Inhalt
- Jenseits der Oberfläche
- Aspekte der Lektüre
- Die Konstruktion der Identität zwischen Herkunft und Subversion
- Die Nacht als utopischer Raum und Ort des Verfalls
- Drogen als Katalysator und Fluchtmechanismus
- Der Gonzo-Journalist als autobiographischer Künstler
- Beziehungsdynamiken
- Der Körper als Ort der Einschreibung und des Verfalls
- Der Roman als Zeitdokument und Generationsporträt
- Dorian Gray aller Nightclubber
- Überlebenskünstler
Jenseits der Oberfläche
Bei den Vorschauen zur Rentrée littéraire 2025 wird u.a. ein zweites Buch von Charles Salles beim Verlag La table ronde angekündigt: Lagarce, Fiction. Dreißig Jahre nach dem Tod des französischen Dramatikers Jean-Luc Lagarce (1957-1995) kommen Freunde, Familie und Weggefährten des Dramatikers zu Wort – seine Eltern, Produzenten, Schauspieler und literarische Alter Egos. Sie zeichnen ein Bild von Lagarce als Künstler, Freund, Sohn und Bruder. Salles‘ Porträt folgt seinen Lebensstationen: von der Kindheit in einer Peugeot-Arbeiterfamilie bei Montbéliard über Theaterprojekte in Besançon und Berlin bis hin zu den Pariser Intellektuellenkreisen, begleitet von unzähligen Reisen und Liebesbeziehungen. Doch Mitte der 1990er Jahre setzte AIDS seinem Schaffen und seiner Leidenschaft für Sprache ein Ende. Mit diesem Text legt Charles Salles sein Porträt eines der meistgespielten französischen Dramatiker der Gegenwart vor, dessen bekanntestes Werk Juste la fin du monde (Prüfungstext fürs französische Abitur) 2016 von Xavier Dolan verfilmt wurde.
Diese Ankündigung ist für mich Anlass, das vorhergehende Buch aufzuschlagen:
Charles Salles‘ Roman Alain Pacadis, Face B, veröffentlicht im Jahr 2023, zeichnet ein vielschichtiges Porträt des französischen Journalisten und der „Glam-Punk-Ikone“ Alain Pacadis. Das Buch beleuchtet Pacadis‘ Leben, das exemplarisch für die radikalen gesellschaftlichen und kulturellen Umbrüche der Nachkriegszeit in Paris steht. Es begleitet ihn von seiner Jugend in ärmlichen Verhältnissen und seiner ersten politischen Manifestation im Jahr 1968, die seine Desorientierung und Suche nach Identität offenbart, über seine prägenden Erfahrungen mit Drogen, Sexualität und der Pariser Underground-Szene der 1970er Jahre, bis hin zu seinem tragischen Tod im Jahr 1986.

Der Titel des Romans, „Alain Pacadis, Face B“, ist vielschichtig zu verstehen und spielt auf die „B-Seite“ einer Schallplatte an, die oft die weniger bekannte, experimentellere oder tiefgründigere Seite im Gegensatz zur populären „A-Seite“ des Hits darstellt. Im Kontext von Alain Pacadis‘ Leben und der Erzählung des Romans symbolisiert „Face B“ mehrere Aspekte, etwa die verborgene Realität hinter der öffentlichen Persona: Der Roman zielt darauf ab, mehr als nur den Journalisten zu enthüllen, indem er „den Vorhang aus Glitzer und Extravaganz lüftet“. Während Pacadis als Glam-Punk-Ikone und Star des Pariser Nachtlebens bekannt war, zeigt der Titel an, dass die Erzählung sich auf seine weniger glanzvollen Seiten konzentriert: die inneren Kämpfe, Ängste und die körperliche Verwahrlosung durch Drogenkonsum und einen selbstzerstörerischen Lebensstil.
Pacadis wird als unverzichtbar für die Subkultur-Szene dargestellt, da er das „Porträt des Dorian Gray aller Nightclubber“ ist. Er altert und zerstört sich für sie, was ihnen die Gewissheit ihrer eigenen Jugend und Schönheit gibt. Diese verborgene, sich zersetzende Seite ist seine „B-Seite“, die unschöne Wahrheit hinter der schönen Fassade. Der „Entracte“-Abschnitt des Buches thematisiert explizit, wie Drogen die jeweiligen Zeitgeister widerspiegelten. Die „goldenen Sechziger“ mit Haschisch und LSD repräsentierten Hoffnung und Glück (die A-Seite), während die 70er Jahre von Heroin, Desillusionierung und Selbstzerstörung geprägt waren (die B-Seite). Pacadis’ Leben vollzieht einen Übergang vom „Vivre“ (Leben) zum „Survivre“ (Überleben), was eine Verschiebung von einem glanzvollen Dasein zu einem bloßen Existieren inmitten des Verfalls andeutet.
Der Roman erforscht die tiefere, komplexere Persönlichkeit jenseits der Oberfläche: seine Familiengeschichte, seine jüdischen und griechischen Wurzeln, persönliche Traumata wie den Tod des Vaters und den Suizid der Mutter sowie seine tiefen Unsicherheiten. Diese weniger sichtbaren, intimen Schichten seines Wesens bilden seine „B-Seite“. Trotz der Selbstzerstörung gibt es am Ende des Buches einen Hinweis auf einen dauerhaften Geist, symbolisiert durch die Aufschrift „lust for life“ auf seinem Abzeichen, selbst als er tot oder dem Tode nahe auf seinem Bett liegt. Dies deutet darauf hin, dass selbst in seinen dunkelsten Momenten eine verborgene „B-Seite“ von Vitalität oder Trotz existierte.
Salles beleuchtet Pacadis‘ Transformation von einem schüchternen Immigrantensohn, der mit seiner Mutter in der Rue de Charonne lebt, zu einer Ikone des Glam-Punk und des Gonzo-Journalismus für die linke Tageszeitung Libération. Sein Leben wird als eine kontinuierliche Suche nach Zugehörigkeit, Liebe und einem Platz in einer sich wandelnden Welt dargestellt, immer wieder überschattet von persönlichen Traumata wie dem frühen Tod seines Vaters und dem Selbstmord seiner Mutter sowie seiner Drogensucht. Das Buch zeigt uns die exzessive Pariser Nachtclubszene der späten 1960er bis frühen 1980er Jahre, die für Alain zum Schauplatz seiner Selbstfindung, seiner sexuellen Experimente und seiner zunehmenden Abhängigkeit von Drogen wird. Seine äußere provokante Erscheinung dient dabei als Ausdruck einer tief sitzenden Suche nach Akzeptanz und Identität, die ihn durch eine Reihe von komplexen Beziehungen und tragischen Verlusten führt. Er findet Zugang zu Clubs wie „Le Sept“, der von Fabrice gegründet wurde, und später zum „Palace“ und den „Bains Douches“, wo er von einer „joyeuse bande de freaks“ begleitet wird. Diese Umgebungen werden für ihn zu einem wichtigen Raum der Selbstfindung, in dem er seine dandyeske Erscheinung und seine Vorlieben für Mode, Musik und Substanzen auslebt.
Seine Jugend ist geprägt vom frühen Tod seines Vaters und dem Luft nehmenden Einfluss seiner Mutter, der ihn in seinen Anfängen einsam und unsicher fühlen lässt. Alain nutzt seine journalistische Tätigkeit als Mittel, um diese neue Welt zu dokumentieren und sich darin zu verankern, auch wenn er anfänglich Schwierigkeiten hat, in etablierten Medien Fuß zu fassen. Der Roman verbindet biografische Elemente mit fiktiven Passagen, um die komplexe Persönlichkeit und das bewegte Leben von Alain Pacadis darzustellen.
