Tyrannei der Imagination: Julien de Kerviler

Bagdad als Babel

Les Tyrans sont éternels (2003) von Julien de Kerviler erzählt die anglo-amerikanische Invasion Bagdads im Frühjahr 2003 aus der ungewöhnlichen Perspektive der Favoritin Saddam Husseins. Der Roman sprengt konventionelle Erzählschemata und verwebt Realität, Fiktion und Paranoia zu einem Teppich, in dem auch die Grenzen zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft verschwimmen. Es wird enthüllt, dass Saddam Hussein einen gigantischen, geheimen Bunker unter Bagdad bauen ließ, um sein Überleben und das seiner engsten Vertrauten zu sichern. Dort, in einem Zustand künstlicher Konservierung, inszeniert er weiterhin seine Macht und plant eine zukünftige Rückkehr und Rache an den Invasoren, wobei er Doppelgänger („sosies“) und manipulierte Realitäten einsetzt, um seine Täuschung aufrechtzuerhalten. Der Roman selbst könnte Teil einer größeren Täuschung ist, die dazu dient, Feinde zu „überlisten“ oder „zu blenden“. Die „aberrante Induktion“, dass der Plan des Bunkers auf einem sehr alten, unwiderlegbar vollendeten Ereignis basiert, soll Verunsicherung stiften, auch wenn sie offensichtlich erscheint.

Zu den Strategien des Romans, um die ewige Natur der Tyrannei zu beleuchten, zählen das Untergraben der Grenzen zwischen Fiktion und Realität und Metafiktion, die Themen des Doppelgängers, der mimetischen Wiederholung und der zyklischen Geschichte, dann die Frage, wie der weibliche Körper zum Schauplatz und Medium von Macht, Subjugation und subversiver Erzählung wird. Der Roman ist stark geprägt von Intertextualität: Am Ende des Auszugs wird eine lange Liste von Autoren und Werken genannt, die „wiederaufgenommen“ wurden, darunter historische Figuren wie Saddam Husayn und George W. Bush, aber auch französische Autoren von Gérard de Nerval bis Olivier Cadiot. 1

Der Roman lässt sich auch als eine Mythographie Mesopotamiens verstehen, da er die Geschichte und die Konflikte der Region nicht nur darstellt, sondern aktiv mit ihren tief verwurzelten Mythen und historischen Zyklen verknüpft und neu interpretiert. Der Roman greift explizit auf den biblischen Mythos vom Turmbau zu Babel zurück (Genesis 11, 6-9), indem er die Frage stellt, ob man Bagdad bombardieren kann, ohne Babel zu erwecken. Diese Referenz deutet an, dass die gegenwärtigen Ereignisse in Bagdad als eine Wiederholung oder Reaktivierung eines uralten Konflikts und einer ursprünglichen Sprachverwirrung verstanden werden können, die sowohl als „ursprüngliche politische Kastration der Menschheit“ als auch als „befreiende felix culpa“ interpretiert wird, welche die Vielfalt der Kulturen feiert. Durch die Darstellung von Saddam Hussein als Figur, die in der Tradition mesopotamischer Herrscher wie Nebukadnezzar und Saladin steht und deren Handlungen dem „ewigen Wiederkehren des Gleichen“ unterliegen, verschmelzen historische Persönlichkeiten mit mythischen Archetypen. Zudem untergräbt der Text die lineare Geschichtsschreibung, indem er Realität und Fiktion, Wahrheit und Täuschung (etwa durch die vielen Doppelgänger und gefälschten Schätze) ununterscheidbar macht und die Idee vertritt, dass Sprache die Welt erschafft. Die wiederholte Zerstörung und der Wiederaufbau von Städten in Mesopotamien finden ihre Entsprechung in der zyklischen Struktur des Romans, wodurch die gesamte Erzählung zu einem aktiven Prozess der Mythenbildung wird, der die Vergangenheit in der Gegenwart fortschreibt und aktualisiert.

Demontierung der 2002 aufgestellten Saddam Hussein-Statue. Baghdad, 2003. Wikipedia.

Saddam Hussein inszeniert eine umfangreiche Fantasmagorie, die gefälschte Schätze, fingierte Ereignisse und die Konstruktion eines angeblichen Bunkers unter Bagdad umfasst, um seine Gegner zu täuschen und seine Pläne zu verbergen. Seine „gewaltigen Projekte“ werden als von „fernen Rändern“ diktiert beschrieben, und er besitzt eine prophetische Vision seiner eigenen Geschichte und der Zukunft der Welt, die er durch seine Handlungen zu formen versucht. Darüber hinaus offenbart sich Saddam Husseins Charakter als grausam und autoritär, indem er beispielsweise Ingenieure hinrichten lässt, die an seinem Bunkerbau beteiligt waren, und seine Anhänger unter strengster Kontrolle hält. Sein Narzissmus zeigt sich in seiner Vorliebe, Romane über sich selbst zu lesen und sich in Monitoren selbst zu betrachten.

Irak: Sehnsucht nach Diktator-Zeiten? ZDF Auslandsjournal, 2023.

Saddam Husseins Absicht, in einem Bunker zu verschwinden und später „wieder aufzutauchen“, um die Zivilisation zu zerstören, hebt seine Bestrebung hervor, über das Sterbliche hinauszugehen und eine posthume Dominanz zu sichern. Die Romane betonen die Fluidität der Realität in seiner Welt, in der „alles und sein Gegenteil“ existieren und die Wahrheit ständig neu verhandelt wird. Saddam Husseins Figur ist untrennbar mit der Sprachphilosophie Kervilers verbunden, da seine Handlungen und Legenden durch die Sprache selbst geformt werden und er aktiv daran arbeitet, seine eigene Geschichte und die Wahrnehmung der Realität zu kontrollieren. Letztendlich symbolisiert Saddam Hussein in Kervilers Poetik die Unbeständigkeit der Macht, die Mehrdeutigkeit der Wahrheit und die ewige Neuschreibung der Geschichte, in der sich die alte Welt Mesopotamiens und ihre Mythen in der Gegenwart widerspiegeln und fortsetzen.

Der Körper der Favoritin/Erzählerin und ihre Handlungen werden zum Medium, durch das die Geschichte und die Geheimnisse des Tyrannen zum Ausdruck kommen. Sexuelle Akte werden zu „Prosa“ oder „Szenen“, die wiederholt und perfektioniert werden müssen, was eine tiefe Verbindung zwischen physischer Erfahrung und literarischer Kreation herstellt. Die Erzählung wechselt zwischen den unmittelbaren Erfahrungen der Favoritin im Bunker, ihren Erinnerungen und den durch Saddam Hussein diktierten Fiktionen, die als verschlungene Verschwörungsgeschichten die Vergangenheit umdeuten und die Zukunft vorwegnehmen. Dieser Prozess dient nicht nur der Täuschung der äußeren Welt, sondern auch der Indoktrination der im Bunker Gefangenen, die selbst Teil des großen Plans werden, indem sie als Doppelgänger fungieren oder physisch auf ihre zukünftige Rolle als Überlebende vorbereitet werden. Der Roman spielt mit der Idee der „ewigen Wiederkehr des Gleichen“ und der Macht der Erzählung, die Geschichte und Identität neu zu formen, wodurch die Figur des Tyrannen über seine physische Präsenz hinaus fortdauert und eine „koloniale“ Übernahme der Erde von innen vorbereitet.

