Inhalt
Der Schelm als Nomade
Pourquoi t’as quitté ton pays ? Qu’est-ce que t’es venu foutre en France ? T’es là pour les papiers, avoue.
Je reste de marbre, raide comme un macchabée. Ils n’arriveront pas à me déstabiliser, j’ai une patience de dromadaire. Donc, pourquoi j’ai quitté mon pays ? Mais pour le quitter voyons. J’ai la claustrophobie des rêveurs. Un si petit pays pour des rêves aussi grands que les miens… Et bien sûr pour vivre dans le monde libre et devenir esclave. Ouais, le monde libre, eux aussi ils sont venus pour ça. Le pacte vingt fois séculaire entre la grandeur de la France et la liberté dans le monde. Parole de Général. Et nous nous battrons tous pour la liberté dans le cosmos. S’il n’y a pas de quoi faire mouche, je veux bien être fusillé. Bon, ok. D’abord je suis parti sans demander mon reste, tout ce que je voulais c’était partir, et puis me faire naturaliser français pour assurer mes arrières (le nec plus ultra en terme de promotion sociale), puis j’ai été pris à mon propre piège et il a fallu trouver une solution radicale, aux grands maux les grands remèdes, eh bien pourquoi pas légionnaire ? me suis-je dit. J’ai ainsi répondu, grosso modo, en sublimant du mieux que je pouvais.
Zied Bakir, La naturalisation, Grasset, 2025.
Warum hast du dein Land verlassen? Was zum Teufel willst du in Frankreich? Du bist wegen der Papiere hier, gib’s zu.
Ich bleibe wie Stein, steif wie eine Leiche. Sie werden mich nicht aus der Ruhe bringen können, ich habe die Geduld eines Dromedars. Also, warum habe ich mein Land verlassen? Halt um es zu verlassen, komm schon. Ich habe die Klaustrophobie von Träumern. Ein so kleines Land für Träume, die so groß sind wie meine sind … Und natürlich, um in der freien Welt zu leben und Sklave zu werden. Ja, die freie Welt, dafür sind sie doch auch gekommen. Der zwanzigmal jahrhundertealte Pakt zwischen der Größe Frankreichs und der Freiheit in der Welt. Das Wort des Generals. Und wir alle werden für die Freiheit im Kosmos kämpfen. Wenn es nichts zu treffen gibt, lasse ich mich gerne erschießen. Na gut, okay. Zunächst ging ich ohne zu fragen, alles was ich wollte, war wegzugehen und mich dann als Franzose einbürgern zu lassen, um mir den Rücken freizuhalten (das Nonplusultra in Sachen sozialer Aufstieg), dann saß ich in meiner eigenen Falle und musste eine radikale Lösung finden, große Übel erfordern große Heilmittel, warum also nicht Legionär werden? sagte ich mir. So antwortete ich, grob gesagt, und sublimierte so gut ich konnte.
La naturalisation ist ein Roman über den Akt der Einbürgerung, der für den Erzähler nicht den Eintritt in die nationale Gemeinschaft Frankreichs bedeutet, sondern deren groteske Kulissen freilegt. Elyas Z’Beybi, der Ich-Erzähler des Textes, berichtet in einem dichten, episch-atmenden, satirisch-ernsten Ton von seinem Weg aus einem tunesischen Dorf nach Paris, von seiner Kindheit im Schatten des autoritären Regimes Bourguibas, von gescheiterten Bildungsprojekten, sexueller Frustration, dem Versuch, ein Dichter zu werden, und seinem allmählichen Abrutschen in die Prekarität. Der Titel La naturalisation verweist mit der Staatsangehörigkeit auf ein Ziel, das äußerlich erreichbar scheint, innerlich aber stets entzogen bleibt. Statt in die französische Gesellschaft aufgenommen zu werden, erfährt der Erzähler immer wieder Ausschluss, Entfremdung und symbolische Erniedrigung. Seine Erzählung ist weder eine klassische Erfolgsgeschichte noch ein lineares Bildungsnarrativ. Vielmehr folgt sie den Umwegen, Sprüngen und Umständen eines postkolonialen Schelms, eines Pikaros in der Migrationsgesellschaft.
Was heißt es also, La naturalisation als postkolonialen Pikaroroman zu lesen? Der vorliegende Artikel versteht den Text nicht nur als Geschichte einer scheiternden Akkulturation, vielmehr als Reaktivierung und Transformation eines literarischen Modells: des Pikaro, jenes illusionslosen Erzählers von unten, der sich durch eine fragmentierte Welt laviert, ohne je heimisch zu werden. Der Pikaro steht in einer langen europäischen Tradition – von Lazarillo de Tormes über Simplicissimus bis Felix Krull – und hat sich zugleich als äußerst anschlussfähig für postkoloniale, migrantische Erzählungen erwiesen. La naturalisation verbindet die Elemente dieses Modells mit einer radikalen Gegenwartsanalyse: Der moderne Pikaro heißt Elyas Z’Beybi, trägt ein Smartphone in der Tasche und rezitiert dennoch Victor Hugo. Er ist ein Kind Bourguibas und ein Leser von Chrétien de Troyes, ein politischer Flüchtling aus dem Geschlechterverhältnis und ein Poet aus Notwehr.