Im Verlauf des Romans wird Alains Leben zunehmend von Drogenkonsum (Opium, Heroin, Speed, Alkohol) bestimmt und von einem zerstörerischen Drogenkonsum geprägt, der als Bewältigungsmechanismus für seine Ängste und Enttäuschungen sowie seine inneren Dämonen und gesellschaftlichen Enttäuschungen dient. Dieser treibt ihn aber auch in einen Zustand körperlichen und geistigen Verfalls. Seine anfängliche Euphorie und der Wunsch nach einem freien, selbstbestimmten Leben in einer „fröhlichen Bande von Freaks“ weichen einer desillusionierten Haltung gegenüber der sich wandelnden Zeit, insbesondere den aufkommenden 1980er Jahren mit ihrem Kult der Jugend und der Leistung. Seine Beziehungen sind oft komplex und von Verlust, Eifersucht und Manipulation geprägt, sei es in seiner unerfüllten Zuneigung zu Jacques (später Charles), seiner turbulenten Romanze mit Dinah oder seinen Abhängigkeiten von Freunden wie Tina. Alains körperlicher und mentaler Verfall wird zunehmend offensichtlich, von Gedächtnisverlust bis hin zu den Anzeichen einer Krankheit, die auf AIDS hindeutet. Trotz seines Erfolgs als Nachtkolumnist bei Libération und seiner „unwiderstehlichen Hässlichkeit“ spürt er das nahende Ende einer Ära und sein eigenes Schicksal, das im Kontrast zur „Performance“ und dem Kult der Jugend der 1980er Jahre steht. Alain Pacadis’ einzigartige Stellung als Beobachter und Akteur der Nachtkultur, festgehalten in seinen subjektiven und autofiktionalen Chroniken, macht ihn zu einem lebendigen Zeitzeugen einer Ära, die sich zwischen Utopie und Verfall, Freiheit und Selbstzerstörung bewegt. Der Roman mündet in einem tragischen Ende, das als ein letzter Akt der Selbstzerstörung inszeniert wird und die Ambivalenz seines gesamten Lebens zwischen dem unbedingten Wunsch zu „leben“ und der Sehnsucht nach einem „süßen Tod“ widerspiegelt.
Diese Zusammenfassung wirft eine Reihe von Fragen auf, die im Folgenden literaturwissenschaftlich interpretiert werden sollen. Dazu gehören: Wie prägen Alains Herkunft als Immigrantensohn und die frühkindlichen Traumata seine Identitätssuche und seinen Weg in die Subkultur? Welche Rolle spielen die Pariser Nachtclubs als Räume der Utopie und des Verfalls in seiner persönlichen Entwicklung? Inwiefern ist Alains Drogenkonsum sowohl ein Ausdruck seiner Zeit als auch ein individueller Fluchtmechanismus? Wie lässt sich sein Gonzo-Journalismus als Form der Selbstinszenierung und der Verarbeitung persönlicher Erfahrungen verstehen? Welche Dynamiken von Liebe, Abhängigkeit und Verlust bestimmen seine Beziehungen? Wie wird sein Körper zum Spiegelbild seines exzessiven Lebensstils und der gesellschaftlichen Ängste seiner Epoche? Inwiefern fungiert der Roman als ein umfassendes Zeitdokument und ein Generationsporträt, das die Transformation Frankreichs von den „Golden Sixties“ bis zur aufkommenden AIDS-Krise beleuchtet und wie interpretiert der Roman sein tragisches Ende? Darüber hinaus ist zu fragen: Wie spiegeln die narrativen und poetischen Verfahren die zerrissene Identität und die rauschhafte Existenz des Protagonisten wider? Welche Rolle spielen Kommunikation, Beziehungen und Intertextualität bei der Konstruktion von Pacadis‘ Selbstbild und seinem Platz in der kulturellen Landschaft? Und schließlich: Wie verhandelt der Roman die Kontinuität und den Bruch zwischen verschiedenen historischen Epochen und ihren spezifischen Drogenkulturen, die Pacadis‘ Leben prägten? Hierzu vorab einige Thesen:
Identitätskonstruktion und Rebellion
Alain Pacadis‘ Leben ist eine ständige Suche nach Identität, die durch eine bewusste Abkehr von seinen bürgerlichen und immigrantischen Wurzeln (polnisch-jüdische Mutter, griechischer Vater) und eine Hinwendung zu einem provokanten Dandy-Stil und einer Glam-Punk-Ästhetik geprägt ist. Er nutzt sein Äußeres und seine „unwiderstehliche Hässlichkeit“ als Mittel der Differenzierung und Rebellion gegen die Konformität.
Drogen als Flucht und Schicksal
Der Konsum von Psychopharmaka und Drogen (Opium, Heroin, Speed, Alkohol) fungiert für Alain nicht nur als Vergnügen oder Ausdruck einer modernen Lebensweise, sondern vor allem als existenzielle Flucht vor inneren Ängsten, traumatischen Erinnerungen (insbesondere dem Tod der Eltern) und der Disharmonie des Alltags. Er sieht den „süßen Tod“ durch eine Überdosis als ultimative Erfüllung und Flucht.
Die Nacht als Bühne und Zufluchtsort
Die Pariser Nachtclubszene, insbesondere das „Palace“ und „Le Sept“, bietet Alain und seinen Freunden einen geschützten Raum für Experimente, Exzess und die Schaffung einer alternativen Realität abseits gesellschaftlicher Normen. Es ist ein Ort, an dem Geschlechtergrenzen verschwimmen und Sex, Freiheit und Skandal gefeiert werden können.
Der Gonzo-Journalist als Beobachter und Akteur
Alains journalistische Tätigkeit, insbesondere seine Gonzo-Chroniken für Libération, macht ihn nicht nur zum Beobachter der Subkultur, sondern auch zu einem integralen Bestandteil und Mitgestalter der Ereignisse. Seine Artikel sind oft subjektive, autofiktionale Reflexionen seines eigenen Lebens und seiner Erfahrungen, die zu seinem Kultstatus beitragen.
Trauma, Verlust und die Last der Erinnerung:
Die wiederkehrenden Themen von Trauer, Einsamkeit und Schuldgefühlen (insbesondere nach dem Selbstmord seiner Mutter und dem Verlust geliebter Menschen) verfolgen Alain und beeinflussen seine Entscheidungen und Beziehungen. Die Aufarbeitung seiner familiären Herkunft – der griechische Vater, die polnisch-jüdische Mutter und ihre traumatischen Migrationsgeschichten – ist ein zentraler, aber oft unvollendeter Prozess in seinem Leben.
Der Körper als Spiegel des Verfalls und des Begehrens
Alains Beziehung zu seinem Körper ist ambivalent: Er nutzt ihn zur sexuellen Provokation und zur Ausdruck seiner Identität, aber er wird auch zum Spielfeld seiner Süchte und der Anzeichen seiner Krankheit (AIDS). Die körperliche Dekadenz und sein Verfall stehen im Kontrast zum Schönheits- und Leistungskult der aufkommenden 1980er Jahre und reflektieren die „Zerstörung“ und „Desillusionierung“ einer Generation.
Zeitgeschichtlicher Kommentar und Generationsporträt
Der Roman ist nicht nur eine individuelle Biographie, sondern auch ein Porträt der französischen Nachkriegsgesellschaft, insbesondere der Jugendbewegungen, Subkulturen und des kulturellen Wandels von den „Golden Sixties“ bis zu den ernüchternden 1970er und 1980er Jahren. Alains persönliche Erfahrungen spiegeln die politischen Enttäuschungen, gesellschaftlichen Liberalisierungen und die aufkommende AIDS-Krise wider.
Aspekte der Lektüre
Die Konstruktion der Identität zwischen Herkunft und Subversion
Alain Pacadis’ Leben ist eine fortwährende und oft schmerzhafte Suche nach einer eigenen Identität, die ihn von seinen familiären Wurzeln weg und hinein in die schillernde Pariser Subkultur führt. Als „timide fils d’immigrés, vivant seul avec sa mère rue de Charonne“, trägt er die Last einer doppelten Fremdheit in sich: die einer polnisch-jüdischen Mutter und eines griechischen Vaters, deren Migrationsgeschichten von Flucht, Trauma und dem Wunsch nach Assimilation geprägt sind. Die „Première Partie. Vivre“ beginnt mit Alains Jugend, die von einer erdrückenden mütterlichen Bindung überschattet wird. Seine Mutter Nicole, selbst eine Überlebende, die ihr jüdisches Erbe verbirgt und ihre wahre Herkunft leugnet, klammert sich nach dem Tod des Vaters an Alain. Sie hat ihm eine katholische Erziehung angedeihen lassen und „die Scham, als Jüdin bezeichnet zu werden“, auf ihn übertragen. Dieser Wunsch nach Normalität und bürgerlicher Akzeptanz kollidiert fundamental mit Alains innerem Drang nach Authentizität und Rebellion.