Der Roman argumentiert (bereits im Romantitel), dass Tyrannen nicht endgültig besiegt werden, sondern ihre Macht und ihr Einfluss durch ausgeklügelte Pläne, Doppelgänger und die Manipulation von Realität und Geschichte überleben und sich sogar fortsetzen können. Die Geschichte suggeriert, dass die wahrgenommene Realität, insbesondere in Zeiten des Krieges und politischer Umbrüche, oft eine sorgfältig konstruierte Fiktion ist, die dazu dient, Massen zu täuschen und bestimmte politische Ziele zu erreichen. Sprache und die Schaffung von Erzählungen werden als ultimative Werkzeuge der Machtdemonstration dargestellt, die die Fähigkeit besitzen, die Welt zu formen, zu manipulieren und sogar zu zerstören.

Das Werk hinterfragt die Ambitionen der Aufklärung und der Moderne, indem es deren Scheitern durch Ereignisse wie Auschwitz und Hiroshima aufzeigt und gleichzeitig eine postmoderne Welt offenbart, in der Sinn und Authentizität schwer fassbar sind. Moderne Technologien, von der Genetik bis zu Überwachungssystemen, werden nicht als Fortschritt, sondern als Mittel zur Beherrschung, Täuschung und Erhaltung der Macht durch die Tyrannen dargestellt. Trotz globaler Vernetzung und internationalen Organisationen zeigt der Roman die Unfähigkeit der Weltgemeinschaft, echte Lösungen für Konflikte zu finden und politische Machtspiele zu durchschauen. Der Roman konstruiert eine Zukunft, in der die Menschheit die Erde ausgebeutet und verlassen hat, nur um festzustellen, dass die „Tyrannei“ des alten Regimes (Saddam Hussein und seine Getreuen) aus den unterirdischen Bunkern wieder auftaucht und Rache nimmt.

Les Tyrans sont éternels entzieht sich gängigen Genreeinordnungen. Der Verlag „L’ampoule“ positioniert das Buch im Vorwort als „Fortsetzung der Aufklärung durch andere, moderne Mittel“. Diese Formulierung ist programmatisch: Der Roman ist keine simple Erzählung, sondern ein intellektuelles und ästhetisches „Wahrnehmungsexperiment“, das die Grenzen von Realität, Fiktion, Geschichte und Identität bewusst verwischt. Im Zentrum steht die anglo-amerikanische Invasion Bagdads im Frühjahr 2003, die jedoch nicht als singuläres Ereignis, sondern als ein Glied in einer unendlichen Kette von Wiederholungen und Täuschungen präsentiert wird. Erzählt aus der fragmentierten und oft körperlich erfahrenen Perspektive einer Favoritin Saddam Husseins, die selbst ein Doppelgänger sein könnte, fordert der Text den Leser heraus, seine eigene Lesart der Welt zu hinterfragen. Der Titel verweist auf die zentrale These des Romans: Tyrannen sind nicht nur historische Figuren, sondern archetypische Kräfte, die sich über die Zeit hinweg manifestieren und die Geschichte in endlosen Zyklen prägen. Die „Aufklärung“, die hier stattfinden soll, ist keine im kantischen Sinne erhellende, rationale Erkenntnis, sondern eine desillusionierende Konfrontation mit der „Unzertrennlichkeit von Gut und Böse“ und der manipulativen Kraft der Narration selbst. Das Buch wird zum „spiegellosen Spiegel“, in dem der Leser sein eigenes, durch mediale und politische Erzählungen geformtes Verständnis der Welt reflektiert.

Vergleich mit Les mouvements de l’Armée rouge en 1945 (2025)

Der jüngste Roman Julien de Kervilers, Les mouvements de l’Armée rouge en 1945 in der neuen Reihe Aventures von Yannick Haenel bei Gallimard (2025), weist bemerkenswerte Parallelen zu Les Tyrans sont éternels auf, während er gleichzeitig neue Akzente setzt.

Julien de Kerviler, Les mouvements de l’Armée rouge en 1945, Gallimard, 2025.

Beide Romane sind metafiktional angelegt. In Les mouvements hinterfragt der Ich-Erzähler, ein junger französischer Professor, ständig die „Wahrheit“ seiner Erinnerungen und Erlebnisse, die als „fehlerhaft“, „annähernd“ und in „widersprüchlichen Beziehungen zur Realität“ stehend beschrieben werden. Dies spiegelt die systematische Untergrabung der Realität in Les Tyrans wider, wo Ereignisse und Personen durch Schichten der Simulation und des Doppelgängertums ungreifbar werden. Beide Texte zwingen den Leser, sich der Konstruiertheit der dargestellten Welt bewusst zu werden. – Beide Werke sind ein dichtes Geflecht literarischer und philosophischer Referenzen. Les Tyrans nennt eine umfangreiche Bibliografie, von antiken Chroniken bis zu modernen Theoretikern. Les mouvements zitiert direkt oder indirekt Autoren wie Borges, Sebald, Mo Yan, Shen Congwen und Arno Schmidt, deren Werke die erzählten Erlebnisse des Professors maßgeblich prägen und seine „Geschichte des Lesens“ darstellen. Die Texte sind selbstkritisch in Bezug auf die Art und Weise, wie Literatur Realität schafft und verarbeitet.

Das Motiv des Doppelgängers ist in Les Tyrans sehr explizit durch die „Sosies“ Saddam Husseins und seiner Entourage. In Les mouvements ist dieses Thema stärker internalisiert und psychologisch: Der Erzähler erkennt sich selbst in anderen Figuren wieder, erlebt das Verschwimmen von Gesichtern und Identitäten (z.B. Madame Chen, Louise, Laetitia). Die Diskussion um Masken und das Sammeln von Gesichtern in Les mouvements ist eine direkte Entsprechung zur Doppelgänger-Thematik in Les Tyrans. – Beide Erzähler sind in obsessiven Denkmustern und Wiederholungsschleifen gefangen. Die Favoritin in Les Tyrans muss Posen und Szenen immer wieder wiederholen, bis zur Absurdität. Der Professor in Les mouvements erlebt wiederkehrende Träume, Geräusche und Handlungen, die auf eine tiefe psychische Instabilität und eine Paranoia hindeuten.

Les Tyrans thematisiert die umfassende politische Macht von Regimen und Geheimgesellschaften. „Les mouvements“ konzentriert sich stärker auf die subtilere Machtausübung in bürokratischen Kontexten (der „Examinateur“ und seine Prüfung) und in zwischenmenschlichen Beziehungen, die oft von Manipulation und Undurchsichtigkeit geprägt sind (z.B. David, Mr. Li).

Es sind allerdings auch wichtige Unterschiede festzustellen. Während Les Tyrans eine grandiose, globale Verschwörung entfaltet, die Jahrhunderte und sogar die Evakuierung der Erde und die Neuerschaffung der Menschheit umfasst, bleibt Les mouvements in seinem Umfang intimer. Es ist primär die psychologische Zerrüttung eines Individuums, auch wenn es kurze Anspielungen auf größere politische Zusammenhänge gibt (z.B. Saddam Hussein-T-Shirts oder chinesische Politik). Die apokalyptische Vision in Les Tyrans ist global und physisch, in Les mouvements eher individuell und psychologisch.

Les Tyrans ist durch seine explizit sexuellen Darstellungen und die physische Tortur der Favoritin sowie die schockierende Brutalität der Tyrannen exzentrisch und provokativ. Les mouvements ist in seiner Darstellung der Gewalt und des Sexuellen subtiler, oft durch die desorientierte Wahrnehmung des Erzählers gefiltert und weniger direkt explizit. Die „Bizarrerie“ in Les mouvements ist eher eine existenzielle, innere Verunsicherung.

In Les Tyrans ist das Buch selbst eine aktive Waffe im dargestellten Komplott, eine „Zeitbombe“, die die „Zivilisation“ des Lesers angreift. In Les mouvements sind Bücher zwar wichtig für den Erzähler und seine Reflexionen, aber sie sind eher Katalysatoren seiner inneren Zustände und Symptome seiner Desorientierung, nicht selbst direkt in einen geopolitischen Plan involviert.