Die Gestalt des Pikaro ist nicht statisch. Ursprünglich eine literarische Antwort auf die gesellschaftlichen Spannungen im Spanien des 16. Jahrhunderts, wandelt sich der Schelm im Laufe der Jahrhunderte zum modernen Nomaden: einem marginalisierten Beobachter, der die Welt durchquert, um sie erzählend zu erfassen. Diese Bewegung durch soziale Räume ist in La naturalisation zentral. Elyas wandert von der Peripherie des tunesischen Dorfes durch Schulklassen, Vorlesungssäle, öffentliche Cafés, Präfekturen, Metrostationen und Bettlerräume. Der Roman selbst folgt keiner klassischen Dramaturgie, er reiht Episoden, Stationen und Monologe aneinander – eine Struktur, die an Simplicissimus oder Gil Blas erinnert, aber mit einer modernen, selbstreflexiven Erzählhaltung gebrochen wird. Elyas bezeichnet sich selbst als Z’Beybi – der Alleingänger, der durch die Welt zieht. Diese ironische Selbstzuschreibung spiegelt die Doppelbewegung der Figur: Einerseits ist er ein Repräsentant all jener entwurzelten, abgewiesenen, migrantischen Existenzen, die das Frankreich der Gegenwart hervorbringt; andererseits ist er ein bewusster Erzähler, ein „scriptor“ seiner eigenen Identität. Er durchwandert nicht nur soziale Schichten, sondern auch Diskurse, Sprachen und Genres. Der klassische Pikaro lebt vom Wechsel der Herrschaften, von der Enttäuschung über jede neue Instanz, die ihm Hilfe verspricht. Auch Elyas erlebt eine solche Desillusionierung: mit dem Staat, der Bildung, der Liebe, der Literatur. Doch sein Erzählen kehrt diesen Prozess ins Produktive. Indem er jede Instanz persifliert, durchbricht er ihre Geltung. Der Pikaro in La naturalisation ist kein bloßer Leidtragender, sondern ein Demaskierer der Ordnung.
Zur episodischen Deutung von La naturalisation
Ein Pikaroroman zeichnet sich meist durch die Erzählung eines Antihelden aus, der sich in einer oft rauen und sozialen Umgebung durchschlägt, Abenteuer erlebt, gesellschaftliche Außenseiterrollen einnimmt und sich durch List, Anpassungsfähigkeit und Überlebenswillen behauptet. Der Erzähler Elyas erfüllt nahezu alle Kriterien der klassischen Pikarofigur, u.a. die niedere Herkunft: Elyas stammt aus einem kleinen Dorf in Tunesien, wächst in ärmlichen, patriarchalen Verhältnissen auf, verliert früh seinen Vater. Dann die Randständigkeit: Er gehört nicht zur Elite, er ist kein Held, er ist ein Beobachter und „Schnorrer des Lebens“, wie Alex, sein Bettlerfreund, es nennen würde. Statt durch Heldenmut oder Standeserhöhung gelingt es Elyas, durch Bildung einen anderen sozialen Raum zu betreten – aber nur scheinbar. Die Suche nach einer neuen Heimat oder Zugehörigkeit, die Aufnahme in neue „Familien“ (z.B. Emmaüs, Fremdenlegion) und die ständige Bewegung sind zentrale Motive. Wie der klassische Pikaro wandert Elyas durch soziale Milieus und begegnet einer Reihe von Stationen – Familie, Schule, Universität, Bürokratie, Straßenprostitution –, ohne je wirklich „anzukommen“. Schließlich der autobiografische Duktus: Die Ich-Erzählung in La naturalisation orientiert sich stark am Modus der fiktiven Autobiografie des Pikaroromans: retrospektiv und fragmentarisch, dabei ironisch. Elyas beschreibt seine Umwelt mit der scharfen, illusionslosen Beobachtungsgabe eines Außenseiters – mal satirisch, mal melancholisch, immer selbstreflexiv.
Auch die Struktur von La naturalisation folgt einer episodischen Ordnung, die stark an die klassische Pikareske erinnert:
Kindheit im Dorf: der Ursprung des Schelms. Der Roman beginnt mit Rückblenden in die Kindheit Elyas’ im tunesischen Dorf. Bereits hier wird das pikarohafte Moment sichtbar: Die Herkunft aus der Armut, die frühe Konfrontation mit Gewalt und religiösem Dogma, die als lächerlich-grotesk dargestellten Rituale der Männlichkeitswerdung (etwa die Beschneidung), die Ambivalenz der Mutterfigur und die frühe Rolle der Sprache als Zuflucht. Wie beim klassischen Pikaro ist diese Kindheit nicht sentimentalisiert, sondern geprägt von einem skeptischen, fast zynischen Blick auf soziale Mechanismen.
Schulzeit und Aufstieg durch Bildung: der Schelm als Musterschüler. Elyas gelingt der Aufstieg durch das Bildungssystem, wobei er stets ein Außenseiter bleibt. Die französische Sprache erscheint als doppeltes Werkzeug: Sie ermöglicht soziale Mobilität und entfremdet zugleich von der eigenen Herkunft. Dieser doppelte Effekt erinnert an den Bildungsimpuls im Lazarillo de Tormes, bei dem die Bildung zwar Hoffnung verheißt, aber letztlich keinen festen Platz in der Gesellschaft sichert.
Ankunft in Paris: der Eintritt in die große Maskerade. Die Ankunft in Frankreich führt Elyas mitten in ein undurchsichtiges System von Vorschriften, Symbolen und Zurückweisungen. Die Präfektur, das Asylsystem, der Umgang mit Beamten – all das wird in einem Ton beschrieben, der an den absurden, kafkaesken Humor der modernen Schelmenliteratur erinnert. Elyas ist hier ein moderner Gil Blas, der von Bürokraten abhängig ist, aber deren Spiel durchschaut.
Die Universität und Madame Blanchard: Bildung, Sex und Farce. Eine zentrale Episode ist die Beziehung zu Madame Blanchard, einer älteren Universitätsdozentin, die Elyas zuerst fördert, dann sexuell ausnutzt und schließlich fallen lässt. Diese Episode ist ein Musterbeispiel für die Umkehrung von Machtverhältnissen: Elyas, der Subalterne, besitzt am Ende mehr narrative Kontrolle als die akademische Repräsentantin. Gleichzeitig wird hier das Motiv des Schelms als erotischer, aber machtloser Spieler weiterentwickelt – ähnlich wie in Felix Krull.
