Inhalt
Christian Duverger, Mémoires de Cortés: roman, Fayard, 2025.
Eroberungszug in Mexiko und die Selbstdeutung des Eroberers
Mon cher Martín, l’heure est venue de nous séparer. Je m’en vais satisfait. J’ai eu le bonheur d’aimer… Tu le sais, la Nouvelle-Espagne s’est constituée dans l’alchimie du métissage ; aurait-ce été possible sans l’amour de Marina ? […] Sois fier de ta mère et compatissant pour ton père.
Mein lieber Martín, die Stunde ist gekommen, uns zu trennen. Ich gehe zufrieden. Ich hatte das Glück zu lieben … Du weißt, Neuspanien ist mit der Alchemie des Mischens entstanden; wäre das ohne die Liebe Marinas möglich gewesen? […] Sei stolz auf deine Mutter und barmherzig mit deinem Vater.
Das Schlusswort des Kolonisators Hernán Cortés (* 1485 in Medellín; † 2. Dezember 1547 in Castilleja de la Cuesta) transformiert die Eroberung in eine Liebesgeschichte. Die „alchimie du métissage“ ersetzt eine Ideologie der Reinheit. Das Ende ist versöhnend, aber nicht triumphal – Cortés erkennt die Frau und das Mestizische als Ursprung des neuen Menschen. Duverger schreibt damit eine ethische Utopie jenseits des Kolonialismus.
Christian Duverger ist ein führender Experte für die präkolumbianische und koloniale Geschichte Mexikos, dessen Forschung zu Cortés die traditionelle Darstellung des Konquistadors stark herausfordert. Er hat sich sein Leben lang dem Studium der mexikanischen Geschichte, insbesondere des indigenen Mexikos und der mesoamerikanischen Zivilisation, gewidmet. Er ist unter anderem Direktor an der École des Hautes Études en Sciences Sociales (EHESS) in Paris und Inhaber des Lehrstuhls für Sozial- und Kulturanthropologie Mesoamerikas. Zu Hernán Cortés und ähnlichen Themen hat Christian Duverger zahlreiche Werke veröffentlicht, in denen er oft neue und kontroverse Perspektiven einnimmt: Cortés (2001 auf Französisch, später in anderen Sprachen), Vida de Hernán Cortés. La espada und Vida de Hernán Cortés. La pluma (2019), Cortés et son double. Enquête sur une mystification (2013), hier stellt er die Autorenschaft der Historia verdadera de la conquista de la Nueva España (Wahrhafte Geschichte der Eroberung von Neuspanien), die traditionell dem Soldaten Bernal Díaz del Castillo zugeschrieben wird, in Frage. Duverger kommt zu dem Schluss, dass Cortés selbst der tatsächliche Autor dieses historischen Berichts ist, den er verfasst habe, als es ihm von der Krone untersagt war, seine eigenen Memoiren zu veröffentlichen. In eben diesen nun von Duverger vorgelegten fiktiven Mémoires de Cortés / Memorias de Hernán erzählt er sein Leben selbst. Duverger porträtiert Cortés darin als einen modernen Mann der Renaissance, als Diplomaten, Staatsmann und militanten Republikaner, der gegen die absolutistische Monarchie Karls V. kämpfte. Er betrachtet ihn als von der aztekischen Zivilisation fasziniert und an einer Mestizen-Nation interessiert.
Die Mémoires de Cortés von Christian Duverger präsentieren sich als eine fiktive, aber auf historischen Quellen basierende Autobiografie, geschrieben in Form eines langen Briefes von Hernán Cortés an seinen ältesten Sohn Martín im Jahr 1543. Cortés reflektiert am Ende seines Lebens und möchte seinem Sohn erklären, woher er kommt. Der Text ist eine introspektive Analyse des Lebens und der Entscheidungen von Cortés. Er betont, dass Martín an der Konfluenz zweier Welten geboren wurde und ihm die Wahrheit über seine Herkunft offenbart werden soll, da Martín weder seinen Vater noch seine Mutter, Marina, wirklich kennenlernen konnte. Cortés‘ Ziel war es, „Spuren seiner Faszination für dieses Land“ zu hinterlassen und seine literarische Berufung zu erfüllen, die er als ebenso wichtig ansah wie seine Eroberungen.