Die Erzählerin in Les Tyrans bietet eine weibliche Perspektive auf Unterwerfung, Macht und subversive Erzählung. Der Erzähler in Les mouvements ist männlich, und seine Interaktionen mit Frauenfiguren (Madame Chen, Liu Min, Laetitia, Emma) sind oft von Missverständnissen, Projektionen und einer tiefen Einsamkeit geprägt.

Somit greift Les mouvements de l’Armée rouge en 1945 aus diesem Jahr die Kernthemen und poetologischen Strategien von Les Tyrans sont éternels auf – die De-Konstruktion der Realität, Metafiktion, Identitätsfluktuation und zyklische Geschichte –, jedoch in einem persönlicheren, psychologischeren Rahmen und mit einem weniger expliziten Grad an körperlicher Brutalität und globaler Verschwörung. Beide Werke sind jedoch herausfordernde, dichte Leseerlebnisse, die die Natur der Fiktion und ihre Beziehung zur Wahrheit erforschen.

Die Dekonstruktion der Wirklichkeit

Der Roman Les Tyrans sont éternels entfaltet seine komplexe Struktur durch eine radikale Fragmentierung und eine permanente Verschiebung von Perspektiven und Zeitebenen. Er ist weniger eine kohärente Geschichte als ein dichtes Geflecht von Erzählsträngen, die sich überlagern, widersprechen und ineinander spiegeln.

Die Schichten der Täuschung

Der Roman beginnt mit einem Vorwort des Verlags L’ampoule, das sogleich die metatextuelle Natur des Werkes offenbart. Es wird die Frage nach der „Modernität“ des Romans aufgeworfen und eine Verbindung zur „Aufklärung“ hergestellt, die hier als kritische Energie, aber in „miniaturisierter“ Form verstanden wird, bei der die Sinne des Körpers als „Verifizierer der Sinnkonformität“ dienen. Jorge Luis Borges und Peter Sloterdijk werden zitiert, um die Idee einer Kritik jenseits von Lob und Tadel zu etablieren. Dies bereitet den Boden für eine Lektüre, die nicht auf einfache Wahrheiten abzielt, sondern auf die Offenlegung komplexer Strukturen der Wahrnehmung und Moral.

Der eigentliche Roman beginnt mit der Ankündigung, dass er die anglo-amerikanische Invasion Bagdads im Frühjahr 2003 aus der Perspektive von Saddam Husseins Favoritin erzählt, die möglicherweise ein Doppelgänger ist. Diese mehrfache Unsicherheit – Roman oder nicht, Favoritin oder Doppelgänger, Perspektive oder Simulation – etabliert sofort das zentrale Thema der Realitätsverzerrung. Die Invasion wird mit dem Mythos von Babel in Verbindung gebracht, was die Bedeutung von Sprache und die Gefahr ihrer Verwirrung für die Menschheit hervorhebt.

Es folgen Szenen, die die Favoritin in ihrer Rolle als Doppelgängerin und die Vorbereitungen auf die Invasion zeigen. Sie ist Teil eines komplexen Systems von „Sosies“ (Doppelgängern) für Saddam, seine Minister und Generäle. Diese Doppelgänger sind bis zur Besessenheit trainiert, ihre Rollen zu verkörpern. Das Konzept des „Doppel-Doppel“ wird auf antike mesopotamische Herrscher wie Shamsi-ilu und Tiglath-phalazar III. zurückgeführt, was die ewige Wiederholung der Machtspiele unterstreicht.

Parallel dazu wird ein weitreichendes Zukunftsszenario enthüllt: Im Jahr 2200 plant ein „Directoire“, entstanden aus den ehemaligen USA, die Evakuierung der erschöpften Erde. Der Irak-Krieg 2003 dient als vorgeschobener Konflikt, um einen angeblich im Bunker versteckten Saddam Hussein zu inszenieren, der die Welt mit einem Atomreaktor bedroht. Ein „Commissaire“ wird beauftragt, diese fiktive Geschichte zu schreiben, doch er durchschaut die Täuschung und versucht, eine Gegenerzählung zu schaffen. Auch dies ist jedoch Teil des noch größeren Plans des Directoire, das „die Liga“ (Ligue du Nord) manipulieren will, um die Kontrolle über ein Raumfahrtprogramm zu erlangen. Die Favoritin, die zunächst glaubt, dem Commissaire bei der Untergrabung des Directoire zu helfen, wird selbst zum Werkzeug einer noch höheren Macht, der Ligue.

Die Favoritin wird immer tiefer in die Inszenierung hineingezogen. Ihre „Ausbildung“ umfasst physische und psychische Torturen, die ihre „Identifikation bis zur Absurdität“ verfeinern sollen. Sexuelle Handlungen werden zu rituellen „Posen“, die die Kontrolle über ihren Körper und ihre Wahrnehmung festigen. Sie dient als Medium für Saddams Visionen und seine „Legende“, die er sich selbst diktiert. Der Bunker wird als komplexes unterirdisches Paradies beschrieben, ein „geometrischer Garten“, in dem die Auserwählten konserviert werden sollen, während die Welt an der Oberfläche in Chaos und Zerstörung versinkt. Die Zerstörung der irakischen Städte und Kulturgüter wird im Roman explizit als Teil des Plans der Tyrannen dargestellt, die Welt als „Nahrung“ zu nutzen.

Ein entscheidender Moment ist die Enthüllung, dass die im Museum gesammelten antiken Schätze, die von den Invasoren geplündert werden, „alle falsch“ sind. Dies unterstreicht die Idee, dass Geschichte und kulturelles Erbe manipulierbar sind. Später wird enthüllt, dass das Buch selbst, das der Leser in den Händen hält, eine „Zeitbombe“ ist, ein „Kryptogramm eines vor über tausend Jahren ausgeheckten Militärprojekts“, das darauf abzielt, die Zivilisation des Lesers zu zerstören. Der Erzähler (möglicherweise der „Commissaire“ oder „J.R.“) gibt zu, die Geschichte manipuliert zu haben, um sich selbst zu retten und die „Wahrnehmung“ des Feindes zu testen.

Die sexuellen Szenen intensivieren sich und werden explizit mit der Reproduktion und der Konservierung der „Tyrannen“ verbunden. Der weibliche Körper wird zur „Matrix“, in der die „Organe“ des Raïs und seiner neuen Welt inkarniert werden. Die „Aufklärung“ durchdringt den Text als eine radikale Enthüllung der menschlichen Verderbtheit und der unvermeidlichen Herrschaft der Tyrannen. Die „ewige Rückkehr“ des Tyrannen bedeutet nicht nur die Wiederkehr von Saddam, sondern auch die Wiedergeburt einer fundamentalen, zerstörerischen Kraft. Der Roman endet mit der vollständigen Unterwerfung der Favoritin unter diesen Plan, der ihre Existenz und ihren Körper für die „Geburt“ einer neuen, tyrannischen Zukunft nutzt. Die finale Vision ist apokalyptisch: Die Menschheit stirbt, und die „Tyrannen“ steigen aus dem Untergrund auf, um die Welt zu übernehmen, die sie selbst erschaffen und zerstört haben.

Die kapitelweise Entwicklung dieser Schichten von Fiktion und Realität ist entscheidend für das Verständnis des Romans. Sie schafft ein unaufhörliches Gefühl der Desorientierung und des Zweifels. Jede neue Enthüllung untergräbt die vorherige Wahrheit, wodurch der Leser gezwungen wird, die Bedeutung des Gelesenen ständig neu zu verhandeln. Diese Struktur ist selbst ein Spiegelbild der „ewigen Täuschung“, die der Roman darstellt. Sie dient dazu, die im Vorwort angekündigte „Aufklärung“ zu initiieren, indem sie den Leser in ein „Wahrnehmungsexperiment“ stürzt, das seine Fähigkeit zur Sinngebung auf die Probe stellt.