Das Leben auf der Straße: der Abstieg ins Pariser Leben auf der Straße. Elyas rutscht zunehmend in die soziale Prekarität. Er begegnet Bettlern, Drogenabhängigen, illegalen Arbeitern. Besonders die Figur Alex, ein ehemaliger Soldat und Obdachloser, wird zum Spiegelbild Elyas’: Beide sind zynische Überlebenskünstler, belesen, zerrüttet, aber mit einer eigenen Ethik. Diese Freundschaft erinnert an die Begleiterfiguren im klassischen Pikaroroman, etwa den Blinden beim Lazarillo. Die Stadt Paris erscheint hier nicht als Zentrum der Aufklärung, Paris ist ein moralischer Dschungel.
Schreibversuche, Rückkehrphantasien, scheiternde Lieben. Immer wieder versucht Elyas, sich als Schriftsteller zu behaupten. Doch seine Manuskripte werden abgelehnt, seine Texte bleiben unverstanden. Auch seine Liebesbeziehungen scheitern an Missverständnissen, Projektionen, kulturellen Distanzen. Der Pikaro wird zum postmodernen Erzähler ohne Publikum. Das Erzählen wird selbst zum Fluch und zur letzten Heimat.
Der gescheiterte Akt der Naturalisation. Der titelgebende Akt, die eigentliche „naturalisation“, bleibt ein symbolischer Leerlauf. Der Erzähler besteht bürokratische Prüfungen, aber das versprochene Zugehörigkeitsgefühl bleibt aus. In klassisch-pikarischer Manier wird der Höhepunkt zur Farce. Der Erzähler gewinnt Einsicht, nicht Anerkennung. Damit verweigert sich der Text jeder Teleologie: Es gibt kein Ziel, keine Belohnung – kein Heimkommen.
Diese Abschnitte zeigen, wie La naturalisation nicht nur inhaltlich, sondern strukturell an das Muster des Pikaroromans anschließt: eine lose Reihung von Erlebnissen, Rückblicken und Begegnungen, durchzogen von einer Stimme, die zwischen Spott, Schmerz und Poesie pendelt. In der postkolonialen Neuauflage ist dieser Pikaro jedoch nicht nur ein Produkt seiner Herkunft, er ist ein literarischer Akteur, der seine Heimat im Erzählen selbst findet.
Missgeschick und Zärtlichkeit
In La naturalisation erzählt Elyas Z’Beybi seine Geschichte auch seine Missgeschicke – eine poetisch aufgeladene, zärtlich-ironische Chronik eines Lebens zwischen zwei Welten, das weder im Herkunftsland noch im Aufnahmeland ganz aufgeht. Der Roman lebt von einer Figur, die aus der Zeit gefallen scheint: ein junger Mann, der zugleich naiv und scharfsinnig ist, der sich mit poetischer Ehrlichkeit durchsetzt, aber nie durchsetzen kann. Das macht ihn zu einer besonderen Figur der neueren französischen Literatur: ungeschickt, voller Widersprüche, komisch – und doch zutiefst menschlich. Elyas ist ein Held des Alltags – oder besser: ein Anti-Held im Sinne der pikaresken Tradition. Aber anders als der zynische Überlebenskünstler der klassischen Schelmenromane ist Elyas von einer fast rührenden Offenheit. Er ist unfähig zur strategischen Kälte, unfähig zur Lüge, obwohl er permanent zur Improvisation gezwungen ist. Das Missgeschick ist seine Lebensform – nicht aus Dummheit, eher aus einer Art moralischer Unbeholfenheit. Er will nichts erzwingen, nicht einmal die Liebe. Seine Sexualität ist gehemmt, sein Ehrgeiz schwankend, seine Integrationsversuche halbherzig – und doch wird er nie zynisch. Gerade das macht ihn liebenswert: Elyas ist kein opportunistischer Migrant, er ist ein romantischer Flaneur, der sich selbst ebenso verwundert betrachtet wie die Gesellschaft, in der er lebt. Die Komik des Romans erwächst genau aus diesem Widerspruch: ein scharfer Beobachter, der sich selbst nie ganz versteht. Seine Komik ist nie bösartig, sie ist mild – sie lebt vom liebevollen Blick auf das eigene Scheitern.
Der Roman ist durchzogen von Momenten der Verlegenheit, der Verwirrung, des zu langen Zögerns oder des zu frühen Handelns. Elyas verpasst Chancen, vergrault Menschen, scheitert an Bewerbungen, begehrt Frauen, die ihn nicht wollen, und lässt sich von Männern wie Alex in absurde Abenteuer verwickeln. Diese Szenen sind oft von hinreißender Komik – etwa, wenn er auf der Suche nach sexueller Erlösung von einem betrunkenen Ex-Legionär in ein Bordell gelotst wird, nur um danach ein Gefühl von Leere und metaphysischer Verlegenheit zu verspüren. Aber diese Komik bleibt nie bloß peinlich. Sie hat eine zärtliche Qualität, weil Elyas nicht aus Bosheit oder Eitelkeit handelt, er ist von einem tiefen, kindlich-ernsten Wunsch nach Zugehörigkeit und Liebe bestimmt. Seine Missgeschicke sind nicht Slapstick, sondern Situationen der Selbstentblößung: ein Mensch, der sich zeigt, wie er ist – ungeschützt, verletzlich, immer ein wenig zu offen für die Welt.
