Stille nach dem Sturm: Cécile Guilbert

Freie Geister und Nicht Denken

Cécile Guilbert (geboren 1963) ist eine prominente französische Essayistin, Romancière und Literaturkritikerin, die sich durch ihre intellektuelle Brillanz und ihren unkonventionellen Zugang zur Literatur etabliert hat, so sitzt sie seit vier Jahren in der Jury für den Prix Renaudot. Sie studierte an den Sciences-Po in Paris und wurde durch ihre prägnanten Essays über „freie Geister“ („esprits libres“) der Literatur- und Kulturgeschichte bekannt. Diese Faszination zeigt sich besonders in ihren größeren Essays: Saint-Simon ou l’encre de la subversion (1994) ist ihr Debütwerk über den Memoirenschreiber des Ancien Régime, als subversiver Chronist der höfischen Dekadenz. Pour Guy Debord (1996) ist eine fragmentarische Annäherung an den Situationisten und Theoretiker der Spektakelgesellschaft, geschrieben als „eine Schrift für Überlebende: die zu viel gesehen haben, um nicht ein wenig zu lesen, und die zu viel gelesen haben, um nicht noch mehr zu lesen“. L’Écrivain le plus libre (2004) ist ein Werk über Lawrence Sterne, das Biografie, Kommentar und fiktiven Dialog kombiniert. Der Titel, inspiriert von Nietzsches Widmung an die „freien Geister“, unterstreicht Guilberts Verehrung literarischer Nonkonformisten. Warhol Spirit (2008) ist ihre preisgekrönte Meditation über Andy Warhol, für die sie den Prix Médicis de l’essai erhielt. Hier dekonstruiert sie den Warhol-Mythos und zeigt den Künstler als paradoxen Mystiker der Moderne. Le Musée national (2000), ihr erster Roman, porträtierte die Museumswärterin Juliette Cramer in einem teils dystopischen Paris. Das Werk verbindet Gesellschaftsbeobachtung mit reflexiver Literaturkritik.

Cécile Guilbert, Quelle: Grasset.

Guilbert seziert in ihren Werken, insbesondere im Roman Les Républicains (2017) und der Chroniksammlung Roue libre (2020), den Niedergang Frankreichs, der sich auf politischer, intellektueller und stilistischer Ebene manifestiert. Ihre Analyse ist geprägt von einer Sorge um den Verlust nationaler Identität, die Erosion sprachlicher Präzision und die Aushöhlung demokratischer Werte. Guilbert verwendet einen scharfsinnigen, bisweilen polemischen Stil, um die Symptome einer „anthropologischen Mutation“ zu diagnostizieren, die sie in der zeitgenössischen Gesellschaft am Werk sieht und die sich durch eine tiefgreifende Ambiguität zwischen Freiheit und Konformismus, individueller Behauptung und Herdenmentalität auszeichnet.

Vor dem Hintergrund der scharfen gesellschaftskritischen Werke Cécile Guilberts lässt sich das neue Buch Feux sacrés (2025) als eine bemerkenswerte Verschiebung im Fokus, wenn auch nicht in der grundlegenden intellektuellen Haltung, einordnen. Réanimation (2012) markierte freilich bereits einen Wendepunkt zu persönlicheren Themen. Der Text verarbeitet die traumatische Erfahrung des Komas ihres Mannes und reflektiert über Liebe, Verlust und medizinische Entfremdung: Blaise verwandelt sich über Nacht in eine „Mensch-Maschine“. Der Verlag Grasset nennt das Buch eine „intelligente und einfühlsame Geschichte, eine Übung im Abstandhalten vom Unglück, eine ganz sanfte Meditation über Zeit und Hoffnung, die Macht der Kunst und der Medizin, die Fallen der Bilder und den Zauber der Fantasie, Cécile Guilberts Buch, durchzogen von Mythen und Erzählungen, und auch – vor allem? – ein Liebesbrief an Blaise.“

Während Les Républicains (2017) eine Analyse des politischen und intellektuellen Verfalls Frankreichs durch eine fiktive Konfrontation zweier Persönlichkeiten bietet und Roue libre (2020) eine direkte Auseinandersetzung mit der „anthropologischen Mutation“ der Gesellschaft, mit der „Novlangue“ und dem kulturellen Konformismus darstellt, wendet sich Feux sacrés einer autobiografischen und spirituellen Selbstreflexion zu. Das jüngste Buch ist eine Reise ins Innere, ausgelöst durch persönliche Verluste – den Suizid ihres Cousins Emmanuel, den Tod ihres Onkels Tito und ihres Bruders David – und geprägt von der Suche nach Sinn in indischer Philosophie und Yoga. Diese Hinwendung zur „inneren Erfahrung“ und zur individuellen Bewältigung von Trauer und Existenzangst unterscheidet sich von der externen Diagnose und Kritik gesellschaftlicher Missstände, die Guilberts frühere Werke kennzeichnen.

