Am 13. Mai 2025 wurde Gérard Depardieu vom Pariser Strafgericht wegen sexueller Übergriffe auf zwei Frauen während eines Filmdrehs im Sommer 2021 zu 18 Monaten Haft auf Bewährung verurteilt. Außerdem wird er in das Register für Sexualstraftäter aufgenommen. Die Lektüre von Anouk Grinbergs Buch Respect ist von diesem Prozess nicht zu lösen, die Schauspielerin hat sich auch während der Verhandlungen mehrfach öffentlich dazu geäußert.
Der Schauspieler Depardieu zeigte sich im Prozess widersprüchlich, ausweichend und wenig einsichtig. Seine Aussagen änderten sich mehrfach, und er versuchte die Übergriffe als berufliche Missverständnisse darzustellen. Reue zeigte er nicht; stattdessen polemisierte er gegen die Nachwirkungen von #MeToo und beschwerte sich über Demonstrantinnen vor seinen Auftritten. Sein Anwalt, Jérémie Assous, verteidigte ihn laut Le Point aggressiv und stellte die Glaubwürdigkeit der Opfer infrage – unter anderem durch eine persönliche Attacke auf Charlotte Arnould, die 2018 wegen Vergewaltigung gegen Depardieu Anzeige erstattet hatte. Die Staatsanwaltschaft hatte neben der Bewährungsstrafe auch eine Geldstrafe, psychologische Betreuung, eine zweijährige Wählbarkeitsbeschränkung und Schadenersatz für die Opfer gefordert. Letztlich spiegelte der Prozess ein System der langjährigen Straflosigkeit wider, in dem Depardieu als mächtiger Star unantastbar schien. Viele Zeugenaussagen zeichneten das Bild eines Mannes, der sich über soziale und berufliche Grenzen hinwegsetzte – und dem niemand widersprach.
Anouk Grinbergs autobiografisches Werk Respect konfrontiert Leserinnen und Leser mit einer Kindheit, die von Gewalt, Vernachlässigung und der systematischen Zerstörung des Selbst geprägt ist. Die Kindheit ist in diesem Text nicht nur Thema, sondern Ursprung und Motivationsquelle der literarischen Bewegung selbst. Grinberg geht über eine bloße Darstellung von Leid hinaus: Sie untersucht die Mechanismen des Schweigens, der Scham und des Überlebens. Das Buch ist vor diesem Hintergrund zunächst als engagierte öffentliche Intervention zu lesen, nicht als losgelöste literarische Reflexion.
Dass wir gegenwärtig so viele ähnlicher Zeugnisse vorgelegt bekommen, kommentiert Jérôme Lefilliâtre etwas überdrüssig: „Es kann leicht passieren, dieses Buch mit einer gewissen Müdigkeit zu öffnen – noch ein Bericht einer Schauspielerin, die ihre Intimsphäre offenlegt; noch ein Bericht einer Schauspielerin, die von der Gewalt erzählt, der sie in ihrem Beruf ausgesetzt war. In den letzten zwei Jahren ist diese Übung fast zu einem eigenen Genre geworden. Dennoch reißt Anouk Grinbergs Schreibstil in Respekt den Leser schnell mit seiner entschlossenen Einfachheit mit, seiner Art, Vorsichtsmaßnahmen und Umwege zu vermeiden, und seinem Willen, direkt zum Kern des „Bösen“ vorzudringen – ein Begriff, der bereits in der zweiten Zeile des Buches erwähnt wird.“ 1 In den laufenden Prozessberichten der Presse um die Anklage gegen Gérard Depardieu wegen sexueller Übergriffe wird immer wieder die Anwesenheit von Anouk Grinberg betont, die bis vor kurzem mit ihm Filme drehte. Anouk Grinberg bricht laut Nouvel Observateur mit ihrem Buch ein jahrzehntelanges Schweigen über die sexualisierte Gewalt, die sie seit ihrer Kindheit erlitten hat. Ausgangspunkt ihres öffentlichen Sprechens war die Unterstützung der Schauspielerin Charlotte Arnould im Verfahren gegen Depardieu, was schließlich dazu führte, dass Grinberg sich auch ihrer eigenen Geschichte stellte. 2
In einem weiteren ausführlichen Interview 3 schildert Grinberg außerdem psychische und pharmakologische Gewalt ihres ehemaligen Partners, des Regisseurs Bertrand Blier, der sie zwang, jahrelang Neuroleptika einzunehmen, um sie zu kontrollieren und zu „neutralisieren“, insbesondere weil sie sich geweigert habe, in seinem Film mitzuspielen. Die erlebten Übergriffe führten demnach zu einer tiefen Scham, Selbstzweifeln und Problemen in ihrer späteren Sexualität, die sie lange versteckte, indem sie nach außen eine „befreite“ Frau mimte. Theater und Literatur boten Grinberg laut Interview einen Rettungsanker, eine Möglichkeit, sich von ihrer Geschichte zeitweise zu lösen und einen Ort der Wertschätzung und Kreativität zu finden. Die weltweite Bewegung und das neue Sprechen über Missbrauch, so Grinberg, hätten ihr schließlich die Kraft gegeben, ihre Erfahrungen öffentlich zu machen und sich aus der jahrzehntelangen Isolation zu befreien.