La lune de miel ne perdura pas. Mes souvenirs se tarirent et Adeline avait maintenant des sautes d’humeur. Elle devenait irritable, se laissait emporter. Un soir, piquée par je ne sais quelle mouche, elle menaça d’appeler la police : Je dirai que tu m’as épousée pour tes papiers. Le coup en dessous de la ceinture. Je ne cachais pas mon enthousiasme à l’idée de me faire naturaliser par le truchement du mariage mais je n’étais pas à proprement parler un escroc sentimental. Je l’appréciais, nous avions de solides affinités ; elle avait été charmée de la façon dont j’aimais Rimbaud et Baudelaire, agréablement surprise que je goûtasse à la musique classique et à l’opéra. Elle aussi aimait Maria Callas, Chopin, Verdi, Bach… Je lui fit découvrir Oum Kalthoum, Fayrouz, Warda et autres divas du monde arabe qu’elle apprécia moyennement. En gros, je lui redonnais une seconde jeunesse, selon ses propres dires. Maintenant la situation nous échappait. Une triste réalité a pris le dessus. Un jour, dans un élan de colère, elle m’asséna un coup du revers de la main sur la figure. Sa bague s’incrusta dans mon œil et je crus devenir borgne. Qu’elle s’attaquât au reste de mon corps avec ses petits poings, tant qu’il n’y avait pas de traces je pouvais encaisser ; lui rendre ses coups aurait provoqué une escalade, m’aurait fait passer du stade de victime à celui de bourreau. L’expulsion serait au bout du fil et le fil était déjà autour de mon cou, mais les yeux c’était quand même un peu précieux. Comme elle n’était pas une psychopathe ni une hystérique finie mais une personne civilisée et voulant bien faire, elle revenait à elle, regrettait ses emportements, s’excusait et m’accusait : Tu me rends folle. Si j’ai accepté ce mariage c’est pour que tu puisses reprendre pied dans la vie, et que fais-tu ? Tu continues de vivre comme à l’hôpital, ce n’est pas possible, tu comprends ? Ce n’est pas possible. Lorsque je t’ai fait sortir de là-bas, j’ai voulu voir en toi un homme, je me suis trompée : il n’y en avait pas. J’ai ramassé une chiffe. Je ne t’ai pas épousé par charité ou parce que ma chair réclamait de l’exotisme ou parce que le malsain m’attire, je suis autre chose que cela, autre chose ! Je suis désolée Elyas, ce n’est pas un sanatorium ici. En plus tu fais semblant de prendre tes médicaments, je le sais. Il faut que tu partes, avait-elle dit en conclusion, par deux fois. Il faut que tu partes, je t’en supplie.
Elle avait un visage vieilli et triste. Et c’est là qu’elle a ajouté : je suis désolée pour tes papiers. J’ai failli lui crier que je me fichais de ces papiers de malheur, que je n’en avais pas besoin, moi qui suis un homme libre, un artiste, un poète, un anarchiste, un vrai, etc. C’était décidément un point sensible mais j’ai réussi à me contenir. Je n’ai rien dit, je suis redevenu muet, sans voix, sans corps, sans rien. Je n’existais presque plus et j’allais disparaître de sa vie. C’était le moment de tourner la page Adeline. Sortir de sa vie pour mieux rentrer dans la mienne. Le temps était venu d’assumer ses choix et d’avancer seul sur son chemin de croix : d’ailleurs ce mot, choix, si on regarde bien, est-il autre chose qu’un mot valise avec dedans, entassés, agglutinés, accouplés, les mots chemin et croix ? Un choix digne de ce nom n’entraîne-t-il pas immanquablement un chemin de croix ? Certainement. Je tâchais de me le fixer dans le crâne.
Adeline avait dit aussi qu’elle s’occuperait du divorce. Chose qu’elle fit avec la diligence de qui veut effacer les traces d’un forfait. J’avais choisi de n’opposer aucune résistance, estimant que les torts, si torts il y avait, étaient équitablement partagés, et je suis parti sans demander mon reste.
Les compatriotes de la place Plumereau m’accueillirent en échange d’une aide au restaurant comprenant principalement les tâches ingrates. Je me montrais volontaire. Quiconque s’abaisse sera élevé. Le collègue conservateur se montrait compatissant. Mouch mektoub. L’autre, toujours aussi rigolard :
Dommage, elle était pas mal ta femme, moi ma première femme, la Française, elle était pas aussi charmante, je lui faisais l’amour dans le noir en pensant très fort à Angelina Jolie.
Comme si ta deuxième femme ressemblait à Angelina Jolie, lui a lancé le premier.
Toi le puceau, ne parle pas comme ça de ma femme, et c’est pas ma deuxième femme, c’est ma femme, l’autre c’était seulement pour les papelards.
Te fâche pas patron, je plaisantais, elle est plus jolie qu’Angelina Jolie ta femme, Angelina Jolie, c’est même pas halal en plus, hahaha.
Les jours en leur compagnie furent légers et sans tracasseries. Ils se chamaillaient allègrement, plaisantaient volontiers avec les clients. Le refrain Salade Tomate Oignon remplissait la caisse. Pendant les rushs, on faisait la queue devant le resto. Des étudiants, des étrangers, des petites gens et quelques bobos amateurs de harissa. Le patron m’avait proposé un salaire décent, avec logement de fonction (la chambrette au-dessus du resto). Il énuméra devant moi les qualités qu’il me trouvait : présentable, connaissant la langue, ponctuel, propre, organisé… Le gars avait de l’ambition, il n’est pas venu en France pour écrire des livres. Il comptait ouvrir d’autres restaurants dès que possible, le secteur se portait très bien, le nombre de pauvres augmentait et le business du halal avait le vent en poupe. Il avait besoin de personnes de confiance. Je l’ai remercié pour ses bonnes intentions tout en estimant que je m’étais déjà assez abaissé comme ça, et qu’il fallait maintenant laisser une chance à la promesse de Jésus. J’ai dit que je devais d’abord retourner à Paris régler une affaire. Affaire dont j’ignorais moi-même les tenants et aboutissants.
Zied Bakir, La naturalisation, Grasset, 2025.