Frankreich wird exemplarisch fürs „abgechristlichte Abendland“ kritisiert, als Hort des Rationalismus und des Materialismus. Die Erzählerin beschreibt eine verbreitete Skepsis gegenüber Spiritualität. Sie meidet es, in Paris offen über ihre spirituellen Erfahrungen zu sprechen, da „Ironie Nationalsport und vor allem pariserisch“ sind. Die Stadt wird als „aplati, si rétréci et provincial“ empfunden, im Gegensatz zur Vitalität New Yorks oder Indiens. Gesellschaftlich kritisiert die Autorin die „pensée unique“, die die intellektuelle Freiheit einschränken. Trotz dieser Kritik bleibt Frankreich jedoch auch der Ort, an dem die Erzählerin ihre neu gewonnenen spirituellen Erkenntnisse, insbesondere durch Yoga mit Sri Venudas in Paris, in ihr Alltagsleben integriert und somit eine erneuertes Leben erfährt. Umgekehrt wird die Erzählerin bei einer erneuten Ankunft in Bombay überwältigt vom Lärm, Schmutz und der Menschenmenge der Stadt, die sie mit einer Mischung aus Schock und seltsamer Vertrautheit wahrnimmt. Sie stellt fest, dass das rastlose Streben Bombays nach Reichtum sie weniger fasziniert als das zeitlose, spirituelle Indien. Nach ihrer Rückkehr nach Paris führt die Erzählerin ein „Doppelleben“ und bewahrt die spirituelle Energie aus dem Ashram im Geheimen, da sie Zuhause auf Skepsis stößt. Sie hegt Groll, weil sie in Paris festsitzt, und reist gedanklich immer wieder nach Anandavadi, um in ihrer Vorstellung bei ihrem kranken Onkel Tito zu sein. Die Erzählerin reflektiert über ihre literarische Karriere, die durch Philippe Sollers gefördert wurde, der trotz äußerlicher Indienkritik ihre Faszination für östliches Denken und die Macht der Sprache teilte. Sie identifiziert sich mit Sollers‘ Ablehnung fester Identitäten und seiner Annahme „multipler angenäherter Identitäten“, die er subtil mit der Wahrheit des Advaita Vedanta verknüpfte.

Dennoch bleibt Feux sacrés mit Guilberts gesamtem Schaffen verbunden und kann als eine intime Erweiterung ihres kritischen Projekts verstanden werden. Die „heiligen Feuer“ – Liebe, Tod, Indien und Bücher – sind die neuen Katalysatoren für Transformation und Widerstand. Insbesondere die Rolle der Literatur als „Substanz und Offenbarung“, als Wegweiser und Quelle der Selbsterkenntnis, bleibt ein zentrales Element, das sich durch all ihre Werke zieht. Wo in Roue libre die Sprache gegen den „identitären Suizid“ verteidigt wird, dient sie in Feux sacrés der persönlichen Klärung und Sinnstiftung. Die Ablehnung des „politisch Korrekten“ und des „Massenindividualismus“ in Roue libre findet ihr Echo in der Weigerung, sich spirituellen Dogmen zu unterwerfen, und in der Suche nach einer authentischen Singularität und Freiheit im persönlichen Leben. Feux sacrés zeigt, dass der Kampf gegen den Niedergang, sei er persönlich oder gesellschaftlich, für Guilbert letztlich in der Fähigkeit zur tiefen Reflexion, zur literarischen Auseinandersetzung und zur Erhaltung eines inneren Freiraums verankert ist, was ihre anhaltende Verteidigung des kritischen Denkens und der Schönheit in einer oft als desolat empfundenen Welt unterstreicht.

Cécile Guilberts Feux sacrés lässt sich vor dem Hintergrund ihrer scharfen gesellschaftskritischen Werke nur oberflächlich als Resignation im Sinne eines passiven Aufgebens oder einer vollständigen Abkehr von allen politischen und sozialen Belangen interpretieren. Vielmehr ist es eine Hinwendung zu einer radikalen Innerlichkeit, die jedoch eine tiefgreifende, wenn auch oft implizite, kritische und widerständige Haltung gegenüber den diagnostizierten Dekadenzerscheinungen der modernen Welt bewahrt. Es handelt sich um eine Form der „experimentellen Metaphysik“, die das individuelle Erleben als primären Ort der Transformation und der Wahrheitsfindung versteht, anstatt es den oberflächlichen Tendenzen der Autofiktion anzugleichen.

Die Autorin beschreibt ihre spirituelle und intellektuelle Reise nach Indien, initiiert durch wiederholte Todesfälle im nächsten persönlichen Umfeld, als einen aktiven Suchprozess nach Sinn und Befreiung. Dies ist keine Kapitulation vor dem Leid, sondern ein Versuch, die transformierende Kraft der Trauer in „Lebensbejahung und Poesie“ zu überführen. Insbesondere die Yoga-Praxis wird explizit als eine „mort-renaissance perpétuelle“ beschrieben, die „die planeterische Katastrophe“ und den „absolutisme émancipateur“ des Westens („ce que nous appelons « Occident » imité par le reste du monde“) ablehnt. Dies ist eine antipolitische, aber in ihrer Stoßrichtung implizit gesellschaftskritische Geste, da sie die zerstörerischen Kräfte der Moderne auf einer existenziellen Ebene anprangert und eine alternative Lebensweise vorschlägt, die „Nicht Handeln“ und „Nicht Denken“ als Befreiung begreift. Die „ungeheure Energie“, die sie aus der Askese und der inneren Ruhe schöpft, ist das Gegenteil von Resignation.