Cortés‘ Darstellung beginnt mit seiner Kindheit und Jugend in Spanien, insbesondere in Medellín. Er beschreibt sich selbst als jemanden, der nie wirklich ein Kind war, aber eine hochkarätige Ausbildung genoss, die ihn die Musik der Worte lehrte. Seine frühen Erfahrungen in der Neuen Welt, beginnend in Santo Domingo, prägten seine Überzeugung, dass die Karibik nicht die Verlängerung der iberischen Halbinsel sein dürfe. Er lernte die Taíno-Sprache und wandte humanistische Taktiken an, indem er die päpstliche Bulle Inter cætera nutzte, um Ureinwohner vor der Versklavung zu schützen. Die Begegnung mit der Brutalität der Reconquista-Methoden der anderen Kolonisten (wie Ovando) verstärkte seine Ablehnung der alten Weltanschauung. Er erkannte frühzeitig, dass Mestizaje (Mischung der Kulturen) der einzig denkbare Weg war.
Der narrative Kern umfasst Cortés‘ Eroberungszug in Mexiko. Er organisierte die Expedition, nachdem er sich auf Kuba mit Gouverneur Velázquez zerstritten hatte – primär wegen seiner indigenen Partnerin Toalli und seiner Vision des Mestizaje. Nach der Gründung von Veracruz, um sich von Velázquez zu emanzipieren, segelte er mit minimaler Bewaffnung und setzte auf Diplomatie und strategische Allianzen. Der entscheidende Wendepunkt war die Ankunft von Marina (Malinche), einer adeligen und hochgebildeten Nahua-Frau, die ihm als unentbehrliche Übersetzerin und Beraterin (seine „wertvolle Feder“, „Jadehalskette“) diente. Durch sie erschloss Cortés die subtilen Machtstrukturen der Azteken. Die Allianz mit den Tlaxkalteken, die die Mexica hassten, war kriegsentscheidend. Obwohl der anfängliche Einzug in Tenochtitlan (8. November 1519) ein Triumph war, mündete die Situation in die Katastrophe der Noche triste (Traurige Nacht) nach dem Massaker von Alvarado. Cortés beschloss nach dieser Niederlage, seine Schiffe zu versenken (sabordage), um einen Rückzug auszuschließen und seine tiefe Entschlossenheit zu demonstrieren.
Cortés‘ Handeln war von seiner Vision einer neuen, mestizischen Gesellschaft geleitet. Er nutzte seine spanische Bildung, um seine Aktionen rechtlich abzusichern und seine Autorität durch lokale Wahlen zu legitimieren, um sich von seinen Rivalen (wie Velázquez) zu lösen. Die Mémoires betonen, dass er seine Stärke aus der Fähigkeit zog, frei Entscheidungen zu treffen, was im konsensbasierten indigenen Machtsystem der tlatoani (wie Motecuzoma) unmöglich war. Cortés sah sich selbst als „ein Mann, ein Wunder“ (in tlacatl in tetzauitl), der die Autorität der Waffen besaß, um die indigenen Kriterien für Herrschaft zu erfüllen. Die Schriftstellerei diente ihm als Mittel zur exorzistischen Bewältigung von Rückschlägen (wie der Noche triste), indem er seine eigene Version der Geschichte prägte, die seinen zukünftigen Sieg antizipierte. Sein späterer Konflikt mit dem Vizekönig Mendoza, der seine Autorität und sein Mestizaje-Projekt (etwa durch die Inquisition) zu untergraben versuchte, führte schließlich zu seiner Abreise nach Spanien, um beim Kaiser Charles Quint Wiedergutmachung zu suchen.
Abschließend beleuchten die Mémoires Cortés‘ innere Zerrissenheit und seine literarische Selbsterfindung. Er versuchte, seine doppelte Lebensführung – politisches Kalkül (Heirat mit Juana de Zúñiga) versus Liebe zu Marina und dem Mestizaje-Projekt – zu vereinen. Die Aufnahme seines mestizischen Sohnes Martín in den Santiago-Orden symbolisiert seinen endgültigen Triumph, die Anerkennung des mexikanischen Blutes im spanischen Adel. Cortés wandelte sich vom Eroberer zum Schriftsteller, der die Feder als sein eigentliches Schwert nutzte, um sein Epos zu schaffen und eine Reflexion über Willen und Schicksal zu hinterlassen. Die Mémoires schließen mit dem Appell an Martín, stolz auf seine Mutter zu sein und das Mestizaje-Erbe in der Neuen Welt hochzuhalten.
