Inhalt
- Rimbauds „Voyelles“ im Zentrum der Obsession
- Rimbaud als Existenzprinzip
- Ein Leben im Fluss: Biographische Parallelen und das Bild des Dichters
- Literatur als Leitfaden und Inspirationsquelle
- Die Rolle des „Voyant“ in der modernen Welt
- Das Rätsel der Existenz und die Kolonien des Geistes
- Cosmes finale Entdeckung
Guillaume Meurices Roman Cosme (Flammarion, 2018) ist eine Reinterpretation, die Rimbauds poetische Vision und seine Existenzweise in die moderne Welt überträgt. Der Roman verfolgt Cosmes Leben als eine Parallele zu Rimbauds Biographie und seiner Poetik, wobei er die Idee des „Voyant“ und die „Alchemie des Verbs“ in einem zeitgenössischen Kontext neu beleuchtet.
Cosme ist der Sohn spanischer Einwanderer, der in Biarritz geboren wurde und seine Kindheit verbrachte. Auch wenn er keine akademischen Abschlüsse besitzt, auch kein Abitur, zeichnet ihn eine außerordentliche Intelligenz und eine tiefe Leidenschaft für Wörter und Poesie aus. Sein Leben ist eine bewegte Reise, die ihn von Jugenddelinquenz in den Pariser Vorstädten über einen Militärdienst, bei dem er Geheimnachrichten entschlüsselt, bis hin zu endlosen Stunden in Schachklubs führt. Cosme ist ein freier Geist, ein Dichter und potenziell ein „Seher“ („Voyant“), der Freundschaft schätzt und eine Existenz zwischen geteilten Leidenschaften, unendlicher Einsamkeit, Schwindelgefühlen und einer „langen Entfesselung der Sinne“ führt. Ein zentrales Thema in Cosmes Leben ist seine beharrliche und fast obsessive Suche nach dem verborgenen Sinn von Arthur Rimbauds rätselhaftem Gedicht „Voyelles“, das er als den „Gral der französischen Poesie“ betrachtet. Seine methodische Herangehensweise an die Poesie und seine Fähigkeit, Muster zu erkennen und Codes zu entschlüsseln (auch aus seinen Erfahrungen beim Schach und im Militär), ermöglichen es ihm, das Gedicht nicht nur zu interpretieren, sondern es als verschlüsselten Text zu „entschlüsseln“ und dessen endgültige Wahrheit zu finden. Er ist unbeirrbar in seiner Entschlossenheit, die Geheimnisse zu lüften, auch wenn dies bedeutet, unkonventionelle Wege zu gehen und sich der sozialen Gewalt, der Obdachlosigkeit oder der Missachtung von Autorität zu stellen. Letztendlich ist Cosme ein selbstlernender Alchemist der Worte, der das bestgehütete Geheimnis der französischen Literatur lüften will und sich am Ende selbst als „Techniker poetischer Oberflächen“ bezeichnet.
Rimbauds „Voyelles“ im Zentrum der Obsession
Im Kern dieser Rimbaud-Fiktion steht Cosmes unerschütterliche Suche nach dem verborgenen Sinn von Arthur Rimbauds berühmtem Sonett „Voyelles“. Für Cosme ist dieses Gedicht nicht nur ein literarisches Werk, sondern der „Gral der französischen Poesie“, ein mystisches Rätsel, das einer klaren und endgültigen „Auflösung“ bedarf, jenseits jeglicher bloßen „Interpretation“ oder des „Gefühls“. Diese Unterscheidung ist entscheidend: Cosme begreift Dichtung als einen zu entschlüsselnden Text, ähnlich einem Geheimcode, und nicht als bloße Ausdrucksform subjektiver Empfindungen. Er ist überzeugt, dass „Voyelles“ „verschlüsselt“ ist, eine Überzeugung, die seine Methodik prägt, „Indizien zu sammeln“ und „in den Text einzudringen“.