Obwohl Feux sacrés zweifellos autobiografische Elemente nutzt, um „expériences intérieures“ zu thematisieren, unterscheidet es sich in seiner Anlage und seinem Anspruch wesentlich von Tendenzen der Autofiktion, die Guilbert in Roue libre kritisiert. Dort bemängelt sie die Verflachung der Literatur durch „exofiction“ und „autofiction“, die „produzierende“ Inhalte liefern, die Grenzen zwischen Fakten und Fiktion verwischen und oft eine moralische oder soziale „Mission“ zugewiesen bekommen. Guilberts eigene literarische Praxis in Feux sacrés ist demgegenüber eine rigorose „quête de vérité“ und eine „intime Erkundung“, die sich nicht dem „Narrativ der Schmeichelei“ oder dem „Sermon der Künstler“ unterwirft. Die „Innerlichkeit“ ist hier nicht narzisstisch oder „egotistisch“, sondern ein Ort des Kampfes und der „Eluzidierung“ des Selbst. Die Autorin lehnt die Vorstellung ab, ein „tristes Buch über meine Trauerfälle“ zu schreiben, und sucht stattdessen „die Kräfte der Transformation, die zwischen Schmerz und Gnade liegen“. Ihre philosophische Auseinandersetzung mit Nietzsche, Freud und der östlichen Weisheit, sowie ihre fortgesetzte Verteidigung der Literatur als „unique force“ und „Waffe“ gegen die „barbarie“ zeigt, dass diese Hinwendung zur Innerlichkeit eine bewusste intellektuelle Position ist, die im Kontext ihrer umfassenden Kritik an der modernen Gesellschaft steht – eine kritische Aufmerksamkeit, die sich den „unheimlichen metaphysischen Schweigen des medialen Raumes“ entgegenstellt. Es ist somit eine Form des Widerstands, die den „geheimen Garten“ als Notwendigkeit gerade in dieser Welt im Niedergang begreift.

Les Républicains: Frankreich als zerrüttetes Land

Niedergang der République des Lettres

Die Poetik von Les Républicains ist von einer präzisen temporalen Rahmung und einer dichten Intertextualität geprägt, die den Roman zu einer Untersuchung der französischen Dekadenz gestalten. Die Handlung komprimiert sich auf wenige Stunden im Dezember 2016, „von siebzehn Uhr bis Mitternacht“, was eine quasi klaustrophobische Dichte erzeugt, in der die Konfrontation der Protagonisten vor der Kulisse eines „von Terrorismus heimgesuchten Paris“ stattfindet. Diese zeitliche Kompression ermöglicht eine retrospektive Analyse der gesellschaftlichen und individuellen Entwicklungen über dreißig Jahre hinweg. Die Erzählerin, die sich als „fille en noir“ inszeniert, nutzt die Begegnung mit Guillaume Fronsac, um nicht nur persönliche Erinnerungen, sondern auch die kollektive Geschichte Frankreichs zu beleuchten.

Die Intertextualität ist ein konstitutives Element des Romans. Wiederkehrende Verweise auf historische Persönlichkeiten wie Kardinal de Retz, Machiavelli, Saint-Simon, Voltaire und Victor Hugo bilden ein komplexes Gewebe, das die Gegenwart in einen historischen und intellektuellen Kontext einbettet und den beklagten Verlust der „République des Lettres“ akzentuiert. Paris selbst wird zu einem „livre de pierre“, dessen Spuren – von Vaubans Wohnsitz bis zur Place de la Concorde – die „verschlungenen Epochen“ Frankreichs offenbaren. Guilberts brillante Schreibweise setzt eine ironische und zynische Distanz ein, um die porträtierten Figuren und die politische Szene zu karikieren, ohne jedoch die dahinterliegende Tragik des Bildes eines zerrütteten Landes („tableau d’un pays abimé“) zu verharmlosen. Der Roman versteht sich als ein Theater unserer Epoche, dessen letzter Vorhang wie eine Guillotine fällt („théâtre de notre époque, dont le rideau final tombe comme une guillotine“), was die Dramatik und die vermeintliche Unausweichlichkeit des beschriebenen Verfalls unterstreicht.

Die Erzählerin, selbst eine Schriftstellerin, die ein hochgelobtes Buch über Kardinal de Retz verfasst hat, stellt fest, dass die Epoche zu „heruntergekommen“ („trop abaissée“) ist, um einen zeitgenössischen Politiker im Geiste dieses „cardinal sans foi ni loi“ darzustellen. Retz‘ „Substanz des Widerstands“ überstrahlt jeden modernen Avatar, da heutige Persönlichkeiten, wie beispielsweise Balladur, nur noch als „bourgeois louis-philippard“ und nicht als „grand seigneur“ erscheinen. Dieser Verlust von Größe wird als „pschitt“ der „grandes pensées et grands effets“ beschrieben. Ähnlich werden Voltaire und Victor Hugo als Inkarnationen einer Ära genannt, in der Literatur und Politik untrennbar miteinander verbunden waren und „die Waffen der Emanzipation“ schufen, die Europa prägten. Im Gegensatz dazu stehen die heutigen „ungebildeten Politiker mittleren Alters, umgeben von ignoranten Énarques“ („quinquas politiques incultes entourés d’énarques ignares“) und eine Sprache, die durch „Novlangue“ und „politische Korrektheit“ verarmt ist. Die Anspielungen auf diese Ikonen des kritischen Geistes und der rhetorischen Brillanz verstärken das Bild eines Frankreichs, das seine intellektuelle und stilistische „singularité“ verloren hat.

