokussiert stattdessen auf sinnlich-visuelle Parameter, die der Lesende unmittelbar sehen kann. Damit wird das Schreiben zu einem Akt des Sehens, der von Anfang an auf die Qualität der Wahrnehmung pocht.

Farbe fungiert in La corde raide häufig als Ankerpunkt im Fluss der Erinnerung. Ein konkreter Farbton – das Lachsrosa einer Fassade, das blasse Grau des Winterhimmels, das kräftige Blau einer Sommerkuppel – kann als Katalysator für ganze Assoziationsketten dienen. Der Anblick einer Kuppel in Paris etwa führt, vermittelt über ihre Farbe und Lichtbrechung, zu Erinnerungen an andere Kuppeln in anderen Städten: Berlin, Italien, Avignon. Das Gedächtnis folgt dabei nicht der Logik von Datierung oder Ereignis, sondern einer Synästhesie: Farbe ist das Medium, in dem sich räumlich und zeitlich entfernte Bilder verbinden.

Das Licht in Simons Texten wirkt als Motor dieser Farberfahrung. Farbe erscheint nie isoliert, sondern immer im Wechselspiel mit einer bestimmten Lichtqualität: das kühle, gedämpfte Winterlicht, das warme, durchdringende Sommerlicht, das flackernde, unstete Licht eines Nachmittags mit ziehenden Wolken. Licht moduliert Farbe, verändert ihre Intensität, ihren Ausdruck, und Simon beschreibt diesen Prozess oft im Präsens, als würde er auf der Leinwand zusehen, wie die Töne sich verschieben. Die Jahreszeiten fungieren dabei nicht als bloßer Hintergrund, sondern als dynamische Variable im Wahrnehmungsvorgang.

Manche Szenen leben ausschließlich von diesem Zusammenspiel. In den Beschreibungen des Meeres etwa werden Farb- und Lichtwerte so sorgfältig gesetzt, dass das Wasser fast als bewegtes Gemälde vor Augen steht. Das Blau des Himmels spiegelt sich im Wasser, aber je nach Sonnenstand verändert sich der Ton: ein tiefes Saphirblau bei hoher Sonne, ein gedämpftes, grünliches Blau bei schrägem Licht. Diese Feinabstimmungen sind nicht illustrativ, sie sind die Substanz der Szene – wer sie liest, nimmt Teil an einer Sensibilisierung des Blicks, wie sie Maler während des Malens erfahren.

Die Farbpaare, die Simon verwendet, sind auffällig komponiert. „Saumon et gris pâle“ oder „citron et bleu“ sind keine zufälligen Nennungen, sondern Akkorde, die nach bildnerischen Kriterien gesetzt sind: ein warmer und ein kühler Ton, ein gedeckter und ein leuchtender, ein erdiger und ein luftiger. Diese Paare strukturieren den Text wie wiederkehrende Leitmotive in einer Komposition. Sie wirken sowohl als visuelle Marker – der Leser erinnert sich an sie – als auch als emotionale Signaturen, weil bestimmte Farbkombinationen unwillkürlich Stimmungen auslösen.

In der Beschreibung fremder Städte verstärkt sich dieser Effekt. Simon nähert sich einer unbekannten Umgebung nicht durch das Nennen von Straßennamen oder historischen Daten, sondern indem er ihre Farbstimmung und Lichtsituation festhält. Das kann das gelbliche Licht am späten Nachmittag in einer mediterranen Stadt sein, das die Fassaden wie polierte Bronze wirken lässt, oder das matte Grau in einer norddeutschen Hafenstadt, das die Farben der Werbeschilder noch greller hervortreten lässt. Die Stadt wird so weniger als geographischer Ort, sondern als atmosphärisches Phänomen erinnert – und diese Atmosphäre ist eine Funktion von Licht und Farbe.

In den Kriegspassagen verändert sich der Einsatz von Farbe und Licht deutlich. Hier tauchen gebrochene, matte, oft erdige Töne auf – Staub, Schlamm, verschmutzte Uniformen – und das Licht hat eine härtere, fast unbarmherzige Qualität. Mittagslicht auf einer staubigen Straße kann grell und auslaugend wirken, Nebel kann die Farben so verschlucken, dass nur noch Grauwerte übrig bleiben. Diese veränderte Farbpalette entspricht der Erfahrung einer Welt, in der Sinnlichkeit von Gewalt und Bedrohung überlagert wird. Das Auge sieht weiterhin Farben, aber es registriert sie in einem Zustand der Anspannung.

Die Lichtführung bei Simon folgt keiner symbolischen Simplifizierung. Licht ist nicht einfach „gut“, Dunkelheit nicht einfach „bedrohlich“. Vielmehr zeigt er, wie Licht und Farbe in unterschiedlichsten Konstellationen auf den Betrachter wirken. Ein tiefstehendes Abendlicht kann sowohl Wärme als auch Melancholie ausstrahlen, ein wolkenverhangener Himmel kann Geborgenheit oder Beklemmung erzeugen. Diese Mehrdeutigkeit ist entscheidend, weil sie der Wahrnehmung ihre Offenheit lässt und den Lesenden zwingt, sich nicht mit eindeutigen Codes zu begnügen.

Auch im erotischen Kontext spielen Farbe und Licht eine zentrale Rolle. Die Beschreibung eines nackten Körpers im Gegenlicht, der Ton der Haut im Schatten oder im Sonnenlicht, das Schimmern von Haaren – all das wird mit derselben Präzision erfasst wie eine Landschaft oder ein Gebäude. Die Farbwahrnehmung ist hier unmittelbar mit der körperlichen Nähe verbunden, und das Licht fungiert als Verstärker der sinnlichen Präsenz. Die Körper werden nicht abstrakt erotisiert, sondern in ihrer realen optischen Erscheinung verankert, was die Intensität der Szene erhöht.

Die autopoetologische Dimension, die in diesem Umgang mit Farbe und Licht mitschwingt, ist unverkennbar. Simon zeigt, dass literarisches Schreiben nicht darauf beschränkt sein muss, eine Handlung linear zu entfalten. Es kann stattdessen darin bestehen, den Blick zu schulen, den Reichtum der Wahrnehmung festzuhalten und so das Leben selbst – in seiner Bewegung, in seinen Stimmungen – zu konservieren. Das malerische Verfahren, Farbe und Licht als primäre Bausteine zu verwenden, ist in diesem Sinne ein Akt des Widerstands gegen den Verlust: Was im Licht und in der Farbe gesehen und in Sprache gebannt wurde, bleibt dem Verlöschen entzogen.

In der Gesamtarchitektur von La corde raide wirken die Farb- und Lichtmotive wie Knotenpunkte, an denen verschiedene Zeitebenen und Räume zusammenlaufen. Ein bestimmtes Blau kann sowohl auf das Meer einer Kindheitserinnerung verweisen als auch auf den Himmel über einer fremden Stadt, die der Erzähler Jahrzehnte später besucht. Das Licht einer Sommernachmittagsstunde kann zugleich ein gegenwärtiger Eindruck und der Schatten einer Erinnerung sein. Auf diese Weise verbinden Farbe und Licht, was in linearer Zeit weit auseinanderliegt, und ermöglichen eine simultane, überlagernde Wahrnehmungsstruktur.

Damit ist die Funktion von Farben und Licht bei Simon doppelt gelagert: Sie bilden einerseits das Fundament einer malerischen, visuell gesättigten Schreibweise, die den Blick des Lesers schärft und ihn zum Mit-Sehen zwingt. Andererseits fungieren sie als poetologische Werkzeuge, um den Text selbst als Komposition von Eindrücken zu strukturieren, die jenseits einer linearen Erzählachse miteinander in Beziehung treten. Die visuelle Aufmerksamkeit, die Simon in La corde raide entwickelt, ist daher nicht nur eine Stilfrage, sondern ein Grundprinzip seines Schreibens – eine Methode, die Welt wahrzunehmen, zu erinnern und im Medium der Sprache neu zu entwerfen.

Der Mensch wird Natur

Claude Simons La corde raide, das als eine Poetik beschrieben werden kann – Calle Gruber formuliert in Une vie à écrire: „son entreprise est une poétique et pas une recherche métaphysique“ – zeichnet sich durch eine tiefgreifende Erforschung der menschlichen Existenz aus, die oft die Grenzen des Individuellen auflöst und es in eine organische oder elementare Natur überführt. Dieses zentrale Thema der Entindividualisierung und Verschmelzung mit der Umwelt ist nicht nur eine philosophische Reflexion, sondern wird durch lebendige, oft verstörende Bilder und sensorische Eindrücke erfahrbar gemacht.

