Inhalt
Aurélien d’Avout, La France en éclats: écrire la débâcle de 1940, d’Aragon à Claude Simon (Brüssel: Les Impressions nouvelles, 2023), 390 S.
Zäsur und Riss im französischen Selbstbild
Aurélien d’Avouts Studie La France en éclats beleuchtet, warum das Jahr 1940, insbesondere der Juni, in Frankreich oft von einem „Schleier des Schweigens“ umgeben ist. Obwohl die Niederlage von 1940 eines der prägendsten Ereignisse der französischen Zeitgeschichte darstellt, bleibt die kollektive Erinnerung daran eher unauffällig. Die débâcle und der Exodus werden als fundamentale historisch-geographische Ereignisse verstanden. Im Gegensatz zum Ersten Weltkrieg, der hauptsächlich ein Stellungskrieg war, war der Blitzkrieg von 1940 ein Bewegungskrieg, der eine schnelle Ausbreitung der Kampfzone und die Flucht von Millionen von Zivilisten und Soldaten zur Folge hatte, die gezwungen waren, ihr Zuhause zu verlassen. Im Gegensatz auch zu anderen Phasen des Zweiten Weltkriegs, wie der Besatzung und der Befreiung, ist die „débâcle“ (der Zusammenbruch) weit weniger sichtbar. Die „Drôle de Guerre“ von September 1939 bis Mai 1940 wird in Schulbüchern oft auf eine kurze Übergangsphase reduziert, und dann wird abrupt zu den Bildern der Okkupation, des Widerstands („Résistance“) und der Befreiung übergegangen. Dies lässt den französischen Zusammenbruch wie einen „Vorspann ohne eigenen Film“ erscheinen. Aurélien d’Avouts monumentale Studie setzt genau hier an und betrachtet 1940 als eine Zäsur und einen dauerhaft wirksamen Riss im französischen Selbstbild. Der Titel „Frankreich in Scherben“ selbst verweist auf die fragmentierte Natur des Landes und die literarische Auseinandersetzung mit seiner Zerstörung und späteren Rekomposition. Die Studie zielt darauf ab, dem Leser die Geschichten des Zusammenbruchs und des Exodus näherzubringen oder wiederzuentdecken, die in der Literaturgeschichte einen wichtigeren Platz verdienen als bisher eingeräumt.
Die Zeit von Mai-Juni 1940 war somit nicht nur eine militärische Niederlage und ein beispielloser Exodus, sondern auch ein exemplarischer Fall der Beschleunigung der Geschichte. Trotz des „vergessenen“ Charakters des Dramas von 1940 führte es zu einer extremen literarischen Fruchtbarkeit. Viele Autoren begannen sofort zu schreiben, oft unter schwierigen Bedingungen, in Form von Tagebüchern oder Notizbüchern. Später folgten Romane, Essays und Memoiren. Selbst Autoren, die nach dem Krieg geboren wurden, finden in dieser Zeit eine wichtige Inspirationsquelle. Dies zeigt eine doppelte Zeitlichkeit der Schriften über Mai-Juni 1940: eine unmittelbare und eine verzögerte. Marc Bloch betonte, dass der „Schatten des großen Desasters von 1940 nicht so schnell verschwinden wird“. Die Studie wählt einen literaturwissenschaftlich originellen und kulturhistorisch brisanten Blickwinkel: die Darstellung des nationalen Raums in der Literatur. Sie untersucht, wie die historischen Dynamiken der nationalen Raumrekomposition von der Literatur aufgegriffen und wiedergegeben werden, welche stilistischen Mittel, Motive und Erzählweisen die Autoren verwenden, um ihre Erfahrung der Niederlage und ihrer Durchquerung des Landes zu beleuchten.
Dabei verfolgt der Autor einen multidisziplinären Ansatz, der Literatur, Psychoanalyse, Geschichte und Geographie, insbesondere Kartographie, miteinander verbindet. In diesen sechs Wochen erlebte Frankreich eine beschleunigte historische Entwicklung, die mit einer tiefgreifenden geografischen Zersplitterung einherging: Nach dem Waffenstillstand vom 22. Juni 1940 wurde das Land in sechs Zonen aufgeteilt, was bei vielen zeitgenössischen Schriftsteller dazu führte, dass sie einen Ausdruck für den Verlust ihres „geografischen Bewusstseins“ suchten. Diese literarischen Texte spiegeln den Zerfall des nationalen Raums und den Zusammenbruch der politischen und sozialen Strukturen wider.
Schon die Einleitung (S. 5–20) macht klar, dass es dem Vf. nicht um eine weitere historische Analyse der Schlacht von Frankreich geht, sondern um die Frage, wie Schriftsteller den Zerfall des Territoriums erfassen und in Sprache bannen. „La conscience géographique“ (S. 8) nennt er das – jenes Gefühl der räumlichen Kohärenz, das in Friedenszeiten selbstverständlich ist, im Juni 1940 aber in Auflösung begriffen war. Grenzen verschwimmen, Orientierungspunkte verschwinden, die Landkarte ist nicht mehr das, was sie gestern war. D’Avout verbindet dabei Methoden der géographie littéraire mit der Theorie des territoire von Yves Lacoste: Raum als wahrgenommene, gedachte und affektiv besetzte Größe (S. 18). Diese dreifache Dimension – Perzept, Konzept, Affekt – wird im „momentum“ der Niederlage (Schluss, S. 438) erschüttert. Dass dies in der Literatur nicht nur dokumentiert, sondern geformt wird, ist seine zentrale These. Sein Korpus ist beeindruckend breit. Er wählt fünfzehn Primärtexte als Achse – darunter Saint-Exupérys Pilote de guerre (1942), Aragons Les Communistes (1951–56), Claude Simons La Route des Flandres (1960) und Gracqs posthum erschienene Manuscrits de guerre (2011) – und flankiert sie mit rund dreißig weiteren, die von journalistischen Chroniken bis zu experimenteller Prosa reichen. Er verzichtet auf eine strikte Trennung zwischen „Zeugnis“ und „Fiktion“ und liest beide im Hinblick auf Raumkonstruktionen.
Ein zentrales Thema ist der Verlust des „geographischen Bewusstseins“, den viele erlebten, und umfassender, die emotionalen, sinnlichen und politischen Beziehungen, die sie zu Frankreich unterhielten. Autoren wie Aragon, Jean Guéhenno und Alain Bosquet betonten den Orientierungsverlust und die „Anomie“, die der Zusammenbruch des Landes verursachte. Die Niederlage der Armee, der Rückzug der Regierung und die Massenflucht der Zivilisten trugen zur Auflösung des sozialen und politischen Gefüges der Nation bei. Das Werk betrachtet die Periode durch das Konzept des „Territoriums“, das als ein Raum definiert wird, der durch Grenzen abgegrenzt, von einer Macht organisiert und beherrscht wird und Aneignungsdynamiken erzeugt – alles Parameter, die im Mai-Juni 1940 höchst problematisch wurden.
Aufbau
D’Avout analysiert ein Kernkorpus von 15 mehr oder weniger autobiographischen Texten von Autoren wie Aragon, Saint-Exupéry oder Claude Simon und untersucht dabei Stilmittel, wiederkehrende Motive, Erzählstrategien und die Verwendung von Ortsnamen. Seine Analyse gliedert sich in drei Teile, die den Raum in seinen Dimensionen der Wahrnehmung, der mentalen Repräsentation und der affektiven Bindung betrachten.
Im ersten Teil zeichnet er die Lebens- und Raumerfahrungen der Franzosen nach, die von ständigen Grenzverschiebungen und einem Gefühl der Enteignung geprägt sind. Der Exodus wird häufig mit Naturkatastrophen wie Fluten oder Schiffbruch verglichen, und die Städte verwandeln sich in chaotische, kafkaeske Orte. Die politische und militärische Zerstreuung führt zu einer inneren Desorientierung, die durch die Aufteilung des Landes in verschiedene Zonen und die „Balkanisierung“ des Raums verstärkt wird. Gleichzeitig zeigt sich der Krieg auch in ambivalenten Landschaften, die sowohl zerstörerisch als auch poetisch dargestellt werden.
Der zweite Teil untersucht die Entwicklung der Darstellungen des nationalen Raums, die von der institutionellen Geographie des Schulunterrichts bis zum Zerfall der Orientierungspunkte reichen. Unter der Dritten Republik war Geographie ein Mittel, um das nationale Territorium zu verstehen und ein Zugehörigkeitsgefühl zu stärken. Doch das Debakel von 1940 zerstörte dieses Bild brutal, was sich in literarischen Texten in Form von räumlicher Verwirrung, der Suche nach Karten oder Kompassen und der suggestiven Nutzung von Ortsnamen widerspiegelt. Moderne Erzähltechniken wie im Nouveau Roman illustrieren den Verlust des geografischen Bewusstseins eindrucksvoll.