Der Tod seines Vaters, als Alain 16 Jahre alt war, wird paradoxerweise zu einer „libération“ für ihn. Obwohl er sich des Schmerzes und der Isolation seiner Mutter bewusst ist, empfindet er den Verlust als eine Befreiung von den Zwängen seines Elternhauses. Diesen Bruch nutzt er, um sich neu zu erfinden. Er legt die „bürgerliche“ Maske ab und beginnt, sich durch einen provokanten, dandyesken Stil zu inszenieren. Er kleidet sich in auffällige Gewänder, spricht mit einem „aristokratischen Akzent“ („accent aristo“) und taucht in die Pariser Nacht ein. Diese Transformation ist eine bewusste Abkehr von der ihm zugedachten Rolle und ein Versuch, sich durch Andersartigkeit zu behaupten. Seine „unwiderstehliche Hässlichkeit“ – eine Selbstbeschreibung, die er später in seinen Kolumnen pflegt und zur Marke macht – wird nicht zum Hindernis, sondern zum Instrument der Differenzierung und Rebellion gegen die Konformität in einer Welt, die auf Schönheit und Normativität fixiert ist. Er wird zum „Dorian Gray“ der Nachtclubber, der deren Jugend und Schönheit aufzehrt, während sein eigener Körper verfällt. Diese Inszenierung ist ein Akt der Selbstermächtigung und der Schaffung einer eigenen, selbstgewählten Familie, der „joyeuse bande de freaks“, die er in den Nachtclubs findet und die ihm die Zugehörigkeit gibt, die ihm familiär verwehrt blieb.
Die Nacht als utopischer Raum und Ort des Verfalls
Die Pariser Nachtclubszene, insbesondere Orte wie „Le Sept“, das „Palace“ und die „Bains Douches“, bilden den Kern von Alains Existenz und werden im Roman als ambivalente Räume dargestellt: Sie sind sowohl utopische Zufluchtsorte der Freiheit und des Exzesses als auch Orte des schleichenden Verfalls. Fabrice, der Gründer des „Sept“ im Jahr 1968, schafft einen chic-gay Club, der Alain eine neue Welt eröffnet. Alain erinnert sich an seine erste Begegnung mit Fabrice im „Sept“ als einen Wendepunkt, bei dem er spürte, „que ce n’était pas le sien, mais qui allait le devenir, il le pressentait et le désirait“. Diese Clubs werden zu Bühnen für eine „joyeuse bande de freaks“, in der Geschlechtergrenzen verschwimmen und sexuelle Freiheit, Skandal und nonkonformistischer Ausdruck zelebriert werden. Im „Palace“, unter der „silbrig abgehackten Beleuchtung“ („éclairages argentiques et saccadés“), tanzen „les dandys et les vamps“, und Alain erlebt dort „un pur moment de plaisir individuel et collectif“. Die Atmosphäre ist euphorisch, ein „Strudel der musikalischen Strömung“ („maëlstrom du flot musical“), der Sorgen und Müdigkeit vergessen lässt. Die Nacht, mit ihrem Vaudou-artigen Ritual und den „lasers aveuglants“, bietet eine Flucht vor der Normalität des Tages.
Doch diese utopischen Momente sind von Anfang an mit dem Keim des Verfalls behaftet. „Der Rausch ist abgeklungen, er bekommt Kopfschmerzen und braucht Ruhe.“ („L’ivresse est retombée, il commence à avoir mal à la tête et a besoin de repos“), heißt es nach einer durchtanzten Nacht. Der scheinbare Wunsch von Fabrice, das Palace als einen Ort zu erhalten, „où le sexe n’a pas sa place“, wird durch die Realität des Exzesses ad absurdum geführt. Alain selbst bezeugt, dass Sex immer präsent war und zum „parfum de scandale et de liberté“ der Clubs beitrug. Doch die Freiheit der Nacht birgt auch Risiken und führt zu einer zunehmenden Entfremdung von sich selbst und der Realität. Alains Körper wird zu einer dürren und erbärmlichen Muskulatur des Junkies („musculature étique et misérable du junkie“), ein genauer Gegenpart zum Körper- und Schönheitskult („contrepoint exact du culte du corps et de la beauté“) der aufkommenden 1980er Jahre. Die Nacht, die ihn einst befreite, wird zunehmend zu einem Ort, an dem er sich betrinkt, Drogen konsumiert und sich durch sein „Geruch nach Aas“ („odeur de charogne“) und seinen Verfall unbeliebt macht. Die Clubs, einst Zeichen der Befreiung, werden zu einem Gefängnis seiner Abhängigkeiten. Der „Entracte“ des Romans betont, jede Droge enthalte in sich die Antithese oder vielmehr die Aufhebung dieser Hoffnung („contient en elle l’antithèse, ou plutôt l’abolition, de cette espérance“). Die Nacht verkörpert somit sowohl das Potenzial für Freiheit als auch das Risiko der Selbstzerstörung, ein Thema, das sich durch Alains gesamte Existenz zieht.
Drogen als Katalysator und Fluchtmechanismus
Drogen spielen eine zentrale, ja definierende Rolle in Alains Leben, fungierend sowohl als Katalysator seiner exzessiven Existenz als auch als grundlegender Fluchtmechanismus. Von den „divers psychotropes qu’il avait consommés“ in seinen frühen Clubjahren bis zum täglichen Konsum von Opium, Heroin, Speed und Alkohol in seiner späteren Zeit prägen Substanzen seine Wahrnehmung, seine Kreativität und seinen physischen Verfall. Das „Entracte“ im Roman bietet eine Reflexion über die Beziehung zwischen Psychotropika und Modernität, indem es jede Droge als Spiegelbild einer Epoche interpretiert: „Dans l’après-guerre, chaque drogue reflète un état d’esprit, une culture, une manière de vivre. Chaque drogue incarne une espérance et contient en elle l’antithèse, ou plutôt l’abolition, de cette espérance“.
Die Drogenkulturen der Nachkriegszeit werden als Spiegelbilder ihrer jeweiligen Epochen dargestellt: Die 1950er Jahre sind geprägt von Whisky und Amphetaminen, Drogen der „Leistung“ und der „unermüdlichen“ intellektuellen Arbeit (Sartre, Beauvoir), die eine moralisierende, rationale und ängstliche Zeit widerspiegeln. Die 1960er Jahre sind die Zeit des Haschisch und LSD, der „Hoffnung“, der „Harmonie“ und der „Selbstfindung“, die den Geist der „Golden Sixties“, der sexuellen Freiheit und der Gemeinschaft verkörpern. Die 1970er Jahre markieren den Absturz, die „schlechte Abfahrt“ nach den Träumen von 1968. Heroin ist die Droge dieser Ära, symbolisierend „Ekstase ohne Sex, Entspannung ohne Anxiolytika, Tod ohne Schmerz“. Es ist die Droge der Desillusionierung, der Isolation und des Nihilismus, die perfekt zur Punk-Ära passt, in der „die Welt am Rande der Zerstörung“ steht. Heroin steht für Rückzug, für das „Sich-Verkriechen im schmutzigen Zimmer, auf dem stinkenden Bett“. Die späten 1970er und 1980er Jahre sehen die Rückkehr der „Ideologie“ und des Marktes, mit Kokain als dominierender Droge. Kokain ist die Droge der „Performance“, der „Gewinner“, der „Schönen, Sauberen und Fitten“. Es steht für den aufstrebenden Neoliberalismus, für eine Welt, in der alles dem „allmächtigen Dollar“ und der Selbstinszenierung untergeordnet ist.