Die Flitterwochen hielten nicht lange an. Meine Erinnerungen versiegten und Adeline hatte nun Stimmungsschwankungen. Sie wurde reizbar, ließ sich hinreißen. Eines Abends drohte sie, von irgendeiner Fliege gestochen, die Polizei zu rufen: „Ich werde sagen, dass du mich wegen deiner Papiere geheiratet hast. Der Schlag unter die Gürtellinie. Ich machte keinen Hehl aus meiner Begeisterung für die Idee, mich durch eine Heirat einbürgern zu lassen, aber ich war kein sentimentaler Betrüger im eigentlichen Sinne. Sie war von meiner Liebe zu Rimbaud und Baudelaire begeistert und angenehm überrascht, dass ich mich für klassische Musik und Opern interessierte. Ich machte sie mit Oum Kalthoum, Fayrouz, Warda und anderen Diven aus der arabischen Welt bekannt, die ihr nur mäßig gefielen. Im Grunde gab ich ihr eine zweite Jugend, wie sie selbst sagte. Nun entglitt uns die Situation. Eine traurige Realität gewann die Oberhand. Eines Tages schlug sie mir in einem Anfall von Wut mit der Rückhand ins Gesicht. Ihr Ring blieb in meinem Auge stecken und ich dachte, ich würde einäugig werden. Dass sie den Rest meines Körpers mit ihren kleinen Fäusten angriff, konnte ich hinnehmen, solange es keine Spuren gab; dass sie zurückschlug, hätte zu einer Eskalation geführt, hätte mich vom Opfer zum Henker werden lassen. Die Ausweisung würde am Ende des Fadens stehen und der Faden hing mir bereits um den Hals, aber die Augen waren trotzdem etwas wertvoll. Da sie weder eine Psychopathin noch eine endliche Hysterikerin war, sondern eine zivilisierte Person, die es gut meinte, kam sie zu sich, bereute ihre Ausbrüche, entschuldigte sich und klagte mich an: Du machst mich verrückt. Ich habe der Heirat zugestimmt, damit du wieder im Leben Fuß fassen kannst, und was tust du? Du lebst weiter wie im Krankenhaus, das ist nicht möglich, verstehst du? Das ist nicht möglich. Als ich dich dort herausgeholt habe, wollte ich in dir einen Mann sehen, ich habe mich geirrt: Es gab keinen. Ich habe einen Lumpen aufgelesen. Ich habe dich nicht aus Nächstenliebe geheiratet oder weil mein Fleisch nach Exotik verlangte oder weil mich das Ungesunde anzieht, ich bin etwas anderes als das, etwas anderes! Es tut mir leid, Elyas, aber das hier ist kein Sanatorium. Außerdem tust du nur so, als würdest du deine Medikamente nehmen, das weiß ich. Du musst gehen, hatte sie zum Schluss gesagt, zweimal. Du musst gehen, ich flehe dich an.
Sie hatte ein gealtertes, trauriges Gesicht. Und dann hatte sie noch hinzugefügt: Es tut mir leid wegen deiner Papiere. Ich hätte sie fast angeschrien, dass mir diese Unglückspapiere egal seien, dass ich sie nicht brauche, ich sei ein freier Mann, ein Künstler, ein Dichter, ein Anarchist, ein echter, etc. Das war entschieden ein empfindlicher Punkt, aber ich konnte mich beherrschen. Ich sagte nichts, ich war wieder stumm, ohne Stimme, ohne Körper, ohne alles. Ich existierte fast nicht mehr und würde aus ihrem Leben verschwinden. Es war an der Zeit, die Seite umzublättern Adeline. Aus ihrem Leben auszusteigen, um in meins einzutreten. Die Zeit war gekommen, um zu seinen Entscheidungen zu stehen und allein auf seinem Kreuzweg voranzugehen: Ist dieses Wort „Wahl“ übrigens, wenn man genau hinschaut, etwas anderes als ein Kofferwort, in dem die Wörter Weg und Kreuz aufgehäuft, verklumpt und gekoppelt sind? Führt eine Wahl, die diesen Namen verdient, nicht unweigerlich zu einem Kreuzweg? Ganz bestimmt. Ich versuchte, es in meinem Kopf zu verankern.
Adeline hatte auch gesagt, dass sie sich um die Scheidung kümmern würde. Das tat sie mit der Sorgfalt, die man an den Tag legt, wenn man die Spuren eines Verbrechens verwischen will. Ich hatte mich entschieden, keinen Widerstand zu leisten, da ich der Meinung war, dass die Schuld, wenn es überhaupt eine gab, gerecht verteilt war, und ich ging, ohne zu fragen.
Die Landsleute am Place Plumereau nahmen mich auf, wenn ich ihnen im Restaurant half, was vor allem die undankbaren Aufgaben umfasste. Ich meldete mich freiwillig. Wer sich erniedrigt, wird erhöht werden. Der konservative Kollege zeigte sich mitfühlend. Mouch mektoub. Der andere, immer noch lachend:
Schade, sie war nicht schlecht, deine Frau, bei mir, meine erste Frau, die Französin, sie war nicht so charmant, ich hatte im Dunkeln Sex mit ihr und dachte dabei sehr heftig an Angelina Jolie.
Als ob deine zweite Frau wie Angelina Jolie aussähe, warf ihm der Erste an den Kopf.
Du Jungfrau, sprich nicht so über meine Frau, und sie ist nicht meine zweite Frau, sie ist meine Frau, die andere war nur für die Paparazzi.
Sei nicht böse, Boss, ich habe nur gescherzt, sie ist hübscher als Angelina Jolie, deine Frau, Angelina Jolie ist nicht einmal halal, hahaha.
Die Tage in ihrer Gesellschaft waren leicht und unbeschwert. Sie zankten sich fröhlich und scherzten gerne mit den Gästen. Der Refrain Salat Tomate Zwiebel füllte die Kasse. Während der Rush Hour standen die Leute vor dem Lokal Schlange. Studenten, Ausländer, kleine Leute und ein paar Bobos, die gerne Harissa aßen. Der Chef bot mir ein angemessenes Gehalt und eine Dienstwohnung (das kleine Zimmer über der Raststätte) an. Er zählte vor mir die Qualitäten auf, die er an mir sah: vorzeigbar, sprachkundig, pünktlich, sauber, organisiert … Der Mann war ehrgeizig, er war nicht nach Frankreich gekommen, um Bücher zu schreiben. Er wollte so bald wie möglich weitere Restaurants eröffnen, der Branche ging es sehr gut, die Zahl der Armen stieg und das Halal-Geschäft war im Aufwind. Er brauchte Menschen, denen er vertrauen konnte. Ich dankte ihm für seine guten Absichten, war aber der Meinung, dass ich mich schon genug erniedrigt hatte und dass ich jetzt dem Versprechen Jesu eine Chance geben müsse. Ich sagte, dass ich zuerst nach Paris zurückkehren müsse, um eine Angelegenheit zu regeln. Eine Angelegenheit, von der ich selbst nicht die näheren Umstände kannte.