Leuchtreklamen, Plakate, Schilder treten als urbane Bildelemente auf. Sie sind visuell prägnant, oft beschädigt oder fragmentiert, und spiegeln so die Bruchstückhaftigkeit der Erinnerung. Funktional kontrastieren sie mit den Naturbildern: Während Bäume, Wasser oder Himmel zyklisch und organisch wirken, sind Zeichen und Reklame flüchtig, austauschbar, dem Verfall durch Witterung und Zeit ausgesetzt. Sie bringen die moderne, ökonomische Dimension der Wahrnehmungswelt ins Spiel. „Die zerrissenen Plakate ließen Fragmente lächelnder Gesichter erkennen, vermischt mit unlesbaren Slogans.“ („Les affiches déchirées laissaient voir des fragments de visages souriants, mêlés à des slogans illisibles.“) Zerfetzte Werbeposter bilden ein visuelles Mosaik, das Simons Montagestruktur spiegelt: Bruchstücke, die sich nicht zu einer eindeutigen Botschaft fügen.

Körper

In La corde raide sind Körpermotive, erotische Szenen und die vielfältigen Verbindungen zwischen Körper und Natur von zentraler Bedeutung für den formalen und thematischen Aufbau. Sie sind nicht bloß Inhalte, sondern wirken als strukturierende Elemente, die die Funktionsweise des gesamten Textes prägen. Claude Simon inszeniert den Körper in diesem frühen Werk nicht als statische Figur im Raum, sondern als dynamisches, sinnlich erfahrbares und in der Natur verankertes Phänomen. Aus dieser Verzahnung von Körperlichkeit, Naturerlebnis und erotischer Spannung entsteht eine doppelte Bewegung: Der Körper ist zugleich Gegenstand unmittelbarer Wahrnehmung und Medium, durch das Erinnerung und Reflexion ausgelöst werden.

Bereits in den ersten Kapiteln erscheinen Körper in enger Verbindung zu Landschaften, Licht- und Wassersituationen. Besonders auffällig ist die wiederkehrende Konstellation von weiblichem Körper und Elementen wie Meer, Fluss oder Garten. In der Badeepisode mit Véra etwa gleitet der Körper der Frau durch das Meer, der Erzähler folgt ihr, das Wasser trägt und umschließt beide. Die Beschreibung betont das Zusammenspiel von Bewegung, Sinneseindruck und erotischem Begehren: Salzgeschmack auf den Lippen, das Geräusch der Wellen, das Leuchten der Haut im Sonnenlicht. Die erotische Wahrnehmung wird dabei nicht isoliert dargestellt, sondern untrennbar mit der Erfahrung der umgebenden Natur verknüpft. So wird die erotische Spannung in die Bewegungen von Wasser und Wind übersetzt – Annäherung und Distanz sind nicht nur psychologische, sondern physikalisch-landschaftliche Vorgänge.

In anderen Passagen erscheinen Körper im Kontext von Gärten oder Parks, etwa in Odessa, wo das Abendessen im Gartenrestaurant durch Brunnenrauschen und das Rascheln der Platanen begleitet wird. Der Körper – sitzend, sich bewegend, atmend – wird hier durch das sinnliche Umfeld gerahmt. Simon legt Wert darauf, dass Geräusch, Geruch und Temperatur in die Wahrnehmung des Gegenübers einfließen. Diese Umgebungen sind nicht nur Kulisse, sondern modulieren die Art und Weise, wie Körper gesehen und begehrt werden. Der Übergang zwischen Beschreibung der Natur und Beschreibung des Körpers ist fließend, oft innerhalb eines einzigen Satzes vollzogen. Dadurch entsteht eine strukturelle Symbiose zwischen Figur und Landschaft, in der sich Körperformen und Naturformen spiegeln.

Die erotische Dimension in La corde raide folgt einer ähnlichen Logik wie die gesamte Struktur des Romans: Es gibt keine klar abgegrenzten „Liebesszenen“ mit Beginn, Höhepunkt und Ende. Stattdessen sind erotische Momente in den Erzählfluss eingebettet wie sinnliche Inseln, die durch Erinnerungen, Assoziationen oder Sinneseindrücke ausgelöst werden. Sie treten oft unvermittelt auf, überlagern andere Zeitebenen, kehren in Variationen zurück. So wie der Roman zeitliche Linearität auflöst, durchbricht er auch die Linearität erotischer Dramaturgie. Das Begehren ist hier kein abgeschlossener Handlungsstrang, sondern ein wiederkehrender Impuls, der das Narrativ rhythmisert.

Ein zentrales Merkmal der Körperdarstellung bei Simon ist die Gleichrangigkeit aller Sinnesmodalitäten. Der Körper wird nicht primär durch das Auge erfasst, sondern auch durch Hören, Riechen, Tasten, Schmecken. So entsteht eine synästhetische Textur, in der beispielsweise das Geräusch eines Atemzugs, der Geruch nach Salz und Algen oder die Kühle einer Brise am Nacken dieselbe narrative Relevanz besitzen wie die optische Beschreibung einer Körperhaltung. Dieses Verfahren, das im späteren Werk noch stärker ausgeprägt erscheint, hat in La corde raide bereits eine klare Funktion: Es verschiebt den Schwerpunkt von der Darstellung äußerer Handlung auf die Intensität und Vielschichtigkeit der Wahrnehmung.

Die enge Verbindung von Körper und Natur hat zudem eine symbolische Ebene. Natur wird oft als ein unerschöpflicher Kreislauf der Erneuerung dargestellt, in dem auch der menschliche Körper aufgehoben ist. Erotische Szenen sind daher nicht nur Begegnungen zwischen Individuen, sondern Teil einer größeren Bewegung von Lebenskraft, Wachstum und Vergänglichkeit. Körper werden, ähnlich wie Landschaften, als Formen wahrgenommen, die sich verändern, altern, erblühen oder vergehen. In dieser Perspektive liegt auch eine leise Melancholie: Die Schönheit der Körper ist flüchtig, so wie das Licht auf dem Wasser oder der Duft eines Gartens. Diese Flüchtigkeit wird nicht sentimentalisiert, sondern als Teil der ästhetischen und existenziellen Erfahrung akzeptiert.

Funktional übernehmen die Körpermotive in La corde raide also mehrere Rollen gleichzeitig. Sie sind Knotenpunkte im assoziativen Netz des Romans: Von ihnen gehen Erinnerungsströme aus, zu ihnen kehren Wahrnehmungen zurück. Sie fungieren als Schnittstellen zwischen individueller Erfahrung und universellen Rhythmen der Natur. Sie tragen die erotische Spannung, die den Text immer wieder auflädt, ohne in einen konventionellen Liebesplot zu münden. Und sie verankern die poetische Reflexion über Wahrnehmung und Darstellung in einer sinnlichen, konkreten Erfahrungswelt.

Indem Simon den Körper so eng mit der Natur verknüpft, gelingt es ihm, die Trennung zwischen Subjekt und Umwelt zu durchbrechen. Mit Jean Duffys Aufsatz über Merleau-Ponty und Claude Simon kann man für den Roman formulieren: La Corde raide ist stark von einer phänomenologischen Sensibilität geprägt, die mit Merleau-Pontys Phénoménologie de la perception korrespondiert. Simon löst die klassische Trennung zwischen Mensch und Welt auf: Er unterscheidet zwischen dem „végétal“ (Vergängliches, Individuelles) und dem Dauerhaften, das als unpersönliche, aber bewusste Struktur erscheint – eine Vorstellung, die Merleau-Pontys „tacit cogito“ ähnelt. Die in La Corde raide beschriebene Erfahrung von Depersonalisierung (z. B. Blick in den Spiegel, Empfinden der eigenen Gestalt als „vegetal“) erzeugt einen prä-reflexiven Wahrnehmungsraum, in dem Identität instabil ist und Wahrnehmung als anonyme, körperlich-situierte Erfahrung erscheint. Das Werk eröffnet dadurch einen Wahrnehmungsmodus, der nicht moralisch wertet, sondern die unmittelbare, körperlich verankerte Erfahrung des Daseins ins Zentrum stellt. 8 Die Figuren sind nicht „im“ Raum, sondern Teil eines Kontinuums von Formen, Bewegungen und Energien. Das Begehren wird damit nicht nur als psychische Regung inszeniert, sondern als körperlich-natürliches Phänomen, das denselben Gesetzen von Strömung, Rhythmus und Wandel unterliegt wie die Landschaften, durch die sich der Text bewegt. Diese strukturelle Einheit von Körper, Natur und Wahrnehmung ist ein entscheidendes Merkmal von La corde raide – und ein deutliches Vorspiel zu den komplexen Körperlandschaften, die Simons späteres Werk auszeichnen.

Wasser

Die Wassermotive in Claude Simons frühem Prosawerk La corde raide gehören zu den am dichtesten verflochtenen und strukturell wirksamsten Bildelementen dieses Textes. Die Passagen, in denen Wasser in Bewegung erscheint – Meere, Ströme, Flüsse, Brunnen, Strömungen, Wellen, ja selbst kleinste Rinnsale – erhalten eine tragende Funktion für das gesamte Textgefüge. Sie strukturieren den Fluss der Erinnerung, rhythmisieren den Erzählfluss, dienen als sinnliche Auslöser komplexer Assoziationsketten und sind Träger einer vitalistischen, fast gegen jede Zerstörung gerichteten Metaphorik. In ihnen verdichten sich sinnliche Erfahrung, autobiographische Spurensuche und poetologische Selbstreflexion zu einer übergreifenden Poetik der Strömung.