Die Figur des Machiavelli dient dazu, die zynischen Mechanismen der Macht in der französischen Politik aufzuzeigen, zugleich aber den Verlust an intellektueller Substanz zu betonen. Fronsac, der Banker, hat selbst ein Buch über Machiavelli geschrieben, und sieht dessen Spuren in Balladurs Regierungsführung. Machiavellis Prinzipien von Kraft und List („force et ruse“) (Löwe und Fuchs im Sciences-Po-Logo) und die Idee, dass Politik ein Kampf auf Leben und Tod ist („lutte à mort“), werden als zeitlose Wahrheiten dargestellt. Doch während Machiavelli eine intellektuelle Größe verkörperte, nutzt Fronsac das Schreiben darüber als Eitelkeit („vanité“) und Freizeitbeschäftigung am Wochenende („détente de week-end“), ein Symptom der nationalen Krankheit („maladie nationale“) der Elite, sich durch Literatur zu schmücken, ohne ihre existenziellen Forderungen zu erfüllen. Die Erzählerin erkennt, dass die politische Klasse die Oligarchie durch Allianzen und Verrat, gebrochene Versprechen und Morde („alliances et trahisons, de promesses rompues et de meurtres“) kennzeichnet, was an Machiavellis Beschreibung der Macht erinnert, aber im zeitgenössischen Kontext als ein Niedergang der Literatur („déclin de la littérature“) und Zusammenbruch des Niveaus („effondrement du niveau“) wahrgenommen wird. Die Verweise auf Saint-Simon durch die Erzählerin, die sich über die Kloake arrangierter Kleinlichkeiten („cloaque de petitesses arrangées“) und das Leben eines Höflings („vie de courtisan“) mokiert, verstärken das Bild einer in Intrigen und Egoismus verstrickten Elite, deren Geister in der Zeit der Restauration stecken geblieben sind („esprits demeuraient bloqués à l’époque de la Restauration“) und die eine freiwillige Knechtschaft und Herdengeist („servitude volontaire et d’esprit grégaire“) an den Tag legt, anstatt sich kritisch zu positionieren.

Guilbert nutzt diese intertextuellen Verweise auch, um den Verlust der kulturellen Erinnerung und die Erosion der sprachlichen Integrität zu illustrieren, die als Kern des französischen Niedergangs diagnostiziert werden. Die Erzählerin beklagt die „amnésie“ der Franzosen, die selbst die Geschichte ihrer Hauptstadt Paris nicht mehr zu entschlüsseln vermögen. Die Glorifizierung von Napoleon und das Storytelling des französischen Superman („storytelling du Superman français“) verweisen auf eine politische Kultur, die zwar nicht mehr royalistisch ist, aber in ihrem Imaginären und ihren Sitten nicht vollständig demokratisch wurde, was auf eine persistente Sehnsucht nach einem Mann der Vorsehung („homme providentiel“) hindeutet. Fronsac selbst ist von dieser Ambivalenz betroffen, wenn er die millimetergenaue Präzision der Worte („précision millimétrée des mots“) Macrons lobt, während Guilbert die Holzsprache („langue de bois“) und die Sprachelemente („éléments de langage“) der Macronie verurteilt, die eine abgeflachte Syntax („syntaxe aplatie“) und einen entfärbten Wortschatz („lexique décoloré“) hervorbringen. Die Erinnerung an Talleyrand als Fürst des Lasters und der Korruption („prince du vice et des corruptions“) und seine Fähigkeit, sieben Regierungen („sept régimes“) zu dienen und zu verraten, wird als Höhepunkt und Zusammenfassung der unzähligen obskuren Angelegenheiten („point d’orgue et résumé des innombrables affaires ténébreuses“) der französischen Geschichte dargestellt. Der Verweis der Erzählerin auf ein Zitat von Victor Hugo über Talleyrand – der edel wie Machiavelli, Priester wie Gondi, ausgeschieden wie Fouché, geistreich wie Voltaire und hinkend wie der Teufel („noble comme Machiavel, prêtre comme Gondi, défroqué comme Fouché, spirituel comme Voltaire et boiteux comme le diable“) sei – unterstreicht symbolisch die Schwierigkeit, in der gegenwärtigen „anthropologischen Mutation“ die reiche kulturelle und sprachliche Vergangenheit Frankreichs vollständig zu erfassen und zu artikulieren. Der erschreckende metaphysische Schweigen des medialen Raums („effrayant silence métaphysique de l’espace médiatique“) und die Entgeistigung („décervelage“), die als Freiheit getarnt ist, sind die logischen Konsequenzen dieses umfassenden Niedergangs, den Guilbert durch die eindringliche Gegenüberstellung mit dem Glanz vergangener Zeiten hervorhebt.

Sprachlosigkeit und oligarchische Netzwerke

Die Kommunikationsformen in Les Républicains sind symptomatisch für den intellektuellen und stilistischen Niedergang Frankreichs. Der Dialog zwischen der Schriftstellerin und Fronsac ist vordergründig eloquent und reich an kulturellen Anspielungen, doch oft entpuppt er sich als ein „dialogue de sourds“, in dem wahres Verstehen ausbleibt. Fronsac, der Banker, ist zwar „très gai“ und gesprächig, aber seine „historiettes triviales“ und „fausses confidences“ dienen primär der Selbstdarstellung und der Offenlegung der „France des réseaux“, die er verkörpert. Er „étalait sa puissance pour [l’écraser]“ und enthüllt die zynischen Mechanismen der Macht. Die Erzählerin hingegen zieht sich oft in eine „coque de silence“ zurück, hält ihre kritischsten Gedanken im internen Monolog verborgen und betrachtet Fronsac mit einer Mischung aus Abneigung und Faszination. Dieser Kontrast zwischen äußerlicher Konversation und innerer Reflexion akzentuiert die Einsamkeit des kritischen Geistes in einer Welt, die von „Blablas d’experts“ und „Novlangue“ dominiert wird.