Diese Auffassung von Poesie als einer präzisen, fast „algebraischen“ Wissenschaft findet sich bereits in Victor Hugos Diktum, dass „die Algebra in der Musik und die Musik in der Poesie“ sei. Cosme selbst, der Sonette von „subtiler Brutalität“ und „unerbittlicher Präzision“ verfasst, legt sich strenge Regeln und „besondere Zwänge“ auf, die seine Verse zu „perfekten Rechtecken“ formen, in denen „das Ungewisse ausgeschlossen, die Ungenauigkeit verabscheut“ ist. Seine Gedichte enthalten oft Akrostichons oder sind Holoreime, „Experimente, die wie das Echo in einem trockenen Berg widerhallen“. Dies spiegelt Rimbauds eigene „Alchemie des Verbs“ wider, die Kunst der Kombinatorik und die Fähigkeit, Sprache zu formen, zu „drehen, zu verzerren, zu biegen“, um zu einer tieferen, verborgenen Wahrheit vorzudringen. Cosme sieht sich als „Architekt, Erbauer, Wortschneider“, dessen Schaffen eine Symphonie ist, die nie endet, ein endloses Spiel, bei dem er die von ihm selbst gestellten Fallen überlistet und die selbst errichteten Hindernisse überwindet. So wird der Dichtungsakt zu einer intellektuellen Herausforderung und einer Reise in die „Tiefen“, auf der das Gedicht selbst zum mystischen Objekt wird, das seine „latentes Naissance“ offenbaren wird.
Rimbaud als Existenzprinzip
Rimbauds Ausspruch, dass der Poet ein „Voyant“ werden muss, „durch eine lange, ungeheure und überlegte Entfesselung aller Sinne“, bildet die philosophische Klammer, die Cosmes gesamte Existenz durchdringt. Sein Leben ist eine Kette von Grenzüberschreitungen und intensiven Erfahrungen, die ihn an die Ränder der Gesellschaft und seiner eigenen Wahrnehmung führen. Von Kindheit an erfährt Cosme ein „Schwindelgefühl“ und die „Entfesselung aller Sinne“, sei es durch seine seltsame Hautkrankheit, die ihn als Kind äußerlich „anders“ macht, oder durch seine späteren Erlebnisse, die ihn immer wieder an die körperlichen und geistigen Grenzen führen.
Cosme lehnt konventionelle Pfade ab und ist stattdessen auf der Suche nach den unkonventionellen. Seine verschiedenen Jobs – vom Verkauf gestohlener Kassetten am Gymnasium über den Handel mit elektronischem Material bis hin zur Tätigkeit als Kaufhausdetektiv – können in Beziehung zu Rimbauds Abkehr von der Poesie und Hinwendung zum Handel in Afrika verstanden werden. Diese Tätigkeiten sind für Cosme oft nicht nur Mittel zum Broterwerb, sondern auch Gelegenheiten, das System zu testen, Regeln zu beugen und eine Art „Spiel“ zu spielen.
Auch in extremen Situationen zeigt Cosme eine außergewöhnliche Beherrschung seiner Sinne und Emotionen. Bei einem Angriff im Supermarkt, als ein Mann ihn zu Unrecht bedroht, bleibt er „ruhig“ und „beherrscht seine Emotionen“. Während einer Verfolgungsjagd mit der Polizei, ohne Brille und mit eingeschränkter Sicht, verlässt er sich auf sein Gehör und seinen Instinkt. Diese Fähigkeit, inmitten des Chaos einen kühlen Kopf zu bewahren, seine Umgebung präzise wahrzunehmen und strategisch zu handeln, spiegelt Rimbauds Forderung wider, „alle Gifte in sich zu erschöpfen, um nur die Quintessenzen zu bewahren“ und zum „obersten Gelehrten“ zu werden, der das „Unbekannte“ erreicht. Cosme selbst beschreibt seine Fähigkeit, Schmerz und Frustration in kreative Energie umzuwandeln: „Jede Angst, jeder Moment des Zweifels, jede Frustration wird in einem internen Flakon aufbewahrt. Eiskalte Essenz. Zukünftiges Material zur Kreation“. Diese „innere Destillation“ ist die Essenz der Alchemie des Verbs und führt zur „reinen Schöpfung“.