Autofiktional sind bestimmte Elemente von Grinbergs Erzählen, etwa eine dichte, literarisierte Bildsprache, Grinberg beschreibt ihre Traumata nicht nur dokumentarisch, sondern in hochartifiziellen, poetischen Bildern (z.B. „la pierre“, „le dragon de calme“, „des cafards dans mes veines“, „mon héliport intérieur“). Das Übersetzen seelischer Zustände in symbolische Bildwelten schafft eine Distanz zum bloßen autobiographischen Bericht. Grinberg bleibt in der „wahren Geschichte“, aber sie formt die Sprache und die Darstellung so künstlerisch, dass Elemente von Autofiktion entstehen. Ihr Text steht damit an der Schwelle: zwischen Dokument und Kunstwerk, zwischen Zeugnis und Erfindung – was übrigens typisch ist für moderne Formen autobiographischen Schreibens nach 1970 (vgl. Annie Ernaux, Christine Angot, Édouard Louis).
Grinbergs Darstellung der Kindheit zerreißt die verbreitete Vorstellung von Kindheit als unversehrtem Raum. In Respect ist Kindheit ein geographisches und psychisches Territorium des Übergriffs. Diese Gewalt erscheint nicht als singuläres Ereignis, sondern als Kette, ein Kontinuum aus physischen, sexuellen und psychischen Übergriffen. Der erste sexuelle Missbrauch durch den Stiefvater („le second papa“) – ein Mann, dem die Erzählerin kindliche Zuneigung entgegenbringt – wird minutiös erzählt: die Brutalität des körperlichen Eindringens wird ebenso beschrieben wie die psychische Erstarrung des Kindes, das unfähig ist, zu schreien oder sich zu wehren.
Später folgen weitere Grenzverletzungen: Inzest durch den Bruder, Übergriffe durch Erwachsene in unterschiedlichsten Machtpositionen (Familienfreunde, Lehrer, Arbeitgeber). Grinbergs Text insistiert darauf, dass der Missbrauch keine Ausnahme darstellt, sondern Bestandteil einer gesellschaftlichen Struktur ist, die Kinder nicht schützt. Besonders frappierend ist dabei die Normalisierung der Gewalt: Der Vater reagiert auf die Offenbarung des Missbrauchs durch sein sanftes Händchenhalten und einen gemeinsamen Whisky mit dem Täter. Die Szene zeigt, wie sehr die Erwachsenenwelt nicht nur versagt, sondern die Täter schützt und die Opfer isoliert. Diese Normalisierung verstärkt das Trauma und macht es schwerer, überhaupt Worte dafür zu finden.
J’avais compris que la violence des hommes ferait partie de ma vie, et parce que je voulais être vivante, pas une loque comme ma mère, je portais beau, je ravalais la douleur en me disant que ce n’en était pas. Je n’étais pas outillée pour me protéger, je ne savais pas qu’on le pouvait, je ne savais rien du respect qu’on se doit, qu’on nous doit, on ne m’avait pas appris à dire non. On ne m’avait pas secourue, preuve sans doute que je n’existais pas.
Ma mère ne supportait pas ma vitalité. Elle devenait malade de m’entendre pleurer, rire ou courir, donc je ne riais plus, je ne courais plus, j’avais un mors aux dents, je m’empêchais de tout sous peine d’être coupable du pire. La vie tordue avait tordu mon âme. Je ravalais mes pensées, je ravalais mes peines. J’avais tellement appris à ne pas déranger, pas dire Je que je ne savais plus qui j’étais. Son malheur était une marée noire et je buvais des vagues de pétrole. Je ne voyais pas comment échapper à la folie, sauf en mourant, mais elle salissait même la mort en ratant ses suicides, alors je restais ; l’enfance ravagée ne fait pas de bruit.
Anouk Grinberg, Respect, Julliard, 2025.