Tyrannei – zyklische Geschichte und Mimesis

Les Tyrans sont éternels verneint eine lineare Geschichtsauffassung und behauptet stattdessen eine „ewige Wiederkehr des Gleichen“, wobei Tyrannei als eine fundamentale, unvergängliche Kraft dargestellt wird, die sich durch mimetische Wiederholung und die Inszenierung historischer Ereignisse perpetuiert. Der Roman verknüpft die Invasion Bagdads 2003 nicht nur mit dem antiken Babel, sondern spannt einen Bogen über Jahrhunderte und Jahrtausende. Saddam Husseins Figur wird mit antiken mesopotamischen Herrschern wie Nebukadnezar und orientalischen Herrschern wie Saladin identifiziert. Diese Identifikationen sind nicht nur historische Vergleiche, sondern suggerieren eine metaphysische Kontinuität der Tyrannei. Das Buch selbst, das Saddam diktiert, ist ein Vehikel für diese zeitlose Macht:

Enfermé pendant deux semaines dans l’un de ses nombreux Palais, le grand Nabuchodonosor dresse la liste des dignitaires de sa cour.

Der große Nebukadnezar, der zwei Wochen lang in einem seiner zahlreichen Paläste eingesperrt ist, erstellt eine Liste der Würdenträger seines Hofes.

Hier diktiert Saddam Hussein nicht nur eine Geschichte, sondern verkörpert die Figur des Nebukadnezar, was die Überlagerung von Identitäten und Epochen zeigt. Die Geschichte ist kein Fortschreiten, sondern ein ewiges Kreisen, ein „retour du même“. Das Konzept der „Sosies“ (Doppelgänger) ist dabei zentral. Sie sind nicht nur Imitatoren, sondern die Verkörperung der Idee der mimetischen Reproduktion von Macht. Die Favoritin selbst ist eine hochtrainierte „Doublure“, die die Essenz Saddams durch ihre Posen und Handlungen reproduziert. Dieser Prozess ist sowohl physisch als auch psychologisch brutal:

Nous avons beau connaître par coeur les moindres rimes de notre personnage, avoir raffiné notre identification jusqu’à l’absurde, la fin nous échappe à tous les coups, sans avertissement, en d’innombrables fuites.

Auch wenn wir jeden Reim unserer Figur auswendig kennen und unsere Identifikation bis ins Absurde verfeinert haben, entzieht sich uns das Ende jedes Mal ohne Vorwarnung in unzähligen Ausflüchten.

Die Suche nach der perfekten Identifikation führt zur Absurdität und zum Verlust der eigenen Identität. Der Körper wird zum Medium, durch das sich die ewige Tyrannei manifestiert. Das immer wiederkehrende „Saddam Husayn“ in den sexuell expliziten Passagen unterstreicht die Übernahme des Körpers der Favoritin und die Penetration durch die Figur des Tyrannen.

Die Inszenierung der Geschichte wird zur Waffe. Der „Commissaire“ soll eine fiktive Apokalypse durch einen Atomreaktor schreiben, die die 2003er Invasion legitimiert und eine Evakuierung der Erde rechtfertigt. Doch diese Fiktion wird von einer höheren Macht, der Ligue, ihrerseits manipuliert. Die Entdeckung, dass die geplünderten antiken Schätze Bagdads „falsch“ sind, ist eine Metapher für die Konstruktion der Geschichte selbst. Das „Buch“ ist kein objektiver Bericht, sondern ein Werkzeug der Täuschung, ein „Köder“, der die Wahrnehmung des Feindes lenken soll. Es ist eine „bösartige Erzählung“, deren Erfolg darin liegt, dass sie die Realität prägt:

La publication de semblables péripéties paranoïaques s’avéra catastrophique, évidemment : un Américain rallié à l’immonde cause adverse, ou, je ne sais pas si c’est pire, incapable d’en juguler la menace.

Die Veröffentlichung solcher paranoider Episoden erwies sich natürlich als katastrophal: Ein Amerikaner, der sich der abscheulichen gegnerischen Sache angeschlossen hatte oder, was vielleicht noch schlimmer ist, unfähig war, die Bedrohung einzudämmen.

Die Verwirrung des Feindes – und des Lesers – ist das Ziel. Geschichte ist hier kein Faktum, sondern eine performative Inszenierung, die von den „Tyrannen“ geschaffen wird, um ihre Herrschaft zu sichern und zu verlängern.

Der unterworfene Körper und die erzählerische Ermächtigung der Favoritin

Trotz ihrer extremen physischen und psychischen Unterwerfung unter die Rolle der Favoritin und die damit verbundenen sexuellen und mimetischen Akte, erlangt die Erzählerin eine subversive Form der narrativen Kontrolle, die ihren Körper als Ort der Erkenntnis und des Widerstands etabliert. Die Favoritin ist das zentrale Subjekt und Objekt des Romans. Ihr Körper wird explizit und detailliert als Schauplatz der Machtausübung beschrieben. Von der „Ausbildung“ in mimetischer Identifikation bis zu den erzwungenen sexuellen Handlungen, wird ihr Körper zum primären Medium der Erzählung und der Unterwerfung. Die explizite Darstellung der sexuellen Akte, oft in einer fast bürokratischen oder technischen Sprache, entpersonifiziert sie und macht sie zum bloßen Instrument einer größeren Maschinerie:

Saddam Husayn me fait placer sur le dos, par terre, le derrière posé sur un coussin; puis, se mettant entre mes cuisses, Saddam Husayn m’enfile en ayant soin de me faire appliquer la plante de mon pied droit contre la plante de mon pied gauche.

Saddam Hussein lässt mich auf den Rücken auf den Boden legen, den Hintern auf einem Kissen. Dann stellt er sich zwischen meine Schenkel und dringt in mich ein, wobei er darauf achtet, dass ich die Fußsohle meines rechten Fußes gegen die Fußsohle meines linken Fußes drücke.

Die Wiederholung des Namens „Saddam Husayn“ in jeder Phase der sexuellen Beschreibung unterstreicht die totale Dominanz und die Auslöschung der individuellen Identität der Favoritin. Ihr Körper wird zum „Objekt mit Schubladen“, das von Saddam „durchstöbert“ wird, oder zu einer „Mikrosphäre“, in die die Macht eindringt.

Doch paradoxerweise ist es gerade diese radikale Unterwerfung, die der Favoritin eine einzigartige erzählerische Perspektive und eine Form von Macht verleiht. Sie ist nicht nur ein passives Objekt, sondern eine aktive Beobachterin und Berichterstatterin des Geschehens. Ihre Fähigkeit, „alle anderen Begierden [ihres Meisters] zu inkarnieren“, wird zu ihrer „Ursehnsucht“. Sie transkribiert Saddams „Testament“, ist eine „Schreiberin“ seiner Legende und somit eine Mitgestalterin der „Fiktion“, die die Realität formt.