Im dritten Teil zeigt d’Avout, wie die Schriftsteller das zersplitterte Territorium zu einer „inneren Heimat“ umgestalten, besonders in Situationen von Exil oder Gefangenschaft. Sie suchen mentale Räume der Kontinuität und Sicherheit, oft in Kindheitserinnerungen oder philosophischen Reflexionen, die als affektive Neuzusammensetzung des Raums fungieren und eine Flucht aus der physischen Gefangenschaft ermöglichen. Das Schreiben über die Niederlage enthält auch eine positive Vision des Wiederaufbaus, etwa durch die Allegorie der Kathedrale in Saint-Exupérys Werk. Nach der Befreiung unternahmen viele Autoren Pilgerfahrten zu den Schlachtfeldern, um ihre Erinnerungen zu rekonstruieren und das kollektive Gedächtnis zu formen, was auch politische Bedeutungen hatte.
Zu Atouts Korpus
Nach der Niederlage Frankreichs im Jahr 1940 beeinflusste dieses einschneidende Ereignis das Leben und Werk der Autoren des Kernkorpus auf vielfältige Weise, oft mit tiefgreifenden biografischen Folgen für ihre spätere Karriere und Schriften.
Lucien Rebatet, Les Décombres (Denoël, 1942)
Lucien Rebatets Les Décombres (1942) ist ein ausgedehntes Pamphlet, das eine „Autopsie des Zusammenbruchs des Landes“ von der Phase des sogenannten „Sitzkriegs“ (drôle de guerre) bis zur Errichtung des Vichy-Regimes darstellt. Rebatet, ein Journalist der Kollaborationszeitung Je suis partout, der sich als engagierter Kollaborateur einen Namen machte, sah in diesem Werk weniger eine Rekonstruktion der Ereignisse, als vielmehr den Versuch, „die Überreste einer verhassten Vergangenheit über ganz Frankreich einstürzen zu lassen“. Obwohl nur zwei der sechs Teile des Buches direkt den Exodus und die Niederlage schildern, bilden diese Passagen das „Nervenzentrum“ des Werkes und sind geprägt von einer hohen rhetorischen Kunstfertigkeit und dramatischen Szenen. Das Werk erlangte während der Besatzungszeit großen Erfolg und wurde zu einem „echten Bestseller“. Nach der Befreiung Frankreichs, der alliierten Invasion floh Rebatet im August 1944 zu Louis-Ferdinand Céline nach Sigmaringen, wo sich die führenden Mitglieder des Vichy-Regimes in einem Schloss versteckt hielten. Während seines Aufenthalts dort arbeitete Rebatet weiterhin an seinen Romanen. Kurz vor Kriegsende floh er nach Österreich, wurde aber am 8. Mai 1945 in Feldkirch festgenommen und 1946 wegen Kollaboration zum Tode verurteilt. Dieses Urteil wurde jedoch später in eine langjährige Haftstrafe umgewandelt, und er verbrachte etwa zehn Jahre im Gefängnis, bevor er 1952 entlassen wurde. Auch nach seiner Freilassung blieb Rebatet politisch umstritten, da er seine faschistischen und antisemitischen Überzeugungen nicht widerrief. Trotz der gesellschaftlichen Ächtung gelang es ihm, literarisch wieder Fuß zu fassen und weiterhin Essays, Kritiken sowie politische Texte zu veröffentlichen. Sein Leben nach dem Krieg zeigt das Schicksal vieler intellektueller Kollaborateure: gesellschaftliche Isolation aufgrund seiner Haltung, aber auch eine gewisse Anerkennung seiner literarischen Fähigkeiten. Bis zu seinem Tod 1972 blieb Rebatet eine polarisierende Figur, deren Werk literarisch differenzierter betrachtet wurde, während seine politische Vergangenheit kaum vergeben wurde.
Das Buch ist durch eine „Rhetorik des Hasses“ und eine „systematische Anklage“ gekennzeichnet, die sich gegen nahezu alle politischen, sozialen, beruflichen und religiösen Gruppen Frankreichs richtet. Rebatet verurteilt „dieses ganze Volk, das von einem wandernden Delirium ergriffen wurde“. Er macht sich über regionale Vorurteile lustig, indem er die „Nordfranzosen“ als „hinterhältiges, bösartiges, gewalttätiges, blutrotes kommunistisches Proletariat“ darstellt, „wohlgenährte Normannen“ als reiche Viehhalter und die Flucht der Pariser als Obszönität. Auch die französische Armee wird als „Gegenteil ihres Mythos“ kritisiert, regiert von einer „Konstellation von Politkern“, und die katholische Kirche wird auf einen „Schatten ihrer selbst“ reduziert, gefüllt mit „geistlichen Lakaien“. Rebatet betrachtet sein Pamphlet als eine „Sprenggranate“ oder „Riss-Granate“, die ein „Maximum an Sprengstoff“ in sich trägt und seinen Wunsch nach einer radikalen Zerstörung der alten Ordnung zum Ausdruck bringt.
In seiner Darstellung kritisiert Rebatet die Ineffektivität und Absurdität der Zerstörung von Brücken, die er als einen „Brückenkrieg“ bezeichnete, der das Gefühl vermittelte, „ganz Frankreich nach und nach in die Luft zu jagen“. Er wirft den Soldaten von 1940 vor, die „Ehre der Opfer von 1914-1918 verletzt“ zu haben, und untermauert diese Anschuldigung mit einer detaillierten „Kartografie der Hochburgen des Ersten Weltkriegs“. Diese detaillierten geografischen Verweise dienen dazu, den Boden des Vaterlandes zu „heiligen“ und die Soldaten von 1940 für dessen „Entweihung“ verantwortlich zu machen. Rebatets Werk ist somit eine scharfe Polemik gegen das anachronistische Denken und Handeln des französischen Militärs, das seiner Meinung nach 1940 immer noch einen Krieg nach den Regeln des Ersten Weltkriegs führte. Die Niederlage wird nicht nur als militärisches, sondern auch als moralisches Debakel dargestellt, ein Zeichen eines dekadenten Frankreichs, von dem sich Rebatet selbst explizit ausnimmt.
Autoren, die während des Krieges starben
Antoine de Saint-Exupéry, Pilote de guerre (Gallimard, 1942)
Antoine de Saint-Exupéry verstarb 1944 während des Krieges. Der Schriftsteller und Pilot verschwand während eines Aufklärungsflugs über dem Mittelmeer im Zweiten Weltkrieg. Sein Flugzeug stürzte vermutlich in der Nähe von Marseille ab, doch die genauen Umstände blieben lange unklar. Erst Jahrzehnte später wurden Überreste seines Flugzeugs und persönliche Gegenstände gefunden, die bestätigten, dass er bei diesem Einsatz ums Leben gekommen war. Seine Erfahrungen bei Aufklärungsmissionen im Juni 1940 flossen direkt in sein Werk Pilote de guerre (1942) ein. Spätere Schriften wie Lettre à un otage (1943) trugen dazu bei, die französische Sache in den Vereinigten Staaten zu unterstützen. Pilote de guerre schildert als Zeugnis der Schlacht um Frankreich die Aufklärungsmissionen Saint-Exupérys in der Region Arras im Juni 1940, die er unter Lebensgefahr durchführte. Das Buch bietet eine Blick auf den Exodus aus der Vogelperspektive, wobei das Flugzeug zu einem „authentischen Wahrnehmungsorgan“ wird. Saint-Exupéry verwendet Metaphern des Flüssigen, um die Auflösung des nationalen Raumes zu betonen, der von einem festen in einen flüssigen Zustand übergeht. Er beschreibt die fliehende Menschenmenge als „schwarzen Saft“, „endlosen Sirup“ oder „Fluss aus Schlamm“. Das Werk kritisiert auch die zerstörerischen Handlungen der französischen Soldaten, die Brücken sprengen und damit das eigene Land beschädigen, anstatt es zu verteidigen. Es trägt zur Motivation des amerikanischen Lesers bei, die französischen Kriegsanstrengungen zu unterstützen. Das Motiv der Kathedrale symbolisiert im Text die Idee des Wiederaufbaus und der Widerstandsfähigkeit Frankreichs angesichts der Zerstörung.
