Frauenmord als Denkstruktur: Ivan Jablonka

Ivan Jablonka, La culture du féminicide: histoire d’une structure de pensée (Traverse, 2025).

Systemisches Phänomen: sexuelle Gewalt, Verstümmelung und Tötung

Ivan Jablonkas La culture du féminicide: Histoire d’une structure de pensée (2025) präsentiert eine literaturwissenschaftliche und soziohistorische Analyse, die die kulturelle Zentralität des sexualisierten Frauenmordes in der westlichen Zivilisation freilegt. Jablonka, bekannt für seine Werke über Gewalt und soziale Strukturen, stellt die gynozidale Kultur oder Feminizid-Kultur („culture du féminicide“) 1 als eine universelle Denkstruktur dar, die die Gesellschaft durchdringt und das Vergnügen am weiblichen Terror vorbereitet. Die grundlegende Problemstellung ist das Ambivalente der gesellschaftlichen Obsession: Wir sind kulturell nach sexualisierten Morden „süchtig“, während wir diese Taten als abscheulich verurteilen. Jablonka definiert den Feminizid als „meurtre d’une femme en tant que femme“ (Mord an einer Frau als Frau), ein vorsätzliches und systemisches Verbrechen, das in sozialen Ungleichheiten wurzelt. Er segmentiert diesen Akt theoretisch in drei „items gynocidaires“: (1) sexualisierte Gewalt (Vergewaltigung, Prostitution), (2) Verstümmelung (Folter, Zerstückelung) und (3) die eigentliche Tötung. Die zentrale These ist, dass diese gynozidale Kultur durch die „idéologie gynocidaire“ – die Rechtfertigung dieser Darstellung – den Feminizid von der Mythologie bis zur Gegenwart als „logique qui traverse la société tout entière“ legitimiert und normalisiert.

Nathacha Appanahs Roman La nuit au cœur (2025, vergleiche meine Interpretation des Buchs in diesem Blog) leistet erzählerisch, indem sie ihre eigene, autofiktionale Leidensgeschichte mit den rekonstruierten Schicksalen zweier Feminizidopfer (Emma und Chahinez) verwebt, eine universelle Analyse der Feminizide als systemische Gewalt, wobei sie eine weibliche Kontrolle über das Narrativ zurückgewinnen möchte. Appanahs Roman und Ivan Jablonkas soziohistorische Untersuchung La culture du féminicide (2025) teilen die zentrale analytische Beobachtung, dass Feminizide keine isolierten tragischen Zwischenfälle darstellen, sondern systemische Phänomene sind. Appanah interpretiert die Tötungen von Emma und Chahinez als Ausdruck eines tief verwurzelten patriarchalischen Systems und unterstreicht die universelle Gefahr durch erschreckend ähnliche Täterprofile und Gewaltmuster, die durch Kontrolle, Eifersucht und Isolation gekennzeichnet sind. Diese Befunde korrespondieren direkt mit Jablonkas Definition des Feminizids als absichtliches und systemisches Verbrechen, das in sozialen, politischen und rassischen Ungleichheiten verwurzelt ist. Jablonka betrachtet das Verbrechen als „continuum de la violence sexuelle“, das die Opfer bereits seit ihrer Geburt fragilisiert. Appanah konkretisiert diesen Kontinuum durch die Sezierung der Mechanismen der Emprise (Dominanz und Kontrolle), die von subtiler Manipulation bis zur physischen Versklavung eskaliert. Beide Autoren verorten somit die Ursache der Tötungen nicht in individueller Pathologie, sondern in einer strukturellen Akzeptanz von Gewalt gegen Frauen.

Der Unterschied in der narrativen Strategie ist dabei ein direkter Ausdruck der von Jablonka geforderten „contre-culture du féminicide“. Appanah wählt eine Haltung der unversöhnlichen Darstellung, indem sie einen „imaginären Raum“ oder eine „imaginäre Kammer“ erschafft, in der sie die drei männlichen Täter versammelt. In diesem Raum verweigert sie bewusst „psychologisierende Erklärungen“, da diese lediglich dazu dienten, „die Schuldigen zu entlasten, Empathie zu wecken und ihre Opfer auszulöschen“. Die Täter sollen stattdessen „der Geschichte ausgeliefert“ und zum Schweigen gebracht werden. Dies steht im klaren Kontrast zur „idéologie gynocidaire“, die Jablonka in der Kunst und den Medien als Rechtfertigung kritisiert: Dort wird der Feminizid oft als „drame passionnel“ oder als Tat eines „déséquilibré“ verharmlost, was ein kulturelles Wohlwollen („bienveillance culturelle“) zur Folge hat. Appanahs Entscheidung, ihr eigenes sexuelles Trauma („la chose“) zu umschreiben und am Ende bewusst zu schweigen, ist ein Akt der Selbstermächtigung und des Widerstands, der die Grenzen der Sprache angesichts des Unsagbaren aufzeigt und die Würde der Opfer bewahrt – ein literarisches Vorgehen, das Jablonkas Forderung nach einem „regard orphelin“ entspricht, der die Ästhetisierung der Gewalt vermeidet.