Ein entscheidender Moment der Ermächtigung findet statt, als die Favoritin erkennt, dass sie nicht nur ein Objekt der Manipulation ist, sondern selbst manipuliert hat:

En effet, si ma couverture, acquise à l’issue d’affinements excessifs n’est celle que d’un agent double enterré dans sa fiction, c’est toi, d’une marge lointaine, qui règles les ébats. Davantage. Si, par le biais de métamorphoses successives dont je me suis fait le théâtre, tu parviens à prendre ma place, j’obtempère rigoureusement à la commande présidentielle…

Denn wenn meine Tarnung, die ich mir nach übertriebenen Verfeinerungen erworben habe, nur die eines Doppelagenten ist, der in seiner Fiktion begraben liegt, dann bist du es, der aus der Ferne die Fäden zieht. Mehr noch. Wenn du es durch aufeinanderfolgende Verwandlungen, deren Schauplatz ich bin, schaffst, meinen Platz einzunehmen, werde ich mich strikt an den Befehl des Präsidenten halten …

Hier entpuppt sich die Favoritin als die eigentliche Meisterin der Manipulation. Sie hat den „Agenten“ (den „Commissaire“/J.R.) selbst „kalibriert“, um ihn ihren Zwecken zu unterwerfen. Ihre „Geschichte“ ist ihre „Garantie gegen eure Geschichte“. Durch die literarische Gestaltung ihres eigenen Leidens und ihrer Unterwerfung konstruiert sie eine „Légende“, die ihr Überleben sichert und gleichzeitig die Leser in ihre eigene Falle lockt. Ihre Körperlichkeit, ihre Schmerzen und ihre sexuellen Akte sind nicht nur Zeichen ihrer Unterwerfung, sondern auch die „Fäden“, mit denen sie die Erzählung und damit die Realität der anderen manipuliert.

Kommunikation und Kontrolle im Zeitalter der Desinformation

Der Roman beleuchtet die Mechanismen der Informationskontrolle und Desinformation in einer post-faktischen Welt, in der die Grenzen zwischen „wahr“ und „falsch“ bewusst aufgehoben werden, um Macht auszuüben und die Realität zu gestalten.

In Les Tyrans sont éternels ist Kommunikation selten direkt oder ehrlich. Stattdessen ist sie ein Instrument der Kontrolle, der Verschleierung und der Manipulation. Offizielle Berichte sind „verfälscht, zensiert und entstellt“. Gerüchte werden gezielt gestreut, und selbst die Medien werden von den Machthabern instrumentalisiert, um die gewünschte Erzählung zu verbreiten. Die Wiederholung von Propaganda und „Siegesreden“ dient dazu, die Realität zu überlagern und die Akzeptanz der inszenierten Wahrheit zu erzwingen.

Das Buch selbst ist das ultimative Medium der Desinformation. Es wird als „Kryptogramm“ und „Waffe“ beschrieben, dessen Zweck es ist, die Wahrnehmung des Lesers zu manipulieren:

Quel improbable émissaire, catapulté dans les lointains autrefois selon une balistique temporelle inédite, serait capable de faire publier, par anticipation, les secrets de notre stratégie ?

Welcher unwahrscheinliche Gesandte, der einst durch eine beispiellose Zeitballistik in die Ferne katapultiert wurde, wäre in der Lage, die Geheimnisse unserer Strategie im Voraus zu veröffentlichen?

Diese metafiktionale Ebene betont, dass der Roman keine neutrale Erzählung ist, sondern eine aktive Rolle im dargestellten „Krieg“ spielt. Die Geschichte der Favoritin wird so konstruiert, dass sie, obwohl voller „Unwahrscheinlichkeiten“, von den Lesern als „harmlose Geschichte“ akzeptiert wird. Die „List“ besteht darin, so viele „exakte Symmetrien und allzu lesbare Referenzen“ einzubauen, dass die eigentliche „geheime Strategie“ übersehen wird.

Die visuelle Kommunikation spielt ebenfalls eine wichtige Rolle. Monitore im Bunker zeigen die „Bilder und Klänge des Landes“ und ermöglichen Saddam, die Ereignisse an der Oberfläche zu verfolgen und zu manipulieren. Selbst die Körper der Konservierten werden als „gegenseitige Bilder“ digitalisiert und in „drei Dimensionen“ projiziert, was die ultimative Kontrolle über die visuelle Darstellung und die Realität selbst darstellt. Die „einzige Schwachstelle“ in diesem System ist die „Speicherung des Korpus“, da nicht genügend neue Bilder in die Matrizen eingespeist werden können, sodass alte Bilder in Schleife laufen müssen. Dies ist ein subtiler Hinweis auf die Begrenzung selbst der umfassendsten Kontrollsysteme – sie müssen sich letztlich aus Vorhandenem speisen, können nicht unendlich Neues produzieren.

Das Verschwimmen von wahr und falsch wird zum permanenten Zustand. Der Leser wird in die Rolle eines Zeugen versetzt, der die Widersprüche erkennen, aber nicht auflösen kann. Die „Aufklärung“ des Romans besteht paradoxerweise darin, die Unmöglichkeit einer klaren Wahrheit und die Allgegenwart der Manipulation aufzudecken, was zu einer tiefen Desillusionierung führt.

Die politische Landschaft der Apokalypse – eine verborgene Agenda

Der Roman nutzt den Irak-Krieg als allegorischen Zugang zu einer umfassenderen Kritik globaler Machtstrukturen und ihrer apokalyptischen Ziele, wobei die Zerstörung der Erde als Ergebnis menschlicher Gier und die Wiederauferstehung der Tyrannen als ultimativer Sieg dargestellt werden.

Die Invasion Bagdads 2003 ist der scheinbare „Vorwandkonflikt“ für ein viel größeres, über Jahrhunderte geplantes Projekt: die Evakuierung der durch Raubbau und Umweltzerstörung erschöpften Erde. Die wahren Motive der „Directoire“ sind nicht der Kampf gegen den Terror oder die Suche nach Massenvernichtungswaffen, sondern die Sicherung der eigenen Macht und die Kolonisierung neuer Welten. Die „Ligue du Nord“, die sich dem „Direktorium“ widersetzt, wird selbst zum Objekt der Manipulation, in dem sie in einen „fiktiven Verrat“ hineingezogen und in den Weltraum geschickt wird, wo ihre Raketen als „nutzloser Schutt“ explodieren.

Die politische Landschaft, die der Roman entwirft, ist zutiefst zynisch. Die internationalen Proteste gegen den Krieg, die humanitären Katastrophen und die inneren Konflikte im Irak werden als vorhergesehene und eingeplante Ereignisse dargestellt, die das größere Spiel nicht beeinträchtigen, sondern sogar begünstigen. Die Amerikaner, die glauben, den Irak zu „befreien“, sind unwissentlich die Vollstrecker eines viel älteren, bösartigeren Plans. Die archäologischen Funde von Folterlisten und die Entdeckung, dass die antiken Schätze „alle falsch“ waren, entlarven die offizielle Geschichte als Lüge und die „Befreier“ als naive Werkzeuge.

Die ultimative politische Botschaft ist eine apokalyptische. Die „Tyrannen“ (Saddam und seine Getreuen) sind nicht besiegt, sondern haben sich in einem Hochsicherheitsbunker konserviert. Ihr Ziel ist es, nach der Selbstzerstörung der Menschheit an der Oberfläche wiederaufzuerstehen und die Welt zu übernehmen:

Vous vous trouverez bien incapables de vous lever contre ce que votre passé vous aura préparé, votre présent vous aura signifié, contre ce que votre futur vous aura réservé, dans vos propres mines abandonnées, sous vos pieds, au centre de la Terre.

Sie werden sich völlig unfähig fühlen, sich gegen das zu erheben, was Ihre Vergangenheit Ihnen bereitet hat, was Ihre Gegenwart Ihnen bedeutet hat, gegen das, was Ihre Zukunft für Sie bereithält, in Ihren eigenen verlassenen Minen, unter Ihren Füßen, im Zentrum der Erde.