Marc Bloch, L’Étrange Défaite: témoignage écrit en 1940 (Franc-Tireur, 1946)
Marc Bloch, der französische Historiker und Mitbegründer der Annales-Schule, wurde während des Zweiten Weltkriegs von der deutschen Besatzungsmacht hingerichtet. Nachdem er sich dem französischen Widerstand angeschlossen hatte, wurde er 1944 von der Gestapo gefangen genommen. Trotz Folter verweigerte er die Preisgabe von Informationen. Kurz darauf, im Juni 1944, wurde Marc Bloch in der Nähe von Lyon von den Nazis erschossen. Sein bedeutendes Zeugnis L’Étrange Défaite verfasste er unmittelbar nach der Niederlage im Sommer 1940, und es wurde posthum 1946 veröffentlicht. Das Werk stellt eine tiefgehende Analyse des intellektuellen Versagens des französischen Generalstabs dar. Blochs Essay ist ein hellsichtiges Werk der Zeitgeschichte, das zwischen Juli und September 1940 verfasst wurde. Er diagnostiziert eine „intellektuelle Niederlage“ des französischen Generalstabs. Bloch kritisiert, dass das „Metronom der Generalstäbe“ stets „mehrere Takte im Rückstand“. Er beschreibt, wie die deutschen Truppen „dort erschienen, wo sie nicht hätten sein dürfen“, was die Blindheit und technische Unzulänglichkeit der französischen Armee aufzeigt. Das Buch ist eine „Gewissensprüfung“ und hebt die physische Erfahrung der Stuka-Angriffe hervor, die den Körper „bis ins Mark“ erschüttern.
Blochs unmittelbar nach der Niederlage verfasster Text bezeugt die „extrem literarische Fruchtbarkeit“ der Niederlage, da er selbst als Historiker sofort die Notwendigkeit verspürte, die Geschehnisse zu analysieren. Ein zentraler Punkt ist die Anachronismus-These der französischen Armee, die Bloch in L’Étrange Défaite umfassend untermauert. Er kritisiert scharf, dass das französische Oberkommando im Jahr 1940 noch den Krieg von 1915-1918 führen wollte, während die Deutschen bereits den „Krieg von 1940“ führten. Bloch beschreibt dies anschaulich als einen Kampf, bei dem Frankreich die Rolle der „Primitiven“ mit „Speer gegen Gewehr“ einnahm, und führt dies auf ein grundlegendes „intellektuelles Versagen“ und eine „Denkträgheit“ in der Militärführung zurück. Des Weiteren stützen Blochs Ausführungen die im Buch d’Avouts dargestellte „Verlust der Souveränität“ und die „geografische Desorientierung“. Bloch dokumentiert die „Vakanz der Macht“ und das „Zerfallen“ der Verwaltungsmaschinerie, was zu einer unklaren und verwirrenden militärischen Lage führte. Seine persönliche Erfahrung, sich in seinem Kommandoposten in Lens in Sicherheit wähnend plötzlich vom Feind umzingelt wiederzufinden, veranschaulicht die omnipräsente Verwirrung über den „nicht lokalisierbaren Feind“ und die „flüchtige Front“, die kennzeichnend für die Niederlage waren. Schließlich, während die individuelle Suche nach einer „patrie intérieure“ als Form der Neuzusammensetzung des nationalen Raums nach der Niederlage zu deuten ist, kann Blochs eigenes Handeln in diese Kategorie eingeordnet werden. Sein Rückzug in sein Landhaus in der Creuse, um dort sofort sein Werk zu verfassen, ist ein Beispiel für eine „geistige Einkehr“ und einen „inneren Neuanfang“, der ihm half, die Ereignisse intellektuell zu verarbeiten und ihrem Chaos einen Sinn abzugewinnen.
Irène Némirovsky, Suite française. Tempête en juin (Denoël, 2004)
Irène Némirovsky wurde nach Auschwitz deportiert und starb dort. Die französisch-jüdische Schriftstellerin wurde 1942 von den deutschen Besatzern verhaftet und später ins Konzentrationslager Auschwitz deportiert. Dort starb sie im August 1942, nur wenige Wochen nach ihrer Ankunft, vermutlich an Erschöpfung, Hunger oder Krankheit. Ihr Roman Suite française, der die Ereignisse des Exodus beleuchtet, wurde erst 2004 posthum veröffentlicht. Er ist eine „romanhafte Transkription“ der Ereignisse und enthält zahlreiche tragisch-komische Szenen, die die Verhaltensweisen der Menschen während des Exodus satirisch überzeichnen. Némirovsky selbst, die sich vor den Ereignissen in ein Dorf im Morvan geflüchtet hatte und den Exodus nicht im eigentlichen Sinne miterlebte, nutzte diese Perspektive, um die Schwächen und Absurditäten der Gesellschaft bloßzustellen. So wird beispielsweise Mme Péricand, eine bürgerliche, katholische Familienmutter, ironisch dargestellt, da sie zwar all ihre wertvollen Gegenstände mitnimmt, aber ihren Schwiegervater in ihrer Wohnung vergisst oder ihre christliche Nächstenliebe bei aufkommender Lebensmittelknappheit schnell verliert. Ebenso wird der wohlhabende Schriftsteller Gabriel Corte mit Ironie behandelt, da er die Katastrophe hauptsächlich als Gelegenheit für ein raffiniertes literarisches Werk sieht. Némirovsky kritisiert mit gleicher Ironie den Egoismus der einen und den Snobismus der anderen, die „Feigheit der Auserwählten“ und die „Dummheit der Einfachen“. In ihren Notizen fasst die Autorin die Geisteshaltung vieler Charaktere zusammen: „Opfer (jeder ist sich der Notwendigkeit des Opfers einig, vorausgesetzt, es ist das des Nachbarn)“. Némirovsky setzt in ihrem Roman Tiermetaphern ein, um die deutsche Luftwaffe und die Degradierung nationaler Symbole darzustellen. Sie beschreibt, wie der Tod „am Himmel schwebte und sich plötzlich herabstürzte, vom Firmament herabstürzte, Flügel ausgebreitet, Schnabel aus Stahl auf diese lange zitternde Reihe schwarzer Insekten gerichtet, die die Straße entlangkrochen“. Diese Formulierung lässt das Bild des deutschen Adlers entstehen, ein Wappen, das vom Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation stammt. Die Assoziation wird durch die Namensgebung „von Falk“ für den deutschen Offizier noch verstärkt, da „Falke“ auch für eine Art Jagdflugzeug während des Blitzkriegs steht. Umgekehrt wird die Degradierung des französischen Symbols des gallischen Hahns durch die Assimilation der Franzosen an ein „zartes Geflügel“ oder „geschlachtete Hühner“ ausgedrückt. Der Text evoziert für die Autorin die Idee einer „uralten Seuche“ („vieille maladie“), die Frankreich befällt. Dies wird durch die strukturelle Gestaltung des Romans selbst unterstützt, der dem Modell einer Welle folgt, die steigt und fällt, wie eine von Némirovskys handschriftlichen Notizen offenbart: „Das Muster ist weniger ein Rad als eine Welle, die steigt und fällt, und bald findet man auf ihrem Gipfel eine Möwe, bald den Geist des Bösen und bald eine tote Ratte“. Diese Metaphorik der Welle verweist auf die Flut des Exodus und symbolisiert gleichzeitig den Wechsel zwischen Schreckens- und Ruhezeiten im Roman.
Autoren, deren Nachkriegswerk von Kampf- und Gefangenschaftstraumata geprägt ist
Robert Merle, Week-end à Zuydcoote (Gallimard, 1949)
Robert Merles dreijährige Kriegsgefangenschaft in Deutschland prägte ihn tief und führte zu einer unermüdlichen Wiederaufarbeitung traumatischer Szenen in seinem Werk. Sein erster Roman Week-end à Zuydcoote (1949), der die Erlebnisse in Dünkirchen behandelt, wurde mit dem Prix Goncourt ausgezeichnet. Auch sein posthum erschienenes Dernier Été à Primerol (2013) spiegelt die mentale Flucht aus der Gefangenschaft wider. Der Roman spielt während der Schlacht von Dünkirchen und beschreibt das Leben einer Gruppe französischer Soldaten, die sich selbst überlassen sind. Der Text vermittelt die beklemmende Erfahrung einer Raumverengung: Das Land wird zu einem „Stück Frankreich“, einem „kleinen Stück Land, das jeden Tag kleiner wird“, einem Stoff, der „im Wasser einweicht und beim Waschen schrumpft“. Das Werk beginnt mit der Leiche einer Frau, deren Schicksal das des Landes vorwegnimmt. Die Symbolik der Zerstückelung der Körper spiegelt die bevorstehende Teilung des französischen Territoriums wider. Es ist Merles „autobiographischster“ Roman, der seine eigene Erfahrung als Kriegsgefangener widerspiegelt und das Motiv der geschlossenen Räume in seinem Werk beeinflusst. Aragon kritisierte das Buch dafür, dass es nur die „militärische und moralische Niederlage“ zeige und nicht die entstehende Widerstandsbewegung.
Claude Simon, La Route des Flandres (Minuit, 1960)
Als Kriegsgefangener in Deutschland erlebte Claude Simon die Niederlage, die für ihn eine über Jahrzehnte hinweg fortgesetzte narrative Materie wurde. Seine Werke von La corde raide (1947) bis Le Jardin des Plantes (1997) sind von dieser Erfahrung durchdrungen. Er erforschte und kartografierte seine Kriegserlebnisse akribisch für seine späteren Romane.