Schon auf den ersten Seiten von La corde raide wird deutlich, dass Wasser in diesem Text nicht einfach eine Kulisse bildet, sondern in seiner Bewegung, in seinem wechselnden Aggregatzustand, in seinen Farb- und Klangvariationen eine Art Gegenpart und zugleich Modell für das Schreiben darstellt. Das Erzählen folgt nicht einer linearen Bahn, sondern driftet, wechselt die Richtung, verzögert sich, kehrt zurück, setzt neu an – wie ein Fluss, der Mäander bildet, Stromschnellen entwickelt oder in ruhige Becken übergeht. In dieser Hinsicht ist der Text selbst wie eine Strömung komponiert: Ein fortwährender Fluss von Bildern, Reflexionen, Erinnerungssplittern, der sich nicht an einer dominanten Handlung orientiert, sondern aus der Bewegung zwischen Erinnerungsinseln lebt.

Diese strukturelle Analogie zwischen Erzählfluss und Wasserbewegung findet ihre sinnliche Grundlage in einer Reihe von konkret beschriebenen Wasserszenen. Eine der eindrücklichsten ist die Badeepisode mit der jungen Russin Véra in Odessa. Hier verdichtet sich vieles, was für die Wassermetaphorik des Buches prägend ist. Der Erzähler folgt Véra ins Meer hinaus, kämpft gegen die Wellen, spürt den Salzgeschmack auf den Lippen, hört den Wind über die Wasserfläche streichen und das leise Klatschen des Wassers in der umgebenden Stille. Das Wasser ist hier nicht nur Medium einer erotischen Annäherung, sondern zugleich Widerstand: Véra schwimmt besser, der Erzähler kann sie nicht erreichen, und aus dieser Mischung von Anziehung und Distanz, von physischer Präsenz und Unerreichbarkeit, bezieht die Szene ihre Spannung. Das Meer wird zum Element einer Begegnung, die ebenso sehr von der Unmöglichkeit wie von der Möglichkeit lebt, körperliche Nähe herzustellen. In dieser Ambivalenz spiegelt sich das Verhältnis zwischen Erinnern und Vergessen, zwischen Festhalten und Loslassen, das in La corde raide allgegenwärtig ist.

Ein anderes wiederkehrendes Motiv sind die Brunnen und Fontänen, insbesondere im Gartenrestaurant von Odessa, wo der Erzähler und Véra abends essen. Das leise Plätschern der Jets d’eau mischt sich mit dem Geräusch des Windes in den hohen Platanen und bildet einen akustischen Hintergrund, der Szenen von Ruhe und Intimität rahmt. Hier fungiert Wasser nicht als Hindernis oder Antrieb, sondern als beruhigender, fast wiegend wirkender Klang, der die Flüchtigkeit des Augenblicks in eine Art zeitlosen Zustand überführt. Diese Brunnenbilder sind zugleich Markierungen im Erzählfluss: Sie treten in Momenten auf, in denen der Text innezuhalten scheint, in denen sich eine Szene ausdehnt, ohne voranzuschreiten, und damit den Lesenden ein Verweilen ermöglicht. Die vertikale Bewegung der Wasserstrahlen kontrastiert mit der horizontalen Bewegung der Reisen und Begegnungen – eine Achsenverschiebung, die auch die Erzählbewegung selbst moduliert.

Besonders aufschlussreich für das poetische Selbstverständnis Simons ist die Beschreibung, wie der Wind das Wasser eines kleinen ruisseau gegen seine Fließrichtung zurückdrängt. Diese „regressive Bewegung“ hat im Text eine doppelte Bedeutung. Zum einen ist sie eine präzise Naturbeobachtung, zum anderen eine Metapher für das, was das Schreiben bei Simon leistet: gegen den linearen Strom der Zeit und der Biographie zurückzugehen, sich gegen das Vergessen zu stemmen, zur Quelle zurückzukehren, um das Vergangene neu zu durchdringen. In diesem Sinn ist Wasser bei Simon nicht nur ein Sinnbild für das Fortströmen, sondern auch für das Widerstreben, für die bewusste Umkehr gegen den Fluss, die notwendig ist, um Erinnerungen zu bergen. Das Zurückdrängen des Wassers ist ein poetisches Bild für den Eingriff des Erzählens in die natürliche Chronologie: Der Text bewegt sich rückwärts, sucht Ursprünge auf, ohne dabei die Strömung ganz zu unterbrechen.

Neben diesen Bewegungsqualitäten – der horizontalen Strömung der Flüsse und Meere, der vertikalen Bewegung der Fontänen, der regressiven Umkehr des ruisseau – hat Wasser in La corde raide eine klar umrissene thematische Funktion. Es ist zunächst ein bevorzugter Erinnerungsträger. Geräusche wie das Plätschern der Wellen, visuelle Eindrücke wie das Glitzern des Sonnenlichts auf der Wasseroberfläche oder das Grün des reflektierten Laubs im Fluss, ja sogar Geschmäcker wie der Salzgeschmack im Mund, dienen als Auslöser für komplexe Erinnerungsbewegungen. Diese Erinnerungen tauchen im Text nicht in chronologischer Ordnung auf, sondern gleichsam wie Gegenstände, die von einer Strömung an die Oberfläche getrieben werden – unvorhersehbar, aber mit einer inneren Notwendigkeit, die die Struktur der Montage bestimmt.

Darüber hinaus ist Wasser bei Simon durchweg mit einer Metaphorik der Vitalität aufgeladen. Calle-Gruber beschreibt in ihrem Kommentar, wie für Simon die Natur eine Kraft darstellt, die „toujours revenir à sa source régénérée“ kann. Wasser ist in diesem Zusammenhang das Element, das, gleichgültig gegenüber den Zerstörungen von Krieg und Tod, die Möglichkeit zur Erneuerung in sich trägt. Dieser Vitalismus ist nicht naiv; er besteht gerade darin, dass er die Vergänglichkeit und den Verlust kennt, ihnen aber eine Vorstellung von zyklischer Rückkehr entgegensetzt. Die Quelle ist bei Simon kein statischer Ursprung, sondern ein wiederkehrender Punkt in einem Kreislauf, in dem Rückkehr und Fortbewegung, Erinnerung und Gegenwart ineinander greifen.

In erotischer Hinsicht spielen die Wassermotive ebenfalls eine zentrale Rolle. Die Bade- und Strandpassagen verknüpfen Wasserbewegung mit Körperwahrnehmung auf eine Weise, die den gesamten Text sinnlich auflädt. Der Kontakt von Haut und Wasser, das Glitzern des Körpers im Sonnenlicht, das Gefühl, den Anderen im Wasser beinahe zu erreichen und doch nicht ganz – all dies verleiht den Wasserszenen eine Spannung, die aus dem Zusammenspiel von Nähe und Distanz lebt. Wasser ist hier Medium der Berührung und des Blicks, aber auch Barriere und Spiegel. In diesem Sinn ist es zugleich erotisch verbindend und erotisch trennend, was der Text nutzt, um die Ambivalenzen von Begehren und Erinnerung zu inszenieren.

Dass die Wassermotive schließlich auch ein Strukturmodell des Romans bilden, lässt sich aus der Textarchitektur ablesen. Die Sätze in La corde raide sind oft lang, mäandernd, voller Einschübe und Parenthesen. Sie treiben den Text voran, halten inne, kehren zurück, nehmen Fäden wieder auf, die zuvor fallengelassen wurden. Diese Schreibweise ähnelt dem Verhalten eines Flusses, der Stromschnellen hat, sich in Nebenarme teilt, in Wirbeln zurückläuft oder in breiten, ruhigen Abschnitten dahinfließt. Die lineare Handlung ist in diesem Modell zweitrangig; entscheidend ist der Strom der Bilder und Reflexionen, der wie ein Wasserlauf verschiedene Landschaften der Erinnerung verbindet. Die Übergänge zwischen den Szenen folgen nicht einer kausalen Logik, sondern einer Logik der Strömung: Assoziationen, Sinneseindrücke und Erinnerungsfetzen treiben den Text von einem Bild zum nächsten.

Innerhalb dieser Poetik des Fließens lassen sich symbolische Spannungen erkennen, die das Wasser in Simons Text auflädt. Eine erste ist die zwischen Fortschreiten und Rückkehr: Strömung steht für Bewegung in die Zukunft, Rückströmung für den Widerstand des Erinnerns. Eine zweite ist die zwischen Fließen und Stillstand: Bewegtes Wasser kontrastiert mit den Momenten der Erstarrung – etwa dem Tod, dem Verlust, der im Text oft durch tableauhafte, fast zeitlose Beschreibungen markiert wird. Eine dritte ist die zwischen Klarheit und Undurchsichtigkeit: Wasser kann spiegeln, kann Sicht auf Tieferliegendes gewähren, aber auch trüben und verdecken. Diese Ambivalenzen machen das Wasser zum idealen Bildträger für Simons Erinnerungsprosa, die immer zwischen Offenlegung und Verbergen oszilliert.