Ein Leben im Fluss: Biographische Parallelen und das Bild des Dichters
Die Erzählung von Cosmes Leben ist durchzogen von biographischen Parallelen zu Arthur Rimbaud. Cosmes Kindheit in Biarritz als Sohn spanischer Einwanderer und seine späteren, oft unsteten Lebensabschnitte – von der Jugendkriminalität in den Vorstädten über den Militärdienst bis hin zu seinem Bohème-Dasein in Paris – zeichnen das Bild eines Suchenden, der Konventionen ablehnt und stets nach neuen Erfahrungen strebt. Rimbauds eigener, abrupt beendeter Rückzug aus der Poesie und seine Hinwendung zum Handel in Afrika finden gewissermaßen ihr Echo in Cosmes vielfältigen, oft prekären Beschäftigungen. Diese „kommerziellen“ Phasen sind für Cosme keine bloßen Stillstände, sondern ermöglichen ihm, wie Rimbaud, „in die Tiefe zu gehen“ und die Welt auf seine eigene Weise zu erforschen.
Das Bild Rimbauds, das im Roman gezeichnet wird, ist das eines mystischen, rätselhaften Genies, das weit über seine Zeit hinausragt. Er wird als „Seher“ bezeichnet, dessen Dichtung nicht nur provoziert, sondern auch „symbolistisch“ und „impressionistisch“ ist. Der Roman betont Rimbauds „arrogante Freiheit und wilde Verachtung der Konventionen“, Eigenschaften, die auch Cosme auszeichnen. Rimbaud wird als „dunkler Held, brillante schöpferische Kraft“ porträtiert, dessen frühes Ende und die vielen ungeklärten Fragen seiner Existenz („Was wollte er bedeuten? Wollte er überhaupt etwas bedeuten?“) seine Legende nur noch verstärken. Die Vorstellung, dass Rimbaud der Welt ein tief verborgenes Geheimnis hinterlassen hat, das nur wenige entschlüsseln können, erhebt ihn zu einer fast göttlichen Figur, dem Besitzer einer „ultimativen Offenbarung“.
Hinsichtlich der Homosexualität Rimbauds liefern die Quellen keine spezifischen Details oder Interpretationen im Zusammenhang mit seinem dichterischen Verständnis oder seinem Leben in den Kolonien. Der Text erwähnt lediglich beiläufig „Paul V.“ (Verlaine) im Kontext von Abschriften des „Voyelles“-Manuskripts und referenziert „Charles B.“ (Baudelaire) und „Emanuel S.“ (Swedenborg) als Einflüsse auf Cosmes esoterische Studien. Der Roman konzentriert sich auf Cosmes heterosexuelle Beziehungen und seine persönliche Suche nach dem Sinn, ohne Rimbauds sexuelle Orientierung als expliziten Aspekt seines künstlerischen oder existenziellen Pfades zu thematisieren.
Literatur als Leitfaden und Inspirationsquelle
Die Rimbaud-Fiktion wird durch ein dichtes Netz intertextueller Bezüge verwoben, die nicht nur Rimbauds Einfluss hervorheben, sondern auch Cosmes eigene literarische und philosophische Entwicklung prägen. Autoren wie Georges Perec, mit seiner Fähigkeit, „Spielereien“ und strukturelle Zwänge in seine Werke einzubauen, wie im roman La Disparition ohne den Buchstaben „e“ oder in La Vie mode d’emploi, dessen Struktur einem Schachbrettmuster folgt, dienen Cosme als Inspiration für seine eigenen komplexen Sonette und verborgenen Botschaften. Baudelaire, als „Chef“ der Poesie, dessen Correspondances und die Erzählung La lettre volée von Poe, die das Verstecken eines Geheimnisses direkt vor den Augen des Betrachters thematisiert, prägen Cosmes Denken entscheidend. Auch die extremen Erfahrungen und die radikale Poetik eines Antonin Artaud faszinieren Cosme und nähren seine eigene Praxis des „dérèglement des sens“ als poetisches Werkzeug.
