Apologie einer Wiederentdeckung: Célines verschollene Manuskripte und Véronique Chovin

Lucettes Erbe

Die literaturwissenschaftliche Forschung zum Werk Louis-Ferdinand Célines erfuhr jüngst eine signifikante Erweiterung durch eine Reihe unerwarteter Entdeckungen. Im Zentrum dieser „wundersamen Wiederauferstehung“ steht die Gestalt Véronique Chovins, deren persönliche Erzählung sich auf untrennbare Weise mit der des „verfluchten“ Schriftstellers und seiner Witwe, Lucette Almansor, verbindet. Chovin, die in den 1970er Jahren als Siebzehnjährige begann, Tanzunterricht bei Lucette in Meudon zu nehmen, entwickelte über Jahrzehnte hinweg eine „amitié indéfectible“ zu ihr. Diese Beziehung bildet den Rahmen für ein bemerkenswertes Kapitel der französischen Literaturgeschichte, das mit Lucettes Tod im Jahr 2019 seinen Ausgang nahm. Die darauffolgende „réapparition ‚miraculeuse‘ de manuscrits inédits de Céline, supposés perdus jusque-là“, die in der sensationellen Veröffentlichung von Guerre, Londres und La volonté du roi Krogold durch die Éditions Gallimard mündete, markiert nicht nur einen Wendepunkt in der Céline-Forschung, sondern auch einen Moment der Selbstreflexion über die Natur des literarischen Erbes und dessen Bewahrung. Eine Besprechung dieser Geschichte einer Wiederentdeckung aus der Perspektive Véronique Chovins hat ihre vielschichtige Rolle als Erbin und Hüterin dieses komplexen Vermächtnisses zu analysieren und dabei die Verflechtung von persönlichem Schicksal und literarischer Rezeption herauszuarbeiten. Inwiefern das Buch eine Rechtfertigungsschrift ist, die angemessen auf Kritik eingeht und die eigenen Maßstäbe nachvollziehbar macht oder ob es die Eigeninteressen von Chovin verschleiert, wird von den Lesern aufmerksam geprüft werden.

Récit

Céline en héritage (Mercure de France, 2025) wird explizit als „récit“ (Erzählung/Bericht) bezeichnet, der die „abenteuerliche Geschichte dieser Wiederauferstehung“ der Manuskripte mit „anderen Fäden ihres Lebens“ verbindet. Es handelt sich um persönliche Memoiren von Véronique Chovin, die ihre Beziehung zu Lucette Almansor, der Witwe von Louis-Ferdinand Céline, und die Ereignisse um die wiedergefundenen Manuskripte schildert. Für ein früheres Werk über Lucette wird zudem die Form eines „Journal au fil du temps“ (Tagebuch im Laufe der Zeit) genannt.

Die Narration erfolgt durchgängig in der ersten Person Singular („elle“, die sich auf Véronique Chovin bezieht), wobei die Autorin ihre eigenen Erfahrungen, Gefühle und Reflexionen teilt. Es ist eine stark subjektive und introspektive Erzählung, die ihre persönliche Wahrnehmung und ihr Erleben der Ereignisse in den Vordergrund stellt. Der angestrebte Stil wird als „récit impressionniste, léger comme des pas de danse“ (impressionistische Erzählung, leicht wie Tanzschritte) beschrieben.

Die Autorin strebt an, ihr Leben als „einen Roman“ zu erzählen („ma vie à moi sera un roman“). Sie reflektiert die Aussage, dass sie „in einer Art Fiktion lebte, die auf die Realität prallte“. Ein Zitat von Annie Ernaux deutet darauf hin, dass das Niederschreiben von Erlebnissen diesen erst ihre volle Bedeutung verleiht. Diese Vermischung wird im Text mehrfach aufgegriffen, so wird die Freundschaft mit Lucette als das „Erfinden einer Welt, die nicht existierte“ und als „nicht real“ beschrieben. Das eigene Leben der Autorin nimmt „immer mehr die Züge eines Romans an“, begleitet von dem Gefühl der „Irrealität“.

Der Text Céline en héritage von Véronique Chovin begegnet der Radikalität von Céline, ohne jedoch dessen stilistische Brutalität oder kontroverse Sprache zu imitieren. Die Autorin wählt einen persönlichen, impressionistischen und emotionalen Ansatz, um sich dem Erbe Célines zu nähern.