Im Ganzen betrachtet, erfüllt das Wasser in La corde raide eine doppelte Funktion: Es ist thematisch eingebettet als zentrales Motiv, das Begegnungen, Naturerfahrungen, Reisen und Erinnerungen verbindet, und es ist formal wirksam als Modell für die Textstruktur. Die Poetik der Strömung, die sich daraus ergibt, erlaubt es Simon, das lineare Erzählen zu unterlaufen und stattdessen einen Fluss von Bildern und Empfindungen zu erzeugen, der die Komplexität der Erinnerung besser abbildet als jede chronologische Ordnung. Wasser ist bei ihm Lebensmetapher, Erinnerungsvehikel, erotisches Medium und poetologisches Prinzip zugleich. Es steht für den ständigen Austausch zwischen Vergangenheit und Gegenwart, für die Bewegung, die immer wieder zur Quelle zurückfindet, und für das Beharren auf einer Vitalität, die selbst durch die Erfahrung von Tod, Krieg und Verlust nicht ausgelöscht wird.

Indem Simon das Wasser in so vielfältiger Weise ins Spiel bringt, gelingt ihm eine Verbindung von Sinnlichkeit und Reflexion, die bereits in La corde raide vorwegnimmt, was seine spätere, komplex verschachtelte Prosa auszeichnen wird. Die Wassermotive sind hier nicht bloß ornamentale Details, sondern das tragende Medium, in dem sich Erinnerung, Wahrnehmung und Sprache begegnen – wie Strömungen, die sich mischen, trennen und wieder zueinanderfinden, ohne jemals zur Ruhe zu kommen. In dieser unabschließbaren Bewegung liegt der poetische Kern des Romans.

Bäume

Ein besonders prägnanter Ausgangspunkt ist die Verschmelzung des Menschen mit dem Baum. Der Erzähler beschreibt in La corde raide, wie er sich in einem Zustand der Auflösung befindet:

En m’appliquant encore, je parviens à n’être plus que cet ensemble de murs, de silhouettes, de feuillages, se chevauchant, ondulant à la cadence de mon pas, se défaisant lentement à l’intérieur de moi à mesure que j’avance et se recomposant au même moment.

Ich konzentriere mich weiter und schaffe es schließlich, nur noch diese Ansammlung von Mauern, Silhouetten und Blättern zu sein, die sich überlagern, im Rhythmus meiner Schritte wogen, sich in meinem Inneren langsam auflösen, während ich voranschreite, und sich im selben Moment wieder neu zusammensetzen.

Dies ist eine direkte Erfahrung der Auflösung des festen Selbst in die Umgebung, insbesondere in die natürliche Welt des Blattwerks („Feuillage“). Später wird diese Idee noch expliziter und intimer, wenn der Erzähler seine eigene Gestalt im Spiegel als „eine pflanzliche Gestalt, pflanzlich wie ein Baumstamm, ein Idiot, ein Zug“ wahrnimmt. Das Haar wird zu „Blattwerk“, die Haut zur „Rinde“, und er fragt sich, was sich unter dieser Rinde verbirgt, die „nicht ich“ ist. Diese Bilder gehen über bloße Metaphern hinaus; sie beschreiben eine existenzielle Transformation, in der das Individuum seine abgegrenzte Form verliert und sich in die unbestimmte, wachsende Materie der Natur einfügt. Diese Verschmelzung ist ein „Pakt mit dem gesichtslosen Universum“ und führt zu einem „tröstlichen und zarten Verzweiflung der Todes“. Die Grenzen zwischen dem Ich und der Welt verschwimmen, und der Erzähler erlaubt sich, von den Bäumen durchdrungen zu werden:

Les branches passent à travers moi, sortent par les oreilles, par ma bouche, par mes yeux, les dispensant de regarder et la sève coule en moi et se répand, m’emplit de mémoire, du souvenir des jours qui viennent, me submergeant de la paisible gratitude du sommeil.

Die Zweige gehen durch mich hindurch, kommen aus meinen Ohren, meinem Mund, meinen Augen heraus, befreien sie vom Sehen, und der Saft fließt in mich hinein und breitet sich aus, erfüllt mich mit Erinnerungen, mit der Erinnerung an die kommenden Tage und überflutet mich mit der friedlichen Dankbarkeit des Schlafes.

Hier ist die Metamorphose vollständig: Der Mensch wird zur lebendigen, atmenden Natur, die Erinnerung und Wissen nicht mehr durch intellektuelle Prozesse, sondern durch den Fluss des Saftes empfängt.

Weitere Beispiele dieser Menschwerdung der Natur oder der Entindividualisierung des Menschen in elementare Zustände finden sich im gesamten Text: die Stadt als Naturphänomen, der Mensch als Tier oder Objekt, als formlose Masse, die Auflösung des Individuums und der Sprache, schließlich der Tod als höchste Form der Auflösung:

Der Erzähler fühlt die Stadt als einen lebendigen Organismus:

Je peux sentir la ville. Elle a une odeur de bruit et d’agitation, immobile et mouvante, comme la mer. Elle ne dort jamais. Moi, je dors. C’est ainsi que je puis être le plus fort et que je peux me retrouver, moi, retrouver ma vie, je peux me retrouver, moi, retrouver ma vie, retrouver mes rêves et le rêve de mon passé qui n’existe pas autrement.

Ich kann die Stadt riechen. Sie riecht nach Lärm und Hektik, still und beweglich zugleich, wie das Meer. Sie schläft nie. Ich schlafe. So bin ich am stärksten und finde zu mir selbst, zu meinem Leben, zu meinen Träumen und zu den Träumen meiner Vergangenheit, die es sonst nicht gibt.

Die Stadt, eine menschliche Schöpfung, wird hier mit dem Meer verglichen, einem unbezwingbaren Naturphänomen, das niemals schläft. Der Erzähler identifiziert sich paradoxerweise mit diesem unbeweglichen und doch ständig bewegten, chaotischen Element, um zu sich selbst zu finden. Das Sich-Wiederfinden geschieht nicht durch Abgrenzung, sondern durch das Aufgehen in etwas Größerem, Amorphem.

Die Grenze zwischen Mensch, Tier und unbelebter Materie wird wiederholt verwischt. Der sterbende Onkel wird mit einem „Bulldoggen- oder Bernhardinerhund“ („chiens bouledogue ou Saint-Bernard“) verglichen, dessen Ausdruck eine „stumme Verzweiflung“ („détresse muette“) ist, die er nicht ausdrücken kann, weil sie nur ihm gehört. Diese tierische Metapher unterstreicht die Isolation und die grundlegende Unkommunizierbarkeit der letzten menschlichen Erfahrung. Soldaten auf Pferden werden zu „mechanischen Pferden, die auf der Stelle wanken, ohne voranzukommen“ („chevaux mécaniques, basculant sur place, sans avancer“), reduziert auf bloße Simulacra ihrer früheren Bewegung. Der tote Colonel wird zu einer „Puppe“ („mannequin“) und später zu einem „knöchernen Gerippe eines toten Ochsen“ („osseuse carcasse d’un bœuf mort“), was die Reduzierung des menschlichen Körpers auf reine Materie und Verwesung hervorhebt. Auch der Erzähler selbst empfindet seine hungernde innere Welt als „ein Tier, unersättlich, unermüdlich“ („une bête, inapaisable, inlassable“). Diese Vergleiche betonen die Entfremdung von einer idealisierten menschlichen Form und die Rückkehr zu einer grundlegenderen, materiellen Existenz.

Das Konzept des „Pflanzlichen“ erstreckt sich auf menschliche Gestalten, um deren Passivität, Zufälligkeit und Denk-Unfähigkeit hervorzuheben: „Pflanzlich ist alles, was zufällig in den Ebenen oder Steinmetropolen wächst, alles, was kommt und dann geht“ („Est végétal tout ce qui pousse au hasard dans les plaines ou les villes de pierres, tout ce qui vient et puis s’en va“). Dies steht im Gegensatz zu Dingen, die „denken“ („ça pense“), wie eine Stadt, ein Gemälde, ein Buch, ein Kieselstein, der Himmel oder das Wasser. Diese „vegetale“ Existenz ist ein Zustand des unbewussten Seins, der sich der rationalen Kontrolle entzieht und in der schieren Existenz sein Genügen findet. Die Menschen in den Kriegsgefangenenlagern werden als „hungriger Haufen“ („grouillement famélique“) oder „unendlich lange, konfuse Herde“ („flot soumis et interminable“) beschrieben, die die „Instinkte des Plünderns und der Vorsicht“ („instincts ancestraux de pillage et de prévoyance“) wiederentdecken, was sie ebenfalls auf eine grundlegendere, fast tierische Ebene reduziert. Die Menge der Menschen, denen man Brot zuwirft, wird zu einem „Busch von Händen“ („Un buisson de mains“), die sich „öffnen und wieder leer und begierig werden, sich zu füllen, unersättlich und enttäuscht“ („saisir et étreindre et se tendre à nouveau, de nouveau vides et avides de s’emplir, insatiables et déçues“). Hier wird die Menschheit als eine sich ständig bewegende, suchende, aber letztlich unbefriedigte Masse dargestellt, deren Individuen in einer kollektiven, fast vegetativen Existenz aufgehen.