Parallel zu seiner literarischen Entdeckungsreise ist das Schachspiel für Cosme eine Metapher für das Leben und die Poesie selbst. Es lehrt ihn Strategie, Voraussicht, die Akzeptanz von Niederlagen als Lernchancen und die Bedeutung der „Blitz“-Partien, bei denen der Instinkt über die bloße Technik triumphiert. Schach ist für Cosme ein „Exorzismus“ und ein intellektuelles „Kraftmessen“, das ihn auf die Entschlüsselung von Rimbauds Gedicht vorbereitet. Die Fähigkeit, das Spiel des Gegners zu „lesen“ und zu „entschlüsseln“, spiegelt seine Herangehensweise an die Poesie wider.
Auch Didi, der Anführer der Vorstadtbande, mit dem Cosme zeitweise zusammenarbeitet, ist eine Figur, die Cosmes Verständnis von verborgenen Bedeutungen bereichert. Didis Zeichnungen von Monstern, „erschreckend präzise“ und „faszinierend detailliert“, sind für ihn „Schilde gegen den Tod“, eine Art innerer Schutzmechanismus angesichts persönlicher Tragödien. Cosme erkennt, dass Didis Kunst, wie seine eigene Poesie, eine Form der Transformation von Schmerz in Ausdruck ist, ein weiterer Beweis für die „Alchemie des Verbs“, die im Alltag verborgen liegt.
Die Rolle des „Voyant“ in der modernen Welt
Cosme Olvera verkörpert in der Rimbaud-Fiktion die moderne Inkarnation des „Voyant“ – des Sehers. Obwohl er „keinen Abschluss“ besitzt und „nicht einmal ein Abiturient“ ist, gelingt es ihm, das zu erkennen, was unzählige Gelehrte, Dichter und Wissenschaftler vor ihm übersehen haben. Der Roman stellt ihn als einen „einfachen Handwerker, reisenden Poeten“ dar, der das „Privileg der Entdeckung“ erhält, eben weil er nicht durch akademische Scheuklappen oder etablierte Theorien verblendet ist. Er besitzt eine einzigartige Fähigkeit, „anders zu sehen“, „dahinter“ zu blicken und sich nicht von vorgefassten Meinungen leiten zu lassen.
Seine „Spieler“-Mentalität, seine Fähigkeit, „die Schwächen zu erkennen“ und „Vorurteile zu durchdringen“, sowie seine strategischen Denkweise, die er im Schach und in seinen verschiedenen, oft illegalen „Geschäften“ entwickelt, befähigen ihn, auch in der Poesie „unwiderlegbare Beweise“ zu finden. Cosme ist der „Ermittler“, der dem Text mit „Details“ als einziger Obsession begegnet, im Gegensatz zu den „Illuminati“ oder „einfachen Amateuren“, die Rimbauds Gedicht eher mit „gefährlichen Gewissheiten“ begegnen. Das Romanende positioniert ihn als den einzig Auserwählten, der das „Geheimnis der französischen Literatur“ lüften kann. Dieser Akt der Enthüllung ist nicht das Ergebnis akademischer Bildung, sondern einer inneren Berufung und einer Lebensweise, die dem „dérèglement des sens“ Rimbauds nacheifert.
Das Rätsel der Existenz und die Kolonien des Geistes
Rimbauds Existenz in den Kolonien wird im Roman nicht moralisch bewertet, sondern als biographische Tatsache angeführt. In der Rimbaud-Fiktion dient sie als Ausgangspunkt, um Cosmes eigene nomadische Existenz zu beleuchten. Er ist ein Vagabund, der sich ständig in neuen „Gebieten“ bewegt: von Biarritz über Vitry-sur-Seine bis nach Paris, durch die „heißen Vorstädte“, den Militärdienst und verschiedene, oft prekäre Arbeitsverhältnisse. Diese Orte sind für ihn wie „Kolonien des Geistes“, in denen er seine Grenzen testet und seine eigene Identität formt.