Gegenwartsliteratur und Feminizid

Jablonkas Analyse der „culture du féminicide“ konzentriert sich darauf, wie die Darstellung des Frauenmordes historische, künstlerische und mediale Bereiche durchdringt. Innerhalb dieser umfassenden Betrachtung der westlichen Zivilisation werden spezifische Beispiele aus der französischen Gegenwartsliteratur angeführt, die entweder die gynozidale Ideologie verstärken oder ihr gezielt entgegenwirken. Zentrale Beispiele entstammen der französischen Gegenwartsliteratur und ihrer Rolle im Kontext des Feminizids:

Laëtitia ou la Fin des hommes (Ivan Jablonka selbst, 2016)

Jablonka erwähnt sein eigenes Werk Laëtitia ou la Fin des hommes (2016), in dem er den Mord an der 18-jährigen Laëtitia Perrais analysierte. Jablonka charakterisiert den Mord an Laëtitia als „féminicide“, zu einer Zeit, als dieses Wort in der französischen Sprache noch sehr wenig verbreitet war. Er zeigt auf, dass das Verbrechen der Höhepunkt einer Reihe von sozialen, psychologischen, physischen und sexuellen Gewalttaten war, die sie seit ihrer Geburt fragil machten. Der Feminizid wird hier nicht als isolierte Anekdote eines „verrückten“ Mannes verstanden, sondern als die logische Konsequenz systemischer Gewalt und weiblicher Verletzlichkeit.

Das Buch dient als Grundlage für Jablonkas weiterführende Arbeit und stellt eine sozio-historische Fallstudie dar, die darauf abzielt, das Verbrechen in seinem systemischen Gender-Kontext zu verorten und die „culture du féminicide“ zu bekämpfen, indem es ihre Mechanismen aufdeckt.

Baise-moi (Virginie Despentes, 1994)

Das Werk von Virginie Despentes wird als literarischer Akt des Protests und der Umkehrung der Rollen diskutiert, um die Logik des Feminizids zu denunzieren. Jablonka erwähnt, dass Despentes die systemische Gewalt aufzeigt, indem sie die Logik des Feminizids umkehrt. Despentes lässt die Figur Nadine ihre Mitbewohnerin töten, die der heteropatriarchalen Ordnung unterworfen war ( sa colocataire soumise à l’ordre hétéro-patriarcal).

Durch die Darstellung einer Frau, die tötet, zeigt Despentes realistisch die Fähigkeit einer Frau, den Tod zu geben, was als „acte de résistance légale“ gegen die patriarchale Logik gewertet werden kann. Es dient als Beispiel für eine literarische Möglichkeit, die systemische Gewalt zu bekämpfen und das „female gaze“ oder eine „contre-pédagogie“ zu entwickeln, indem sie die weibliche agency in einem von Gewalt geprägten Kontext thematisiert.

Putain (Nelly Arcan, 2001)

Das Werk der kanadisch-französischen Autorin Nelly Arcan (Putain wurde in Paris publiziert) wird im Kontext der Ästhetisierung der Gewalt und der Massenkultur diskutiert. Arcan stellt eine direkte Verbindung zwischen der gynozidalen Tradition (fait divers, Magie, Horrorfilm) und der Realität her. Sie beschreibt die voyeuristische mise en scène der Frau und die Bedrohung der Zerstörung ( sombre rêveusement), die sie in ihrem kulturellen „Bad“ („bain culturel“) umgibt. Arcan selbst, die in Talkshows Missachtung und Misogynie erfuhr, erlebte eine „mise à mort“ durch die Medien.

Arcan identifiziert die Banalisierung und Ästhetisierung des Frauenmordes als kulturelle Routine. Sie zeigt, dass der Mord an einer Frau oft theatralisch, literarisch und kinematografisch inszeniert wird, noch bevor er gerichtsmedizinisch behandelt wird. Ihr Werk dient als kritische Stimme, die aufzeigt, wie die Konsumkultur („culture de la consommation“) das sexualisierte Verbrechen als „routine“ inkorporiert.

Au non des femmes (Jennifer Tamas, 2023)

Obwohl es sich um einen Essay handelt, der Jablonka in seinen Recherchen beeinflusst hat, dient er als wichtiger zeitgenössischer Beitrag zur französischen Debatte über das Thema. Tamas analysiert, wie die „figure de la ‘belle endormie’“ (Figur der „schönen Schlafenden“) das sexualisierte Gewaltfantasie in der Gegenwart stützt, was im zeitgenössischen Kontext der chemischen Nötigung („soumission chimique“) zur Vergewaltigung mündet – man vergleiche meinen Artikel auf diesem Blog über den Fall Gisèle Pelicot in Claire Berest, La Chair des autres. Tamas zieht Parallelen zu antiken Mythen (wie der Vergewaltigung der Cnidus-Venus) und dem modernen Verbrechen, um zu zeigen, dass die Frau in der Ära der „communication quasi instantanée“ entmenschlicht und zum „statufié“-Objekt gemacht wird.