Ich hatte verstanden, dass die Gewalt von Männern Teil meines Lebens sein würde, und weil ich lebendig sein wollte, kein Wrack wie meine Mutter, trug ich schön, schluckte den Schmerz hinunter und sagte mir, dass es kein Schmerz war. Ich hatte nicht das Rüstzeug, um mich zu schützen, ich wusste nicht, dass man das kann, ich wusste nichts über den Respekt, den man sich selbst und anderen schuldet, man hatte mir nicht beigebracht, nein zu sagen. Man hatte mich nicht gerettet, was zweifellos ein Beweis dafür war, dass ich nicht existierte.
Meine Mutter konnte meine Vitalität nicht ertragen. Sie wurde krank, wenn sie mich weinen, lachen oder rennen hörte, also lachte ich nicht mehr, rannte nicht mehr, hatte ein Gebiss und hielt mich von allem fern, weil ich mir sonst das Schlimmste zuschulden kommen lassen würde. Das verdrehte Leben hatte meine Seele verdreht. Ich schluckte meine Gedanken hinunter, ich schluckte meinen Kummer hinunter. Ich hatte so sehr gelernt, nicht zu stören, nicht zu sagen, dass ich nicht mehr wusste, wer ich war. Ihr Unglück war eine Ölpest und ich trank die Wellen des Öls. Ich sah keinen Weg, dem Wahnsinn zu entkommen, außer durch den Tod, aber sie beschmutzte sogar den Tod, indem sie ihre Selbstmorde verpasste, also blieb ich; die verwüstete Kindheit macht keinen Lärm.
Grinbergs Erzähltechnik ist nicht dokumentarisch nüchtern, sondern in starker Weise performativ: Der Text selbst wird zum Akt der Gegenwehr gegen das Schweigen, zur Arbeit am Gedächtnis. Sie verwendet verschiedene Mittel, um das Unsagbare sagbar zu machen, detailgenaue Sinneseindrücke, Fragmentierung, Wiederholung, Paradoxien: Körperliche Empfindungen (Schmerz, Erstarrung, Scham) werden in dichten, intensiven Bildern beschrieben, die oft eher die Auswirkungen auf den Körper und das Bewusstsein schildern als eine chronologische Handlung. Die narrative Struktur ist brüchig, sprunghaft. Erinnerungen werden nicht linear, sondern schockartig aufgerufen, oft unterbrochen von Einschüben, Reflexionen oder assoziativen Bildern. Diese Fragmentierung spiegelt die Zersplitterung des kindlichen Selbst und des traumatischen Gedächtnisses wider. Bestimmte Motive kehren immer wieder (z.B. „pierre“ – das Versteinern des Körpers; „silence“ – die Unfähigkeit zu sprechen), was die Persistenz des Traumas über die Zeit hinweg zeigt. Grinberg beschreibt einerseits das Bedürfnis nach Nähe und Liebe, andererseits die tödliche Bedrohung, die von den Erwachsenen ausgeht. Diese Spannung bleibt im Text unaufgelöst und verweist auf die tief sitzende Ambivalenz im Erleben der kindlichen Welt. Der Akt des Schreibens wird dadurch selbst Teil des Heilungsprozesses: Die Benennung des Erlebten ist ein Widerstand gegen das jahrzehntelange Schweigen.
Respect analysiert die Kommunikationsformen, die den Missbrauch ermöglichen: Weder der Vater noch die Mutter (in ihrer Alkohol- und Krankheitsverlorenheit) leisten Aufklärung oder Schutz. Das Schweigen wird zum Teil des Systems: eine stillschweigende Zustimmung zur Gewalt. Im Text selbst gibt es lediglich Hinweise darauf, wie Bruder, Vater und Mutter sich zu der Offenlegung dieser Geschichte verhalten oder verhalten könnten.
Der geliebte Bruder bleibt lange eine Bezugsperson in einer Welt ohne Halt, so bleibt das Inzest-Erlebnis zwischen ihnen unausgesprochen. Er bleibt damit Teil der familiären Komplizenschaft, der sie als Kind missbraucht und demütigt.
La déflagration s’est faite plus tard : je sentais que le sexe avec mon frère avait gravé en moi quelque chose de noir et grave, mais je pensais que j’étais folle et pourrie, il n’y avait qu’une coupable, moi.
En fait, l’inceste et le silence qui l’entoure changent insidieusement la couleur de soi et le rapport aux autres. Ça imprègne le fond du cœur d’un mépris abyssal, d’une haine qu’on retourne contre soi. Ça noue destruction et amour, qui fait le lit d’une solitude impénétrable ; et pourtant, personne ne voulait plus que moi la douceur. Mais des forces de destruction agissaient inconsciemment, comme si un moteur me poussait à achever le boulot des agresseurs.
Je bluffe, j’attire les escrocs de l’amour, parfois des bad boys. Ils me dominent comme dans l’enfance, comme si tout était la répétition de la chose primordiale.