Zur Erzählform der Mémoires de Cortés
Die Poetik der Mémoires de Cortés von Christian Duverger ist komplex und bewegt sich geschickt im Spannungsfeld zwischen der Präsentation historisch belegter Fakten, der Erzählform einer fiktiven Briefform und einer modernen Neubewertung von Cortés’ Wirken, insbesondere hinsichtlich des kulturellen Mestizaje. Das Werk ist explizit dem Genre der fiktiven Autobiografie verpflichtet, wie sie Marguerite Yourcenar mit den Mémoires d’Hadrien etabliert hat. Diese literarische Form dient nicht nur der Wiederbelebung historischer Ereignisse, sondern vor allem der introspektiven Analyse der menschlichen Bestimmung. Cortés schreibt den Text als langen Brief an seinen ältesten Sohn Martín im Jahr 1543, was ihm die Möglichkeit gibt, seine Entscheidungen am Lebensabend zu reflektieren und seinem Sohn seine Wahrheit über dessen Herkunft und die Konfluenz zweier Welten zu offenbaren.
Obwohl der Autor versichert, er habe „nichts erfunden“ (je n’ai rien inventé) und alle Fakten seien den Chroniken und Archiven des 16. Jahrhunderts entnommen, liegt ein Fokus auf der psychologischen Ausgestaltung des Protagonisten. Der Autor rekonstruiert Cortés‘ Gedankenwelt, indem er dessen eigene historische Schriften und beauftragte Chroniken akribisch seziert, um Ellipsen, Schweigen und thematische Schwerpunkte zu entschlüsseln. Diese Methode erlaubt es, die innere Zerrissenheit („dédoublement profond“) und die literarische Berufung des Konquistadors darzustellen, der das Schreiben als notwendiges Ventil zur exorzistischen Bewältigung von Rückschlägen nutzte, etwa nach der Noche triste. Die Poetik bedient sich somit der Sprache des 21. Jahrhunderts, um einen historischen Denker zu präsentieren, dessen Reflexionen über „Wollen und Schicksal“ („volonté et destinée“) zeitlose Gültigkeit beanspruchen.
Die moderne Deutung von Cortés‘ Wirken wird zentral durch das Konzept des Mestizaje getragen. Das Buch interpretiert Cortés als jemanden, der die Karibik und später Neuspanien nicht als bloße Verlängerung der iberischen Halbinsel sah, sondern Mestizaje als den einzig denkbaren Weg („seule voie envisageable“) betrachtete. Seine Heirat mit Marina, der Adeligen und hochgebildeten Nahua-Frau, wird nicht nur als politische Notwendigkeit, sondern als Symbol für die Gründung einer neuen, gemischten Nation präsentiert. Diese Betonung des kulturellen und politischen Miteinanders steht im starken Kontrast zur Brutalität der Reconquista-Methoden anderer Kolonisten und zu den kurzsichtigen absolutistischen und fiskalischen Obsessionen des Königs Charles Quint.
Die fiktive Autobiografie dient auch der Darstellung von Cortés‘ Kampf für die Legitimität und das Rechtswesen. Seine juristische Ausbildung in Salamanca ermöglichte es ihm, seine Aktionen formal abzusichern und seine Autorität durch lokale Wahlen zu legitimieren, um sich von Rivalen wie Velázquez zu emanzipieren. Der Text stilisiert ihn zum „Republikaner“ der Renaissance, der das Recht zur freien Entscheidungsfindung als seine größte Stärke ansah – eine Fähigkeit, die dem aztekischen tlatoani Motecuzoma, der ständig Konsens suchen musste, fehlte. Durch die Einführung des mestizischen Sohnes Martín in den Santiago-Orden erreichte Cortés den Triumph der Anerkennung des mexikanischen Blutes im spanischen Adel und vollendete damit auf symbolischer Ebene sein politisches Projekt.