Für Alain ist Heroin genau diese Droge der Retraktion. Er sehnt sich nach dem „süßen Tod“ („ein süßer Tod“) durch eine Überdosis, wie er es in Gesprächen mit Nico formuliert, die ihn in die Welt der harten Drogen einführt. Der Opiumkonsum während seiner Reise nach Afghanistan wird als „miraculeux“ beschrieben, der ihn von der lähmenden Schuld befreit, die ihn seit dem Tod seiner Mutter verfolgt. Alain empfindet, dass „die Artikel leichter kommen, wenn die Droge in seinen Adern fließt, alles fällt ihm leichter, das Leben erscheint ihm schön und einfach.“ („Les articles viennent plus facilement quand la drogue court dans ses veines, tout vient plus facilement, la vie lui semble belle et simple“). Die Drogen ermöglichen ihm nicht nur eine kreative Flucht, sondern auch eine Betäubung existenzieller Ängste, insbesondere der Scham bezüglich seiner Homosexualität und der latenten Schuld am Selbstmord seiner Mutter. Nico versichert ihm zwar, „on ne se suicide pas parce qu’on a un fils homosexuel !“ und rät ihm, „vis ta vie ! Hit the road… pas de regrets“, aber die tiefe Verwundung bleibt bestehen.
Alains Drogenkonsum ist jedoch nicht nur ein Ausdruck der Zeit oder eine Reaktion auf persönliche Traumata, sondern auch ein Akt der Selbstzerstörung. Er wird zu einem „junkie“, dessen Körper die physischen Konsequenzen seines Lebensstils offenbart. Die wiederholten Überdosen, wie diejenige nach einem Speedball mit Willy, sind ein Vorbote seines Endes. Trotzdem klammert er sich an die Drogen, da sie ihm eine scheinbare Kontrolle über sein Schicksal geben und eine Form von Vergnügen, die er nicht mehr anders findet. Er wird zu einem Überlebenden, der dem Tod immer wieder von der Schippe springt, wie ein „unverwundbarer Kakerlak“, aber dieser Überlebenskampf ist selbst eine Form des Verfalls.
Der Gonzo-Journalist als autobiographischer Künstler
Alain Pacadis’ journalistische Tätigkeit, insbesondere seine Gonzo-Chroniken für Libération, bildet einen zentralen Pfeiler seiner Identität und seines Ausdrucks. Er ist nicht nur ein Beobachter der Subkultur, sondern wird durch seine Schriften selbst zum integralen Akteur und Mythos. Von seinen Anfängen als „journaliste de l’underground pour Libération et Façade“ bis zu seiner späteren Berühmtheit als „star du journalisme et de la nuit parisienne“ nutzt Alain seine Kolumnen, um sein eigenes Leben zu dokumentieren, zu stilisieren und damit zu mystifizieren. Die journalistisches Schreiben ist eine Form der Kommunikation, die die Grenzen zwischen Berichterstattung und Selbstdarstellung verwischt. Pacadis schreibt sich selbst in die Erzählung ein, macht seine persönlichen Erfahrungen, Liebeskummer und Drogenexzesse zum Gegenstand seiner Kolumnen. Das Schreiben wird hier zu einem existenziellen Akt, einer Art Selbstschöpfung, wie sein Ausruf „Ich bin der Prinz des Palace. Und ihr, was seid ihr? Ihr seid nichts!“ verdeutlicht. Seine Kolumnen werden zu seinem Vermächtnis.
Sein Stil ist bewusst subjektiv, pointiert und autofiktional. Er schreibt über seine Begegnungen mit Stars und Freaks, seine Exzesse in den Nachtclubs und seine persönlichen Leiden. So reflektiert er etwa seine Eifersucht auf Dinahs Liebhaber und seine eigene Unfähigkeit zu tanzen in seinen Gedanken: „Je suis célèbre, moi. J’écris dans Libé, moi. White Flash, Nightclubbing, c’est moi !“. Er wünscht sich, dass seine Chroniken die Erinnerung an die Nacht und ihre Protagonisten bewahren: „Wenn eines Tages im 21. Jahrhundert, wenn ich tot und begraben bin, vom Alkohol und Heroin zerfressen, noch jemand über den Palace spricht, dann ist das mein Verdienst, nur mein Verdienst.“ („Si un jour au XXIe siècle, quand je serai mort et enterré, rongé par l’alcool et l’héro, quelqu’un parle encore du Palace, ce sera grâce à moi, rien qu’à moi.“)
Doch Alains künstlerischer Ansatz stößt auch auf Ablehnung und Missverständnis, insbesondere im Konflikt mit Bizot, dem Chefredakteur von Actuel. Bizot lehnt Alains Artikel ab und kritisiert ihn scharf: „Das klingt wie etwas, das von einem altmodischen Schriftsteller aus dem 19. Jahrhundert geschrieben wurde, einem narzisstischen, affektierten, humorlosen Loti.“ („On croirait un truc écrit par un ringard du XIXe, un Loti quelconque, narcissique, maniéré, pas drôle.“) Er wirft ihm vor, nicht das zu liefern, was Actuel sucht: „Wir sind hier, um die Bourgeoisie zu schockieren, wir wollen Trash, Transgression, Genuss, Leben, vor allem Sex… nicht deine Geschichten von einem kleinen, affektierten, sentimentalen Schwuchtel, der wie ein Asket für einen Transvestiten steht. Wir sind nicht Marcel Proust, wir beschäftigen uns nicht mit Metaphysik oder Poesie… wir wollen etwas Solides, Sperma, Schwänze und Ärsche! “ („Nous, on est là pour choquer les bourgeois, on veut du trash, de la transgression, de la jouissance, de la vie, de la baise surtout… pas tes histoires de petit pédé maniéré et sentimental qui trique en ascète pour un travesti, on fait pas du Marcel Proust, on n’est pas dans la métaphysique ou la poésie… on veut du solide, du sperme, des bites et des culs !“) Dieser Vorwurf, zu sentimental, zu „Proust-artig“ und nicht „traschig“ genug zu sein, trifft Alain hart und offenbart nicht zuletzt die Homophobie und die Erwartungen an eine bestimmte Art von „Underground“-Journalismus, der seine persönliche und künstlerische Ausdrucksweise nicht zulässt.
Die Ablehnung durch Actuel und die spätere parodistische Verhöhnung seines Stils in einem Artikel namens „Alain Picradis, tous à La Coupole !“ sind für Alain besonders schmerzhaft. Er interpretiert dies als eine persönliche Attacke, die seine Identität als „pédé et prolo“ angreift und ihn als „déchet, un junkie, un mort en sursis“ („Abfall, ein Junkie, ein Todgeweihter“) darstellt. Doch diese Rückschläge nähren auch seinen Wunsch nach „venganza“ (Rache) und bestärken ihn in seiner einzigartigen Stimme. Sein Journalismus wird zu einem Raum, in dem er seine „laideur irrésistible“ und seine Erfahrungen in eine Form des Ausdrucks umwandelt, die über bloße Berichterstattung hinausgeht und zur autobiographischen Kunst wird. Das ist ein autopoetologischer Ansatz: Salles übernimmt und transformiert Pacadis‘ Technik, indem er dessen Leben durch seine eigenen (vermeintlichen) Schriften und die Rezeption durch andere filtert. Der wiederholte Fokus darauf, wie Pacadis seine Texte schreibt und Notizen macht, unterstreicht die Bedeutung des journalistischen Akts für seine Identität und seinen Anspruch, die Geschichte seiner Epoche und seiner selbst festzuhalten. Die Ablehnung seines Artikels durch Bizot, der ihn als „sentimentalen Schwuchtel“ kritisiert, der „wie Marcel Proust“ schreibt, ist eine ironische Selbstreflexion über den Unterschied zwischen gewünschter und wahrgenommener künstlerischer Identität und deutet auf die Hierarchien und Vorurteile innerhalb der intellektuellen Szene hin.
Beziehungsdynamiken
Alain Pacadis’ Beziehungen sind ein komplexes Geflecht aus unerfüllter Sehnsucht, intensiver Abhängigkeit und wiederkehrendem Verlust. Diese Dynamiken prägen sein emotionales Leben zutiefst und spiegeln seine innere Zerrissenheit wider. Die Figurenkonstellation um Pacadis ist ein Spiegel seiner Identitätssuche und seiner prekären Existenz. Seine Beziehungen sind oft flüchtig, zweckmäßig oder von einer grundlegenden Asymmetrie geprägt.