Ça faisait déjà longtemps que je vivais sur pilotis au-dessus d’une tristesse ravageuse et d’une confusion que personne ne pouvait imaginer. D’autres agressions sexuelles étaient venues s’ajouter aux premières, au point de devenir un continuum. La culpabilité, la honte me rendaient faussement enjouée, comme pour tromper l’ennemi qui pouvait être partout, en toutes et tous. Puisque les gens voulaient m’avoir et puisque je n’étais rien ou un monstre, être une chose allait devenir une carrière intérieure. J’allais avec qui voulait, mais personne ne devait approcher mon cœur, mon réacteur nucléaire, pas même moi. C’était trop triste, trop clos. J’accumulais ces expériences « amoureuses » pour étouffer un dégoût et un immense besoin de pureté, et ce cocktail faisait bizarrement de la lumière pour les autres, donc je n’étais pas seule, même si j’étais très seule.
Anouk Grinberg, Respect, Julliard, 2025.
Die Verpuffung kam später: Ich spürte, dass der Sex mit meinem Bruder etwas Schwarzes und Ernstes in mich gebrannt hatte, aber ich hielt mich für verrückt und verdorben, es gab nur einen Schuldigen, mich.
Tatsächlich verändern Inzest und das Schweigen, das ihn umgibt, schleichend die Farbe des Selbst und die Beziehung zu anderen. Es durchdringt den Grund des Herzens mit abgrundtiefer Verachtung, mit Hass, den man gegen sich selbst wendet. Es verknotet Zerstörung und Liebe, was den Boden für eine undurchdringliche Einsamkeit bereitet; und doch wollte niemand die Sanftheit mehr als ich. Aber Kräfte der Zerstörung wirkten unbewusst, als würde mich ein Motor dazu bringen, das Werk der Angreifer zu vollenden.
Ich bluffe, ich ziehe Liebesbetrüger an, manchmal auch Bad Boys. Sie beherrschen mich wie in der Kindheit, als ob alles die Wiederholung der Ur-Sache wäre.
Es war schon lange her, dass ich auf Stelzen über einer verheerenden Traurigkeit und einer Verwirrung lebte, die sich niemand vorstellen konnte. Zu den ersten sexuellen Übergriffen waren weitere hinzugekommen, so dass sie sich zu einem Kontinuum entwickelt hatten. Schuldgefühle und Scham machten mich falsch verspielt, als wollte ich den Feind täuschen, der überall sein konnte, in allen und jedem. Da die Leute mich haben wollten und ich nichts oder ein Monster war, wurde das Dingsein zu einer inneren Karriere. Ich ging mit jedem, der wollte, aber niemand durfte sich meinem Herzen, meinem Atomreaktor, nähern, nicht einmal ich selbst. Es war zu traurig, zu geschlossen. Ich sammelte diese „Liebes“-Erfahrungen, um einen Ekel und ein immenses Bedürfnis nach Reinheit zu unterdrücken, und dieser Cocktail machte seltsamerweise Licht für andere, also war ich nicht allein, obwohl ich sehr allein war.
Die Erzählerin spricht über das Risiko, neue „calomnies“ (Verleumdungen) auf sich zu ziehen, damit impliziert sie: Das Aufdecken von Verdrängtem wird vom familiären Umfeld vermutlich als „Verrat“ angesehen, das der Bruder bagatellisieren oder verleugnen würde, wenn nicht sogar die Schuld der Autorin zuzuweisen. Der Vater, Dramatiker Michel Vinaver, wird als eher abwesend, emotionslos und beschwichtigend dargestellt. Bei der ersten Offenbarung des Missbrauchs reagiert er laut Buch nicht schockiert, sondern neutralisiert die Situation. Auch hier könnte man ableiten: Der Vater würde das Buch wahrscheinlich als unangenehme, vielleicht sogar peinliche Enthüllung empfinden. Nicht die Gewalt wäre demnach das Problem, sondern das Sprechen über die Gewalt.
Die Mutter wird im Text als tragische, zerstörte Figur gezeigt: In ihrer psychischen Krankheit ist sie Opfer und Täterin zugleich. Sie bietet keinen Schutz, verletzt aber aktiv, etwa durch emotionale Erpressung, Abwertung und Vernachlässigung. Dennoch spürt die Erzählerin zeitweise Mitleid mit ihr – aber ohne Verzeihen oder romantisierende Verklärung. Da die Mutter zum Zeitpunkt der Niederschrift bereits verstorben ist (die Erzählerin sagt, sie habe auf den Tod der Mutter gewartet, um frei schreiben zu können), bleibt ihre tatsächliche Reaktion spekulativ: Hätte sie gelebt, hätte sie den Text nicht akzeptiert, sondern vermutlich als Angriff auf ihre Person und als Undankbarkeit interpretiert. Aufgrund ihrer Krankheit (manisch-depressive Phasen, Alkoholismus) wäre eine nüchterne Auseinandersetzung kaum möglich gewesen. Die Mutter hätte vermutlich das eigene Versagen geleugnet oder wäre in Opferhaltung gegangen („Ich habe ja selbst so gelitten.“).