Umgang mit Célines Antisemitismus (mit den Pamphleten)

Der Text scheut sich nicht davor, die Existenz der antisemitischen Pamphlete explizit anzusprechen. Lucette Destouches, Célines Witwe, lehnte deren Veröffentlichung zu ihren Lebzeiten ab und bedauerte, dass Céline sie überhaupt geschrieben hatte, da sie diese als „ein Pflasterstein auf den Kopf“ und als „böse Kraft“ betrachtete. Véronique Chovin selbst empfand bei der Entdeckung dieser Pamphlete eine „Erschütterung“. Die Autorin referiert die Diskussion um die Veröffentlichung dieser Texte nach Ablauf des Urheberrechts und die Haltung des Verlegers Antoine Gallimard, sie mit einem „sehr soliden kritischen Apparat“ von Historikern zu versehen, um sie in ihren historischen Kontext zu rücken und ihre schädliche Wirkung zu kontrollieren.

Chovin stimmt dieser Vorgehensweise zu, betrachtet die Pamphlete als „historische Dokumente“, deren Existenz man nicht leugnen sollte, und fragt sich, wie man überhaupt Geld damit verdienen könnte. Sie ist sich der Kritik bewusst, dass man ihnen vorwerfen könnte, Célines Antisemitismus zu verbergen, wenn sie neue Schriften veröffentlichen, und beabsichtigt, sich mit Serge Klarsfeld, einem „unermüdlichen Verfolger jeglichen Antisemitismus“, darüber auszutauschen, was ihre verantwortungsbewusste Haltung unterstreicht. Sie äußert zudem Verständnis für die Schmerzen jener, deren Familien in Konzentrationslager deportiert wurden und die Célines Namen nicht hören können. Somit weicht der Text nicht der Konfrontation mit Célines Radikalität aus, er versucht, sie durch Historisierung und kritische Kontextualisierung zu entschärfen, anstatt sie zu ignorieren oder zu verherrlichen.

Umgang mit Célines stilistischer und inhaltlicher Radikalität (Brutalität, Obszönität)

Der Text beschreibt Célines wiederentdeckte Manuskripte wie Guerre und Londres als „roh“, „gewalttätige sexuelle Szenen enthaltend“ und „äußerst derb“. Sie zitiert Rezensionen, die von „Übermaß an wahnhaften lexikalischen Ausbrüchen“ und der Darstellung einer „pornographischen Kloake“ sprechen. Gleichzeitig wird diese Radikalität aber auch literarisch gewürdigt: Der Text nennt Guerre ein „zitterndes Meisterwerk voller Leben“ und beschreibt Céline als „grausamen Beobachter, Voyeur, Komiker, voller Schwung und Poesie“. Die „Derbheit“ der Beschreibungen wird als „Rache an dem Grauen des Krieges und des Todes“ interpretiert, in der „Eros und Thanatos, der Lebenstrieb über den Todestrieb triumphiert“.

In Bezug auf die Sexualität in „Londres“ wird eine Interpretation zitiert, die sie nicht als Pornografie, sondern als „verzweifelten Versuch, dem Krieg und der menschlichen Sterblichkeit zu entfliehen“ – als Metaphysik – versteht. Die Autorin erkennt die radikalen Elemente in Célines Werk und benennt sie, versucht auch ihre literarische Funktion und tieferen Bedeutungen zu ergründen, statt sie lediglich als schockierend abzutun.

Autorinnenposition und stilistische Distanz

Véronique Chovin erzählt ihre eigene Geschichte im Rahmen des Céline-Erbes, wobei sie ihre Erfahrungen mit Lucette, die Entdeckung der Manuskripte und ihre persönlichen Verluste (den Tod Lucettes und ihres Mannes Pascal) miteinander verwebt. Sie beschreibt ihre Lebenshaltung als „impressionistisch, leicht wie Tanzschritte“ und sah ihr eigenes Leben als „eine Art Fiktion, die auf die Realität prallte“.

Obwohl sie die eigene Erschütterung („deflagration“) durch die antisemitischen Pamphlete erwähnt und Céline als „Monster, das uns entgeht, ein beängstigendes Mysterium“ bezeichnet, behält sie eine subjektive, emotional geprägte Erzählweise bei. Ihre Auseinandersetzung ist primär eine der Erinnerungsarbeit und des Abschiednehmens von geliebten Menschen. Ihre Weigerung, die Manuskripte nur einem Fachpublikum zugänglich zu machen, also sie stattdessen für die „breite Öffentlichkeit“ zu veröffentlichen, zeigt ihren Willen, Célines Werke – einschließlich der radikalen Entwürfe – einem breiteren Leserkreis zu erschließen. Am Ende des Textes reflektiert sie über Céline: „Céline gehasst oder verehrt, wie ein Monster, das uns entgeht, ein beängstigendes Mysterium…“.