Der Roman beschreibt die Desorientierung der Soldaten in der flämischen Landschaft. Er thematisiert die Flüchtigkeit der Front und die Unsichtbarkeit des Feindes. Ortsnamen verlieren ihre Orientierungsfunktion und werden zu „toponymischen Träumereien“, die die subjektive Wahrnehmung der Figuren widerspiegeln. Simon verwendet Kartenskizzen, um die Mehrdeutigkeit des Raumes zu betonen. Er kritisiert die Anachronismen der französischen Militärstrategie durch die Figur des Reiteroffiziers mit dem Säbel, der einer Feuerwaffe unterliegt. Das Werk thematisiert das „Verschwinden der Spuren“ des Krieges in der Landschaft nach den Ereignissen.
Julien Gracq, Un balcon en forêt (Corti, 1958)
Auch Julien Gracq, selbst Soldat und Kriegsgefangener, kehrte in seinem späteren Schaffen immer wieder zur traumatischen Erfahrung von 1940 zurück. Er betonte, dass der Krieg „Jahrzehnte brauchen kann, um seine reinen Essenzen zu destillieren“. Sein Roman Un balcon en forêt (1958), der sich die Ardennen als Schauplatz wählte, ist eine Umgestaltung seiner Kriegserfahrung in eine „synthetische Landschaft“.
Der Roman spielt in den Ardennen, einer „Geschichts-Landschaft“, einem Ort, der von vergangenen Kriegen geprägt ist. Er schildert die Erfahrung einer Zeitlosigkeit und den Rückzug von der Kriegsrealität, wobei geografische Schemata wie Inseldasein und Höhe verwendet werden. Das Werk schafft eine „Oase der Ruhe“ und neutralisiert oder verharmlost die Kriegsgeräusche. Gracq lenkt jedoch von seiner tatsächlichen militärischen Erfahrung in Flandern ab und wählt bewusst einen anderen Schauplatz, um die Spannungen zwischen der Schönheit der Natur und der Kriegsgewalt zu thematisieren. Der Roman thematisiert eine „gefährliche Landschaft“, in der unsichtbare Kräfte wirken.
Jean-Paul Sartre, « Autour des Carnets de la drôle de guerre » (Gallimard, 2010)
Jean-Paul Sartre: Als Kriegsgefangener setzte sich Sartre intellektuell und emotional mit der Niederlage auseinander, was in seinen posthumen Carnets de la drôle de guerre (1983) und Autour des Carnets de la drôle de guerre (2010) deutlich wird. Sein Roman La Mort dans l’âme (1949) spiegelt ebenfalls seine Erlebnisse und den als kafkaesk wahrgenommenen Krieg wider.
Sartres Aufzeichnungen bieten einen Einblick in seine Wahrnehmung der Kriegsereignisse. Er beschreibt das „mineralische Schweigen“ der verlassenen Städte und das Gefühl der Isolation und Fremdheit. Er empfindet die Demütigung, Teil einer geschlagenen Armee zu sein. Die Erfahrung der „Drôle de guerre“ wird als „kafkaesk“ empfunden, eine „nicht auffindbare“, „gespenstische“ Kriegsführung, in der die Grenzen zum Feind verschwimmen. Die Entwurzelung der Elsässer ist ein zentrales Thema, das Sartres eigene Familiengeschichte widerspiegelt.
Alexandre Vialatte, Le Fidèle Berger (Gallimard, 1942)
Nach seiner frühen Freilassung aus der Kriegsgefangenschaft schrieb Alexandre Vialatte sofort Le Fidèle Berger (1942), das die psychische Desorientierung und den Identitätsverlust widerspiegelt. Obwohl das Werk von disparaten Erinnerungen geprägt ist, ermöglicht die finale Konfrontation mit einer Landkarte dem Charakter eine gewisse Klarheit und Rekonstruktion. Der Roman enthält stark autobiographische Elemente, die Festnahme von Vialatte während der Schlacht um Frankreich und eine Nervenkrankheit. Die traumatische Erfahrung der Niederlage wird durch die kartographische Betrachtung im Roman kondensiert. Der Protagonist Berger erwartet eine Landkarte wie aus seiner Kindheit, findet aber ein „hastig gezeichnetes Frankreich“, das brutal in zwei Zonen geteilt ist – eine grüne nördliche und eine rosa südliche. Diese Szene offenbart einen radikalen „Entfremdungseffekt“ und die endgültige Zerschlagung des idealisierten Schulbildes von Frankreich. Das Labyrinth-Motiv unterstreicht die Verwirrung und Inkohärenz der Welt des Brigadiers.
Autoren, deren Nachkriegswerk die Niederlage aus einer anderen Perspektive aufgreift
Léon Werth, Trente-trois jours (Viviane Hamy, 1992)
Léon Werth, obwohl nicht mobilisiert, erlebte den Exodus und die Besatzung aus erster Hand und dokumentierte seine Erfahrungen in den posthum veröffentlichten Journalen Trente-trois jours (1992) und Déposition (1946). Der Bericht Trente-trois jours schildert seinen 33-tägigen Exodus, eine Reise, die normalerweise nur wenige Stunden dauern würde, und die paradoxe Langsamkeit des Ereignisses im Kontrast zum Blitzkrieg hervorhebt. Werth beschreibt dabei ein tiefes Gefühl der „inneren Entfremdung“ („dépaysement intérieur“), vergleichbar mit dem Gefühl, „plötzlich ein Nomade geworden zu sein“. Dieses Gefühl verstärkte sich, wenn er auf Bürger traf, die den Deutschen gegenüber Komplizenschaft zeigten. Er beobachtete beispielsweise bei Madame Soutreux eine offene „Hingabe an Deutschland“ („dévotion à l’Allemagne“) und die warme Aufnahme deutscher Soldaten, was ihm das Gefühl gab, sich in einem Land zu befinden, von dessen Existenz er nichts wusste: „ein Frankreich, das den deutschen Sieg akzeptiert oder sich darüber freut, ein Frankreich, das sich an keine französische Sitte oder Eigenschaft gebunden fühlt“. Dies führte ihn dazu, die Vorstellung eines „ewigen Frankreich“ zu hinterfragen. Werth kritisiert auch die Passivität der Landbevölkerung („passivité paysanne qui confine à l’aveuglement“), die seiner Meinung nach an Blindheit grenzt und die Ideologie des Vichy-Regimes von einem „Nazismus und ländlichen Idyll“ („mélange de nazisme et d’idyllisme champêtre“) passiv akzeptiert. Sein Rückzug in sein Landhaus in der Creuse bzw. im Jura (Saint-Amour) aufgrund seiner jüdischen Herkunft ermöglichte es ihm, die Ereignisse aus einer anderen Perspektive zu beobachten und kritisch zu kommentieren. In seinem Journal „Déposition“ hielt er nicht nur persönliche „dünne Empfindungen“ („minces sensations“) fest, sondern auch das instabile politische Klima und die Zweifel der Bewohner in seiner Umgebung. Werth prangert die kompensatorische Rhetorik des Vichy-Regimes an, das den nationalen Boden verherrlichte und versuchte, die unhaltbare Situation zu normalisieren. Er verwendet die Metapher einer „verbrannten Fabrik“ („usine incendiée“) mit einem „verrückten Hausmeister“ (Pétain), um den Verlust der staatlichen Souveränität zu veranschaulichen. Zudem beschreibt er, wie die Besatzung die Mobilität einschränkte und die Wahrnehmung von Entfernungen veränderte, sodass eine kurze Strecke wieder zu einer „Expedition“ wurde, wie vor dreißig oder vierzig Jahren. Für Werth wurde sogar der Regen wie eine „Besatzungstruppe“ empfunden, was das Gefühl der Einschränkung und Kontrolle unterstreicht. Seine Schriften liefern somit ein unmittelbares und kritisches Zeugnis der französischen Selbstwahrnehmung im Angesicht der Niederlage, indem sie die Diskrepanz zwischen idealisierten Vorstellungen und der grausamen Realität aufzeigen.