On m’avait prédit un deuil atroce puisque je ne l’avais pas aimée ; ça a été l’inverse. J’ai fait la paix avec la femme qu’elle était ; la mère non, mais la femme.
Peu après sa mort, je me suis passionnée pour les textes d’art brut, des textes écrits par des êtres que la famille ou la société avaient décrétés fous, souvent enfermés dans des hôpitaux psychiatriques, parfois leur vie entière. Des gens dotés d’antennes, en prise avec d’autres réalités, qui dialoguaient avec la vie profonde, dans des langues saturées d’enfance que bien des auteurs respectables envieraient. J’en ai fait un premier spectacle avec le musicien Nicolas Repac. Je voulais que le monde reconnaisse leur vitalité, voie ces étincelles de vie, voie cet amour, et n’ait plus peur. Je voulais fabriquer du commun avec ces hommes, ces femmes et ces enfants réprouvés, qu’on retrouve des frères, des sœurs ou nous-mêmes, qu’on leur fasse une place dans la culture et dans nos cœurs. À les écouter, la folie changeait de camp, c’étaient les familles, la société qui faisaient peur, et nous avions tous joué un rôle, par notre surdité.
Puis j’ai fait une anthologie des textes bruts, et enfin un second spectacle entièrement revisité, qui éclatait de vie et d’amour, mis en scène par le merveilleux Alain Françon et mis en musique par le même Nicolas. Je savais très bien que je chantais ma mère perdue dans la forêt du malheur, mais en bande, ces noirauds faisaient beaucoup de lumière.
J’ai aussi joué Molly Bloom de James Joyce, soixante pages sans virgule sans point, un flux aléatoire, du rodéo pour une actrice, une danse primitive qui aboutit au bonheur d’être sur terre. C’est la nuit, Molly ne dort pas, elle pense à mille choses de sa vie, babille, d’étranges poissons nagent dans sa tête, beaucoup de poissons. Elle est comme une fleur géante, ou une chèvre dans la montagne qui ne pense pas à ce qu’on pense d’elle ; ce qu’on pense d’elle n’est pas dans son monde, elle n’est pas en représentation – cadeau suprême pour une actrice. Molly est cash, aime être pire que les hommes ; elle est dans la féminité comme les enfants sont dans l’enfance, sans honte, avec une confiance insubmersible. « C’était une petite primitive fort naïve… On ne pouvait pas tuer la virginité de son âme », disait Joyce de sa femme qui l’avait inspirée. Ce travail m’a obligée à faire sauter de vieux bouchons qui encrassaient mon innocence, cette innocence qu’on ne peut pas feindre à moins de minauder. Je suis remontée à la source. Alors c’était un rendez-vous avec la vie intacte, l’enfance intacte, avec l’amour et la liberté, cette liberté aux antipodes de la vulgarité qu’on associe parfois à ce texte. Jouer fait monter aux échelles, et pour monter, on se déleste de vieux poids. C’est une fiction, mais les poids tombent en vrai. Des pages se tournent.
Anouk Grinberg, Respect, Julliard, 2025.
Man hatte mir eine schreckliche Trauer vorausgesagt, da ich sie nicht geliebt hatte; es war genau umgekehrt. Ich habe Frieden mit der Frau geschlossen, die sie war; nicht die Mutter, sondern die Frau.
Kurz nach ihrem Tod begeisterte ich mich für Art Brut-Texte, Texte von Menschen, die von ihrer Familie oder der Gesellschaft für verrückt erklärt worden waren und die oftmals in psychiatrischen Kliniken eingesperrt waren, manchmal ihr ganzes Leben lang. Menschen mit Antennen, die mit anderen Realitäten verbunden waren, die mit dem tiefen Leben in Dialog traten, in kindheitsgesättigten Sprachen, um die sie viele respektable Autoren beneiden würden. Ich machte daraus eine erste Aufführung mit dem Musiker Nicolas Repac. Ich wollte, dass die Welt ihre Vitalität erkennt, diese Funken des Lebens sieht, diese Liebe sieht und keine Angst mehr hat. Ich wollte, dass wir mit diesen verstoßenen Männern, Frauen und Kindern etwas Gemeinsames schaffen, dass wir Brüder, Schwestern oder uns selbst finden, dass wir ihnen einen Platz in der Kultur und in unseren Herzen einräumen. Wenn man ihnen zuhörte, wechselte der Wahnsinn die Seiten, es waren die Familien und die Gesellschaft, die Angst machten, und wir alle hatten durch unsere Taubheit eine Rolle gespielt.