Zusammenfassend liegt das Interessante des Werkes in der literarischen Selbsterfindung (autofiction) eines Mannes, der die Feder als sein eigentliches Schwert nutzt, um sein Epos der Konvergenz zu schaffen. Indem der Autor ihm Worte in den Mund legt, die eine moderne Sensibilität für Multikulturalität und Recht zeigen, wird Cortés rückwirkend zu einem Verfechter einer mestizischen Gesellschaft gemacht. Diese Poetik der Selbstlegitimation, eingebettet in historische Präzision und den intimen Rahmen des Briefes, ermöglicht eine tiefgehende Meditation über die Konstruktion von Geschichte selbst – ob sie aus toten Archiven oder aus lebendiger Erinnerung entsteht.
Deutungsansätze von Duvergers Cortés-Deutung
Kolonialismus als Selbstreflexion
In Duvergers Mémoires de Cortés wird der Kolonialismus nicht als heroisches Eroberungsnarrativ erzählt, sondern als ein tiefgreifender Prozess der Selbstbefragung. Cortés, der historische „conquistador“, tritt hier als Erzähler seiner eigenen Ambivalenzen auf: Er blickt auf seine Vergangenheit mit einer Mischung aus Stolz, Schuld und Sehnsucht nach Vergebung. Duverger dekonstruiert den Mythos des europäischen Zivilisators, indem er Cortés als Menschen zeigt, der die Gewalt, die er verkörperte, erkennt und zu begreifen sucht. Der Text wird damit zu einem Akt der Selbstanalyse des Westens — der Kolonialismus erscheint als innerer Konflikt zwischen Machtstreben und moralischer Erkenntnis. Cortés’ Schreiben an seinen Sohn Martín ist weniger ein Versuch, Geschichte zu rechtfertigen, als eine Suche nach Sinn: Was bleibt, wenn das Imperium zerfällt? Die Antwort liegt nicht in der Herrschaft, sondern in der Sprache — im Akt der Erinnerung.
Das Mestizische als Zukunftsmodell
Im Zentrum des Romans steht die Gestalt von Martín, dem Sohn von Cortés und der indigenen Dolmetscherin Marina (La Malinche). Duverger macht ihn zum Symbol einer neuen, gemischten Menschheit, die aus der Gewalt des Kolonialismus hervorgeht. Der mestizaje wird nicht als Verlust, sondern als schöpferischer Vorgang verstanden — eine „alchimie du métissage“, wie Cortés am Ende schreibt. Diese Metapher der Alchemie deutet auf Verwandlung, nicht auf Vermischung im simplen Sinn: Aus zwei unvereinbaren Elementen entsteht etwas qualitativ Neues. In dieser Perspektive wird das Mestizische zur eigentlichen Moderne, weil es Differenz anerkennt, ohne sie zu negieren. Martín, der Métis, steht damit am Beginn einer globalen Identität, die Duverger als humanistisches Gegenmodell zum ethnischen und kulturellen Reinheitsdenken Europas formuliert. Das Mestizische ist hier kein Defizit, sondern die Zukunft selbst.
Erinnerung statt Herrschaft
Cortés schreibt, um zu erinnern, nicht um zu herrschen. Duverger stellt das Schreiben als ethische Geste gegen das koloniale Begehren nach Besitz. Indem Cortés seine Geschichte für den Sohn niederschreibt, verwandelt er das politische in ein poetisches Erbe. Die Eroberung wird rückblickend zur Allegorie einer inneren Reise: von der Gewalt zur Sprache, vom Körper zur Schrift. „La littérature emportait mon secret“, heißt es im Spätwerk — und genau darin liegt die Befreiung. Schreiben wird zum Ort der Selbstaufhebung der Macht. In dieser Umkehrung des kolonialen Blicks besteht die Modernität des Textes: Der Eroberer wird zum Erzähler, der nicht mehr den Anderen definiert, sondern sich selbst befragt. Erinnerung ersetzt Besitz, Reflexion ersetzt Expansion.