Die Erfahrung der Auflösung ist nicht nur physisch, sondern auch mental. Die Erzählung selbst ist fragmentiert, ohne klare Linie, was die Auflösung des kohärenten Selbst widerspiegelt: „Ich bin nicht ich“ („je ne suis pas moi“) und „Ich bin andere“ („Je est d’autres“). Der Erzähler gibt zu, „nie länger als zehn Minuten derselbe“ zu sein („ne suis jamais le même pendant dix minutes à la file“), ja nicht einmal „für das Tausendstel einer Sekunde“ („pas le même pendant la durée d’un millième de seconde“). Diese ständige Transformation und das Fehlen einer festen Identität sind mit der Auflösung in die Natur verknüpft. Die Worte selbst verlieren ihre Fähigkeit, eine feste Realität zu fassen: „Worte, die nur Geräusche sind, nutzlose Versuche, trügerische Brücken, die zwischen unkommunizierbaren Universen geschlagen werden“ („tous les mots échangés ne fussent que des sons, d’inutiles tentatives, des ponts illusoires lancés entre des univers incommunicables“). Die Sprache wird zu einem „konventionellen Alphabet“ („alphabet conventionnel“), nur noch nützlich, „um sich an die Existenz seiner Mitmenschen zu erinnern“ („utilisable pour se rappeler à l’existence de ses semblables“).

Der Tod wird nicht als Ende, sondern als ultimative Verschmelgung mit der Materie und der Natur dargestellt. Das Ich wünscht, „selbst tot zu sein, sich mit einem Schlag von oben bis unten zu öffnen und die Bilder mich erfüllen zu lassen, selbst zu werden, sich in der ungenauen Luft aufzulösen. Keine Augen mehr, kein Gesicht mehr, keine Haut mehr“ („si je pouvais être mort moi aussi, m’ouvrant d’un seul coup du haut en bas, et laissant les images m’emplir, devenir moi-même, me diluant sans l’air imprécis. Plus d’yeux, plus de figure, plus de peau“). Dies ist die Sehnsucht nach einem Zustand, in dem die individuelle Form vollständig aufgegeben wird, um Teil des „ungenauen Universums“ („l’air imprécis“) zu werden. Der Tod ist ein „leerer Raum“ („un vide“), ein „trostspendendes und zärtliches Verzweiflung“ („le consolant et tendre désespoir de la mort“), in dem das Ich mit dem „gesichtslosen Universum“ („l’univers sans visages“) paktiert.

Diese konstante Themendurchdringung von Mensch und Natur in La corde raide ist nicht nur ein stilistisches Merkmal, sondern Ausdruck einer grundlegenden philosophischen Haltung. Simon lehnt die anthropozentrische Weltsicht ab, die den Menschen als getrennte, übergeordnete Entität betrachtet. Stattdessen präsentiert er eine Welt, in der alles ineinander übergeht, in der die Grenzen zwischen Lebendigem und Unbelebtem, Bewusstem und Unbewusstem, Individuellem und Kollektivem porös sind. Die menschliche Existenz wird als prekärer Balanceakt auf einem „straffen Seil“ dargestellt, bei dem der Fall, die Auflösung in das Formlose, nicht unbedingt ein Scheitern, sondern eine Rückkehr zu einem elementareren, vielleicht sogar tröstlichen Zustand darstellt. In diesem Zustand des „Nicht-Ich-Seins“ liegt eine Akzeptanz der Vergänglichkeit und der grundlegenden Einsamkeit des Menschen, die paradoxerweise zu einer Art innerer Ruhe und Dankbarkeit führen kann.

Der frühe Roman hinterfragt bereits die Möglichkeit, eine objektive Realität zu erfassen. Die Welt wird als „inkohärentes und zusammenhangloses Kauderwelsch“ („charabia incohérent et décousu“) beschrieben, ohne „Konsistenz“ („sans consistance“). Der „Nonsens“ („non-sens“) wird als eine Erfindung von Dichtern und Philosophen entlarvt, die sich selbst zerstört: „Der Unsinn ist immer noch eine Erfindung der Dichter und Philosophen. Ein Ersatzwert sozusagen. Das Absurde zerstört sich selbst“ („le non-sens est encore une invention des poètes et des philosophes. Une valeur de remplacement en quelque sorte. L’absurde se détruit lui-même“). Es gibt eine „künstliche Realität“ („réalité artificielle“), die die „andere, schwierige und geheime, scheinbare und doch unsichtbare“ (L’autre difficile et secrète, apparente et pourtant invisible“) ersetzt. Wahre Erkenntnis wird als „Verlust der Illusionen“ („la perte des illusions“) beschrieben, eine „substantielle Kenntnis, gleichzeitig entzaubert und geblendet“ („connaissance substantielle, dans le même moment désenchantée et éblouie“).

Auflösung

Der Text ist durchdrungen von einem starken semantischen Feld der Auflösung, Fragmentierung und des Verfalls. Diese Leitbegriffe spiegeln eine desillusionierte, oft pessimistische Sicht auf die Welt, die menschliche Existenz und die Sinnlosigkeit vieler Bestrebungen wider. Die Beschreibung des sterbenden Onkels ist ein prägnantes Beispiel für physischen Verfall. Sein Körper wird mit einer „monströsen Schwellung der Wangen und des Halses“ verglichen, er ist „mager jetzt und entsetzlich gebeugt, fast bucklig“. Sein Gesicht verzerrt sich vor Schmerz bei jedem Bissen, und sein „schwerer, deformierter Kopf“ trägt den Ausdruck stiller Not. Später wird sogar „etwas Sabber“, den er nicht mehr zurückhalten kann, erwähnt. Die menschliche Anatomie selbst wird als „eine Reihe alter, klappriger Utensilien“ beschrieben, wenn es um ein Skelett geht, mit „zwei Löchern für die Augenhöhlen“. Der Erzähler spricht von der „verrottenden und erdigen Geruch“ eines Friedhofs. Auch „leichenhafte Ausdünstungen“ (cadavérique relent) werden im Zusammenhang mit vergilbten Buchseiten erwähnt, die von vergangenen menschlichen Taten zeugen.

Die Auswirkungen von Krieg und Zerstörung sind ein weiteres zentrales Element dieses Feldes. Die Stadt Barcelona nach den Kämpfen wird als „unsauber“ beschrieben, mit Plätzen, „wo die Kadaver toter Pferde verrotteten“, und „Alleen, verschmutzt von Papieren und Abfällen wie nach einem Orkan“. Später werden die Überreste der Zerstörung detailliert beschrieben: „verkohlte Mauern“, „eingestürzte Häuser“ und „staubige Ruinen“, „verbrannte“ Dinge, deren „eigene Farben verschwunden“ sind und die nun „uniform von einem toten, rostfarbenen Grau“ bedeckt sind. Die „zerfetzte“ (déchiqueté) Leiche eines Ochsen und die „zerquetschte“ (écrasé) Flugzeugteile verstärken das Bild des physischen Zerfalls. Die „ausgebrannten Lastwagen“ und „Trümmer“ (débris) am Straßenrand ergänzen dieses Bild einer Landschaft, die von menschlicher Gewalt zerrissen wurde.

Selbst die Natur ist nicht immun gegen den Verfall: „die Rasenflächen waren von der Sommerdürre verbrannt“, ein „ausgetrockneter Fluss“. Die Jahreszeiten selbst scheinen sich in einem Prozess des kontinuierlichen Sich-Auflösens und Wieder-Konstituierens zu befinden: „Das Bild der Welt bildete sich und löste sich unter dem unaufhörlichen Vorüberziehen der Wolken, der Jahreszeiten auf, löste sich auf und bildete sich unaufhörlich neu“.

Die Einsamkeit („solitude“) ist ein wiederkehrendes Thema, das die tiefgreifende Isolation des Individuums betont, insbesondere im Angesicht des Todes. Menschen, die dem Tod nahe sind, lösen sich von ihren Lieben und versinken in sich selbst, was die Täuschung der Gemeinschaft entlarvt. Diese Einsamkeit ist für den Sterbenden „unzerbrechlich“. „Ekel“ (dégoût) ist eine prägende Emotion für den Erzähler, die er im Kontext des Krieges und der menschlichen Existenz empfindet. Die Verzweiflung („désespoir“) und die „scheue Verzweiflung“ werden als Zustände beschrieben, die nur unverantwortlich gestillt werden können, „Wut, Schmerz und Ekel, sich in der eigenen Nichtexistenz und dem eigenen Leid verbissend, ausweglos“. Es gibt ein „bitteren Geschmack von Unzufriedenheit und Unzulänglichkeit“. Der Verlust von Sinn und Kohärenz wird durch Begriffe wie inkohärent („incohérent“) und Unzulänglichkeit („inconsistance“) ausgedrückt. Die Welt wird als „absurd“ und ein „durcheinandergeratenes und wirres Kauderwelsch, ohne Konsistenz“ beschrieben, das „noch dünner als eine Lackschicht“ ist und „etwas Dunkles und Zähflüssiges ohne Boden“ bedeckt. Das Nichts („néant“) und die Leere („vide“) sind wiederkehrende Abgründe, in die man fallen kann, wie in Träumen, wo sich das Selbst auflöst in eine „heulende und frenetische Zersetzung“.