Der Essay zeigt die anhaltende Gültigkeit des gynozidalen Schemas in der zeitgenössischen Kultur und beleuchtet die Rolle der Literatur und des Diskurses bei der Konstruktion des Anscheins der Zustimmung („présomption de consentement“) zu sexueller Gewalt.

Diese Beispiele zeigen, dass die französische Gegenwartsliteratur – sowohl in Jablonkas eigener sozio-historischer Analyse als auch in den Werken feministischer Autorinnen wie Despentes und Arcan – den Feminizid entweder als systemisches Übel (Laëtitia) aufgreift und entlarvt oder als ästhetisiertes Spektakel (Putain) oder Form des Widerstands (Baise-moi) inszeniert, um der „idéologie gynocidaire“ entgegenzuwirken.

Gibt es auch eine Androzid-Kultur?

Jablonka definiert den Feminizid grundsätzlich als den Mord an einer Frau als Frau („meurtre d’une femme en tant que femme“), ein vorsätzliches und systemisches Verbrechen, das in sozialen, politischen und rassischen Ungleichheiten verwurzelt ist. Die primäre Tätergruppe sind demnach Männer, da die „culture du féminicide“ von einer bestimmten Männlichkeit getragen wird, die tötet. Die Mehrheit dieser Verbrechen wird von Partnern oder Familienmitgliedern begangen, wie etwa dem verlassenen Ehemann. Die Bandbreite reicht dabei von historischen Figuren wie Gilles de Rais und Heinrich VIII. über städtische Serienmörder wie Jack l’Éventreur bis hin zu Tätern in Kriegszeiten. Der Feminizid ist für Jablonka die Logik, die die gesamte Gesellschaft durchzieht, und er zielt auf die sexualisierte Zerstörung einer Frau („destruction sexualisée d’une femme“).

Die Hauptopfer des Feminizids sind konsequenterweise Frauen, die in den Erzählungen oft zu Objekten der Zerstörung degradiert werden. Die Opfer stammen aus allen Epochen und sozialen Schichten: von der anonymen Konkubine des Leviten, deren Körper zerstückelt wird, um die Verbrüderung der Männer („fraternisation des hommes“) zu festigen, über mythologische Nymphen, die zu Tode gejagt und symbolisch verstümmelt werden (wie Philomèle), bis hin zu den Prostituierten des 19. Jahrhunderts. Femicide ist nach Jablonka durch das Zusammenwirken von drei „items gynocidaires“ definiert: (1) sexualisierte Gewalt (Vergewaltigung, erzwungene Nudität), (2) Mutilation (Folter, Zerstückelung) und (3) der eigentliche Mord. Die sexualisierte Zerstörung macht das Opfer zur „beschädigten Ware“ („marchandise détériorée“) oder zum „Automat mit Vagina“ („automate avec vagin“), dessen Leiden oft ästhetisiert wird.

Jablonka räumt die Existenz anderer Opfer ein, insbesondere von Männern, die dem Androzid (Tötung eines Mannes als Mann) zum Opfer fallen. Männer sind vor allem Opfer in Kriegen (als „massacre masculin“) oder in politischen und sozialen Rivalitäten. Auch männliche mythologische Figuren wie Actéon oder Pentheus werden getötet und zerstückelt, wobei sie bisweilen das gynozidale Schema (Sexualisierung, Verstümmelung, Tod) erleben. Allerdings betont Jablonka die Asymmetrie der Gewalt. Im Gegensatz zu den weiblichen Opfern, deren Tod sexualisiert und erniedrigt wird, wird der Tod des Mannes kulturell euphemisiert und idealisiert. Männliche Opfer wie Christus, Hector oder die gefallenen Soldaten (die „poilus“) erhalten eine sakrale Aura und werden zu Helden erhoben, was die physische Entwürdigung aufhebt.

Hinsichtlich anderer Täter existieren in Jablonkas Analyse Frauen, die töten, vor allem in literarischen und mythologischen Kontexten. Die Bibel preist Frauen wie Judith und Yaël als aktive Protagonistinnen und Widerstandskämpferinnen, die Männer töten oder verlieren lassen. Auch in der Mythologie wird Pentheus von seiner eigenen Mutter und Furien zerstückelt. Diese Taten stellen jedoch oft Ausnahmen vom vorherrschenden Schema dar. Jablonka zeigt, dass die Gewalt, die die „culture du féminicide“ antreibt, nicht von dieser Ausnahme ausgeht. Die Tötung eines Mannes, selbst durch Frauen, ist Teil einer Rivalität zwischen Männern („rivalité à mort au sein du masculin“) oder dient der Bestrafung von Frevlern, während die systematische, sexualisierte Zerstörung von Frauen die konstante kulturelle Signatur der männlichen Dominanz bleibt.