Die Eltern sind eine Konstante der unerfüllten Sehnsucht und des Traumas. Die Mutter Nicole, mit ihrer eigenen Vergangenheit als polnisch-jüdische Immigrantin, die ihre Herkunft verleugnet und ihre Träume auf den Sohn projiziert, prägt Pacadis‘ Schuldgefühle und seine Angst vor Verlassenheit. Der Vater, ein schweigsamer griechischer Einwanderer, der seine Traumata verbirgt, ist eine abwesende, aber präsente Figur, deren unerfüllte Liebe und fremde Herkunft Pacadis‘ eigene Entwurzelung unterstreichen. Pacadis‘ spätere Einsicht „Ich habe verstanden, dass der einzige Stolz, der zählt, derjenige ist, den man in den Augen seiner Eltern sieht“ offenbart die tiefe Kluft zwischen seinem Erfolg und seinem inneren Bedürfnis nach elterlicher Anerkennung.
Eine seiner prägendsten und schmerzhaftesten Beziehungen ist die zu Jacques, der später zu Charles wird. Alain verliebt sich leidenschaftlich in ihn, und seine anfängliche Beteiligung an der trotzkistischen Bewegung ist primär von dem Wunsch motiviert, Jacques nahe zu sein: „c’est pour Jacques que tu es devenu trotskiste, authentiquement trotskiste, un vrai croyant, par amour“. Doch Jacques, der sich in Charles verwandelt und zu einer „castration politique“ neigt, wird zu einer distanzierten, manipulativen Figur, die sich nur für die Organisation interessiert. Alain muss erkennen: „Aber gestern Abend hat es Klick gemacht: Jacques existiert nicht mehr, Charles hat ihn ersetzt, und Charles interessiert sich nur für die Organisation, alles andere ist nebensächlich, einschließlich und vielleicht vor allem die Gefühle.“ („Mais hier soir, il a eu un déclic : Jacques n’existe plus, Charles l’a remplacé et Charles ne s’intéresse qu’à l’organisation, le reste est auxiliaire, y compris, et peut-être avant tout, les sentiments.“) Diese unerwiderte Liebe und die Erkenntnis, nur ein „pion dans son jeu, rien de plus“ zu sein, führen zu tiefer Enttäuschung und verstärken Alains Gefühl der Einsamkeit. Die Organisation lehnt Homosexualität als „contre-nature“ und „petit-bourgeois“ ab, was Alains persönliche Wünsche weiter unterdrückt.
Die Beziehung zu Dinah ist ebenfalls von großer Bedeutung. Sie ist „l’amour de sa vie qui l’a quitté pour une autre“. Dinah, eine Transfrau, die sich durch die Prostitution in Pigalle und im Bois de Boulogne über Wasser hält, verkörpert die raue Realität der Subkultur, in die Alain so sehr eintauchen möchte. Ihre Beziehung ist turbulent, geprägt von wiederholten Trennungen, Eifersucht und einem prekären Gleichgewicht der Abhängigkeit. Alain ist eifersüchtig, wenn Dinah mit anderen tanzt oder Sex hat, obwohl er selbst in sexuellen Abenteuern schwelgt. Er ist stolz auf ihren Erfolg bei anderen, „aber das macht ihn traurig, trauriger als er es sich hätte vorstellen können“. Trotzdem hält er an ihr fest, versorgt sie mit Drogen und ist für sie da, wenn sie in Not ist. Er erkennt, dass sie ihn mehr braucht als er sie, da er ihr Türen zu Konzerten und Stars öffnet. Dinahs Leben ist hart, und sie muss „le trottoir“ machen (d.i. auf den Strich gehen), um zu überleben, was Alain mit seinem unregelmäßigen Journalismus nicht ändern kann. Ihr gemeinsamer Drogenkonsum schweißt sie zusammen, doch auch hier ist das Verhältnis ambivalent. Ihre Streitereien sind ritualisiert, ein Ausdruck ihrer Frustrationen und der Realität ihres Überlebenskampfes. Dinah dient Pacadis auch als Spiegel für seine eigenen Unsicherheiten und Ängste, insbesondere in Bezug auf seinen Körper und seine Abhängigkeit. Ihre Konversationen über Drogen und Prostitution, in denen sie die „Gesetze“ ihres Überlebens auf der Straße diskutieren, offenbaren eine rohe, ungeschminkte Seite der Pariser Nacht. Als Dinah sich weigert, mit ihm zu schlafen, und ihn zurückweist mit „Tu pues ! Casse-toi, sale junkie !“, trifft ihn das zutiefst und führt zu einer Spirale der Selbstzerstörung, die in seinem angeblichen Suizidversuch im Badezimmer kulminiert.
Tina Aumont ist eine weitere wichtige Figur, eine „vieille amie Tina“, die ihn in den schwersten Zeiten, insbesondere nach dem Wohnungsbrand, aufnimmt und mit Heroin versorgt. Tina, selbst tief in der Drogensucht verstrickt („dans l’héro jusqu’au cou“), bietet ihm einen Zufluchtsort und eine Form von Unterstützung, auch wenn sie keine „beste Beraterin“ ist. Ihre Beziehung ist eine der gegenseitigen Abhängigkeit und des geteilten Schicksals in der Drogenszene.
Die Beziehung zu Yves Adrien, seinem „ami Yves, son frère Yves“, ist von einer tiefen, fast brüderlichen Verbundenheit geprägt. Yves ist der Einzige, dem er wirklich vertraut und mit dem er er selbst sein kann. Alain bewundert Yves‘ Genie und seinen einzigartigen Stil, der für ihn das verkörpert, was er selbst anstrebt. Ihre Freundschaft ist jedoch auch komplex, da Alain sich mehr als nur Brüderlichkeit wünscht, Yves aber „une réputation de don Juan macho et sadique à préserver“ hat. Trotzdem ist Yves eine Konstante in Alains Leben, der ihm Kassetten mit Musik zusammenstellt und ein wichtiger emotionaler Anker ist. Er ist derjenige, der den „Gonzo-Stil“ wirklich beherrscht und Pacadis‘ Wunsch nach Anerkennung spiegelt. Ihre Freundschaft ist von Konkurrenz und Bewunderung geprägt, aber auch von einem tiefen Verständnis füreinander, das Pacadis bei anderen vermisst.