In Céline en héritage tritt Véronique Chovin Célines problematischen Seiten mit einer sehr persönlichen, empathischen und gleichzeitig intellektuell fundierten Perspektive entgegen, die darauf abzielt, die Vielschichtigkeit des Autors und seines Werkes zu ergründen, ohne dabei seine problematischen Aspekte zu beschönigen.

Lucette Destouches und Célines Vermächtnis

Lucette Destouches, Célines Witwe, widmete ihr Leben nach dem Tod des Schriftstellers der Verteidigung seiner Erinnerung. Ihre Existenz war geprägt von „tant d’angoisses auprès d’un écrivain maudit mais d’un homme tant aimé“. Véronique Chovins Rückkehr zu Lucette im Jahr 1989, nach einer anfänglichen Zeit der Distanz, festigte eine Verbindung, die über dreißig Jahre währte. Lucette betraute Véronique und den Anwalt François mit der Regelung der Céline-Angelegenheiten nach ihrem Tod, sie nannte sie einen „aigle à deux têtes“ – ein Bild, das die duale Verantwortung und das Vertrauen in diese beiden Schlüsselfiguren verdeutlicht. Schon 1996 übergab Lucette Véronique vertrauliche Dokumente, darunter Célines Jugendbriefe (1912-1919) und erste literarische Versuche, die zur gemeinsamen Arbeit an Devenir Céline führten. Diese frühe Zusammenarbeit, ein Prozess des Entzifferns und Klassifizierens, ermöglichte Lucette: „faire entrer de la lumière dans sa vie“, was die transformative Kraft dieser literarischen Arbeit für Véronique unterstreicht.

Die Publikation von Lucettes Erinnerungen unter dem Titel Céline secret im Jahr 2001 – ein Werk, das Lucette selbst als „notre livre à toutes les deux“ bezeichnete, auch wenn Véronique als alleinige Autorin vorgesehen war – löste bereits heftige Kontroversen und Anfeindungen aus. Dies zeigt, wie früh Chovin in die polemische Sphäre des Céline-Erbes involviert wurde und wie tief die Verbindung zwischen dem persönlichen Vertrauen Lucettes und der öffentlichen Rezeption des Werkes reichte. Der Akt des Schreibens und Veröffentlichens war für Véronique nicht nur eine intellektuelle, sondern auch eine zutiefst emotionale und oft konfliktreiche Aufgabe, die das Vermächtnis Célines und Lucettes fortsetzte.

Wiederentdeckung und Verhandlung der Manuskripte

Die „wundersame“ Wiederentdeckung der Manuskripte war von einer bemerkenswerten Vorahnung Lucettes begleitet, die Véronique einst mit den Worten „Tu verras quand je ne serai plus là, tous les manuscrits disparus vont réapparaître“ prophezeite. Diese prophetische Qualität der Ereignisse verleiht der gesamten Angelegenheit eine fast mythische Dimension. Im Juni 2020, sieben Monate nach Lucettes Tod, erreichte Véronique der Anruf des Anwalts François, der die Wiederentdeckung einer „masse incroyable d’inédits de Céline“ verkündete. Der Fund war von immensem Umfang: „six mille feuillets, 5 324 exactement, disparus depuis 1944, un mètre cinquante de documents étalés là, sur une grande table et sous le regard de deux policiers“. Darunter befanden sich Fragmente von Mort à crédit, ein erster Entwurf von Guerre, Casse-pipe, Londres und La volonté du Roi Krogold, aber auch „un petit dossier à teneur antisémite“. Das darauf folgende Treffen im Juni 2020 mit dem ehemaligen Journalisten, der die Manuskripte besaß, und dessen Anwalt, empfand Véronique als „surrealiste“. Sie hatte das Gefühl, „que cette rencontre n’était qu’une formalité, que les choses étaient entendues et que l’accord à ce qui leur était proposé ne faisait aucun doute“. Die Vorschläge des Journalisten, als „éditeur scientifique“ anerkannt zu werden und die Manuskripte dem IMEC zu übergeben, um Spuren der Hehlerei zu verwischen, wurden von Véronique umgehend abgelehnt. Sie argumentierte entschieden: „C’était Lucette qui avait été privée du travail volé de son mari, c’était à elle que ces manuscrits revenaient de droit, et ce n’était surtout pas à un présumé receleur d’en devenir l’éditeur scientifique et de décider de leur destination“. Diese Weigerung führte zu acht Monaten vergeblicher Verhandlungen, in denen nach Angaben Chovins der Journalist und sein Anwalt „n’avaient jamais rien voulu céder“, was die Entschlossenheit Véroniques im Kampf um das rechtmäßige Erbe unterstreicht.