Kapitelanalyse: Struktur, Argumentation und Ertrag

La nuit de Guibéa (Die Nacht von Gibea)

Die Argumentation dieses Kapitels stützt sich auf die kontrapunktische Analyse antiker Texte (Bibel und griechisch-römische Mythologie), um das Fundament des gynozidalen Schemas zu legen. Jablonka untersucht primär die Geschichte der Konkubine des Leviten (Richter 19), an der alle drei gynozidalen „Items“ (Vergewaltigung, Tod, Zerstückelung) paradigmatisch vollzogen werden. Das anonyme und stumme Opfer wird zur beschädigten Ware („marchandise détériorée“) erklärt, deren zerstückelter Körper zur Verbrüderung der Männer („fraternisation des hommes“) dient und den Zusammenhalt Israels festigt. Die Lektion der Antike ist die Geselligkeit des Feminizids („convivialité du féminicide“). Der Feminizid bzw. der Raub oder die Vergewaltigung von Frauen (wie im Falle der Sabinerinnen) wird zum Kitt, der männliche Allianzen schmiedet. In diesem patriarchalen System reicht oft bereits die Vergewaltigung, um männliche Dominanz zu sichern; der Mord ist nicht immer zwingend erforderlich.

Ouvrir la sainte, torturer la sorcière (Die Heilige öffnen, die Hexe foltern)

Dieses Kapitel markiert einen historischen Wendepunkt (ca. 1250–1350), in dem eine erste kohärente Kultur des Feminizids entsteht. Die zentrale Argumentation beleuchtet die Konvergenz von religiöser Frömmigkeit, der aufkommenden medizinischen Sektion und der Misstrauenskultur gegenüber frommen Frauen. Als Schlüsselbeispiel dient die postmortale Sektion von Klara von Montefalco (1308), deren Körper von Männern geöffnet wird, um göttliche Beweise (Kruzifix im Herzen) zu suchen. Dies gleicht der Folter christlicher Märtyrerinnen, die stets sexualisiert und detaillierter beschrieben wird als die männlicher Märtyrer. Die „Démadonisation“ der Frau und ihre Entindividualisierung werden vorangetrieben. Die Zerlegung des Körpers dient nun dazu, die Geheimnisse der Frauen („secrets de femmes“) zu ergründen, was die spätere inquisitorische Logik vorwegnimmt: Die Sektion frommer Frauen und die Folter von Kriminellen oder Hexen folgen der gleichen Logik des Einbruchs der männlichen Ordnung in den weiblichen Körper („effraction de l’ordre masculin dans le corps féminin“). Die Erzählung von Nastagio in Boccaccios Decamerone festigt dieses Muster, indem die Wiederholung des „massacre toujours recommencé“ Frauen zur Gehorsamkeit erziehen soll.

Le théâtre anatomique (Das anatomische Theater)

Jablonka argumentiert, dass die Renaissance (16. Jahrhundert) eine zweite Säule der gynozidalen Kultur durch die Etablierung der wissenschaftlichen Anatomie hinzufügt. Der weibliche Körper, insbesondere der Uterus („matrice“), wird zum „terra incognita“ und damit zum Objekt wissenschaftlicher Eroberung. Die Argumentation konzentriert sich auf die „culture de la dissection“, welche die Nacktheit und die Fragmentierung des weiblichen Körpers ästhetisiert. Ein Beispiel ist Vesalius’ Frontispiz zur Fabrica (1543), das die Sektion einer anonymen, nackten Frau vor einer Männerversammlung in einem öffentlichen Theater zeigt. Die Frau wird zur „ultra-nue“ (ultra-Nackten) und ihr Körper zur öffentlichen Performance. Parallel dazu untersucht Jablonka die „Blasons anatomiques du corps féminin“ (1543), die den Körper lyrisch in Einzelteile (Sein, Con) zerlegen. Die Poesie wird zur „anatomie verbale“. Die Dislokation der Frau als Sexualobjekt wird durch die Verschränkung von Anatomie, Kunst und Erotik zur Norm. Die Frau wird in eine Sammlung von Stücken (Puzzle) verwandelt, deren Wiederherstellung die männliche Schöpfungskraft (poièsis) demonstriert.

L’érotisme de la morte (Der Erotismus der Toten)

Dieses Kapitel behandelt das 17. und 18. Jahrhundert, in dem die „culture du porno-gore“ durch die Erotisierung der Toten und die Manie der „Vénusection“ entsteht. Die Argumentation legt offen, wie der weibliche Körper, ob tot oder nicht, zur Offenbarung seiner letzten Geheimnisse gezwungen wird. Auch Märchen wie Blaubart (Perrault) und Le Roi Porc zeigen sexualisierte Gewalt, wobei eine Frau, die Survivante, dem Schicksal entkommt und männlichem Fehlverhalten widersteht. Technisch wird die Obsession der Wachsbildnerei („matrice, obsession de la céroplastie“) – die Gebärmutter – durch abnehmbare „Vénus anatomiques“ zum manipulierbaren Objekt. Das System Sades bildet die „Acmé gynocidaire“, indem es Folter, Vergewaltigung und Mord als Ausdruck der Allmacht des Mannes gegenüber dem weiblichen „réceptacle“ theoretisiert. Die Zielzone ist hierbei die abdomino-pelvine Zone. Die Frau wird endgültig zur zerlegbaren Maschine, deren „ultra-nudité“ bis zur inneren Pornografie reicht. Sade fasst alle Elemente (Sexualisierung, Zerstörungswille, Anatomie) zu einer „synthèse sadienne“ zusammen, die den Feminizid als „lubricité destructive“ zur Geltung bringt.