Die Begegnung mit Nico ist ebenfalls von entscheidender Bedeutung. Nico, eine „icône“, die selbst den Verlust ihrer Mutter betrauert, wird zu einer Art Ersatzmutterfigur und Mentorin. Ihre Beziehung, die auf dem gemeinsamen Trauma des Verlusts der Mutter und der Faszination für den Tod basiert, ist eine des Verstehens und der Initiation. Sie ermutigt ihn, seine Ängste zu überwinden und das Leben in vollen Zügen zu genießen:
— So what… Même si elle avait compris, ça ne veut pas dire qu’elle s’est tuée pour ça. Ce sont les enfants qui se suicident parce que leurs parents ne les acceptent pas comme ils sont. Lou did that, he committed suicide because of his creepy father ! Non, quand on se suicide c’est qu’il y a quelque chose d’autre, something that keeps you from going on, ein Schmerz, eine Leere, einen Überlauf, je ne sais pas comment dire en français, une maladie, mental illness, einen Nervenzusammenbruch, on ne se suicide pas parce que son enfant est homosexuel, ça tient à quelque chose de plus profond. Ta mère ne s’est pas suicidée à cause de toi, mais elle a voulu que tu te sentes coupable, eine tiefe Schuld. Laisser un mot n’est jamais bienveillant, das ist sehr egoistisch, tu ne dois pas l’accepter, das ist nicht möglich. Du hast dir nichts vorzuwerfen… Pense plutôt à l’autre sens de cette phrase, follow her advice, vis ta vie ! Hit the road, rejoins tes amis, darf man nichts bereuen, pas de regrets, c’est la meilleure façon de faire ton deuil : live ! Das ist alles…
„So what… Selbst wenn sie es verstanden hätte, heißt das nicht, dass sie sich deswegen umgebracht hat. Kinder begehen Selbstmord, weil ihre Eltern sie nicht so akzeptieren, wie sie sind. Lou did that, he committed suicide because of his creepy father ! Nein, wenn man Selbstmord begeht, dann gibt es etwas anderes, something that keeps you from going on, ein Schmerz, eine Leere, einen Überlauf, ich weiß nicht, wie man das auf Französisch sagt, eine Krankheit, mental illness, einen Nervenzusammenbruch, man begeht keinen Selbstmord, weil sein Kind homosexuell ist, das hat mit etwas Tieferem zu tun. Deine Mutter hat sich nicht wegen dir umgebracht, aber sie wollte, dass du dich schuldig fühlst, eine tiefe Schuld. Einen Abschiedsbrief zu hinterlassen ist niemals gütig, das ist sehr egoistisch, du darfst das nicht akzeptieren, das ist nicht möglich. Du hast dir nichts vorzuwerfen… Denk lieber an die andere Bedeutung dieses Satzes, folge ihrem Rat, lebe dein Leben! Hit the road, geh zu deinen Freunden, darf man nichts bereuen, keine Reue, das ist der beste Weg, um zu trauern: lebe! Das ist alles…“
Ihre Worte und die Musik von Velvet Underground haben eine kathartische Wirkung auf Alain. Nico ist auch diejenige, die ihn in die Welt des Heroins einführt, das sie als Weg zu einem „süßen Tod“ und einer intensiveren Erfahrung des Lebens propagiert. Die Szene, in der Nico ihm „I’ll be your mirror“ singt und er sich „erleichtert, befreit, erlöst“ („soulagé, libéré, rédimé“) fühlt, ist ein Höhepunkt emotionaler Verbindung und ein Akt der Wiederherstellung seiner Lebensenergie.
Fabrice Emaer, der Gründer des Palace und Sept, fungiert als eine Art Ersatz-Vaterfigur und Förderer. Er bietet Pacadis Zugang zur Welt des Glamours und der Stars, eine Welt, in der Pacadis seine „gonzo“-Identität schmieden kann. Fabrices Tod trifft Pacadis hart, da er seinen „Beschützer, seinen Wohltäter“ verliert und mit dem „Schild der Krankheit“ konfrontiert wird. Seine gestelzte Vorstellung als „Journalist des Underground für Libération und Façade“ bei Fabrice Emaer ist ein Versuch, sich als jemand Wichtiges zu präsentieren und Zugang zu einer neuen Welt zu erhalten. Die Sprache ist hier Mittel zum Zweck, ein Schlüssel zur sozialen Mobilität und Akzeptanz. Fabrice erkennt dies und nutzt Pacadis‘ „chic“-Sein als „beste Werbung“.
François, Pacadis‘ letzter Geliebter, ist eine Figur der Jugend und der Grausamkeit. Er repräsentiert die junge Generation und die Kälte der AIDS-Ära. Seine Zurückweisung von Pacadis, seine Weigerung, mit ihm zu schlafen, und schließlich sein Mordversuch symbolisieren die Isolation und den Verfall, die Pacadis am Ende seines Lebens erlebt. François ist die Verkörperung der „grausamen Jugend“ und des „mangelnden Mitleids“, die Pacadis‘ Endphase charakterisieren.
Insgesamt zeigen Alains Beziehungen seine tiefe Sehnsucht nach Liebe und Zugehörigkeit, aber auch seine Unfähigkeit, diese vollständig zu finden oder aufrechtzuerhalten. Er verliert sich oft in Abhängigkeiten und leidenschaftlicher Eifersucht, die ihn letztendlich isolieren und zu weiteren Akten der Selbstzerstörung treiben. Die wiederkehrenden Themen von Verlust, Verrat und der Suche nach Trost prägen sein emotionales Innenleben und seinen Umgang mit der Welt.
Der Körper als Ort der Einschreibung und des Verfalls
In Alain Pacadis, Face B wird der Körper zu einem zentralen Ort der Einschreibung, der Alains exzessiven Lebensstil, seine Abhängigkeiten und die gesellschaftlichen Ängste seiner Zeit – insbesondere die aufkommende AIDS-Krise – unmissverständlich widerspiegelt. Alains „kränklicher und krummer Körper“ („corps malingre et tordu“) steht im krassen Gegensatz zu den „Schauspielern und Models mit hohlen Köpfen, aber strahlend gesund und gepflegt“ („acteurs et des mannequins aux cerveaux vides, mais éclatants de santé et de propreté“), die er in den Clubs trifft. Er ist der „portrait de Dorian Gray de tous les nightclubbers“, der für sie altert und sich zerstört, während sie ihre Jugend und Schönheit bewahren.
Seine physische Erscheinung ist immer stärker durch die Folgen seines Drogenkonsums gezeichnet: „Mit seinem hohlen Bauch, seinen hervorstehenden Rippen, seinen schmächtigen Bizeps, seinen abstehenden Ohren, seiner krummen, knolligen Nase, seiner hängenden Lippe und seinen faulen Zähnen verkörpert er das genaue Gegenteil des Körperkults und der Schönheit, die ihn umgeben.“ („Avec son ventre creux, ses côtes saillantes, ses biceps frêles, ses oreilles décollées, son nez tordu et glanduleux, sa lippe pendante et ses dents pourries, il incarne le contrepoint exact du culte du corps et de la beauté qui se déploie autour de lui.“) Er ist sich seiner „irresistible laideur“ bewusst und macht sie zu einem Teil seiner Persona, selbst wenn er von anderen aufgrund seines Gestankes oder seiner Drogensucht gemieden wird. Die Ablehnung, die er erfährt, ist für ihn schmerzhaft, doch er nutzt sie auch als provokativen Akt der Rebellion gegen die vorherrschenden Schönheitsideale. Sein Körper, einst ein Instrument der Lust und des Protests, wird nun zu einem Zeugnis seines eigenen Verfalls und des Endes einer Ära.
Mit dem Aufkommen der AIDS-Krise in den 1980er Jahren wird der Körper zusätzlich zum Schauplatz existenzieller Angst. Alain reflektiert die Stigmatisierung und Panik, die sich um die Krankheit der „4 H: Hémophile, Homosexuel, Haïtien, Héroïnomane“ rankt. Er untersucht seinen Körper obsessiv nach Symptomen wie „zona, sarcome de Kaposi, pneumocystose et, le pire, muguet buccal“ („Gürtelrose, Kaposi-Sarkom, Pneumocystis-Pneumonie und, am schlimmsten, Mundsoor“). Die Angst vor einer Infektion, die er für wahrscheinlich hält („Wenn er sich nicht beim Ficken angesteckt hat, dann beim Spritzen.“ „S’il n’a pas été contaminé en baisant, il l’a été en se fixant“), wird zu einer konstanten Begleiterin. Die „sénilité précoce“ durch Gedächtnisverlust und die „trempés de sueur“ sind für ihn klare Anzeichen der Krankheit. Diese physische Dekadenz steht im Kontrast zum neuen „culte de la jeunesse“ und der „performance“ der 1980er Jahre, symbolisiert durch den Aufstieg von Stars wie Madonna oder dem Aerobic-Trend. Er wird von anderen gemieden, weil sie Angst vor Ansteckung haben: „La peur panique qu’il puisse leur transmettre la maladie“. Diese Stigmatisierung und Isolation treiben ihn weiter in die Einsamkeit, auch wenn er sich im Geiste als „indestructible, comme les cafards“ empfindet, „unzerstörbar, wie Kakerlaken“.
Der Roman als Zeitdokument und Generationsporträt
Alain Pacadis, Face B ist nicht nur eine individuelle Biographie, sondern auch ein facettenreiches Zeitdokument und ein tiefgründiges Generationsporträt. Der Roman bildet die sozialen, politischen und kulturellen Transformationen Frankreichs von den späten 1960er Jahren bis in die Mitte der 1980er Jahre ab, wobei Alains persönliche Erfahrungen eng mit diesen Umwälzungen verwoben sind.