Kampf um die Restitution: Rechtliches und öffentliche Enthüllung

Angesichts der festgefahrenen Verhandlungen und der Weigerung des Besitzers, die Manuskripte zurückzugeben, sahen sich Véronique und François gezwungen, rechtliche Schritte einzuleiten. Am 5. Februar 2021 reichten sie eine Klage wegen Hehlerei gegen den Journalisten ein. Für diesen juristischen Kampf wurde Jérémie Assous beauftragt, ein junger und ambitionierter Anwalt, den Véronique bereits aus ihrer Zeit in Meudon kannte. Die polizeilichen Ermittlungen folgten prompt, und Véronique und François wurden befragt. Der entscheidende Moment war die Beschlagnahme der Dokumente am 19. Juli 2021 in Nanterre, bei der der Journalist und sein Anwalt sich hinter Quellenschutz und Berufsgeheimnis verschanzten und „aucun des deux n’avait consenti à révéler quoi que ce soit sur l’identité du donateur des manuscrits retrouvés“. Dies führte am 21. September 2021 zur Einstellung der Klage, wodurch das Mysterium um die Herkunft der Manuskripte intakt blieb. Unabhängig von der juristischen Klärung, die ausblieb, erfolgte am 6. August 2021 die öffentliche Enthüllung der Entdeckung in der Zeitung Le Monde, die das „unglaubliche“ Geheimnis lüftete und die französische Literaturwelt in Aufruhr versetzte. Dieser Schritt, von Véronique und François bewusst geheim gehalten, ermöglichte es, die Nachricht zum „coup de théâtre final“ zu inszenieren.

Rezeption von Guerre, Londres und Krogold

Die Wahl der Éditions Gallimard als Verleger der wiederentdeckten Texte war eine „natürliche“ Entscheidung, da Gallimard seit Langem Célines historischer Verlag war. Ein genauer Publikationskalender wurde festgelegt: Guerre im Mai 2022, Londres im Oktober 2022 und La volonté du roi Krogold im April 2023, ergänzt durch eine Neuauflage von Casse-pipe und den Romanen in der Pléiade.

Guerre, als erster der neuen Texte veröffentlicht, wurde als „premier jet bouleversant qui tient du chef-d’œuvre“ beschrieben. Es füllt die Lücke nach Voyage au bout de la nuit und ist durch Célines brutalen, komischen und poetischen Stil geprägt. Besonders hervorzuheben ist die „sexualité violente“, die in diesen rohen Beschreibungen als ein Überlebenstrieb gegen die Schrecken des Krieges erscheint: „Eros et Thanatos, l’instinct de vie triomphant de l’instinct de mort“. Die Presse feierte laut Verfasserin das Werk dithyrambisch als „diamant brut“ und „miracle“, und es wurde sofort ein Verkaufserfolg.

Londres, ein umfangreicherer Text von fast 600 Seiten, wurde als „brutal et poétique“ charakterisiert, erntete aber auch Kritik für seine „extrême crudité“ und seine Überlänge, die zu Ermüdung führen könne: „On se lasse à une vitesse grand V. La langue surtout, indéniablement celle d’un écrivain, ça on ne le remettra jamais en question, finit par énerver. Ce torrent d’argot“. Auch hier ist die Verknüpfung von Erotik und Überleben, als „effort désespéré pour échapper à la guerre“, ein zentrales Thema.

La volonté du roi Krogold ist eine nordisch-mittelalterliche Legende, die Céline bereits in seiner Kindheit von seiner Großmutter erzählt bekam und die sich als „fil rouge“ durch sein Werk zieht. Sie besitzt eine mystische Dimension, und Céline identifizierte sich mit dem verwundeten Prinzen Gwendor. Für Véronique Chovin selbst hat Krogold eine persönliche, talismanische Bedeutung: „Lucette Destouches avait été et continuait à être pour elle un talisman, le fil rouge de sa vie, son Krogold mêlé d’enfance“.