Die Moderne des Blicks
Die formale Modernität des Romans liegt in seiner doppelten Perspektive: Duverger lässt Cortés seine eigenen Mémoires schreiben, doch die Stimme des Erzählers ist zugleich reflektiert, gebrochen, von späterer Erkenntnis durchdrungen. Die lineare Zeit der Chronik wird durch die Zeit der Erinnerung ersetzt. Historische Fakten erscheinen wie Fragmente, die erst durch das Erzählen Bedeutung erhalten. Diese Selbstreflexivität macht Mémoires de Cortés zu einem genuin modernen Text: Geschichte wird nicht dargestellt, sondern rekonstruiert, immer bewusst als Konstruktion. Duverger verbindet hier historische Genauigkeit mit postmoderner Skepsis – der Leser weiß nie genau, wo der dokumentarische Bericht endet und das literarische Ich beginnt. So entsteht ein hybrider Text, der selbst „mestizisch“ ist: ein Gemisch aus Chronik, Bekenntnis, Essay und Mythos.
Liebe als transkulturelles Prinzip
Die Beziehung zwischen Cortés und Marina ist der emotionale und symbolische Kern des Buches. Ihre Liebe verkörpert eine Begegnung zwischen Sprachen, Kulturen und Weltbildern. Marina ist Dolmetscherin, Übersetzerin, Vermittlerin – und damit die Figur, die Kommunikation möglich macht, wo sonst Gewalt herrscht. Duverger zeigt, dass der Kolonialismus nicht nur ein politisches, sondern auch ein erotisches Verhältnis war: Besitz und Begehren sind miteinander verknüpft. Doch in der Darstellung dieser Beziehung verschiebt sich das Machtverhältnis: Marina wird zur Lehrmeisterin, Cortés zum Lernenden. Ihre Liebe ist kein Mythos der Unterwerfung, sondern der Übersetzung. Sie steht für eine Möglichkeit der Verständigung jenseits von Dominanz – für die Idee, dass Sprache, Zärtlichkeit und Neugier die Grundlage einer neuen Weltordnung sein könnten. In dieser Perspektive ist die Liebe das eigentliche antikoloniale Prinzip.
Das Ende als Beginn
Das Ende des Romans – Cortés’ Tod in Valladolid und sein Brief an den Sohn – hat die Struktur einer Übergabe, nicht einer Schlusspointe. „Je m’en vais satisfait“, sagt er, und in dieser Ruhe liegt keine Selbstverherrlichung, sondern eine moralische Reifung. Cortés stirbt nicht als Sieger, sondern als Mensch, der begriffen hat, dass sein Erbe nicht in Territorien, sondern in Ideen besteht. Indem er seinem Sohn schreibt: „Réinvente tes appartenances“, überträgt er ihm die Aufgabe, Identität neu zu denken – als Wahl, nicht als Herkunft. Der Tod wird so zur Geburtsstunde eines neuen Bewusstseins. Der Text endet nicht in Europa, sondern weist nach Mexiko: Die Zukunft liegt nicht im Alten, sondern im Gemischten, im Noch-Nicht. Dieses „Ende als Beginn“ ist die eigentliche Pointe des Romans und sein utopischer Moment.
Zur Modernität des Textes
Mémoires de Cortés ist ein Roman für das 21. Jahrhundert, weil er den historischen Diskurs über Kolonialismus in eine ethische, existentielle und literarische Dimension verschiebt. Duverger fordert den Leser auf, die Geschichte nicht nur als Faktenfolge, sondern als Trauma und Möglichkeit zu begreifen. Die Modernität des Textes liegt in seiner Sprache der Ambivalenz: Duverger glorifiziert weder den Eroberer, noch verteufelt er ihn – er zeigt ihn als Menschen, der zwischen Kulturen zerrissen ist. In Zeiten, in denen Identitätspolitik, Migration und postkoloniale Kritik unsere Welt prägen, wird Duvergers Werk zum Spiegel der Gegenwart. Es lädt dazu ein, in der Vermischung nicht den Verlust, sondern den Reichtum zu erkennen. Wir sollten diesen Text lesen, weil er die Geschichte des Kolonialismus nicht abschließt, sondern fortschreibt – als Geschichte unserer eigenen Fragilität und Hoffnung.