Der „Mai 68“ markiert einen entscheidenden Beginn. Alain, noch jung und naiv, nimmt an seiner ersten Demonstration teil und spürt eine „excitation étrange“, die ihn in die revolutionären Strömungen der Zeit zieht. Obwohl er sich nicht als überzeugter Maoist oder Trotzkist erweist, spiegelt seine anfängliche Anziehung zu politischen Bewegungen wie dem FHAR (Front homosexuel d’action révolutionnaire) die allgemeine Aufbruchsstimmung und den Wunsch nach gesellschaftlichem Wandel wider. Die Clubs, in denen sich die „joyeuse bande de freaks“ trifft, stehen für die Liberalisierung der Sexualität und die Auflösung traditioneller Normen.
Die 1970er Jahre, insbesondere durch die Punk-Bewegung repräsentiert, sind eine Zeit der Desillusionierung und des radikalen Ausdrucks. Der Glam-Rock der New York Dolls, ihre Provokationen und Alains eigene „chroniques gonzo“ bei Libération symbolisieren eine Ablehnung der bürgerlichen Konventionen. Die Stadt Paris selbst erfährt einen Wandel, von den alten Halles zum Bau des RER. Doch der „Entracte“ des Romans betont auch das Ende der „golden sixties“ und den Übergang zu einer Ära der „angoisse, de crise et de désillusion“, in der Heroin zur vorherrschenden Droge wird, die „retranche, là où les autres additionieren“. Die politischen Enttäuschungen, wie die Wahl Giscard d’Estaings und die Skandale um Persönlichkeiten wie Matzneff, untergraben Alains Glauben an eine bessere Zukunft und lassen ihn immer mehr in die Isolation seiner Drogensucht flüchten.
Die aufkommenden 1980er Jahre werden als eine Zeit des Wandels hin zu einer neuen „modernité“ und einer „nouvelle épistèmè“ beschrieben, die von „dollars, de la coke et MTV“ geprägt ist. Der Roman kontrastiert dies mit Alains Verfall. Der Kult der „performance“, des Körpers und der Jugend, verkörpert durch Sportler, Models und die Popkultur, steht im krassen Gegensatz zu Alains zunehmendem körperlichen Verfall und seiner Sucht. Die AIDS-Krise, die zunächst als „maladie bidon qui frappe les gays“ abgetan wird, entwickelt sich zu einer omnipräsenten Bedrohung, die die homosexuelle Gemeinschaft dezimiert und zu verstärkter Homophobie führt. Alains Schicksal, das sich in seinem Körper einschreibt, wird so zu einem allegorischen Kommentar auf die Schattenseiten der Moderne. Die Ära, in der er einst eine Ikone war, entfernt sich von ihm, und er spürt, dass er nicht mehr dazugehört: „Il se sent vieux et laid, et craint les années quatre-vingt“. Der Roman zeigt auf diese Weise, wie Alains individueller Lebensweg untrennbar mit den größeren gesellschaftlichen Strömungen seiner Zeit verbunden ist und wie er zum Sinnbild für deren Hoffnungen und Scheitern wird.
Dorian Gray aller Nightclubber
Die Zeitstruktur des Romans ist nicht linear, sondern fragmentiert und assoziativ, was die rauschhafte und von Drogen beeinflusste Wahrnehmung des Protagonisten widerspiegelt. Sprünge zwischen den Jahren 1 deuten auf eine Erinnerung, die sich nicht chronologisch, sondern thematisch oder emotional ordnet. Dies schafft eine Collage-artige Erzählung, die dem „glam-punk“ Stil selbst ähnelt – eine Mischung aus Fragmenten, die ein Ganzes ergeben. Diese Zeitverschiebung wird auch durch Drogen verstärkt: „Die Stunden, die Tage, die Orte, nichts hatte mehr Sinn in dem Moment, als er Nico traf“.
Die Erzählhaltung ist überwiegend eine personalisierte Erzählung aus Pacadis‘ Perspektive, oft im Modus des Bewusstseinsstroms. Gelegentlich wechselt die Perspektive, um tiefergehende Einblicke zu gewähren, wie in den Abschnitten über Nicole (Mutter) oder den essayistischen „Entracte“. Der Erzähler bricht bewusst die vierte Wand und kommentiert die Geschichte, manchmal mit augenzwinkernder Ironie oder akademischer Distanz, was eine Metaebene der Reflexion über die Natur der Geschichtsschreibung und der Erinnerung einführt. Die Beschreibung von Pacadis als „einer, der es wagte, nein zu den Drogen, zum Sex, zum Alkohol, zur Musik zu sagen, und der immer noch existierte“ (falsch zitierte Aussage, die Pacadis über sich selbst denkt, nicht der Erzähler), oder die Kategorisierung der Drogen und ihrer Epochen sind Beispiele für diese meta-narrative Ebene.
Metaphorik und Bildsprache sind reichhaltig und oft von Pacadis‘ eigenen Erfahrungen und inneren Zuständen geprägt. Die Clubs, insbesondere das Palace, werden zu „Heiligtümern“, „Kataklysmen“ oder Orten der „magischen Zeremonie, eines Voodoo-Ritus“. Drogen wirken als „viaticum“ (Wegzehrung), „Licht und Wärme“, oder als Mittel zur „süßen Vergesslichkeit“. Der Körper Pacadis’ selbst wird zur Metapher für Vergänglichkeit und Verfall: „die dürre und elende Muskulatur des Junkies. Mit seinem hohlen Bauch, seinen hervorstehenden Rippen, seinen zerbrechlichen Bizeps, seinen abstehenden Ohren, seiner krummen und drüsigen Nase, seiner hängenden Lippe und seinen verfaulten Zähnen verkörpert er den genauen Gegenpunkt zum Kult des Körpers und der Schönheit, der sich um ihn herum entfaltet. Deshalb ist er unerlässlich, er ist das Bildnis des Dorian Gray aller Nightclubber. Er altert, zerstört sich für sie“. Dieser Vergleich mit Dorian Gray ist eine treffende Metapher für Pacadis‘ Rolle als „Märtyrer“ des Nachtlebens.
Die Intertextualität ist ein herausragendes Merkmal des Romans. Literatur, Musik und Film werden nicht nur referenziert, sondern aktiv in Pacadis‘ Identitätsbildung und Weltsicht integriert. Lacan und Foucault dienen als intellektuelle Bezugspunkte, auch wenn Pacadis ihre Theorien oft ironisch oder für seine Zwecke verbiegt. James Baldwins Giovanni’s Room spiegelt seine eigene sexuelle Unsicherheit, während Andy Warhols Zitate über McDonald’s seinen Blick auf die Popkultur repräsentieren. Die Musik, von Velvet Underground über Iggy Pop bis hin zu David Bowie, ist der Soundtrack seines Lebens und wird oft als direkte emotionale oder katalytische Kraft beschrieben: „’Run Run Run‘ von Velvet spielt auf voller Lautstärke auf seinem Plattenspieler. Der scharfe, gesättigte, eindringliche Klang von Sterling Morrisons Gitarre, wie Chuck Berry unter Amphetaminen, Schlangenbeschwörer, hallt im leeren Zimmer wider“. Diese musikalischen Referenzen sind integraler Bestandteil der Atmosphäre und spiegeln die Entwicklung der Jugendkulturen wider.
Der Stil ist eine Mischung aus akademischer Reflexion und roher, direkter Sprache, die die „Glam-Punk“-Ästhetik des Protagonisten widerspiegelt. Es gibt eine Vorliebe für lange, assoziative Sätze, die den Gedankengängen des Protagonisten folgen. Die Verwendung von Französisch und gelegentlich Englisch (oft in direkten Zitaten von Songs oder berühmten Persönlichkeiten) spiegelt die kosmopolitische Atmosphäre des Milieus und Pacadis‘ Affinität zur angloamerikanischen Popkultur wider. Slang, oft obszön, bricht mit akademischem Ton und schafft Nähe zur Underground-Szene.