Einer der traurig-komischsten und zugleich tiefsten Züge von Elyas ist seine überbordende Frankophilie. Er ist so sehr in die französische Sprache, Literatur und Kultur verliebt, dass er sich selbst kaum noch als „Ausländer“ sehen kann. Er rezitiert Hugo, träumt von Pariser Cafés, studiert an der Sorbonne, verliert sich in mittelalterlicher Literatur – und erlebt doch, dass ihn die Gesellschaft, in der er lebt, nie ganz aufnimmt. Diese Überidentifikation mit Frankreich ist zugleich Quelle von Komik und Tragik. Elyas’ Bildungsweg wird zum paradoxen Hindernis: je mehr er sich kulturell integriert, desto fremder wird ihm seine eigene Herkunft – und desto absurder wird die Fremdzuschreibung, die ihm entgegenschlägt. Die Szene, in der ein französischer Beamter seine „französische“ Bewerbung skeptisch beäugt, wirkt fast grotesk: Der Migrant ist zu gut, zu gebildet, zu sprachlich versiert, um als integrationsbedürftig zu gelten. Ein paradoxes Urteil: Er ist nicht „ausländisch“ genug, um als Ausländer Hilfe zu bekommen, und nicht „französisch“ genug, um als Franzose durchzugehen. Diese absurde Schwebe beschreibt La naturalisation mit einer Mischung aus komischem Ernst und zärtlicher Ironie – ein Ton, der sich durch das ganze Buch zieht und Elyas zur literarischen Ausnahmefigur macht.
Was der Roman eindrücklich vorführt, ist die politische Kraft der Komik. In Elyas’ Missgeschicken steckt eine subversive Kraft. Er unterläuft die Erwartungen an den „Migrantenerzähler“, an den „edlen Fremden“, an den „sozialen Aufsteiger“. Statt große Diskurse zu bedienen, erzählt er kleine Episoden, die oft am Rand des Lächerlichen streifen – aber gerade deshalb das Herz der Sache treffen. Die Bürokratie, die Gewalt der Tradition, die Erniedrigungen der Migration – sie alle werden nicht angeklagt, sie werden aus dem Blickwinkel des Missverständnisses gezeigt. So wird La naturalisation zu einem Roman über das Unpassende – und über die Schönheit des Dazwischen. Elyas passt nicht in das koloniale Narrativ des „bildungsfähigen Arabers“, nicht in die Klischees des sexuell gefährlichen Migranten, nicht in die Melancholie des Heimatlosen. Er ist da – verwirrt, anwesend, ehrlich – und damit eine Zumutung für jede Identitätskategorie.
Migration als Pikareske
Elyas‘ Weg nach Frankreich folgt nicht dem klassischen Migrationsnarrativ. Er flüchtet nicht vor Armut allein, er flüchtet vor der Symbolmacht der Tradition, dem Regime der Väter, dem Gesetz der Mütter. Seine Flucht ist auch eine Flucht in die Sprache. Der Text betont immer wieder, dass Bildung, Lesen und Schreiben für ihn zugleich Emanzipation und Entfremdung bedeuten. Diese Ambivalenz ist zentral für das Verständnis des postkolonialen Pikaros: Er will dazugehören, aber ohne sich anzupassen. Er will schreiben, aber nicht für die Akademie. Er will lieben, aber ohne kulturelle Masken. In Frankreich angekommen, erfährt Elyas die ganze Palette institutioneller und gesellschaftlicher Zurückweisung: Seine Beziehung zur Universitätsdozentin scheitert tragikomisch, sein Aufenthalt in der cité bleibt prekär, seine Versuche, „französisch“ zu leben, enden in Farcen. Die naturalisation bleibt ein leeres Versprechen. Doch gerade in dieser Scheiternserfahrung wird Elyas zum Pikaro. Die Relevanz der Pikareske für postkoloniale Kontexte liegt genau hier: Sie erlaubt es, von unten zu sprechen, ohne sich moralisch zu legitimieren. Der Pikaro darf lügen, stehlen, tricksen – solange er erzählen kann. Diese Ethik der Ambivalenz steht im Gegensatz zu vielen migrationspolitischen Diskursen, die Anpassung, Opferstatus oder Integrationsbereitschaft fordern. La naturalisation bricht mit dieser Logik. Elyas ist kein Vorbild. Aber er ist eine Stimme.
Elyas ist nicht nur eine Erzählfigur, er ist ein Denkmodell. Er repräsentiert eine Form von Subjektivität, die zwischen den Kulturen, Sprachen und Ideologien wechselt. Als postkolonialer Pikaro ist er sowohl Träger einer historischen Erfahrung (Kolonialismus, Migration, Prekarität) als auch ein Sprachkünstler, der diese Erfahrung in Text verwandelt. Dabei bleibt der Roman stets ambivalent: Elyas ist nicht erlöst. Seine Erzählung ist keine Therapie, vielmehr ein literarischer Akt. In dieser Hinsicht unterscheidet sich La naturalisation auch von autofiktionalen Migrationsromanen, die auf Authentizität und Kohärenz setzen. Der Text verweigert dem Leser die übliche Katharsis. Stattdessen hinterlässt er einen Geschmack von Staub, Bier und Zynismus – das Aroma des modernen Pikaros.