Die „fille en noir“ (Frau in Schwarz) ist eine Schriftstellerin und Essayistin, präsentiert ihre starke, oft kritische Stimme und ihre Leidenschaft für substanzielle Literatur und für Geschichte. Sie tritt als stolze und rebellische Persönlichkeit auf, widersetzt sich dem medialen und politischen Zynismus und stellt ihre künstlerische Integrität über kommerziellen Erfolg. Guillaume Fronsac ist ein eleganter und ambitionierter Wirtschaftsbanker aus der Staatsaristokratie, der als Produkt des französischen Meritokratie-Systems sehr erfolgreich und gut vernetzt ist und sich schon früh zum Machtmilieu hingezogen fühlte. Obwohl er nach außen hin als „poliert“ und zynisch erscheint, ringt er innerlich mit persönlichen Reuegefühlen bezüglich seiner Familie und einer zunehmenden Besorgnis über den Zustand seines Landes. Die Figurenkonstellation ist funktional angelegt, um die Dichotomien des Landes zu illustrieren. Die Erzählerin verkörpert die Idealistin der Literatur und die Verteidigerin einer authentischen intellektuellen Haltung. Sie kritisiert die „Novlangue“ und das „politiquement correct“, die die „République des Lettres“ in Ruinen gelegt haben. Ihr Schreiben, obwohl kommerziell nicht immer erfolgreich, ist Ausdruck ihrer „unique force“ und ihrer Überzeugung, dass Stil „le vrai mis à nu“ offenbart. Sie lehnt die Kommerzialisierung von Literatur ab: Ihr Weg findet Trost und Sinn in Büchern und der bewussten Pflege eines poetischen Lebens. Guillaume Fronsac ist der zynische Pragmatiker des Systems, ein „marquis de l’aristocratie d’État“, der die Mechanismen von Macht und Geld meisterhaft beherrscht. Seine intellektuelle Bildung ist lediglich ein Werkzeug für seine Ambition. Er ist tief in die „Oligarchie“ verstrickt, die sich durch „alliances et trahisons, de promesses rompues et de meurtres“ auszeichnet. Seine „Diplomatie der Lettres“ ist kein Ausdruck von Liebe zur Literatur, sondern ein Mittel zur Selbstdarstellung und Machtdemonstration, wie sein „petit bouquin sur Machiavel“ zeigt. Ihre ungleiche Beziehung, gekennzeichnet durch eine unterschwellige Anziehung („coucherie possible“) und ihre ideologischen Differenzen, symbolisiert das zerrissene Frankreich: eine einsame Hüterin verblassender Ideale gegenüber einem Produkt (sowie Profiteur) des Verfalls.

Politischer, intellektueller und stilistischer Niedergang

Der Roman diagnostiziert einen umfassenden Niedergang Frankreichs. Politisch offenbart er ein Land, in dem das Gefühl der Bürgerschaft („citoyenneté“) von einer zynischen Oligarchie ersetzt wurde. Politische Persönlichkeiten sind in einem „cliché“ gefangen, ihre Ambitionen erscheinen als „passion enfantine“. Die „Verfallserscheinungen“ der Republik sind von „Korruption“ bis zum „Verrat“ offensichtlich. Die Rede von der republikanischen Brandmauer („barrage républicain“) wird als zynisches Manöver entlarvt. Fronsacs spätere Besorgnis um die „désymbolisation de masse“ und der Verlust der Fähigkeit, „grandeur“ zu verkörpern, unterstreichen diesen Zustand. Er erkennt die Verantwortung seiner Generation für das „désastre“.

Intellektuell beklagt Guilbert den Verfall der „République des Lettres“ und die nationale Amnesie. Universitäre Bildung dient oft nur der Karrierestärkung, nicht der kritischen Reflexion. Die „Blablas d’experts“ und die schmeichlerische Literatur („littérature de la flagornerie“) sind Symptome einer intellektuellen Leere, in der das Niveau sich „effondré“ hat. Die Kunst verliert ihre essentielle Funktion und wird zu einem bloßen Produkt oder einem Medium für gesellschaftliche Botschaften, wie die Faszination für „exofiction“ und „autofiction“ zeigt, die die Grenzen zwischen Fakten und Fiktion verwischt. Die Kunst wird zu einer „Ware“ oder „Art der Roboter“, die keine „Sensibilität“ mehr besitzt, sondern „technische Überschwänglichkeit und Plünderung vergangener Maler“ darstellt. Museen werden zu Orten der „sozialen Bindung“ statt der Bewahrung von Kunst, und Ausstellungen wie die von Jeff Koons symbolisieren „falsche Vorstellungen, fehlerhafte Begriffe, lückenhafte Plädoyers, allgemeine Verwirrung“ („idées fausses, mots erronés, plaidoyers lacunaires, confusion générale“).