Ohnmacht („impuissance“) ist ein Gefühl, das den Erzähler angesichts des Unaufhaltsamen ergreift, sei es der Krieg oder der Abschied von einem geliebten Menschen. Die Erkenntnis, dass etwas unvollendbar („inachevable“) ist, „zu perfekt, um jemals vollendet werden zu können“, und letztlich vergeblich („vain“) und lächerlich („dérisoire“), kennzeichnet die Sinnlosigkeit vieler menschlicher Bestrebungen. Die Kunst Matisses wird als „Ohnmacht“ bezeichnet, da seine „Vereinfachung“ das Ergebnis seiner senilen oder vergreisten („gâteuse“) Malerei ist.

Der Erzähler selbst erlebt eine Auflösung seiner Identität: „Ich bin nicht ich“ („je ne suis pas moi“). Er sieht sich im Spiegel als „eine pflanzliche Figur, pflanzlich wie ein Baumstamm, ein Idiot, ein Zug“. Er ist „nicht derselbe für zehn Minuten am Stück“ oder gar eine „tausendstel Sekunde“, da er „nicht ich“ ist, sondern „Ich ist andere“ („Je est d’autres“) – andere Dinge, Gerüche, Klänge, Personen, Orte, Zeiten. Diese ständige Veränderung und Fragmentierung des Selbst macht das Festhalten an etablierten Ideen unmöglich. Die Hand, die „nichts von dem bewahrt, was sie ergriffen hat“, ist ein Symbol für die vergebliche Natur des Festhaltens an vergänglichen Realitäten.

Der Text erwähnt immer wieder Schmutz („saletés“), Dreck („immondices“) und Müll („ordure“). Die Beschreibung des Krieges als „dreckig und übel stinkend“ ist ein sensorischer Ausdruck des Verfalls. Das „ranzige Öl“ in den Hotels und die „Ammoniakgerüche“ im Lager tragen zur Atmosphäre der Unreinheit bei. Die „schmutzigen und nackten“ Kinder im Zigeunerlager oder die „gelben und schmutzigen Hände“ der Toten malen ein Bild des Elends.

Insgesamt zeichnet der Text ein Bild einer Welt, in der die Grenzen zwischen Dingen verschwimmen, Formen sich auflösen und die Realität sich als eine sich ständig neu zusammensetzende Ansammlung von Fragmenten erweist. Der Verfall ist nicht nur ein Ereignis, sondern ein permanenter Zustand, der das menschliche Dasein und die physische Welt durchdringt. Diese allgegenwärtige Thematik der Auflösung dient als Spiegel für die innere Verfassung des Erzählers und seine tiefe Skepsis gegenüber festen Strukturen, sei es in der Kunst, der Gesellschaft oder der menschlichen Identität.

Freiheit

Die Spannung zwischen individueller Freiheit und gesellschaftlichen Zwängen, Dogmen und Uniformen wird bei Simon beleuchtet. Das „Wählen“ führt zur Isolation, während die Anpassung an Uniformen und Regeln die Einsamkeit überwinden soll, indem man aufhört zu denken. Das Thema Freiheit durchzieht den gesamten Text als eine paradoxe Kraft, die in ständiger Spannung zu gesellschaftlichen Zwängen, Dogmen und der Versuchung der Konformität steht. Der Erzähler beleuchtet die Facetten der Freiheit auf individueller und kollektiver Ebene, wobei er ihre Schönheit, ihre Bürde und ihre Verflechtung mit Einsamkeit und Autonomie hervorhebt.

Ein zentraler Gedanke ist die Aussage: „Die Einsamkeit entspringt der Möglichkeit zu wählen“. Das Treffen von Entscheidungen, sei es auch nur die Wahl einer Krawatte, differenziert den Einzelnen und führt ihn unweigerlich in die Isolation. Umgekehrt wird das „einzige Mittel, nicht mehr allein zu sein“, als „nicht mehr zu denken“ und sich an „Uniformen“ anzupassen identifiziert. Diese Anpassung an äußere Formen und Regeln wird als ein Weg vorgeschlagen, die Last der Wahl und damit die Einsamkeit zu überwinden, allerdings um den Preis des Verlusts der individuellen Gedanken und Identität.

Die Freiheit wird als eine „unbändige Kraft“ (irréfrénable, irréfrénée) beschrieben, die den Menschen zur „schwierigen Unabhängigkeit, unstillbar und von vielen – aber was tun? – gehasst“ verurteilt. Diese Freiheit ist keine äußere Errungenschaft, sondern ein „unveräußerliches Aufbegehren anarchischer Kräfte“ (soulèvement imprescriptible des anarchiques puissances), die dem „Herzschlag“ und dem „Atem“ innewohnen. Sie befreit den Menschen „trotz ihrer selbst, trotz der zufälligen oder berufenen Herren, von willkürlichen Verboten“. Dies ist eine tiefe, existenzielle Freiheit, die sich äußeren Regeln entzieht.

Dogmen, Religionen und politische Ideologien werden ähnlich wie im Existenzialismus als Versuche der Gesellschaft dargestellt, diese individuelle Freiheit zu unterdrücken oder zu kanalisieren. Der Erzähler lehnt es ab, sich einer „politischen Bruderschaft“ anzuschließen und bekundet seine Skepsis gegenüber „fest etablierten Ideen“. Uniformen symbolisieren diese aufgezwungene Konformität, die die individuelle Einzigartigkeit auslöscht, wie bei den Soldaten im Lager. Die „gelehrte Logik“ von Soziologen und Ästhetikern, die alles erklären wollen, steht im Gegensatz zur Komplexität des menschlichen Seins, das sich nicht in Handbücher pressen lässt.

Der Krieg wird paradoxerweise als ein Ort beschrieben, an dem eine „legale Illegalität“ herrscht und alles in einem „ungewöhnlichen und spektralen Licht“ erscheint. Er bietet eine „Art Rausch“, eine „Erleichterung“ und eine „Illusion von Freiheit“, die aus „Ekel und dem Gefühl der Verantwortungslosigkeit“ entsteht. In diesem Chaos wird etwas „Großartiges, ein Geheimnis“, jenseits menschlicher Maße und menschlichen Willens erfahrbar. Die Anarchisten in Barcelona sind ein Schlüsselbeispiel für die Suche nach Freiheit. Sie versuchen, eine „unversöhnliche, erstickende Ordnung“ zu sprengen und suchen in ihrem Handeln „Verzweiflung als Versuch der Befreiung“. Ihre Aktionen sind ein Aufbegehren gegen „gewöhnliche Kriterien“ und ein Versuch, die „Grenzen der unerträglichen Alltagslebens“ zu überschreiten, auch wenn dies zum Tod führt. Der Erzähler ist sich bewusst, dass dies in praktischer Hinsicht „nicht viel Gutes“ bewirkte und oft im sinnlosen Sterben endete. Doch für die Handelnden selbst konnte es einen Sinn haben, als „verzweifelter Versuch der Befreiung“.

Im Gegensatz dazu stehen die deutschen Soldaten, die der Erzähler als „bewusst hilflos angesichts der Freiheit“ („impuissance consciente des Allemands en présence de la liberté“) beschreibt. Sie wählen die Uniform und den Krieg als einen „Traum“, um ein Gefühl von Würde zu finden, einen Ausdruck „furchtsamer Verzweiflung“, die nur „verantwortungslos gestillt werden kann“. Dies zeigt, wie die Ablehnung der wahren Freiheit zur Selbstunterwerfung führt.

Selbst in der extremen Umgebung des Gefangenenlagers, das von zahllosen Regeln und Verboten bestimmt wird, manifestiert sich eine Form der Freiheit. Trotz „strenger Verbote“ von Geld, Zivilkleidung oder Flucht, war jeder „gewaltig frei“, all dies zu tun: zu kaufen, zu verkaufen, zu fliehen oder im Gegenteil zu „jammern, vor Hunger zu sterben und sich zu unterwerfen“. Dies ist ein „unwiderstehliches und spontanes Aufwallen“ („bouillonnement des invariables afflux“), eine „freie, anarchische und doch perfekt konstruierte Welt“, in der sich „Wachposten, Barrieren, Vorschriften“ als bloße „äußerliche“ und unwirksame Erscheinungen erweisen. Die „Gesetze und Verfassungen“ sind nur dazu da, „die Zeitungsseiten zu schwärzen“ und eine „lächerliche und unüberzeugende Konzession“ an das Bedürfnis nach Ordnung.