Pikaroroman als Sprachroman
Der Pikaroroman ist immer auch ein Sprachroman. Der Schelm ist ein Erzähler, kein Held. Elyas fügt sich diesem Muster in besonderer Weise: Sein Erzählen ist performativ, vielstimmig, reich an Ironie, poetischen Bildern und intertextuellen Anspielungen. Er spricht „französisch wie ein Prolet“ und zitiert gleichzeitig aus Victor Hugo, Chrétien de Troyes oder sufischer Mystik. Diese Hybridität ist kein Zufall, als Ausdruck einer postkolonialen Sprachsituation: Die Sprache des ehemaligen Kolonisators wird angeeignet, um sie zu unterwandern. In einer der zentralen Szenen begegnet Elyas dem Clochard Alex, einem ehemaligen Legionär, der von einer Mischung aus Zynismus und Bildung durchdrungen ist. Beide Männer tauschen sich über Literatur, Krieg und das Leben am Rand aus. In dieser Begegnung wird deutlich, dass das Erzählen für Elyas eine ästhetische Praxis ist und ein Akt der Selbstrettung. Sein Erzählgestus verwandelt Exklusion in Narration, Prekarität in poetisches Kapital. Die Sprache des Romans ist dabei durchsetzt von Satire, Komik, aber auch plötzlichen lyrischen Momenten. Wenn Elyas über seine erste sexuelle Erfahrung mit einer Prostituierten schreibt, tut er dies nicht pornografisch oder moralisch, sondern mit einer Mischung aus Selbstironie, Anthropologie und Poesie. Diese Stilvielfalt erinnert an den Ton von Cervantes, der seinen Don Quijote ebenfalls zwischen Hoch- und Niedrigsprache balancieren lässt.
Elyas‘ Sprache wechselt zwischen Hochstil, vulgärer Mündlichkeit, literarischem Zitat und mystischem Gestus. Dieser Stilpluralismus ist weniger ästhetisches Mittel, eher ein Zeichen postkolonialer Hybridität: Die Sprache des Kolonisators wird nicht einfach übernommen, sie wird umfunktioniert. Der Pikaro, der sich historisch stets der Maskierung, der Anpassung und der Mimikry bediente, nutzt Sprache nicht zur Repräsentation, er bewirkt mit ihr eine Subversion. Wie in der Tradition der Pikareske spricht Elyas nicht mit einer einzigen Stimme. Er zitiert Victor Hugo und Chrétien de Troyes, adaptiert Redewendungen aus dem Französischen, Arabischen, aus dem Straßenslang und dem Bildungssprech. Dieser polyphone Stil erinnert an Bakhtins Konzept der „Heteroglossie“ – der Vielstimmigkeit als konstitutivem Merkmal des Schelmenromans. Die Sprache ist hier Ort des Widerstands: gegen Homogenisierung, gegen Assimilation, gegen Repräsentation von außen. Zugleich zeigt Elyas ein tiefes Bewusstsein für die Rhetorik der Macht. In den Dialogen mit Behörden, Akademikerinnen oder Prostituierten variiert er seinen Ton: mal unterwürfig, mal zynisch, mal poetisch. Diese performative Sprachkompetenz ist die moderne Form des Überlebens: Der Pikaro kann lügen, aber nicht täuschen; er muss sein Publikum manipulieren, um sich selbst zu behaupten.
Der Text von La naturalisation ist durchzogen von literarischen Verweisen, Zitaten und Anspielungen – nicht nur auf französische Klassiker, auch auf die Mystik des Ostens, die Literatur der Migration, auf Bibel und Koran. Diese Intertextualität verweist auf die Bildung des Erzählers und wird selbst zum Thema: Elyas ist ein „Homo lector“, dessen Subjektivität sich aus Lektüren konstituiert. Besonders auffällig ist die Parallelisierung zwischen Elyas’ Lebensweg und den Legendenfiguren, die er liest: Der Dichter Attar mit seinem Konferenz der Vögel, der arthurianische Ritter auf der Suche nach Sinn, der Flüchtling in Hugos Versen – sie alle sind Spiegelbilder des Erzählers. Doch diese Spiegel sind zerbrochen. Die großen Erzählungen geben keinen Halt, sie werden ironisiert und durchbrochen. Der Pikaro von heute glaubt nicht mehr an Erlösung, er glaubt nur an die Macht des Textes, sich der Realität entgegenzustellen. Die Intertextualität erzeugt ein Gewebe von Bedeutungen, das nie ganz aufgeht – wie bei Cervantes, dessen Don Quijote an seinen Lektüren ebenso wächst wie scheitert. Auch Elyas ist ein Ritter wider Willen, dessen Waffen statt Lanzen Zitate sind. Im Unterschied zum klassischen Bildungsroman, in dem Literatur zur Läuterung führt, führt sie hier zur Entfremdung – aber auch zur Erkenntnis.
Die Stelle, in der Elyas zwei epische Werke des 12. Jahrhunderts – „Le Conte du Graal“ von Chrétien de Troyes aus Frankreich und „Le Langage des oiseaux“ von Farid Hal-Din Attar aus Persien – vergleicht, dient als kraftvolles Symbol für den kulturellen Dialog zwischen West und Orient. Die Vorstellung, dass die beiden Dichter sich imaginär per Brieftauben austauschen, unterstreicht die Idee einer transkulturellen Kommunikation und eines geistigen Austauschs trotz geografischer und kultureller Distanz. Diese Brieftauben als Übermittler der Botschaften stehen metaphorisch für die Verbindung und den gemeinsamen menschlichen Erfahrungshorizont, der sich in beiden Werken widerspiegelt. Während Chrétien de Troyes mit „Le Conte du Graal“ die christliche Ritterlichkeit und die Suche nach Wahrheit thematisiert, entfaltet Attar in „Le Langage des oiseaux“ eine mystische Reise, die symbolisch für die spirituelle Suche im Sufismus steht. Die Begegnung der beiden Poeten, wenn auch fiktiv, öffnet einen Raum, in dem unterschiedliche religiöse und kulturelle Perspektiven auf ähnliche existenzielle Fragen treffen und sich gegenseitig bereichern. Darüber hinaus reflektiert diese Szene das Bestreben des Erzählers, der selbst zwischen verschiedenen Welten steht, nach einer Brücke zwischen diesen Traditionen zu suchen.