Stilistisch manifestiert sich der Niedergang im Verlust der Präzision und Schönheit der französischen Sprache. Die Erzählerin beklagt, wie ihre eigene Syntax durch das „politiquement correct“ „aplatie“ und ihr Vokabular „durch eine triste Sprache entfärbt“ („décoloré par une langue morne“) wurde. Die „Holzsprache“ („langue de bois“) ist zu „éléments de langage“ verkommen, die die Realität euphemisieren und verschleiern. Zitate von Bossuet oder Balzac werden durch „unverwüstliche Schwätzer“ („increvables ampoulés“) wie Saint-John Perse ersetzt, deren Gebrauch Geschmacklosigkeit („absence de goût“) verrät. Diese „beängstigende metaphysische Stille des medialen Raums“ („effrayant silence métaphysique de l’espace médiatique“) ist die Folge dieses sprachlichen und intellektuellen Ausblutens, das keine tiefgehenden Gedanken mehr zulässt.

Widerstand durch Neuanfang und die Macht der Fiktion

Der Schluss von Les Républicains ist ambivalent, indem er die endgültige Trennung der Protagonisten suggeriert, während er gleichzeitig einen tiefgreifenden Kommentar zum Zustand Frankreichs und die Rolle der Kunst im Angesicht des Verfalls liefert. Fronsac, der die Visitenkarte der Erzählerin findet, ist von ihrer „chef-d’œuvre d’ambiguïté“ konsterniert. Dies ist keine konventionelle Geste, sondern eine „zarte und verspielte Prämisse“ („prémisse tendre et joueuse“) zu einem weiteren intellektuellen Austausch, eine Anerkennung der Anziehung durch den Geist. Es reflektiert die komplexe, ungreifbare Natur der Beziehung zwischen den beiden, die trotz ihrer ideologischen Differenzen durch eine gemeinsame intellektuelle Vergangenheit und die Faszination füreinander verbunden bleiben. Fronsacs Gedanken offenbaren seine Besorgnis um seine Kinder und die massenhaften De-Symbolisierung („désymbolisation de masse“), sowie seine nüchterne Einsicht, dass keine politische Lösung das „Hexenkessel“ der Probleme lösen wird.

Die Annahme, dass der Terroralarm in Paris ein Scherz („canular“) war, unterstreicht die Realität der manipulierten Informationen, der Angstindustrie und der Aushöhlung der Wahrheit, Themen, die Guilbert auch in Roue libre ausführlich behandelt, wo adornitisch „das Wahre ein Moment des Falschen ist“ („le vrai est un moment du faux“). Die Erkenntnis, dass die Katastrophe inszeniert oder übertrieben sein kann, entlarvt die Fragilität der öffentlichen Wahrnehmung.

Die Erzählerin hingegen, die den Text „Minuit“ mit einem Nachdenken über Fronsac schließt und dann in „Minuit bis“ einen Text von Guilbert selbst präsentiert, findet in dieser chaotischen Realität einen neuen Impuls. Ihre abschließende Überlegung, sich in eine „romance“ oder „un roman“ zu stürzen, ist keine Flucht, sondern eine bewusste, widerständige Geste. Es ist ein Akt der literarischen „Rache“ gegen die „misères“ der Zeit und gegen die Banalisierung der Kultur. Die Kunst, insbesondere der Roman, wird hier als das ultimative Mittel zur Sinnstiftung und zur Bewahrung der „heiligen Feuer“ in einer entweihten Welt dargestellt. Die Entscheidung zu schreiben ist ein Bekenntnis zur „liberté“ und zur „profondeur et beauté“ des Lebens, die dem Verfall entgegensteht. Der Schluss ist somit ein Plädoyer für einen Neuanfang durch die Macht der Fiktion und des kritischen Denkens. Er suggeriert, dass in der Erkenntnis des Verfalls auch die Möglichkeit zur Erneuerung liegt, ein Wiederaufleben des Glaubens an die Franzosen und an die Träume, wie es die Erzählerin selbst formuliert: „Dann müssen wir wieder anfangen, daran zu glauben. An beides. An die Franzosen oder an die Träume?“ („Alors il faut recommencer à y croire. Aux deux. Aux Français ou aux rêves?“) Das ungelöste Ende und die fortgesetzte, wenn auch getrennte, intellektuelle Auseinandersetzung beider Figuren, signalisiert, dass der Kampf gegen den Niedergang ein fortlaufender Prozess ist, in dem die Kunst eine wesentliche Rolle als „Kriegsmaschine“ gegen die „Barbarei“ spielt.

Roue libre: Diagnose einer „anthropologischen Mutation“

In ihren Chroniken von Roue libre, verfasst zwischen 2017 und 2019, untersucht Cécile Guilbert eine „anthropologische Mutation“ der Gesellschaft, die sich in einem umfassenden politischen, intellektuellen und stilistischen Niedergang manifestiert. Sie analysiert die Auswirkungen von „Novlangue“, von „politischer Korrektheit“, „Massenindividualismus“ und der Verwischung von Fakten und Fiktion auf Sprache, Geschichte, Erinnerung und Kunst. Guilbert positioniert sich als „Zeugin“ dieser Entwicklung, frei denkend und gelehrt.

Guilbert beklagt die Mutation der Sprache in Neusprech („mutation de la langue en novlangue“), ein von „globish“ und Akronymen infiziertes Idiom, das zur syntaxikalischen und lexikalischen Entwirbelung („invertébration syntaxique et lexicale croissante“) und dem Zusammenbruch der Logik, der Rhetorik und somit der Sprache („effondrement de la logique, de la rhétorique, et donc du langage“) führt. Dies sei ein identitärer Suizid („suicide identitaire“), da die französische Sprache ursprünglich die Sprache der Gleichheit, des Staates und der Literatur („la langue de l’égalité, de l’État et de la littérature“) gewesen sei. Sie zitiert Ezra Pound, der bereits 1934 eine unpersönliche Empörung („indignation impersonnelle“) über den Niedergang der Literatur („déclin de la littérature“) beschrieb, und kritisiert die Ignoranz gegenüber den schädlichen Folgen („conséquences délétères“) dieser Entwicklung.