Cosmes „Geschäftsaktivitäten“, seien es der Handel mit gestohlenen Kassetten oder Elektronikartikeln, Jobs als Interimskraft, Handelsvertreter oder Kaufhausdetektiv, seine Zeit als Wachmann oder seine Rolle als Vermittler in der Vorstadtkriminalität, können als eine moderne Form von Rimbauds kommerziellen Unternehmungen in Afrika gedeutet werden. Diese Phasen sind für Cosme keine Sackgassen, sondern ermöglichen ihm ein „Leben im Überfluss“, das ihm die Freiheit gibt, seine „Alchemie des Verbs“ zu praktizieren. Er weigert sich, sich von den Zwängen einer konventionellen Karriere einsperren zu lassen, und lehnt sogar hochbezahlte Posten ab, um seiner „poetischen Bestimmung“ nachzugehen und „Zeit“ für seine Schriftstellerei zu haben. Sein Leben wird zu einem permanenten „Exil intérieur“, einer „totalen Immersion“ in die Suche nach tieferem Sinn, abseits etablierter Strukturen.
Cosmes finale Entdeckung
Der Höhepunkt der Rimbaud-Fiktion ist Cosmes „Illumination“ – die Entdeckung des verborgenen Codes in „Voyelles“. Nach jahrelanger, obsessiver Suche und dem „Entfesseln aller Sinne“ findet er die „unwiderlegbare Variante“ der Deutung. Die „Schlüssel“ zu Rimbauds Gedicht liegen für Cosme nicht in einer esoterischen Interpretation, sondern in einer mathematisch präzisen Entschlüsselung: Er entdeckt, dass die „Anzahl der Bestie“, die „sechshundertsechsundsechzig“ (666), in der genauen Zeichenzählung des Sonetts verborgen ist, inklusive Leerzeichen und Satzzeichen, sowie in der dreifachen Nennung des lateinischen „VI“ (6) in der Strophe mit „vibrements divins des mers virides“.
Diese Entdeckung wird zusätzlich durch die Verbindung zu den vier apokalyptischen Reitern aus der Johannesoffenbarung (A, E, I, U – Schwarz, Weiß, Rot, Grün) und dem „O“ als „Gott“ (Bleu, abgeleitet von dem juron ‚corbleu‘) gestützt, die Rimbaud kunstvoll in die Verse eingewebt hat. Für Cosme ist dies die „unwiderlegbare Wahrheit“, die „Hunderte von Spekulationen“ hinwegfegt und „einen definitiven Schlussstrich unter alle Spekulationen“ zieht. Es ist eine „Offenbarung“, die nur „Wer auf seine Augen zählen kann“ erkennen kann, ein Spiel mit der Wahrnehmung, das selbst die skeptischsten „Zeugen“ überzeugen soll.
Der Roman endet mit Cosmes Brief an Arthur Rimbaud, in dem er ihm seine Entdeckung mitteilt und sich als derjenige präsentiert, der Rimbauds Auftrag, die „latentes Naissances“ der Vokale zu enthüllen, erfüllt hat. Cosme identifiziert sich stark mit Rimbaud, nicht nur als dessen Nachfolger, sondern als dessen „Anderer“. Mit dem Zitat „Je suis l’autre“ aus Rimbauds berühmter „Lettre du Voyant“ vollzieht Cosme eine symbolische Übernahme: Er wird zum „perfekten Leser“ und zur Verkörperung Rimbauds poetischer Vision in der Jetztzeit. Er ist der Auserwählte, der das „am besten gehütete Geheimnis der französischen Literatur“ lüften konnte, weil er, wie Rimbaud, die Welt durch die Brille des Sehers betrachtete – nicht durch akademische Qualifikationen, sondern durch ein Leben, das selbst zu einem „raisonné dérèglement de tous les sens“ wurde. Die Veröffentlichung seines eigenen Sonetts „Vocalux Dei“, das als ein „Doppel“ von „Voyelles“ strukturiert ist und dessen verborgene Mechanismen nur Rimbaud selbst vollständig erfassen kann, unterstreicht Cosmes Anspruch, Rimbauds spiritueller Erbe zu sein und die Alchemie des Verbs in seiner eigenen Zeit fortzusetzen. Die Schlussbemerkung, dass sich Rimbaud an die Herausgeber wenden soll, falls er seine Adresse wissen möchte, zeugt von einer ironischen, aber tiefen Verbundenheit über die Zeit hinweg.