Die Menschheit wird in ihrem eigenen „Kerker Amerikas“ zusammenbrechen und ihre Errungenschaften werden bedeutungslos. Die „Tyrannen“ werden die verfallene Welt „abkratzen“, „wiederaufbauen“ und die „letzten Sprengstoffe in Freudenfeuern“ verzehren. Dies ist der ultimative Sieg der verborgenen Mächte, die die Geschichte in ihrem Sinne gelenkt haben. Der politische Kontext wird so zu einem dystopischen Mythos, in dem die Menschheit Opfer ihrer eigenen Hybris und einer ewigen, unbesiegbaren Tyrannei ist.

„Aufklärung“ als Desillusionierung und die Unausweichlichkeit der Fiktion

Das Konzept der „Aufklärung“ im Roman ist eine radikale Umkehrung des traditionellen Verständnisses; es führt nicht zur Klarheit und Befreiung, sondern zur Desillusionierung, zur Erkenntnis der permanenten Täuschung und zur Akzeptanz der Unausweichlichkeit von Fiktion als Realität. Das Vorwort von L’ampoule spricht von einer „Fortsetzung der Aufklärung“. Doch diese Aufklärung ist weit entfernt von Kants Ideal des mündigen Denkens. Stattdessen geht es um ein „Wahrnehmungsexperiment“, das den Leser in die „Mikrosphäre“ einer körperlich erfahrenen, chaotischen Realität eintauchen lässt. Der „erhellende“ Effekt ist hier nicht die rationale Klärung, sondern die schockierende Erkenntnis, dass die Realität selbst eine Konstruktion ist, ein „Trick“. Peter Sloterdijks Definition von Kritik – „über Gut und Böse hinaus“ – passt hier, da der Roman die grundlegende Unauflöslichkeit dieser Konzepte in der Realität der Macht aufzeigt.

Die Erzählung der Favoritin ist durchdrungen von Selbstreflexion über den Akt des Schreibens und Lesens. Sie ringt mit der „Dichte“ des Textes und der Fähigkeit des Buches, Realität zu diktieren und zu akkreditieren. Das „Buch“, das sie diktiert, wird zu einer „Garantie gegen eure Geschichte“, eine Waffe, die die „wirklichen Absichten des Direktoriums“ enthüllt. Doch auch diese Enthüllung ist wiederum Teil eines noch größeren Plans, einer Falle für den Leser. Die „Aufklärung“ bedeutet hier, die eigene Verstrickung in diese Fiktion zu erkennen.

Die wiederkehrende Figur des „Commissaire“ oder „J.R.“ mit den schwarzen Brillen ist ein Symbol für den Sehenden, der hinter die Schleier der Täuschung blickt, aber auch für den Manipulator, der die Fiktionen schafft. Die schwarzen Brillen verweisen auf eine Ambivalenz: Sie können Schutz vor der blendenden Wahrheit sein, aber auch ein Werkzeug, um die Wahrheit zu verbergen oder zu verzerren. Die „Aufklärung“ des Romans ist daher schmerzhaft. Sie offenbart, dass selbst das vermeintlich „Wahre“ in dieser Welt „getrickst war, von Anfang an“. Die Desillusionierung des Lesers ist das eigentliche Ziel des Buches. Es zwingt ihn, die Fragilität seiner Überzeugungen und die manipulative Natur der Erzählungen, die sein Verständnis der Welt prägen, anzuerkennen. In diesem Sinne ist die „Aufklärung“ eine radikale, wenn auch zutiefst pessimistische, Form der Bewusstseinserweiterung.

Mythographie Mesopotamiens

Mesopotamien wird oft als die „Wiege der Zivilisation“ bezeichnet, ein historischer Mythos, der seine fundamentale Bedeutung für die menschliche Entwicklung zusammenfasst. In den fruchtbaren Tälern zwischen Euphrat und Tigris entstanden vor über 5.000 Jahren die ersten Städte, die eine komplexe soziale und politische Organisation ermöglichten. Hier entwickelten die Sumerer die Keilschrift, die erste bekannte Schriftform, die den Grundstein für die Dokumentation von Gesetzen, Religion und Geschichte legte. Die urbanen Zentren Uruk, Babylon und Ninive wurden zu Zentren des Handels, der Wissenschaft und der Religion, und prägten die Entwicklung von Astronomie, Mathematik und Recht. Der Mythos Mesopotamiens liegt in der Vorstellung, dass hier die grundlegenden Konzepte der Zivilisation – Schrift, Stadtleben, Gesetz und die Struktur des Staates – ihren Ursprung fanden, von denen spätere Kulturen in der ganzen Welt profitierten.

Olivier Guez‘ Mesopotamia (2024) im Vergleich

Die historische Region Mesopotamien, das fruchtbar „Zweistromland“ zwischen Euphrat und Tigris, liegt heute hauptsächlich auf dem Gebiet des Irak, dem Nordosten Syriens, dem Südosten der Türkei, im Westen des Iran und in Teilen Kuwaits. Julien de Kerviler stellt Mesopotamien in Les Tyrans sont éternels (2003) als einen Ort von zeitloser, mythischer Bedeutung dar, wo Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft in einer komplexen „Fantasmagorie“ verschmelzen. Die Erzählung ist in der Geschichte Bagdads und der umliegenden Region tief verwurzelt, reicht aber weit über die spezifischen Ereignisse der anglo-amerikanischen Invasion 2003 hinaus. Kerviler verknüpft die moderne Eroberung Bagdads explizit mit der mythischen Zerstörung Babels und stellt die Frage nach der Beziehung zwischen Sprache, Welt und der Möglichkeit, Geschichte zu erzählen oder zu manipulieren. Mesopotamien erscheint als eine „verbotene Zone“, ein Ort, an dem die Realität durch Doppelgänger, verborgene Bunker und geheime Pläne verzerrt wird, was auf eine tiefere, nicht-lineare Geschichtsauffassung hindeutet. Es ist ein Schauplatz, an dem Prophezeiungen und uralte Machtspiele die gegenwärtigen Konflikte diktieren, und selbst die Erfindung der Schrift in dieser Region wird als eine „unkonventionelle Waffe“ betrachtet.

Olivier Guez, Mesopotamia, Grasset, 2024.

Im Gegensatz dazu präsentiert Olivier Guez in Mesopotamia (2024) die Region als das geopolitische Herz der Welt im frühen 20. Jahrhundert, eine Drehscheibe von imperialen Ambitionen, insbesondere der britischen und deutschen Mächte. Guez konzentriert sich auf die historische, detaillierte Rekonstruktion der Ereignisse um den Ersten Weltkrieg und die Nachkriegszeit, wobei die Entdeckung und Kontrolle von Erdöl eine zentrale Rolle spielt. Mesopotamien wird als ein „Land zwischen zwei Flüssen“ beschrieben, das von verschiedenen Ethnien und Religionen bewohnt wird und dessen zukünftige Grenzen von den Kolonialmächten ausgehandelt und „erfunden“ werden. Die Darstellung ist reich an biografischen Details und der Alltagsrealität von Diplomaten, Soldaten und lokalen Persönlichkeiten wie Gertrude Bell und T.E. Lawrence, die versuchen, die Region nach ihren Vorstellungen zu formen.