Der Erzähler selbst verkörpert eine Form dieser Freiheit. Er identifiziert sich nicht als Kommunist, sagt scherzhaft, das hänge vom Wetter ab. Er gehört keiner „politischen Bruderschaft“ an und meidet viele gesellschaftliche Beschäftigungen nicht aus Tugend, sondern weil er darin keine Erfüllung findet. Er betont, dass er sich „nicht der gleiche für zehn Minuten am Stück“ fühlt, was seine Abneigung gegen jede feste, konsequente Identität oder Doktrin unterstreicht. Er kann keine „fest etablierten Ideen“ haben inmitten der „Geräusche und Farben, die ein- und ausgehen“. Seine Erzählweise, die Sprünge macht und sich weigert, Charaktere zu „verfolgen“ oder eine „logische Schlussfolgerung“ zu ziehen, spiegelt seine eigene ungebändigte Freiheit und Ungebundenheit wider.

Die Metapher des „Drahtseils“, auf dem man balanciert, um zu leben, ist ein starkes Bild für die prekäre Natur der Freiheit. Es gibt keine „Balance-Stange oder Sonnenschirm“, und die Weigerung, „abzudanken“ oder sich den „Gesetzen des Gleichgewichts“ zu unterwerfen, führt dazu, als „nicht ernst zu nehmen“ angesehen zu werden. Dies ist die schwierige, ungesicherte und unkonventionelle Art zu leben, die der Erzähler bevorzugt. So ist Freiheit im Text keine einfache Befreiung, sondern eine fundamentale, oft schmerzhafte existenzielle Bedingung. Sie ist eine Kraft, die der Mensch in sich trägt und die ihn zwingt, eine „schwierige Unabhängigkeit“ zu leben, oft in Einsamkeit und außerhalb der gesellschaftlichen Normen. Der Kampf gegen Konformität, Dogmen und Uniformen ist der Preis für diese Autonomie, die jedoch als die einzige wahre Form der Existenz dargestellt wird.

Existieren und Bedeuten

Hätte Claude Simon als junger Schriftsteller heute Erfolg? Wie ist die Position von Simons Poetik im gegenwärtigen literarischen Feld? Im Jahr 2017 schickten zwei Schriftsteller, von denen einer davon überzeugt war, dass „kein Verlag heute bereit wäre, Claude Simon zu veröffentlichen“, rund fünfzig Seiten des Romans Le Palace an neunzehn französische Verlage. Sieben antworteten nicht, die anderen zwölf lehnten das Manuskript ab, wobei einer von ihnen folgende Antwort schickte: „Die Geschichte erlaubt nicht die Entwicklung einer echten Handlung mit gut gezeichneten Charakteren.“ 9 Was sagt das über die Distanz zwischen Simons Büchern und der Rentrée littéraire 2025?

La corde raide (1947) kann als Vorbereitung für Claude Simons spätere Poetik gelesen werden, in dem er Verfahren wie Montage, Fragmentierung und die Auflösung linearer Chronologie erprobt. Der Text ist weniger ein traditioneller Roman als eine autobiographische Meditation und ein Repertoire zentraler Themen, die in seinen reifen Werken wiederkehren. Erinnerungen, Reflexionen und Sinneseindrücke werden mosaikartig angeordnet, ohne logische oder chronologische Ordnung, um das „Magma von Emotionen“ und die chaotische Realität des Erlebten einzufangen. Simons Schreiben privilegiert Sinneswahrnehmung vor narrativer Handlung, erfasst die Welt über Farben, Geräusche, physiologische Erfahrungen und die organische Verbindung von Körper- und Naturerfahrung. Krieg, Verlust und Naturerleben verschmelzen zu einem Erfahrungsraum, in dem individuelle Empfindung Vorrang vor kollektiver Erzählung hat.

Zugleich ist der Text eine Reflexion über Kunst, Darstellung und die Macht der Zeichen. Simon, ausgebildeter Maler, überträgt Techniken wie Komposition, Farbe und Montage in seine Prosa und sucht ein „Wahrsprechen“ jenseits bloßer Zeugenschaft. Realität entsteht für ihn erst im Akt des Schreibens, das Erlebte wird in der Gegenwart des Textes wiederbelebt und geformt. Die titelgebende „corde raide“ steht für den schmalen Grat zwischen chaotischem Erleben und künstlerischer Formgebung, zwischen Vitalität und Todesbewusstsein. Die farbgesättigte, rhythmische Sprache wird selbst zum Drahtseil – fragil und doch tragfähig –, das den Autor über den Abgrund führt, ohne den Kontakt zu den Elementen des Erlebten zu verlieren. So fungiert La corde raide als Selbstzeugnis und poetologisches Manifest, das Simons lebenslange Suche nach einer adäquaten Form für das Unübersetzbare einleitet.

In der Rezeption von Claude Simons Werk wird La corde raide häufig als ein frühes, „noch nicht ausgereiftes“ Buch gelesen, das zwischen dem konventionell gebauten Debüt Le tricheur (1945) und den komplexen Kompositionen der sogenannten Hauptwerke (La Route des Flandres, Histoire, Les Géorgiques) eine Zwischenstation bilde. Eine solche Lesart greift jedoch zu kurz. Betrachtet man den Text genau, erweist er sich nicht als bloße Übergangsphase, sondern als ein Laboratorium, in dem Simon – teils intuitiv, teils bewusst – zentrale Verfahren seiner späteren Poetik erstmals systematisch erprobt. In ihm sind die entscheidenden Bewegungen, die sein gesamtes Schreiben prägen werden, bereits angelegt. Der Text verbindet eine radikale formale Experimentierfreude mit einer thematischen Dichte, die auf das spätere Werk vorausweist, und er tut dies unter dem Deckmantel einer autobiographisch gefärbten „Meditation“, die weder klassische Erzählung noch bloßer Essay ist.

In La corde raide zeigt sich, dass Simon schon früh bereit war, sich von den konventionellen Erwartungen an einen Roman zu lösen. Er nutzt die Möglichkeiten der literarischen Form, um eine Erfahrung von Zeit, Wahrnehmung und Erinnerung zu vermitteln, die mit linearen Erzählweisen nicht zu fassen ist. Das Buch ist kein „unreifes“ Werk, das nur im Licht der späteren Meisterwerke Bedeutung hätte, sondern ein Manifest der eigenen ästhetischen Position – noch ohne das theoretische Vokabular, aber bereits mit der Konsequenz in der praktischen Umsetzung. Die Verfahren, die hier zum ersten Mal in einer solchen Dichte zusammenkommen, werden in den folgenden Jahrzehnten nicht grundlegend verändert, sondern in immer neuen Konstellationen variiert und intensiviert. Insofern ist La corde raide weniger ein Schritt auf dem Weg zu etwas anderem als der Ort, an dem dieser Weg – in seiner Richtung, seinen Risiken, seinen Möglichkeiten – erstmals sichtbar wird.

Claude Simon (1913–2005), Porträt ca. 1932 / © Roland Allard, Editions de Minuit

La corde raide 1947 und Literaturnobelpreis 1985

Claude Simons 1947 erschienener Roman La corde raide lässt sich als frühe und prägnante Verkörperung von literaturtheoretischen Thesen verstehen, die der Autor 1985 in seiner Nobelpreisrede formulierte. Eine zentrale Aussage der Rede ist die radikale Ablehnung des traditionellen Romans des 19. Jahrhunderts, den Simon als „definitiv tot“ („définitivement mort“) bezeichnet. Er kritisiert dessen didaktischen Anspruch, die Betonung linearer Kausalität und die Reduktion von Figuren auf bloße Typen zur Illustration einer These. Stattdessen betont Simon das Machen („faire“) gegenüber dem Sagen („dire“) in der Kunst. Bedeutung entsteht demnach nicht durch die Übermittlung einer vorgefassten Botschaft, sondern im Akt des Schreibens selbst, als eine „Symbiose“ aus dem inneren „Magma“ von Emotionen, Erinnerungen und Bildern und der Sprache, in der diese kristallisieren. Er lehnt die Vorstellung von „Inspiration“ zugunsten einer mühsamen Arbeit („laborieux“) ab, die über bloße Reproduktion hinausgeht.

Weiterhin zentral in Simons Nobelpreisrede ist die Ablehnung einer vordergründigen „Bedeutung“ oder moralischen Botschaft. Simon gibt an, in seinen Lebenserfahrungen „keinen Sinn“ („aucun sens à tout cela“) entdeckt zu haben, „außer dass die Welt existiert, aber nichts bedeutet“ („si le monde signifie quelque chose, c’est qu’il ne signifie rien — sauf qu’il est.“). Die Glaubwürdigkeit eines Textes leitet sich für ihn nicht aus externer Kausalität ab, sondern aus der „Relevanz der Beziehungen zwischen seinen Elementen“ („pertinence des rapports entre ses éléments“). Kunst, so Simon, soll „nicht mehr ausdrücken, sondern entdecken“ („non plus exprimer mais découvrir“) und „eine gewisse Harmonie“ („une certaine harmonie“) widerspiegeln, ähnlich wie in der Musik. Diese „Entdeckung“ erfolgt durch eine subjektive, fragmentierte Wahrnehmung und Erinnerung, die sich in „abgelösten Bildern“ („tableaux détachés“) und „Kombinationen“ („combinaisons“) äußert, weit entfernt von einem „unparteiischen Spiegel“ („miroir impartial“) der Realität. Die menschliche Existenz selbst wird als prekär beschrieben, vergleichbar mit einem Voranschreiten auf „Treibsand“ („sables mouvants“).