Der intellektuelle Verfall geht Hand in Hand mit dem sprachlichen. Guilbert diagnostiziert „die Aporien des Massenindividualismus, [die] zu immer mehr Herdentrieb und Konformismus führen“ („les apories de l’individualisme de masse [qui] débouchent sur toujours plus de grégarisme et de conformisme“). Die „vollendete Unterwanderung des Wahren durch das Falsche“ („subversion achevée du vrai par le faux“), ein Konzept, das sie Guy Debord zuschreibt, prägt das mediale und soziale Leben, wo „Geschwätz unvermeidlich wird, wenn die Umstände einen Menschen dazu bringen, ein Thema anzusprechen, von dem er keine Ahnung hat.“ („le baratin devient inévitable chaque fois que les circonstances amènent un individu à aborder un sujet qu’il ignore“). Die Grenzen zwischen „fait et fiction“ verschwimmen in Politik („storytelling“), Journalismus („fake news“) und Literatur („exofiction“, „autofiction“). Die „Literatur von Produzenten von Inhalten, die von Soziologie und Moralismus verwirrt sind“ („littérature de producteurs de contenus ahuris de sociologie et de moraline“) ersetzt authentische Kunst, deren „mission“ es sei, „n’en point avoir“. Die „produzierende“ Literatur wird zur „Ware“, die „à la demande sociale“ und dem „plus grand nombre“ angepasst wird. Guilbert kritisiert die „paresse de pensée critique“ und die „inculture croissante et la paresse intellectuelle des masses“. Die Überflutung mit „Inhalten“ („contenu“) führt zu einer medialen Leere, in der wahre intellektuelle Debatte erstickt.

Politisch konstatiert Guilbert eine „restriction croissante des libertés publiques“, die nicht nur der intrinsischen Logik der Macht, sondern auch einem „politiquement correct“ entspringt, das sie als „bas, basse-cour, bas-clergé“ oder gar als „fascisme du consensus“ und „police de la culture et de la pensée“ bezeichnet. Dieses „vertuisme“ führt zu einer „criminalisation rétroactive permanente des œuvres et des discours“, wie die Debatten um Colbert, Polanski oder Gauguin zeigen. Die „pulsion de purification rétroactive“ lehnt sie vehement ab.

Die Repräsentationskrise zeigt sich in der Entfremdung der Elite vom Volk und der Aushöhlung demokratischer Prozesse. Die „Verfallserscheinungen“ der Republik und der „Niedergang der ‚République des Lettres'“ sind allgegenwärtig. Guilbert beklagt die Vereinnahmung nationaler Symbole wie Jeanne d’Arc durch die extreme Rechte, obwohl sie eigentlich allen Franzosen gehört. Der Umgang mit historischen Gedenkfeiern durch das „comité Théodule“ wird als Symptom einer „mauvaise conscience culturelle“ und mangelnder intellektueller Kohärenz kritisiert. Die Revolte der „Gilets Jaunes“ illustriert die „immense contradiction entre l’accumulation des revendications les plus variées […] et leur refus concomitant de la médiation, de la représentation, voire des institutions démocratiques ou républicaines“, verstärkt durch den „individualisme et [le] narcissisme des acteurs corrompus par la Société du Spectacle“.

Die „pulsion de mort qui hantent le « catastrophisme » ambiant“ und die „désymbolisation de masse, le déracinement de la parole, l’absence de limite“ prägen die Gesellschaft. Die politische Führung, wie am Beispiel Hollandes diskutiert, ist von einer „transgression sociale-perverse“ geprägt, die als „pervers narcissique“ beschrieben wird. Die „circonstances exceptionnelles“ des Terrors und der Pandemie werden genutzt, um „restrictions de libertés“ zu verhängen, die den „État de droit“ untergraben und eine „vie nue“ – ein biologisches Leben ohne Freiheit und Würde – befördern könnten.

Verteidigung der Schönheit und Singularität

Der stilistische Niedergang manifestiert sich in der Banalisierung und Verarmung der Sprache, die ihrer Präzision und Tiefe beraubt wird. Guilbert kämpft gegen die „simplification“ des Vokabulars und die „tyrannische Anpassung“, die die Sprache ihrer Kraft berauben.

Doch Guilberts Werk ist nicht nur eine Diagnose, sondern auch ein leidenschaftliches Plädoyer für den Widerstand durch Schönheit, Singularität und intellektuelle Freiheit. Sie verteidigt die „défense de l’exception contre la règle et de la pensée contre la doxa“ und das „bonheur des mots parfaits“, deren „éclat et de beauté“ der sprachlichen Verarmung entgegenstehen. Karl Lagerfeld wird als „papivore et lettré“ gefeiert, dessen „immense intelligence“ und „bibliothèque de 400 000 volumes“ die „sève de [sa] vie“ darstellten. Rudy Ricciotti, der Architekt, der „L’Exil de la beauté“ verfasste, ist ein „frère d’armes“ im Kampf gegen den „conformisme, le consumérisme, toutes les lâchetés moutonnières menant à l’émasculation de l’esprit critique“. Seine Vorstellung von Schönheit als „prise de risque“ und Widerstand gegen die „laideur“ steht im Gegensatz zur kommerzialisierten Kunstwelt von Jeff Koons und dem „Grand Barnum de l’art immersif“.