Bei Guez finden sich gleichwohl auch mythopoetische Elemente des vormodernen Mesopotamien. Es wird als „Land zwischen zwei Flüssen, dem Tigris und dem Euphrat“ beschrieben, das die Welt „in den Händen gehalten hat“, als „Land der Legenden und Offenbarungen, Wiege der Zivilisationen, Garten Eden, Garten Allahs“. Der Text verbindet Mesopotamien direkt mit biblischen Mythen wie der „Heimat Abrahams, der Sintflut und von Babel“. Die Stadt Bagdad wird als „Grab Alexanders des Großen“ erwähnt. Es werden Vergleiche zu dessen Zeiten, der Cäsars und der ersten arabischen Kalifate gezogen, was die Vorstellung eines „Nabel der Welt“ verstärkt. Bagdad wird als „Stadt des Mansour und Haroun, o Madinat al-Salam, Stadt des Friedens!“ bezeichnet und als der „prächtige Sitz der Märchen aus Tausendundeiner Nacht“. Diese Beschreibungen verleihen der Stadt eine märchenhafte, fast transzendente Qualität, die über ihre reale historische Existenz hinausgeht. Es war das „Zentrum eines fruchtbaren Tals“, in dem eine „außerordentliche arabisch-persische Symbiose erblühte“ und Gelehrte aus allen Glaubensrichtungen das antike Wissen übersetzten.

Die britischen Imperialisten, insbesondere Gertrude Bell, sehen bei Guez ihre Aufgabe in Mesopotamien als eine „Unternehmung der Erlösung, prometheisch und heilig, die Apotheose des imperialen Projekts“. Die Vorstellung, dass die „britische Lebenskraft die mesopotamische Wüste befruchten wird, zum Wohle der Menschheit,“ hat ebenfalls mythische Züge. Die Charaktere, insbesondere Dick Doughty-Wylie und Gertrude Bell, reflektieren oft über den Aufstieg und Fall von Zivilisationen und die Zyklen der Geschichte. Die Idee, dass Mesopotamien immer das „Gravitationszentrum der großen kosmopolitischen Reiche des Nahen Ostens“ war, unterstreicht die Überzeugung, dass es zu alter Größe zurückkehren wird. Die Erwähnung von Sumer, Babylon und Assyrien verankert die Erzählung in den Ursprüngen der Zivilisation und unterstreicht die tiefe historische und mythologische Bedeutung des Landes. Durch diese teils mythopoetischen Elemente hebt Guez die starke Verbindung hervor, die die Protagonisten, insbesondere Gertrude Bell, zu Mesopotamien empfinden, und verklärt die imperialistischen Ambitionen der Briten als eine Art Schicksalserfüllung oder Wiedergeburt einer antiken Herrlichkeit.

Während Kerviler Mesopotamien als einen Ort der ewigen Wiederkehr von Tyrannei und komplexer, fast mystischer Manipulation darstellt, wo die Zeichen der Geschichte tief verborgen und schwer zu entschlüsseln sind, beleuchtet Guez die Region durch die Linse des Imprialismus und der Realpolitik, in der spezifische historische Akteure und Interessen die moderne „Erfindung“ des Irak vorantreiben. Beide Werke betonen jedoch die strategische Bedeutung und die Verwundbarkeit Mesopotamiens gegenüber äußeren Kräften. Kerviler fokussiert auf die unvermeidliche, zyklische Natur von Macht und Konflikt, die in der Region verwurzelt ist. Guez hingegen zeigt auf, wie das Streben nach Ressourcen und die Gestaltung geopolitischer Macht die Landschaft und die Bevölkerung Mesopotamiens nachhaltig geprägt haben, oft mit tragischen und unvorhergesehenen Folgen.

Babel-Poetik

In Julien de Kervilers Les Tyrans sont éternels durchzieht die Poetik Babels als ein zentrales und vielschichtiges Motiv die Struktur, die Thematik und die Sprachphilosophie des Textes. Diese Poetik ist zunächst eng mit der Verbindung zwischen dem mythologischen Babel und der zeitgenössischen Realität verknüpft. Kerviler rekurriert auf den biblischen Mythos vom Turmbau zu Babel (Genesis 11, 6-9), wo Gott die Sprache der Menschen verwirrt, um ihr einheitliches Projekt zu vereiteln und sie über die ganze Erde zu zerstreuen. Diese Sprachverwirrung wird dabei ambivalent interpretiert: einerseits als eine „ursprüngliche politische Kastration der Menschheit“, die Einheit und Macht unterbindet, andererseits als eine „befreiende felix culpa“, die die Vielfalt der Menschen und Kulturen feiert, welche aus der erzwungenen Trennung resultiert. Die Frage „Kann man Bagdad bombardieren, ohne Babel zu wecken?“ stellt eine direkte Verbindung zwischen der historischen Zerstörung Babels und der anglo-amerikanischen Invasion Bagdads her, wodurch Handlungen in der Gegenwart mythische Dimensionen und kosmische Ordnungen reaktivieren können.

Im Kern dieser Poetik steht die philosophische Frage nach dem Verhältnis von Sprache und Welt: „Existiert die Welt vor der Sprache, oder erschafft die Sprache die Welt?“. Beeinflusst von Stéphane Mallarmé, deutet Kerviler an, dass Worte die Macht besitzen, den menschlichen Raum zu schaffen und sogar Realität aktiv zu formen und zu verzerren. Was gezeigt wird, müsse nicht gesagt werden, und was gesagt wird, reduziere sich nicht auf die gemeinhin anerkannte sprachliche Komponente des Sagens.

Die Multiplizität, Ambivalenz und Verwirrung Babels spiegeln sich in Kervilers Erzählweise wider. Der Roman Les Tyrans sont éternels wird aus der „multiplen, zwangsläufigen“ Sichtweise der Favoritin Saddam Husseins erzählt, die sich mit Doppelgängern und verworrenen Realitäten auseinandersetzt. Figuren sind austauschbar und ihre Identitäten fließend, was an die babylonische Sprachverwirrung erinnert, die klare Unterscheidungen erschwert und sich in der „multiplen Identität“ der Figuren ausdrückt. Der Text ist selbst ein „Labyrinth“ und ein „verschachteltes Textgeflecht“, das den Leser in „unendliche aufgeregte Parenthesen“ führt. Die Erzählung springt zwischen Zeiten, Orten und Realitätsebenen, was die „instabile“ und „zweideutige“ Natur der Geschichte unterstreicht. Die wiederholte Verwendung von übermäßigen Parenthesen („excessives parenthèses“) und minimalen Verschiebungen („minimes glissements“) ist ein stilistisches Merkmal, das diese Verwirrung verstärkt und die Komplexität der erzählten Welt betont. Das Konzept, dass „alles und dessen Gegenteil“ existieren, ist ebenfalls ein wiederkehrendes Motiv, das die inhärente Widersprüchlichkeit und Mehrdeutigkeit der Realität unterstreicht.

Die Simulation und Täuschung sind Schlüsselelemente dieser Poetik. Die Vielzahl von Doppelgängern (Sosies) Saddams und seiner Minister, die gefälschten Schätze und die inszenierten Ereignisse sind Ausdruck einer Welt, in der Illusion und Täuschung dominieren und das Echte vom Falschen kaum noch zu unterscheiden ist. Der Text selbst wird als „Kryptogramm eines militärischen Projekts“ oder ein „Köter“ bezeichnet, der die Leser in die Irre führen soll. – Das Thema der Erinnerung und Wahrnehmung trägt ebenfalls zur Babel-Poetik bei. Die Erinnerung wird als „defizitär“, „annähernd“ und in „widersprüchlichen Beziehungen zur Realität“ stehend beschrieben, was der Prüfer zu „instabilen Beziehungen zur Wahrheit“ korrigiert. Dies weist auf die Unzuverlässigkeit der Wahrnehmung und die Möglichkeit von „Fissuren in der Realität“ hin. Die Bilder der Erinnerung sind „unsicher“ und bilden „eine Täuschung“, was die Schwierigkeit betont, eine kohärente und verlässliche Geschichte zu konstruieren. Der Text vermittelt eine „Form der Präsenz, die stets von einer Form der Abwesenheit ausgehöhlt wird“, ein „Schwanken zwischen zwei gegensätzlichen Zuständen“, die doch Zustände derselben Identität sind. Dies führt zu einer „instabilen und zweideutigen Geschichte“, die zwischen Starre und Angst oszilliert.