Alain Robbe-Grillet, Dans le labyrinthe (Minuit, 1959)
Alain Robbe-Grillet, der während der Ereignisse von 1940 nicht mobilisiert wurde, begann seine literarische Karriere nach dem Zweiten Weltkrieg, und die Niederlage diente ihm als „Auslöser des Schreibens“ für frühe Texte. Seine Erfahrungen im STO (Service du Travail Obligatoire) in Nürnberg könnten ebenfalls seinen Ansatz geprägt haben, insbesondere die dortige „imposante Eingangsgitter“ und die „gerade Allee“. Obwohl Robbe-Grillet eine direkte historische Referenz in seinem Roman Dans le labyrinthe (1959) abzulehnen schien, indem er betont, es sei „eine Fiktion, kein Zeugnis“ und habe „keinen allegorischen Wert“, lässt sich doch ein historischer Substrat erkennen, der sein Werk indirekt beeinflusst. Aus der Niederlage ergibt sich eine spezifische Poetik, die stark vom Labyrinthmotiv geprägt ist. Der Roman schildert das Umherirren eines Soldaten in einer nicht identifizierbaren Stadt, deren Straßen sich alle ähneln und deren Stadtmobiliar von reichlich Schnee bedeckt ist, der alle Orientierungspunkte auslöscht. Dieses „Labyrinth der Stadt“ spiegelt sich in einem „Labyrinth der narrativen Möglichkeiten“ wider, wobei die erzählte Geschichte möglicherweise nur der Vorstellung eines Erzählers entstammt, der zu lange auf einen Stich mit der Legende „La défaite de Reichenfels“ gestarrt hat. Die topographischen Hinweise, wie Straßennamen, verlieren ihre Funktion als Orientierungspunkte und werden absichtlich unkenntlich gemacht oder variiert, was die Neutralisierung jeder referenziellen Verankerung symbolisiert. Diese Poetik der Desorientierung ist auch von Franz Kafka beeinflusst, wobei die „fantomatische“ Kriegsführung von 1939-1940 als „Krieg im Stil Kafkas“ beschrieben wird. Die räumliche und zeitliche Verwirrung führt dazu, dass die Charaktere sich „auf der Oberfläche der Zeit“ bewegen, wobei die Zeit nicht einfach nur angehalten, sondern „in eine zerstückelte Abfolge von Momenten zerlegt“ wird. Die verschneite Umgebung und die „dicken und schweren Rußpartikel“ eines brennenden Schiffes (eine Anspielung auf Brest 1940) metaphorisieren das Verschwinden der Spuren der Niederlage. Die politische Deutung von Dans le labyrinthe offenbart einen „degradierten Krieg“. Robbe-Grillet beschreibt einen Krieg, der sich „wiederholt, aber als Farce“ statt als Tragödie, in Anlehnung an Marx. Die Abbildung „La défaite de Reichenfels“ wird nicht als erhabenes Geschichtsgemälde, sondern als „Szene eines Varietés“ dargestellt, was die Trivialisierung des Kriegsgeschehens unterstreicht und die Scham der Soldaten offenbart. Die Darstellung einer „geflickten Marmorplatte“ und eines „Hexagons, dem eine Seite fehlt“ als Symbol für Frankreich weist auf eine „politische, zeitliche und ontologische Lücke“ hin, die durch die Niederlage verursacht wurde. Der Roman spiegelt eine Identitätskrise wider, sowohl des namenlosen Protagonisten, der sich selbst entfremdet, als auch der Nation, die als „innerlich leerer“ Raum dargestellt wird. Die Rückkehr des Motivs des „Spions“ im Roman ist ein Echo des allgemeinen Misstrauensklimas während des Exodus und der Besatzung. Auch die Vorwürfe an die „verrotteten Offiziere“, die den Befehl zum Rückzug gegeben haben sollen, spiegeln die damaligen Anschuldigungen gegen die Militärführung wider. Der Stillstand des Soldaten im Labyrinth der Stadt symbolisiert somit auch das „Stocken des Sinns“, das die Niederlage mit sich brachte.
Autoren, die die Niederlage zur Neuformulierung nationaler Erzählungen nutzten
Aragon, Les Communistes (La Bibliothèque française, 1949-1951)
Aragon thematisierte den Krieg umfassend in seinem Nachkriegswerk, insbesondere in Les Communistes (1949-1951), welches die Zeit von September 1939 bis April 1940 detailliert schildern. Mit diesem Werk wollte er die frühe und zentrale Rolle der Kommunistischen Partei im nationalen Widerstand belegen. Die letzten beiden Bände von Les Communistes wandeln sich dabei zu einem detaillierten Kriegsbericht der militärischen Niederlage, der eine rationale, ja sogar totalisierende Rekonstruktion der Schlachtfeldgeografie unternimmt. Um dies zu erreichen, führte Aragon eine umfassende Feldforschung durch, die das Konsultieren von Memoiren und Zeugnissen sowie persönliche Besuche an den ehemaligen Kampfstätten in den Ardennen umfasste, wo er „Verifizierungen vor Ort und Datensammlungen bei den Bewohnern“ vornahm. Diese Vorgehensweise, die der Arbeitsweise Émile Zolas ähnelte, unterstreicht sein Engagement für die Neuinterpretation der Geschichte. Eine Besonderheit des Romans ist die sogenannte „Hypertoponymie“, eine Überfülle an Ortsnamen, die paradoxerweise zu einer Verunklarung des erzählerischen Raumes führt. Diese vertiginöse Dichte an Referenzen erschwert die Orientierung des Lesers im Text und macht die Kriegsszenen zu einem „Kosmorama“ des Chaos. Um dem entgegenzuwirken, fügte Aragon der Neuauflage des Romans von 1967 vierzehn topografische Karten bei, die dem Leser eine bessere Übersicht ermöglichen sollten.
Aragon verbindet die Niederlage von 1940 in Les Communistes umfassend mit den Kriegen der Vergangenheit, insbesondere mit dem Ersten Weltkrieg, und zeigt die Wiederholung der Geschichte in den „Orten alter Massaker“. Die Region Nord- und Ostfrankreich wird als ein „Landschafts-Historie“ beschrieben, ein „seit alters her umkämpftes Gebiet“, das die Tragödie von Mai-Juni 1940 als Teil einer endlosen Wiederholung der Geschichte erscheinen lässt. Ortsnamen werden dabei zu „klingelnden“ Spektren der Vergangenheit, und die Überlagerung verschiedener Epochen (wie 1870, 1914 und 1940) wird durch „Interferenzen“ in der Erzählung dargestellt. Besonders prominent ist die Darstellung von Dünkirchen, das als „authentischer locus terribilis der Katastrophe“ und gleichzeitig als Gründungsereignis fungiert. Hier verdichtet sich für Aragon das Verständnis der patriotischen Wende der Kommunisten und ihr frühes Engagement im Widerstand. Er sah in Dünkirchen nicht nur das Scheitern, sondern auch den Ort eines „möglichen Überwindens“ und eines Neuanfangs für Tausende von Menschen, die zu „Agitatoren der Zukunft“ werden sollten. Die Darstellung der Stadt, die durch Bomben „verbrannt“ und in „Chaos“ versetzt wurde, erinnert an Pieter Brueghels „Der Triumph des Todes“, wodurch Aragon das „Unvorstellbare“ des Krieges veranschaulicht. In seinem Roman betont Aragon die frühe geografische Verwurzelung und den Patriotismus der kommunistischen Résistance, um die Anschuldigungen zu entkräften, die Partei sei der französischen Nation fremd. Er hebt die lokale Verankerung der PCF hervor, indem er die Vielfalt der regionalen Akzente ihrer Mitglieder betont und das „schwarze Landschaftserbe der Minen“ als Symbol ihrer Verbundenheit mit dem Land nutzt. Die Taten der kommunistischen Widerstandskämpfer in der ersten Hälfte des Jahres 1940 werden als Vorboten des kommenden glorreichen Widerstands dargestellt. Darüber hinaus verwendet Aragon weibliche Allegorien der Nation, die die Zerrissenheit Frankreichs symbolisieren. Die Figur von Elsa Triolet etwa erhält eine „eminente nationale Bedeutung“, wobei die Liebe zu Elsa und die Liebe zum Vaterland „irgendwie verschmelzen“. Auch die Wiederbegegnung des Protagonisten Aurélien mit Bérénice wird zu einer Allegorie Frankreichs, das „zerfallen“ und „wie eine Tote“ erscheint. Diese Allegorien reflektieren nicht nur die persönlichen Erfahrungen der Charaktere, sondern auch die kollektive Identitätskrise der Nation angesichts der Niederlage, auch wenn sie die Frau oft in einer von Männern zugewiesenen, passiven Rolle „erstarren“.
Charles de Gaulle, Mémoires de guerre (Plon, 1954-1959)
Charles de Gaulles Mémoires de guerre (1954-1959) dienen als retrospektive Apologie seiner während des Krieges verfolgten Strategie. Er nutzte die Niederlage von 1940, um eine Neuformulierung nationaler Erzählungen zu initiieren, indem er sein Exil aus Frankreich nicht als Flucht oder Schwäche darstellte, sondern als erfolgreiche Übertragung der Souveränität. De Gaulle betonte seine einzigartige Fähigkeit, die Nation zu verkörpern und ihre Legitimität zu sichern, selbst als die Regierung in Frankreich zusammenbrach. Er sah sich als denjenigen, der das „verlassene Erbe“ Frankreichs aufnahm und die französische Souveränität verkörperte, was er mit Dantons Ausspruch untermauerte, „die Heimat an den Sohlen seiner Schuhe“ zu tragen. Dieses Konzept der „inkorporierten Frankreichs“ ermöglichte es ihm, die Nation über ihre physischen Grenzen hinaus zu definieren. Sein öffentliches Auftreten, insbesondere seine Reden über BBC-Radio, milderte die Realität seiner geografischen Isolation und verwandelte sein „Alleinsein und Mittellosigkeit an Englands Küste“ in einen Gründungsakt der Résistance.