La culture de l’androcide (Die Kultur des Androzids)

Dieses Intermezzo dient der Überprüfung der Symmetrie der Gewalt. Jablonka stellt fest, dass Androzid (Tötung eines Mannes als Mann) existiert (oft im Kontext von Krieg oder politischer Rivalität). Die zentrale Unterscheidung liegt jedoch in der kulturellen Darstellung. Während beispielsweise Männer getötet und verstümmelt werden können (Aktäon, Pentheus), wird ihr Tod in der Kunst systematisch euphemisiert und idealisiert. Die Darstellung extremer Verletzungen (wie der Gekreuzigte) führt zur Verklärung, nicht zur Entehrung. Der Feminizid und der Androzid sind nicht symmetrisch. Der männliche Körper ist ein perfektes Ganzes („tout parfait“), dem die demütigende Sexualisierung fast immer erspart bleibt. Der schöne Tod („belle mort“) ist ihm vorbehalten, während der Frauenmord ein „sexualisierter Mord, bei dem ein Mann eine Frau vernichtet“ („meurtre sexualisé par lequel un homme anéantit une femme“) bleibt.

Un automate avec vagin (Ein Automat mit Vagina)

Die Argumentation konzentriert sich auf das 19. Jahrhundert, das durch Urbanisierung und die Massifizierung der Kriminalitätsberichterstattung gekennzeichnet ist. Der Feminizid wird zur Zeitungsmeldung („fait divers“), deren Schauplatz die große Stadt ist. So begründen die Morde an Helen Jewett und Mary Rogers das forensische Imaginäre („imaginaire forensique“) und inspirieren den Kriminalroman (Poe). Parallel dazu erobert die Gynäkologie das weibliche Innere mit Instrumenten wie dem Spekulum, was die öffentliche Performance der weiblichen Intimität („performance publique de l’intimité féminine“) ermöglicht. In der Neurologie werden Hysterie-Patientinnen (wie bei Charcot in der Salpêtrière) als Frau, die zum Automaten wird („femme devenant automate“) vor einem männlichen Publikum inszeniert. Die phantastische Literatur thematisiert dies durch Olympia, den zerstörten Automaten in E.T.A. Hoffmanns Sandmann. Die Frau wird im 19. Jahrhundert zum „automate avec vagin“, zu einem passiven „Frau-Mannequin“, dessen Leidenschaften und Geheimnisse durch wissenschaftliche und mediale Werkzeuge sichtbar und kontrollierbar gemacht werden.

Der Teil zu Hysterikerinnen dient zur Vertiefung des Automaten-Motivs. Die hysterischen Frauen in Charcots Diensten werden extremen Behandlungen unterzogen (Elektroschocks, ovarielle Kompression, Nadelstiche). Die Hysterische ist ein kulturelles Konstrukt, das die Traditionen des Martyriums, der Hexenverfolgung und der Sektion in der Neuzeit vereint. Sie wird zur „Frau-Maschine“, deren Symptome als mechanische Reaktion interpretiert werden. Die Psychoanalyse (Freud) bietet später eine Gegenposition, indem sie die Frau auffordert, zu sprechen, statt ihren Körper invasiv zu untersuchen.

Le féminicide, un divertissement de masse (Der Feminizid als Massenunterhaltung)

Dieses Kapitel zeigt die Demokratisierung der gynozidalen Kultur um die Wende zum 20. Jahrhundert. Die Massenmedien, vor allem die Boulevardpresse, machen den Frauenmord zur Attraktion. So festigen die Verbrechen von Jack the Ripper (Jack l’Éventreur) das „imaginaire forensique“. Das öffentliche Spektakel in der Pariser Morgue wird zu einem beliebten Ausflugsziel, an dem zerstückelte Leichen zur Schau gestellt werden. Die Schaustellungen von Wachskabinetten (Spitzner) präsentieren die „Vénus anatomique“ als halb erotische „Schönheit im Schlaf“, halb seziertes Organpuzzle. Magische Tricks wie „La Femme sciée en deux“ inszenieren den Feminizid symbolisch und harmlos als Massenunterhaltung, eine Reaktion auf die wachsende weibliche Emanzipation (Suffragetten). Der Feminizid wird zum „divertissement de masse“. Die symbolische Gewalt in den Magietricks und im Grand-Guignol dient als „messages subliminaux“ (unterschwellige Botschaften), die Frauen vor den Risiken der Unabhängigkeit warnen.