Bereits La corde raide kann als eine Art „autobiographische Meditation ohne Intrige“ („méditation autobiographique dépourvue d’intrigue“) und „Repertoire von Themen“ („répertoire de thèmes“) beschrieben werden, was Simons spätere Entwicklung antizipiert. Dies steht im Einklang mit seiner Kritik am linearen, zielgerichteten Erzählen. Der Erzähler selbst bemerkt im Roman, dass „das Publikum so etwas nicht mag“ („le public n’aime pas ça“), wenn eine Geschichte „ohne Anfang oder Ende“ („sans commencement ni fin“) ist, was Simons spätere Aussage, seine Romane hätten „weder Anfang noch Ende“, vorwegnimmt. Der Roman bietet keine eindeutigen moralischen Lehren oder vordefinierten Bedeutungen; der Erzähler stellt fest, er suche zu verstehen, „ob all dies einen Sinn hatte und warum sich die Dinge so ereigneten“ („je cherche à comprendre si tout cela avait un sens et pourquoi ces choses se passaient ainsi“), und kommt zu dem Schluss, dass es in der Liebe „keine Garantie“ („aucune garantie“) gibt. Vielmehr wird die Welt in ihrer Rohheit und Komplexität gezeigt, wie in der detaillierten, sensorischen Beschreibung des ranzigen Öls in der Hotelküche („l’odeur d’huile rance“) oder der Geräusche im Zug („bruit régulier des roues aux cassures des rails“). Die Ablehnung eines vorgefertigten „Sinnes“ zeigt sich auch in der Darstellung von Ereignissen, die „jenseits jeder menschlichen Vorstellung, jeder menschlichen Gewalt“ („au-delà de toute humaine mesure, échappant à toute humaine volonté“) liegen. Die ästhetische Praxis des „Machens“ wird durch die dichte Beschreibung von Sinneseindrücken – das „Spiegeln“ der Blätter („miroitant“), der Geschmack von Salz („goût du sel sur mes lèvres“), das Geräusch von Kugeln („écoutant les balles qui passaient“), das Zittern der Bäume („les arbres palpiter“) – deutlich, die nicht darauf abzielt, eine äußere „Realität“ abzubilden, sondern die inneren Eindrücke und deren harmonische oder dissonante „Kombinationen“ zu schaffen. Dies ist eine frühe literarische Umsetzung des in der Rede betonten Übergangs vom „Ausdrücken“ zum „Entdecken“.

Das „Drahtseil“ ist eine zentrale Metapher für Simons Philosophie, die er in seiner Rede weiterentwickelt. Es symbolisiert das prekäre Gleichgewicht des Lebens, in dem man „jeden Schritt zu fallen droht“ („manquant de vous casser la gueule à chaque pas“) und „unfehlbare Dogmen“ („dogmes infaillibles“) fehlen. Die Aussage „wir bewegen uns immer auf Treibsand“ („nous avançons toujours sur des sables mouvants“) aus der Nobelpreis-Rede findet hier ihre bildliche Entsprechung in der existenziellen Unsicherheit des Gehens auf dem Drahtseil. Die subjektive und fragmentierte Erinnerung des Erzählers, die sich in ständig wiederkehrenden Phrasen wie „Ich erinnere mich“ („Je me rappelle“) manifestiert, illustriert Simons These, dass das Schreiben nicht die äußere Realität objektiv widerspiegelt, sondern die Eindrücke und das innere „Magma“ des Autors. Der Erzähler reflektiert über die Unmöglichkeit, die Vergangenheit vollständig zu fassen: „Ich verliere mich nicht mehr darin, ich erkenne die Figuren nicht mehr, und ich habe all die Fäden, die ich so geduldig zu entwirren, zu klassifizieren, zu nummerieren begonnen hatte, wieder verloren, und ich finde mich wieder so, wie alles begann“ („je ne m’y reconnais plus, je ne reconnais plus les figures, et j’ai de nouveau égaré tous ces bouts de fils que j’avais si patiemment commencé à débrouiller, à classer, à numéroter, et je me retrouve de nouveau comme lorsque toute cette histoire a commencé“). Die im Roman geäußerte Kritik am „Truquage“ in der Malerei, die eine „ideale“ oder „künstliche“ Vision der Welt präsentiert, korrespondiert in der Nobelpreisrede mit der Ablehnung von Kunst, die lediglich reproduzieren will. Simons Bewunderung für Cézanne, der die „unverhüllte Wahrheit“ jenseits idealisierter Darstellungen zu erfassen suchte, antizipiert die Forderung nach einer Kunst, die nicht nur ausdrückt. So ist La corde raide ein literarisches Experiment, das vier Jahrzehnte vor der Nobelpreisrede einige dort dargelegte theoretische Positionen vorwegnimmt und in seiner Form selbst die Abkehr vom Konventionellen verkörpert, die Suche nach einer neuen, tieferen Art der literarischen Auseinandersetzung mit der menschlichen Existenz.

Anmerkungen
  1. « Avant Gulliver, j’avais publié La corde raide, pas un roman, un livre de souvenirs que je n’aime plus beaucoup aujourd’hui. Il a un ton trop affirmé qui m’agace. J’étais encore jeune alors : vingt-huit ans. Je cherchais sans doute à me rassurer. Maurice Merleau-Ponty défendait La Corde raide en disant qu’il contenait déjà tout ce qui devait venir par la suite. » Le Monde, 26 avril 1967.>>>
  2. „Claude Simon est encore peintre – il abandonne au début des années 50 -, quand il écrit le tricheur. On y pense devant certaines phrases : «Les bras rose vif des lavandières, leurs manches bleues retroussées jusqu’au coude.»La corde raide, qui rencontre peu d’écho à sa sortie en 1947, contrairement au tricheur, est un essai sur l’art (Cézanne, Renoir), sur la représentation, autant qu’un récit romanesque. Le narrateur, assez bavard et hâbleur, est obsédé tantôt par ce qu’il voit, tantôt par sa condition : «Je suis un homme. Je suis un homme qui essaie de vivre, je suis tout à cette difficulté de vivre […]». Outre l’évocation de la guerre d’Espagne, Barcelone en 1936 qui reviendra dans les romans ultérieurs, la Corde raide est hanté par la confrontation avec la mort – «ces moments où votre propre mort est commencée»-, expérience que Claude Simon rappellera en 1985 dans son discours à Stockholm. La mobilisation, la guerre, le camp de prisonniers figurent déjà dans ce livre.“ Claire Devarrieux, «Le tricheur» et «la corde raide» de Claude Simon : album de genèse, Libération, 9. Mai 2025.>>>
  3. Laut seiner Homepage der University of Stirling lud Claude Simon ihn 2002 bereits ein, die Herausgabe zu betreuen: „In 2002 I was invited by the Nobel prize-winning French novelist Claude Simon to edit his collected works in the prestigious Bibliothèque de la Pléiade.“>>>
  4. Band I, Bibliothèque de la Pléiade 522 von 2006 enthält: „Le Vent. Tentative de restitution d’un retable baroque – La Route des Flandres – Le Palace – La Chevelure de Bérénice [Femmes] – La Bataille de Pharsale – Triptyque – Discours de Stockholm – Le Jardin des Plantes. Appendices : Deux écrits de Claude Simon sur le roman – Textes, plans et schémas de Claude Simon, relatifs à ses romans.“ Band II, Bibliothèque de la Pléiade 586 von 2013 enthält: „L’Herbe – Histoire – Les Corps conducteurs – Leçon de choses – Les Géorgiques – L’Invitation – L’Acacia – Le Tramway. Textes non publiés en volume du vivant de l’auteur : Archipel – Nord. Appendices : Textes, plans et schémas de Claude Simon, relatifs à ses romans.“>>>
  5. Dominique Viart, „Sartre-Simon : de la ‘littérature engagée’ aux ‘fictions critiques’.“ Cahiers Claude Simon 3 (2007): 105-26. DOI: 10.4000/ccs.572.>>>
  6. Irene Albers, Claude Simon moments photographiques (Villeneuve d’Ascq: Presses universitaires du Septentrion, 2007), https://doi.org/10.4000/books.septentrion.14258.>>>
  7. Alastair B. Duncan, « À propos de La Corde raide », in Claude Simon : analyse, théorie, Colloque de Cerisy, hrsg. von Jean Ricardou (Paris: UGE 10/18, 1975), 364-8.>>>
  8. Jean Duffy, „Claude Simon, Merleau-Ponty and Perception.“ French Studies 46, 1 (1992): 33-46. DOI: 10.1093/fs/XLVI.1.33.>>>
  9. Vgl. den französischen Wikipedia-Eintrag zu Claude Simon, https://fr.m.wikipedia.org/wiki/Claude_Simon.>>>

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