Der Transkriptionsprozess der Manuskripte war ein „travail colossal“, den Véronique gemeinsam mit ihrer Tochter Marine und Pascal Fouché leistete. Diese mühsame Arbeit des Entzifferns und Übertragens, bei der sie sich der „énigme d’un mot, d’une abréviation“ widmete, war für sie „exaltante“, da sie das Gefühl hatten, an der Schöpfung teilzuhaben und mit dem Autor zu sprechen, „comme s’il était encore en vie“.

Die Veröffentlichung dieser „Entwürfe“ in einer breiten zugänglichen Form führte zu Debatten und Kritik von Akademikern, die diese Texte lieber nur Spezialisten zugänglich gemacht hätten, etwa als „annexe dans la Pléiade comme élément capital de la genèse“. Véronique verteidigte jedoch die breite Zugänglichkeit: „Pourquoi priver le grand public du bonheur d’une telle lecture en la réservant aux seuls scientifiques ?“ Eine fundamentale Uneinigkeit also in der Auffassung, ob literarische Manuskripte primär der philologischen Forschung oder der breiten Leserschaft dienen sollen, Véronique unterstreicht ihr Engagement für die öffentliche Verfügbarkeit des Werkes.

Herausforderungen, Enthüllungen und die Erbenstreitigkeiten

Véronique Chovin sah sich nach der Veröffentlichung der Manuskripte anhaltenden Anfeindungen und Vorwürfen ausgesetzt. Sie wurde zur „cible de procès d’intention que rien ne justifiait“, des Verdachts der Zensur antisemitischer Schriften oder der Verweigerung des Zugangs zu den Manuskripten für Wissenschaftler. Diese Reaktionen unterstreichen die komplexen ethischen und politischen Dimensionen, die mit Célines Erbe verbunden sind.

Eine wichtige „Enthüllung“ erfolgte im August 2022, als der ehemalige Journalist von Libération auf seinem Blog den Namen des mysteriösen Überbringers der Manuskripte preisgab: Yvon Morandat, ein Widerstandskämpfer. Dies löste eine Kontroverse um Morandats Rolle aus; seine Familie, insbesondere seine Tochter Caroline, wollte die Manuskripte nicht Lucette übergeben, da sie befürchtete, den Ruf ihres Vaters zu beflecken und die Witwe nicht bereichern zu wollen. Die Frage nach der Herkunft des Diebstahls aus Célines Wohnung im Jahr 1944 bleibt jedoch weiterhin mysteriös.

Ein weiteres Rätsel, das sich durch diese Enthüllung vertiefte, betraf zwei Degas-Zeichnungen, die Céline gehörten und die Yvon Morandat ebenfalls behalten hatte. Die Frage „Mais où sont ces Degas ?“ wirft ein Licht auf die unvollständige Rückgabe des Erbes und die komplexen Besitzverhältnisse kunsthistorischer Artefakte in turbulenten Zeiten.

Auch die Frage der antisemitischen Pamphlete Célines – Bagatelles pour un massacre, L’école des cadavres, Les beaux draps – bleibt virulent. Lucette hatte deren Veröffentlichung ursprünglich abgelehnt, doch Gallimard strebt eine Publikation mit einem soliden kritischen Apparat an, sobald die Werke 2031 gemeinfrei werden. Dies soll verhindern, dass sie unkommentiert kursieren und als „matière dangereuse, nocive“ missbraucht werden.

Eine neue Wendung nahm die Angelegenheit im Januar 2023, als Célines Nachkommen, die 1962 ihr Erbe ausgeschlagen hatten, überraschend „le droit de divulgation sur l’œuvre de leur grand-père et arrière-grand-père“ sowie eine „somme importante en réparation du préjudice subi“ forderten. Dieses „réveil des descendants“, motiviert durch den Erfolg der neu veröffentlichten Werke, führte zum Scheitern der Verhandlungen und zur Ankündigung einer Klage gegen Gallimard und die Erben. Diese „Céline-Affäre“ verlängert somit die juristischen und moralischen Auseinandersetzungen um Célines Vermächtnis.