La modernité gynocidaire (Die gynozidale Moderne)

Jablonka beleuchtet, wie der Feminizid in der Kunst des 20. Jahrhunderts zur Avantgarde wird. Beispiele: Der „Lustmord“ in der Weimarer Republik (Dix, Grosz) reinterpretiert die Massentötung des Krieges als Gewalt gegen die Frau, die als „créatures de luxure“ (Kreaturen der Wollust) abgetan wird. Surrealisten wie Picasso und Bellmer dekonstruieren den weiblichen Körper bis zur Dislokation, wobei Bellmers Puppen die morbide Sinnlichkeit der Wachsmodelle und die Perversität Sades aufnehmen. Die Revolution von 1960 im Kino ( Psycho, Le Voyeur) macht den Feminizid explizit und inszeniert das gynozidale Schema. Die italienischen Gialli (z. B. Torso) etablieren das Genre und rechtfertigen die Morde oft misogyn mit der „zu freien“ Sexualität der Opfer. Die „Final Girl“ (die maskuline Überlebende) wird zur Ikone. Die „nécro-pornographie“ wird in der Popkultur zur Norm. Der künstlerische „Grand Art“ und die serielle Unterhaltung verarbeiten den Feminizid als „machine à souffrir“ und als fatales, aber narratives Element der Moderne.

Literatur und Feminizid

Jablonka betrachtet die Literatur als eine zentrale domaine de création, die neben Mythen, Poesie, Malerei und Film existiert. Er argumentiert, dass die Literatur maßgeblich daran beteiligt ist, die gynozidale Kultur („culture du féminicide“) zu etablieren und aufrechtzuerhalten, welche die sexualisierte Zerstörung von Frauen („destruction sexualisée des femmes“) organisiert. Der sexualisierte Mord an Frauen („viol-tuer des femmes“) ist ein konstantes „Skript“ oder ein „passage obligé“ unserer Erzählungen, Bücher und Bilder, das sich von der Mythologie bis in die Gegenwart zieht. Literarische Texte leisten dabei eine „unterirdische Arbeit der Rechtfertigung“ („travail de justification souterrain“), die dem Verbrechen einen Wert verleiht, indem es als narratives und visuelles Konsumobjekt präsentiert wird, wodurch das Übel ins Positive kippt.

Bereits in den Fundamenten der westlichen Literatur legen theologische und mythologische Texte das gynozidale Schema an. Jablonka untersucht in der Bibel die Geschichte der Konkubine des Leviten (Richter 19), die vergewaltigt, getötet und zerstückelt wird. Dieses paradigmatische Verbrechen in einem archaischen Erzählschema dient der Verbrüderung der Männer („fraternisation des hommes“). Auch in Ovids Metamorphosen findet sich das Skript des „viol-meurtre“ in Form von Verfolgung und metaphysischem Tod, etwa wenn die Nymphen Daphne und Syrinx gejagt werden. Die Geschichte der Philomèle artikuliert die volle Sequenz des Feminizids: Vergewaltigung, Verstümmelung (ihre Zunge wird herausgeschnitten) und der Verlust der menschlichen Existenz durch die Verwandlung.

Im Mittelalter festigt sich die Rolle der Literatur als Träger der Ideologie des Misstrauens gegenüber Frauen. In der Hagiographie, insbesondere in Jacques de Voragines La Légende dorée (um 1260), wird das weibliche Martyrium sexualisiert und detailliert dargestellt, wobei Heilige mit versuchtem sexuellen Übergriff, nacktem Ausstellen und Verstümmelungen (etwa an den Brüsten) konfrontiert werden. Fabliaux und Pastourellen behandeln sexuelle Gewalt oft auf komische oder leichtfertige Weise. Den Kulminationspunkt bildet Boccaccios Decameron (Mitte 14. Jahrhundert), wo die Geschichte von Nastagio degli Onesti das gynozidale Schema als „massacre toujours recommencé“ literarisch objektiviert. Dieser unendliche Akt der Gewalt soll die Gehorsamkeit der Frauen erzwingen und dient als Warnung.

Die Renaissance integriert die Literatur eng mit der Anatomie und schafft eine zweite Säule der gynozidalen Kultur. Insbesondere die Poesie wird zur „anatomie verbale“. Dies manifestiert sich in den Blasons anatomiques du corps féminin (1543), die den weiblichen Körper lyrisch in Einzelteile (wie „con“ oder „tétin“) zerlegen. Dieser „morcellement sexualisé“ dient als Ausdruck männlichen Begehrens und als „victoire amoureuse“. Die Zerlegung des Körpers in ein „puzzle de pièces détachées“ ermöglicht es dem Mann, die Frau symbolisch zu demontieren, aus den Elementen neu zu erschaffen ( recréer) und sie als Trophäe der Schöpfungskraft ( poièsis) zu präsentieren.

Mit der Moderne im 17. und 19. Jahrhundert transformiert die Literatur die Darstellung von Gewalt. Märchen wie Perraults „La Barbe bleue“ (1697) präsentieren den Mord an Frauen als grausames Geheimnis und moralische Warnung vor weiblicher Neugier und Ungehorsam. Im 19. Jahrhundert, mit der Urbanisierung und der Entstehung des fait divers, inspirieren urbane Frauenmorde (wie Helen Jewett oder Mary Rogers) die fantastische und die beginnende Kriminalliteratur. Autoren wie Edgar Allan Poe ( Le Mystère de Marie Roget) verwenden literarische und kriminalistische Verfahren, um die Erotisierung, Folter und Zerstückelung in ihren Erzählungen zu verewigen. Dadurch wird die getötete Frau zur „muse suppliciée“ oder zum „déchet“ (Abfall), die den männlichen Detektiv oder Dichter zu seinen Talenten inspiriert.