Erzählbarkeit von Identität
Ein zentrales Motiv in La naturalisation ist die Darstellung männlicher Identität – und deren Brüchigkeit. Der Pikaro war stets ein männlich konnotiertes Subjekt: sexuell aktiv, subversiv, aber letztlich in einer heteronormativen Ordnung funktional. Elyas durchkreuzt dieses Muster. Seine Sexualität ist fragmentiert, sie ist peinlich und uneindeutig. Die Begegnungen mit Frauen – mit der Prostituierten, mit Madame Blanchard, mit der Kommilitonin – sind nie romantisch, nie heroisch. Sie sind Ausdruck von Ohnmacht, Abhängigkeit oder Projektion. Der Schelm des 21. Jahrhunderts ist nicht mehr der erotische Trickster, er ist ein Subjekt in der Krise. Elyas scheitert ökonomisch und kulturell, und er scheitert auch sexuell. Diese Figur des migrantischen, prekär-männlichen Subjekts steht im Kontrast zu kolonialen Fantasien von viriler Andersheit – sie dekonstruiert zugleich auch westliche Bilder vom bekehrbaren Migranten. Zugleich ist das Scheitern nie bloß tragisch. Es ist Teil einer Komik, die sich nicht auf Pointe oder Versöhnung richtet, sie beharrt auf ein „Dennoch“: Trotz Zurückweisung, Missverständnis und Demütigung bleibt Elyas ein Erzähler seiner Selbst.
Die Stadt Paris hat in der französischen Literatur immer eine doppelte Rolle gespielt: als Ort der Aufklärung, der Möglichkeiten und der Emanzipation – und als Ort der Verlorenheit, der Anonymität, und des sozialen Abstiegs. In La naturalisation erscheint Paris als labyrinthartige Bühne: eine Metropole, die nicht durchquert wird. Der Pikaro umkreist, durchwandert die Stadt, aber er wird nicht Teil ihres Rhythmus. Elyas bewegt sich zwischen Métro, Cafés, Wohnheimen, Ämtern, Straßen, aber nie in den ikonischen Räumen der Pariser Repräsentation. Paris wird hier nicht als Zentrum der Macht gezeigt, die Stadt ist Kulisse eines Spiels, das Elyas nie gewinnt. Diese geographische Desintegration spiegelt die soziale und narrative Entwurzelung wider. Wie bei Baudelaire ist der Erzähler ein Flâneur, aber nicht aus ästhetischem Genuss, er ist Flâneur aus Notwendigkeit. Seine Bewegung ist auch nicht freiwillig, eher ein ständiges Entkommen. In dieser Topographie spiegelt sich die Logik des Pikaros: Der Raum ist nicht Ziel oder Heimat, Raum ist hier Zwischenraum.
La naturalisation nutzt das Modell des Pikaros nicht, um ein Narrativ des Aufstiegs zu erzählen, es problematisiert die Erzählbarkeit von Identität überhaupt. Elyas ist kein Held und kein Opfer, auch kein Moralist. Er ist ein Erzähler in der Schwebe – ein Subjekt, das sich nicht naturalisieren lässt, weil es sich der Definition entzieht. Die Pikareske erlaubt genau diese Bewegung: Sie entwirft keinen geschlossenen Charakter, sie zeigt eine Reihe von Masken und Rollen. Sie gibt uns ein polyphones Stimmengewirr statt eines roten Fadens. Der postkoloniale Pikaro ist kein Migrant, der ankommt – sondern einer, der erzählt, gerade weil er nicht ankommt. Der Roman zeigt, dass Literatur selbst zum Ort der Zugehörigkeit werden kann. Die Einbürgerung gelingt nicht im juristischen Sinne, wohl aber im poetischen. Elyas Z’Beybi, der Erzähler von La naturalisation, wird nicht Franzose, aber er wird Erzähler.
La naturalisation ist ein Roman, der sein Versprechen des Titels bricht. Der Einbürgerungsakt bleibt symbolisch leer, der Zugang zur Nation verwehrt. Doch genau darin liegt die Kraft des Textes: Er naturalisiert keine Identität, er dekonstruiert die Rituale des Dazugehörens. Der Pikaro Elyas durchquert die Gesellschaft, ohne sich ihr zu überlassen. Seine Waffe ist das Erzählen: so widerständig und ironisch wie poetisch. Der Pikaroroman erweist sich in diesem Kontext als ideale Gattung: Sie erlaubt, die Welt von unten zu betrachten, sich durch sie hindurchzuschwindeln, ohne sich zu beugen. In der Verweigerung der Einpassung liegt die eigentliche Subversion des Textes. Und so wird aus dem klassischen Schelm ein postkolonialer Erzähler, der statt naturalisiert zu werden, die Gesellschaft durch sein Erzählen destabilisiert. La naturalisation ist damit kein Roman der Integration, er ist Bekräftigung der literarischen Exterritorialität. Der Pikaro hat kein Zuhause, aber eine Stimme. Und die erhebt er: laut, zornig, klug – und nie ganz ohne Lachen.
Elyas’ Missgeschicke sind keine bloßen Stolperfallen – sie sind die Form, in der er sich und die Welt erkennt. In ihnen liegt eine Wahrheit, die keine Theorie und kein Diskurs benennen kann: die Wahrheit des unbeholfenen Subjekts, das in einer Welt der Abweisungen trotzdem weitergeht. La naturalisation feiert diese Wahrheit, ohne Pathos, poetisch. Dass dieser Held ungeschickt, naiv und zu sehr in Frankreich verliebt ist, um sich als Fremder zu begreifen, macht ihn zu einer der starken Figuren der Gegenwartsliteratur. Seine Komik ist eine Maske des Schmerzes und zugleich ein eigener Modus der Erkenntnis – zärtlich, unprätentiös und ehrlich. In einer Welt, die Integration fordert und Anpassung meint, ist Elyas’ Unbeholfenheit ein Akt der Würde. Er gehört zu niemandem – und deshalb zu uns allen.