De Gaulle verfolgte einen visionären und globalen Ansatz für den Krieg, der über die konventionelle Vorstellung einer Verteidigung des nationalen Bodens hinausging. Er positionierte sich gegen jene, die Frankreich als auf sein „territoriales Hexagon“ beschränkt betrachteten (wie Marschall Pétain), und betonte stattdessen das umfassende Potenzial des französischen Kolonialreiches als Rückzugsort und Ressource. Sein Ziel war es, „die Möglichkeiten der großen Räume, der großen Ressourcen und der großen Geschwindigkeiten zu nutzen, indem er die fernen Gebiete miteinbezog“. Dieses Konzept der „France éternelle“ war der Dreh- und Angelpunkt seiner symbolischen Neuerzählung der Nation: Frankreich sollte, um sein Wesen zu bewahren, sich über seine normalen physischen Grenzen hinausprojizieren. Er war fest davon überzeugt, dass Frankreich seine Rolle als „Schlüsselgewölbe der Welt“ behalten würde, auch wenn andere die Größe des Landes schwinden sahen. Die narrative Struktur seiner Mémoires ist entscheidend für diese Neudeutung. Sie ist als Diptychon konzipiert, das von „La Pente“ (der Niederlage) bis zum „Salut“ (der Befreiung) reicht. Die Erinnerung an die Niederlage von 1940 ist dabei von zentraler Bedeutung, da sie den Rahmen für die Majestät der gaullistischen Geste und den bewältigten Weg bildet. Die Befreiung wird als invertiertes Spiegelbild der Niederlage dargestellt, wobei die geografische Erzählung um seine eigene Person herum organisiert ist. Der triumphale Marsch über die Champs-Élysées am 26. August 1944 ist der Höhepunkt dieses Narrativs und bildet den Gegenpol zur „débacle“, indem er De Gaulles physische Präsenz mit der nationalen Einheit verschmelzen lässt. Durch die Darstellung seiner Person als das inkarnierte Frankreich und das bewusste Platzieren eines Bildes von sich mit einer makellosen Karte Frankreichs im Londoner Büro, festigte De Gaulle die Vorstellung eines Frankreichs, das „nie aufgehört hat zu sein“, und schuf so eine neue, beständige nationale Erzählung aus der Asche der Niederlage.
Weitere Texte
Boileau-Narcejac, D’entre les morts (Denoël, 1954)
Im Roman D’entre les morts (1954) von Pierre Boileau und Thomas Narcejac wird der Zusammenbruch Frankreichs im Jahr 1940 allegorisch durch die Figur der Madeleine dargestellt. Ihr Schicksal, in den Abgrund gestoßen zu werden, symbolisiert den nationalen Fall. Madeleine ist dabei nicht nur eine Person, sondern eine Inkarnation der Nation selbst. Ihre Geburt im Jahr 1914 in Mézières in den Ardennen, einem Grenzgebiet, das es zu verteidigen galt, verbindet sie bereits biographisch mit dem Schicksal des französischen Territoriums und einer entscheidenden historischen Zäsur. Das wiederkehrende Motiv der Enthauptung – etwa die Trennung des Kopfes vom Rumpf – spiegelt die Realität des besiegten Landes wider, jenes „enthaupteten Frankreichs“, das nach der Evakuierung der Regierung aus Paris erwähnt wird. Die physische Verletzung des Körpers von Madeleine und anderer Figuren im Roman wird so zum sichtbaren Zeichen der traumatischen Zerstückelung und Demontage des Landes.
Die „Geographie der Nation“ wird im Roman durch das toponymische System veranschaulicht, das Madeleine eine weiträumige geografische Repräsentativität des französischen Mutterlandes verleiht, indem es Orte wie Paris, die Region Lyon (Givors), Le Havre, Saintes und Marseille einbezieht. Der Protagonist Flavières versucht, den „moralischen und physischen Fall Madeleines“, der Allegorie der Nation, zu verhindern und sie „wieder ins Leben zurückzuholen“. Diese Bemühungen finden ihren symbolischen Höhepunkt unter der Ägide von General de Gaulle, dessen Besuch in Marseille in den Nachrichten gezeigt wird, als Flavières Madeleine (bzw. ihr Ebenbild) auf der Leinwand sieht. Selbst Flavières‘ Exil in Dakar wird in diesen Kontext gestellt und verweist auf De Gaulles Rolle in der France Libre. Die anfänglichen „R.F.“-Initialen, die Flavières an der Loge des Theaters wahrnimmt, sind dabei ein subtiler Verweis auf die „République Française“ und unterstreichen Madeleines Rolle als „Allegorie der besiegten Republik“. Der Roman mündet in einer Katharsis, in der durch den Mord an der falschen Madeleine die ursprüngliche Allegorie des wahren Frankreichs ihre Integrität zurückgewinnt. Diese gewaltsame, aber reinigende Tat ermöglicht es Flavières, die Realität der Niederlage anzunehmen und die Täuschung zu überwinden, was eine Wiederherstellung des nationalen Selbstverständnisses symbolisiert.
Julien Gracq, Manuscrits de guerre (Corti, 2011)
Die posthum veröffentlichten Manuscrits de guerre (Corti, 2011) betonen, dass die Kriegserfahrung „Jahrzehnte braucht, um ihre reinen Essenzen zu destillieren“. In diesen Schriften thematisiert er das Ausmaß des Chaos, indem er die Truppen mit „absurden Ameisen“ in einem „umgestürzten Ameisenhaufen“ vergleicht. Das Werk beleuchtet die Desorientierung der Individuen und ihre Schwierigkeit, sich in der sich auflösenden Landschaft zurechtzufinden, wobei die Orientierung oft auf einer fast „archaischen Intuition“ basiert. Die Texte behandeln auch die Vorstellung von „gefährlichen Landschaften“ und zeigen, wie die Kriegserfahrung zu einer „einzigartigen Verzerrung“ von Zeit und Raum führt. Der Autor beschreibt, wie die Orte ihre vertraute Bedeutung verlieren und wie selbst konkrete Zeitmesser wie Uhren „kaputt“ oder abwesend sind, was die Auflösung der gewohnten Zeitwahrnehmung symbolisiert. Gracq widerspricht der Vorstellung, die Ereignisse des Mai-Juni 1940 hätten zu einer „Kommunion“ unter den Individuen geführt, die „zu einer einzigen Masse verschmolzen“ seien. Er stellt fest, dass aus der „verzweifelten Situation weder Gemeinschaft noch Herzlichkeit entsteht“ und „jeder sich in seiner harten Kugel verschließt“. Gracqs Manuskripte tragen dazu bei, das Konzept der Geschichts-Landschaft („paysage-histoire“) zu vertiefen, indem sie die verschiedenen zeitlichen Schichten – von alten Schlachten bis zu den Weltkriegen – auf die durchquerten Gebiete legen. Gracq beschreibt, wie die physische Landschaft, obwohl sie scheinbar intakt bleibt, die Erinnerung an die Gewalt verbirgt, da die Spuren der „Blitzkrieg“-Kampagne vergänglicher sind als die des Ersten Weltkriegs. Diese Verschmelzung von persönlichem Erleben, geografischer Beobachtung und geschichtlicher Reflexion macht Manuscrits de guerre zu einem Schlüsselwerk für das Verständnis von Gracqs literarischer Auseinandersetzung mit der französischen Niederlage, die er später auch in fiktionalen Werken wie Un balcon en forêt verarbeitete, wenn auch mit einer geografischen Verlagerung der Handlung.
Gattungen und literarische Formen
Die in La France en éclats besprochenen Texte nutzen eine Vielzahl literarischer Gattungen und Formen, um das traumatische Thema der französischen Niederlage und des Exodes im Mai-Juni 1940 zu bearbeiten. Ihre Bewertung in Bezug auf die Themenbearbeitung zeigt, wie diese stilistischen und strukturellen Entscheidungen die komplexen Erfahrungen von Chaos, Desorientierung, Identitätsverlust und schließlich der Neukonstitution einfangen.
Die literarische Produktivität in dieser Zeit war bemerkenswert, wobei viele Autoren entweder unmittelbar während der Ereignisse schrieben, oft in Form von Tagebüchern oder „Carnets de (dé)route“, oder lange danach als Romane, Essays und Memoiren. Diese Texte weisen häufig eine „doppelte Zeitlichkeit“ auf, indem sie entweder direkt im „gefährlichen Feuer des Ereignisses“ verfasst oder viele Jahre später destilliert wurden, wie Julien Gracq es ausdrückt. Diese Gattungshybridität ermöglicht es den Autoren, sowohl die unmittelbare Rohheit und Verwirrung der Erfahrung als auch die spätere Reflexion und symbolische Aufladung darzustellen. Der Autor Aurélien d’Avout selbst wählt für seine Analyse ein heterogenes Korpus, das sowohl fiktionale als auch faktische Texte umfasst, da viele Fiktionen auf autobiografischem Material basieren.