Dann machte ich eine Anthologie der Rohtexte und schließlich eine zweite, völlig überarbeitete Aufführung, die vor Leben und Liebe nur so strotzte, inszeniert von dem wunderbaren Alain Françon und vertont von demselben Nicolas. Ich wusste sehr wohl, dass ich von meiner Mutter sang, die sich im Wald des Unglücks verirrt hatte, aber in der Bande machten diese Noirauds viel Licht.
Ich spielte auch Molly Bloom von James Joyce, sechzig Seiten ohne Komma ohne Punkt, ein zufälliger Fluss, Rodeo für eine Schauspielerin, ein primitiver Tanz, der zum Glück, auf der Erde zu sein, führt. Es ist Nacht, Molly schläft nicht, sie denkt an tausend Dinge aus ihrem Leben, lallt, seltsame Fische schwimmen in ihrem Kopf, viele Fische. Sie ist wie eine riesige Blume oder eine Ziege in den Bergen, die nicht darüber nachdenkt, was man von ihr denkt; was man von ihr denkt, ist nicht in ihrer Welt, sie ist nicht in einer Aufführung – das höchste Geschenk für eine Schauspielerin. Molly ist cash, liebt es, schlimmer als Männer zu sein; sie ist in der Weiblichkeit, wie Kinder in der Kindheit sind, ohne Scham, mit unsinkbarem Vertrauen. „Sie war ein sehr naiver kleiner Primitivling … Man konnte die Jungfräulichkeit ihrer Seele nicht töten“, sagte Joyce über seine Frau, die ihn inspiriert hatte. Diese Arbeit zwang mich dazu, alte Korken knallen zu lassen, die meine Unschuld verschmutzten, diese Unschuld, die man nicht vortäuschen kann, es sei denn, man nimmt ein Blatt vor den Mund. Ich bin zur Quelle zurückgekehrt. Es war also ein Rendezvous mit dem intakten Leben, der intakten Kindheit, mit der Liebe und der Freiheit, dieser Freiheit, die das Gegenteil der Vulgarität ist, die man manchmal mit diesem Text in Verbindung bringt. Spielen lässt einen die Leitern hinaufsteigen, und um hinaufzusteigen, entledigt man sich alter Lasten. Es ist Fiktion, aber die Gewichte fallen in Wirklichkeit. Seiten werden umgeblättert.
Insbesondere gegenüber der Mutter wird gelogen („on ment aux fous“). Lügen wird hier nicht als punktuelle Verfehlung, sondern als soziale Praxis dargestellt, die Wahnsinn erzeugt und stabilisiert. Die Erzählerin schildert, wie den Opfern die Schuld angetan wird („tu es une menteuse“, „tu as bien cherché“). Diese Mechanismen sind Ausdruck einer gesellschaftlichen Kommunikationsform, die Macht schützt und Schwäche stigmatisiert. Die Erzählerin vollzieht schließlich einen radikalen Akt der Kommunikativität: Sie spricht nicht nur über ihr individuelles Erleben, sondern bricht explizit das Schweigegebot, das auf allen Ebenen (familiär, gesellschaftlich) über den Missbrauch gelegt wurde. Das Buch selbst ist eine performative Sprechhandlung. Kommunikation wird so nicht nur thematisch behandelt, sondern bestimmt auch die Textstruktur selbst: Respect ist ein performativer Bruch der Omertà.
Eine entscheidende Dimension von Respect liegt in seiner Zeitstruktur. Der Text ist aus der Perspektive einer erwachsenen Frau geschrieben, die retrospektiv auf ihre Kindheit blickt. Doch dieser Rückblick ist nicht linear oder souverän: Die Vergangenheit überfällt die Erzählerin regelrecht, zieht sie hinein in Flashbacks, die oft mit gegenwärtiger Reflexion verschmelzen. Die Zeitstruktur ist gekennzeichnet durch eine Gleichzeitigkeit von Vergangenheit und Gegenwart: Die erwachsene Erzählerin erlebt die traumatischen Szenen nicht als abgeschlossene Kapitel, sondern als immer wieder hereinbrechende Wirklichkeiten. Oft wird die Vergangenheit nicht im Präteritum, sondern in einer Art unmittelbarem Präsens erzählt, was den Eindruck verstärkt, dass die Verletzungen nicht „vorbei“ sind, sondern weiterwirken. An bestimmten Stellen kommentiert die Erzählerin ihr damaliges Erleben aus der heutigen Perspektive, ohne die kindlichen Gefühle zu entwerten. Dieses Changieren zwischen Kindheitserleben und erwachsenem Bewusstsein ist ein wesentlicher literarischer Zug des Textes.