Das Fortleben der Geister und ein Erbe im Fluss

Die abenteuerliche Geschichte („rocambolesque histoire“) der Manuskripte, die mit Lucettes Tod begann und in komplexen juristischen Auseinandersetzungen mündet, hat Véronique Chovins Leben „profondément marqué“. Die „Céline-Affäre“ ist ein fortwährendes Mysterium, da die Figur Célines als „monstre qui nous échappe, un effrayant mystère“ bestehen bleibt. Véroniques Erzählung ist durch die „untrennbare Verbindung von Leben und Literatur“ geprägt, insbesondere durch die persönliche Verarbeitung der Trauer um Lucette und ihren Mann Pascal, die beide kurz nacheinander starben. Die Metapher der „fantômes de ceux qu’on aime et qui ne sont plus là physiquement à nos côtés, mais tellement présents“ verdeutlicht, wie Véronique das Erbe als eine lebendige Präsenz wahrnimmt, die sie zu neuen Projekten antreibt.

Véronique Chovin positioniert sich in Céline en héritage als die von Lucette Destouches auserwählte Hüterin und Verwalterin des Céline-Erbes, eine Rolle, die sie mit einem persönlichen und autobiografischen Ansatz ausfüllt. Ihr „récit“ ist explizit als die „abenteuerliche Geschichte dieser Wiederauferstehung“ der Manuskripte in Verbindung mit „anderen Fäden ihres Lebens“ angelegt, mit dem Gedanken, dass ihr eigenes Leben „ein Roman sein wird“. Diese subjektive, impressionistische Erzählweise verleiht ihr eine zentrale, unbestreitbare Autorität über die dargestellten Ereignisse, was jedoch auch ein Eigeninteresse an der Gestaltung und Popularisierung der Céline-Rezeption erkennen lässt. Schon ihr früheres, mit Lucette mitverfasstes Buch Céline secret rief wie eingangs angedeutet heftige Anfeindungen und Vorwürfe der „Imposture“ und „Manipulation“ hervor, da andere Céline-Spezialisten sich „enteignet“ fühlten. Chovin selbst reflektiert die „Gewalt“ und „feindseligen Reaktionen“ gegen sie, was auf eine tief verwurzelte Kontroverse um ihre Rolle hinweist.

Chovins Entscheidungen bezüglich der wiederentdeckten Manuskripte zeigen ebenfalls ein deutliches Eigeninteresse an der Kontrolle und Verwertung des Erbes. Sie setzte sich entschieden für die Veröffentlichung der Manuskripte für die „breite Öffentlichkeit“ ein, anstatt sie auf ein akademisches Publikum zu beschränken, was ihr wiederum Vorwürfe wie „merkantile Motivationen“ seitens einiger Kritiker einbrachte. Die spätere Klage der Céline-Nachkommen, die ihre Rechte und eine „finanzielle Entschädigung“ forderten, unterstreicht, dass Chovin als Akteurin wahrgenommen wird, die von der Veröffentlichung materiell profitiert. Ihre Abwehrhaltung gegenüber Kritik, die sie als „eifersüchtige Boshaftigkeit“ oder „Hostilität“ abtut, kann als Verteidigung ihrer Position und der damit verbundenen Interessen interpretiert werden. Chovins Rolle ist somit nicht nur die einer Vermittlerin, sondern auch die einer aktiven Gestalterin des Céline-Erbes, deren persönliche und emotionale Bindung mit handfesten Interessen an der Rezeption und dem kommerziellen Erfolg des Werkes verschmilzt.

Die noch offenen Fragen und die fortlaufenden juristischen Auseinandersetzungen zeigen, dass die Geschichte des Céline-Erbes noch lange nicht zu Ende ist und weiterhin Stoff für literarische und persönliche Erkundungen bieten wird. Es ist ein Erbe, das in ständigem Fluss ist, sich neu konfiguriert und immer wieder Anlass zu Debatten über seine Bedeutung und seinen Platz in der Literaturgeschichte gibt. Célines Guerre, London und eine Transkription des Manuskripts von Mort à crédit sind bei Gallimard lieferbar, La Volonté du Roi Krogold suivi de La Légende du Roi René ist im Erscheinen.


Neue Artikel und Besprechungen


rentrée littéraire
Datenschutz-Übersicht

Diese Website verwendet Cookies, damit wir dir die bestmögliche Benutzererfahrung bieten können. Cookie-Informationen werden in deinem Browser gespeichert und führen Funktionen aus, wie das Wiedererkennen von dir, wenn du auf unsere Website zurückkehrst, und hilft unserem Team zu verstehen, welche Abschnitte der Website für dich am interessantesten und nützlichsten sind.