Im 20. Jahrhundert wird der Feminizid ein zentrales Element der künstlerischen Avantgarde und der Massenunterhaltung. In der Weimarer Republik wird der „Lustmord“ durch expressionistische Künstler als Ausdruck der Modernität in der Kunst etabliert. Die italienischen Gialli (Thriller) in den 1970er Jahren institutionalisieren den Feminizid als Genre. Titel wie Elle est morte nue oder Légèrement morte in der „nécro-pornographie“ des 20. Jahrhunderts zeigen, dass die Literatur den Mord als Form des sexuellen Freizeitvergnügens feiert. Diese Werke verbreiten oft die misogyne Rechtfertigung des Täters, wonach die Opfer als „vulgäre Puppen aus Fleisch und Blut“ („vulgaires poupées de chair et de sang“) ihren Tod verdient hätten.

Jablonkas Analyse kommt zu dem Schluss, dass Literatur den Feminizid als „spectacle normal, divertissant et moral“ (normal, unterhaltsam und moralisch) transformiert und verbreitet. Die Werke sind so erfolgreich, weil sie ein narrativ-visuelles Konsumobjekt liefern, das dem Publikum ein Gefühl des „sozialen Wohlbefindens“ („bien-être social“) verschafft. Trotz dieser dominanten „idéologie gynocidaire“ betont Jablonka, dass nicht alle Künstler der Kultur zum Opfer fielen. Er sieht die Möglichkeit einer „contre-culture du féminicide“, die, wie bei Artemisia Gentileschi oder David Lynch, die Ästhetisierung der Gewalt ablehnt und die systemische Natur des Verbrechens aufzeigt. Ziel ist es, die Frauen nicht länger als zerstückelte „Morceaux de choix“ zu betrachten.

Gegenstimmen zu einer patriarchalen Logik

Ivan Jablonka erkennt neben der dominanten „culture du féminicide“ auch das Vorhandensein von Gegenstimmen und Widerstand in der Literatur und Kunst an. Er identifiziert eine „contre-culture du féminicide“, die sich dieser Denkstruktur widersetzt, indem sie die Ästhetisierung und Banalisierung der Gewalt ablehnt. Ziel dieser Gegenkultur ist es, die systematische Zerstörung und Sexualisierung von Frauen nicht länger hinzunehmen, sondern die systemische Gewalt aufzuzeigen und die Würde der Opfer zu respektieren.

Ein frühes Beispiel literarischer Gegenwehr findet sich bereits in den Märchen des 17. Jahrhunderts. Während Charles Perraults Blaubart die Ermordung der Ehefrauen thematisiert, mildern Autorinnen wie Madame d’Aulnoy und Madame de Murat die Gewaltdarstellung ab. D’Aulnoy lässt die zu Tode gekommenen Ehefrauen am Ende ihres Märchens wieder auferstehen. Der wichtigste Beitrag dieser Autorinnen ist jedoch die Schaffung der Figur der „Survivante“ (Überlebenden). Diese Heldinnen überwinden nicht nur ihre Angst, sondern wagen es auch, sich der männlichen Tyrannei zu widersetzen. Auch Perraults Heldin in Blaubart kann auf die „sororité“ (Schwesternschaft) ihrer leiblichen Schwester Anne zählen und entkommt so dem Schicksal ihrer Vorgängerinnen, was als frühe Reflexion über weibliche Emanzipation interpretiert wird.

In der späteren feministischen Literatur und Theorie des 20. Jahrhunderts manifestiert sich der Protest durch eine Neugestaltung des Blicks und der Sprache. Jablonka zitiert Luce Irigaray, die das männliche „spekulum-spekulation“ anprangert, das den weiblichen Körper gewaltsam öffnet, frakturiert und sondiert. Ebenso preist Monique Wittig in Le Corps lesbien eine neue erotische Poetik, die das gesamte Spektrum der weiblichen Körpersubstanzen – „cyprine bave salive morve sueur larmes cérumen urine fèces excréments sang“ – unanimiert, und somit außerhalb der heterosexuellen, zergliedernden Logik des male gaze existiert.

Ein weiterer wichtiger literarischer Protest besteht in der Umkehrung der Rollen und der Neuschreibung von Narrativen. Jablonka nennt Virginia Woolf, die symbolisch den „Engel des Herdes“ beseitigt, und Virginie Despentes (Baise-moi), deren Werk realistisch die Tötung einer Mitbewohnerin darstellt, die der patriarchalen Ordnung unterliegt. Diese literarischen Akte zeigen, dass auch Frauen zur Tötung fähig sind, was Jablonka als Ausdruck eines legalen Widerstands gegen die patriarchale Logik interpretiert. Auch Autorinnen wie Angela Carter subvertieren literarische Traditionen, indem sie Rotkäppchen mit einem Jagdmesser die Pfote des Wolfs abtrennen lassen.