Die Geschichte Mesopotamiens, die von wiederholten Zerstörungen und Wiederaufbauten von Städten, darunter Babylon selbst, geprägt ist, spiegelt sich in der zyklischen Struktur des Romans wider. Ereignisse und Szenen wiederholen sich, oft mit geringfügigen Verschiebungen, als ob die Geschichte sich selbst inszeniert. Die Fähigkeit zu erzählen wird auf die Probe gestellt: Die Figur der Favoritin wird zur Übermittlerin einer Geschichte, die selbst eine Fiktion ist, aber dennoch Macht über die Realität ausübt. Das Schreiben eines „Buches“ ist sowohl Waffe als auch Mittel zur Selbsterhaltung, das Geschichte umschreiben und manipulieren kann.

Kervilers Poetik Babels stellt eine literarische Auseinandersetzung mit der Multiplizität der Welt, der Ambivalenz der Sprache und der Unbeständigkeit der Realität dar. Sie feiert die Vielfalt, die aus der ursprünglichen Zerstreuung entstand, während sie gleichzeitig die daraus resultierende Verwirrung und die Schwierigkeit der Wahrheitsfindung thematisiert. Der Text selbst wird zu einem Spiegel dieser babylonischen Erfahrung – ein Ort, an dem Bedeutungen sich vervielfachen, Identitäten verschwimmen und die Erzählung sich in einem endlosen Kreislauf von Schöpfung und Zerstörung, Wahrheit und Fiktion bewegt.

Der ewige Kreislauf und die Macht des Textes

Der Titel Les Tyrans sont éternels (Die Tyrannen sind ewig) ist programmatisch für das zentrale Thema des Romans und bringt die Idee einer unsterblichen, sich selbst perpetuierenden Macht auf mehreren Ebenen – physisch, ideologisch, historisch und narrativ – zum Ausdruck, die über den Tod einzelner Figuren hinausgeht und eine tief pessimistische Sicht auf die menschliche Geschichte und das Phicksal der Zivilisation vermittelt. Die primäre Erklärung liegt in Saddam Husseins Plan, seinen Tod zu fälschen und in einem gigantischen, unterirdischen Bunker in einer konservierenden Lösung zu überleben. Dieser Plan sieht vor, dass er und seine Getreuen eines Tages wieder an die Oberfläche zurückkehren und die Kontrolle über eine von den „Eindringlingen“ verwüstete Welt übernehmen. Somit wird der Tyrann im wörtlichen Sinne „ewig“, indem er den Untergang seiner Feinde überlebt.

Selbst wenn der physische Tyrann verschwindet, bleibt seine Ideologie und sein Einfluss bestehen. Saddam Hussein hat ein System von Doppelgängern geschaffen, die seine Rolle übernehmen und seine Präsenz multiplizieren. Dies symbolisiert, dass die Idee der Tyrannei oder die „Herrschaft des Raïs“ (des Führers) nicht an eine einzelne Person gebunden ist, sondern durch Nachahmung, Manipulation und die Schaffung einer bestimmten Erzählung weiterlebt. Der Roman spielt mit der Vorstellung des „éternel retour du même“ (ewige Wiederkehr des Gleichen). Konflikte, Machtstrukturen und menschliche Verhaltensmuster wiederholen sich über die Jahrhunderte. Die historischen und mythischen Referenzen (Babel, Nabuchodonosor, Saladin, Kreuzzüge) verstärken die Idee, dass Tyrannei eine Konstante der menschlichen Geschichte ist und immer wieder in neuen Formen auftaucht. Die „ewige“ Natur des Tyrannen ist somit eine Metapher für die Wiederholung von Machtmissbrauch und Gewalt.

Der Roman selbst ist eine Reflexion über die Macht der Literatur, Realitäten zu schaffen und zu manipulieren. Die Geschichte, die Saddam Hussein seiner Favoritin diktiert, wird zu einem Werkzeug, um seine Legende zu zementieren und seine eigentlichen Absichten zu verschleiern oder zu offenbaren. Indem der Tyrann seine eigene Geschichte schreibt und kontrolliert, sichert er sich eine Art literarische Unsterblichkeit, die über seinen physischen Tod hinausgeht. Der Titel kann daher auch als Kommentar zur Dauerhaftigkeit von Narrativen und ihrer Fähigkeit, historische Figuren zu verewigen, verstanden werden. Der Plan der Tyrannen ist darauf ausgelegt, ihre Feinde, die „Eindringlinge“, in zukünftigen Generationen zu besiegen. Die Erwähnung, dass die Archäologen der Zukunft die Überreste des Bunkers finden und somit ungewollt den Rachefeldzug der Tyrannen auslösen werden, betont, dass die Auswirkungen der Tyrannei weit in die Zukunft reichen und eine „ewige“ Vergeltung nach sich ziehen.

Der finale Teil des Romans ist eine Synthese aller zuvor eingeführten Themen und eine ultimative apokalyptische Vision. Die konservierten Tyrannen, allen voran Saddam Hussein, sind in ihren „durchsichtigen Glas-Särgen“ im Bunker bereit für ihre Wiedergeburt. Die sexuellen Akte der Favoritin werden explizit zu einem Zeugungsakt, bei dem ihr Körper als „Matrix“ für die „Inkarnation meiner Organe in kolonialen Massenphänomenen“ dient. Die „Ogiva giratoire“ (eine rotierende Spitze), die die Frauen penetriert, ist das Symbol dieser totalen Kontrolle und der Zeugung einer neuen, tyrannischen Menschheit. Die Welt an der Oberfläche ist zur Selbstzerstörung verurteilt, während die Tyrannen im Untergrund ihre triumphale Rückkehr planen. Der Sieg ist nicht militärisch, sondern metaphysisch: Die Tyrannen werden die Menschheit als „Nahrung“ konsumieren und auf ihren Ruinen ein neues Paradies errichten. Das Buch selbst wird als „Zeitbombe“ und „Waffe“ enthüllt, das die Zivilisation des Lesers bedroht. Der letzte Satz des Auszugs, der die Frage aufwirft, ob das Buch, das der Leser geöffnet hat, ihn vor seiner Geschichte schützen kann, macht den Leser zum finalen Opfer dieser literarischen Falle. Die Wahrheit ist, dass der Leser durch das Lesen dieses Buches bereits in die Realität der Tyrannen integriert ist.

Der Roman provoziert die Erkenntnis, dass die ultimative Form der Tyrannei nicht die physische Unterdrückung ist, sondern die vollständige Kolonisierung der individuellen und kollektiven Imagination. Wenn die Fähigkeit, Realität von Fiktion, Wahrheit von Lüge zu unterscheiden, verloren geht, wird der Mensch zum willenlosen Instrument einer allumfassenden Narration, die von den „Tyrannen“ kontrolliert wird

Anmerkungen
  1. Erwähnt werden u.a. Gérard de Nerval, Gustave Flaubert, Jules Verne, Auguste Villiers de L’Isle-Adam, Stéphane Mallarmé, Joris-Karl Huysmans, Paul Claudel, Marcel Proust, Raymond Roussel, Guillaume Apollinaire, Blaise Cendrars, Nathalie Sarraute, Pierre Klossowski, Claude Simon, Robert Pinget, Alain Robbe-Grillet, Claude Ollier, Michel Butor, Jean Ricardou, Jacques Roubaud, Philippe Sollers, Pierre Guyotat, Danielle Mémoire, Olivier Cadiot.>>>

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