Der Text verweigert so eine klare Trennung zwischen „damals“ und „jetzt“ – eine Entscheidung, die auch literarisch das fortdauernde, nicht abgeschlossene Trauma abbildet.
J’ai percé la poche des « secrets de famille » parce qu’ils sont du malheur enkysté, du ciment sur des plaies vives, et qu’ils sacrifient des êtres sur l’autel des mensonges. Je me suis enfoncée dans les souvenirs et j’ai cherché le surplomb pour mettre des mots sur le silence mortel qui protège les abus, décrypter ce qui nous ronge. Je veux croire qu’affronter nos tragédies intimes est le début d’une délivrance commune ; ce serait ça la vraie vie ensemble, la belle politique, qui va du petit vers le grand et du grand vers le petit, chassant la pourriture.
C’est pour ça que je parle. J’apporte ma bûche au feu.
Jusqu’à présent, je n’avais parlé que pour les autres, surtout pour Charlotte Arnould, qui mérite tellement d’être crue et de connaître la paix.
Anouk Grinberg, Respect, Julliard, 2025.
Ich habe die Tasche der „Familiengeheimnisse“ durchstochen, weil sie verkrustetes Unglück sind, Zement auf lebendigen Wunden, und weil sie Menschen auf dem Altar der Lügen opfern. Ich bin in Erinnerungen versunken und habe den Überhang gesucht, um das tödliche Schweigen, das den Missbrauch schützt, in Worte zu fassen, um zu entschlüsseln, was uns zerfrisst. Ich möchte glauben, dass die Konfrontation mit unseren intimen Tragödien der Beginn einer gemeinsamen Befreiung ist; das wäre das wahre Zusammenleben, die schöne Politik, die vom Kleinen zum Großen und vom Großen zum Kleinen geht und die Fäulnis jagt.
Das ist der Grund, warum ich spreche. Ich bringe meinen Holzscheit zum Feuer.
Bisher hatte ich nur für andere gesprochen, vor allem für Charlotte Arnould, die es so sehr verdient hat, dass man ihr glaubt und sie ihren Frieden findet.
In Anouk Grinbergs Respect ist der Titelbegriff des Respekts auf mehreren Ebenen zentral. Schon im Titel signalisiert das Buch eine Auseinandersetzung mit einer Haltung, die im gelebten Leben der Erzählerin systematisch verweigert wurde: Respekt ist hier nicht gegeben, sondern genau das, was fehlt – und zugleich das, was errungen werden muss. In der Darstellung der Kindheit wird Respekt zunächst in seiner fundamentalsten Bedeutung thematisiert: als Achtung vor der körperlichen und seelischen Integrität eines Menschen. Diese Achtung wird der kindlichen Erzählerin von nahezu allen Erwachsenen verweigert. Die sexuelle Gewalt, die Vernachlässigung, die emotionale Erpressung und das systematische Schweigen in der Familie bedeuten jeweils eine schwerwiegende Respektlosigkeit gegenüber dem Kind als Subjekt. Ihr Körper wird übergangen, ihre Gefühle werden entwertet, ihre Existenz wird unsichtbar gemacht. Diese erste Ebene der Respekt-Thematik ist geprägt vom Erleben der Missachtung, die als prägendes Element der Kindheit in Fleisch und Bewusstsein der Erzählerin eingeschrieben wird. Im weiteren Verlauf des Textes wandelt sich die Bedeutung von Respekt: Er wird zur Voraussetzung für Heilung und Selbstbehauptung. Das Sprechen über die eigene Geschichte – das genaue, schonungslose, immer wieder riskante Benennen der Gewalterfahrungen – ist ein Akt der Wiedererlangung von Selbstrespekt. Indem Grinberg ihre Erfahrungen nicht länger verschweigt und sich der gesellschaftlichen Erwartung, zu verstummen, widersetzt, beansprucht sie Respekt für sich selbst. Respect ist in diesem Sinn weniger eine Anklage als eine Selbstermächtigung: Die Autorin demonstriert, dass Opfersein nicht zwangsläufig in Selbstvernichtung münden muss, sondern dass es möglich ist, sich die Würde zurückzuerobern – gerade durch die unbedingte Treue zur eigenen Erinnerung. Eine weitere Ebene der Respekt-Thematik betrifft die gesellschaftliche Dimension. Grinberg kritisiert in ihrem Buch nicht nur individuelle Täter, sondern ein ganzes soziales System, das Gewalt an Kindern und Frauen durch Ignoranz, Verharmlosung und institutionalisierte Schutzmechanismen