Künstlerinnen wie die Malerin Artemisia Gentileschi und die Malerin Frida Kahlo stellen sich durch ihre Kunst ebenfalls gegen die Feminizid-Ästhetik. Gentileschi verarbeitet in ihren Werken (wie der Enthauptung des Holofernes durch Judith) das Trauma ihrer eigenen Vergewaltigung und revoltiert gegen die männliche Dominanz in der Kunst. Kahlo drückt mit ihrem Bild Quelques petites piqûres ihre Solidarität mit den Opfern aus, indem sie ironisch die Worte eines Mörders übernimmt, der das Feminizid als „einige kleine Stiche“ verharmloste.

Auch im Bereich der populären Kultur wehren sich Stimmen. Die Country-Sängerin Dolly Parton und Nancy Sinatra erfinden die traditionelle murder ballad neu, indem sie die Perspektive der Opfer einnehmen. Darüber hinaus gibt es Autoren, die systemische Gewalt in ihren Werken entlarven, anstatt sie zu ästhetisieren: David Lynch beispielsweise entlarvt in seinen Filmen die Tyrannenherrschaft des Patriarchats, die unter einem respektablen Anschein lauert. Roberto Bolaño beschreibt in seinem Roman 2666 die systematische Gewalt gegen Frauen in Ciudad Juárez und die korrupte, misogyne Einheit zwischen Killern und Polizei.

Funktionen der Ideologie des Feminizids

Jablonkas Hauptleistung liegt in der Definition der gynozidalen Kultur als einer „structure de pensée“, die nicht nur aus Ideen, sondern aus praktischen, technischen und institutionellen Realitäten besteht. Diese Denkstruktur verfolgt die „destruction sexualisée d’une femme“ durch die Jahrhunderte. Die Ideologie des Feminizids („idéologie gynocidaire“) erfüllt dabei drei primäre gesellschaftliche Funktionen:

1./ Divertissement (Unterhaltung): Der Frauenmord ist ein ästhetisches Spektakel, das Vergnügen, Schauder und kathartische Reinigung verschafft.

2./ Purge (Reinigung): Der Mord an als „gefährlich“ oder „zu emanzipiert“ eingestuften Frauen dient der Reinigung der Gemeinschaft und der Zementierung der männlichen Connivence.

3./ Ordre (Ordnung): Die Darstellung des Feminizids dient als abschreckende Lektion und soziale Kontrolle. Ungehorsame Frauen werden bestraft, wodurch die „reinen“ Frauen gewarnt und die Geschlechterordnung wiederhergestellt wird.

Die durchgängige Kontinuität dieser Kultur liegt im krimino-anatomischen Blick („regard crimino-anatomique“), der den weiblichen Körper nicht zensiert, sondern ihn bis zur „ultra-nudité“ ausstellt und „vaginisiert“. Die Frau wird auf ihre Geschlechtsorgane reduziert, die als öffentlich zugänglicher Ort des Spektakels („locus du spectacle“) gelten. Am Ende ist der Frauenmord ein „spectacle normal, divertissant et moral“, dessen scheinbares Happy End (die Bestrafung der Schuldigen) die soziale Balance wiederherstellt.

Jablonka schließt mit der Forderung nach einer „contre-culture du féminicide“, die sich dieser Denkstruktur widersetzt, indem sie die Frauen nicht länger als zerstückelte „Morceaux de choix“ betrachtet. Jablonka fasst diese Haltung in der Forderung nach einem „regard orphelin“ (Waisenblick) zusammen. Dieser Blick entzieht sich dem voyeuristischen (männlichen) und dem empathischen (weiblichen) Blickwinkel. Er ist weder auf die Verherrlichung des Täters noch auf die Mitleidsbekundung für das Opfer fokussiert, sondern auf das Erhaltung der Würde der Feminizidierten und die Erkenntnis der endgültigen Leere, die durch den Feminizid entsteht. Durch diesen alternativen Blick können Künstler wie Natasha Trethewey und James Ellroy in ihren Memoiren das Andenken ihrer ermordeten Mütter ehren und so die doppelte Ungerechtigkeit eines zerstörten Lebens und einer programmierten Vergessenheit („double injustice d’une vie détruite et d’un oubli programmé“) bekämpfen.

Das Buch demonstriert auf akademisch fundierte Weise, wie die sexualisierte Zerstörung von Frauen nicht nur eine Reihe von Verbrechen, sondern eine tief verwurzelte kulturelle Syntax ist, die von der Bibel bis zu Netflix fortlebt.

Anmerkungen
  1. „Der Begriff ‚Femizid‘ wurde in den 1990er Jahren von Feministinnen in den USA geprägt, um die Tötung von Frauen aufgrund ihres Geschlechts zu bezeichnen. Feministinnen in Mexiko entwickelten den Begriff weiter und fügten die Silbe „ni” an Feminizid an, um auszudrücken, dass es sich nicht um die Ermordung von Frauen als individualisierte Fälle, sondern um ein Massenverbrechen handelt.“ https://contre-les-feminicides.ch/femizid-oder-feminizid/, 21. Dezember 2023.>>>

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