Guilbert feiert die „faculté de voir. Donc de penser“ des Zeichners Philippe Comar und die „puissance magique“ der Kunst, die „gegen die Destruktion kämpft“. Sie plädiert für den „pas de côté“ – einen mentalen Rückzug aus dem Massenkonsum und der Konformität, um innere Freiheit zu bewahren. Die „libertinage“ des 18. Jahrhunderts wird als Ausdruck von „liberté“ und „insubordination“ verteidigt, was im Kontrast zu den heutigen Debatten um „consentement“ und die „Verbalisierungsfähigkeiten“ steht. Persönlichkeiten wie Lanza del Vasto und Jacques Frémontier dienen als Beispiele für eine „singulière“ und „libre“ Existenz, die „gegen alle Vorurteile verstößt“. Die Erzählerin in Les Républicains findet im Schreiben eines Romans einen Weg, der „misères“ der Zeit entgegenzuwirken und an die „rêves“ und „Français“ zu glauben. Die „éternité de la révolte“ wird als essentielle menschliche Eigenschaft hervorgehoben.

So lässt sich sagen, dass Cécile Guilbert in Les Républicains und Roue libre eine eindringliche Analyse des politischen, intellektuellen und stilistischen Niedergangs Frankreichs liefert, die sich durch eine präzise Diagnose der „anthropologischen Mutation“ und eine tiefgreifende Sorge um den Verlust von Sprache, Kultur und demokratischen Werten auszeichnet. Ihre Werke sind jedoch nicht resignativ, sondern vielmehr ein leidenschaftlicher Aufruf zum Widerstand durch die bewusste Pflege von Schönheit, intellektueller Singularität und der unzerstörbaren Kraft der Kunst und des kritischen Denkens im Angesicht eines unerträglich gewordenen Weltzustands.

Heilige Feuer, jenseits von Europa

In Feux sacrés äußert sich Cécile Guilbert nicht in direkter, dezidiert politischer Weise über den Niedergang Frankreichs, wie dies in ihren hier skizzierten gesellschaftskritischen Werken Les Républicains oder Roue libre der Fall ist. Statt einer expliziten Analyse der politischen Oligarchie oder der „Novlangue“ wird in Feux sacrés ein umfassenderer, impliziterer Zivilisationsniedergang des Westens konstatiert. Guilbert spricht von der „planetarischen Katastrophe“ („catastrophe planétaire“), die das Ergebnis einer jahrhundertealten Denk- und Handlungsweise des „absolutisme émancipateur“ ist, den sie als „Occident“, nachgeahmt vom Rest der Welt, bezeichnet. Dies steht im Gegensatz zu einem „grauen und technisierten“ („grisâtre et techno“) Europa, aus dem sie auf ihren Reisen nach Indien flieht. Der Text berührt indirekt auch den intellektuellen und stilistischen Niedergang, indem er die persönliche Suche nach Wahrheit und Sinn dem oberflächlichen Experten Geschwätz und der massenhaften De-Symbolisierung entgegenstellt, die in ihren anderen Werken kritisiert werden und auch in Feux sacrés durch die Abgrenzung von „produzierender“ Literatur und „sich prostituierenden“ Künstlern mitschwingen. Der Niedergang wird hier somit eher auf einer existenziellen, kulturellen und spirituellen Ebene verhandelt als auf einer tagespolitischen.

Spiritualität ist in Guilberts Werk ein neues Thema, erstmals beschäftigt sie sich explizit mit östlicher Philosophie und Meditation. Das Buch folgt dem klassischen Muster der spirituellen Autobiografie. Mit 62 Jahren bilanziert Guilbert ihre intellektuelle und persönliche Entwicklung. Die Notwendigkeit des Engagements und des Widerstands in Feux sacrés manifestiert sich daher in einer radikalen Hinwendung zu einer vielleicht unpolitischen Innerlichkeit, die jedoch eine zutiefst widerständige Haltung impliziert. Guilbert sucht nicht (mehr) den Kampf auf den Barrikaden, sondern eine Transformation durch „Nicht Handeln“ und „Nicht Denken“, was sie explizit als Gegenmodell zum „Absolutismus des Westens“ versteht und nicht als Eskapismus abgetan wissen will. Das „dissidentische Leben“ („vie dissidente“), das sich nicht ausbeuten oder zerstören lässt, und das „poetische Leben“ werden zu Formen des Widerstands gegen die „Abstumpfungen“ („abrutissements“) und „Klischees“ der Gesellschaft. Die persönliche Suche nach „heiligen Feuern“ – Liebe, Tod, Indien und Büchern – und die Auseinandersetzung mit der indischen Weisheit (Advaita Vedanta, Yoga) ist für Guilbert ein Engagement, das darauf abzielt, „Sinn im Chaos“ zu finden. Guilbert möchte den „Fluch des Saturn“ („la malédiction de Saturne“) verabschieden und „die Zerrissenheit Freude nennen“ („nommer joie la déchirure“). Der Akt des Schreibens selbst, als eine Glückssuche („rechercher la chance“) und als Mittel zur Selbsterleuchtung („s’élucider soi-même“), ist in diesem Kontext ein tiefgreifendes, wenn auch vorrangig intimes Engagement, das die Bewahrung von Schönheit, Authentizität und kritischem Denken in einer als verkommen empfundenen Welt verteidigt.


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