Überlebenskünstler
Das Ende von Alain Pacadis, Face B ist tragisch und vielschichtig, es evoziert Fragen nach Suizid, Mord und letztendlicher Selbstzerstörung, die Alains ganzes Leben durchziehen. Die Szene spielt in seinem „schmutzigen Dienstmädchenzimmer“ („chambre de bonne crasseuse“), einem Ort des Verfalls, der seinen inneren Zustand widerspiegelt. Alain liegt auf seinem „lit défait“, umgeben von seinen Habseligkeiten, die nun bedeutungslos wirken. François, sein junger Liebhaber, den Alain für seine „sorgfältig verpackte Grausamkeit und Gewalt“ („cruauté et la violence soigneusement emballées“) schätzte, spielt die Rolle des Henkers. Alain bittet ihn, „Sois mon bourreau, mon amour“, was die perverse Verquickung von Lust, Liebe und Todessehnsucht unterstreicht, die sein Leben durchdrungen hat. François‘ Tat ist nicht nur ein Mord, sondern auch eine perverse Umkehrung der sexuellen Dynamik, die Pacadis‘ Leben zuletzt bestimmte: sein Wunsch, von jüngeren Männern „sexuell dominiert“ und „gequält“ zu werden. François‘ Worte kurz vor der Tat, „Diesen Morgen könnte ich dein Henker sein, wenn du es wünschst“, deuten auf eine Einverständnis-Komponente hin, wenn auch in einem Zustand der Betäubung und des Traums.
Un instant il ouvre les yeux, réveillé par une douleur intense et brûlante à la gorge. Impossible de crier ni même de respirer. Terrorisé, il tente de reprendre son souffle, de se débattre, de lever les bras pour repousser son assassin, mais il ne commande plus son corps, il est impuissant comme un vieillard ou un nouveau-né, asphyxié. Son visage gonfle et se congestionne, ni air ni sang ne peuvent plus atteindre son cerveau, et pourtant ses yeux ne se referment pas. Il fixe François qui ne le regarde pas, haletant, avide d’en finir, la bouche ouverte, concentré sur ses mains qui tournent la canne, tournent, tournent, tournent et tournent encore, fermement, consciencieusement, sans jamais s’arrêter… Il sombre comme dans un lent vertige, la gueule ouverte de la mort se rapproche peu à peu et l’engloutit, avant que celle de François, sa gueule d’ange devenu criminel, ne se penche lentement sur son corps sans vie pour l’embrasser une dernière fois.
Für einen Moment öffnet er die Augen, geweckt von einem intensiven, brennenden Schmerz in der Kehle. Er kann weder schreien noch atmen. Voller Angst versucht er, wieder zu Atem zu kommen, sich zu wehren, die Arme zu heben, um seinen Mörder abzuwehren, aber er hat keine Kontrolle mehr über seinen Körper, er ist hilflos wie ein alter Mann oder ein Neugeborenes, erstickt. Sein Gesicht schwillt an und verfärbt sich, weder Luft noch Blut gelangen mehr zu seinem Gehirn, und doch schließen sich seine Augen nicht. Er starrt François an, der ihn nicht ansieht, keuchend, begierig, es zu beenden, den Mund offen, konzentriert auf seine Hände, die den Stock drehen, drehen, drehen und drehen, fest, gewissenhaft, ohne jemals aufzuhören … Er versinkt wie in einem langsamen Schwindel, der offene Schlund des Todes nähert sich ihm langsam und verschlingt ihn, bevor sich François, dessen Engelsgesicht zu dem eines Mörders geworden ist, langsam über seinen leblosen Körper beugt, um ihn ein letztes Mal zu küssen.
François stranguliert ihn mit einer Krawatte und einem Elektrokabel. Die Beschreibung ist brutal und detailliert. François’ Handlung ist jedoch nicht von Hass, sondern von „dégoût d’une connexion aussi intime entre ses mains et le corps de sa victime“ motiviert, was darauf hindeutet, dass er möglicherweise Alains Bitte erfüllt, aber mit einer inneren Distanz. Das „lust for life“ auf Alains Abzeichen, das Mantra des Lebens an seinem Sterbebett, verdeutlicht die Ambivalenz seiner Existenz: sein unbedingter Überlebenswille auf der einen Seite, seine tiefe Todessehnsucht auf der anderen.
Alains Tod ist nicht nur das Ergebnis eines äußeren Aktes, sondern auch der Kulminationspunkt seiner selbstzerstörerischen Tendenzen. Seine Sucht, seine Ängste und seine Sehnsucht nach einem „süßen Tod“ haben ihn in diesen Moment geführt. Die letzten Sätze beschreiben seinen „blassen, gespenstischen Körper“, der „ausgestreckt auf dem ungemachten Bett“ liegt, und es sieht so aus, als ob er nur „dort schläft“. Dieser Tod, herbeigeführt durch die Hand eines geliebten Menschen, der zuvor seine Wünsche nach sexueller Erniedrigung erfüllt hatte, schließt den Kreis eines Lebens, das zwischen Glamour und Entwürdigung, Liebe und Verzweiflung, Leben und Tod schwankte. Er stirbt allein, umgeben vom Chaos seines Zimmers, das seine innere Leere widerspiegelt. Sein Tod ist der letzte Akt einer Performance, die sein ganzes Leben war, ein tragisches Ende für einen Mann, der stets versucht hat, die Scham seiner Herkunft und seiner sexuellen Identität durch Exzess und Inszenierung zu überwinden, aber letztlich an seinen inneren und äußeren Dämonen zerbricht.
Die letzte Szene zeigt Pacadis‘ leblosen Körper in seinem chaotischen Zimmer, umgeben von seinen Habseligkeiten: Kleidung, Bücher, Schallplatten, zerbrochene Aviator-Sonnenbrille. Eine Kakerlake krabbelt über seine unbefleckte weiße Hose und hält inne auf einem Anstecker in Herzgegend, der die Worte „lust for life“ trägt. Dieser abschließende Kontrast ist von immenser symbolischer Bedeutung. Die Kakerlake, ein Überlebenskünstler, der Schmutz und Verfall assoziiert, wird zum Leser von Pacadis‘ letzter Botschaft. Die Worte „lust for life“ – ein klarer Verweis auf Iggy Pops ikonisches Album – waren nicht nur der Soundtrack des Punks, sondern auch Pacadis‘ eigenes Lebensmotto, trotz aller Widrigkeiten, Drogen und Depressionen. Die Tatsache, dass die Kakerlake, ein Ungeziefer, diese Worte liest, ist eine bittere Ironie. Es suggeriert, dass Pacadis‘ Leben, das von Glamour und Verfall geprägt war, vielleicht nur noch von den widerstandsfähigsten, den „Müllbewohnern“, verstanden oder erinnert wird. Sein Streben nach Leben, das ihn immer wieder aufstehen ließ, findet in diesem surrealen Bild seinen grotesken Nachhall.
Der Roman endet somit mit einem Bild des Stillstands, des Todes, aber nicht ohne die Erinnerung an Pacadis‘ unerschütterliche „lust for life“ aufrechtzuerhalten. Es ist eine düstere, doch nicht völlig hoffnungslose Note. Sein Vermächtnis mag nicht in den Annalen der etablierten Geschichte verankert sein, sondern in den „Spuren“ (wie er selbst es sich wünschte, die seine Kolumnen hinterlassen sollten), die er in der Underground-Kultur und im Bewusstsein derjenigen hinterließ, die wie die Kakerlake in der Lage sind, in den extremsten Umgebungen zu überleben und Sinn zu finden. Pacadis‘ Leben war ein ständiges „Überleben“, und selbst im Tod bleibt seine „Lebenslust“ paradoxerweise bestehen, als ein Zeichen auf seinem Körper und in der Erinnerung derer, die ihn kannten, und nun auch in der dieses Romans. Die Frage nach seiner „Einzigartigkeit“ wird nicht abschließend beantwortet, aber seine Fähigkeit, sich immer wieder neu zu erfinden und die Scham zu überwinden, bleibt als sein eigentliches Erbe. Die Narration bleibt bis zum Ende „Pacadisien-Palacien“ – lebendig, brillant, rhythmisch, im Sound des Nightclubs.
Anmerkungen- z.B. 1980, 1968, 1970, 1972, 1974, 1976, 1977, 1982-1986>>>