Die Texte sind maßgeblich geprägt von der Darstellung des Chaos und der Fragmentierung der französischen Gesellschaft und des nationalen Raumes. Autoren wie Jean-Paul Sartre in seinen Carnets de la drôle de guerre oder Jean Malaquais in seinem Journal de guerre vermitteln die Desorientierung und Verwirrung der Betroffenen direkt. Sartre beschreibt das Gefühl, von der Stadt „geflohen“ zu werden, und die „Leere ohne Form und ohne Uhren“, was die „geografische Bewusstlosigkeit“ vieler Evakuierter einfängt.
Viele Autoren passen ihren Stil an, um das Chaos der Ereignisse widerzuspiegeln: Louis-Ferdinand Céline verwendet in Guignol’s Band von 1944 Onomatopoesie („Braoum! Vraoum!…“) und eine zerrissene, abgehackte Prosa, um die akustische Gewalt der Bombardierungen und das Gefühl eines „immensen Durcheinanders“ im Krieg zu imitieren. Aragon nutzt in Les Communistes komplexe, verschachtelte Sätze und den Verzicht auf starke Satzzeichen, um den unaufhaltsamen Strom des Exodes und die Überwältigung durch die Ereignisse nachzuahmen. Irène Némirovskys Suite française ist nach dem Modell einer Welle strukturiert („vague qui monte et descend“), was den Ansturm des Exodes und den Wechsel zwischen Terror und Ruhe symbolisiert.
Das Inventar des Durcheinanders ist ein stilistisches Merkmal, bei dem Autoren wie Georges Sadoul oder François Boyer detaillierte Aufzählungen von Fahrzeugen und Gütern verwenden, um das chaotische Bild der überfüllten Straßen darzustellen. Die Reduktion der Menschen auf Insekten oder Massen unterstreicht die Entmenschlichung der Flüchtlinge. Die weit verbreitete Metaphorisierung des Flusses und des Abfließens („fleuves humains“, „torrent“, „déluge“) symbolisiert, wie Frankreich sich auflöst und zu einem „pays à vau-l’eau“ wird, einem Land, das „auf sich selbst gleitet“. Die Verwandlung von Paris in „letzte Schleusen“ oder die Analogie zu einer „großen Flut“ verstärkt das Bild des Kontrollverlusts. Die Metaphern des Blutung und der „effroyable marée basse“ (entsetzliche Ebbe) vermitteln das Bild eines verlassenen und ausgebluteten Landes.
Thematische Komplexe
Ströme, Fluten, Staus: das Land in Bewegung
Der erste thematische Komplex widmet sich den Bewegungsbildern der débâcle. Auf den Landstraßen Nord- und Zentralfrankreichs fließt im Juni 1940 eine doppelte Strömung: der Rückzug der Armee und der Exodus der Zivilbevölkerung. Die literarischen Texte überhöhen und variieren diese Szenen unablässig.
Aragon schreibt von „fleuves humains“, die sich zwischen den Hecken dahinwälzen; André Berl von einem „fleuve monstrueux de véhicules en délire“, Saint-Exupéry in Pilote de guerre von einem „déluge de morceaux“, einem Trümmerregen aus Menschen, Tieren, Gepäck. Diese Wassermetaphorik ist nicht zufällig: Sie suggeriert Unaufhaltsamkeit und Formlosigkeit, hebt den Verlust fester Strukturen hervor. d’Avout zeigt, wie sich die Bildfelder verschieben – von der biblischen Sintflut zum Meer bei Ebbe, wenn nach dem Durchzug „une effroyable marée basse“ (Szabó) ein entleertes Land zurücklässt.
Charakteristisch ist die Ambivalenz der Bewegung: Die Flut stockt. Saint-Exupéry sieht „une tourbe lente“, Aragon das „embouteillage en marche“, Malaquais spricht von einem „piétinement migratoire“. Die literarische Raumdarstellung kippt so zwischen dynamischem Chaos und lähmender Stagnation. Diese Ambivalenz macht den Raum selbst zum Akteur einer Krise.
Locus amoenus und locus terribilis
D’Avout arbeitet heraus, dass die Kriegsschauplätze in der Literatur selten als durchgehend bedrohlich gezeichnet werden. Häufig überlagern sich Idylle und Schrecken; die Ambiguität der Landschaftsdarstellung ist prägnant. Die Texte unterlaufen klassische Topoi wie den „locus amoenus“ (lieblicher Ort) und den „locus terribilis“ (schrecklicher Ort). Idyllische Landschaften (Frühling 1940) erscheinen oft trügerisch oder „heimtückisch“, da sie den Schrecken des Krieges verbergen oder selbst zum Ort des Grauens werden. Claude Simon beschreibt scheinbar „idyllische“ Landschaften, um den Kontrast zur Brutalität des Krieges hervorzuheben.
Gracqs Un balcon en forêt ist das Paradebeispiel: Der Herbst in den Ardennen bringt eine „douceur de lumière“, „un or léger dans les feuillages“ – und doch steht die Front unsichtbar, aber nah. Bei Aragon finden sich pastorale Bilder, die abrupt von Motorenlärm, Rauch und Flüchtlingsströmen durchbrochen werden. Diese Gleichzeitigkeit zerstört die vertraute Kategorisierung von Natur als neutralem Hintergrund. Natur ist hier Mitspielerin, manchmal Komplizin des Schreckens, manchmal letzter Rest einer Welt, die im Begriff ist zu verschwinden.
Paysage-histoire: Anachronien des Raums
Der Umgang mit Geschichte und Zeit ist ebenfalls zentral: Das Konzept des „Paysage-histoire“ (Geschichts-Landschaft), das von Julien Gracq entwickelt wurde, meint Landschaften, die mehrere Zeitschichten gleichzeitig sichtbar machen. Orte sind mit mehreren historischen Schichten überlagert, was die Wiederholung von Tragödien evoziert. Die Schlachtfelder Nord- und Ostfrankreichs sind solche „Geschichts-Landschaften“, die das Trauma des Mai-Juni 1940 in eine Reihe historischer Katastrophen einbetten. Die Anachronie wird genutzt, um die Veraltetheit der französischen Armee darzustellen. Vialatte kontrastiert die moderne Kriegsführung mit historischen „Barbareninvasionen“. Die Figur des Reiters mit Säbel in Simons La Route des Flandres symbolisiert die anachronistische Natur des Militärs im modernen Krieg und karikiert die Überreste einer „ritterlichen Tradition“. Die Verzerrung der Zeitwahrnehmung wird durch Motive wie „kaputte Uhren“ oder das Gefühl eines „Zeitstillsstands“ dargestellt, was die Auflösung der Ordnung widerspiegelt.
Saint-Exupéry blickt aus dem Flugzeug auf Felder, die aussehen, als gehörten sie in eine vorindustrielle Welt, während am Boden ein moderner Blitzkrieg tobt. Gracq beschreibt den Rückzug als „sortie hors du temps“, ein Heraustreten aus der Zeit, in dem Raum und Zeit in einer anachronistischen Überblendung erscheinen. Diese Verschiebung zeigt, dass Raumdarstellung immer auch Zeitdarstellung ist. Geographische und historische Horizonte verschränken sich und verkomplizieren die Narration: Der Leser muss zwei Zeitskalen zugleich mitdenken.
Verlust der conscience géographique und Unschärfe der Karte
Eindringlich analysiert d’Avout das Motiv des Labyrinths. Robbe-Grillets Dans le labyrinthe macht den Umweg, das ziellose Wandern, zum zentralen narrativen Prinzip. Bei Simon werden Ortsnamen zu flackernden Signalen, die mehr verwirren als orientieren. Karten tauchen als unzuverlässige Requisiten auf oder fehlen ganz. Diese Verfahren übertragen den Verlust geographischer Gewissheit in die Form der Texte. Die Leser werden selbst desorientiert – eine literarische Simulation der historischen Erfahrung.
In engem Zusammenhang steht der Umgang mit Toponymen. Aragon und Simon verändern reale Ortsnamen, erfinden neue, verlegen sie. Das Ergebnis ist eine „glissante“ Landkarte, die die Instabilität der historischen Realität spiegelt. Die poetische Verzerrung ist hier keine Täuschung, sondern eine authentische Form der Darstellung: Sie zeigt die Welt, wie sie sich den Betroffenen darbot – fragmentiert, verschoben, unsicher.