für Täter begünstigt. Respektlosigkeit wird hier als strukturelles Problem entlarvt: Die Gesellschaft versagt darin, die Schwachen zu schützen, und verlangt stattdessen von den Opfern Anpassung, Schweigen und die Aufrechterhaltung einer öffentlichen Fassade der Unversehrtheit. In dieser Perspektive wird Respect auch zu einer politischen Intervention: Es geht nicht nur um persönliche Heilung, sondern um die Wiederherstellung eines grundlegenden sozialen Prinzips, das verletzt wurde. Schließlich gibt es eine besonders komplexe Dimension der Respektfrage im Verhältnis zur Mutter. Trotz der extremen Enttäuschung, des Mangels an Schutz und der tiefen Verletzungen, die die Mutter der Erzählerin zufügt, begegnet Grinberg ihrer Mutter postum nicht mit Hass, sondern mit einer Art respektvoller Trauer. Sie erkennt das gesellschaftliche und historische Gefängnis, in dem die Mutter selbst eingesperrt war: die Rollenerwartungen, die sie erdrückten, die Unmöglichkeit, ihr eigenes Leben frei zu gestalten. Grinberg benennt die Verantwortung der Mutter klar, doch sie tut dies ohne Verklärung und ohne Rachsucht. Hier zeigt sich eine reife, vielschichtige Auffassung von Respekt: Nicht Verzeihen oder Vergessen sind gefragt, sondern ein unbestechliches Sehen und Anerkennen der Wahrheit – auch der traurigen Wahrheit, dass Menschen, die selbst Opfer sind, zu Tätern werden können. Insgesamt entfaltet Respect den Begriff des Respekts in einer tiefgreifenden Spannung: zwischen seiner schmerzlichen Abwesenheit und seiner kämpferischen Wiederaneignung. Der Titel bezeichnet das, was immer hätte vorhanden sein müssen, was so oft verweigert wurde – und was sich die Erzählerin am Ende des langen Weges selbst zuspricht.
Am Ende des Textes steht ein Akt der Wiederaneignung: „Non, je ne suis pas ce qu’on m’a fait!“ („Nein, ich bin nicht das, was man mir angetan hat!“). Dieser Satz ist programmatisch. Trotz der überwältigenden Schilderung von Leid und Zerstörung insistiert der Schluss auf der Möglichkeit der Selbstdefinition jenseits des erlittenen Unrechts. Er markiert den Übergang von passiv erlittenem Trauma zu aktiver Subjektbildung. Das bedeutet jedoch nicht, dass die Verletzungen verschwunden wären – der Schmerz, die Bilder, die Scham sind präsent –, aber die Erzählerin beansprucht die Definitionsmacht über sich selbst zurück. Der Schluss könnte auch als Akt der politischen Solidarität gelesen werden: Indem Grinberg ihre persönliche Geschichte öffentlich macht, unterbricht sie den Zyklus des Schweigens und öffnet Raum für andere, ähnliches Leid zu artikulieren.
Anouk Grinbergs Respect entfaltet die Dimensionen der Kindheit als ein Geflecht von Trauma, Sprachlosigkeit und späterer sprachlicher Selbstermächtigung. Die Kindheit erscheint als Raum maximaler Verletzbarkeit, aber auch – paradoxerweise – als Ursprung einer ungebrochenen Sehnsucht nach Leben, Licht und Wahrheit. Grinbergs Werk macht deutlich, dass das Sprechen über Gewalt nicht nur individuelle Heilung bedeutet, sondern ein Akt gesellschaftlicher Verantwortung ist.
Anmerkungen- „Il est facile d’ouvrir ce livre avec une certaine lassitude – encore un récit de comédienne mettant son intimité à découvert ; encore un témoignage d’actrice racontant les violences auxquelles son métier l’a exposée. Ces deux dernières années, l’exercice est presque devenu un genre à part entière. Pourtant, l’écriture d’Anouk Grinberg dans Respect emporte très vite le lecteur par sa simplicité déterminée, sa façon d’éviter les précautions et les détours, sa volonté d’aller droit au cœur du « mal » – notion évoquée dès la deuxième ligne du livre.“ Jérôme Lefilliâtre, « Respect », d’Anouk Grinberg : aller droit au cœur du mal, Le Monde, 15. April 2025.>>>
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- Anne Diatkine, Anouk Grinberg sur les traumatismes vécus depuis son enfance : «C’est bien pratique pour les prédateurs de faire passer une femme pour folle», Libération, 2. April 2025.>>>