Die Schwierigkeit, sich im Raum zu orientieren, wird oft durch das Motiv des Labyrinths ausgedrückt. Autoren wie Alexandre Vialatte (Le Fidèle Berger), Claude Simon (La Route des Flandres) und Alain Robbe-Grillet (Dans le labyrinthe) nutzen labyrinthartige Strukturen, um die Unverständlichkeit der Ereignisse und die Auflösung der räumlichen Ordnung zu symbolisieren. Bei Robbe-Grillet spiegelt das Labyrinth der Stadt sogar das Labyrinth der Erzählmöglichkeiten wider, was die Schwierigkeit verdeutlicht, die Realität zu erfassen. Die Toponymie spielt eine ambivalente Rolle, etwa als Hyper-Toponymie (Aragon): In Les Communistes führt die Fülle an Ortsnamen und der schnelle Wechsel der Perspektiven paradoxerweise zu einer Desorientierung des Lesers, anstatt Klarheit zu schaffen. Diese „Schrift des Desasters“ treibt den Realismus an seine Grenzen und macht die geografische Präzision unzugänglich. Vf. stellt zudem eine Opazifizierung der geografischen Referenz fest: Claude Simon in La Route des Flandres verschleiert geografische Details bewusst und erwähnt Ortsnamen nur generisch oder vage. Dies spiegelt die Unübersichtlichkeit des Schlachtfeldes wider und rückt den Fokus von einer rationalen Darstellung des Raumes ab.
Schreiben als Rückgewinnung
Die Texte nutzen auch Allegorien zur Darstellung der Nation: Die Personifizierung Frankreichs als verwundeter weiblicher Körper ist ein zentrales allegorisches Motiv. Robert Merle verwendet in Week-end à Zuydcoote fragmentierte oder verstümmelte Körper, um die „Sektionierung“ des Landes zu symbolisieren. Die Leiche einer Frau zu Beginn des Romans präfiguriert das Schicksal des Landes. Im Roman D’entre les morts von Boileau-Narcejac wird die Protagonistin Madeleine zur Allegorie der besiegten Republik, deren problematisierte Identität die nationale Krise widerspiegelt. Antoine de Saint-Exupéry bezeichnet Frankreich als „Fleisch, von dem [er] abhänge“, und er nutzt die Kathedrale als mächtige Allegorie für das wiederaufzubauende Frankreich, die Stabilität, Gemeinschaft und Glauben in Zeiten der Zerstörung verkörpert.
Ein zentrales Kapitel widmet sich den symbolischen Frankreichbildern. Die Dritte Republik hatte ein homogenes, heroisches Bild der Nation gepflegt. Die Literatur der Niederlage dekonstruiert dieses Bild. Bei Aragon ist die „France en guerre“ ein „bordel“, chaotisch und fragmentiert. Bei Simon wird das Land zu einer zerrissenen Landkarte, bei Saint-Exupéry zur „patrie intérieure“, die im Kopf weiterbesteht, auch wenn der Boden verloren ist.
Diese Neukodierungen sind nicht einfach pessimistisch. Sie eröffnen auch neue symbolische Räume, in denen Zugehörigkeit anders definiert wird – nicht mehr nur durch Geographie, sondern durch Erinnerung, Sprache, Kultur.
In den späten Kapiteln richtet d’Avout den Blick auf Texte, die als Akte der Rekartierung gelesen werden können. Viele Autoren schaffen eine innere Heimat als Kompensation für den Verlust des äußeren Territoriums. Dies geschieht durch die Reminiszenz an vergangene Orte, die Kontemplation suggestiver Landschaften oder die Erfindung symbolischer Zukunftsräume. Saint-Exupéry schafft eine „patrie intérieure“, indem er vergangene Landschaften beschwört, kontemplative Bilder entwirft, imaginäre Räume konstruiert. Saint-Exupérys Pilote de guerre nutzt die Erinnerung an die Kindheit und die Freundschaft als sichere „Gegen-Räume“, die dem Kriegstrauma entgegenwirken. Gracq rekonstruiert seine Marschrouten Jahrzehnte später mit topographischer Präzision. Aragon transformiert die realen Wege in architektonische Konstruktionen seiner Erzählwelt. Auch Häftlinge wie Robert Merle oder Fernand Braudel nutzen die mentale Flucht in persönliche oder kollektive Erinnerungen, um der Gefangenschaft zu entkommen.
Die Literatur wird somit zu einem Akt der Wiederaneignung und Neuordnung des nationalen Raumes, indem sie das „geschlagene Frankreich“ in eine durch das Wort wiederhergestellte „innere Heimat“ verwandelt. Das Schreiben wird zu einem Mittel, um die kollektive Erinnerung an das Ereignis zu beeinflussen und die militärische und politische Realität durch narrative und geografische Umgestaltung neu zu interpretieren. Literatur wird hier zum Reparaturmechanismus: Sie kann zerstörte Räume neu entwerfen und ihnen einen Platz im kollektiven Gedächtnis sichern. So zeigt Gracq in Un balcon en forêt eine Neuschöpfung des Raumes, die reale und fiktive Toponyme mischt und einen „Drittraum“ schafft, der sich von der reinen Historizität löst. Auch die Mémoires de guerre von Charles de Gaulle und Aragons Les Communistes sind Beispiele dafür, wie Literatur die nationale Erinnerung rekonfiguriert, indem sie die eigene Rolle in der Résistance betont und die geografische Dimension der nationalen Einheit hervorhebt.
Fiktion, Zeugnis und mémoire collective
D’Avout schließt den Hauptteil mit einer Reflexion über die langfristige Wirkung dieser Raumdarstellungen. Selbst fiktive Orte prägen die mémoire collective. Claude Simon gilt Jean-François Puff als der große Autor der Niederlage von 1940, so wie Stendhal die napoleonischen Kriege kodierte (S. 13). Zeugnis und Erfindung sind nicht Gegensätze, sondern komplementäre Formen der Erinnerung.
Der Schluss: Momentum 1940
Das Schlusskapitel (S. 433–39) bündelt die Ergebnisse: Die Niederlage war ein momentum, ein Kipppunkt, der das Selbstverständnis Frankreichs tief veränderte. Die Literatur hat diesen Moment nicht nur festgehalten, sondern neu geformt – durch Metaphern der Flut und der Ebbe, durch Labyrinthe und verschobene Toponyme, durch die Erfindung innerer Vaterländer.
D’Avout insistiert darauf, dass Raum nie unpolitisch ist. Die Wahl eines Landschaftsausschnitts, die Erwähnung oder das Auslassen eines Ortsnamens, die Form einer Metapher – all das trägt Bedeutungen über nationale Einheit, Fragmentierung, Erinnerung. Die literarische Vielfalt – vom dokumentarischen Bericht bis zur symbolistischen Überhöhung – ist keine Schwäche, sondern Ausdruck der Vielschichtigkeit der Erfahrung.
Für deutsche Leser ist diese Arbeit doppelt interessant, eingedenk ihrer Kriegsschuld, aber auch unabhängig von ihrer Verantwortung für „la débacle“: Zum einen beleuchtet d’Avout eine historische Erfahrung – den plötzlichen Verlust territorialer Kohärenz –, die in der deutschen Erinnerungskultur in anderen Weisen vorkommt. Zum anderen zeigt die Arbeit, wie Literatur als eigenständige Form historischer Erkenntnis funktioniert. Wer Saint-Exupérys „fleuve de boue“ oder Aragons „marée… hystérie… sanglots“ liest, begreift, dass hier nicht nur dokumentiert wird, sondern eine Form der Wahrnehmung erzeugt wird, die nüchterne Geschichtsschreibung nicht leisten kann.
Somit lässt sich feststellen, dass die literarischen Gattungen und Formen in La France en éclats nicht nur als Behälter für historische Fakten dienen, sondern als aktive Werkzeuge zur Sinngebung und Neuinterpretation einer nationalen Katastrophe. Durch die Vielfalt der Gattungen (Tagebücher, Romane, Essays, Gedichte), stilistische Innovationen (mimetische Prosa, allegorische Bildsprache), die bewusste Nutzung und Subversion räumlicher Referenzen (Labyrinth, Toponymie) und die tiefgreifende Allegorisierung (Frankreich als Körper oder Kathedrale) wird die Erfahrung der Niederlage vielschichtig beleuchtet. Die Autoren brechen mit traditionellen narrativen Ansätzen, um die Unverständlichkeit und das Chaos der Ereignisse adäquat darzustellen und die kollektive Erinnerung daran zu beeinflussen.
La France en éclats ist mehr als eine literarische Bestandsaufnahme. Es ist eine Kartographie des Verlusts und der Wiederaneignung, die zeigt, dass die Niederlage von 1940 nicht nur ein militärisches oder politisches Ereignis war, sondern eine Krise der Geographie iin den Köpfen – und dass die Literatur der Ort ist, an dem diese Krise sichtbar, verhandelbar und vielleicht überwindbar wird.
D’Avouts Studie ist damit auch ein Plädoyer für eine Literaturwissenschaft, die Raumdarstellung ernst nimmt – nicht als Dekor, sondern als zentrales Element kultureller Selbstverständigung. In einer Zeit, in der Grenzfragen und territoriale Konflikte erneut politisch brisant geworden sind, wirkt der Blick auf 1940 als Spiegel und Mahnung.